Читать книгу Bronskis Treiben - Thomas Steinke - Страница 6

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Sie war eine jener elfenhaften Frauen, deren offensichtliche Lebensunfähigkeit ein raffinierter Trick der Natur ist. Sein erster Gedanke war: Ficken! Wenn er eine solche Kindfrau sah, war das bei ihm reflexartig, unbewusst und nicht zu steuern. Viel später erst, in einer Augustnacht, würde er erfahren, dass dies auch ihr erster Gedanke gewesen war.

Ein Jammer, wie viel Zeit sie vertan hatten.

Wie schön, dass sie sich Zeit gelassen hatten.

Dieser Sommer war die spannendste Zeit in Bronskis Leben gewesen. Er war vorbei. Nun stand Bronski auf dem Flur der Klinik und schaute in den herbstlichen Park. Er zahlte seinen Preis, und eine dieser Maries zog sicher gerade ein neues Opfer an sich. Zum ersten Mal hatte Bronski sein Lieblingsspiel verloren.

Bronski hatte Marie bei einer dieser unsäglichen Ausstellungseröffnungen erspäht, die man, um ihre Kläglichkeit zu kaschieren, hochtönend Vernissagen nennt. Bronskis Frau leitete ein musisches Gymnasium in einem der Neubaugebiete am Rande der Stadt, da, wo die Stadt ins Sibirische überging, und deshalb waren sie im Verteiler für die Einladungen und gingen mindestens einmal pro Woche Häppchen essen. Leider musste man dabei auch Kunst ertragen, wehende Leinentücher mit Menstruationsblut, Eisenplatten voller Fingernägel oder Tierköpfe in Gelee, modernes Zeug eben.

Bronski ging nur mit, um Frauen zu jagen. Er war oft erfolgreich. Die Gattinnen der Maler waren zumeist einsam, ihre malenden Männer tranken oder betrogen sie, da war für Bronski leichtes Spiel.

Bei den Malerinnen selbst gab Bronski den Zyniker, der er eigentlich auch war. Merkwürdigerweise war er damit ebenso oft erfolgreich. Was dann folgte, war meist eine heftige kurze Berauschtheit, bei der Bronski sich das Hirn herausvögelte, um dann rechtzeitig Schluss zu machen, bevor die Sache Ausmaße annahm. So ertrug Bronski seit nunmehr dreiundzwanzig Jahren seine Ehe, und das Leben überhaupt.

Marie stand hinter dem Tresen und schenkte Wein aus. Es war Bronski unmöglich, ihr Alter zu schätzen. Sie mochte sechzehn sein, oder dreißig. Sie hatte eine knabenhafte Figur, war dabei aber ungewöhnlich groß, hatte lange Beine und pechschwarzes langes Haar, das sie offen trug. Sie war, bis auf ihren knallroten Mund, kaum geschminkt und das Bemerkenswerteste an ihrem ebenmäßigen Gesicht waren ihre traurigen Augen, deren Farbe dauernd wechselte. Maries winzige Brüste waren dank der kräftigen Nippel deutlich zu erahnen.

Bronski erstarrte kurz, ein Fieber befiel ihn, da begann schon das übliche Programm. Bronskis Frau stellte ihn der heutigen Künstlerin vor, die für ihn als Beute leider nicht in Frage kam, und ein Saxophonist bewies unterdessen, dass er nicht richtig spielen wollte, sondern stattdessen Wind nachahmen konnte. Das Übliche. Gleich würde ein Freund der Künstlerin eine zu lange Rede halten, in der er sie über den grünen Klee lobte, wobei die Künstlerin scheu zu Boden schauen würde. Dabei hatte die Künstlerin selbst sicher vor nicht allzu langer Zeit für diesen Freund eine Rede gehalten, ihn über den grünen Klee gelobt, und dieser hatte selbstverloren und genialisch zu Boden geschaut. Es war so traurig und langweilig, aber sie mussten sich alle verkaufen und irgendwie davon leben. Sich selbst anpreisen ging da nicht.

Bronski hörte gar nicht zu. Er hatte sein abwesendes, idiotisches Dauerlächeln aufgesetzt und der Jäger in ihm ersann bereits einen Plan. Wer war dieses Wesen hinter der Theke?

Bronski wagte es nicht, in die Richtung jener Frau zu schauen, deren Namen er noch nicht kannte, von der er sich aber gerade vorstellte, wie sich ihr weißer, schlangenförmiger Leib um ihn winden würde, um das Letzte aus ihm herauszusaugen. Schon der Gedanke an diese Lust machte ihn wahnsinnig. Seine übliche Schläfrigkeit wich sofort jener hellen Wachheit, die aus seiner Geilheit kam.

Alles hing, wie immer, von der ersten Begegnung ab. Die galt es vorzubereiten. Bronski würde auf gar keinen Fall Getränke holen gehen. Dort, in der Warteschlange, konnte er nur eine lächerliche Figur abgeben. Er würde Marie, dieses für ihn noch namenlose Wesen, aus der Ferne fixieren. Er musste ihren Blick erhaschen, um kurz in ihren Augen zu versinken. Für diesen Angriff hatte Bronski einen abwesenden, nachdenklich traurigen Blick parat, den er gelegentlich in der U-Bahn trainierte.

Morgens, wenn er, wie immer acht Uhr dreiundzwanzig, in die Anstalt fuhr.

Die Künstlerin des heutigen Abends stand jetzt dicht neben Bronski, sie hatte etwas Quadratisches an sich. Bronski roch förmlich ihre Einsamkeit. Nur zum Spaß berührte Bronski dieses späte Mädchen, dessen Bilder so unsinnlich waren wie nur irgendwas, wie zufällig an der Hüfte und siehe da, sie wich nicht aus, sondern kam ihm noch entgegen. Seine Witterung hatte ihn nicht getäuscht, und während nun der Freund der Künstlerin stockend zu seiner Lobrede anhob, trieb Bronski sein böses Spiel weiter, indem er sein Knie sanft an den dicken Oberschenkel der einsamen Malerin presste. Sie genoss es und Bronski half es, zur Ruhe zu kommen, denn von der Weintheke her hörte Bronski ein Lachen, Maries Lachen. Es wirkte so melancholisch wie die ganze Frau, die Bronskis Denken nun beherrschen würde. Er wagte es nicht, sich jetzt schon nach ihr umzudrehen. Er zwang sich zur Geduld, um dann die Energie zu haben, die er brauchen würde, wenn er seine Jagd begann.

Die Malerin hatte begriffen. Sie schlenderte nun mit einem Fettfinger von der Stadtverwaltung zu ihren Machwerken davon, wobei sie sich noch einmal nach Bronski umdrehte und ihn mit einem Lächeln bedachte, dass sie vermutlich für lasziv hielt. Bronski grinste obszön die Decke an und ein Lachen der Künstlerin perlte durch die Galerie. Ein Lachen, das so breit war wie die ganze Dame.

Bronskis Frau Ingeborg hatte eine Freundin getroffen und stand mit der und einem Glas Sekt in einer Ecke. Obwohl sich Bronski schon lange nicht mehr fragte, ob seine Frau sein Treiben eigentlich bemerkte, beruhigte es ihn doch, sie abgelenkt zu wissen.

Den Blick seiner Frau im Nacken zu spüren, würde ihn heute nervös machen, wenn er sich der Frau hinter der Theke anbot.

Ja, anbot. Denn genau das tat er immer. Er bot sich den Frauen an. Als Ausweg aus ihrer Langeweile, aus dieser Ödnis der Zwänge, als ein erstklassiger Geliebter, der er war. Als jemand, der keine Beziehung wollte, die anstrengend und verpflichtend war, als jemand, der puren Sex bot und haben wollte, als jemand, der für die kostbaren Momente des heimlichen Beisammenseins das Leben der jeweiligen Geliebten leicht und schwebend machte.

Konnte man ihm denn daraus eigentlich einen Vorwurf machen, wie es sicher so viele taten, die davon wussten oder es nur ahnten? Was für eine Dummheit! Oder war das Neid, war das Enttäuschung über das eigene langweilige mutlose Leben, war es Zorn darüber, dass er sich nicht völlig hingab, sich nicht besitzen ließ, sich immer wieder freimachte?

Wie auch immer, letztendlich war es ihm egal, was andere dachten.

Bronski hatte sich gesammelt, jetzt würde er den Raum durchschreiten, sich scheinbar den Bildern widmen, dabei einsam und verloren wirken und die Namenlose unbemerkt aus dem Augenwinkel beobachten, um im alles entscheidenden Moment ihren Blick auf sich zu ziehen. Von ihrer Reaktion dann hing alles Weitere ab. Bei Mädchen dieser Art, Mädchen, die Bronski fesselten wie kein anderer Typus, würde es nicht schnell gehen, oder sofort passieren. Entweder in Wochen, oder noch hier, noch heute.

