Читать книгу Tibor (zweite Serie) 1: Die Spinnengöttin - Thomas Knip - Страница 6

ZWEI

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Kurze Zeit darauf hatten sie einen breiten Fluss erreicht, der den Urwald zerteilte. Das Erdreich unter den Füßen der drei Männer war entlang des Ufers weich und gab bei jedem Schritt nach. Hohe Farne und Schilfrohre reichten den Männern bis zur Hüfte.

Tibor blieb stehen und blickte auf die Insel, die sich inmitten des Flusses erhob.

»Wartet hier«, sagte er zu den O’gogos. »Ich habe mir in einer Höhle auf dieser kleinen Insel einen Vorrat an Diamanten angelegt.«

Die beiden Krieger nickten nur stumm. Seit dem Vorfall mit den Gorillas sahen sie sich fortwährend nach allen Seiten nervös um und hielten ihre Speere fest umklammert. Tibor nahm es mit einem Lächeln zur Kenntnis, spannte seine Muskeln an und sprang mit einem weiten Satz in den Fluss. Kurz tauchte er unter, bevor er wieder an die Oberfläche kam und mit kraftvollen Kraulzügen auf die Insel zuschwamm.

Ihn beschäftigte nach wie vor die Frage, wozu die O’gogos die Steine benötigten. Er ging nicht davon aus, dass sie sie für sich selbst haben wollten. Ihr Stamm lebte so tief im Dschungel, dass sie höchstwahrscheinlich noch nie mit der modernen Zivilisation in Berührung gekommen waren. Sie dürften den Wert von Diamanten wohl nicht einmal kennen.

Tibor erreichte die Insel und stieg an einer flach abfallenden Stelle über die dunklen, nassen Steine, die mit Moos und Flechten bedeckt waren. Er wusste genau, wohin er sich wenden musste und kniete an dem wuchtigen Felsblock, der den größten Teil der Insel einnahm, nieder.

Ein Blick zur Seite zeigte ihm, dass die beiden O’gogos nach wie vor am gegenüberliegenden Ufer standen und zu ihm herübersahen.

Am Fuß des Felsbrockens lagen mehrere kleinere Steine scheinbar willkürlich verstreut. Tibor schob sie zur Seite und legte die Öffnung frei, die dahinter verborgen lag. Es war nicht mehr als eine kleine Nische, in der ein prall gefülltes Säckchen verborgen lag.

Tibor holte es hervor und wog es in seiner Hand. Die Diamanten, die darin verstaut waren, hatte er im Laufe der Jahre angehäuft. Sie waren ein Vermögen wert und hätten ihm ein Leben in Wohlstand bescheren können. Doch dafür interessierte er sich schon lange nicht mehr.

Er verschloss die Nische wieder mit den Steinen. Nachdenklich sah er auf das Säckchen. Sollten die O’gogos sie haben …

… zumindest vorübergehend, ergänzte er seinen Gedanken. Er dachte keine Sekunde daran, den Eingeborenen den Schatz zu überlassen, ohne herauszufinden, wofür sie ihn benötigten!

Er sprang zurück in den Fluss und schwamm durch die Strömung auf das andere Ufer zu. Noch bevor er aus dem Wasser gestiegen war, hob er das Säckchen in die Höhe und warf es seinen Bewachern zu.

»Fangt den Beutel auf!«, rief er. Einer der Krieger fing ihn mitten im Flug. Die beiden Männer knieten nieder und wurden vom hohen Gras verdeckt.

Tibor stemmte seine Arme auf eine knorrige Wurzel und stieg über die Böschung aus dem Fluss. Wie er erwartet hatte, besahen sich die O’gogos die Beute. Sie hatten das Säckchen geöffnet und hielten mehrere der matt schimmernden Steine ins Sonnenlicht.

»Das sind aber nicht viele Diamanten«, stellte einer von ihnen missmutig fest.

»Sind das wirklich alle, die du hast?«, fragte der zweite Krieger nach.

Tibor musste tief durchatmen.

