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Vorwort

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›Die Stunde Null‹, ›Der Neubeginn‹,›Die Teilung‹ – so habe ich die drei Kapitel dieses Buches überschrieben. Der Text bemüht sich um Sachlichkeit und Distanz; nicht selten jedoch mag innere Anteilnahme durchklingen. Es kann kaum anders sein, denn diese ›Fünf Jahre der Entscheidung‹ waren auch in meinem persönlichen Leben eine entscheidende Epoche. Das war ein Anstoß für dieses Buch. Man erlaube mir ein persönliches Vorwort:

Die Stunde Null war für mich gekommen, als ich in meinem Funkwagen die Nachricht von der Kapitulation vernahm. Meine Einheit hatte auf dem Rückzug von Süden her die italienischen Alpen erreicht. Ich wollte nicht in Gefangenschaft geraten und machte mich zu Fuß auf den Weg nach Hause. In Tirol griffen mich die Amerikaner. Ich konnte ihnen bald wieder entkommen. Schon im Juni 1945 erreichte ich Berlin, nachdem ich zum erstenmal »schwarz« über die »grüne Grenze« gewechselt war.

Meine Frau war vor den Russen nach Schwerin in Mecklenburg geflohen. Das war zu diesem Zeitpunkt gerade noch britisch besetzt. Bei dem Versuch, über die »Demarkationslinie« zurückzugehen und sie zu suchen, nahmen mich die Russen gefangen. Ich entkam – erstaunlicherweise – noch einmal. Wenig später fand meine Frau mich in der Sowjetzone. Ich versuchte, mein Studium wiederaufzunehmen. Im Privathaus Friedrich Meineckes, Am Hirschsprung in Dahlem, konnte ich noch am letzten Oberseminar des großen deutschen Historikers teilnehmen.

1946 wurde unsere Tochter Bettina in Berlin geboren. Ich mußte Geld verdienen. Mein im Krieg begonnener Roman erschien, zunächst in Fortsetzungen in der ›Neuen Zeit‹, einer der ersten von der sowjetischen Militäradministration zugelassenen Zeitungen. Diese Veröffentlichung brachte mich zur Berliner Station des britisch kontrollierten Nordwestdeutschen Rundfunks. Mein erstes Monatsgehalt betrug 280 Reichsmark. Das war mein Neubeginn.

Als 1948 über Nacht die Währungsreform kam, war ich mit meiner Frau auf einem Jugendkongreß in München. Die Blockade der deutschen Hauptstadt begann; aber sobald es möglich war, kehrten wir nach Berlin zurück. Dort wurde 1949 unser Sohn geboren – in der dunklen und aus der Luft versorgten Hälfte der Stadt. Noch einmal kam eine Art Stunde Null, als Stalin die Blockade abblies. Aber wir wußten: dies ist die Teilung.

Deutschland war 1945 als Reich untergegangen. Hitler hatte es zugrunde gerichtet. Nun gab es zwei Staaten auf deutschem Boden, die Weichen waren gestellt. Wenn uns noch heute die deutsche Frage beschäftigt (bewegt sie uns noch?) – damals, in jenen fünf Jahren der Entscheidung, wurde sie gestellt. Es war eine uns Deutschen aufgezwungene Entscheidung. Wir hatten keine Wahl. Jeder Revanchismus und Chauvinismus jedoch wäre sinnlos und fände auch keine historische Rechtfertigung. Die Sieger hatten den Frieden verloren – wir den Krieg.

Als die Kinder älter wurden, kam es wieder zu Gesprächen über die Ursachen der deutschen Situation. Wir Eltern versuchten es mit Erklärungen, historischen und persönlichen. Ich ging, mit der Familie, 1960 von Berlin nach Washington. Die Kinder wurden in ihren amerikanischen Schulen als Deutsche gefragt: Wie kam das damals, wie ist es heute in Deutschland? Von Jahr zu Jahr mehr verdichtete sich nun der Plan, in einer Fernsehserie alle verfügbaren Filme aus den entscheidenden ersten Nachkriegsjahren zusammenzutragen; denn was vermittelt lebendigere Anschauung als das bewegte Bild?

1967 konnte ich diesen Plan verwirklichen. Meine Mitarbeiter Wilhelma von Albert und Peter Otto sichteten 180 000 Meter Dokumentarfilm, und wir wählten 10 000 Meter davon für die drei 60-Minuten-Sendungen aus. Ohne diese Arbeit wäre es nicht zu meinen stark beachteten Deutschland-Filmen im Fernsehen gekommen. Auch nicht zu diesem Buch, das auf den Sendungen beruht, die im Januar 1968 im Ersten Programm des Deutschen Fernsehens unter dem Titel DEUTSCHLAND NACH DEM KRIEGE liefen.

Ich hatte mit einer sehr geteilten Aufnahme gerechnet. Aber nur eine kleine Minderheit (etwa ein Prozent) schimpfte, eine andere (etwa fünf Prozent) wollte sich nicht gern an diese dunklen Jahre und ihre Ursachen erinnern lassen. 11 Prozent waren mit der Serie »zufrieden«, 60 Prozent fanden sie »gut«, 23 Prozent »ausgezeichnet«. Dabei war mir besonders willkommen, daß die Altersgruppe unter 29 Jahren um einen Indexwert positiver urteilte als die Älteren. In der Infratest-Umfrage heißt es: »Die Jüngeren begrüßen die Aufklärung über eine Zeit, die sie selbst, zumindest bewußt, noch nicht miterlebt haben.«

So wünsche ich dieses Buch vor allem in die Hände einer Generation, die man jetzt gern die »unruhige« nennt. Sie ist in jenen Jahren geboren worden. Wir Älteren sind manchmal geneigt, die Erklärung für die Unruhe und Unzufriedenheit der Jungen in der mangelnden Erfahrung mit harten Zeiten zu suchen. Sie ist gewiß eine der Ursachen, aber doch nur eine unter mehreren. Eine andere scheint mir zu sein, daß Bundesrepublik Deutschland und DDR nicht innerlich akzeptiert, geschweige denn geliebt werden. Hieraus resultiert bei aller Stabilität des Status quo von 1945 doch ein Moment tiefer innerer Unsicherheit. In der DDR überdecken Zensur und Reglement eines totalitären Regimes diese Unsicherheit. In der Bundesrepublik Deutschland lassen Wohlstand und Bündnisgeborgenheit das nationale Unbehagen in den Hintergrund treten. Im Mißtrauen der jungen Deutschen, namentlich der Studenten, findet es heute als deutsche Variante des allgemeinen und weltweiten Protestes der Jungen seinen Ausdruck.

Es mag sein, daß wir aus der Geschichte nur lernen können, wie wenig man aus ihr lernt. Dennoch verleiht nur Kenntnis der Vergangenheit einigermaßen zuverlässige Maßstäbe für die Gegenwart. In unserem Jahrhundert sollte ein denkender Deutscher sich Rechenschaft geben können von vier Epochen der Geschichte seines Volkes:

dem Zusammenbruch des Kaiserreichs,

der Republik von Weimar,

dem Dritten Reich,

der deutschen Situation im Zeichen der Teilung.

Dieses Buch will ein Beitrag sein zum Verständnis der vierten Epoche. Sie wurde durch die ersten Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt, und vor gerade 20 Jahren, 1949, ging der Weg der Deutschen mit der Gründung von Bundesrepublik Deutschland und DDR in zwei entgegengesetzte Richtungen.

Tilo Koch im Herbst 1969, zwanzig Jahre danach

Fünf Jahre der Entscheidung - Deutschland nach dem Kriege. 1945-1949

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