Er kannte sich da aus. Die Namenlose erinnerte ihn entfernt an Milena, eine ehemalige Kollegin, die sein Frühling vor zwei Jahren gewesen war. Diese Milena war als seine Chefin in die Anstalt versetzt worden und Bronski hatte es von der ersten Sekunde an auf sie abgesehen. Womit er nicht gerechnet hatte, war, dass Milena, dieses scheue Reh aus besserem Hause, ihn bei ihrem ersten Vieraugengespräch schmutzig angelacht und ihn mit einem »Bringen wir es doch hinter uns!« überrumpelt hatte. Der Sex mit ihr war dann beeindruckend gewesen. Milena konnte bei Bronski endlich all das ausprobieren, was sie bisher fälschlicherweise für schmutzig gehalten hatte, aber leider hatte sie sich dann doch in ihn verliebt und musste gehen.

Ein Jammer war das gewesen, denn in den Wochen ihres Zusammenseins hatte Bronski die Hoffnung befallen, endlich sein weibliches Ebenbild gefunden zu haben. Jemand, der ihm gewachsen war. Milena hatte ihn sogar, als Ausdruck ihres wunderbaren Humors, zum Trauzeugen erwählt. Als dann aber wegen ihm die Hochzeit zu platzen drohte, spitzten sich die Dinge zu und Bronski musste viel Kraft aufwenden, um heil zu entkommen.

Bronski atmete tief durch und wollte losgehen, da hörte er die Stimme, Berners Stimme, die Stimme eines wirklich befugten Paranoikers. Berner stand neben ihm, das war furchtbar, denn Berner hatte immer viel zu reden. Von sich, von seinem Unglück, von seinem Pech mit Frauen, das nun wirklich nicht überraschen konnte, und von Neuem aus der lokalen Politik. Berner, dieser vollkommene Idiot, war mittlerweile nämlich Baustadtrat geworden, und Bronski musste fliehen. Jetzt sofort! Er durfte sich von Berner seinen Plan nicht zerstören lassen, er war jetzt genau in der Stimmung für die alles entscheidende Begegnung mit diesem Wunderwesen hinter der Theke, doch Berner hatte ihn schon am Arm. Es zählte nämlich zu den vielen unangenehmen Angewohnheiten Berners, die Leute, mit denen er sprach, auch noch zu berühren. Besonders gern drehte der kurzsichtige Berner dann immer gedankenverloren an einem Jackettknopf seines Gegenübers, woraufhin sich dieser manchmal löste, was Berner gar nicht bemerkte. Der Mann musste zu Hause eine wahre Knopfsammlung haben. Wahrscheinlich betrieb er ein Knopfmuseum und sein ganzes Leben in der Politik diente nur dem Zweck, anderen Menschen ungestraft Knöpfe abdrehen zu können. Berner roch auch noch schlecht, er sabberte beim Sprechen und war entschieden zu mitteilsam. Bronski nannte ihn deshalb, wie gesagt, einen befugten Paranoiker, denn Berner ging völlig zu Recht davon aus, dass ihn alle Menschen mieden. Er bildete es sich nicht nur ein.

Berner musste das ahnen, denn eine seiner gängigsten Übungen war es, seinem Opfer den Eindruck zu vermitteln, er, Berner, dieses Nichts mit Designerbrille, könnte etwas für die Karriere des Objekts seines feuchten Überfalls tun.

»Na Bronski, immer noch im Joch? Du weißt, das muss nicht sein, ich hätte da was für dich.«

Es war so widerlich. Berner war so zu dem geworden, was er vorgab, jetzt zu sein. Und nun wollte er es auch einmal spielen, das Spiel des großen Gönners, des Mannes, der Männer zu dem macht, was die Macht dann aus ihnen macht. Bronski hätte kotzen können, aber er hatte eine bessere Idee.

»Berner, die Malerin ist scharf auf dich.«

»Ehrlich?«

»Ja, sie hat es Ingeborg erzählt. Aber die Künstlerin ist schüchtern. Los Berner, tu was!«

Das hatte gesessen! Berner vergaß sofort sein Lieblingsspiel, Kungeln, ja er ließ sogar Bronskis Knopf los. Der Wurm straffte sich und zog ab. In Richtung Malerin. Bronski wusste natürlich, was er damit anrichtete, er trieb mit Berners Hilfe die Malerin förmlich in seine Arme. Berner war jetzt Bronskis Schäferhund, denn nichts würde irgendwann ein so vergnügliches Thema mit der Künstlerin abgeben wie der gemeinsame Spott über die hilflosen Bemühungen des armen Berner.

Der sich jetzt der Malerin näherte, mit krummem Rücken. Schon falsch! Mit dieser Haltung hatte Berner keine Chance, denn unbewusst, ganz unbewusst, Bronski wusste das genau, suchten sich alle Frauen ihre Bettpartner immer danach aus, ob der sich aufdrängende Kerl ein Garant für ordentlichen Nachwuchs war. Egal, wie alt die Frau nun schon war, egal, ob sie eigentlich ein Kind wollte oder nicht, das war in ihnen, in diesen Frauen, das war von der Natur programmiert, dagegen konnten sie nichts machen. Und das war auch der Grund für Bronskis dauernden Erfolg. Er verhieß blendenden Nachwuchs, auch wenn er nicht bereit war, solchen zu erzeugen. Aber wer wollte schon ein Kind, das einmal so werden würde wie Berner? Niemand. Und auf Mitleid konnte der bei der Malerin nicht hoffen, das hatte sie selbst bitter nötig, um erwählt zu werden.

Berner, in seiner unnachahmlichen Art, tatschte die voluminöse Künstlerin gerade an. Sicher würde er ihr irgendwelchen Schwachsinn erzählen und dabei einen der schönen Keramikknöpfe von ihrem Leinenkleid abdrehen. Wahrscheinlich versprach er ihr, nur um endlich auch einmal mit jemandem ins Bett zu kommen, einen Auftrag von einer dieser Baufirmen, die von ihm abhängig waren und von denen er sich, wenn er nicht vollkommen blöde war, bestechen ließ.

Egal, Bronski verlor schnell den Spaß an dem Schauspiel. Er hatte anderes zu tun, er musste die Nymphe hinter der Bar erobern. Aber wie? Denn eines hatte Berner leider geschafft, Bronski war aus dem Takt gekommen. Der galante Schwung, in den er sich hineinphantasiert hatte, war verschwunden. Und jetzt kam auch noch seine Frau von ihrer Freundin zurück. Sicher langweilte sie sich und wollte gehen.

»Hast du die Kleine hinter der Theke gesehen? Die sieht ja überirdisch aus!«

Die Frage seiner Frau traf Bronski wie ein Tritt in die Eier. Was sollte das? War das ein Test? Oder pure Arglosigkeit? Er bemühte sich, schnell zu reagieren.

»Berner hat mich überfallen.«

»Und, noch alle Knöpfe dran?«

Bronski gelang es, leichthin zu lachen, und er fand, dass er so ziemlich geschickt an der heimtückischen Frage seiner Frau vorbeigeschifft war. Und Gott sei Dank beharrte sie nicht auf einer Antwort. Denn wenn er auch nur einen Satz zu dieser Namenlosen hätte sagen müssen, würde seine Frau es sofort bemerkt haben, was mit ihm los war. Weil er es so beiläufig als möglich getan hätte. Und wenn er beiläufig war, sobald es um hübsche Frauen ging, log er immer. Das wusste Ingeborg vermutlich. Das wusste sie wahrscheinlich ganz genau? Aus leidvoller Erfahrung? Oder wusste sie es nicht?

Die Ehe mit Ingeborg währte nun dreiundzwanzig Jahre. Mehr war dazu eigentlich nicht zu sagen. Es passte. Ingeborg ertrug ihn und er verging nicht vor Langeweile. Was wollte man mehr? Leider ging Ingeborg seines Wissens nach nicht fremd, so dass also für ihn ein Restrisiko blieb. Ohne das er allerdings auch nicht leben mochte.

Ingeborg langweilte sich wirklich und wollte gehen. Bronski aber musste noch bleiben, jetzt war es sogar noch einfacher für ihn geworden, sich der Namenlosen zu nähern. Wieder musste der arme Berner herhalten. Bronski log ziemlich glaubwürdig, dass Berner ihn noch sprechen wollte, weil er ein ganz tolles Jobangebot für ihn hätte. Schließlich war Berner ein alter Kommilitone von Bronski. Seine Frau nickte nur müde und ging.

Die Luft war damit rein und Bronski spürte neue Energien in sich aufsteigen. Aus dem Augenwinkel sah er, wie die für ihn noch Namenlose stumm mit einem jungen Kerl rauchte. Auf eine stillschweigend übereinstimmende Art schauten die beiden aneinander vorbei. Das beunruhigte ihn, er musste langsam handeln.

