Читать книгу Valery - Todesküsse unter Segeln - Thomas Riedel - Страница 4
ОглавлениеKapitel 2
Den ›Marina Sailing & Watersport Club‹ sah Hannah Lombardi zum ersten Mal aus etwa einhundert Metern Höhe, und sie musste sich eingestehen, dass das Bild, welches sich ihr bot recht imposant wirkte. Da lagen fünf stattliche, lang gestreckte Gebäude rings um das ›Limehouse Basin‹, dem früheren ›Regent's Canal‹ und unzählige schmucke Yachten im Hafenbecken, die zusammengenommen einige Millionen Pfund wert sein mochten, oder es zumindest einmal gewesen waren. Die Gegend um die ehemaligen Lagerdocks in diesem Stadtteil Londons hatte in den letzten Dekaden, und ganz besonders in den letzten Jahren, eine komplette Wandlung erfahren. Die zum Teil uralten Industriegebäude und Anlagen hatten eine völlig andere, innovative Nutzung bekommen und erstrahlten in einem neuen Glanz. Inzwischen ließ es sich hier gut leben, auch wenn es mittlerweile dazu das nötige Kleingeld erforderte. Von dem heruntergekommenen Viertel, in dem einst die Ärmsten der Armen schufteten und lebten, war nichts mehr geblieben.
Hier also sollte sie und ihr Geschäftspartner Christopher Marlowe zum Einsatz kommen.
Marlowe steuerte den firmeneigenen Hubschrauber ein Stück tiefer und deutete auf die Hafenausfahrt.
»Ja, Chris?«
»Dort ist es das letzte Mal passiert«, klärte er sie auf.
»Und keine Spur von Sabotage?«, erkundigte sich die Achtundzwanzigjährige.
»Schwer zu sagen.«
Ihr sechsunddreißigjähriger Geschäftspartner Christopher Marlowe war ein eins sechsundachtzig großer Hüne, immer sonnengebräunt und durchtrainiert. Als ehemaliger Pilot der ›Royal Navy‹ im Rang eines Lieutenant-Commander, der innerhalb der ›Royal Marines‹ im SBS, dem ›Special Boat Service‹, einer immer verdeckt agierenden Spezialeinheit, gedient hatte, verstand er sein Handwerk. Hannah wusste, dass er vor einigen Jahren in Afghanistan als Pilot eines ›West Lynx Helicopters‹ an der Befreiung zweier italienischer Soldaten aus der Gewalt der Taliban beteiligt war, und das alle acht Geiselnehmer getötet wurden. Ob und wenn ja wie viele davon auf sein Konto gingen, hatte Hannah nie zu fragen gewagt. Für sie war er ein Held und ihn zum Partner gewählt zu haben gab ihr ein gutes Gefühl der Sicherheit.
Hannah war die Tochter eines italienischen Bankiers, der sich vor mehr als dreißig Jahren unsterblich in eine Schottin verliebt hatte und ihr gefolgt war. Als Millionärstochter hätte sie einfach das Playgirl spielen können, doch sich auf dem Vermögen ihres Vaters auszuruhen war nichts für die junge Frau. Sie mochte den Reiz des Abenteuers und als ihr auf einem Bankett der für die Sicherheit verantwortliche Christopher Marlowe vorgestellt wurde, kam ihr die spontane Idee mit ihm eine Detektei zu gründen. Sie brachte die Finanzen und er sein Können ein – zumindest war das zu Beginn so. Inzwischen lief das Geschäft ausgezeichnet, auch über die Landesgrenzen hinaus. Sie hatten sich etabliert und einen exzellenten Ruf erworben. So waren sie inzwischen selbst zu einem ansehnlichen Vermögen gekommen. Hannah hatte sich abgenabelt, stand auf eigenen Füßen und war stolz darauf von Vermögen ihres Vaters unabhängig zu sein. Sie, die echte Blondine mit dem schulterlangen Haar und den eisblauen Augen, der niemand so recht etwas zugetraut, sie hatte es geschafft.
»Die Herrschaften von der Clubleitung wünschen keine Untersuchungen. Zu prosaisch für die hohen Tiere«, spöttelte Marlowe.
Er hatte ein grünrot-gepunktetes Tuch im Kragen seines weißen Overalls stecken und seine ebenfalls weiße Tuchmütze saß lässig im Genick. Zum tausendsten Mal stellte sich Hannah die Frage, warum sie noch nie miteinander geschlafen hatten, denn er passte ausgezeichnet in ihr Beuteschema.
»Aha«, gab sie zurück.
»Verhöre, unzählige Fragen und Schnüffelei? Alles unerwünscht!«
»Aber unser Auftraggeber soll zahlen!«, knurrte Hannah.
»Genau«, erwiderte Marlowe und deutete ein Nicken an. »Zahlen und schweigen.«
»Verstehe.«
Hannah starrte jetzt schon ein bisschen weniger begeistert auf den Luxusclub hinab.
»Es war das dritte Boot, das seit Anfang Mai ausbrannte«, stellte Marlowe fest. »Fast zwei Million Pfund Schaden.«
Der Ex-Elitesoldat zog den dunkelblauen Helikopter mit den auffälligen gelben Seitenstreifen hoch und kurvte ein wenig über das ausgedehnte Hafenbecken hinweg.
