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Das Land

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Das Land maß achttausend Quadratkilometer und zählte eine Million Einwohner.

Ein schönes, stilles, unhastiges Land. Die Wipfel seiner Wälder rauschten verträumt; seine Äcker dehnten und breiteten sich, treu bestellt; sein Gewerbewesen war unentwickelt bis zur Dürftigkeit.

Es besaß Ziegeleien, es besaß ein wenig Salz- und Silberbergbau – das war fast alles. Man konnte allenfalls noch von einer Fremdenindustrie reden, aber sie schwunghaft zu nennen, wäre kühn gewesen. Die alkalischen Heilquellen, die in unmittelbarer Nähe der Hauptstadt dem Boden entsprangen und den Mittelpunkt freundlicher Badeanlagen bildeten, machten die Residenz zum Kurort. Aber während das Bad um den Ausgang des Mittelalters von weither besucht gewesen war, hatte sich später sein Ruf verloren, war von den Namen anderer übertönt und in Vergessenheit gebracht worden. Die gehaltvollste seiner Quellen, Ditlindenquelle genannt, ungewöhnlich reich an Lithiumsalzen, hatte man erst kürzlich, unter der Regierung Johann Albrechts III., erschürft. Und da es an einem nachdrücklichen und hinlänglich marktschreierischen Betriebe fehlte, war es noch nicht gelungen, ihr Wasser in der Welt zu Ehren zu bringen. Man versandte hunderttausend Flaschen davon im Jahr – eher weniger als mehr. Und nicht viele Fremde reisten herbei, um es an Ort und Stelle zu trinken …

Alljährlich war im Landtage von »wenig« günstigen finanziellen Ergebnissen der Verkehrsanstalten die Rede, womit ein durchaus und vollständig ungünstiges Ergebnis bezeichnet und festgestellt werden sollte, daß die Lokalbahnen sich nicht rentierten und die Eisenbahnen nichts abwarfen – betrübende, aber unabänderliche und eingewurzelte Tatsachen, die der Verkehrsminister in lichtvollen, aber immer wiederkehrenden Ausführungen mit den friedlichen kommerziellen und gewerblichen Verhältnissen des Landes sowie mit der Unzulänglichkeit der heimischen Kohlenlager erklärte. Krittler fügten dem etwas von mangelhaft organisierter Verwaltung der staatlichen Verkehrsanstalten hinzu. Aber Widerspruchsgeist und Verneinung waren nicht stark im Landtage; eine schwerfällige und treuherzige Loyalität war unter den Volksvertretern die vorherrschende Stimmung.

Die Eisenbahnrente stand also unter den Staatseinkünften privatwirtschaftlicher Natur keineswegs an erster Stelle; an erster Stelle stand in diesem Wald- und Ackerlande seit alters die Forstrente. Daß auch sie gesunken, in einem erschreckenden Maße zurückgegangen war, das zu rechtfertigen hatte größere Schwierigkeiten, wiewohl nur zu ausreichende Gründe dafür vorhanden waren.

Das Volk liebte seinen Wald. Es war ein blonder und gedrungener Typ mit blauen, grübelnden Augen und breiten, ein wenig zu hoch sitzenden Backenknochen, ein Menschenschlag, sinnig und bieder, gesund und rückständig. Es hing an dem Wald seines Landes mit den Kräften seines Gemütes, er lebte in seinen Liedern, er war den Künstlern, die es hervorbrachte, Ursprung und Heimat ihrer Eingebungen, und nicht nur im Hinblick auf Gaben des Geistes und der Seele, die er spendete, war er füglich der Gegenstand volkstümlicher Dankbarkeit. Die Armen lasen ihr Brennholz im Walde, er schenkte es ihnen, sie hatten es frei. Sie gingen gebückt, sie sammelten allerlei Beeren und Pilze zwischen seinen Stämmen und hatten ein wenig Verdienst davon. Das war nicht alles. Das Volk sah ein, daß sein Wald auf die Witterungsbeschaffenheit und gesundheitlichen Verhältnisse des Landes vom entscheidendsten günstigen Einfluß war; es wußte wohl, daß ohne den prächtigen Wald in der Umgebung der Residenz der Quellengarten dort draußen sich nie mit zahlenden Fremden füllen würde; und kurz, dies nicht sehr betriebsame und fortgeschrittene Volk hätte begreifen müssen, daß der Wald den wichtigsten Vorzug, den auf jede Art ergiebigsten Stammbesitz des Landes bedeutete.

Dennoch hatte man sich am Walde versündigt, gefrevelt daran seit Jahren und Menschenaltern. Der großherzoglichen Staatsforstverwaltung waren die schwersten Vorwürfe nicht zu ersparen. Dieser Behörde gebrach es an der politischen Einsicht, daß der Wald als ein unveräußerliches Gemeingut erhalten und bewahrt werden mußte, wenn er nicht nur den gegenwärtigen, sondern auch den kommenden Geschlechtern Nutzen gewähren sollte, und daß es sich rächen mußte, wenn man ihn, uneingedenk der Zukunft, zugunsten der Gegenwart maßlos und kurzsichtig ausbeutete.

Das war geschehen und geschah noch immer. Erstens hatte man große Flächen des Waldbodens in ihrer Fruchtbarkeit erschöpft, indem man sie beständig in übertriebener und planloser Weise ihres Streudüngers beraubt hatte. Man war darin wiederholt so weit gegangen, daß man da und dort nicht nur die jüngst gefallene Nadel- und Laubdecke, sondern den größten Teil des Abfalls von Jahren teils als Streu, teils als Humus entfernt und der Landwirtschaft überliefert hatte. Es gab viele Forsten, die von aller Fruchterde entblößt waren; es gab solche, die infolge Streurechens zu Krüppelbeständen entartet waren; und das war bei Gemeindewaldungen sowohl wie bei Staatswaldungen zu beobachten.