Manchmal, wenn er diese jungen Kerle sah, die vor Langeweile nur so strotzten, befiel Bronski kalter Hass.

Diese jungen Burschen, die ihr fettiges Haar neuerdings strähnig in die Stirn gekämmt trugen und damit noch blöder aussahen, als sie es vermutlich waren, hatten alle Zeit dieser Welt. Und ihm lief sie davon.

Bronski fand, dass die zur Schau gestellte Schläfrigkeit dieser Buben, dieses lässige Desinteresse an allem, etwas Provozierendes hatte. Sie wussten offenbar, dass ihre Zeit kommen würde. Aber sie war noch nicht da. Somit hatten sie es verdient, dass Bronski ihnen die Frauen wegnahm, von denen sie träumten. Noch war er dazu in der Lage. Noch.

Bronski war jetzt fünfundvierzig und er hatte im Leben nichts erreicht, außer er selbst zu sein. Aber er fand, wenn er sich so umsah, das war schon viel. Er hatte eine Arbeit, die ihn weder interessierte noch beanspruchte, die, Ausnahme in diesen Zeiten, sogar noch sicher war, weil sie darauf beruhte, dass andere ihre Arbeit verloren. Er hatte eine Frau, zwei Töchter, ein Haus, und er hatte eine heimliche Leidenschaft.

Das genügte ihm.

Er fragte sich allerdings, wie es so viele andere ohne eine heimliche Leidenschaft aushielten, tröstete sich dann aber damit, dass er wenigstens dadurch etwas Besonderes war.

Morgen würde er sich das wieder massiv einreden müssen. Ein Klassentreffen. Es würde furchtbar werden. Er durfte gar nicht daran denken. Nicht jetzt. Warum nur hatte er plötzlich so schlechte Laune? War nicht alles normal? Er und eine Frau, die er erobern würde? Um dann, nach einer kurzen, aber heftigen Selbsttäuschung, festzustellen, dass alles wie immer war.

Dass es ihn furchtbar langweilte, wenn die kostbaren, verrückten Momente vorbei waren, in denen alles wieder so war wie damals, damals, als man es schön fand, bei eisiger Kälte in einem Strandkorb zu übernachten, um die Sonne aufgehen zu sehen, nur für ein paar Küsse, nur für die Ahnung einer weichen warmen kleinen weißen Brust unter einem dicken Pullover, damals, als die richtige Musik so viel bedeutet hatte, dass man stundenlang miteinander tanzte, im Park, bei Regen, nur um endlich »das erste Mal« zu erleben, weil ihre Eltern gerade verreist waren, und sie so nass war und so fror, damals, als man dachte, das bleibt immer so, und als man so glücklich war, wenn man wochenlang nach einem Mädchen fieberte, das gar nicht wusste, dass man es begehrt, weil man es ja nie ansprach.

Hatte er deshalb schlechte Laune, weil er schon fürchtete, dass es auch bei dieser Namenlosen wieder so kommen würde?

Wurde er langsam alt? Oder, schrecklicher noch, vernünftig?

»Sie sehen plötzlich so traurig aus? Entschuldigung, das ist doch das Portemonnaie ihrer Frau? Sie hat es vergessen!«

Bronski erstarrte. Er glotzte die Namenlose an. Sein Mund stand offen. Sie lächelte ihn an. Sie war von der Theke durch den ganzen Raum zu ihm gekommen, und er hatte es nicht bemerkt.

Und, sie war schon fast wieder weg. Bronski war unfähig zu reagieren, es hatte ihn getroffen wie ein Hammerschlag! Wie ein Dämlack stand er da herum, das alte, braune, riesige Portemonnaie seiner Frau in der Hand. Spießiger konnte er nicht aussehen, und als er sich dann so in einem Spiegel sah, den die dicke Künstlerin mit einem Selbstbildnis bemalt hatte, musste er lachen, etwas zu laut und ein bisschen irre, aber ein »Danke« kriegte er wenigstens noch heraus. Dann verschwand er auf die Toilette.

Dort traf er auf Berner, der sich gerade frisch machte, weil er wohl wirklich ein Abenteuer erwartete. Es hätte Bronski nicht überrascht, Berner dabei zu erwischen, wie der sich den Schwanz wusch. Das hätte zu Berner gepasst. Aber Berner nebelte sich nur ein. Der Typ führte offenbar ständig einen Parfümtank mit sich. Wahrscheinlich las er wissenschaftliche Zeitschriften und mixte sich im Keller heimlich Lockstoffe.

»Was wollte denn diese Nymphe von der Theke von dir?«

Berner hatte es also bemerkt, alle hatten es gesehen und Bronski hatte eine jämmerliche Figur abgegeben.

»Sie hat mich gefragt, ob ich mit ihr schlafen will, aber ich habe abgelehnt.«

Berner starrte Bronski im Spiegel unsicher in die Augen und erst als Bronskis Augen ganz unmerklich grinsten, lachte Berner entspannt auf. Der Kerl war wirklich zu dämlich. Und aufgeregt.

Während Bronski pinkelte, schwärmte Berner von der Malerin. Die hatte ihn geschickt heißgemacht, indem sie ihm angeboten hatte, ihn zu malen. Bronski musste sich ein Lachen verkneifen, er verschluckte sich fast. Das war ja ein ganz raffinierter Trick, aber einverstanden, jeder hatte so seine Mittel, um zum Ziel zu kommen, und keines war schäbig genug, um nicht doch erfolgreich zu sein. Was wollte die Dicke an Berner bloß malen? Den Schlaf der Vernunft, der die Ungeheuer gebiert?

Nun bedankte sich Berner auch noch bei Bronski für den heißen Tipp und da verschlug es Bronski fast die Pisse! Wenn Berner immer so leichtgläubig war, war klar, wie er es zu seinem Amt gebracht hatte. So einen wie Berner konnten die Schieber im Hintergrund für ihre Geschäfte gut gebrauchen. Leutselig und hilfsbedürftig, Berner war die ideale Besetzung.

Bronski hatte jetzt plötzlich seine tollkühne Leichtigkeit und Heiterkeit wieder, jetzt würde er die Kleine hinter der Theke einfach überrennen, er hatte ja einen glänzenden Vorwand, er musste sich bedanken, für das blöde Portemonnaie.

Bronski trat vor den Spiegel, um sich noch einmal anzuschauen. Er sah einen Mann mit vollem Haar und grauen Schläfen, buschigen Augenbrauen, markanten Sorgenfalten und stahlblauen Augen. Einen Mann, der wahlweise ein melancholisches Lächeln, das um das Elend dieser Welt wusste, oder ein sarkastisches Grinsen, das wusste, wie man dem Elend dieser Welt zu begegnen hatte, aufsetzen konnte.

Bronski sah durch sich hindurch, durch diesen Mann im Spiegel, der er wohl in Wirklichkeit nicht war. Der Mann im Spiegel, der Vertrauen erweckend, erfahren, lebendig, vielleicht verrückt, aber auf keinen Fall langweilig wirkte, war eine gute Mischung. Noch viril, aber schon erfahren. Schon müde, aber noch voller Träume. Geheimnisvoll, aber ungefährlich. Liebesbedürftig, stark, sanft und einsam.

Bronski war mit der Maske, die er da im Spiegel sah, zufrieden.

Berner war mit seiner Vernebelung nun fertig, er behandelte jetzt einen Pickel auf seinem Kinn und schwitzte vor Vorfreude. Wie er denn wohl die Malerin knacken könnte, wollte er von Bronski noch wissen. Und dem fiel nichts Besseres ein als ein alter Kalauer.

»Lass sie kommen!«

Und richtig, Berner hatte auch diesen Witz nicht verstanden und bedankte sich schon wieder.

Bronski murmelte etwas von Selbstverständlichkeit und hatte es plötzlich eilig.

Er straffte sich und ging hinaus, schnurstracks auf die Theke zu. Die Galerie war immer noch voll, aber die Theke leer! In seinem dämlichen Übereifer hatte Bronski diese Variante gar nicht in Erwägung gezogen: Die Namenlose war weg!

Und Bronski stand jetzt hier herum und konnte nicht einfach umdrehen. Wie um sein Unglück zu steigern, kam jetzt der junge Mann mit der fettigen Strähne im Gesicht auf ihn zu, grinste ihn an und wartete auf Bronskis Bestellung. Bronski schwieg einen Moment verdattert, und als ob der Jüngling Bronskis Gedanken lesen könne, wurde dessen Grinsen noch breiter. War das Schadenfreude? Bronski hätte ihm in die Fresse schlagen können, bestellte aber stattdessen ein Glas Sekt. Sekt, den er nicht ausstehen konnte. Ging denn heute alles schief?

