Читать книгу An der Pforte zur Hölle - Thomas Riedel - Страница 7
ОглавлениеKapitel 4
E
in unerträglich bohrender Schmerz wütete in seinem Kopf. Seine Schläfen pochten wie wild. Es fühlte sich an, als würden dort jeden Augenblick die Adern platzen. Vor seinen Augen hingen kaum durchdringbare Schleier. Remington Cartwright leckte sich über seine trockenen Lippen. Wie ein ausgedörrter Klumpen lag ihm seine Zunge im Rachen.
»Meine Fresse!«, stöhnte er fluchend und erschrak, weil er seine Stimme kaum wiedererkannte.
Ganz langsam richtete er sich auf, schlug die Bettdecke zurück und setzte sich auf die Bettkante. Nur allmählich trat seine Erinnerung an die vergangene Nacht aus dem Dunstschleier des noch vorhandenen Restalkohols hervor.
Irgendwann im Morgengrauen war er nach Hause gekommen und hatte sich eine ›Gespielin‹ mitgebracht, die er in dem obskuren Nachtclub kennengelernt und nach zahlreichen Drinks auf ein gemeinsames Schäferstündchen eingeladen hatte. In seinem Kopf schwirrte es, wie in einem wilden Bienenstock. Als sich sein Blick endlich etwas klärte, seufzte er.
Zwei Flaschen und eine aufgebrochene Kondom-Packung lagen auf dem Boden vor seinen Füßen. Den Sekt hatte er mit seiner Begleiterin getrunken und sich anschließend ausgiebig mit ihr beschäftigt. Unsicher stand er auf und lief durch die Wohnung. Das Mädchen, welches sich ihm gegenüber als Karen vorgestellt hatte, war fort ...
... und seine Frau Ashley ebenfalls!
Es traf ihn wie ein Schock. Er fühlte, wie ihm mit einem Mal die Knie weich wurden, als von einer Sekunde auf die andere seine Erinnerung wieder einsetzte.
Er dachte an den fürchterlichen Streit, den er wieder einmal mit seiner Frau ausgefochten hatte, und daran, wie er fluchtartig aus der Wohnung gestürmt war. Mit einem Mal war ihm wieder präsent, wie er ziellos durch die Straßen gelaufen war und sich übelsten Mordgedanken hingegeben hatte. Dann fiel ihm die unheimliche Frau in ihrem schwarzen Mantel ein, die alles zu wissen schien, und auch das grauenhafte Versprechen, demzufolge ihr Herr und Meister seinen Wunsch erfüllen werde. Er entsann sich, wie er ihr gehorchend den Nachtclub aufgesucht hatte. Alles war wieder gegenwärtig, und es war so lebendig, wie das junge Mädchen, welches er auf Anweisung dieser Frau um vier Uhr in der Früh mit zu sich Hause genommen hatte. Ashley hatte er nicht angetroffen. Karen und er hatten anfangs gemeinsam im Wohnzimmer gesessen, angefangen Sekt zu trinken, waren sich dabei immer nähergekommen und zum Schluss im Ehebett gelandet. Er schmunzelte, als er sich bei dem Gedanken erwischte, sie habe sich ihm hingegeben. Das war natürlich Quatsch, denn sie war für ihre Dienstleistung ordentlich bezahlt worden.
»Was habe ich nur getan?«, stöhnte er leise und spürte, wie ihm schlecht wurde – sein Kreislauf verrückt spielte. »Luft! Luft!«, murmelte er vor sich hin. »Ich brauche frische Luft!«
Wankend schritt er zum Fenster und öffnete es. Gierig sog er die kalte, vom Nebel angefeuchtete Luft ein. Langsam stabilisierte sich sein Kreislauf wieder und das aufgetretene Schwindelgefühl verschwand.
Als er auf die Straße hinunterblickte, verschluckte er sich an seinem eigenen Speichel, was einen heftigen Hustenanfall zur Folge hatte. Auf dem gegenüberliegenden Bordstein stand eine Person, und es war nicht irgendjemand! Es war jene seltsame Frau, die er in der vergangenen Nacht getroffen hatte. Wieder trug sie ihren schwarzen Mantel und wieder hatte sie die dessen Kapuze aufgesetzt. Auch im Grau der frühen Morgenstunde wirkte ihr Gesicht ausgesprochen blass. Sie sah direkt zu ihm herüber. Starr waren ihre dunklen Augen auf ihn gerichtet.
