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Ein astraler Spaziergang durch Stockholm

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Meine Kaffeetasse fing plötzlich auf eine recht merkwürdige Art zu wackeln an. Nachdem ich wie ein Wahnsinniger viel zu viele Tassen Kaffee in mich hinein geschüttet hatte, fühlte ich ein starkes Unwohlsein in mir aufkommen. Kaum verwunderlich bei diesen Mengen des Getränks, und das stimulierende Koffein ließ mich zudem noch reichlich schwitzen. Ich kannte das zwar von früher, aber nun war es doch irgendwie anders. Wenn ich zuvor unabsichtlich Kaffee überkonsumiert hatte, kam es für gewöhnlich zu körperlichen Reaktionen, die mich zu einem schnellen Spaziergang anregten.

Ich hatte es oft ein gutes Stück weit hinaus zum Djurgården geschafft, bis ich die schlimmsten Auswirkungen „abmarschiert“ hatte. Der Überkonsum von Kaffee passierte mir oft bei einem Gespräch mit einem guten Freund, und so ein Spaziergang war dann eine willkommene Gelegenheit für interessante Diskussionen.

Auch dieses Mal saß ich mit einem Bekannten im Café, wünschte mir aber innerlich, ich wäre allein. Als in mir dieses Gefühl plötzlich stark aufwallte versuchte ich, mir nichts anmerken zu lassen und trank mit gespielter Gelassenheit den Kaffee. Meine Hände hatten sich um die Tasse verkrampft, als wäre sie ein Pfeiler an den ich mich klammern müsste während ein Sturm aufzieht. Mein Bekannter erzählte weiter von dem Buch, welches er gerade las und es schien, als hätte er noch nichts Ungewöhnliches an mir bemerkt. „Erzähl weiter!“ bat ich im Stillen, während ich es immer schwerer hatte, mich auf seine Worte zu konzentrieren. All meine Energie musste ich dafür aufwenden, meine Hand daran zu hindern, in einem spasmischen Krampf zu verfallen. Die Kaffeetasse fing wieder an, auf diese merkwürdige Art zu wackeln. Sie schlug gegen den Untersetzer, dennoch war seltsamerweise kein Laut zu hören. Sie vibrierte nun merklich, aber lautlos. Verwundert erkannte ich, dass die Tasse zitterte, aber ohne dass sich meine Hand dabei bewegte, die sie zwar hart, aber ruhig umschloss. Der Kaffee darin bewegte sich jedoch, dem stetigen Vibrieren seines Gefäßes zum Trotze, überhaupt nicht.

Ich war von diesem Phänomen vollkommen gefangen und vergaß meine Umgebung völlig. Im Hintergrund hörte ich noch meinen Bekannten sprechen. Wäre ich nicht so von dem merkwürdigen Phänomen der Kaffeetasse gefangen gewesen, wäre mir dabei deutlich aufgefallen, dass seine Stimme so klang, als hätte man die Geschwindigkeit auf ein Minimum reduziert. Während der ganzen Zeit in der ich meine Tasse studierte, schaffte er es nicht, mehr als ein paar Worte zu sagen. Es war als ob die Zeit stillstünde, oder zumindest die Geschwindigkeit ihres verinnens so verringert wurde, dass jede Sekunde mehrere Minuten dauerte.

Ich blinzelte irritiert, so als ob ich von der Sonne geblendet würde, obwohl uns diese in den hintersten Ecken des Cafés kaum erreichen konnte. Meine Kaffeetasse begann auf einmal grell aufzuleuchten, und nach einer kurzen Weile leuchtete die ganze Umgebung: der Tisch, die Stühle, die Zuckerdose rechts von meiner Kaffeetasse und schließlich sah ich auch von meinem Bekannten ein blendendes Leuchten ausgehen.

Schräg links von mir, an einem anderen Tisch, saß eine junge Frau mit der ich geflirtet hatte, seit wir ins Café gekommen waren. Sie war attraktiv, was mich fast von meiner Unterhaltung mit meinem Bekannten abgelenkt hatte, und dadurch, dass sie allein saß und ein Buch las, schien sie mir besonders interessant. Aus ihrer Richtung konnte ich ein intensives, pulsierendes Licht wahrnehmen, und als ich versuchte, meinen Blick von der merkwürdigen Kaffeetasse loszureißen, um zu ihrem Tisch zu sehen, spürte ich, dass ich paralysiert war. Noch nicht einmal die Augen konnte ich bewegen. Das alles war wohl kaum eine normale Reaktion auf ein paar Tassen Kaffee zuviel. Panik stieg in mir auf und ich begann, gegen sie anzukämpfen, so dass ich nicht von ihr übermannt werden würde. Eine ganze Menge verschiedener Gedanken schossen mir durch den Kopf: Was zum Teufel passiert hier? Benehme ich mich komisch? Wirke ich irgendwie seltsam? Habe ich eine Psychose bekommen? Vor allem: Merkt meine Umgebung etwas davon?

Die Gedanken flogen durch mein Bewusstsein, und wenn ich sage flogen, so geschah dies nicht auf eine Weise, die ich schon einmal erlebt hatte. Ich konnte meine Gedanken tatsächlich als fliegende Objekte sehen, die wie wabernde Textstreifen in der Luft an mir vorbei tanzten. Je mehr ich meine Aufmerksamkeit auf dieses Phänomen lenkte, desto deutlicher sah ich meine Gedanken, und desto mehr wurden sie. Zum Schluss war ich fast ertränkt in hüpfenden und tanzenden Worten und Sätzen. Ich wollte mich übergeben.

