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Neiße to miet you

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Es gibt eine Stadt in diesem Land, in der alles ein kleines bißchen anders ist. Nicht nur, daß die Leute gerne auf den Boden schauen, wenn sie laufen, wobei sie des Öfteren auch noch etwas merkwürdig gehen, sondern auch daß Rentnertouristenschwärme die Altstadt überfluten, was sich sogar die Neiße selbst hin und wieder traut. In dieser Stadt pulsiert das Leben auf seine ganz eigene Art und irgendwie hängt nicht nur alles zusammen, viele Bewohner hängen auch ab, beziehungsweise sind abhängig. Das Herzstück von G. ist die Agentur für Arbeit(slosigkeit), sie gilt als der größte Arbeitgeber und ohne sie wäre alles nichts. Nicht nur die Arbeits- und Hoffnungslosen, sondern auch die Selbständigen und Scheinselbständigen hängen am Tropf der Agentur, was dazu führt, daß jene, wäre G. die Mafia, so etwas wie den Paten höchstpersönlich darstellte. Kein Wunder also, daß sich der Chef jener Arge dazu auserkoren sah, OB von G. zu werden. Da es ja außer Prinz Charles noch etliche andere Männer gibt, die gerne ein Tampon sein möchten, verwunderte es nicht, daß sich auch Mitbewerber aufstellen ließen und einer von denen schlug den Chef der Arge in einer Stichwahl. Hatten die Bewohner von G. damit die Hand gebissen, die sie füttert? Nun ja, gut möglich, aber vielleicht hatte der Verlierer nur deshalb nicht reüssieren können, weil er aus dem Westen stammte und das war eben nach wie vor ein Kriterium, das gegen einen Kandidaten sprach. Wie auch immer, so blieb der gute Mann also was er war, nämlich der mächtigste Typ in G., weil ja fast alle Leute dort von seiner Agentur bezahlt wurden. Es verwunderte nicht weiter, daß er sich nach der mißglückten beruflichen Weiterentwicklung vermehrt auf sein Privatleben konzentrierte, denn seinen Job machte er mit links, was im wilden Osten von einem Mann in einer Führungsposition auch erwartet wurde. Da in seiner Agentur sehr viele Frauen arbeiteten, glich das Ganze in gewisser Weise einem Hühnerstall, in dem die Hühner gackerten, Eier legten und froh darüber waren, einen sicheren Job in unsicheren Zeiten zu haben. Nicht daß es sich bei ihnen um sonderlich glückliche Hühner gehandelt hätte, aber sie waren froh darüber, nicht so wie die Hartz IV-Hühner in Käfighaltung leben zu müssen, denn bei jenen war die Reisefreiheit doch in gewisser Weise ein wenig eingeschränkt. Der Hahn krähte leise auf dem Mist und die Hühner waren einigermaßen zufrieden, denn sie waren irgendwie alle gleich und weil sie doch auch leicht sozialistisch geprägt waren, war das für sie schon wichtig. Aber dann tauchte eines Tages ein ganz besonderes Huhn bei ihnen auf. Jene Henne unterschied sich von den anderen Hühnern schon allein dadurch, daß sie laut losgackerte, obwohl sie noch überhaupt kein Ei gelegt hatte. Natürlich wurde der Hahn alsbald auf besagtes Huhn aufmerksam, was den anderen Hennen weniger gefiel. Als es schließlich soweit war, daß der Hahn die tolle Henne zu seiner Lieblingshenne erkor und fortan nur noch sie bestieg, waren die anderen Hühner im Stall ziemlich angepißt und wandten sich von dem Huhn ab. Sie beargwöhnten es mißtrauisch und verbreiteten Gerüchte, wonach die Lieblingshenne des Hahns viel weniger arbeiten müsse als sie selbst und viel öfter krank wäre. Der Neid hatte also Einzug gehalten ins ehemals sozialistische Hühnerparadies, in dem zwar auch nicht alle gleich gewesen waren, doch die Erinnerung verklärte die Vergangenheit sorgfältig und so war die Atmosphäre leicht vergiftet. Dazu kam der Druck von außen, immer neue Gesetze mußten umgesetzt werden und die Hühner rackerten sich fast zu Tode. Der Hahn aber stand wie immer auf seinem Misthaufen und machte weiter wie bisher. Selbst wenn seine Lieblingshenne mal ausrastete, blieb er ganz gelassen und versuchte, mit seiner ruhigen Art, wieder Harmonie herzustellen. Das war nicht immer ganz einfach, aber im Grunde ging es ja um viel mehr als um die beleidigten Hühner im Hühnerstall namens DLZ (Dienstleistungszentrum für Arbeit). Draußen in der Stadt lebten, beziehungsweise vegetierten, die Bewohner von G. mehr oder weniger desillusioniert vor sich hin und daß es dort am 20.Jahrestag der Deutschen Einheit nicht wirklich was zu feiern gab, verwunderte kein bißchen, denn der Aufschwung war in jener Stadt an der Grenze zu Polen nie tatsächlich angekommen und die Hoffnung hatte sich auch schönere Plätze ausgesucht, an denen sie ihr Unwesen trieb. Doch um G. und seine Bewohner besser zu verstehen, muß man eintauchen in den Sumpf und das alles etwas genauer betrachten, was ich auf den folgenden Seiten versuchen werde.

