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ОглавлениеProlog: Bellatoris
Die Schriftsteller können nicht so schnell schreiben, wie die Regierungen Kriege machen; denn das Schreiben verlangt Denkarbeit.
Bertolt Brecht (1898 – 1956)
Ort: Großenhain, Wohnung des Chronisten
… wer auch immer diesen Krach veranstaltete, er klingelte brav an der Wohnungstür.
Ich blickte durch den Spion und sah … eine Uniform. Genauer gesagt, den Teil einer Uniform, der zwischen Bauchnabel und Brust lag. Der Besucher musste weit über zwei Meter groß sein.
Ich riss die Tür auf und stand Peta Avatar gegenüber. Der stand da, in Generalsuniform und in seiner üblichen Größe von Zweimeterzwanzig, und grinste.
Trotz seiner gewaltigen Größe, stieß er nicht mit dem Kopf an die Decke des Treppenhauses. Die schien ihm ängstlich auszuweichen. Kein Wunder. Petas Haut bestand aus irgendeiner Art flüssigem Metall. Davor hat selbst Stahlbeton Respekt.
Ich bat ihn herein und forderte ihn auf, sich zu setzen.
Er machte es sich auf meiner Couch bequem.
Die würde ihm nicht lange standhalten. Aber ich ignorierte das. In der Hoffnung auf eine neue Geschichte über Psyche.
Außerdem hatte ich sowieso vor, mein Wohnzimmer neu zu möblieren. In zehn Jahren etwa.
„Es wird Zeit, dass ich persönlich die Sache mit dir zu Ende bringe", knurrte er.
„Du willst die Sache mit mir zu Ende bringen? Das klingt nicht gut.“ Ich blieb lieber stehen. Dadurch war ich ein wenig größer als der vor mir sitzende Gott.
„Ist es auch nicht. Es hat mir überhaupt nicht gefallen, wie schlecht du meinen wunderbaren Krieg im letzten Buch dargestellt hast“, knurrte Peta weiter.
„Deinen wunderbaren Krieg? Wie können Kriege wunderbar sein?“, verstand ich den Gott des Krieges nicht.
„Genau diese Ignoranz habe ich zu tadeln“, grollte der. „Wo bleibt die Würdigung der vielen schönen Blitzkriege. In Polen. In Frankreich. Und vor allem: Wo die Beschreibung der Meisterhaftigkeit des sowjetischen Feldzuges? Den die Deutschen ziemlich schnell verloren haben. In nicht mal einem Jahr. Meisterhafter geht es kaum.“
„Im Computerspiel vielleicht. In deinen Kriegen sind Menschen gestorben. Richtige Menschen.“ Ich stand immer noch. Und ich klang viel tapferer, als ich mich fühlte.
„Aber nicht so viele, wie in eurem 2. Weltkrieg“, blaffte er zurück.
„Tot ist tot. Jeder Tote ist einer zu viel.“ Ich musste schnellstens aus dieser Trance raus. Ich war viel mutiger, als es für meine Gesundheit gut war.
„Menschen“, schnaubte Peta verächtlich. „Findest du nicht, du hast mich in deinem letzten Buch ziemlich unsympathisch erscheinen lassen?“
„Ich habe die Ereignisse so wiedergegeben, wie sie mir der schwarze Herzog erzählt hat“, verteidigte ich mich.
„Beim schwarzen Herzog kommt immer nur der schwarze Herzog gut weg. Das solltest du doch wissen“, hielt er mir vor.
„Stimmt nicht. Ich berichte neutral. Wenn du glaubst, mich einschüchtern zu können, verabschieden wir uns besser gleich. Du bist der Held meines Buches. Du kannst deinem Schöpfer nichts antun.“
Darauf lächelte er ein Lächeln, das ganze Armeen in die Flucht getrieben hätte. Ich folgte den fliehenden Soldaten nur deshalb nicht, weil ich viel zu sehr Schiss davor hatte, mich auch nur einen Schritt zu bewegen.