Das Gefühl, mich erbrechen zu müssen, war wie eine Rettung. Die Gedanken waren während den letzten paar Sekunden zu unzähligen Objekten geworden, hüpfend und trällernd wie kleine lästige Wesen. Es war, als würden sie einen furchtbaren Tanz um mich herum aufführen und sich auf meine Kosten lustig machen, weil ich sie nicht kontrollieren konnte. Als die Übelkeit in mir aufwallte, fühlte sie sich wie eine reinigende Woge an und die zu Objekten gewordenen Gedanken flohen wie eine Horde schrill lärmender Wichtel. Es war so absurd, dass die Panik in einen tonlos bebenden Lachanfall überging. Die Situation fing fast schon an mir zu gefallen. Das hier war keine normale Reaktion auf zu viel Kaffee! Und was mir den Hals hinauf stieg, war nicht das Sandwich, welches ich eben gegessen hatte, sondern eben genau dieser Lachanfall, der in mir aufzuwallen begann. Ein lautloser Lacher kam aus mir heraus, und ich sah ihn mir aus dem Mund sprühen wie eine Fontäne in allen Regenbogenfarben. „Das ist total krank!“ dachte ich und als ich mein eigenes Gelächter so vor mir im Raum sah, lachte ich nur noch mehr. Eine Stimme am Tisch sagte mir, ich sollte mich zusammenreißen. „Die Leute sollen nicht merken, dass ich mich komisch benehme“, dachte ich. Nun waren die Gedanken endlich wieder in meinem Kopf und ließen es zum Glück bleiben, vor meinen Augen herum zu hopsen. Ich war zwar immer noch paralysiert, fühlte aber, wie ich endlich wieder eine Art Kontrolle über mich zurückerlangen konnte. Meine Aufmerksamkeit richtete sich nun wieder auf meinen Bekannten, und da sah ich wieder, dass er nicht mehr als ein Wort von dem Satz herausgebracht hatte, den er gerade begonnen hatte.

„Die Zeit steht still“, dachte ich erneut und analysierte schnell meine Situation. Ich kam zu dem Schluss, dass es drei alternative Erklärungen für das gab, was gerade passierte. Vielleicht war ich schlichtweg verrückt geworden? Aber so weit kannte ich mich in Psychologie aus, dass ich wusste, das hier war keine normale Art, verrückt zu werden. Soziale und genetische Faktoren waren ausschlaggebend, aber solche gab es nicht, zumindest nicht soweit ich wusste. Solch deutliche Halluzinationen sind außerdem ziemlich selten bei Psychotikern, sie kommen eher bei Menschen vor, die eine halluzinogene Droge genommen haben. Aber vielleicht hat ja mein Freund mir LSD in meinen Kaffee gemixt während ich auf der Toilette war? Was aber diesem höchst gewissenhaften Jurastudenten kaum ähnlich sehen würde. Oder vielleicht hatte ein Terrorist irgendwelche Drogen in die Kaffeekanne getan? Dies erschien mir allerdings noch unglaubwürdiger. Die dritte Möglichkeit war schon eher wahrscheinlicher: Ich war gerade dabei eine spontane außerkörperliche Erfahrung zu machen; eine Astralprojektion, in der das Bewusstsein den physischen Körper verlässt.

Ich war noch sehr jung als ich zum ersten Mal erlebte, wie ich meinen physischen Körper verließ. Ein Laut aus dem Keller im Haus meiner Eltern weckte mich, und neugierig wie ich war schlich ich mich aus dem Bett um nachzusehen, was das Geräusch verursacht hatte. Als ich die Treppe hinab gehen wollte, stellte ich fest, dass ich flog oder schwebte, wie eine Art Gespenst.

Da dieses Erlebnis schon so lange her ist, kann ich mich nicht mehr so richtig an meine Reaktion erinnern, sehr nennenswert kann sie aber nicht gewesen sein. Wahrscheinlich dachte ich, es wäre nur eine Art komischer Traum, oder vielleicht ist die Welt einfach im Großen und Ganzen viel zu absonderlich für ein kleines Kind, dass es so ein Erlebnis nicht als seltsamer empfindet als ein anderes.

Der Keller pulsierte in gedämpften grünen und roten Farben. Ein Schatten kam auf mich zu und baute sich vor mir auf, nahm menschliche Gestalt an. Zuerst war ich erschrocken, dann aber nahm ich all meinen Mut zusammen und blickte den Schatten an. Langsam begann es, meine eigene Form anzunehmen, fast wie ein dunkles Spiegelbild. Die Angst nahm dann doch noch überhand und ich rannte hinauf, zum Schlafzimmer meiner Eltern. Als ich versuchte, meine Mutter zu wecken, glitt meine Hand durch ihren Körper als wäre ich ein Geist. Da wachte ich endlich in meinem Zimmer auf und rannte gleich zu meinen Eltern, die ich zum Glück dieses Mal aufwecken konnte.

Bevor ich die Schule begann hatte ich solche außerkörperlichen Erfahrungen mit einer gewissen Regelmäßigkeit, auch wenn ich bis dahin noch nichts von diesem Begriff wusste.

Wie der Name schon sagt, beinhaltet ein solches Erlebnis das Gefühl, sich außerhalb seines physischen Körpers zu befinden, und zwar damit, was traditionell als Seele bezeichnet wird.

Wenn ich solche Erlebnisse als Kind hatte, war es sehr spannend für mich und weckte meine Neugier, genau wie vieles anderes in der Welt, wenn man klein ist. Es war dabei aber nicht interessanter als das, was in der physischen Welt passierte, sondern eben einfach ein Teil des Lebens selbst. Manchmal war es etwas beängstigend, aber auch nicht mehr als wenn irgendeine alte Dame aus der Nachbarschaft meinen Kameraden und mich für irgendwelchen Unfug ausschimpfte, den wir angestellt hatten.

Erst als ich älter wurde realisierte ich, dass außerkörperliche Erfahrungen etwas mit der großen Frage über Leben und Tod zu tun haben könnten. Als ich mit sieben Jahren in die Schule kam war ich so gefangen von dem, was man dort lernen konnte, dass die Anzahl an außerkörperlichen Erfahrungen abnahm. Man könnte wohl auch sagen, dass die Schule mich ein Weltbild lehrte, in dem Erlebnisse dieser Art keinen Platz haben.