Bronski wollte es nun nur noch zu Ende bringen, und egal, was der Jüngling von ihm dachte, unter dem Vorwand, sich bedanken zu wollen, fragte Bronski nach der Namenlosen. Der Jüngling grinste wieder und Bronski nahm zu dessen Gunsten an, dass es nur Hilflosigkeit war, dann überlegte der Tölpel einen Moment, dann blies er sich die Fettsträhne aus der Stirn, und dann zuckte er mit den Schultern. Er kannte sie nicht. Sie waren alle nur Aushilfskräfte hier. Das Mädchen war gegangen. Sie hieß Marie, oder so.

Bronski fasste es nicht. Diese Fettlocke da hatte den ganzen Abend neben diesem Traum von einer Frau gestanden und sich nicht für sie interessiert? Wie blöd oder schwul musste man denn sein, um sich so etwas entgehen zu lassen?

Marie. Das war nun alles.

Bronski ließ den Sekt stehen. Jetzt brauchte er Whisky. Jetzt war wieder alles in Ordnung. Er hatte zwar eine Chance verpasst, aber er hatte eine Spur.

Zum Abschluss hatte Bronski noch Lust, den Knaben hinter der Theke zu beleidigen, ließ es dann aber sein. Da ohnehin nichts mehr zu verlieren war, fragte er ihn lieber nach dem Namen der Agentur, die sie vermittelt hatte. Und gerade, als der Typ wieder hämisch grinsen wollte, fiel Bronski ein wunderbarer Satz zum Abschied ein.

»Junger Freund, wenn Sie wieder grinsen, haue ich Ihnen in die Fresse!«

Der Typ erstarrte, nannte den Namen der Agentur und widmete sich seinen Gläsern. Nun musste Bronski grinsen, diese jungen Zärtlinge waren leicht zu beeindrucken. Bronski fühlte sich großartig und trat hinaus in die Nacht.

Dort stand die Malerin und telefonierte wahrscheinlich mit ihrer besten Freundin.

Bronski folgte einer Eingebung, umfasste die füllige Künstlerin und küsste sie zärtlich in den Nacken. Die ließ verdutzt das Telefon sinken, welches Bronski nun ausschaltete.

»Oder wollten Sie die Nacht lieber mit Berner verbringen?«

Die Künstlerin lachte selig und schüttelte mit dem Kopf.

Armer Berner, nun hatte er sich den Pickel umsonst ausgedrückt.

Die Nacht mit der Künstlerin, sie hieß Brunhild, nannte sich aber seit Jahren Squaw Brunhild Myriander, war schwitzig und leidenschaftlich verlaufen. Bronski hatte sie, die es kaum erwarten konnte, mit seiner Langsamkeit förmlich gefoltert. Das hatte ihr einige Höhepunkte verschafft und sie hatte sich als dankbar erwiesen. Es war nichts Exotisches gewesen. Aber es war auch nicht schlecht. Es war wie Kassler mit Sauerkraut, verlässlich und nahrhaft. Zunächst waren Berners Bemühungen ein Quell schier unerschöpflichen Vergnügens gewesen. Die gemeinsame Schadenfreude brachte Bronski und die Malerin schnell einander näher.

Es war schon erstaunlich, wie lustvoll Squaw Brunhild den guten alten Berner, mit dem sie ja bis zu Bronskis Attacke offensichtlich bereit war sich zweckgebunden zu vermengen, der Lächerlichkeit preisgab. Sie spürte wahrscheinlich einfach, welchen Spaß es Bronski bereitete, sich die Details von Berners Liebeswerben schildern zu lassen. Vielleicht war es aber auch nur so, dass sich diese Squaw Brunhild keine Illusionen mehr über ihre Chancen machte. Sie nahm einfach, was sie kriegen konnte, und ein Mann wie Berner war immer noch besser als gar keine Eroberung, aber ein Mann wie Bronski war dann wieder besser als einer wie Berner. Also verriet sie den sofort und ohne zu zögern. Immer wieder war Bronski erstaunt, wozu Frauen fähig waren.

Squaw Brunhild hatte offensichtlich ein realistisches Bild von sich. Das unterschied sie von vielen anderen Frauen und sollte den Umgang mit ihr angenehm machen.

Denn Bronski würde eine Weile ihr Verhältnis bleiben.

Aus unerklärlichen Gründen hatte er sie nämlich danach ins Vertrauen gezogen. Eigentlich ein Anfängerfehler. Doch sie hatte sich klug verhalten. Sie war weder beleidigt noch empört gewesen, als Bronski sie nach Marie gefragt hatte. Sie hatte nur obszön über Bronski gelacht. Das gefiel ihm.

Wie selbstverständlich war er einfach davon ausgegangen, dass sich Squaw Brunhild keine ernsthaften Hoffnungen machen würde und mit ihrer Rolle als Bronskis Vertraute glücklich zu werden versprach. Und er behielt anscheinend Recht.

Bronski und Squaw Brunhild waren direkt von der Galerie in das Haus der Künstlerin gefahren. Es lag am Rande der Stadt und wirkte etwas heruntergekommen. Sie war gefahren und Bronski hatte noch an einer Tankstelle für sie beide eine Flasche Whisky gekauft.

Squaw Brunhild hatte sich einen alten Bauernhof ausgebaut. Nun lebte sie mit ihren zwei riesigen Hunden in einem der Dörfer, die sich die Stadt in den letzten Jahrzehnten einverleibt hatte und die jetzt ein Mittelding zwischen Vorort und Kaff waren. Als sie ankamen, weckten die Hunde das ganze Dorf auf.

Squaw Brunhild brannte nun derartig, dass sie fast das Füttern der Hunde vergaß und Bronski, kaum dass sie im Katen waren, an die Hose ging. Sie wollte es schnell und sofort, und Bronski war erstaunt, wie viel Kraft diese Frau hatte. Ihr Griff glich einem Schraubstock und als die wilde Squaw Bronski dann im Nacken berührte, spürte er die geradezu erregende Rauheit ihrer Hände.

Später, als sie im Atelier auf dem riesigen Holztisch zur eigentlichen Sache kamen, entdeckte Bronski die Steinplastiken, auf die Squaw Brunhild täglich einschlug, und verstand, dass er es mit einer wirklichen Handwerkerin zu tun hatte. Diese Frau hatte den Körper eines Bauarbeiters, mit großen festen Brüsten, deren braune Nippel von enormer Länge und Härte waren.

Das Leinenkleid, dachte er, als sie es sich vom Leib riss, war offensichtlich Tarnung. Es hatte sie viel weicher erscheinen lassen.

In Wirklichkeit hatte Bronski jetzt eher das Gefühl, dass ihn eine Ringerin begehrte, und diese ungeahnte massive Körperlichkeit machte Bronski, der sich doch nun wirklich nichts aus Männern machte, überraschend geil. Squaw Brunhild, deren Muskeln wie gemeißelt waren, war vermutlich in jeder Hinsicht das Gegenteil der Thekennymphe. Sie war derb, hart und direkt, und als es ihr kam, trieb sie Bronski mit derartigen Schlägen an, dass er fürchtete, sichtbare Spuren davonzutragen. Bronski kam sich angesichts dieser selbstbewussten Kraft regelrecht geborgen vor. Und das erregte ihn noch mehr. Mühsam beherrschte er sich immer wieder kurz vor dem Höhepunkt und trieb so mit sich sein Lieblingsspiel der sich selbst verweigernden Erfüllung.

Squaw Brunhild, die an der Härte seines Schwanzes sofort spürte, wo er gerade mit sich war, belegte ihn deshalb mit derben Flüchen und lachte aus tiefster Seele.

Bronski war einen Moment lang sehr glücklich. Squaw Brunhild war also ein Kumpel, den man gut ficken konnte. Wer hätte das gedacht? Vielleicht war sie ja bisexuell und deshalb so gut darauf trainiert, auch den anderen zu steuern? Nur gut, dass ihr Ateliertisch aus massiver Pinie war. Sie hatte ihn sich selbst gezimmert und turnte bestimmt nicht das erste Mal auf ihm herum.

Eigentlich hatte Squaw Brunhild mit Bronski ins Bett gewollt, aber ihm war das fremde Schlafzimmer immer ein zu intimer Ort für das erste Zusammentreffen. Man kam den Frauen dort gleich zu nahe. Man lernte womöglich ihre Haarbürsten und Teddybären, ihre Familienfotos und Bademäntel kennen. Und das mochte Bronski ganz entschieden nicht. Nein, ihn hatte es zur Kunst gezogen, in die zum Atelier ausgebaute Scheune.

Dort hatte es dann angenehm nach Terpentin gerochen, und wieder hatte Squaw Brunhild es eilig gehabt. Gelegentlich, wenn die Umstände es erforderten, mochte Bronski dieses rasende Tempo zwar auch, aber diesmal, das flüsterte er ihr ins Ohr, um sie einzustimmen, hatte er wirklich anderes vor. Squaw Brunhild war danach, sie würde nicht ermüden, im Gegenteil.

