Читать книгу Immer weniger für Fiele - Thomas Häring - Страница 3

Meineid, Meinhof und Meines

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Das hier ist die Geschichte vom Rückführungstherapeuten Hasso Fiele, der festgestellt hatte, daß er in seinem vorherigen Leben Ulrike Meinhof gewesen war. War das wahr, oder war das nichts weiter als eine weitere Versinnlosung des Absurden? Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber fälschen Sie auch nicht mein Verständnis, denn ich habe ebenfalls große Probleme damit, zu begreifen, was einfach nicht nachzuvollziehen ist. Es kommen auch noch ein paar andere, nicht weniger dubiose Gestalten in der ganzen Abhandlung hier vor, aber um erst gar keinen roten Faden ins Spiel zu bringen, treffen wir nun auf Mandy Feiten, eine professionelle Zuhörerin, die dem ziemlich verwirrten Hasso Fiele auf einer Parkbank in Magdeburg ihr Ohr lieh. "Wer ist Ulrike Meinhof?" lautete ihre erste Frage, nachdem er aufgeregt erzählt hatte, was ihm widerfahren war, beziehungsweise, was er während seiner ersten eigenen Rückführung erlebt hatte. "Das war diese Journalistin, die später dann zur RAF-Terroristin geworden ist", antwortete er. "Und wer oder was war die RAF?" Hasso schaute Mandy genervt an. Na, das konnte ja was werden, wenn die Frau nicht einmal wußte, worum es im Grunde überhaupt ging und was für ein Problem er damit hatte, in seinem früheren Leben Ulrike Meinhof gewesen zu sein. "Die RAF war eine Terrororganisation, die hat Anschläge auf amerikanische Einrichtungen und deutsche Prominente verübt." "Aha. Is ja ’n Ding. Erzählen Sie weiter!" "Also, ich habe gerade mein Leben als Ulrike Meinhof noch einmal in ganzer Länge durchgemacht und ich muß zugeben, daß ich innerlich total zerrissen gewesen bin. Auf der einen Seite handelte es sich bei mir um eine angesehene Journalistin mit Mann und Zwillingen, aber da gab es da halt dann auch diesen starken Anteil in mir, der sich mit den herrschenden Verhältnissen weder abfinden konnte noch wollte. In den 60er und 70er Jahren ging es in Deutschland ziemlich zur Sache. An der Macht befanden sich alte Politiker und überall saßen Leute an wichtigen Positionen, die schon während der Nazi-Zeit Einiges zu sagen gehabt hatten. Wir Linken konnten und wollten das nicht hinnehmen, weshalb wir den Finger in die Wunde legten und dagegen protestierten. Außerdem wollten wir, daß es auch in Deutschland so etwas wie Sozialismus geben sollte, also in Westdeutschland, meine ich damit natürlich." "Auf gut Deutsch: Ihr wart ein paar verrückte Spinner und Weltverbesserer." "Könnte man meinen, aber da war noch viel mehr. Ich kämpfte auch gegen die Unterdrückung der Frauen, gegen den Krieg der Amerikaner in Vietnam, gegen den faschistischen Imperialismus und forderte eine echte Demokratie." "Aha, das ist ja alles sehr interessant, aber irgendwie habe ich noch nicht kapiert, weshalb Sie so schockiert darüber sind, diese Ulrike Meinhof gewesen zu sein." "Das kommt schon noch, es ging ja noch viel weiter. Es gab Studentenunruhen, große Reden wurden geschwungen, schlaue Kommentare wurden geschrieben, unter Anderem auch von mir, aber im Grunde änderte sich nichts. Die Medien ließen an uns und unseren Ideen überwiegend kein langes Haar, also vor allem die Staatsmedien natürlich, die keine Veränderung wollten. Wir drehten uns im Kreis und kamen nicht weiter. Dazu kam, daß ich in der bürgerlichen Gesellschaft gut integriert war, was für mich alles noch viel schlimmer machte. Ich hielt meine Reden gegen den Kapitalismus oft vor Kapitalisten und die nahmen mich natürlich überhaupt nicht ernst. Das Ganze eskalierte immer mehr, es gab die ersten Toten, Anschläge auf Linke wurden verübt und so radikalisierte auch ich mich immer mehr. Ich lernte Leute kennen, die nicht nur reden, sondern auch handeln, also gegen das Schweinesystem kämpfen wollten und wurde Mitglied der RAF." "Klingt spannend und faszinierend, aber irgendwie auch gefährlich." "Allerdings. Für mich umso mehr, denn ich hatte ja Mann und Kinder, die ich eigentlich nicht verlieren wollte. Aber ich mußte mich entscheiden, denn ein richtiges Leben im falschen war für mich aus meiner Sicht nicht länger möglich. Um es kurz zusammenzufassen: Wir bekämpften den Staat und seine Repräsentanten mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln, wurden gejagt sowie verhaftet und kamen dann alle im Knast ums Leben." "Wow! Das ist ja echt kraß! Klingt nach einem ziemlich abenteuerlichen Leben, deshalb verstehe ich immer noch nicht, was genau Sie daran stört." Hasso Fiele schaute seine Gesprächspartnerin nachdenklich an. Irgendwie imponierte ihm ihre Naivität, andererseits irritierte es ihn auch, daß Mandy so tat, als wäre das alles nicht weiter tragisch und dramatisch. "Ach ja, die Gnade der späten Geburt", dachte er sich nur und schwieg.