Mit dder Herausbildung unserer modernen Gesellschaft hat sich die Sicht auf den Menschen mechanisiert. Wir werden mit Autos, Computern und anderen technischen und mechanischen Dingen verglichen. Die Seele ist für viele Menschen zu einer poetischen Metapher verkommen oder wurde aus ihrem Weltbild einfach wegrationalisiert. Als ich in meiner frühen Jugend anfing, mich über okkulte Phänomene und außerkörperliche Erfahrungen zu belesen, wurde mein Interesse für diese Dinge, die ja ein natürlicher Teil meiner Kindheit gewesen waren, wieder erweckt. Es wurde mir jedoch schnell klar, dass die Beschreibungen über solche Erlebnisse sehr skeptisch betrachtet werden. Sie passen einfach nicht in das mechanische Weltbild. Trotz eines weit verbreiteten Widerstandes gegen Erfahrungen mit der Seele spricht ein großer Teil der Statistiken dafür, dass schon viele Menschen außerkörperliche Erfahrungen gehabt haben, oder sie im Laufe ihres Lebens haben werden.

Der Narkosearzt Göran Grip legte dar, dass fast jede fünfte Person solche Erlebnisse habe, und der Religionshistoriker Dr. Henrik Bogdan, dass dies ein ganz gewöhnliches Phänomen bei Kindern und Jugendlichen sei.

Für jene, die bereits außerkörperliche Erfahrungen gemacht haben ist klar, dass die Seele nicht nur eine poetische Metapher ist, sondern etwas das sich genauso wirklich anfühlt, so konkret und spürbar ist wie der physische Körper. Für viele Menschen ist eine außerkörperliche Erfahrung mit dem traumatischen Gefühl, dass sie entweder sterben oder verrückt würden, verknüpft. Das Problem dabei ist, dass viele dieser Menschen kein Weltbild kennen in dem solche Erlebnisse erklärt werden. Tatsächlich setzt die Mehrheit der modernen und säkularisierten Menschen Erlebnisse dieser Art mit Verrücktheit oder allzu lebhafter Phantasie gleich, obwohl wir unzählige Beweise für außerkörperliche Erfahrungen in allen Zeiten und Kulturen finden können.

Als ich in meiner Jugend die okkulte Natur meiner Erlebnisse realisierte, versuchte ich einen Weg oder eine Philosophie zu finden, die mir helfen würde, diese Dinge in einen begreifbaren Zusammenhang zu bringen. Nach einiger Zeit der Studien fand ich heraus, dass es viele alte Traditionen gibt die solch okkulte Erlebnisse beschreiben und auch, wie man lernen kann, diese zu kontrollieren. Schon die alten Griechen, mit Pythagoras und Platon an der Spitze, hatten die verschiedenen Dimensionen auf eine sehr fortgeschrittene Weise systematisch beschrieben. Die Neuplatoniker formulierten viele dieser grundlegenden Theorien über andere Welten, so wie sie heute auch jene vertreten, die über okkulte Erlebnisse sprechen. Vom Neuplatonismus erhielten wir die Begriffe „Astralkörper“, „astrale Ebene“ und „Astralwelt“. „Astral“ kommt von dem lateinischen astralis, was ‚die Sterne betreffend‘ bedeutet. Das lateinische Wort für Stern ist astrum. Die neuplatonische Philosophie war der Ansicht, dass zwischen der höchsten und der menschlichen Welt eine Zwischenwelt liegt, welche die Sternenwelt genannt wird, oder auch Astralwelt. Zu dieser Welt erhält der Mensch Zugang während seiner Träume, im spirituellen Trancezustand oder wenn er stirbt. Derjenige Teil des Menschen, der in die astralen Ebenen eintreten kann, wird Astralkörper genannt und eine solche Reise wird als „Astralreise“ oder „Astralprojektion“ bezeichnet.

Der Astralkörper wird als eine unsichtbare Version des physischen Körpers beschrieben, der allerdings fliegen und durch Wände gehen kann. Manche Geisterforscher betrachten jene als Astralkörper, die aus dem einen oder anderen Grund das Diesseits nicht verlassen möchten, auch nachdem der Mensch physisch gestorben ist. Auch über solche Themen konnte ich mich mit meinen Freunden in den Cafés Stockholms stundenlang unterhalten. Nicht selten nach allzu vielen Tassen Kaffee, die uns zu langen Spaziergängen durch Djurgården zwangen, um den Koffeinkick abzulaufen. Es wurde fast schon ein Teil unseres Kaffeerituals.

Was mich endgültig davon überzeugte, dass ich eben dabei war, eine spontane außerkörperliche Erfahrung zu machen, war die eigentümliche Paralyse die ich erfuhr. Ich war schon öfters mitten in der Nacht aufgewacht um mich in einem solch paralysierten Zustand wieder zu finden. Der Körper war erlahmt, oder fühlte sich so an, als ob er noch schlafen würde, während das Bewusstsein voll erwacht war. Die ersten paar Male hatte es mich noch erschreckt und war verbunden mit starkem Herzklopfen und dem sehr unbehaglichen Gefühl, in meinem eigenen Körper eingesperrt zu sein. Üblicherweise wachte ich nach einiger Zeit in meinem normalen Bewusstseinszustand auf und konnte dankbar meinen Körper wieder bewegen. Solche von der Umgebung ausgehenden starken Lichtphänomene, wie sie gerade von meinem Kaffee abgestrahlt wurden, nahm ich auch in diesem paralysierten Zustand wahr. Manchmal konnte ich Sachen sehen, die so wirkten, als kämen sie aus meinem Inneren oder würden aus einer anderen parallelen Wirklichkeit in den Raum drängen. Manchmal hatte es den Anschein, als würden sich Lichtfunken von Objekten lösen, ganz besonders von den Pflanzen auf der Fensterbank. Wenn ich Sachen erahnte, die nicht vom Raum selbst kamen, sondern von einer anderen unbekannten Dimension, fühlte es sich an als würden alle Ecken und Winkel im Zimmer anfangen, intensiv zu vibrieren. Der Raum verdoppelte sich und machte auf mich den Eindruck er würde einer anderen Parallelwelt entstammen.

Ich konnte glücklicherweise Bücher finden, die dieses Phänomen, mit einem klaren Bewusstsein aber paralysierten Köper aufzuwachen, beschrieben, und es gab hin und wieder folgende Erklärung: Dies wird „hypnagoge Paralyse“ oder „Schlafparalyse“ genannt und ist per se nicht ungewöhnlich.