Da Bronski es liebte, wie ein Künstler über die Choreographie eines guten Ficks vorher zu reden, teilte er Squaw Brunhild, während er ihre Kunst bestaunte, seelenruhig mit, dass er sie auf dem Tisch liegen haben wollte, um dabei, mit einer satten Erektion zwischen ihren Schenkeln stehend, genüsslich Whisky trinken zu können.

Die Squaw hatte daraufhin, während sie sich völlig schamlos auszog, nur breit gegrinst und mit einer Handbewegung alles vom Tisch gefegt, was dort störend herumlag.

Dann hatte sie noch, während sie ein Schafsfell auf dem Tisch ausbreitete, festgelegt, dass Bronski sie dann gefälligst auch dort küssen müsse, wo sie es brauchte, und dass er sie ganz langsam zu stoßen hätte, um sie bitte so richtig wahnsinnig zu machen. Eine Stunde lang, oder zwei?

Bronski hatte da anerkennend genickt. So war es ihm recht.

Und so war es dann auch gekommen. Squaw Brunhild war wirklich eine Entdeckung. Sie begriff alles sehr schnell und entfaltete einen erstaunlichen Humor. Als sie zum Beispiel mit ihren Schraubstockhänden wieder einmal Bronskis Eier umschloss, um ihn erneut in Schwung zu bringen, zwang sie ihn zuzugeben, dass er gerade seine Frau mit ihr betrog. Nun, das ließ sich nicht leugnen, aber warum wollte sie das hören? War sie eine Schwester im Geiste, oder war das ihr Triumph? Egal, Bronski tat ihr den Gefallen gern.

Und während er Squaw Brunhild abschließend so antrieb, dass schließlich die Hunde auf dem Hof den Mond anjaulten, dachte er daran, dass er sich noch vor vier Stunden sicher gewesen war, dass diese Künstlerin für ihn als Beute nicht in Frage käme. Und nun erlebte er hier so eine angenehme Nacht, ja er gewann geradezu eine Verbündete, eine Freundin.

Wie voreingenommen man doch manchmal war, wie dumm und nichtsahnend.

Aber genau das schätzte Bronski an seiner Passion, man lernte wirklich nie aus. Welche andere Leidenschaft konnte da mithalten?

Bronskis Ausmaße und seine Ausdauer beeindruckten die Künstlerin gleichermaßen, wie auch Bronski seinerseits von der Energie der Malerin, deren erregter und blond behaarter Körper schon bald mit einer sanften Schweißschicht überzogen war, angetan war.

Irgendwann aber waren sie beide dann doch zum gemütlichen Teil übergegangen. Und da war es Bronski widerfahren, Squaw Brunhild nach Marie zu fragen. Und seltsam, aber hilfreich, sie würde sich erkundigen, er müsse nur wiederkommen und den Rest der Flasche, er wisse schon, was sie damit meine, mit ihr leeren. Das versprach ihr Bronski gern.

»Du Armer, die ganze Nacht mit Berner? Übrigens fehlt dir wirklich ein Knopf.«

Ingeborg, bereits auf dem Weg in die Schule, lächelte arglos, als Bronski müde aus seinem Arbeitszimmer, in dem er noch zwei Stunden geschlafen hatte, auf den Flur trat. Lächelte sie wirklich arglos?

»Ich kann mit seiner Förderung Senator werden.«

»Toll.«

Und schon war Ingeborg zur Tür hinaus. So hatte es sich eingependelt zwischen ihnen. Die Morgenstunde gehörte in der Woche jedem von ihnen allein. Ingeborg eilte in ihre Schule, um tapfer einen Haufen desinteressierter Pubertierender auf ein Berufsleben vorzubereiten, das für viele von ihnen nie stattfinden würde, und Bronski konnte in Ruhe frühstücken. Das liebte er immer sehr, aber an diesem Morgen besonders. Denn Bronski taten sämtliche Knochen weh. Squaw Brunhild hatte ihn richtig rangenommen, er würde sich das erst einmal im Badspiegel anschauen müssen.

Das Bad jedoch war verschlossen. Von innen. Seine Tochter Vanessa? Aber wieso war die noch zu Hause? Waren denn schon wieder Ferien? War sie krank? Da öffnete sich die Tür und gemeinsam mit Vanessa, die ihren Vater, wie seit Wochen schon, keines Blickes würdigte, trat ein junger Mann in Bronskis noch arg verschwommenes Blickfeld.

Allein die Tatsache, dass sich jemand in Bronskis Haus befand, ohne dass er dazu befragt worden war, machte ihn wahnsinnig. Und Bronski sah, da er nun ohnehin als der dämliche Arsch im Schlafanzug auf dem Flur herumstand, deshalb auch keine Veranlassung zur Freundlichkeit mehr.

»Guten Morgen, wohnen Sie auch hier?«

Der junge Mann war sichtlich überfordert, was Bronski schon wieder amüsierte. Mit Zynismus, das hatte Bronski gelernt, kam diese Generation nicht klar, da erwischte man sie immer kalt. Seine Tochter aber erwies sich als ausgeschlafen.

»Robert hat hier übernachtet. Im Gegensatz zu dir.«

Mit diesen Worten ließ sie ihn einfach stehen, nur der junge Mann, er hieß also Robert, grinste noch hilflos. Bronski verschwand im Bad, ohne sich lange über den offensichtlichen Vorwurf, der aus der Antwort seiner Tochter herauszuhören war, Gedanken zu machen. Das war er mittlerweile gewohnt. Vanessa, mit ihren romantischen Vorstellungen vom Leben, konnte der Ehe ihrer Eltern nichts abgewinnen, aber aus einem Gefühl heraus, das ihr offensichtlich guttat, hatte sie die Partei ihrer Mutter ergriffen. Bronski stellte sich manchmal einen Moment lang vor, was in dieser selbstgerechten Göre zusammenbrechen würde, wenn sie auch nur die halbe Wahrheit von dem erführe, was er trieb. Vielleicht sollte er ja seinem Töchterchen eines Tages diese freudige Überraschung bereiten? Natürlich nur, um sie zu schützen. Bevor sie ihr Mann ihr irgendwann bereiten würde, diese böse Überraschung mit der sogenannten Untreue. Ihr Mann, den Vanessa sicher, engstirnig wie sie war, von früh bis spät kontrollieren würde. Damit er sie, und zwar nur sie, liebte. Der Kerl tat Bronski jetzt schon leid. Vielleicht sollte er ihn ja warnen? Vor der eigenen Tochter.

Manchmal schmerzte es ihn, dass ihm seine große Tochter so fremd war, aber dann sagte er sich, dass es auch an ihr war, ihn zu verstehen. So, wie sie es ihrerseits ausdauernd verlangte, dass er sich ständig um ihre lächerlichen Sorgen zu kümmern hätte.

Außerdem hatte er ja noch Helena, seinen Sonnenschein, auf die er alle Hoffnungen setzte. Helena, die erst fünf war, und gerade mit ihrer Oma Marianne, Bronskis verblödeter Mutter, am Meer weilte. Helena war Bronskis Zugeständnis an Ingeborgs Traum von der richtigen Familie gewesen und hatte wirklich allein durch ihr Dasein Bronskis merkwürdige Ehe gerettet. Eigentlich liebte Bronski niemand auf Erden so vollkommen wie sein kleines Töchterchen. Die das offenbar spürte und es ihm zurückgab. Was Ingeborg gelegentlich verstimmte und Vanessa, diesen puritanischen Drachen, eifersüchtig machte.

Aber wie hatte doch sein Vater Herbert noch auf dem Sterbebett mit einem Blick auf seine Frau Marianne geflüstert?

»Familie mein Junge«, hatte er gestöhnt, »Familie kann man sich nicht aussuchen. Das ist eine Prüfung Gottes!«

Und Bronskis Vater wusste, wovon er sprach. Er war irgendwann als unschuldiger junger Mann durch eine Unachtsamkeit unter Bronskis Mutter geraten und dort dreiunddreißig Jahre lang verblieben. Erst Jahre nach Herberts Tod hatte Bronskis Mutter ihrem Sohne, in dem ihr eigenen Ton tiefster moralischer Entrüstung, mitgeteilt, dass Bronskis Vater ein notorischer Fremdgänger gewesen war. Das hatte Bronski enorm beruhigt. So hatte sein Vater also doch nicht allzu sehr unter Mutter Marianne gelitten. Dummerweise hatte Bronski das seiner Mutter damals auch genauso gesagt, was ihr Verhältnis endgültig tiefgefroren hatte.

Bronski schloss vorsichtshalber die Tür ab, ließ das Wasser in die Badewanne einlaufen und klappte die Flügel des Badspiegels so auf, dass er sich auch von hinten sehen konnte. An dieser Konstruktion hatte er aus gutem Grund lange herumgebastelt, denn so manches Mal war es dringend geboten, nach einer erfolgreichen Pirsch eine gründliche Begutachtung des eingesetzten Materials vorzunehmen.