»Nun schlägt es dreizehn!«, entfuhr es ihm. »Die Steine in diesem Beutel sind so viel wert, dass …« Er winkte ab und schüttelte den Kopf. »Ach, das versteht ihr doch nicht. Es sind alle Diamanten, die ich habe. Sucht doch selbst auf der Insel nach, wenn ihr wollt!«, beharrte er und wies auf die Erhebung im Fluss.

Einer der O’gogos hob abwehrend die Hände. »Schon gut …«

Die beiden Krieger erhoben sich und wiesen mit ihren Speeren zurück in die Richtung, aus der sie gekommen waren. Schweigsam traten sie den Rückweg an.

»Die Männer, denen ihr diese Diamanten geben müsst, werden mehr als zufrieden sein«, unterbrach Tibor die Stille. »Sie haben doch sicher die gleiche Hautfarbe wie ich?«

»Ich weiß nicht, wovon du sprichst«, murmelte einer der O’gogos. »Diese Steine sind für die große G…«

»Halt den Mund«, unterbrach ihn der andere und machte ein entsetztes Gesicht. »Willst du sterben? Du weißt doch, Sie sieht alles und hört alles!«

›Sie‹?!, durchzuckte es Tibor.

»Dringe nicht weiter in uns!«, wandte sich der Krieger an ihn. »Wir beschwören dich!«

»Ja, hab Erbarmen!«, fügte der andere an.

Tibor musterte die Männer. Die nackte Angst war ihnen buchstäblich ins Gesicht geschrieben. Auch wenn er nun wusste, dass die Eingeborenen die Diamanten nicht für sich selbst haben wollten, musste er einsehen, dass sie es nicht wagen würden, sich ihm anzuvertrauen. Für den Augenblick musste er es dabei bewenden lassen.

Ohne ein weiteres Wort miteinander zu sprechen, setzten sie ihren Weg fort.

*

Zwei Stunden später erreichten sie die Lichtung, auf der die übrigen O’gogos schon angespannt auf die Rückkehr der kleinen Gruppe gewartet hatten. Der Anführer der Eingeborenen nahm den Beutel entgegen. Er betrachtete ihn nur kurz und nickte mit einem Ausdruck der Erleichterung im Gesicht. Auch ihm war anzusehen, dass ihm überhaupt nicht bewusst war, welches Vermögen er in den Händen hielt.

»Wir danken dir im Namen unseres Stammes«, richtete er sich an Tibor. »Wir werden zu den Göttern flehen, dass wir nicht wiederkommen müssen, um noch mehr von dir zu fordern!«

Tibor sah ihn mit offenem Mund an. »Wie? Soll das etwa heißen …« Er schüttelte fassungslos den Kopf. »Diamanten sind sehr selten. Es hat Jahre gedauert, bis ich diese Menge gesammelt habe!«

Der Eingeborene zuckte förmlich zusammen und verneigte sich mehrfach leicht, als wollte er sich für seine Worte entschuldigen. »Wir können nur hoffen, dass diese Diamanten genügen!«

Er reichte den Beutel an einen Krieger weiter und deutete dann zuerst auf die Grube und danach auf einen kleinen Käfig aus Holz, den die O’gogos offenbar in Tibors Abwesenheit gezimmert hatten.

»Wir holen jetzt die beiden Äffchen heraus«, erklärte der Krieger, der wieder mit gefestigter Stimme sprach. »Befiehl ihnen, in diesen Käfig zu gehen.«

»Was soll das?«, fragte Tibor mit unverhohlenem Ärger in der Stimme.

»Nur eine Vorsichtsmaßnahme«, wehrte der Eingeborene ab. »Damit du uns nicht folgst. Wir nehmen die Äffchen mit, bis wir auf unserem Gebiet sind. Dann lassen wir sie frei …«

Tibor sah, wie einer der Männer ein so dünnes Seil in die Grube ließ, dass es gerade das Gewicht von Pip und Pop tragen konnte. Kerak hätte sich daran unmöglich hochziehen können. Die beiden Äffchen nutzten die Gelegenheit und kletterten flugs an dem Seil hoch, während der Gorilla in der Grube einen grollenden Ton von sich gab.

»… sollten wir aber merken, dass du uns verfolgst, töten wir sie!«, fuhr der Eingeborene mit einem unmissverständlichen Klang in der Stimme fort.

