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PROLOG

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Dieser Anblick, er war grandios. Er fesselte mich, berauschte meine Sinne. Wir standen in Tibet auf einem Hügel östlich des Pang-La-Passes auf 5 350 m Höhe. Unter uns, in einigen Tälern, gingen Schneeschauer nieder. Dahinter in einer majestätischen, ja göttlichen Pracht der Hauptkamm des Himalajagebirges mit dem Berg der Berge, dem 8 850 m hohen Mount Everest. Darüber das satte Blau des Himmels mit einigen wenigen weißen Wolken.

Lässt sich dieser Anblick mit etwas anderem vergleichen, wenn man Berge liebt? Ich hatte viel erwartet von jenem Augenblick. In Vorbereitung auf die Expedition viele Bilder gesehen, Geschichten gelesen und Erzählungen gelauscht. Aber dann stand ich gemeinsam mit meinem Freund und Filmexpeditionspartner Steffen Müller dort oben und konnte diesen Anblick kaum fassen. Nicht in Worte und auch nicht in seiner wahrhaften Dimension. Zu gewaltig waren die Gefühle, zu groß das Panorama. Eine Vielzahl an Sechs- und Siebentausendern, dazu gleich sechs Achttausender. Im Osten der Kanchenzönga, in Richtung Westen folgend Makalu, Lhotse, Mount Everest, Cho Oyu und Shisapangma.

Noch am Morgen waren wir zu Gast im Kloster Rhongbuk am Fuße des Mount Everest gewesen, hatten dort für meine fünfteilige MDR-Reportage „Wo die Erde den Himmel küsst“ gedreht. Es war der 35. Tag unserer Filmexpedition, die uns vom pakistanischen Islamabad über den Karakorum-Highway ins chinesische Kashgar und weiter am Südrand der Taklamakan-Wüste nach Dahongliutan und schließlich über das Tibetische Hochland zum Everest führte. Unsere weiteren Stationen sollten Lhasa und schließlich weit im Norden Golmud sein.

Wir wollten für den Mitteldeutschen Rundfunk einen Film über Land und Leute produzieren – eine Reportage drehen, in der wir die Herzen und Seelen der Menschen porträtieren wollten, die wir am Wegesrand treffen würden.

Doch diese Reise war in vielerlei Hinsicht eine extreme. Wochenlang bewegten wir uns in Höhen zwischen 4 300 und 5 400 m. Allein sieben Jahre hatte es gedauert, bis wir endlich die Genehmigung für die erste Durchquerung Tibets mit Motorrädern und Filmkamera erhielten. Für eine Strecke, über die es bis zum Jahr 2001 so gut wie kein Filmmaterial gab. Unsere beiden Motorräder waren dabei eigenartiger Weise der Schlüssel für die Erteilung der Drehgenehmigung.

Dass wir diese Filmexpedition nur in Begleitung eines staatlich verordneten Aufpassers unternehmen durften, sollte eine Belastung, aber zugleich auch Glück sein. Denn Minuten nach dem traumhaften Erlebnis oberhalb des Pang La wurde die Reise zu einem Trauma. Steffen brach mit grauenvollen Schmerzen, wie er sie bis dahin nicht gekannt hatte, zusammen. Es sollten 20 Stunden folgen, in denen der Jeep und der tibetische Fahrer des chinesischen Offiziellen zur entscheidenden, lebensrettenden Rolle werden sollten.

Es waren 20 Stunden voller Ungewissheit, Verzweiflung, Angst, gefühllosem Funktionieren, unbeschreiblichen Schmerzen sowie endlosen Kilometern durch das nächtliche Tibet auf der Suche nach einem Arzt. Und es waren Stunden voller Entscheidungen und Erfahrungen, die wir nie wieder in unserem Leben treffen wollen.

Das alles geschah im Jahre 2001. Nun, sieben Jahre später, schreibe ich dieses Buch, bevor die Erinnerungen sich verklären, Details verloren gehen. Die dramatische Rettungsaktion, sie findet emotional vielleicht erst mit diesen Zeilen ein Ende für Steffen und mich. Mag sein, dass unsere Expedition erst jetzt wirklich beendet ist.

Die Wochen bis zum Unglückstag am Pang La, in denen wir durch das Karakorum-Gebirge, den Westen Chinas und schließlich durch Tibet fuhren, sie waren ein Traum, zeigten vor allem Tibet von einer Seite, wie es bis dahin kaum bekannt war.

Auch darüber will ich berichten. Denn im Jahr 2008, dem Jahr der Olympischen Spiele in Peking, scheint Tibet in eine Unruhe gekommen zu sein, wie wir sie nicht erlebt haben. Vieles, was in diesem Zusammenhang über die Medien transportiert wird, erscheint mir so fremd, haben wir doch andere Erinnerungen an Tibet.

In die Ereignisse zwischen Traum und Trauma im Jahr 2001 fielen zu allem Überfluss auch noch die Anschläge auf das World Trade Center in New York und das Pentagon bei Washington D.C. Am 11. September waren wir in Shinquanhe im Westen Tibets. Nur durch ein Telefonat erfuhren wir von den Ereignissen. Die nächsten Tage waren wir in Sachen Kommunikation von der Außenwelt abgeschnitten. Was war wirklich in Amerika geschehen, wie würde die Welt reagieren, wie vor allem die USA? Würde es Angriffe auf das nahe Afghanistan geben, und wenn ja, wann? Und wie würde sich China positionieren? Mögliche Fluchtwege Richtung Süden nach Indien und Nepal sollten uns tagelang beschäftigen.

Leipzig, im Sommer 2008

Thomas Junker

Zwanzig Stunden in Tibet

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