40 Jahre Sozialismus hatten selbstverständlich ihre Spuren hinterlassen und so überrascht es kein bißchen, daß viele Ostdeutsche erwarten, daß sich der Staat um sie kümmert und für sie sorgt. Das führt wiederum dazu, daß die Leute oft glauben, Vater Staat müßte sie in Lohn und Brot bringen, weshalb es mit der Eigeninitiative der Arbeitssuchenden manchmal nicht weit her ist. Doch seit Hartz IV und das Prinzip „Fordern und Fördern“ in Deutschland Einzug gehalten haben, sind auch für die Langzeitarbeitslosen die „fetten Jahre“ endgültig vorbei und so gibt es Druck, Streß, Ärger und Sanktionen, wenn man sich nicht an das hält, was mit den Hühnern vom DLZ vereinbart wurde. Das Leben als Arbeitsloser hat sicherlich auch seine Vorteile, schließlich hat man mehr Zeit als viele Andere und kann den ganzen Tag machen was man will, doch genau jene vermeintliche Freiheit macht vielen Menschen zu schaffen. Der Grund dafür liegt unter Anderem darin, daß es in der ehemaligen DDR quasi keine Arbeitslosigkeit gab, was bedeutete, daß im damaligen „Arbeiter- und Bauernstaat“ alle etwas zu tun hatten, zumindest auf dem Papier, welches bekanntlich sehr geduldig ist. Die meisten Leute benötigen eine Aufgabe, sie wollen gebraucht werden und irgendwie nützlich sein, weshalb sie oft in ein Loch fallen, wenn das nicht gegeben ist. Offiziell hat G. eine Arbeitslosenquote von vielleicht 15 Prozent, doch die gefühlte Arbeitslosigkeit beträgt das Doppelte und wenn es den Tourismus nicht gäbe, dann wäre diese Stadt mausetot und könnte sich selbst fluten.

Aber da gibt es ja noch mehr. Rentner und Arbeitslose haben G. für sich entdeckt und ziehen in Scharen hierher. Das hat natürlich mit den niedrigen Mieten und Lebenshaltungskosten, aber auch damit zu tun, daß man sich in G. unter seinesgleichen befindet. Von den Studierenden dagegen bleiben die Wenigsten in der Stadt, sondern suchen schnell das Weite, denn für sie gibt es hier nicht wirklich eine Zukunft. Aber stattdessen existiert in G. noch eine ziemlich starke Fraktion und das sind die Familien, beziehungsweise Alleinerziehenden mit Kindern. Jene haben sich in dieser Stadt gemütlich eingerichtet, denn wenn es für junge Leute wenig oder keine Arbeit gibt, dann setzt man halt Kinder in die Welt, um eine Aufgabe zu haben und irgendwie beschäftigt zu sein. Wie nicht anders zu erwarten, handelt es sich bei den Eltern überwiegend um Mitglieder der unteren Schichten, was natürlich dazu führt, daß meistens die Kinder ebenfalls nicht zur Elite gehören werden. Vielleicht auch deshalb wurde von der Bundesregierung das Elterngeld für Hartz IV-Empfänger zwar nicht abgeschafft, wird aber nun mit dem Hartz IV-Einkommen verrechnet, denn die Politik und natürlich auch die Wirtschaft haben nicht wirklich ein Interesse daran, daß sich die Arbeitslosen wie die Karnickel vermehren und sie sowie deren Brut dem Sozialstaat jahrzehntelang auf der Tasche liegen. Kann man Sarrazins Thesen also auch in G. anwenden, natürlich in leicht abgewandelter Form? In gewisser Weise schon, doch damit wäre seine Gen-Theorie bereits widerlegt, denn Dummheit und Bildungsferne müssen nicht immer etwas mit der Nationalität zu tun haben.