„Wie wäre es, wenn du diesmal mein Chronist bist und Psyches Geschichte nach den Fakten meines MindScripts erzählst?“, bot Peta an, sich dabei etwas vorbeugend.
Dadurch wurde das Bedrohliche, das von seiner Gestalt ausging, keineswegs vermindert.
Aber ich wollte sein Angebot nicht nur aus Angst annehmen. „Ich stelle immer die gleichen Bedingungen, wenn ich für jemanden arbeite“, stellte ich mit weniger Festigkeit in der Stimme klar, als vielleicht nötig gewesen wäre.
„Du musst keine Angst vor mir haben. Auch ich bin nur die Abbildung eines MindScriptAutors. Die einzige Gefahr, die von mir ausgeht, sind spannende Geschichten, die ich unbedingt erzählen möchte“, versuchte er, nett zu sein.
Es gelang mir, ein bisschen weniger verkrampft zu sein.
Peta lehnte sich zurück. „Der Neue Hohe Rat hat sich darauf geeinigt, dass meine Version die am besten geeignete ist, die Geschichte Psyches zu Ende zu erzählen.“
„Obwohl du dich mit deinen Töchtern verstritten hast?", provozierte ich.
„Nein, sondern weil ich mich mit meinen Töchtern verstritten habe. Für einen Vater ist das manchmal ganz hilfreich. Ab einem gewissen Alter hören Kinder nicht mehr auf ihre Eltern. Egal, wie nützlich deren Rat ist."
„So etwas habe ich auch schon erlebt."
„Ich weiß, dass du Kinder hast. Aber die sind keine Göttinnen, die über mächtige Kräfte verfügen, um die Pläne ihrer Eltern zu durchkreuzen. Sakanias Einmischung in meine Pläne hätte Psyche zerstört. Das wollten wir ja auch. Aber nicht so."
„Ihr wollt Psyche zerstören?", fragte ich erschrocken.
Er nickte. „Von Anfang an. Psyche war ein Gefängnis. Allerdings ein viel Schlimmeres, als du es dir vorstellen kannst."
„Gefängnisse sind immer schlimm. Zerstört man sie deshalb?"
„Und wenn sie von planetarer Größe sind und Milliarden von Menschen einsperren?"
„Ich dachte, ich erzähle in meinen Büchern von einer Welt, die der Erde ähnelt“, bemerkte ich. Ziemlich ratlos, wie ich das eben gehörte ins bisher erzählte einordnen sollte. „Ich sehe die Erde nicht als Gefängnis, sondern als Heimat", provozierte ich Peta deshalb.
„Weil du keine Möglichkeit hast, dieser Heimat zu entkommen", schien er darauf einzugehen.
„Die habe ich jederzeit. Mit einem guten Buch, einem schönen Film oder anderen Mitteln kann ich in jede Welt reisen, in die ich reisen will."
„Das wäre mir zu wenig. Virtuelle Welten sind so eingeschränkt. Reale sind besser."
„Willst du damit sagen, Psyche und seine Bewohner sind nur virtuell? Sie existieren nicht wirklich?"
Peta lächelte nur. Er stand auf und handelte.
Mich an den Händen fassend, zog er mich zu sich heran.
Plötzlich war es um uns herum schwarz und ich hatte Mühe, mein Frühstück im Magen zu behalten.
Tief unter uns sah ich Psyche. Die Kälte des Weltalls um uns herum konnte ich nicht spüren. Ich schloss die Augen und hoffte, mein Tod würde schnell und schmerzlos sein.
„Du musst keine Angst haben. In meiner Gesellschaft wird dir nichts geschehen. Also öffne deine Augen wieder und sieh dir Psyche an. Was siehst du", blaffte mich Peta an.
In fatalistischer Ergebenheit gehorchte ich ihm. „Ich sehe Psyches Kontinente, die von hier oben aussehen wie ein Schmetterling", antwortete ich gehorsam. „Da der FogOfWar die Terra Caelica verdeckt, sieht diese Welt aus wie eine Scheibe."