Die Schlafparalyse wird von den meisten Menschen als unbehaglich empfunden. Auch mir ging es lange so, bis ein spiritueller Durchbruch es schaffte, dass ich anfangen konnte, diesen Zustand zu schätzen zu wissen. Der Zustand der Schlafparalyse kam erst dann auf, als ich wirklich damit begann, die verschiedenen Formen, welche okkulte Erlebnisse annehmen können, zu studieren. Es kann schon sein, dass ich dies auch früher bereits erebt, es aber vergessen oder verdrängt habe, da ich damals noch keine Erklärung für meine Erlebnisse hatte.

Während meiner Jugend wurde mein Interesse für Religion, das Spirituelle, Okkultismus und paranormale Phänomene immer stärker. Es passierte nur allzu oft, dass ich auf meine Hausaufgaben pfiff und statt dessen einen alten Klassiker des Okkultismus aus dem 18. Jahrhundert wälzte, wie Eliphas Levis Transzendentale Magie, oder Madame Blavatskys Die Geheimlehre. Mit Vergnügen las ich auch die Biographie der Gymnasiallehrerin Agneta Uppman, in welcher sie ihre außerkörperlichen Erfahrungen beschrieb. Durch seine allgemeinverständliche Art lies mich dieses Buch erkennen, dass auch gewöhnliche Menschen außerkörperliche Erfahrungen dieser Art haben können.

Mit einem nun größeren Arsenal an okkulten und parapsychologischen Theorien im Hinterkopf konnte ich mit wachsender Neugierde in den Zustand der Schlafparalyse eingehen. Dieser kam mit in der Länge der Abstände dazwischen variierender Regelmäßigkeit auf. Manchmal vergingen mehrere Wochen oder sogar Monate zwischen diesen Gelegenheiten, dann wieder geschah es jede Nacht. Bevor ich mich an dieses Phänomen gewöhnt hatte, erschreckte es mich und brachte mich zum Aufwachen. Doch mit der Zeit lernte ich, meine Gefühle zu beherrschen und konnte mich so bewusst in der Schlafparalyse halten, um diese genauer zu studieren.

Ich konnte den Zustand hinauszögern, was darin resultierte, dass dessen seltsamer und übernatürlicher Effekt auf mich nur noch verstärkt wurde. Als die Schlafparalyse für mich noch etwas höchst Ungewöhnliches war, konnte ich im besten Fall die Decke des Raumes sehen in dem ich schlief, obwohl meine Augen geschlossen waren. Gleichzeitig hörte ich mein Herz ohrenbetäubend laut schlagen. Als ich jedoch anfing, die Kontrolle über diese Erlebnisse zu übernehmen, wurden deren Inhalte immer faszinierender und atemberaubender. Parallele Räume taten sich inmitten meines Schlafzimmers auf und ich sah die Umrisse von sich bewegenden Wesen. Manchmal war es so, als würden inmitten meines Raumes Bäume wachsen, zwischen denen ich hindurch sehen konnte und die sich zu einer grandiosen Waldlandschaft ausbreiteten. So geschah es auch mit Licht- und Lautphänomenen aller Art; Lichttunnel, die in allen Farben des Regenbogens rotierten oder sich zu kaleidoskophaften Mustern ausformten, und ähnliches konnte plötzlich überall im Raum auftauchen. Geräusche schienen wie perlende Bäche, Blasen unter Wasser, entfernte Stimmen oder zwitschernde Vögel. Ein immer wiederkehrendes Geräusch hörte sich an wie ein sich schnell drehender Propeller irgendwo über meinem Kopf. Laut- und Lichtphänomene gingen oft ineinander über und manchmal konnte ich diesen Propellerlaut wie eine blendende, über mir rotierende Lichtscheibe wahrnehmen. Einigen Bücher über Theosophie und indische Yogaphilosophie zufolge gibt es eine Art von Energiezone am Scheitel oder gleich oberhalb des Kopfes. Es gibt verschiedene Namen für diese Zone, aber die gewöhnlichste Bezeichnung ist Sahasrara-Chakra, und es wird als das höchste der sieben Chakren angesehen.

Der Begriff des Chakra entstammt der indischen Yogaphilosophie und bezeichnet einzelne Energiezonen im Menschen. Das niedrigste Chakra wird Muladhara genannt und ist mit den grundlegenden Instinkten gekoppelt, wie Essen, Flucht, oder dem Instinkt, sich verteidigen zu müssen. Die nächste Ebene, Svadhisthana, hängt mit den Geschlechtsteilen und dem Sexualtrieb zusammen. Das dritte Chakra wird Manipura genannt und kontrolliert den persönlichen Willen und das eigene Ego. Das Vierte heißt Anahata und ist mit Gefühlen und Empathie gekoppelt. Vishuddhi ist der Name des fünften Chakras. Es liegt am Hals und hat mit Kommunikation und Intellekt zu tun. Das sechste, mit Namen Ajna, wird auch manchmal als das dritte Auge bezeichnet. Einige Autoren meinen dass es der Epiphyse entspricht (ein kleines Organ in einem Teil des Zwischenhirns). In den Illustrationen der Yoga-Literatur ist es zwischen den Augenbrauen platziert und gleicht einem um 90° gedrehtem Auge, es erinnert aber auch an das weibliche Geschlechtsteil. Seine Funktion ist die der Erleuchtung und Einsicht, und ebenso die der spirituellen Wiedergeburt.


Die sieben Chakren der indischen Yogaphilosophie

Die siebte und letzte Chakra-Ebene ist einigen Büchern zufolge eigentlich kein Chakra, sondern spiegelt Gott selbst wieder: Shiva, was von manchen auch als „Gottesbewusstsein“ bezeichnet wird. Als ich während einer Schlafparalyse die rotierende Lichtscheibe über meinem Kopf ungewöhnlich deutlich wahrnahm, war ich überzeugt, dass dies das Sahasrara-Chakra sein musste, das die Inder in ihren uralten Schriften beschrieben. Dieses Chakra hat mit außerkörperlichen Erfahrungen zu tun, da Sahasrara in vielen Texten als ein Tor beschrieben wird, durch das die Seele aus dem physischen Körper austreten und in höhere spirituelle Dimensionen reisen kann. Durch dieses Chakra hindurchzugehen würde außerdem zur spirituellen Erleuchtung führen und den Zugang zum göttlichen Bewusstsein ermöglichen.

