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Vorwort 1970
ОглавлениеGottfried Benn starb am 7. Juli 1956 in Berlin. Ich kannte ihn seit 1949. In seinen letzten Lebensjahren sahen wir einander häufig, arbeiteten auch miteinander. Er willigte kurz vor seinem Tode ein, mir sein Leben zu erzählen; ich wollte eine umfassende Benn-Biographie schreiben. Dazu kam es nicht mehr. Was ich über ihn und von ihm wußte, faßte ich in einem biographischen Essay zusammen, der 1957 bei Albert Langen-Georg Müller in München erschien.
Von diesem Buch wurden 10 000 Exemplare verkauft; es ist seit längerem vergriffen. Die Nachfrage hielt an, und deshalb freue ich mich, daß Heinz Friedrich, der Chef des Deutschen Taschenbuch Verlages, diesen Nachdruck veranstaltet. Vor zwanzig Jahren wetteiferten wir – damals beide Rundfunkredakteure – miteinander, den Autor Gottfried Benn unseren Hörern vorzustellen, ihm womöglich noch Unveröffentlichtes zu entreißen.
Ich freue mich über den Neudruck aus noch zwei anderen Gründen: Erstens, er veranlaßte mich, wieder all meine Benn-Papiere zur Hand zu nehmen. Das Ergebnis sind einige hier zum ersten Mal gedruckte Texte – von Benn und über Benn. Zweitens, ich stellte fest, daß mein Benn-Essay mir unter den fünfzehn Büchern, die ich machte, noch immer das liebste Buch ist.
Mein Text aus dem Jahre 1957 wird hier fast unverändert wieder vorgelegt. Ich ergänzte lediglich einige Stellen, die auf Publikationen hinweisen, die inzwischen erschienen sind. Es verdient vielleicht erwähnt zu werden, daß die drei Kapitel – ›Entwurzelungen‹, ›Das gezeichnete Ich‹, ›Der Ptolemäer‹ – damals zuerst gesprochen veröffentlicht wurden, in drei 45-Minuten-Sendungen im Dritten Programm des Norddeutschen Rundfunks. Vom Radio ging im ersten Nachkriegsjahrzehnt eine außerordentliche Wirkung aus, die man im Fernsehzeitalter nicht mehr für möglich halten mag. Die Programme für anspruchsvolle Hörer trugen dazu bei, den heute kaum noch vorstellbaren geistigen Nachholbedarf in Deutschland zu dekken. Ich zum Beispiel kam mit 25 Jahren aus Krieg und Kriegsgefangenschaft nach Hause, ohne den Namen Gottfried Benn jemals gehört zu haben.
Als ein Beispiel für die Rundfunkbemühungen jener Jahre ist hier eine Diskussion zwischen Gottfried Benn und Peter de Mendelssohn abgedruckt. Es war schwierig, die beiden streitbaren Herren an einen runden Tisch und vors Mikrophon zu bringen. Das Thema »Schriftsteller und Emigration« mag heute etwas von seiner damaligen Aktualität eingebüßt haben, wenigstens für uns Deutsche. Jedoch ist die Diskussion für die Benn-Forschung sicher von Interesse. Es sind meines Wissens sonst keine Protokolle von freier Rede des Autors erhalten. Die unredigierte Nachschrift jener Nachtprogrammrunde vom 22. März 1950 erscheint hier zum erstenmal gedruckt.
Dieser dtv-Band bringt noch eine zweite Novität: Den ersten Abdruck einer Nachschrift meines Fernsehinterviews mit Gottfried Benn am Tage nach seinem 70. Geburtstag, am 3. Mai 1956. Es ist der einzige Film, den es mit Gottfried Benn gibt.
Im Zweifel war ich beim Einrichten dieses Buches, ob ich auch einige noch unveröffentlichte Briefe aufnehmen sollte. Ich entschied mich schließlich, alles, was Benn an mich geschrieben hat, im Nachwort zu zitieren, sofern es von öffentlichem Interesse sein könnte. Ferner zitiere ich aus einigen der bedeutsameren Briefe, die ich anläßlich meiner biographischen Benn-Studie erhielt; so unter anderem von Max Rychner, Hermann Kesten, Professor O. Woodtli, Dieter Wellershoff, den Germanisten Grenzmann und Martini, F. W. Oelze, Bruno E. Werner und einem Bruder Gottfried Benns Thomas Benn.
Zu danken habe ich wiederum Frau Dr. Ilse Benn. Sie empfing mich zu einem langen Gespräch über ihren Mann Gottfried Benn, mit dem sie zehn Jahre verheiratet war, 1946 bis 1956. Ich berichte über diesen Besuch bei Ilse Benn im Nachwort.
Dankbar erinnere ich mich hier auch an Hans-Joachim Schondorff, den damaligen Leiter des Langen-Müller-Verlages; er druckte meinen Benn-Versuch mit viel freundlicher Anteilnahme für den Portraitierten sowohl wie für den Portraitisten. Die Zustimmung zu diesem Nachdruck erteilte für den Langen-Müller-Verlag freundlicherweise Herr Dr. Herbert Fleißner.
Dieses Buch mag von Interesse sein für Leser, die einiges von Gottfried Benn kennen und nun wissen möchten, was für ein Mensch dieser Autor war. Aber auch jemand, der Benn besser kennt, wird hier vielleicht einiges erfahren, was sein Bild abrunden oder korrigieren könnte. Es waren junge Leute, die die erste Ausgabe am meisten kauften. Ich wünsche mir für diesen um vieles bisher Unbekannte ergänzten Neudruck vor allem Leser aus der »unruhigen Generation«. Höchst unruhig und beunruhigend war auch Gottfried Benn.
Hausen ob Verena im Februar 1970 Thilo Koch