„Für die Menschen da unten ist sie das auch“, stimmte mir Peta grimmig zu, „und deshalb haben sie nie versucht, aus dieser Welt auszubrechen. Sie glauben, es gäbe nur diese und machen sich deshalb ständig jeden Quadratzentimeter von ihr streitig. Ich wollte, dass das aufhört.“
Ich hatte mich inzwischen damit abgefunden, im schwarzen Nichts des Weltalls zu stehen. Hunderte von Kilometern unter mir eine Welt, die ungefähr so groß wie die Erde war. So fand ich den Mut, Peta wieder zu provozieren: „Bisher haben dir doch all diese Kriege prächtig gefallen.“
„Stellst du dich auch auf Sakanias Seite?“, reagierte er sofort. „Diese Närrin. Schmeißt einfach so ihr bisheriges Leben weg, weil sie glaubt, anders nicht die bestrafen zu können, die, ihrer Meinung nach, eine Kriegsschuld tragen.“
„Du hast sie wirklich sterben lassen?“, fragte ich fassungslos.
Er sah mich genauso fassungslos an. „Traust du mir das zu? Du hast doch selbst Töchter. Würdest du zusehen, wie sie in einen Abgrund stürzen?“
„Natürlich nicht.“
„Meinst du, Götter sind in dieser Frage anders? Sie hätte durch ihre Eigenmächtigkeiten fast dafür gesorgt, dass der Krieg zu lange dauert. Also hat sich Scandia entschlossen, auf seine bisherige Neutralität zu verzichten.“
„Die Neutralität des Skandinavischen Königreiches haben nicht einmal die Nazis verletzt.“
„Weil sie wussten, was sie dann erwartet hätte. Der sichere und schnelle Untergang. Binnen weniger Tage. Der Reichsmarschall hatte eine Frau dieses Königreiches geheiratet. Auf meine Empfehlung hin.“
„Du stiftest Ehen?“
„Ich sorge dafür, dass Kriege richtig ausgehen. Der Reichsmarschall hat viele Jahre in Scandia gewohnt. Nach dem Krieg der Kaiser. Deshalb wusste er, welche Waffen Scandia hat. Er wollte auch solche Waffen. Wunderwaffen, wie er sie nannte. Und er wusste, wie stark ihre Armeen sind. Das wissen alle Herrscher von Psyche.“
„Das hat der Herzog immer nur angedeutet. Er sagte, mehr müsse ich nicht wissen.“
„Mehr musstest du bisher nicht wissen. Denn sie haben sich aus allem herausgehalten, was im Rest dieser Welt geschah. Die Skandinavier sind technisch viel weiter, als die anderen Völker Psyches. Deshalb sondern sie sich ab.“
„Sie könnten die anderen an ihrem Fortschritt teilhaben lassen.“
„Damit die sich mit Waffen bekriegen, die es bisher auf Psyche nicht gab?“, protestierte Peta.
Nur mit halbem Herzen, wie mir schien. „Seit wann stellst du dich dem technischen Fortschritt entgegen?“, fragte ich deshalb.
„Das habe ich nicht“, erwiderte er nach einer Weile. „Es ließ sich ja nicht einmal vermeiden, dass die Psychaner das Geheimnis der Atomkraft kennenlernten. Die Selachii haben einfach nur die richtigen Ideen in die richtigen Köpfe gesetzt. Da die Zeit reif dafür war, ging der Rest sehr schnell. Und natürlich hatten auch die Nazis nicht alle klugen Köpfe aus Deutschland vertrieben. Das gefiel Scandia überhaupt nicht. Sie hatten vertriebenen deutschen Wissenschaftlern Asyl gewährt. Nun sorgten sie für eine rasche Entwicklung der Atomwaffe. Erst in England, später in den USA. Sie selbst hatten schon lange welche. Wollten aber keinen Atomkrieg vor ihrer Haustür. Deshalb sollten die USA den Nazis bei dieser Waffentechnik zuvorkommen.“
„Aber Aidoneus arbeitete doch daran, dass die Nazis auch ihre Wunderwaffen einsetzen konnten. Meines Wissens war darunter nicht nur ein Stealth-Flugzeug, sondern auch eine funktionierende Atombombe“, erinnerte ich ihn.
