Читать книгу König Ludwig II speist - Theodor Hierneis - Страница 8
DER KÖNIG
ОглавлениеMit dem König selbst war ich noch nicht näher in Berührung gekommen. Natürlich hatte ich mir unbewußt ein Bild von ihm gemacht, und darin hatte alles seinen Platz, was man gesprächsweise über den König hören konnte, auch wenn ich die Zusammenhänge damals noch nicht so verstand. Und eigentlich glaube ich heute, daß sie zu jener Zeit noch niemand so ganz erfassen konnte, weder die hohen Herren Minister, noch die kleinen Küchenjungen.
Ein Name war es, der in allen Diskussionen um den König Vorrang hatte, Richard Wagner natürlich. Die Freundschaft mit dem großen Komponisten, die längst eine Staatsaffäre geworden war, beherrschte auch noch in den achtziger Jahren alle Gemüter: sie gehörte zum Bild des Königs, auch wenn dieser sich äußerlich und vielleicht auch innerlich vom Menschen Wagner distanziert hatte und keinen Kontakt mehr mit ihm hatte. Seinen Werken, deren Aufführungsrechte er ja besaß, blieb er immer nahe, viele Extrafahrten vom Schloß Berg aus, oder wo sich der König sonst befand, zu den Aufführungen im Hoftheater, zeugten davon.
Auch von der liebenswerten Neigung zu seiner Kusine, Kaiserin Elisabeth von Österreich, um die sich manche Legende gebildet hatte, hörte man, von der Begegnung mit Kainz, der dem König den „Tell“ auf dem Rütli zu deklamieren hatte, und natürlich vom Haupt- und Leibthema – der Bauleidenschaft der Majestät, seinen berühmten Königsschlössern.
Gegen viele seiner Handlungen und Entschlüsse wurde ja immer Sturm gelaufen. Nur wenn die Rede auf seine Persönlichkeit kam, war man sich meist einig. Die vielgerühmte Schönheit der Gestalt, die Gewandtheit des Verstandes und der Rede bei einem geradezu phänomenalen Gedächtnis, der erhabene Blick, sein Wesen, schön in der Begeisterung, gemessen in Ernst und Melancholie – seine unnahbare Hoheit, mit einem Wort – all das gehörte zu jenem Bilde vom Herrscher Bayerns, einem Monarchenbild, wie es vollendeter nicht zu träumen war, das Märchenbild vom herrlichen König, das auch mir vertraut war und sich immer tiefer einprägte.
Ich wüßte keinen Vergleich aus unseren Tagen, der das Gefühl veranschaulicht, das mich trug, als ich hörte, ich solle in der Nähe dieser hohen Persönlichkeit arbeiten, für sie mitsorgen dürfen. Küchenangestellter bei einem Staatspräsidenten heute? Man würde sagen: eine gute Stellung. Was für ein mageres Gegenstück zu meinem jugendlichen Empfinden vom Glanz und Schimmer dieser Krone. In ihrem Umkreis sich bewegen zu dürfen, war das Glück!
Dies Glücksgefühl hinderte mich aber nicht daran, mit gesunder Neugier meine Umgebung zu betrachten, und natürlich war auch der König in diese Neugier einbezogen. Das erste, was mir – vom reinen Küchendienst abgesehen – beigebracht wurde, war mein Verhalten der Majestät gegenüber bei einer etwaigen Begegnung. Oberstes Gebot war dabei, den König nicht anzublicken, ja, man durfte gar nicht zu ihm aufsehen, gebückt, den Kopf nach unten, die Arme lang, hatte man zu warten, ob man gewürdigt oder angesprochen wurde. Das kam selten genug vor, und selbstverständlich war es ganz undenkbar, den König von sich aus anzusprechen oder auf etwas hinzuweisen. Ich wußte damals noch nicht, daß die Scheu des Königs vor Menschen und prüfenden Augen diese ehrerbietige Haltung verlangte und nahm dies anfänglich als das Normale hin. Aber das regungslose Verharren in tiefster Verbeugung machte Mühe, und es schien mir überhaupt besser, Begegnungen zunächst zu vermeiden. Ein einziges Mißfallen konnte ja eine Ausstellung zur Folge haben, und als später die Menschenfurcht des Königs sich noch steigerte, war es geraten, daß sich niemand mehr an der Tür, im Vorplatz und sogar von seinem Fenster aus sehen ließ. Wenn dann bei einem plötzlichen Erscheinen des Königs gar kein Entrinnen mehr möglich war, mußte eine Verbeugung, mit den Fingerspitzen bis zu den Schuhen, vor Ungnade retten.
Eine andere Sache beschäftigte mich fast noch nachdrücklicher. Ich wußte natürlich bald, daß der König allein zu speisen pflegte. Trotzdem mußte jeder Gang für vier Personen angerichtet sein. Zuerst nahm ich das als eine der vielen Unverständlichkeiten des Hoflebens hin, dann aber hörte ich, daß den König eine eingebildete Gesellschaft umgibt, daß er sich im Kreise seiner französischen Vorbilder fühlt, der Madame Pompadour, der Maintenon, der Dubarry zutrank und Gespräche mit ihnen führte.