Die kleinen Äffchen erreichten den oberen Rand der Grube und rannten erfreut auf Tibor zu, der sich vor ihnen hinkniete. Er wies auf den Käfig. Pip und Pop sahen ihn aus großen Augen fragend an.

»Habt keine Angst«, erklärte er ihnen mit leisen Worten. »Vertraut mir. Klettert in den Käfig.«

Die kleinen Affen folgten seiner Bitte und schlossen ihre Hände um die Gitterstäbe, während einer der O’gogos das Gatter am Käfig zuschnürte. Zusammen mit einem weiteren Mann legte er die lange Stange, an der der Kasten befestigt war, über seine Schulter.

»Eine Warnung gebe ich euch mit«, richtete sich Tibor an den Anführer der Gruppe. »Wenn die Äffchen nicht heil und gesund zurückkehren, dann komme ich … und nicht allein!«

Die beiden Krieger, die ihn vorhin begleitet hatten, stießen einen erschreckten Laut aus. Sie ahnten, was diese Drohung bedeuten würde. Der Anführer blickte sich zu ihnen um und sah deren Furcht.

»Wir halten unser Wort!«, beeilte er sich zu sagen. »Weil du dein Versprechen eingelöst hast … – nicht, weil wir Angst vor deiner Drohung haben.« Er straffte seinen Oberkörper. »Auf unserem Gebiet, da sind wir unangreifbar. Sie wacht über uns! Lass es dir also nicht einfallen, uns nachzuspüren, sobald die Äffchen zu dir zurückkehren.«

Die Krieger machten sich zum Abmarsch bereit und tauchten in das dichte Gestrüpp des Dschungels ein.

»Leb wohl«, rief ihm der Anführer noch zu, bevor auch er zwischen den Bäumen verschwand. »Und vielen Dank für die Diamanten!«

Es lag keine Häme in diesen Worten. Der Mann wirkte sichtlich erleichtert. Und dennoch musste Tibor alle Beherrschung aufbringen, den Männern nicht nachzusetzen. Doch er dachte auch an Pip und Pop und war nicht bereit, ihr Leben zu riskieren, nur weil er unbeherrscht handelte.

»Fort sind sie …«, murmelte er. »Und ich habe nicht die leiseste Ahnung, für wen sie die Edelsteine haben wollen. Ich …«

»Vielleicht bist du so nett und hilfst mir aus der Grube, bevor du weitere Überlegungen anstellst!«, unterbrach ihn eine grollende Stimme.

Tibor wandte sich um und sah Kerak tief unter sich in dem Loch. Der Gorilla hatte missmutig die Unterlippe vorgeschoben und stapfte auf der Stelle.

»Oh, entschuldige!«, antwortete der Sohn des Dschungels. Er sah sich um und fand schnell eine Liane, die stark genug war, um das Gewicht des Menschenaffen zu tragen. Er schnitt sie ab, band sie um einen Baum und ließ sie dann in die Grube hinab. Behände kletterte der Gorilla aus der Falle und grunzte zufrieden, als er sich über den oberen Rand ins Freie zog. Er legte seinem Freund aus Dank seine Pranken auf die Schultern.

»So, nun lass uns erst einmal die Grube wieder zuschütten«, sagte Tibor schließlich. »Ich möchte nicht, dass eines meiner Tiere hineinfällt.«

Kerak kratzte sich am Kopf. »Oh, das wird eine Arbeit …

die Zweibeiner haben die Erde überall verteilt. Ich rufe Tando und seine Gorillas. Mit ihrer Hilfe schaffen wir es schneller.«

Er war gerade dabei, die Pranken zu einem Trichter geformt an den Mund zu legen und atmete tief ein, um einen Schrei auszustoßen, als Tibor vorsprang und ihm die Hände auf den Mund presste.

»Sei still!«, forderte er ihn auf.

