Читать книгу Panoptikum des Grauens - Thomas Riedel, Susann Smith - Страница 8
ОглавлениеKapitel 4
M
it wachsender Unruhe beobachtete Kianoush Shabistari die Arbeit der britischen Polizei, die, von Roger Whitemoore alarmiert, mit zwei Fahrzeugen vor dem Nachbarhaus vorgefahren war.
Es waren mehrere Beamte in Uniform und Zivil vom New Scotland Yard, die offenbar einen Arzt mitgebracht hatten.
Der Orientale lächelte grausam in sich hinein, während er, hinter der Gardine verborgen, in seinem Arbeitszimmer stand und das Geschehen verfolgte, soweit es ihm von dort aus möglich war. Er wusste, dass sich der Mediziner an der harten Nuss die Zähne ausbeißen würde und niemals die hypnotische Sperre brechen würde, mit der er Lord Colemans Bewusstsein blockiert hatte. Und auch bei dessen Tochter und dem Personal würde es ihm nicht anders ergehen.
Er hatte sie alle langsam, aber sicher unter den erstickenden Einfluss seines dämonischen Willens gezwungen. Sie handelten und antworteten, dachten und redeten nicht mehr wie freidenkende Menschen. Die Gedanken der von ihm Hypnotisierten kreisten in harmlosen Bahnen ungehindert dort, wo sie ihm nicht schaden konnten. Er hatte sie in Bezug auf Kayleen Colemans Person ausgeschaltet und alle Begleitumstände ihres rätselhaften Verschwindens. Selbst, wenn man sie mit einem einwandfreien Geburtsschein der Vermissten konfrontiert hätte, diese Marionetten wären nie bereit gewesen, die Existenz des unglücklichen Mädchens anzuerkennen. Alle Erinnerungen waren gelöscht. Wäre dieser Roger Whitemoore nicht aufgetaucht, niemals wäre eine Anzeige erfolgt.
So aber musste er sich eingestehen, dass sein System Lücken aufwies, und es galt, Vorsichtsmaßnahmen zu treffen.
Er klingelte nach seinem Getreuen.
Der Tibetaner erschien lautlos und prompt wie der Geist aus Aladins Flasche. Stumm verbeugte er sich mit ehrerbietigem Gruß, ging in gebührendem Abstand auf die Knie und erwartete die Befehle seines Herrn – unterwürfig wie ein Hund.
»Wir werden verschwinden müssen«, entschied Kianoush Shabistari. »Du wirst vorausgehen. Du weißt, wohin! Nimm alle meine Lieblinge mit und vergiss das Mädchen nicht. Ich werde hier die Stellung halten, bis ich merke, dass es aussichtslos ist. Dann tauche ich auch unter.«
Wieder machte der Tibetaner mit unbewegtem Gesicht seinen ›Kotau‹, berührte mehrmals mit der Stirn den Boden und bedeutete seinem Herrn gegenüber seine untergeordnete Stellung. Er blieb noch kurz in kniender Körperhaltung, bevor er es wagte sich zu erheben und den Raum zu verlassen.
Shabistari wandte sich wieder dem Fenster zu.
Die ganze Gesellschaft hielt sich jetzt im Salon auf, mit Ausnahme des Arztes und Lord Coleman.
Besonders aber ein mittelgroßer, schlanker Mann mit dunkelbraunen, kurz geschnittenen Haaren und kühlen, grauen Augen unter auffallend buschigen Brauen, schnüffelte herum wie ein Jagdhund. Gerade unterhielt er sich mit Roger Whitemoore. Ihnen folgte ein großer, schwergewichtiger Mann mit kugeligem Kopf.
Einmal verließen die drei das Gebäude, kamen durch den Garten näher, und Whitemoore zeigte den beiden in Zivil die Stelle, an der er Kayleens Anhänger gefunden hatte.
Der schlanke Polizist in Zivil bückte sich, untersuchte die Pforte zwischen den beiden Grundstücken genau und spähte kurz über die Mauer.
Der Beamte mit dem auffallend energischen Kinn und dem gepflegten Äußeren schien eine sehr empfindliche Antenne für Hirnströme zu haben. Mehrfach schaute er zum Nachbarhaus hinauf, gerade so, als spüre er den fremden Blick.
Sofort sendete der Orientale mit höchster Intensität einen mentalen Impuls und in seinen Augen glühte es auf. Doch er musste feststellen, dass der Mann nicht im Geringsten auf ihn reagierte. So sehr er sich auch bemühte, er endete vor einer Mauer eisenharten Willens und wachen Instinktes. Er ist ein schlechtes Medium, ging es ihm durch den Kopf und er versuchte es darauf bei dessen Kollegen. Aber auch bei ihm wollte sich der gewünschte Erfolg nicht einstellen. Gegen die beiden muss ich ein anderes Kaliber ins Feld führen, dachte er wütend, während die drei in das Haus zurückkehrten und wenig später im Salon auftauchten.