Diesmal aber war seine Sorge unbegründet. Squaw Brunhild war ein Profi, sie hatte ihn nicht zerkratzt. Sie kannte sich mit verheirateten Männern aus.

In der heißen Wanne dann, Bronski vernahm in den Morgennachrichten gerade beruhigt die erneut steigende Zahl der aktuellen Arbeitslosen, die seine Existenz garantierten, versuchte er so etwas wie einen Plan zu entwickeln.

Squaw Brunhild würde mit Sicherheit diskret herauskriegen, wer diese Marie war. So wie die Squaw auf Bronskis Frage reagiert hatte, und so wie Bronski ihre Veranlagung einschätzte, war sie vielleicht selber scharf auf die Kindfrau. Für einen Moment, während er heißes Wasser nachlaufen ließ, stellte sich Bronski sogar vor, wie es wäre, sich dann zu dritt zu vergnügen. Was ihn sofort heftig erregte. Ein größerer Kontrast als der zwischen Squaw Brunhild und dieser Marie ließ sich nicht denken. Das versprach alles sehr spannend zu werden.

Squaw Brunhild würde die Kleine finden und sie und Bronski zu einem Atelierfest einladen. Der Rest lag in Gottes Hand, so wie jetzt Bronskis sich aufrichtender Schwanz in Bronskis Hand lag. Die mechanisch begann, ihn zu massieren.

Die Stimme seiner Tochter auf dem Flur ließ jedoch Bronskis Lust umgehend ersterben. Selbst das brachte dieses Kind schon fertig, dass er unbefriedigt aus der Wanne stieg.

»Auf dem Küchentisch liegt ein Brief für dich!«

Dann knallte die Haustür, Bronski war nun allein.

Ein Brief? Was für ein Brief?

Bronski fand ihn neben dem Toaster, er war von seiner Tochter an ihn. Bronski frühstückte schneller als üblich, verzichtete auf die Morgenzeitung, steckte den Brief ungeöffnet ein, nahm die U-Bahn wie immer und eilte in die Anstalt.

In die Anstalt, die er für sich immer nur die Große Anstalt zur Lösung des unlösbaren Problems nannte.

Hier arbeitete er seit dreizehn Jahren und die Lage hatte sich trotz kurzer Zwischenhochs unaufhaltsam verschlechtert, wobei es Bronski dabei immer besser ging. Obwohl er keinen Eifer zeigte. Aber gerade das hatte ihm Sicherheit gebracht, denn es hatte seine Karriere immer wieder rechtzeitig ausgebremst und ihn davor bewahrt, bei irgendwelchen Wechseln an der Spitze mit ausgetauscht zu werden. Bronski war ein leitender Beamter, meinungslos und unauffällig, das reichte ihm. Außerdem hatte seine Tätigkeit den für ihn unschätzbaren Vorteil, dass er häufig auf Reisen war.

Die Sitzung, in die Bronski gleich geraten war, war eine von denen, die lange gehen würden, ohne ein Resultat zu zeigen. Heute stellte sich der Neue Mann vor. Es war für Bronski der nunmehr fünfte Neue Mann an der Spitze der Anstalt. Die Zeiten waren hektischer geworden.

Bronski fragte sich auch dieses Mal wieder, woher man nur all diese dämlichen Männer nahm, deren Ehrgeiz sie so blind werden ließ, dass sie sich diesen Job antaten. Wer auch nur einigermaßen klar denken konnte, musste doch, genau wie Bronski, nüchtern realisieren, dass die Anstalt zur Lösung des Problems, welches ihre Existenz rechtfertigte, nicht geeignet war. Sie löste das Problem nicht, sie verwaltete es nur, ja teilweise schuf sie es täglich neu. Aber vielleicht war das ja ihr eigentlicher Sinn?

Im Kleinen löste die Anstalt für Bronski und all die anderen Aktenträger und Konzepteschreiber nämlich das Problem, indem sie intern Arbeit schuf, die extern keine Arbeit schuf. Bronski hatte es längst aufgegeben, mit einem der Kollegen über diese wirre Mechanik der Anstalt zu reden. Er galt als snobistischer Außenseiter, der jedoch dumpf genug war, zuverlässig zu sein. Da es Bronski längere Zeit schon völlig egal war, was man hier über ihn dachte, widersprach er nie.

Der Neue war einer der Typen, die einem Angst machen konnten. Kalt, glatt, intelligent, ehrgeizig, aber vermutlich leider nicht zynisch, sondern voller Hoffnung. Die er aber vielleicht auch nur vortäuschte. Egal, er würde scheitern wie alle vor ihm. Aber auch für ihn würden die Jahre in der Anstalt einen Karrieresprung mit sich bringen. Das war ihm wohl klar. Deshalb nahm er es auf sich, die Nation mit der immer schlechter werdenden Zahl zu beglücken.

Bronski begutachtete gelangweilt seine Kollegen, aber in dieser Männerrunde war absolut nichts Lebendiges zu entdecken.

Der Neue war da, und alle spielten die Märchenoper vom operativen Rausch. Einige, wie Fassmann zum Beispiel, waren sogar so dumm, diesen Aktionismus nicht nur zu spielen, sondern ihn wirklich ganz tief innen zu empfinden.

Bronski langweilte sich, was man ihm natürlich nicht ansah. Er wurde gerade dem Neuen persönlich vorgestellt, dann aber war das kurze Interesse an ihm auch schon wieder erloschen und ihm fiel der Brief seiner Tochter ein.

Unauffällig holte er ihn aus seiner Aktentasche, legte ihn zwischen die Memos und las. Fassungslos. Seine Tochter wollte ihn schlichtweg erpressen! Das überraschte selbst Bronski, weshalb er eine an ihn gestellte Frage glatt überhörte.

Fassmann, dieser Idiot, antwortete schnell statt seiner. Aber da er sich in den Zahlen vertat, bot der arme Trottel Bronski nun auch noch die Chance, ihn zu korrigieren. Was nun wiederum Bronski in tollem Licht erscheinen ließ. Bronski bemerkte diese plötzliche Wertschätzung dadurch, dass der Neue Mann seine persönliche Referentin leise nach Bronski befragte. Überhaupt die Referentin! Die hatte Bronski ja völlig übersehen. Oder war sie eben erst hereingekommen? Während ihn der Brief seiner Tochter verwirrt hatte.

Was wollte nun sein Kind eigentlich von ihm?

Bronski las den Brief noch einmal und schüttelte unmerklich den Kopf, was wiederum nicht so günstig war, weil alle gerade devot über einen souveränen Scherz des Neuen Mannes lachten. Bronski nannte diese Art von Witzen so. Er hatte sich nämlich eigene Kategorien geschaffen, um das Verhalten der mächtigen Ansager zu erniedrigen. Der souveräne Scherz war eine der typischen Angewohnheiten dieser Typen. Er beruhte darauf, Wissen durchgucken zu lassen, welches nur die wirklichen Teilhaber der Macht besaßen, und mit diesem Hintergrundwissen dann schadenfrohe Scherze auf Kosten der Nichtteilhaber zu machen.

Der Neue Mann war jedoch auch ein wacher Mann. Er hatte Bronskis Kopfschütteln über das Ultimatum seiner Tochter bemerkt und deutete es prompt als Nichtübereinstimmung mit der Zielrichtung seines souveränen Scherzes. Da er als trainierter Platzhirsch offensichtlich nicht gewillt war, auch nur die kleinste Abweichung zu dulden, stellte er Bronski zur Rede. Nur im Scherz natürlich, nur im Scherz.

Bronski hasste es, solchermaßen im Rampenlicht zu stehen, aber jahrelanges Training hatte ihn trotz der Verärgerung, die der Brief seiner Tochter bei ihm hervorrief, automatisch mithören lassen.

Der Neue Mann hatte durchblicken lassen, wie die neue Nummer Eins, der Mann ganz oben, die Arbeit des vorigen Anstaltsleiters einschätzte, und Bronski war klar, jede Bemerkung darüber würde ihn auf glattes Eis führen.

Die Stille war enorm, und alle diese Deppen starrten nun interessiert zu ihm hin. War hier vielleicht einer der Ihren dabei, an der falschen Stelle Solidarität zu zeigen? Wollte sich Bronski mit dem Vorgänger des Neuen Mannes, der nun natürlich eine Unperson war, etwa verbrüdern?

Aber so dämlich war Bronski nicht. Er ließ Zeit vergehen, einer seiner beliebtesten Tricks, der ihn souverän wirken ließ. Und als ihn die Persönliche des Neuen Mannes dann fast mitleidig anlächelte, hatte Bronski die Lösung:

Er würde einen souveränen Scherz machen.