Durch den Schwung kam Kerak aus dem Gleichgewicht und rollte über den Kopf. Verdutzt sah er seinen Freund an. »Was soll das denn?«

»Überleg doch selbst ein wenig!«, bat ihn Tibor. »Auch die O’gogos würden deinen Ruf hören und denken, wir wollten etwas gegen sie unternehmen. Das könnte Pip und Pop das Leben kosten!«

Keraks Stirn furchte sich. Seine Zähne malmten. Dann neigte er den Kopf.

»Daran hatte ich nicht gedacht. Es tut mir leid!«

Tibor winkte ab und lächelte. »Schon gut. Lass uns nun an die Arbeit gehen.«

*

Bis zum Abend hatten sie es geschafft, die Grube wieder aufzufüllen. Mit schmerzenden Knochen kehrten sie zur Baumhütte zurück und betteten sich auf ihre Lager. Der Mond stand bereits hoch am Himmel und schien durch eine Fensteröffnung.

Obwohl sie durch die Arbeit müde und erschöpft waren, fanden sie vor Sorge um ihre beiden kleinen Freunde keinen Schlaf.

»Es hat keinen Sinn«, stieß Tibor aus. Er richtete sich halb in seinem Bett auf und stützte den Kopf auf eine Hand. »Ich wälze mich von einer Seite auf die andere, aber einschlafen kann ich nicht.«

»Mir geht es ebenso«, grummelte Kerak neben ihm, der auf mehreren aufgeschichteten Farnwedeln am Boden lag. »Und das eine sage ich dir – auch wenn Pip und Pop heil und gesund zurückkehren … den Zweibeinern verzeihe ich das nicht! Ich suche sie und drehe jedem Einzelnen von ihnen das Genick um!«

Er unterstrich seine Worte mit einem wütenden Brüllen.

»Das wirst du schön bleiben lassen«, entgegnete Tibor seinem Freund und schwang sich aus dem Bett.

»Wie?«, erwiderte Kerak mit einem ungläubigen Ausdruck im Gesicht. »Diese heimtückischen Zweibeiner sollen ungestraft davonkommen? Du willst so tun, als wäre nichts geschehen?«

Auch der Gorilla hatte sich inzwischen erhoben und stützte sich mit seinen Vorderpranken auf dem Boden ab. »Wenn das die anderen Tiere erfahren, dann bist du der Herr des Dschungels gewesen!«, beharrte er. »Nicht einmal der feigste Schakal hätte dann noch Respekt vor dir!«

»Reg dich nicht auf, Kerak!«, beschwichtigte Tibor ihn. »Ich habe keineswegs die Absicht, die Herausforderung der O’gogos auf sich beruhen zu lassen. Aber sie zu bestrafen, das wäre ungerecht.«

Kerak sah ihn verständnislos an und schnappte nach Luft.

»Die O’gogos haben nicht aus eigenem Antrieb gehandelt«, erklärte Tibor. »Sie wissen nichts vom Wert der Steine. Jemand, der darüber gut Bescheid weiß, hat sie derartig unter Druck gesetzt, dass sie es wagten, in meinen Dschungel zu kommen.«

Der Gorilla grummelte und sah ihn aus seinen dunklen Augen an. »Du meinst, es stecken weiße Zweibeiner dahinter?«

Tibor stemmte die Hände in die Hüften. »Vielleicht … aber auf keinen Fall die O’gogos. Es muss zumindest jemand sein, der mit den Weißen in Berührung gekommen ist und erfahren hat, was für sie wertvoll ist.«

Er legte sich wieder hin und zog die dünne Stoffdecke über seinen Körper. »Nun wollen wir aber doch versuchen zu schlafen. Ausgeruht können wir morgen besser überlegen, was wir tun sollen.«

Tibor war gerade eingedöst, als ihn ein leises Rascheln und Knacksen hochfahren ließ.

»So ist es recht!«, hörte er eine keckernde, vertraute Stimme. »Während wir in höchster Lebensgefahr schweben, schlaft ihr seelenruhig! Schöne Freunde seid ihr …«

»Pip! Pop!«, rief Tibor aus und strahlte die beiden Äffchen an, deren Umrisse sich nun am Fenster im Mondlicht zeigten.