Es war ein sonniger Tag mit einem Himmel voller Schäfchenwolken. Eigentlich konnte Hannah der Auftrag nur recht sein. Wenn sie ihren Partner richtig verstanden hatte, würden sie sich in den Club einschmuggeln und ein wenig in das Leben der Londoner High Society eintauchen. Alles mit Hilfe ihres Auftraggebers. Der Gedanke, dass dieser auch für alle anfallenden Spesen aufkam, ließ sie lächeln.
»Du wirst dich als Playboy gut machen«, meinte die langhaarige Blondine mit einem schmunzelnden Seitenblick.
»Ich mime den Tennistrainer«, entgegnete er sehr betont und grinste. »Die Rolle des rassigen Playgirls ist dir doch um einiges besser auf den Leib geschrieben. Im Gegensatz zu mir hast du dich doch immer in diesen Kreisen bewegt ... und ich meine das nicht als Vorwurf.«
»Stimmt! Abgesehen davon fehlt dir dazu aber auch die erforderliche Oberweite.«
»Da kann ich nun wirklich nicht mithalten«, grinste Marlowe und sein eindeutiger Seitenblick war auf ihre Brust gerichtet.
Hannah lachte.
»Dennoch schade, dass wir nicht als frisch verliebtes Pärchen auftreten, aber ...«
Ihr Geschäftspartner errötete leicht.
»Als Millionärsknecht fällt man weniger auf«, meinte er nach einiger Zeit. Dann steuerte er den Hubschrauber zum Clubgelände zurück und drückte ihn ein wenig tiefer.
Hannah besah sich die drei Tennisplätze, die hinter dem großen Bootshaus lagen und den Minigolfplatz inmitten dicht gepflanzter Bäume.
»Die sehen doch hier sowieso nur ihresgleichen«, fügte er hinzu. »Oder heiße Schnecken wie dich, Hannah. Natürlich nur um sie dann auch direkt flachzulegen.«
Hannah grinste.
»Danke für das Kompliment, Chris!«
»Gern geschehen! Du kennst mich doch.« Christopher Marlowe kreiste kurz über einem Wohngebäude, in dem besonders Auserwählte kleine Appartements unterhielten, um nicht an Bord ihrer Yachten schlafen zu müssen.
»Ist schon geklärt, wie ich in den Club komme?« Hannah sah Marlowe fragend an. »Doch wohl kaum als Mitglied?«
Ihr Partner zuckte die Achseln.
»Kann ich dir gar nicht wirklich beantworten«, gab er zurück. »Soweit ich erfahren habe, wird dich Rick Drummond einführen.«
»Drummond, von ›Drummond & Drummond‹?«
»Genau ... die Mediengruppe. Der Sohn. Ziemlich ... na ja, wie soll ich sagen ... ein wenig wild, der Bursche.« Während er das sagte, zog er den Helikopter wieder hoch. »Laut unserem Auftraggeber schleppt er laufend neue Weiber in den Club.«
»Geht das denn so einfach?«, erkundigte sich Hannah.
»Der alte Drummond ist eins der Gründungsmitglieder des Clubs«, entgegnete Marlowe mit einem Schmunzeln. »Da geht vieles.«
»Der Typ ist aber nicht eingeweiht, oder?«
»Wo denkst du hin. Einer unserer Auftraggeber wird dich vorstellen. Der ist hier übrigens auch Clubmitglied. Alles andere liegt dann in deiner Hand.«
Hannah Lombardi nickte.
Wenn man so aussieht wie ich, dann dürfte das wohl das geringste Problem sein, dachte sie.
»Na gut«, meinte sie nachdenklich. »Und wann soll die Aktion starten?«
»Gleich morgen, am späten Nachmittag.«
»Und du?«
»Ich trete meinen Job kurz vorher an.«
»Kannst du denn überhaupt Tennis spielen, Chris?«, fragte sie ihn neugierig.
Marlowe wandte den Kopf und warf ihr einen missbilligenden Blick zu.
Hannah war ohne es zu wollen ins Fettnäpfchen getreten. Sicher konnte er das, durchfuhr es sie, schließlich war Sport seine Stärke. Außer Rugby machte er sicher alles und Rugby auch nur deshalb nicht, weil sein markantes Sunny-Chris-Gesicht dabei lädiert werden könnte. Nun hatte sie ihm ohne es wollen gegen das Schienbein getreten.
»Sorry«, murmelte sie leise.
»Du kannst dich ja bei mir zu einer Trainingseinheit anmelden«, knurrte er, aber man merkte, dass sein zur Schau gestellter Unmut nicht ganz ernst gemeint war.
»Um Rick Drummond eifersüchtig zu machen?«, schmunzelte sie.
»Nein. Um deinen Stil zu verbessern, Hannah!«
»Wobei?«, scherzte sie.
Marlowe kniff die Lippen zusammen und zog eine letzte, größere Schleife über dem ›Marina Sailing & Watersport Club‹.
»Wie auch immer. Unser Auftraggeber erwartet, dass keine weitere Yacht ein Opfer der Flammen wird. Also wird uns nicht sehr viel Zeit für Vergnügen bleiben. Soviel dürfte klar sein.«
Hannah betrachtete die Schäfchenwolken am strahlend blauen Himmel.
»Och, na ja«, meinte sie geheimnisvoll. »Wir wollen mal abwarten, Chris.«
»Viel Zeit haben wir jedenfalls nicht oder es wird teuer.«
»Stimmt.«
»Wer ist denn der große Boss, der mich diesem Drummond präsentiert«, erkundigte sie sich.
»David Bloomfield, Vizepräsident der ›Royal London Insurance‹.«
»Na, dann«, meinte Hannah. »Fliegen wir zurück?«
»Ja!«
*