Natürlich dachte ich nicht daran, meinen König im entferntesten für krank oder gar verrückt zu halten – keiner von uns hätte das gewagt, dafür verehrten wir ihn alle viel zu sehr. Wir nahmen eben diese Dinge als eine Art Luxus, und auf der Folie seiner majestätischen Erscheinung, seiner zur Schau getragenen Selbstsicherheit, seiner Prachtliebe und des ihn umgebenden Nimbus’ traten sie nicht mehr als andere herrscherliche Extravaganzen in Erscheinung. Aber immerhin blieb es mir bedenkens- und beachtenswert, und vielleicht spürte ich eben doch den Anhauch aus einer anderen, unverständlichen Welt, die sich nicht allein aus der herrscherlichen Abgerücktheit erklären ließ.
Bildnis des Königs zu der Zeit, in der dieses Buch spielt. Nach der Photographie von Joseph Albert, 1884
Da war es dann beruhigend festzustellen, daß der König auch mit allen realen Nöten des Menschendaseins zu kämpfen hatte, daß er auch Schmerzen leiden mußte. Seinen Zahnarzt z. B. fürchtete er besonders, er schreckte vor der Berührung seines Mundes zurück, und wenn er doch einmal kommen mußte, hatte die ganze Umgebung unter der königlichen Mißstimmung zu leiden. Des Königs Zahnleiden waren uns von der Küche wohl am besten bekannt. Wir hatten uns mit der Garzeit danach zu richten, alle Speisen, das Fleisch notwendigerweise vor allem, waren sehr weich gekocht, es gab viel Haschiertes, Omelettes, Püree etc.; Krustaden oder engl. gebratenes Fleisch wie Roastbeef, Staeks etc. durften nie auf den Tisch kommen. Oft ist mir späterhin die Frage gestellt worden, ob der König ein besonderer Feinschmecker gewesen sei. Kein Zweifel, daß er gern gut und reichlich aß, daß er ärgerlich wurde, wenn unvermeidbare Verzögerungen beim Servieren eintraten, und daß er auch Qualitäten sehr wohl zu unterscheiden wußte. Aber der äußere Rahmen eines Diners spielte fast eine größere Rolle als die eigentliche Speisenzurichtung, und diesem Rahmen entsprechend, mußte auch die Mahlzeit oft in pausenloser Arbeit durch manche Nächte hindurch zusammengestellt und angerichtet werden. Neben den ausgesuchten Gerichten mußten ja dann die großen, künstlerisch entworfenen kalten Schauplatten aufgebaut werden. Auf Terra-alba-Sockeln wurden da die Langusten und Hummer dressiert, um allegorische Figuren aus Tragant gruppierten sich pikante Aspiks mit Wildschweinpastetchen oder Gänseleberparfaits, und an marmorierten Füllhörnern aus gebrannten Mandeln rankten sich Petits Fours und grünschillernde Pistaziendesserts empor.
Bei einem Staatsbankett in der Residenz sollte einmal dem König und seinen hohen Gästen eine besondere Überraschung geboten werden. Der göttliche Pfau, den der König – ebenso wie den majestätischen Schwan – hoch verehrte, wurde zum Schaustück auserwählt. Wer die vielen Pfauendarstellungen in seinen Schlössern gesehen, in hunderterlei Variationen, liegend, stehend, fliegend oder sitzend, hier in kostbare Gobelins gewirkt, dort in kleinsten Miniaturen als Kaminschmuck verwendet, oder wieder mit Edelsteinaugen und vergoldetem Gefieder in Lebensgröße auf Marmorsockeln thronend – der wird sie nie vergessen.
Unsere Pfauen allerdings waren mehr materieller Natur. Aus den Züchtereien Roms, wo sie schon zu Ciceros Zeiten die vornehmen Römer mit dem Wohlgeschmack ihres zarten Fleisches ergötzten, wurden einige besonders schöne und junge Exemplare erworben. Nach vorsichtigstem Entfernen des herrlichen Gefieders und nach bratenfertiger Zubereitung wurden sie mit Trüffeln eingefüllt, die vorher in feingeschabtem Speck geschmort waren, dem man feine Kräutchen und Gänseleberstückchen zugesetzt hatte. Die also gefüllten Pfauen wurden darauf wieder gut zugenäht und einige Tage im kühlen Keller aufgehängt, bis das ganze Fleisch von dem Trüffelaroma durchdrungen war. Am Tage der Verwendung wurden die Trüffel wieder herausgenommen, mit feiner Farce vermengt und von neuem in die Pfauen eingefüllt, die dann mit Speckscheiben umbunden und schön lichtbraun gebraten wurden. Das Anrichten war dabei eine Kunst für sich. Auf großen silbernen Schüsseln wurden Brotsockel befestigt, auf deren Mitte dann der kunstvoll zerlegte, aber wieder zusammengesetzte Pfau seinen Platz hatte, während der noch freibleibende Rand des Sockels, der altrömischen Sitte entsprechend, mit dem schillernden Kopf, dem Hals und dem leuchtenden Schwanz besteckt wurde.
Als am Tag der Pfauen-Première sich dann die zwölf servierenden Lakaien mit ihren Schaustücken dem König gegenüber im Halbkreis aufbauten, glitt ein allgemeines freudiges Staunen über alle Mienen – es war ein Bild, würdig eines Sonnenkönigs!