Ich gedachte einen Versuch zu unternehmen. Wenn ich als Jugendlicher schon fast die Erleuchtung erreicht hatte, konnte ich nun wohl Personen wie Jesus oder Buddha um Längen schlagen. Sie waren ja etwas über dreißig als sie erleuchtet wurden, also hatte ich über ein Jahrzehnt Vorsprung. Mit steigendem Enthusiasmus brachte ich all meine mentale Kraft auf um zu versuchen, mein Bewusstsein hinauf zu der rotierenden Lichtscheibe zu bewegen. Das aber sollte ich bereuen! Alles wurde schwarz und ich erwachte in meinem physischen Körper, zusammen mit fürchterlichen Kopfschmerzen. Ich musste zur Toilette laufen um mich zu übergeben.

Mein astraler Durchbruch kam dann erst ein paar Wochen später. Als ich dieses Mal erlahmt in der Schlafparalyse lag, war die rotierende Lichtscheibe nicht vorhanden. Der Raum war dunkel und still, ohne irgendwelche außergewöhnlichen Erscheinungen von Lauten, Licht oder parallelen Dimensionen. Nach dem ungemütlichen Kontakt, den mein Kopf mit der Lichtscheibe erlitten hatte, wechselte ich meine Strategie. Ich wollte nun vorsichtiger zur Sache gehen und mich nur nicht-physisch bewegen – die Erleuchtung musste warten. In den Büchern, die ich über außerkörperliche Erfahrungen gelesen hatte, wurde die Schlafparalyse immer als Vorstadium zur Seelenreise beschrieben. Wenn ich nur wenigstens meinen Arm in diesem Zustand bewegen könnte, ich wäre schon zufrieden gewesen. Ich konzentrierte mich also auf meinen rechten Arm, und wurde sogleich an dieses ungute Gefühl, mich nicht bewegen zu können, erinnert. Mein Versuch scheiterte kläglich. Weder erhob sich mein physischer Arm noch sein astraler Gegensatz. Ich war schon nahe daran aufzugeben, als sich plötzlich eine intensive Vibration in meinem Arm ausbreitete, die sich dann auf meinen ganzen Körper übertrug. Es fühlte sich wie ein schwacher aber deutlicher Strom aus Elektrizität an, mal unbehaglich, mal schön. Das unbehagliche daran war das Gefühl, mein Nervensystem würde überladen werden und ich müsste gegen irgendetwas Hartes drücken. Das schöne Gefühl erinnerte an einen in die Länge gezogenen Orgasmus. Ich musste dagegen ankämpfen um nicht zu hyperventilieren und mein Herz schlug sehr heftig. Als ich mich endlich disziplinieren und entspannen konnte, nahm das schöne Gefühl überhand.

Mein Körper leuchtete ein grelles elektrisches Licht. Auch meine Umgebung leuchtete und ich sah alles viel klarer als in meinem gewöhnlichen wachen Zustand. „Hand erheb dich!“ sagte ich still zu mir selbst, und konzentrierte mich darauf, die Hand nicht zum Erheben zu zwingen, sondern ein stilles Kommando meiner Gedanken anzuwenden. Als sich mein Arm in die Luft erhob, schrie ich innerlich vor Glück und wurde mit einer Woge aus Freude und neuen Erwartungen überschüttet. Es war nicht mein physischer Arm, der sich bewegte. Dieser lag immer noch auf dem Bett. Ein ganz anderer Arm bewegte sich stattdessen in Übereinstimmung mit meinem Willen in der Luft vor und zurück. Er glich meinem physischen Arm, obwohl er aus einer anderen Art von Material gemacht schien, ähnlich dem Licht oder der Elektrizität. Das hier war so viel mehr als nur die Tatsache, einen astralen Arm bewegen zu können – es war das Erlebnis von sich erfüllenden Hoffnungen und das erhebende Gefühl, vor etwas Grandiosem zu stehen. Kindliche Phantasien vermischten sich mit dem ehrfürchtigen Gefühl, große Mysterien zu erfahren. Die jahrelangen Studien des Spirituellen schienen endlich Früchte zu tragen. Es gab eine Wirklichkeit hinter den Theorien, und meine Erlebnisse als Kind schienen nun lebhafter als jemals zuvor. Ich hatte sie für eine lange Zeit entweder vergessen oder keinen Gedanken an sie verschwendet, nun aber hatte ich einen ausschlaggebenden Schritt getan um sie neu zu erwecken, in einer reiferen und kontrollierten Form. Auch wenn ich es bis jetzt nur geschafft hatte, meinen einen Arm zu bewegen, so war es doch ein entscheidender Meilenstein, der mir bewies, dass der nächste Schritt in Reichweite lag. Seit diesem Tag sollten die Schlafparalysen ein wünschenswerter und kein unangenehmer Zustand mehr sein. Die Nächte, die ich ohne diesen Paralysezustand verbrachte, machten mich unzufrieden. Allerhöchstens ein paar Mal in der Woche kam ich in den Zustand der Schlafparalyse und fast jedes Mal gelang es mir, den Erfolg, meinen astralen Arm aus dem physischen Körper zu heben, zu wiederholen. Ich hatte mich verbessert und konnte nun, beide Arme gleichzeitig herauszuheben. Ich war fasziniert von dem Schauspiel, wenn sie wie zwei Geisterarme durch einander hindurch gingen. Bei der Berührung flammten sie leicht auf, und wenn die astralen Hände wie zum Gebet gefaltet hielt, konnte ich sie mit gewaltiger Kraft zum Leuchten bringen. Es war fast als würde ich eine Art Energiekonzentration schaffen. Ein paar Monate nach diesem Gelingen, vermochte ich es, dass sich nicht nur die Arme, sondern auch die Beine hoben, was zu einer seltsamen Pose führte. Ich lachte in mich hinein, versuchte aber dennoch, den nächsten Schritt zu machen. Meine Hüften erhoben sich vom Bett und so auch bald mein ganzer Körper – bis auf den Kopf, der sich einfach nicht loslösen wollte. Ich stand also sozusagen astral auf dem Kopf und fand es dabei auch noch ganz lustig, obwohl es sich seltsam anfühlte, dass der Kopf so felsenfest saß. Unfreiwillig fing ich an zu rotieren, als wäre mein Körper eine Art Propeller. Das ging erst sehr langsam und fühlte sich herrlich an, fast so als würde man Karussell fahren. Doch dann erhöhte sich die Geschwindigkeit, bis ich mit gewaltiger Fahrt im Zimmer umher schwirrte. Nur der Kopf saß noch in dem physischen Körper fest, wie die Spitze eines Kreisels. Ich hörte ein Geräusch, so als würde eine Seite reißen; es war ein metallisch klingender Laut. Dann nahm mich eine unsichtbare Kraft in ihren Griff und ich wurde rückwärts schräg nach oben gezogen, als würde man Achterbahn in die falsche Richtung fahren. Dieses Gefühl der Freiheit kann nicht mit Worten beschrieben werden. Ich fühlte mich wie ein Schmetterling der aus seiner Puppe geschlüpft war und zum erstem mal seine Flügel benutzt. Schwebend blickte ich hinunter auf mich, wie dort mein physischer Körper auf dem Rücken lag und schlief. Ich hatte meinen Körper verlassen! Für mich war dies der Anfang eines Abenteuers ohne Gleichen.