Joe Wetzlaff war ein Mann wie er im Buche stand, also zumindest in diesem hier. Er war als Frau zur Welt gekommen und hatte sogar zwei Kinder zu eben jener gebracht. Irgendwann hatte sie gemerkt, daß sie lieber ein Mann wäre und sich daraufhin umoperieren lassen. Doch damit bei Weitem nicht genug. Als Triple Agent hatte Joe sich einen Namen gemacht; er hatte sowohl für die Amerikaner als auch für die Russen und sogar für die Blockfreien spioniert gehabt. Als "IM Niemandsland" hatte er sich auf der ganzen Welt einen Namen gemacht, doch nun saß er in der "Unerreich-Bar" und schwadronierte: "Früher gab es in Deutschland einen Führer, heute sind da lauter Syrer. Ein Volk, kein Scheich, eine Million Syrer. Das hier wird noch der reinste Syrer-Staat. Syrer befiehl, wir verfolgen." Sein Tresennachbar schaute ihn mit glasigen Augen an, bevor er erwiderte: "Was soll der Scheiß? Ich habe keine Lust darauf, mit Dir über das Flüchtlingsthema zu diskutieren. In Deutschland machen die Leute seit vielen Monaten ohnehin nichts Anderes mehr. Außerdem ist jetzt ja endlich die Balkan-Route dicht und den Schleppern und Schleusern wird das Geschäft auch verhagelt, indem die ganzen illegal Eingereisten wieder in die Türkei zurückgeschickt werden und ihre Chance verwirkt haben, als Kontingent-Flüchtlinge aufgenommen zu werden. Erzähl mir lieber was Persönliches von Dir oder über Dich!" Joe kratzte sich am Kopf, nahm seinen Drink zu sich und sprach: "Also gut, ich trank gerade meinen Brandy und bin über beide Ohren verliebt in die Mandy." "Wer ist das denn?" "Das ist die tollste Frau der Welt und ich muß das wissen, denn ich bin früher selber mal eine Frau gewesen." Der Andere schaute Wetzlaff mit weit aufgerissenen Augen an. "Ja, mein Leben war immer spannend und abwechslungsreich, aber die Mandy Feiten, die erdet mich total. Die kann so gut zuhören, daß sie ihre Fähigkeit sogar zum Beruf gemacht hat." "Hä? Wie soll das denn gehen?" "In Sachsen-Anhalt gibt es ja jede Menge Unzufriedene, was man ja auch bei der letzten Landtagswahl deutlich gemerkt hat. Und damit die in Zukunft nicht mehr so frustriert sind und deswegen Protestparteien wählen, hat die Stadt Magdeburg Mandy Feiten als professionelle Zuhörerin engagiert. Diese tolle Schnuckimaus sitzt den ganzen Tag in irgendwelchen Parks der Stadt auf Bänken und hört sich das an, worüber sich die Leute hier aufregen." "Was es nicht alles gibt", fiel dem Saufbruder dazu nur ein. "In der Tat. Allerdings hat die Sache einen ganz großen Haken und das macht mich völlig fertig. Sie hört mir zwar zu, die Gute, aber sie liebt mich nicht. Statt dessen ist sie in einen total abgefahrenen Kerl verknallt, der behauptet, in seinem früheren Leben Ulrike Meinhof gewesen zu sein." "Na und? Wo ist das Problem? Angeblich warst Du sogar in Deinem jetzigen Leben schon eine Frau, von daher stichst Du diesen Konkurrenten doch locker aus." "Eben nicht. Dieses Arschloch kann der tollen Mandy nämlich lauter tolle Räuberpistolen aus einer Zeit erzählen, in der ich noch nicht der größte Vaterlandsverräter aller Staaten dieser Erde gewesen bin." "Und wenn schon? Alles halb so wild. Wahre Liebe gewinnt immer." "Nein, die Ware Liebe gewinnt immer", widersprach Joe, kippte noch einen Brandy und dachte sehnsuchtsvoll an Mandy.

