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(Klein-) Kindheit

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An einem kalten Sonntag im Winter 1965, (angeblich) genau um 18.00 Uhr, erblickte ich in der Erfurter Frauenklinik das Licht der Welt.

Meine Mutter, eine Operettensängerin am Nordhäuser Theater, Jahrgang 1929, hatte sich sehr auf mich gefreut. So sehr, dass sie ein Jahr nach meiner Geburt Ihren Beruf aufgab, um sich nunmehr ausschließlich den mütterlichen Freuden zu widmen.

Ganz dem klassischen Rollenbild entsprechend hatte mein Vater, der nach einer wegen der Schließung des Ausbildungsbetriebes abgebrochenen Kaufmannslehre sich mit Jobs wie Rettungswagenfahrer, Pfleger in einer Nervenklinik und Arbeiter in einem Betonwerk durchgeschlagen hatte, den alleinigen Part der materiellen Versorgung der Familie zu übernehmen.

So richtig gut ging es ihm erst als Taxifahrer, einer Tätigkeit, die man - aus heutiger Sicht nicht mehr vorstellbar - zu DDR-Zeiten fast schon als privilegiert bezeichnen konnte.

Schließlich war in der Mangelwirtschaft alles knapp, eben auch die Möglichkeit, beispielsweise als Barmixer einer Nachtbar nachts um drei Uhr nach Hause zu kommen.

So hatte man jede Menge so genannter Beziehungen. Schließlich brauchte auch ein Arzt zu Silvester ein Taxi, oder eben auch mal die Gemüsehändlerin, oder die Frau aus dem Buchladen und so weiter.

Trinkgelder flossen zuweilen in angenehmer Höhe und man hatte ein leidliches Auskommen für DDR-Verhältnisse.

Hinzu kamen noch Einnahmen aus Gewinnen von gelegentlichen Verkäufen, da meine Eltern sehr ambitionierte Antiquitätensammler waren.

Darüber hinaus lebte ein Bruder meiner Mutter - sie hatte drei Geschwister - in der Nähe von Düsseldorf und versorgte uns all die Jahre sehr großzügig mit den beliebten Westartikeln von Kaffee und Schokolade bis hin zu „echten“ Jeans, Quarzuhren und allem, was das DDR-Bürgerherz erfreute.

Viel wichtiger war jedoch die ebenso wenig fehlende Liebe, die ich in meiner Kindheit seitens meiner Eltern erfuhr.

Meine Mutter lebte ihr Leben bis hin zur Selbstaufgabe ausschließlich für ihre Liebsten, so dass sie sich im hohen Alter nur noch über das Befinden selbiger definierte.

In ihr spiegelte sich in gewissem Maße der Gesamtzustand ihrer Geschwister, ihres Sohnes und der Enkel wieder. Ging es diesen gut, so konnte es ihr selbst auch gut gehen, was im gegenteiligen Falle natürlich ebenso galt.

Manchmal glaube ich, derjenige Mensch, über den sie am wenigsten nachdachte und um den sie sich am wenigsten sorgte, war sie selbst. Und das ist heute alles eher noch etwas intensiver, da sie seit drei Jahren als Witwe lebt.

Dennoch konnte ihren unerschütterlichen Optimismus so gut wie nie etwas aus der Ruhe bringen.

Mein Vater nahm sich trotz seiner Arbeit im Dreischichtsystem viel Zeit und kümmerte sich vor allem in der Freizeit um mich, während meine Mutter die schulischen Belange unter ihre Fittiche nahm.

Man kann also sagen, dass ich im familiären Umfeld eine unbeschwerte Kindheit hatte, was mein selbstständiges Denken sicher förderte und mir eine stabile Psyche bescherte.

Da ich keinen Kindergarten besuchte, was damals relativ selten vorkam, da die meisten Mütter keine Schwierigkeiten mit Kinderkrippen- und Kindergartenplätzen hatten und unabhängig von ihren Wünschen die kärglichen Löhne in der DDR mit aufbessern helfen mussten, wurde ich auch noch nicht mit der Staatsmacht konfrontiert und musste noch keine den Sozialismus und Militarismus verherrlichenden Lieder singen wie damals bereits im Vorschulalter üblich. Machten die Erzieher ihre Arbeit „gut“, hatte bereits eine große Anzahl von Kindergartenjungen den Berufswunsch „Soldat“.

Statt des Kindergartens besuchte ich eine so genannte Vorschule.

Im Jahre 1971 fand dann meine Einführung in die POS 27, die Neuerbe-Oberschule, in der Nähe des Erfurter Flutgrabens und Bahnhofsviertels statt.

Damit begann der oft so bezeichnete „Ernst des Lebens“, was für mich noch eine ganz besondere Bedeutung bekommen sollte.

Jugend in der Diktatur

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