In meiner jetzigen Paralyse in dem Café vibrierte weiterhin die Kaffeetasse vor mir, während ich versuchte, Kontrolle über die Situation zu erlangen. Ich kannte außerkörperliche Erfahrungen, aber nicht in Situationen des Alltags. Was würde passieren, wenn ich meinen Köper jetzt verlassen würde, in einem Café, mitten in einer Unterhaltung mit einem guten Bekannten? Der Gedanke erfüllte mich mit Furcht. Noch nie zuvor waren solche Erlebnisse eingetroffen, ohne dass ich sie ganz bewusst herbei geführt hatte. Aber dennoch konnte ich der Verlockung nicht widerstehen, einen astralen Spaziergang durch Stockholms Innenstadt zu unternehmen.

Da ich nun wusste was gerade passierte und erkannte, dass es sich weder um einen Anfall von Verrücktheit noch um eine in meinen Kaffee geschmuggelte Droge handelte, konnte ich damit anfangen, den Verlauf der Handlung zu beeinflussen. Ich stand vor der Wahl, dieses astrale Ereignis abzubrechen – oder es zu erleben. Nachdem aber mein Bekannter immer noch nicht viel weiter in seinem Satz gekommen war, ließ ich es darauf ankommen, dass sich mein Bewusstsein in einer anderen Zeitdimension weiter bewegen würde als unsere physischen, Kaffee trinkenden Körper. Es war den Versuch wert, ganz im Sinne meiner beständigen Studien herauszufinden, was wohl passieren würde, wenn ich versuchte, unter diesen unerwarteten Umständen einen Kurzen astralen Spaziergang zu unternehmen. Ich konzentrierte mich also und probierte, mich mit meinem nicht-physischen Körper zu erheben. Licht flimmerte um mich herum und die Lichtstärke erhöhte sich im gleichen Takt in dem ich mich, Schritt für Schritt, weiter erhob. Mein physischer Körper, noch immer die Kaffeetasse fest haltend, blieb zurück auf dem Stuhl. Ich schwebte unter der Decke, über den anderen Besuchern des Cafés und soweit ich sehen konnte war ich im Moment der einzige, der sich außerhalb seines Körpers befand.

Nachdem der astrale Körper ja problemlos durch physische Dinge hindurchgehen kann, machte ich mir nicht die Mühe, aus der Tür hinaus zu gehen, sondern flog einfach durch die Wand hindurch hinaus auf die Straße. Ich landete auf dem für gewöhnlich sehr geschäftigen Sveavägen, wo normalerweise Autos vorbei rasten und selbst Menschen hektisch dahin eilten. Jetzt aber bewegten sich Autos und Spaziergänger wie in Zeitlupe und das Geräusch der Motoren drang als ein gedämpftes, kaum hörbares Gurgeln zu mir herüber. So hatte ich den Sveavägen nie zuvor erlebt. Ich schwebte vor und zurück und betrachtete die Gebäude und Menschen. Diese Art der außerkörperlichen Erfahrung hatte ich noch nie gemacht und ich war fasziniert, gleichzeitig fühlte ich mich aber auch etwas beunruhigt davon, dass es ohne meine Absicht passiert war, mitten am Tag und mitten in der Stadt.

Plötzlich sauste etwas in rasender Geschwindigkeit an mir vorbei. Es war ein kleiner Lichtpunkt, der zwischen den Menschen und Autos hindurch kreuzte. Einige Male tauchte er geradewegs durch einen Menschen hindurch, was dann einen kleinen Lichtblitz verursachte. Von diesem Lichtpunkt aus gesehen mussten sich die Autos und Menschen in einem noch niedrigeren Tempo bewegen, als das welches ich gerade erlebte. Er flog so schnell, dass ich sogar mit meinem astralen Blick Mühe hatte, ihm zu folgen, obwohl ich in diesem Zustand normalerweise dazu in der Lage war, das wahrzunehmen, was meine physischen Augen nie würden registrieren können. Plötzlich stoppte der Lichtpunkt ungefähr 50 Meter vor mir, und es sah so aus, als würde er sich umdrehen um mich zu betrachten. Mir lief ein kalter Schauer über den Rücken. Es schien, als hätte dieses Etwas ein Bewusstsein, und ich hatte das Gefühl, es befand sich ganz in seinem Element. Dabei nahm ich ein hochfrequentes Summen wahr, das von ihm ausging. Eine Sekunde lang dachte ich, er hätte so etwas wie Flügel, aber bevor ich genauer hinsehen konnte, fuhr der Lichtpunkt wie ein Blitz hinweg und verschwand. Gerade noch war ich überzeugt gewesen, eine besondere Gabe zu besitzen, wie ich so zwischen den Autos und Menschen herumschwebte, aber nachdem ich diesen Lichtpunkt gesehen hatte, fühlte ich mich eher wie ein tollpatschiges Kind, das gerade eben erst schwimmen gelernt hat und sich nun in einem unbekannten Element voran kämpft. Sehr viel wachsamer geworden schwebte ich dann weiter über die Straße. So wie ich in meinem astralen Zustand Menschen sehen konnte, die mich wiederum dabei nicht wahrnahmen, hatte mir dieser Lichtpunkt das starke Gefühl gegeben, dass es etwas gab, was mich beobachten konnte und das ich nicht sehen zu vermag.