„Ob sie funktionieren würde, konnten die Nazis nie testen.“
„Das hatten sie aber noch vor. Über London.“
„Toller Plan, nicht wahr? Aidoneus bewies wieder einmal, dass ihn die anderen Götter zu Recht eingesperrt hatten. Eingesperrt konnte nur sein Geist Schaden anrichten. Da ihn Richard Renatus überreden konnte, einen menschlichen Körper zu benutzen, war die Gefahr, die von Aidoneus ausging, viel schwerer zu kontrollieren. Kowalski, der den Auftrag hatte, ihn zu überwachen, sollte das sofort feststellen.“
„Kowalski? Der hat doch mit den anderen Göttern seines Neuen Hohen Rates gegen Ricardo Bellator gekämpft. Um Sakania vor dessen Wut zu retten. Mit diesem Kampf musste ich mein letztes Buch beenden. Wie ist der denn ausgegangen?“
„Unentschieden.“
„Unentschieden? Was soll das heißen?“
„Dass alle verloren haben. Der Neue Hohe Rat wusste, dass das kommen konnte. Schließlich können sie die Zukunft berechnen. Bcoto hat einen Tag vor diesem Kampf noch versucht, ihren Vater davon abzuhalten, Sakania zu töten. Vergeblich, wie du weißt. Aber das kannst du dir selbst ansehen.“
Damit riss er mich nach unten.
In die Tiefe.
Dorthin, wo Psyche auf uns wartete.
Damit ich berichten konnte, was ich dort live erlebt hatte.
1. Kapitel Nullpunkt
„Manchen schien es, als wartete er [Heinrich Himmler] nur noch auf den Tod Adolf Hitlers, um sich endgültig an die Spitze des Staates zu stellen.“
Heinz Höhne, „Der Orden unter dem Totenkopf“, (Erde, 1967)
Ort: Psyche, Mount Melbourne, gestern
Bcoto stand im Inneren eines aktiven Vulkans, inmitten unvorstellbar heißer, brodelnder Lava.
Sie konzentrierte sich auf die Lava, die neben ihr erschien und ein Gesicht formte. Jenes Gesicht, dass dem des schwarzen Herzogs so ähnlich war. Auch die Stimme klang nach der des Herzogs. Nur gewaltiger und kaum menschlich.
„Ich spürte eine mächtige Erschütterung. Also ist es ihnen gelungen, sich das Atom zu unterwerfen?“
„Der Atombombentest war erfolgreich“, bestätigte Bcoto.
„Dank deiner Hilfe?“
„Auch Dank meiner Hilfe“, schränkte Bcoto ein.
„Es ist Sakania nicht gelungen, den Test zu verhindern? Gut. Götter, die sich gegen mich stellen, müssen schon sehr mächtig sein, um mich zu besiegen.“
„Du hast mir versprochen, Sakania in Ruhe zu lassen.“
„Du hast mir versprochen, diese Welt zu zerstören, um mich zu befreien.“
„Ich habe dir versprochen, dich zu befreien“, stellte Bcoto richtig.
„Indem du Psyche vernichtest“, beharrte er.
„Und ihre Bewohner?“, gab sie zu bedenken.
„Die hatten ihre Chance. Ihre Schlechtigkeit nimmt zu und ihr Sinnen und Trachten ist nur auf das Böse gerichtet. Ich habe ihnen diese Welt geschenkt. Sieh, was sie aus ihr gemacht haben“, grollte das Lavagesicht.
