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Der Sieg des Schwachen.

Melchior Meyr.

Vorwort

Melchior Meyr, geboren den 28. Juni 1810 in dem Dorfe Ehringen bei Nördlingen im schwäbischen Riesgau, Sohn eines wohlhabenden und für Bildung empfänglichen Landmanns, besuchte die Schule in Nördlingen, die Gymnasien in Ansbach und Augsburg, und studierte, früh vom juristischen Fache zu philosophischen und literarhistorischen Studien übergehend, in Heidelberg und München. Gedichte, die er in der Handschrift an Goethe sandte, trugen ihm einen der letzten Briefe des Dichterfürsten mit einem ermutigenden Worte ein. In Rückerts Nähe verlebte er ein Jahr zu Erlangen. Vom Kronprinzen Max mit Unterstützung zu einer Reise nach Norddeutschland ausgestattet, kam er 1840 nach Berlin, zu jener Zeit, als die Berufung von Schelling, Rückert und Cornelius ein neues Geistesleben verhieß. Er blieb daselbst, für den Unterhalt auf seine Feder angewiesen, im Umgang mit den Genannten, vornehmlich auch mit Lachmann und Kopisch. Im Anfang der fünfziger Jahre, als König Max sich mit Dichtern und Gelehrten umgab, kehrte Meyr nach München zurück und bezog einige Jahre einen Gehalt aus der Kabinettskasse, vermied aber die ihm winkende Anstellung im Staatsdienst oder an der Hochschule, da ihm, dem Unverheirateten, sein Schriftstellerhonorar neben den Erträgnissen eines kleinen Kapitals und einer Rente der Schillerstiftung genügte, um in voller Unabhängigkeit seinen philosophischen und dichterischen Arbeiten leben zu können, aus denen ihn am 22. April 1871 der Tod hinwegnahm.

Es würde eine psychologisch interessante Aufgabe sein, bei einer ausführlichen Charakteristik dieses trefflichen Mannes im Einzelnen zu schildern, wie die zwei Seelen, die in seiner Brust wohnten, sich durch eine lange Schriftstellerlaufbahn miteinander vertragen, sich gestört, überhaupt auf einander eingewirkt haben, wie der Dichter dem Philosophen Flügel gab, um sich über die Abgründe schwer zugänglicher Probleme hinweg zu schwingen, während der Denker häufig den Schritt des Dichters vorsichtig mäßigte und ihn da zu verweilen zwang, wo ein rascherer Fortgang oder Sprung erwünscht gewesen wäre. Hier, wo wir es nur mit dem Erzähler zu tun haben, müssen wir vor Allem die heitere Klarheit, den Seelenadel, die unverfälschte Innigkeit seiner Muse hervorheben, deren gewinnende Anmut dadurch kaum beeinträchtigt wird, dass es ihren Gebilden bei aller Naturkraft mitunter ein wenig an dreister, unreflektierter Frische gebricht, dass es scheint, als liege dem Dichter daran, seine Geschichten nicht bloß zu erzählen, sondern zu beweisen. Umso mehr freuen wir uns, aus dem beliebtesten seiner dichterischen Erzeugnisse, aus den Rieser Erzählungen — die ersten erschienen, mit allgemeinem Beifall begrüßt, im Morgenblatt, hierauf als Sammlung (jüngst in dritter Auflage), und wurden später durch die "neuen" E. a. d. N. vermehrt — eine ausheben zu können, die ein solcher Vorwurf auch nicht von ferne trifft. In diesem ganzen Gewebe ist kein Faden, der nicht von echtem Zeuge wäre: treue Schilderung des Volkslebens ohne alle fremde Beimischung, anmutende Frische, meisterliche Einfachheit und von Anfang bis zu Ende ein gesunder Humor. Die Szene, welche an Eginhard und Emma anstreift, darf wohl den besten Erfindungen beigezählt werden; von noch größerer aber und nicht bloß komischer Wirkung ist die Hauptszene, die den Sieg des Schwachen über den Starken darstellt — wobei der Dichter die Haltbarkeit der veränderten Gesinnung des Besiegten, an welcher denn doch gezweifelt werden könnte, durch heimatfrohe Berufung aus die Landesart sehr glücklich verbürgt.

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Deutscher Novellenschatz 9

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