»Gott sei Dank«, grollte Kerak. »Da seid ihr ja wieder!«

Die kleinen Affen sprangen vom Fensterrahmen auf den Gorilla zu, der sie behutsam in seine Pranken nahm. »Bin ich froh!«, sagte er und ließ sogar zu, dass sie an seinem Fell zupften. »Wenn ihr mich auch manchmal ärgert … ohne euch fühle ich mich ganz krank.«

»Soso«, meinte Pip und grinste breit, dann kletterte er auf Keraks Schulter. »Na, wir sind auch froh, dich wieder ärgern zu können.«

Er wies mit seinem dünnen Arm nach draußen. »Aber kommt jetzt! Wir führen euch …«

»Das hat Zeit bis morgen früh«, wurde er von Tibor unterbrochen. »Kerak und ich konnten nämlich vor Sorge um euch wirklich nicht schlafen.«

Die beiden Äffchen sahen sich an, gähnten ausgiebig und hatten nichts dagegen, selbst zu ihrem wohlverdienten Schlaf zu kommen.

*

Nach einem kräftigen Frühstück brachen die Freunde am nächsten Morgen auf.

Noch herrschte die Kühle der Nacht im Dschungel. Feuchtigkeit hing in der dunstverhangenen Luft. Nur wenige Vögel begrüßten den jungen Tag bereits mit ihren Schreien und Rufen, die durch den Urwald hallten, unterbrochen vom Gezeter einer Horde Affen, die sich irgendwo im Dickicht verborgen hielt.

Tibor schwang sich mit den Affen an seiner Seite an Lianen durch den Dschungel und kam so rasch voran.

»Ich möchte, dass ihr Kerak und mich bis an die Stelle führt, an der euch die O’gogos freigelassen haben«, bat er Pip und Pop. »Aus den Spuren müsste ich erkennen können, ob sie dort die Diamanten bereits ihrem Auftraggeber überreicht haben. Das würde mir eine Menge Nachforschungen ersparen!«

Die Sonne stand schon hoch am Himmel, als die Gruppe die äußerste Grenze des Dschungels erreichte. Gestrüpp und Gräser erstreckten sich auf der lichter werdenden Landschaft. Pip kreischte und deutete aufgeregt nach vorne. Sofort machte die Gruppe auf einem breiten Ast Halt, der ihnen einen freien Blick auf die Umgebung bot.

»Dort war es!«, rief das Äffchen. »Auf der Geröllhalde!«

Ein lang gestreckter Hügel erhob sich aus dem Gras. Zu allen Seiten bedeckten zahlreiche Felsen und Steine die spärlich bewachsenen Abhänge. Tibor sah sich um.

»Das Gebiet der O’gogos beginnt erst jenseits des Hügels«, überlegte er. »Und auf der Geröllhalde wird es schwer werden, Spuren zu finden. Zudem wäre es ungefähr das Dümmste, hier hochzuklettern.«

Er wies auf die Hügelkuppe. »Von dort oben könnte uns jeder sofort sehen.«

»Glaubst du, die Zweibeiner haben Wachen aufgestellt?«, fragte Kerak.

»Bestimmt«, entgegnete der Sohn des Dschungels. »So dumm sind sie nicht, dass sie glauben, ich würde das alles auf sich beruhen lassen.«

Der Gorilla verzog die Lippen und blickte angestrengt nach vorne.

»Los, ihr beiden!«, forderte Tibor die Äffchen auf und wies nach vorne. »Schleicht euch von der anderen Seite auf den Hügel und seht nach, wie viele Wachen oben stehen.«

Pip und Pop nickten eifrig und ließen sich über tief hängende Äste in das hohe Gras fallen. In dessen Schutz gelangten sie bis an die untersten Ausläufer des weiträumigen Geröllfelds. Geschickt turnten die Äffchen zwischen den Felsen und Steinen hindurch immer höher und hielten nach Wachposten Ausschau.

Sie hatten schon fast den Hügelkamm erreicht, als sie Stimmen hörten. Vorsichtig schlichen sie weiter und spähten über einen Felsen hinweg. Nur wenige Meter von ihnen entfernt saßen zwei mit Speeren bewaffnete O’gogos. Sie achteten kaum auf ihre Umgebung, sondern unterhielten sich angeregt.