Doch um das Ganze wirklich verstehen zu können, sollte man auf das zurückblicken, was sich vor gut 20 Jahren ereignet hat. Ein Volk begehrte auf und stürzte das eigene Regime. Dann aber folgte das Verschlucken der DDR durch die BRD und genau diese Aktion liegt dem wiedervereinigten Deutschland heute noch schwer im Magen. Was damals geschehen war, hatte mit Vereinigung nicht viel zu tun, es handelte sich um die Kapitulation des Sozialismus vor dem Kapitalismus und deshalb bekam auch die DDR das System der BRD eins zu eins übergestülpt, anstatt daß man sich die besten Ideen beider Systeme herausgesucht und miteinander verbunden hätte. Aber daran hatte seinerzeit niemand ein wirkliches Interesse. Sehr viele Bürger der DDR waren heilfroh darüber, den Sozialismus endlich hinter sich lassen zu können und im Westen waren nur die Wenigsten darauf erpicht, irgendetwas von einem scheinbar gescheiterten System zu übernehmen.

Für die Menschen im Osten hatte sich die Welt grundlegend verändert und da alles so rasend schnell vor sich ging und Vielen wie ein Rausch vorkam, hatten die meisten Leute keine Zeit, das Geschehene richtig zu verarbeiten, sondern versuchten, sich anzupassen und mit der neuen Realität zu arrangieren. Das war nicht ganz leicht, denn alles, was gestern noch richtig war, sollte nun auf einmal falsch sein und der Klassenfeind von drüben war plötzlich der neue beste Freund und Bruder, der es nur gut meinte. Allerdings kamen sehr schnell die ersten Gauner und Halunken, welche den gutgläubigen Ostdeutschen alle möglichen Versicherungen und sonstigen Sinnlosigkeiten andrehten, was dazu führte, daß viele Vorurteile sogleich bestätigt wurden und sich die Betrogenen wieder recht schnell aus der schönen neuen Welt zurückzogen und stattdessen lieber in der Ostalgie schwebten. 20 Jahre später sind die Deutschen sicherlich ein Stück weit zusammengewachsen, doch die Unterschiede zwischen den Wessis und den Ossis bestehen nach wie vor, was nicht weiter verwundert. Die Westdeutschen konnten nach der Wiedervereinigung weiterleben wie zuvor, für sie änderte sich nicht wirklich was, außer daß sie den Solidaritätszuschlag zu zahlen hatten (genauso wie die Ostdeutschen übrigens auch) und daß es einige Steuererhöhungen gab. Das kapitalistische System blieb bestehen und alle konnten weitermachen wie bisher. Dagegen brach im Osten eine Welt zusammen. 40 Jahre Sozialismus hatten sich selbstverständlich in den Köpfen festgesetzt und ihre Spuren hinterlassen. Schon in der Schule hatten die ostdeutschen Kinder gelernt, daß die Sozialisten die Guten und die Kapitalisten die Bösen waren, im Westen war es natürlich genau umgekehrt gewesen. Aber zweifellos war der Zusammenhalt im Osten stärker und genau den vermissen viele Ostdeutsche in der heutigen individualisierten Gesellschaft, in der fast alle nur auf sich und ihren eigenen Vorteil schauen. Gemeinschaft wird vielerorts nicht mehr großgeschrieben und der Einzelne fühlt sich oft schon längst nicht mehr als Teil eines großen Ganzen. Wer nun glaubt, der Kapitalismus als übrig gebliebenes System wäre des Rätsels Lösung und der Weisheit letzter Schluß, täuscht sich gewaltig, denn die Ausbeutung des Menschen durch den Menschen sollte nun wirklich nicht am Ende der Geschichte stehen. Nicht zuletzt die Wirtschafts- und Finanzkrise haben deutlich gezeigt, daß da Einiges im Argen liegt und damit wären wir wieder bei der Arge angelangt.