Seitlich von mir wuchs plötzlich eine Art Loch oder Tunnel hervor, ich verlor die Kontrolle über mich und wurde hineingezogen. Ich wedelte mit meinen Armen und Beinen als ich in gewaltigem Tempo durch den Tunnel stürzte, im Kreis herumgeschleudert wurde und nicht wusste, wo oben und unten war. Ich bemerkte, dass der Tunnel goldfarben war und fragte mich, was gerade mit mir passierte. War das eben jener Tunnel, von dem ich gehört hatte, dass Menschen während einer Nahtod-Erfahrung in ihn gelangten? Sollte ich am Ende des Tunnels diese Lichtgestalt sehen, welche mit offenen Armen diejenigen empfängt, die durch den Tunnel reisten? Ich hatte Beschreibungen über eine Gestalt gelesen, welche die Christen als Jesus deuten, andere als ihren persönlichen Schutzengel, und wieder andere sagten, es wäre ein bereits verstorbener Freund oder Verwandter gewesen, welcher sie nach langer Zeit der Abwesenheit auf der anderen Seite willkommen hieß. Einige Hirnforscher lehnen das Tunnelerlebnis als einen Streich ab, den uns das Gehirn spielt, wenn es an Sauerstoffmangel leidet. Andere Forscher meinen dagegen, dass dieses Erlebnis viel zu komplex und bedeutungsvoll ist, um es einfach so zu verwerfen. Was es auch immer mit dieser Sache auf sich haben mochte, ich wollte nicht, dass diese Figur auftaucht, zumindest nicht wenn ich dadurch für immer auf der anderen Seite landen würde. Astrale Erlebnisse in allen Ehren, aber ich war noch viel zu jung und mochte das physische Leben wirklich zu sehr um einfach so sterben zu wollen. Wenn ich mich wirklich in diesem endgültigen Tunnel befand, hätte ich entweder Angst um mein Leben haben oder aber mich erleichtert fühlen müssen, so wie es von vielen Sterbenden beschrieben wurde. Aber ich fühlte nichts dergleichen, nur Übelkeit und Verwirrung. Außerdem schien der Tunnel auf einmal viel zu konkret und erdnah um eben jener zu sein, der an des Lebens äußerster Grenze existierte. Und wenn dieser äußerste Tunnel wirklich so eine grässliche Farbe haben sollte wie der, in dem ich nun reiste, taten mir diejenigen leid, die sich auf ihrer letzten Reise befanden. Die Farbe glich dem Standart vieler U-Bahn Stationen Stockholms, ein etwas glänzendes, aber schmutziges Gold.

Als ich dann genau über der Birger Jarlsgatan endlich aus dem Tunnel hinaustrat, realisierte ich, dass ich nicht durch den letzten Tunnel gereist war, sondern nur durch den langen Straßentunnel, welcher durch den Berg zwischen Sveavägen und der Birger Jarlsgatan geht. Was war ich erleichtert!

Die Birger Jarlsgatan entlang schwebend, dachte ich über den letzten Tunnel und das Erleben des Todes nach. Der Tod ist die äußerste Grenze des Lebens und fast alle Ängste, die der Mensch im Leben hat, können sich auf die Angst vor dem Tod zurückführen lassen. Gleichzeitig waren die Menschen zu allen Zeiten fasziniert vom Sterben und parallel zu der Angst vor dem Tod scheint er auch eine Anziehungskraft auf uns zu haben, da wir doch gerne einen Blick hinter die äußerste Grenze werfen möchten. Alle, von Abenteurern bis hin zu den Mystikern der Religionen, haben versucht, uns die Angst vor dem Tod zu nehmen und manchmal sogar den Tod selbst zu besiegen. Eine Religion, die nicht stark auf das Ende des Lebens fokussiert ist, wird schwer zu finden sein. Das Versprechen des Himmelreichs, die Errettung, das wunderbare Paradies oder der Zustand im Nirwana waren schon immer ein Argument der Religionen um sich selbst eine Bedeutung zu geben. Sie versprechen uns, dass der Glaube an sie auf die eine oder andere Art den Tod besiegen kann.

Ich fragte mich, ob die Menschen schon zu allen Zeiten die Angst vor dem Tod gekannt haben, oder ob sie nur ein Symptom dafür ist, dass wir den Kontakt mit unserer Seele verloren haben. Gleichzeitig vertrat ich die Ansicht, dass die andere Seite nicht nur ein Himmelreich war, sondern ein genauso breites Spektrum an guten und schlechten Erlebnissen beinhaltete wie das physische Leben. Vielleicht haben die Menschen die Seele ganz bewusst wegrationalisiert, weil sie das Leben zwar eindrucksvoller, aber auch fordernder und komplizierter macht.