Pip wünschte sich, er könnte verstehen, was sie sagten. Doch die Sprache der Zweibeiner war ihm genauso fremd wie seinem Bruder oder allen anderen Tieren im Dschungel. Dafür wusste er genau, wofür die große, tonnenförmige Trommel gedacht war, die direkt neben den beiden Männern auf dem Boden stand.

Damit konnten sie ihren Stamm warnen, und das war es, was Tibor vermeiden wollte.

Pip dachte angestrengt nach, als ihn Pop an der Schulter zupfte. Mehrmals wischte er mit der Hand in dessen Richtung, doch sein Bruder ließ sich nicht abweisen. Er drehte sich zu ihm um und wollte ihn schon anfahren, als er bemerkte, wie Pop fortwährend in eine Richtung deutete.

»Sieh da drüben«, flüsterte er.

Pip öffnete erstaunt den Mund. »Da sind ja ebenfalls Wachen!«, fand er schließlich seine Sprache wieder. Seine Augen suchten die Gegend ab. »Und wenn mich nicht alles täuscht, dann sitzt dort auf dem Baum auch noch ein Zweibeiner!«

Unruhe befiel ihn. Er unterdrückte den Drang, so schnell wie möglich zu Tibor zurückzuhasten.

»Lass uns auf die Spitze des Hügels klettern«, schlug er Pop stattdessen vor, »damit wir auch auf die andere Seite sehen können.«

Sein Bruder nickte hastig. So gut sie konnten, nutzten sie die Deckung der Steine aus und erklommen die Höhe mit schnellen Sprüngen. Die beiden Wachen, die sie zuerst bemerkt hatten, bekamen überhaupt nicht mit, wie die kleinen Äffchen in ihrem Rücken an ihnen vorbeikletterten und den Hügelkamm erreichten.

Pip drohte der Mut zu verlassen, als er mit einem schellen Blick sah, dass es rings um sie herum genauso aussah. Überall hielten sich Wachen verborgen. Er richtete sich auf, um noch besser über den Felsen nach unten spähen zu können.

Doch dabei übersah er die Gefahr, die hinter ihnen lauerte …

*

Nkeme hatte zuerst nur ein leises Poltern gehört und sich nichts dabei gedacht. Eines der zahlreichen Steinchen würde sich gelöst haben. Dann hörte er es ein weiteres Mal, und diesmal begleitet von einem leise schnatternden Geräusch.

Er runzelte die Stirn und blickte aus seiner Deckung nach oben.

Vor der Sonne hoben sich nur unweit von ihm entfernt zwei kleine Affen als Umrisse ab, die sich anscheinend interessiert umsahen.

»He, sieh dort drüben«, raunte er seinem Begleiter zu und stieß ihm den Ellenbogen in die Seite. Mbatu murrte und rieb sich die Stelle. Er sah, wie Nkeme nach oben wies, und sofort entdeckte er die Äffchen.

Er zuckte mit den Schultern. »Na und? Das sind zwei Äffchen, wie es Tausende hier gibt.«

»Es könnten aber auch ebenso gut die von Tibor sein, Pip und Pop«, entgegnete Nkeme.

Mbatu stieß den Atem hörbar aus. »Du siehst Gespenster.« Er wollte es sich schon wieder im Schatten eines überhängenden Felsens bequem machen. Es war ein heißer Tag, und er hatte nicht vor, sich mehr als nötig anzustrengen.

»Nein, beobachte sie doch!«, ließ Nkeme nicht locker. »Sie kundschaften unsere Wachen aus!«

Mbatu seufzte, stützte sich auf die Trommel, mit der sie ihre Stammesbrüder warnen konnten, und rückte zu seinem Begleiter heran, um die kleinen Affen eine Weile zu beobachten. Er musste Nkeme recht geben. Sie verhielten sich tatsächlich ungewöhnlich.

»Hm … du hast recht.« Er überlegte. »Vorsicht ist besser!«

Er wies auf seinen Speer und deutete eine ausholende Bewegung mit dem Arm an. Nkeme verstand und nickte. Ohne ein Geräusch zu verursachen, erhob sich Mbatu aus seiner kauernden Haltung, griff nach der Waffe und warf seinen Speer auf die ahnungslosen Affen.