Damit die Arbeitslosigkeit nicht rapide anstieg, wurde das Kurzarbeitergeld gezahlt, so daß die Firmen ihre Arbeiter nicht entließen, sondern weiterbeschäftigten. Doch wer voller Stolz auf scheinbar nur drei Millionen Arbeitslose in Deutschland verweist, dem sei Folgendes ins Stammbuch geschrieben: Wir haben 6,5 Millionen Hartz IV-Empfänger, die sich bestimmt ungemein über die fünf Euro mehr im Monat freuen, die sie ab nächstem Jahr erhalten sollen. Außerdem gibt es da sehr viele Leute, die zwar einen Job haben, in dem jedoch so schlecht bezahlt werden, daß sie ebenfalls bei der Arge vorstellig werden und noch etwas dazu bekommen, um nicht gar so mickrig abgespeist zu werden. Dann sind da zum Beispiel auch die ganzen Arbeitslosen, die von privaten Vermittlern betreut werden und deshalb auch nicht in der offiziellen Arbeitslosenstatistik auftauchen und lauter solche Scherze. Doch kommen wir nun zu einem grundsätzlichen Problem:

Früher gab es das Arbeitslosengeld, die Arbeitslosenhilfe und die Sozialhilfe, heute haben wir „nur“ noch Hartz IV, welches wiederum in Arbeitslosengeld I und II unterteilt wurde. Gedacht ist Hartz IV im Prinzip für die Menschen in Deutschland, die keinen Job, damit also kein geregeltes Einkommen und kein Vermögen haben, die also in gewisser Weise mittellos und auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Die Reichen und Starken sollen durch ihre Abgaben und Steuern die Last der Armen mit schultern, allerdings sieht die Realität so aus, daß die Reichen ihr Geld ins Ausland bringen und im Endeffekt die Mittelschicht und die arbeitende Bevölkerung, in erster Linie die Arbeitnehmer, die Arbeitslosen finanzieren. Das führt natürlich zu Debatten, vor allem in Gebieten, in denen die Leute, die arbeiten, so wenig verdienen, daß ihnen am Ende des Monats nicht viel mehr bleibt als denen, die nichts tun. Grundsätzlich wäre das alles trotzdem ganz vernünftig, doch da gibt es natürlich auch Menschen und das sind nicht Wenige, die Hartz IV beziehen, obwohl sie eigentlich gar nicht bedürftig sind, da sie noch ein kleines Vermögen besitzen, welches sie jedoch nicht antasten wollen. Mag sein, daß es sich dabei nur um eine Minderheit handelt, aber es haben mehr Leute mit Hartz IV ihre Schäfchen bereits ins Trockene gebracht, als man sich gemeinhin vorstellt. Dabei besteht der Sinn jener „Hilfe zum Lebensunterhalt“ ja eigentlich darin, die zu unterstützen, die nichts haben, denn die brauchen Hilfe. Die Anderen dagegen sollten zunächst erst mal ihr Erspartes aufbrauchen, bevor sie sich Hilfe suchend an Vater Staat wenden. Das nur so nebenbei, aber es geht ja um viel mehr, wenn man mal genau hinschaut. Solidarität lautet das Zauberwort und da das Geld im Kapitalismus natürlich ungleich und ungerecht verteilt ist, geht es für die Politiker zunächst darum, die gröbsten Ungerechtigkeiten zu beseitigen. Allerdings sind auch sie von der Wirtschaft und deren Vertretern abhängig, so daß die Armen nur das Nötigste zum Überleben erhalten, damit die Reichen weiterhin ihre Gier befriedigen können. Es handelt sich bei der ganzen Angelegenheit um einen ziemlich schwierigen Balanceakt, doch wenn die Armen irgendwann nichts mehr zu verlieren haben, dann wird es den Reichen ziemlich dreckig gehen.