Ich dachte über die Wiedergeburt nach. In den Büchern und Artikeln, die ich über Astralreisen und außerkörperliche Erfahrungen gelesen hatte, schien es, als wäre Reinkarnation eine Voraussetzung dafür. Ich zweifle daran, dass ich auch nur einen einzigen Text gelesen habe, der nicht die Wiedergeburt oder das Leben nach dem Tod aufgreift. Auch ich habe das Gefühl, dass sich das Leben in Zyklen abspielt, wie alles andere in der Natur, und dass man in das Erdenleben zurückkehrt – auf die eine oder andere Weise. Gleichzeitig sind die Schilderungen von früheren Inkarnationen aber meist mehr selbstverherrlichend als angebracht. Diejenigen, welche über ihr früheres Leben berichten, waren allzu oft große Könige oder Königinnen, wichtige Denker oder Wissenschaftler, Napoléon, Cäsar, Kleopatra, da Vinci; oder auch ein erfolgreicher Baumeister, der großartige Monumente hinterließ. Ich habe niemanden erzählen hören, er wäre eine allein stehende Mutter in Skärholmen gewesen, die als Kettenraucherin an Lungenkrebs starb, oder ein verwirrter Drogenabhängiger, der arm und vergessen in einem Heim für Junggesellen an einer Überdosis starb. Reinkarnieren ausgebranntes Pflegepersonal, Straßenarbeiter, die an einem Arbeitsunfall starben oder einfache Pensionäre denn nicht? Dass alles und jeder in seinem vorherigen Leben Napoléon war, scheint mir nicht sehr überzeugend.

Ein lautes Hupen riss mich aus meinen Grübeleien. Mit Schrecken stellte ich fest, dass sich Autos und Menschen wieder in normaler Geschwindigkeit bewegten. Mein astraler Körper war wieder in den normalen Zeitstrom zurückgekehrt und alle Geräusche und Bewegungen wieder in Echtzeit. Ein roter Porsche hupte ärgerlich ein anderes Auto an, welches ihm im Weg stand. Der in einen sehr teuren Anzug gekleidete Fahrer fluchte hinter dem Lenkrad. Ich konnte seine Aura sehen, sie war so rot wie sein Auto. Die Aura ist das Lichtfeld, das einen Menschen umgibt, und man kann anhand dieser auch den Gemütszustand einer Person erkennen. Im Falle des Porschefahrers hing die rote Farbe seiner Aura ganz klar mit seinem Ärger zusammen. Ich setzte meinen Weg Richtung Stureplan fort bis an die Stelle, an welcher die Birger Jarlsgatan mit der Hammgatan zusammentraf und bog dann in diese ein. Ich hatte schon früher ein paar Mal die Woche diese Art Stadtwanderung absolviert, eigentlich ist es eine ziemlich langweilige Route, aber aus irgendeinem Grund war es mir zu einer eigentümlichen kleinen Tradition geworden, diese Strecke durch Stockholms zentralstes Stadtviertel entlang sich im rechten Winkel kreuzender Straßen in dem Tempo zu laufen. Das war wohl der Grund warum ich sogar jetzt in meiner astralen Form ungefähr entlang derselben Strecke reiste, mit dem Unterschied, dass ich dieses Mal eine unfreiwillige Abkürzung durch die Tunnelgatan genommen hatte. Auf dem Weg die Hammgatan hinauf hielt ich vor dem NK-Kaufhaus an. Wie gewöhnlich war der Platz mit vielen Menschen gefüllt. Fast alle hatten Sonnenbrillen auf, obwohl es nicht sonderlich sonnig war. Aus dem Kaufhaus quoll eine Art Rauch oder Nebel heraus, der mir wie eine Faust entgegen schlug. Es war der Geruch der Parfümabteilung. Ich konnte ein paar Blumen- und Kräuteressenzen heraus riechen, da ich schon ab und an meine eigenen Räucherungen aus Essenzen gemischt hatte, die ich mir in den „Essensfabriken“ bei der Wallingatan gekauft hatte. Aber die meisten der Düfte rochen für mich im astralen Zustand fast unerträglich chemisch und synthetisch und waren mit einer Vielzahl wunderlicher und schwer identifizierbarer Gerüche vermischt. Ich erinnerte mich an das Gerücht, dass einige bekannte Parfümerien den Urin von gequälten Katzen in ihre Extrakte mischen würden und hoffte wirklich, dass dies nur eine Lügengeschichte war. Der Glaspfeiler am Segeltorg türmte sich vor mir auf wie ein modernes Monument eines Phallus, bedeckt mit Flecken von Abgasen und Schmutz. Als ich diesen Platz betrat wurde ich von einem seltsamen Gefühl erfüllt. Zusammen mit dem „Kulturhuset“ repräsentiert der Segeltorg eine Epoche utopischer Visionen einer perfekten Großstadt. Heute aber ist der Segeltorg bekannt durch seine Drogenabhängigen und eine öde und düstere Stimmung. Von der Ecke des Marktes, die der U-Bahn Station gegenüber liegt, konnte ich einen Nebel ausmachen, der jenem, welcher dem NK-Kaufhaus entströmte, gar nicht ähnelte. Der Nebel hier bestand aus dem Schweiß der unter Rauschgift stehenden Körper, Ausdünstungen von Drogen, blutigen Kanülen und einer schweren und dunklen Bedrücktheit, gemischt mit synthetisch hervorgerufenem Glück. Die Höllenschilderungen des Renaissance-Künstlers Hieronymus Bosch geben diesem Bild einen guten Vergleich. Ich fühlte mich entmutigt, auf eine Art mit der ich nicht so leicht umgehen konnte, als wenn ich mich dabei in meinem physischen Körper befunden hätte. Es war schwieriger, einfach abzuschalten und die Umgebung auszublenden wenn man sich in seinem Astralkörper befand. Ich erinnerte mich an einen Artikel den ich einst gelesen hatte, welcher anmerkte, dass Schweden eines der wenigen Länder in Europa ist, in welchem die Abhängigen als ein Fall für die Polizei betrachtet werden, während im restlichen Europa die medizinische Fürsorge zuständig ist. Ich hastete vom Segeltorg weg, den Sveavägen hinab, wo mein astraler Spaziergang begonnen hatte. Ich schwebte wieder hinein ins Café – jetzt durch die Türe – und sah meinen Körper und meinen Freund am Kaffeetisch sitzen. Mein Bekannter sah immer noch so aus, als wäre er in seiner Erzählung nicht mehr als einige Sätze weiter gekommen. Ich erzitterte und fühlte, wie mein astraler Körper mit dem physischen wieder eins wurde.

– „… oder was denkst Du über die Sache?“ fragte mich mein Jura studierender Bekannter.

Ich sah in die Kaffeetasse hinein, nickte mit gespielter Nachdenklichkeit und murmelte: „Kannst du das bitte etwas genauer beschreiben?“

Astralreisen

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