Wenn man diese Nutzungen vorgenommen hatte, um einem augenblicklichen Notstand der Landwirtschaft abzuhelfen, so waren sie schlecht und recht zu entschuldigen gewesen. Aber obgleich es nicht an Stimmen fehlte, die einen auf die Verwendung von Waldstreu gegründeten Ackerbau für unratsam, ja gefährlich erklärten, so trieb man den Streuhandel auch ohne besonderen Anlaß aus rein fiskalischen Gründen, wie man sagte, aus Gründen also, die bei Lichte betrachtet nur ein Grund und Zweck waren, der nämlich, Geld zu machen. Denn das Geld war's, woran es fehlte. Aber um welches zu schaffen, vergriff man sich unablässig am Kapital, bis der Tag kam, da man mit Schrecken ersah, daß eine ungeahnte Entwertung dieses Kapitals eingetreten sei.

Man war ein Bauernvolk, und in einem verkehrten, künstlichen und unangemessenen Eifer glaubte man zeitgemäß zu sein und rücksichtslosen Geschäftsgeist an den Tag legen zu müssen. Ein Merkmal war die Milchwirtschaft … es ist hier ein Wort darüber zu sagen. Klage ward laut, zumal in den amtsärztlichen Jahresberichten, daß ein Rückgang in der Ernährungsweise und also in der Entwicklung der ländlichen Bevölkerung zu beobachten sei. Wie das? Die Viehbesitzer waren versessen darauf, alle verfügbare Vollmilch zu Gelde zu machen. Die gewerbliche Ausbildung der Milchverwertung, die Entwicklung und Ergiebigkeit des Molkereiwesens verlockte sie, das Bedürfnis des eigenen Haushaltes hintanzustellen. Die kräftige Milchnahrung ward selten auf dem Lande, und an ihre Stelle trat mehr und mehr der Genuß von gehaltarmer Magermilch, von minderwertigen Ersatzmitteln, Pflanzenfetten und leider auch von weingeisthaltigen Getränken. Die Krittler sprachen von einer Unterernährung, ja geradezu von einer körperlichen und sittlichen Entkräftung der Landbevölkerung, sie brachten die Tatsachen vor die Kammer, und die Regierung versprach, der Sache ernste Aufmerksamkeit zuzuwenden.

Aber es war allzu klar, daß die Regierung im Grund von demselben Geiste beseelt war wie die irregeführten Viehbesitzer. Im Staatswalde nahmen die Überhauungen kein Ende, sie waren nicht wieder einzubringen und bedeuteten eine fortschreitende Minderung des öffentlichen Besitzstandes. Sie mochten zuweilen nötig gewesen sein, wenn Schädlinge den Wald heimgesucht hatten, aber oft genug waren sie einzig und allein aus den angeführten fiskalischen Gründen verfügt worden, und statt die aus den Fällungen erzielten Einnahmen zum Ankaufe neuer Forstgrundstücke zu benutzen, statt auch nur die abgehauenen Flächen so rasch als möglich wieder aufzuforsten, statt, mit einem Worte, den Schaden, der dem Staatswalde an seinem Kapitalwert erwachsen war, auch an seinem Kapitalwerte wieder gutzumachen, hatte man die flüssig gemachten Gelder zur Deckung laufender Ausgaben und zur Einlösung von Schuldverschreibungen verbraucht. Nun schien gewiß, daß eine Verringerung der Staatsschuld nur zu wünschenswert sei; aber die Krittler meinten, die Zeiten seien nicht danach angetan, daß man außerordentliche Einkünfte zur Speisung der Tilgungskasse verwenden dürfe.

Wer kein Interesse daran hatte, die Dinge zu beschönigen, mußte die Staatsfinanzen zerrüttet nennen. Das Land trug sechshundert Millionen Schulden – es schleppte daran mit Geduld, mit Opfermut, aber mit innerlichem Seufzen. Denn die Bürde, an sich viel zu schwer, wurde verdreifacht durch eine Höhe des Zinsfußes und durch Rückzahlungsbedingungen, wie sie einem Lande mit erschüttertem Kredit vorgeschrieben werden, dessen Obligationen tief, tief im Kurse stehen und das in der Welt der Geldgeber beinahe schon unter die »interessanten« Länder gerechnet wird.

Die Reihe der schlechten Finanzperioden war unabsehbar. Die Ära der Fehlbeträge schien ohne Anfang und Ende. Und eine Mißwirtschaft, an der durch häufigen Personenwechsel nichts gebessert wurde, sah im Borgen die alleinige Heilmethode gegen das schleichende Leiden. Noch Finanzminister von Schröder, dessen reiner Charakter und edle Absichten nicht in Zweifel gezogen werden sollen, erhielt vom Großherzog dafür den persönlichen Adel, daß er unter den schwierigsten Umständen eine neue hochverzinsliche Anleihe zu placieren gewußt hatte. Er war von Herzen auf eine Hebung des Staatskredits bedacht; aber da er sich nicht anders zu helfen wußte, als indem er neue Schulden machte, während er alte tilgte, so erwies sich sein Verfahren als ein wohlgemeintes, aber kostspieliges Blendwerk. Denn beim gleichzeitigen Aufkauf und Verkauf von Schuldscheinen zahlte man einen höheren Preis als man erhielt, und dabei gingen Millionen verloren.

Königliche Hoheit

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