Doch damit noch lange nicht genug. Hasso Fiele, der Mann, der früher mal eine berühmte Terroristin gewesen war, hatte Amors Pfeil nämlich ebenfalls erwischt und schwer verwundet. Bei seiner Angebeteten handelte es sich um Liane Unfug, eine erfolgreiche Unternehmerin, mit der er früher im Sandkasten gespielt hatte. "Weißt Du noch, als wir damals Sandkuchen gebacken haben?" erinnerte er sich mit Tränen in den Augen, nachdem er sie eines Tages zufällig auf einem Spielplatz entdeckt hatte. "Ja, das war toll. Erst Sandkuchen backen und danach hinter die Buchen kacken", kam ihr lächelnd in den Sinn. "Du warst meine große Sandkastenliebe." "Und Du warst schon damals so ein richtiger Sandkastenrocker. Bereits als Fünfjähriger hast Du mit Steinen und Sand geschmissen." "Früh übt sich, wer später mal Außenminister werden will, oder in einem früheren Leben eine gefürchtete Terroristin gewesen ist." "Was faselst Du da? Ich wollte immer den Sand in den Kopf stecken, Du dagegen hattest meistens nichts Besseres zu tun, als den Kopf in den Sand zu stecken. Das hat Deinem Gehirn vermutlich nicht sonderlich gut getan", befürchtete Liane. "Ach was, ich hatte halt schon damals viele tiefgehende Gedanken, die konnte ich nur unter der Erde zutage fördern. Wie sieht es aus mit uns Beiden? Habe ich noch eine Chance bei Dir?" erkundigte er sich erwartungsvoll. "Nicht wirklich. Ich bin verheiratet und habe einen Freund sowie einen Geliebten." "Ach du Schreck! Da bleibt ja für mich nur noch die Rolle des Hausfreunds übrig." "Bist Du ein Dingficker, oder was?" "Wie kommst Du denn auf so etwas?" "Hätte ja sein können, wenn Du schon zugibst, daß Du auf Häuser stehst. Ja, ich bevorzuge das arabische Beziehungsmodell, nur halt weiblichen Bedürfnissen angepaßt. Eine Frau und drei Männer. Mein Mann lebt mit mir zusammen, mit meinem Freund führe ich tolle Gespräche und mit meinem Geliebten gehe ich ins Bett", faßte sie strahlend lächelnd zusammen. "Und das macht Deinem Ehemann überhaupt nichts aus?" "Ach woher! Der hat doch seine Gummipuppe und seit er nicht mehr immer oben liegen will, geht aus der auch immer seltener die Luft raus." "Was für eine Freude! Ich war vielleicht ein Sandkastenrocker, aber Du hast im Sandkasten damals schon einen Rock angehabt." "Alles dreckiger Sand von vorvorgestern! Momentan habe ich ganz andere Probleme, denn ich bin frisch verliebt in einen Triple Agenten, der früher mal eine Frau gewesen ist." "Das wird ja immer schlimmer mit Dir." "Ja, für mich als Bisexuelle gibt es nichts Aufregenderes als zwei Geschlechter auf einmal. Außerdem bin ich eine erfolgreiche Unternehmerin und mache mit meiner Firma jedes Jahr Millionengewinne." "Aber wie kann das sein? Ich habe in der Grundschule monatelang vergeblich versucht, Dir das Rechnen beizubringen." "Und ich kann voller Stolz behaupten, daß ich es auch heute immer noch nicht kann. Aber wen kümmert das schon? Dafür habe ich schließlich meine Leute." Hasso Fiele schaute sie bewundernd und verliebt an. Sie dagegen dachte nur an Joe Wetzlaff. "Ich lebe seit dem Tod meiner Frau übrigens mit einer Spinne zusammen", teilte Hasso seiner alten Flamme noch mit. "Igitt! Dann kann aus uns sowieso nichts werden, denn ich habe eine Spinnenphobie", stellte sie klar. "Das wenn der Syrer wüßte", hätte der angetrunkene Joe Wetzlaff in seiner "Unerreich-Bar", dazu wohl gesagt, aber der war für Liane Unfug erst einmal unerreichbar, auch wenn sie reich war.