Ein heftiger Schreck durchfuhr ihn und automatisch wich er zurück. Erst dachte er daran sich zu verkriechen, doch dann machte sich seine Neugierde bemerkbar. Er wollte unbedingt wissen, was hier vor sich ging.
Schnell eilte er in den Flur, schnappte sich den Wohnungsschlüssel, warf sich eine Jacke über und rannte das Treppenhaus hinunter auf den Gehweg.
Die unheimliche Frau blickte ihm gelassen entgegen, als er gehetzt die Straße überquerte und auf sie zukam. Ehe er den Mund öffnen konnte, um etwas zu sagen, hob sie einhaltgebietend ihre Hand.
»Ich weiß, was du fragen willst, Remington Cartwright«, erklärte sie, und wieder lag jenes grausame Lächeln um ihre Lippen, welches ihm eisige Schauer über den Rücken jagte. »Du willst wissen, wo deine Frau steckt und was aus ihr geworden ist!« In ihren schwarzen Augen funkelte es teuflisch. »Mein Herr und Meister hat sie zu sich geholt. Lebend wirst du sie nicht wiedersehen.«
Fassungslos schlug er sich seine rechte Hand vor den Mund. Es schien ihm, als würden sich eiskalte Hände um seinen Hals legen und ihn würgen.
»Es wird nicht lange dauern und du wirst meine Worte bestätigt bekommen«, fuhr die unheimliche Frau mit dem langen, lockigen und rabenschwarzen Haar fort. »Und wenn das geschehen ist, werde ich dich aufsuchen, um den Lohn einzufordern!«
Sie sprach ruhig und leise, aber der drohende Unterton war unüberhörbar.
Diese durchaus attraktive Frau, die er auf höchstens dreißig Jahre schätzte, schaffte es, ihn derart zu ängstigen, dass er auf keinen Fall länger in ihrer Nähe bleiben wollte. Ohne etwas zu entgegnen ergriff er die Flucht. Ihm war es völlig gleichgültig, ob er es mit einer Verrückten oder einer Mörderin zu tun hatte. Er konnte es einfach nicht mehr ertragen in ihr bleiches Gesicht, mit den dunklen, seelenlosen Augen zu sehen.
Er lief in seine Wohnung zurück und schloss die Tür hinter sich. Zitternd und völlig außer Atem lehnte er sich gegen die Wand. Er versuchte sich zu beruhigen, aber es wollte ihm nicht gelingen. Nach einer Weile ging er in die Küche auf, suchte nach einer Flasche Scotch, drehte mit der Linken den Verschluss herunter und ließ ihn achtlos auf die Arbeitsfläche des Küchenblocks fallen. Mit der Rechten setzte er die Flasche an seine Lippen und kippte einen derart kräftigen Schluck in sich hinein, dass es ihn schüttelte.
Plötzlich vernahm er Schritte vor der Wohnungstür.
»Bist du das, Ashley?«, fragte er verwirrt. »Wo bist du nur geblieben?«
Vor der Tür wurde es wieder leise. Die Schritte waren verstummt. Gleich darauf ertönte die Melodie des Türgongs.
Er lief in den Flur zurück, doch dann blieb er, einer inneren Eingebung gehorchend, stehen.
Vielleicht ist es wieder diese Irre, dachte er, die mich einfach nicht in Ruhe lassen will.
»Wer ist da?«, fragte er durch die Tür mit kratziger Stimme.
»Wir müssen mit Ihnen sprechen, Mister Cartwright«, hörte er eine tiefe, ihm unbekannte Männerstimme.
Erleichtert atmete er auf, verspürte aber immer noch eine heftige Unruhe. Mit zitternder Hand öffnete er die Wohnungstür. Vor ihm standen eine Beamtin und ein Beamter des ›Metropolitan Police Service‹. Ihre Gesichter sahen nicht gerade ein glücklich aus.
»Sind Sie Mister Cartwright?«, wollte der Police Constable wissen.
»Ja«, antwortete er gedehnt und sah die beiden fragend an.
In diesem Augenblick fand er zu seiner alten Ruhe zurück. Mit einem Mal wusste er genau, warum ihn die beiden aufgesucht hatten und was sie ihm jetzt schonend beizubringen versuchten.
»Wir müssen Ihnen leider eine schlechte Nachricht überbringen, Mister Cartwright«, räusperte sich der Polizeibeamte und sah ihn betrübt an. »Es wäre besser, Sie würden uns einlassen und sich setzen.«