*

Pip hörte ein leises Zischen, als auch schon ein langer Schatten an ihm vorbeiflog. Der Speer verfehlte ihn nur um Haaresbreite, und der kleine Affe stieß einen erschrockenen Ruf aus. Er sprang auf, und von Panik erfüllt hüpfte er hin und her.


Pop kreischte neben ihm und wusste nicht, was er tun sollte.

Erst, als es zu spät war, sahen sie die großen Gestalten über sich. Die beiden O’gogo-Krieger waren den Hügel hinaufgeeilt, warfen sich auf die Affen und schlossen ihre Hände um die kleinen Körper.

*

Nkeme lachte auf. »Den einen habe ich!«

Er hielt den Affen, der sich in seinem Griff wand und zeterte, mit beiden Händen umfasst.

»Und ich den anderen«, triumphierte Mbatu. Er hatte den zweiten am Schwanz zu packen bekommen und hielt ihn in die Höhe. Wehrlos schlug das Äffchen mit seinen dünnen Armen um sich. »Am besten, wir schmettern sie gegen die Steine!«

Der O’gogo holte aus und wollte Pip zu Boden schleudern. Doch der kleine Affe verkrallte sich im Haarschmuck des Kriegers und riss ein dichtes Büschel Haare aus der Kopfhaut, noch während ihn Mbatu durch die Luft warf.

Der O’gogo schrie einen schmerzerfüllten Schrei aus und fasste sich an den Kopf.

Pip flog durch die Luft und sah die Steine rasch näher kommen. Er hielt die herausgerissenen Haare wie ein Kissen vor sich. Auch wenn er unsanft von dem Felsen abprallte, so milderten die Haare seinen Aufprall doch so weit, dass er unbeschadet auf die Beine kam und sich in Sicherheit bringen konnte.

Nkeme starrte inzwischen wie versteinert auf seinen Begleiter, der noch immer vor Schmerzen aufjaulte und einen wilden Tanz vollführte.

»Bei allen …«, stammelte er nur und verstand nicht, was gerade geschehen war. Er vergaß völlig den kleinen Affen in seiner Hand.

Pop hatte nicht vor, diesen Augenblick ungenutzt verstreichen zu lassen. Er schwang im Griff des Eingeborenen herum und krallte seine Finger in dessen rechte Schulter. Seine kleinen, scharfen Zähne gruben sich tief in das Ohr des O’gogo, der nun seinerseits vor Schmerzen aufschrie und den Affen in seiner Hand losließ.

Pop landete sicher auf dem Boden und hastete auf seinen Bruder zu, der hinter einem Felsen wild mit den Armen fuchtelte. Ihnen blieb keine Zeit, sich darüber zu freuen, der Gefahr entronnen zu sein. So schnell sie konnten, hasteten sie den Hügel hinab.

»Um ein Haar hätte mir der teuflische kleine Affe das Ohr abgebissen!« Nkeme sah das Blut auf seiner Handfläche und fluchte. Er presste sie erneut gegen die schmerzende Stelle.

»Und ich …«, jammerte Mbatu, dem die Tränen in den Augen standen, »… ich bin ohne Kopfschmuck!« Seine Finger tasteten über die wenigen verbliebenen Haare auf seinem Schopf. »Oh, diese Schande!«

Nkeme hörte nicht auf zu fluchen, beugte sich vor und griff nach mehreren Steinen. Er holte mit aller Kraft aus und schickte sie den Äffchen hinterher. Mbatu tat es ihm gleich, und ein wahrer Hagel ging auf Pip und Pop herab. So gut sie konnten, zogen sie ihre Köpfe ein und sahen einen um den anderen Stein nur knapp an sich vorbeifliegen.

Ohne dass sie es verhindern konnten, traf jedoch einer davon die Trommel, die kurz torkelte und dann von Felsblock zu Felsblock den Abhang hinuntersprang und bei jedem Aufprall ein dröhnendes Getöse von sich gab …

Tibor (zweite Serie) 1: Die Spinnengöttin

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