Es hilft alles nichts, an dieser Stelle muß ich als Autor mich ebenfalls zu erkennen geben und mich auch sogleich für den ganzen Mist, den ich mal wieder hier fabriziere, entschuldigen. Aber damit nicht genug. Alle paar Tage tauchten meine Romanfiguren abends bei mir daheim auf und gaben sich dort ein Stelldichein. Oft stritten sie mit mir, weil sie mit ihrer Geschichte nicht zufrieden waren. Manchmal gaben sie mir auch Tips, aber meistens tauchten sie nur auf, um sich zu beschweren. Es hat ja fast alles im Leben zwei Seiten und ist immer so eine Sache, aber meine Romanfiguren gingen mir manchmal tierisch auf den Wecker, weshalb ich sie schmollend in meiner Wohnung zurückließ und mich in ein Restaurant begab, um mich dort abzulenken. Meine Angewohnheit bestand darin, dem Wirt Essen von der Konkurrenz mitzubringen, welches er gierig verschlang, denn den Fraß, den seine eigenen Leute in der Restaurantküche fabrizierten, den brachte er einfach nicht runter und das konnte ich nur zu gut verstehen. Nachdem er mit dem Futtern fertig war, schaute ich ihm beim Saufen zu und hörte mir seine wunderbaren Geschichten an, die mich immer dermaßen inspirierten, daß ich aufs Lesen und Fernsehen total verzichten konnte. Hin und wieder kam es vor, daß meine Romanfiguren auch in seinem Restaurant aufkreuzten, doch nachdem sie sich dort schon des Öfteren nach dem Essen übergeben hatten müssen, waren ihre Besuche in meinem Refugium zu meinem großen Glück viel seltener geworden. So, genug jetzt, das hier war eine Leitung, auf der ich stand, womöglich sogar eine Einleitung, nur so als Info für Sie, daß die eigentliche Geschichte schon bald losgeht. Aber morgen ist schließlich auch noch ein Tag, an dem ich meine Zeit mit Nutzlosigkeit füllen mag, von daher begeben wir uns nun erst mal zur Ruhe.

Immer weniger für Fiele

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