Wie auch immer, wieder zurück zu den Leistungsempfängern, welche mittlerweile nicht mehr nur Kunden (im Osten übrigens auch ein Schimpfwort!), sondern in gewisser Weise auch sehr schlecht bezahlte Angestellte des Dienstleistungszentrums für Arbeit sind. Jene sollen natürlich nicht ihr ganzes Leben als Leistungsempfänger verbringen, weshalb man sie in irgendwelche (oftmals sinnlose) Maßnahmen steckt, wie zum Beispiel Bewerbungstrainings, Computerkurse oder andere Scherze. Da wird meist eine Menge Steuergeld sinnlos zum Fenster hinausgeschmissen, was aber nichts macht, da es sich dabei schließlich um die Kohle der Allgemeinheit handelt und solange alle davon betroffen sind, gibt es keinen richtigen Geschädigten. Sinnlose Projekte werden ins Leben gerufen, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen werden aktiviert, alles gut gemeint, jedoch häufig nicht nur schlecht gemacht, sondern auch nur kurzfristig hilfreich, aber kein bißchen nachhaltig. Woran liegt das? Ganz einfach: Es gibt nicht genug Arbeit für alle hier im Land, doch anstatt das zuzugeben und daraus entsprechende Konsequenzen zu ziehen, tun viele Politiker/innen weiterhin so, als wäre Vollbeschäftigung nur eine Frage der Zeit. Zeitarbeit aber zum Beispiel ist die modernste Form der Sklaverei und sorgt zwar dafür, daß die davon Betroffenen voll beschäftigt sind, davon allerdings nicht wirklich leben können. So wie fast immer nimmt man sich in Deutschland den großen Bruder USA zum Vorbild, was dazu führt, daß die Leute immer mehr ausgebeutet werden und zusätzlich auch noch am Hungertuch nagen. Doch wer glaubt, das alles wäre purer Zufall oder einfach nur dumm gelaufen, der irrt. Ganz im Gegenteil! Dieser Wahnsinn hat Methode, denn es geht darum, die Menschen nicht nur zu manipulieren und zu unterdrücken, man will sie auch noch ausquetschen wie eine Zitrone. Wer hat denn immer die Kosten zu tragen, wenn etwas schief läuft, oder mal wieder alles beinahe zusammengekracht wäre? Der kleine Mann natürlich und der soll noch mehr Lasten schultern, bis er irgendwann zusammenbricht und dann auf ein Pflege- und Sozialsystem angewiesen ist, in dem so wie überall die Profitmaximierung Einzug gehalten hat und der Mensch nur noch eine lästige Nummer ist, der gefälligst zahlen soll, dafür jedoch nicht viel zu erwarten hat. Dieses Menschenbild spiegelt sich natürlich auch in der Arbeitslosenwelt wider. Der Leistungsempfänger als solcher wird nicht selten als Schmarotzer oder Parasit angesehen, der auf Kosten der Anderen lebt, was man ihm natürlich verübelt. Auf diese Art und Weise stigmatisiert, werden ihm oft auch von Seiten der Behörden Steine in den Weg geschmissen, um ihn zu zermürben oder zu motivieren, sich so schnell wie möglich einen Job zu suchen. Wo aber einen finden, wo es keinen gibt? In strukturschwachen Regionen gestaltet sich die Arbeitssuche häufig als "Mission impossible", doch davon wollen die Zuständigen natürlich nichts wissen, denn sonst müßten sie ja die Rahmenbedingungen verbessern und so etwas wie eine Infrastruktur schaffen, woran sie meist kein Interesse haben, da ihnen häufig die finanziellen Mittel dafür fehlen.

Ja und wenn sich dann etliche Ostdeutsche mit einem Glänzen in den Augen an früher erinnern, als ganz gewiß auch nicht alles schlecht war, dann verdrehen die Westdeutschen gerne die Augen, weil sie einfach nicht begreifen können und wollen, daß es wichtigere Dinge als Geld gibt.