»Wissen Sie, ich habe gerade den Kopf über mich geschüttelt. Darüber, dass ich Sie noch nicht gefragt habe, wer die reizende Dame an Ihrer Seite eigentlich ist.«

Nun wurde allgemein befreit gelacht, selbst der Neue Mann war überrascht und setzte eine Maske auf, die bei ihm vermutlich joviales Lachen hieß.

Am meisten aber hatte Bronski bei der Persönlichen gepunktet. Die lachte nämlich nicht, sondern starrte überrascht zu Bronski hinüber. Mit einem amüsierten Blick, der nur Gutes verhieß. Wie auch immer sich das Schicksal für Bronski unter dem Neuen Mann wenden sollte, er hatte jetzt eine Verbündete.

Ob seine Tochter wohl ahnte, was sie mit ihrem blöden Brief für wunderbare Wirkungen hervorrief? Sicher nicht.

Denn Vanessa wollte tatsächlich, dass Bronski sich zu seinen Sünden bekannte. Vanessa, dieser Robespierre der Moral, verlangte von Bronski, der immerhin ihr Vater war, allen Ernstes, dass er Ingeborg all seine Sünden beichten müsse. Sonst würde Vanessa es tun. Sie hatte nämlich durch Zufall eine seiner Ex-Geliebten aufgetan. Als Trainerin, im Fitnessstudio, und die hatte dummerweise geplaudert. Bronski erinnerte sich: Simone, eine ehemalige Tänzerin, sein »Pinguin«. Simone, geschieden, kinderlos, aber voll sehniger Gier, war sein voriger Oktober gewesen. Der Oktober, mehr nicht, und nun hetzte sie Bronskis Tochter gegen ihren Vater auf.

Die Welt war voller Probleme.

Doch als die Persönliche des Neuen Mannes Bronski am Ende der Sitzung mit einem langen Blick aus ihren rehbraunen Augen bedachte und er gekonnt scheu zu Boden blickte, fand Bronski die Welt schon nicht mehr so schlimm.

Er würde sich diese Simone greifen und seiner Tochter gehörig den Arsch versohlen.

Aber zunächst würde er das Klassentreffen sausen lassen und zur Squaw pilgern.

Der Neue Mann fasste sich erstaunlich kurz und mitten in Bronskis Gedanken hinein kam das überraschende Ende der Sitzung.

»Alles über zwei Stunden ist Jahrmarkt der Eitelkeiten. Dafür werden wir keine Zeit mehr haben!«

Da war er wieder, der forsche Aktionismus dieser Herren mit gegeltem Haar und dezenter Hornbrille.

Man zog ab, in die heilige Mittagspause.

Bronski hasste die Kantine. Wahrscheinlich, weil sein Auftauchen hier ihm schmerzlich bewusst machte, dass auch er nur einer aus dem Heer der farblosen Angestellten war. Seit Jahren hatte er es sich deshalb zur Gewohnheit gemacht, über Mittag dem Betonleib der Anstalt zu entfliehen, um in einem Bistro am Dom für eine halbe Stunde zu vergessen, dass er eine zwar langweilige, aber gesicherte Existenz führte.

Das Bistro war eine der Inseln, die sein Leben durchzogen. Seit Jahren führte es eine nicht naturblonde ehemalige Schönheitskönigin mit ihrer Tochter. Bronski war in beiden Schößen zu Gast gewesen und genoss es immer wieder, dass sowohl Mutter als auch Tochter dies offensichtlich als ihr Geheimnis voreinander bewahrten. Wenn er auf seinem Stammplatz, einem Barhocker am Fenster, Platz nahm, spürte er förmlich die Spannung zwischen ihnen dreien.

Heute aber würde Bronski sich die Kantine antun. Er wollte sehen, wie das Auftauchen des neuen Fuchses den Hühnerhof beschäftigte. Dafür nahm er Wahlessen und Nachspeise, Kaffeeautomat und Raucherecke, hässliche Blattpflanzen und ebenso langweilige Sachbearbeiterinnen im Dutzend in Kauf.

Außerdem interessierte ihn die Frage, ob der Neue Mann sich unter das Volk mischen würde. Bei den Chefs, und Bronski hatte wie gesagt mehrere kommen und scheitern sehen, unterschied er nur nach zwei Kategorien. Es gab die Kantinenesser und es gab die Büroesser.

Bei den Frauen, und auch da hatte Bronski inzwischen ja mehrere näher kennengelernt, hatte es länger gedauert, zu solch einer einfach zu handhabenden Systematisierung zu gelangen. Aber schließlich war es ihm gelungen.

Auch hier gab es nur zwei Gruppen, die Rucksackfrauen und die Anderen. Die also, die niemals einen Rucksack tragen würden. Alles andere, was noch zu sagen war, leitete sich für ihn davon her. Die Art zu denken, zu essen, zu lachen, zu rauchen, zu laufen oder zu ficken, einfach alles. Rucksack, oder nicht? Das war die alles entscheidende Frage.

Natürlich interessierten Bronski, von gelegentlichen Ausrutschern abgesehen, nur die Anderen. Die, die kleine Taschen trugen, oder Aktenkoffer. Frauen also, deren Eleganz, Stil und Rasse ihn anmachten. Frauen, die eher kühl wirkten, um dann in ungeahnt animalischer Wucht zu explodieren. Frauen, die genau wussten, wie es aussah, wenn sie schritten und nicht latschten. Frauen, die Damen waren und die darüber nachdachten, wie sie, passend zur Farbe ihrer Haare, zu riechen hatten. Frauen, nein Vollblutweiber, die sich scheinbar immer unter Kontrolle hatten. Die waren seine Welt und die Welt war, wenn man nur genauer hinsah, voll davon.

Unnötig zu sagen, dass Ingeborg seit einigen Jahren, seitdem sie krampfhaft versuchte jünger zu wirken, einen modischen Rucksack trug. Aus Wildleder! Und Turnschuhe! Turnschuhe, die so teuer waren wie italienische Pumps, aber aussahen wie Gesundheitsschuhe.

Bronski hatte natürlich auch nie mit seiner Gattin über diese Dinge geredet. Wie auch? Und warum auch? Ingeborg hatte entschieden, was für ein Bild sie von sich geben wollte. Und sie hatte falsch entschieden. Wie immer.

Der Neue Mann war also ein Kantinenesser! Aber er inszenierte es als Auftritt mit Gefolge. Immerhin! Die Übung hieß: Der Neue Mann zeigt dem Fußvolk seine Instrumente.

Denn er kam mit seinen Beratern, einem Rudel junger Wölfe, die vor Souveränität nur so strotzen. Hochmütige Kerle in gut sitzenden Anzügen waren das. Sportlich, kostenbewusst und polyglott. Lauter smarte Unternehmensberater, die sich irgendwann als Unternehmensbestatter erweisen würden. Die Hohepriester des Geldes, die keine Verantwortung zu übernehmen hatten, sondern die nur interessierte, ob sich etwas rechnete.

Bronski amüsierte es, ihrem Ballett zuzuschauen. Denn da den König bekanntermaßen immer die Anderen spielen, konnte sich der Neue Mann in großer Bescheidenheit üben. Er stellte sich sogar an. Nein, wie sympathisch!

Kollege Fassmann, der einem zerstörten Menschen glich, da er ausdauernd an seiner Niederlage aus der Sitzung knabberte, merkte dies nun auch noch ehrlich anerkennend an, was Bronski fast den Suppenlöffel aus der Hand riss. Sein Bedarf an Schmierentheater war gedeckt und er beschloss, wenigstens noch auf einen Espresso in seinem Bistro vorbeizuschauen. Das war ja hier nicht auszuhalten, das stank ja derart nach Knechtseligkeit, dass es Bronski würgte. Und ohne Fassmann eines tröstenden Kommentars zu würdigen, erhob sich Bronski. Als stillen Protest ließ er seinen noch vollen Teller einfach stehen und eilte davon. Nur raus hier!

Genau in der Tür, da wo die Kantine in das geschmacklose Marmorfoyer überging, lief Bronski dann fast die Persönliche des Neuen Mannes um, die angesichts der Schlange verbeamteter Hungerfälle einen angeekelten Eindruck machte.

Bronski lächelte sie kurz an, er würde sich zurückhalten, aber er gab ihr mit diesem Lächeln die Chance, ihn anzusprechen. Und sie tat es! Er hatte es nicht zu hoffen gewagt, aber sie tat es! Das würde vieles vereinfachen.

Bronski wurde sofort jagdwarm. Sein Instinkt sagte ihm, dass dies womöglich ein entscheidender Augenblick in seinem Leben sein könnte. Er vermochte noch nicht genau zu sagen, welche Wendung die Dinge nehmen würden, aber dass jetzt irgendetwas Folgenreiches geschah, war ihm tief in den Eingeweiden klar.

Die Persönliche seufzte und als sie sich Bronski zuwandte, roch er ihr Parfüm. Es passte, natürlich passte es! Wie alles an dieser Frau, die jetzt ganz die Ratlose mimte!