Noch immer bemühte sich der Polizeiarzt um seine Lordschaft, doch offenbar mit mäßigem Erfolg.
Später tauchte ein uniformierter Beamter mit einem Motorrad auf und brachte einen medizinischen Behälter mit Ampullen.
Jetzt versuchen sie es mit Chemie, dachte der stumme Beobachter amüsiert. Als ob die Naturwissenschaften jenen Kräften überlegen wären, die einer geheimen Quelle im Innersten des Menschen entspringen. Wohl dem, der seine verborgene Macht bewusstwerden lässt und ausnutzt. Er schlägt alle Konkurrenz.
Die Stunden vergingen, und die Ermittlungen der Polizei schienen sich im Kreis zu drehen.
Längst brannte das Licht in der Nachbarvilla, aber noch immer hielt der Orientale auf seinem Posten aus.
Mit Vergnügen bemerkte er, dass für die drei Beamten und den Polizeiarzt Gästezimmer hergerichtet wurden. Das gab ihm die Möglichkeit, etwas gegen die Leute zu unternehmen, die versuchten, seine Rachepläne zu durchkreuzen.
Ein diabolisches Lächeln spielte um den grausamen Mund des einsamen Mannes, als er auf den Dachboden der Villa hinaufstieg.
Quietschend öffnete sich die Falltür.
Das Rauschen schwerer Flügel drang an sein Ohr.
Sorgfältig schloss Shabistari die Klappe hinter sich und trat an einen Drahtverschlag in der hintersten Ecke des dunklen Speichers.
Eine bläuliche Lampe verbreitete ein ungewisses Licht. Die Luft war feucht und stickig wie in einem Grab. Von den Dachsparren hingen riesige Fledermäuse. Sie baumelten mit dem Kopf nach unten, krallten sich in das Holz. Die Störung ließ sie unruhig werden. Winzige Knopfaugen starrten auf den Eindringling. Haarige Schnauzen mit nadelscharfen Zähnen pendelten hin und her. Flughäute von einem Meter Spannweite und mehr fächelten die Luft.
»Es gibt Arbeit, meine Lieblinge«, kicherte der Orientale. Er entfernte ein starkes Vorhängeschloss und betrat den massiven Stall. Aus einem Kasten holte er ein starkes Sendegerät und stellte es auf einen Tisch, der von den Exkrementen der abstoßenden Tiere bedeckt war.
Shabistari streifte ein Paar Lederhandschuhe über, die ihn vor den schmerzhaften Bissen seiner haarigen Geschöpfe schützen sollten, und ergriff ein besonders starkes Exemplar. Dabei tastete er mit seinem rechten Zeigefinger über den Schädel des Tieres. Schließlich fand er den winzigen elektronischen Apparat, der unter der Haut des Vampirs eingepflanzt war und dessen kompliziertes Radarsystem beherrschte. Durch die Impulse des Gerätes wurde dem ekligen Blutsauger die Richtung vorgeschrieben, während er Hindernisse auf dem Flug wie stets ortete und umging. Er trat an die Dachluke.
Der Himmel war samtig blau und sternenklar.
In der Nachbarvilla war man längst zur Nachtruhe übergegangen, und wegen der milden Witterung standen die meisten Fenster offen.
Er hatte sich genau gemerkt, wo die Gäste untergebracht waren. Ihnen galt sein Anschlag. Denn er war keineswegs gewillt, das Feld kampflos zu räumen. Und jetzt, wo er in den Beamten von Scotland Yard gleichwertige Gegner gefunden hatte, begann ihm die Sache richtig Spaß zu machen.
Mit der Linken öffnete er behutsam die Luke und schickte seinen Todesboten auf die Reise.
Lautlos wie ein Schemen segelte der mächtige Vampir durch die Nacht. Nur seine unhörbaren Schreie stieß er aus, um sich am Widerhall seiner Stimme zu orientieren.
Shabistari packte sein bereits eingeschaltetes Sendegerät und hetzte den unheimlichen Verbündeten gegen den Feind. Er steuerte den pelzigen Blutsauger auf ein Fenster im ersten Stock, hinter dem jener dunkelhaarige Mann mit den buschigen Augenbrauen ahnungslos schlief, der sich, wie sein Kollege, seinen stummen Befehlen erfolgreicher widersetzt hatte als seine unglücklichen Vorgänger.