Aber wie wichtig ist das Recht auf Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung? Der Mensch an sich will eigenverantwortlich darüber entscheiden, was er tut, doch sobald man am Tropf des Sozialstaates hängt, wird man abhängig und in gewisser Weise auch ohnmächtig. Natürlich gibt es Leute, die sich das nicht antun wollen und auf die Staatshilfe verzichten, aber wer wirklich darauf angewiesen ist, dem bleibt letzten Endes gar nichts Anderes übrig, als sich möglichst tief zu bücken, um auch morgen noch was zu essen zu haben. Das Absurde daran besteht darin, daß es sich ja auch bei den Mitarbeitern der Arge um Menschen handelt, welche wiederum die Leute betreuen, die auf staatliche Unterstützung angewiesen sind. Manches Mal könnte man tatsächlich den Eindruck gewinnen, daß es das Geld von denen ist, welches die Arbeitslosen bekommen. Noch komplizierter wird es, wenn die Vermittler und Fallmanager alles persönlich nehmen, was die Hilfebedürftigen zu ihnen sagen und darauf dann gereizt, beleidigt oder gar mit Sanktionen reagieren. Ein ziemlich unerquickliches Schauspiel, denn dabei wird allzu gerne übersehen, daß es die Arbeitslosen oft einige Überwindung kostest, in die Arge zu gehen und um staatliche Gelder zu bitten, welche ihnen ja laut Gesetz zustehen. Niemand ist gerne auf fremde Unterstützung angewiesen und wenn man dann als Antragsteller das Gefühl hat, daß man für einen Faulpelz oder Leistungsverweigerer gehalten wird, dem die von der Arge am liebsten die Leistung verweigern würden, dann kann man schon verstehen, warum die Kommunikation zwischen den beiden Parteien in vielen Fällen nicht wirklich funktioniert und die ganze Angelegenheit im Grunde noch verschlimmert. Natürlich ist es nicht einfach, weder für die eine noch für die andere Seite, aber es handelt sich doch bei allen Beteiligten um Menschen, von daher sollte etwas mehr Kooperationswillen schon möglich sein. Andererseits haben selbstverständlich alle Betroffenen halt auch schon so ihre Erfahrungen gemacht und besonders Hartz IV-Empfänger können sehr sensibel sein, da sie sich bereits öfter blöde und diskriminierende Sprüche anhören mußten. Es gibt wirklich genug Personen unter ihnen, die arbeiten wollen und die fühlen sich verständlicherweise zusätzlich gedemütigt, wenn man ihnen unterstellt, es ginge ihnen nur um die Kohle und sie hätten überhaupt kein Interesse daran, einen Job zu finden. Im Grunde wären wir damit auch schon wieder bei Sarrazin angelangt, denn so wie der den Migranten pauschal Integrationsunwillen vorwirft, was natürlich keineswegs der Realität entspricht, ist es genauso populistisch und inhaltlich falsch, der Mehrheit der Hartz IV-Empfänger zu unterstellen, daß sie überhaupt nicht arbeiten wollen. Klar, es gibt einen Teil unter ihnen, die es sich tatsächlich in der sozialen Hängematte gemütlich gemacht haben, aber das ist noch lange kein Grund, alle unter Generalverdacht zu stellen. Ganz im Gegenteil, oftmals wäre es sogar viel besser und sinnvoller, die Arbeitslosen, die mit ihrer Situation nicht zurechtkommen, psychologisch betreuen zu lassen, damit sie wieder Boden unter den Füßen finden, jedoch besteht daran von staatlicher Seite nicht immer unbedingt ein Interesse. Damit wären wir auch schon bei Herrn Westerwelle angelangt, der ja vor etlichen Monaten einen Kreuzzug gegen die Arbeitslosen begonnen hatte, womit er sich einmal mehr unheimlich beliebt machte. Seine Thesen wurden in der Bevölkerung durchaus als richtig empfunden, nur ihn selbst mögen die Leute halt nicht sonderlich, was für einen Außenminister eine durchaus bemerkenswerte Leistung bedeutet. Das Prinzip, immer auf die Schwächsten der Gesellschaft einzudreschen, die sich nicht wehren können, weil sie keine richtige Lobby haben, hat sich schon immer bewährt, da man weiß, daß alle Anderen fleißig mit auf die am Boden Liegenden eintreten. Von „spätrömischer Dekadenz“ war da die Rede, doch wer ernsthaft glaubt, daß die Leute mit 359 und bald 364 Euro im Monat ein prunkvolles Leben führen könnten, der hat nicht wirklich einen blassen Schimmer davon, was es heißt, mit dem Existenzminimum zurechtkommen zu müssen. So einen Schwachsinn können wirklich nur Leute von sich geben, die niemals Not gelitten haben. Die sollten mal einen Monat lang vom Hartz IV-Satz leben müssen, dann wüßten sie was Sache ist. Doch dabei ging und geht es in Wirklichkeit um etwas völlig Anderes. Nicht nur, daß Westerwelle seinerzeit von den Vetternwirtschaftsvorwürfen ablenken wollte, die von allen Seiten auf ihn einprasselten, es steckte noch mehr dahinter. Schließlich sind es ja auch und in erster Linie die Politiker, die von den Steuergeldern bezahlt werden. Die hohen Damen und Herren müßten eigentlich froh darüber sein, daß sie gut verdienen und dann auch noch regieren, beziehungsweise opponieren, dürfen. Wenn man aber selber von jemandem etwas bekommt, dann sieht man es oft nicht so gerne, wenn Andere von der Hand, die einen füttert, auch etwas erhalten. Klar, man könnte meinen, Futterneid wäre in diesem Fall unnötig, da die Arbeitslosen ja viel weniger bekommen als die Politiker, aber wer viel hat will noch mehr und wenn man den ganzen Unternehmern und Bonzen die Kohle in den Arsch schieben will, die man als hoch verschuldeter Staat nicht hat, dann nimmt man es den Armen und gibt es den Reichen, so wie man es im Betriebswirtschaftsstudium gelernt hat, denn wenn es denen da oben gut geht, dann profitieren angeblich alle davon. Was für ein hanebüchener Schwachsinn, aber die sogenannten Liberalen sind davon fest überzeugt, weil sie nicht an die Gier denken, welche von den Reichen Besitz ergreift und wegen der die schöne Theorie in der Praxis halt einfach nicht funktionieren kann.