»Das ist ja ganz furchtbar. Kann man hier irgendwo anders hingehen?«

Besser, fand Bronski, hätte es nicht kommen können, er durfte es jetzt nur nicht durch Siegeszuversicht vermasseln. Und während er scheinbar nachdachte, nur ruhig, nur ruhig, warum war er plötzlich denn so nervös?, beobachtete er, wie die Persönliche in Richtung ihres Chefs schaute, und, wenn Bronski sich nicht völlig täuschte, huschte da ein kurzes verächtliches Lächeln um ihre Mundwinkel. Diese Frau fühlte sich dem Neuen Mann, den sie besser kannte als jede Andere, unendlich überlegen, aber sie kam nicht zum Zuge. Und das machte sie bitter.

Bronski tat beiläufig, er erwähnte sein Bistro, und statt einer Antwort drehte sich die Persönliche nur entschlossen auf dem Absatz um. Ihre kurze Geste bedeutete wohl Zustimmung.

Aus dem Augenwinkel bemerkte Bronski zu seiner Zufriedenheit noch, dass Kollege Fassmann die Szene beobachtet hatte. Fassman fiel fast Bronskis Suppenteller, den er natürlich wegräumte, aus der Hand.

Fassmann hatte es gesehen, damit war es Anstaltsthema: An ihrem ersten Tag ging die Persönliche des Neuen Mannes mit Bronski essen! Mit diesem Bronski, ausgerechnet! Da würde der verunsicherte Fassmann nun viel Beistand von anderen brauchen, das provozierte Neid, und genau das musste Bronski unbedingt berücksichtigen. Diese Frau war für Bronski also tabu, vorerst jedenfalls. So schwer ihm das auch fallen würde.

Denn, zugegeben, die Persönliche des Neuen Mannes passte in sein Beuteschema. Hundertprozentig sogar, geradezu nahtlos.

Aber, sie war eben auch die Persönliche des Neuen Mannes, und die durfte er nicht einfach überrennen. Der musste er das Gefühl geben, dass sie ihm alles beichten konnte. Denn nur dann war er ihrer sicher. Und nur wenn er ihrer sicher war, war er vor der möglichen Rache des Neuen Mannes, der es bestimmt nicht gerne sah, wenn ihm jemand Subalternes die Persönliche ausspannte, geschützt.

Bronski war froh, nicht viel reden zu müssen, denn die Persönliche telefonierte, während sie beide über den ewig windigen Vorplatz der Anstalt liefen. Jetzt erst bemerkte Bronski auch, dass die Persönliche größer war als er. Und zwar nicht nur unbedeutend, sondern deutlich. Wie hatte er das übersehen können? Was lief heute hier bei ihm durcheinander?

Und nur als eine böse Ahnung schoss es Bronski plötzlich durch das Rückenmark. Was bedeutete es eigentlich für ihn, wenn die Persönliche ihn, Bronski, erbeuten wollte? So absurd der Gedanke auch war, setzte er sich doch in Bronski fest und ließ ihn verkrampfen. Denn verhielt sich die Persönliche des Neuen Mannes nicht entsprechend, indem sie ihn demonstrativ erhöhte? War das nicht die Technik, die mächtige Männer sonst bei Frauen anwendeten: Erhöhung durch Beachtung? War Bronski hier schon Bestandteil eines Spiels, das nicht von ihm, sondern mit ihm gespielt wurde?

Diese Vorstellung, widersinnig und nahe liegend zugleich, lähmte Bronski derartig, dass er, im Bistro endlich angekommen, ganz unfreiwillig in die von ihm angedachte Rolle schlüpfte. Er hörte der Persönlichen einfach nur zu. Und irgendwann begriff er, dass dies genau das war, was ihr guttat. Er hatte sie richtig eingeschätzt. Sie hielt sich für so bedeutend, dass sie von sich reden musste. Einen Mann aber, der so gut zuhörte wie Bronski, solch einen Mann hatte sie lange nicht getroffen. Wie sollte sie auch ahnen, dass Bronski zunächst gelähmt und später dann schnell gelangweilt war? Er, der doch in seinen Gedanken längst schon wieder bei Marie war, oder genauer gesagt zunächst bei der Squaw, die ihm Marie besorgen würde. Nichtsdestotrotz, die Persönliche hatte nun endgültig einen Narren an Bronski gefressen. Sie hatte ihn ausgewählt und er hatte ihr zugehört. Mehr verlangte sie nicht von einem Mann. Es würde Bronski viel Kraft kosten, sich diese Narzisse auf Dauer so vom Leib zu halten, dass er sie nicht verärgerte, sondern von sich abhängig machte. Das war ihm nach der Mittagspause klar.

Denn ganz abwenden mochte sich Bronski von der selbstverliebten Rednerin dann doch nicht. Bei Licht besehen war diese Wiebke nämlich eine circa einsfünf- undachtzig große Mulattin, mit wunderbaren Beinen, einem knackigen Hintern und magischen Augen. Was immer ihr Vater als Botschafter in Brasilien sonst noch für den Weltfrieden bewirkt hatte, er hatte sich offensichtlich dabei gut mit der einheimischen Bevölkerung verstanden, und er hatte ein wunderschönes Kind gezeugt. Dem er leider einen blödsinnigen Namen verpasst hatte: Wiebke, Wiebke von Berg.

Ein solcher Schokoriegel fehlte Bronski noch in seiner Raupensammlung, das ließ ihn vieles übersehen.

Bronski hasste es, unangemeldet Besuch zu bekommen, und er hasste es fast noch mehr, wenn angemeldeter Besuch zu früh kam. Was Bronski verabscheute, mutete er auch anderen nicht zu. Deshalb hatte er sich selbstverständlich bei der Squaw angemeldet und wartete jetzt, da er eine Viertelstunde zu früh war, in seinem Auto. Einfach so in seinem Auto herumzusitzen, war auch eine seiner Inseln des heimlichen Glücks.

Besonders mochte er, wenn es dabei auch noch heftig regnete. Er kam sich dann wie ein Spion vor, der Verdächtige observierte. Es gab Abende, an denen er unter irgendeinem Vorwand von zu Hause wegfuhr, nur um dann Stunden vor dem immer belebten Hauptbahnhof zu verbringen, rauchend im Auto. Das, was er dann sah, war für ihn spannender als Kino: Da wurden ihm tränenreiche Abschiede geboten, oder das große Wiedersehen. Gelegentlich bevölkerten ratlose Heimkehrer die Szenerie, aber oft waren es einfach nur Lügen, die gezeigt wurden, nichts als Lügen.

Sein besonderer Liebling war jener Mann, der sich immer am ersten Sonntagabend eines Monats von seiner Familie zum Zug bringen ließ, um dann eine Stunde später mit einer rothaarigen Frau im Auto wegzufahren. Bronski war den beiden einmal sogar gefolgt, bis zu einer Finnhütte an einem See. Es hatte ihn köstlich amüsiert, das kleine Geheimnis der beiden Unbekannten zu teilen. Inständig hoffte er, dass der Mann so clever war, beiden Frauen etwas vorzuspielen. Der einen den Abschied und der anderen die Ankunft. Der Mann sah allerdings nicht danach aus. Es war wohl mehr der Klassiker mit ahnungsloser Frau und unglücklicher Geliebter, bei dem meist beide auf der Strecke blieben. Das Stück also, in dem auch Bronski gelegentlich auftreten musste.

Nach der Arbeit war Bronski noch kurz zu Hause gewesen, um für das Klassentreffen am Meer, welches er längst abgesagt hatte, den Koffer zu packen. Den lauernden Blicken seiner Tochter war er mit stoischem Gleichmut begegnet. Sollte die sich ruhig ein paar Tage mit der Frage herumquälen, ob er ihren Brief überhaupt gelesen hatte. Besonders stolz war er darauf, wie leicht es ihm fiel, nun, da sich seine Tochter klar als Gegnerin zu erkennen gegeben hatte, freundlich zu ihr zu sein. Im Beisein von Ingeborg folterte er Vanessa mit scheinbar interessierten Fragen nach dem jungen Mann, der neuerdings Bronskis Badezimmer verunreinigte. Dabei stellte er gleich noch fest, dass Ingeborg von der Existenz dieses Robert überhaupt nicht überrascht war, was ihn nun wiederum nicht überraschte.

Als Bronski dann auch noch anhob, seine Tochter auf eine angemessene Verhütung hinzuweisen, sah er den hilflosen Hass in ihren Augen, der ihm gut tat. Das hatte sie davon, dass sie ihren Vater zu erpressen versuchte. Er würde sie mit seiner Liebe und Fürsorge fertigmachen.

Ingeborg war über die heftige Reaktion Vanessas überrascht, woraus Bronski den beruhigenden Schluss zog, dass sie noch nichts von dem Brief wusste.

Bronskis Treiben

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