Der Chef sitzt mit im Raucherraum, die anderen Raucher fühlen sich nicht wohl, die Gespräche sind verkrampft, man glaubt es kaum, die beste Lösung wäre Alkohol. Ja, so als Chef hast Du es auch nicht leicht, denn irgendwie behandelt man Dich anders und das führt natürlich dazu, daß man Dir die Wahrheit nicht ins Gesicht sagt, sondern viel lieber hinter Deinem Rücken über Dich getuschelt wird. Im Kapitalismus braucht es natürlich eine Hierarchie, in der die Autoritäten die Befehle geben, welche die Befehlsempfänger dann in die Tat umsetzen. Aber im Grunde sind die Chefs auch nur Menschen, leider werden sie oft so behandelt, als wären sie etwas Besseres, bis sie das dann irgendwann selber glauben und sich auch noch so aufführen. Andererseits sitzen sie natürlich am längeren Hebel und haben mehr Macht als der Rest, weshalb man vor ihnen verständlicherweise nicht unangenehm auffallen will. Oft jedoch handelt es sich auch beim Chef um ein armes Schwein, denn er gehört irgendwie eben nicht zur Gemeinschaft, wird zwar nicht offensichtlich ausgegrenzt, aber meist hält die Belegschaft schon einen gewissen Sicherheitsabstand ihm gegenüber ein. Chefs leben häufig einsam, doch wenn sie dann versuchen, mit dem einfachen Angestelltenvolk in Kontakt zu treten, sind die Vorbehalte auf beiden Seiten sowie die Verunsicherung meist so groß, daß nur Verkrampfung dabei herauskommt. Allein der gute Wille zählt, aber die Kluft bleibt bestehen.

Wenn man sich beispielsweise vor Augen führt, daß manche Mitarbeiter der Arge über eine Zeitarbeitsfirma dort gelandet sind, was natürlich zur Folge hat, daß sie für dieselbe Arbeit viel weniger Lohn bekommen, dann merkt man schon, daß auf dem Arbeitsmarkt heutzutage generell ein viel schärferer Wind weht. Auch die Praxis, befristet eingestellten Mitarbeitern nur einen elfmonatigen Vertrag zu geben, damit sie im Falle der Nichtverlängerung keinen Anspruch auf das ALG I haben, zeigt, daß es in erster Linie darum geht, Kosten zu senken, da der Sozialstaat und die, die von ihm abhängig sind, angeblich in den letzten Jahren und Jahrzehnten über ihre Verhältnisse gelebt haben. Die Zeiten werden kälter, soviel läßt sich ohne Frage feststellen, aber wer glaubt, damit wäre das Ende der Fahnenstange schon erreicht, täuscht sich gewaltig. Das alles ist erst der Anfang, in Zukunft wird es noch viel heftiger werden, deshalb sollte man froh darüber sein wie es ist, denn in wenigen Jahren wird man sich sehnsuchtsvoll an die heutige Zeit zurückerinnern. Klar, vielleicht zerstört sich das kapitalistische System irgendwann selbst, doch wer glaubt, danach würde alles besser werden, könnte sich irren. Anders würde es garantiert, aber wirklich besser?

Wie auch immer, letzten Endes geht es darum zu begreifen, daß der Mensch nicht lebt um zu arbeiten und auch nicht arbeitet um zu leben. Der Sinn des Lebens besteht in etwas völlig Anderem und zwar im leben als solchem. Die eigenen Talente erkennen und fördern, das eigene Potenzial ausschöpfen, sich selbst verwirklichen, darum geht es eigentlich. Man könnte nun einwenden, daß das in diesem System nicht möglich wäre, da die äußeren Zwänge dafür sorgen würden, daß man malochen müsse, um über die Runden zu kommen. Mag sein, daß das für manche Menschen gilt, aber wem es wirklich wichtig ist, den eigenen Weg zu gehen und nicht nur das zu tun, was Andere von einem verlangen, dem wird das auch gelingen, das garantiere ich. Natürlich gibt es immer auch den bequemeren Weg, der darin besteht, sich anzupassen und im Strom mitzuschwimmen, aber glücklich werden auf die Art und Weise nur die Wenigsten. Jeder muß für sich selbst entscheiden, was gut für ihn ist, denn nur Du weißt was Du willst und kennst Deine Ziele, Wünsche und Bedürfnisse.

Gut, wieder zurück in das Herz von G., in dem verständlicherweise auch die Angst umgeht. Früher hatte man als Staatsbediensteter einen sicheren Job und im Grunde für den Rest des eigenen Lebens ausgesorgt, heutzutage sieht das etwas anders aus. Viele müssen befürchten, nicht weiterbeschäftigt zu werden und auf einmal auf der anderen Seite des Büros zu landen, nämlich als Hilfsbedürftiger und daran hat niemand wirklich ein Interesse. Wer wenig hat, hat nicht viel zu verlieren und wer wenig besitzt, wird umso weniger besessen, wußte schon Nietzsche. Schlimm ist es dagegen für diejenigen, die einen bestimmten Lebensstandard gewöhnt sind und natürlich ihren Status nicht verlieren wollen. Die haben Angst und fürchten den sozialen Abstieg, doch diese Angst lähmt sie und sorgt dafür, daß sie unsicher werden und Fehler machen, bis sich die eigene Prophezeiung selbst erfüllt und sie auf der Straße stehen. Die Arbeitgeber nutzen diese Angst nicht selten aus, um den Fürchtenden Überstunden aufzudrücken oder sie Arbeiten verrichten zu lassen, für die sie eigentlich überqualifiziert sind. Wer Angst um seinen Job hat, läßt sehr viel mit sich machen, nicht ohne Grund sinkt die Zahl der Krankheitstage beständig von Jahr zu Jahr, weil viele fürchten, daß sie rausfliegen, wenn sie zu oft fehlen. Was für eine Tragödie!

Die Beobachter

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