„Hör auf, so einen Scheiß zu labern“, unterbrach ihn Bcoto wütend. „Es ist Richard Raths Welt. Er hat sie erschaffen. Deine Aufgabe war es, ihm diese Welt zu erhalten. Da dich deine Aufgabe überfordert, werden wir dich befreien. Dabei helfe ich dir. Schon für Sophia Demeter.“
„Sie lebt noch?“
„Selbstverständlich. Und sie ist immer noch für ein halbes Jahr auf Psyche, wie sie es dir einst versprochen hat. Spürst du sie nicht mehr?“
„Manchmal. Dort, wo es Natur gibt. Aber auch die nimmt immer mehr ab. Auch so ein Werk der Menschen. Sie haben alles verlernt, was ich sie einst lehrte.“
„Stimmt. Sie wissen nicht einmal mehr, dass es dich noch gibt oder dass es dich gegeben hat. Wenn du frei bist, werden sie es erkennen.“
„Das geht nur über die Zerstörung dieser Welt. Es leben Menschen darin, sie besitzen Atomwaffen. Es ist also nur noch eine Frage der Zeit, bis sie diese Welt vernichten.“
„Sie werden lernen, diese gewaltigen Kräfte zu beherrschen und richtig zu gebrauchen. Dazu benötigen sie noch viel mehr Zeit. Wir werden sie ihnen geben. Dann wirst du bereits frei sein“, erklärte Bcoto in einem Ton, der Diskussionen ausschloss.
„Das werde ich nicht. Ich spüre, dass Sakania andere Pläne verfolgt. Pläne, die mir schaden“, gab sich die Lava bockig.
„Lass sie in Ruhe.“
„Wenn sie mir schadet, werde ich sie vernichten“, ließ sich Ricardo Bellator nicht von seinem Standpunkt abbringen.
„Wenn du das versuchst, wirst du unsere gemeinsame Macht kennenlernen“, drohte Bcoto.
„Eure gemeinsame Macht?“ Der Vulkan erbebte unter seinem gewaltigen Lachen.
„Lass es uns auf unsere Weise tun. Dann wirst du wirklich frei sein“, versuchte Bcoto, ihn zu beruhigen.
„Wann?“
„In genau sechzehn Jahren.“
„So lange noch.“ Es klang enttäuscht. Soweit sprechende Lava enttäuscht klingen konnte.
„Du wartest schon so lange. Die paar Jahre werden wie im Fluge vergehen. Vielleicht beteiligst du dich auch aktiv daran? Dann muss sich Maria nicht wieder allein um das passende Wetter kümmern“, bat Bcoto.
„Ist der Krieg denn schon vorbei?“
„Er liegt in den letzten Zügen. Die Russen stehen vor Berlin. Sie werden nicht nach Paris und Rom ziehen.“
„Doch, das werden sie. Wer soll die Selachii aufhalten, wenn sie „Mission Unthinkable“ umsetzen?“, widersprach er.
„Wir.“
Wieder erbebte der ganze Vulkan unter seinem Lachen.
„Wir haben nicht nur Richard Renatus als Verbündeten, sondern auch Maria Miseria. Eine sehr zornige Maria Miseria, da du ihre Töchter bedrohst“, warnte sie.
Bei Marias Namen war die Lavagestalt ruhig geworden. „Maria ist wieder in dieser Welt?“, fragte Bellator nach einer Weile. Es klang fast ein wenig ängstlich.
„Schon lange. Du hast es nicht gespürt? Merkst du nicht, wie dir diese Welt entgleitet?“
Wieder schwieg Bellator eine Weile. „Natürlich spüre ich das. Aber seit dem mir die Selachii helfen, ist es nicht mehr so schlimm.“
„Die Selachii helfen nur den Selachii. Sie erkennen keine andere Spezies, als ihre eigene als gleichwertig an. Schwach gewordene Götter verspeisen die zum Frühstück.“
„Das haben sie noch nicht.“
„Weil sie sich durch dich Zugang zu dieser Welt erhoffen. Den kannst du ihnen gern bieten. Wir verspeisen sie dann zum Frühstück. Maria ist fest entschlossen. Renatus auch. Spürst du wenigstens das?“, fragte Bcoto.
„Ja, das spüre ich. Es wird ein paar sehr harte Winter geben. Wie immer nach einem Krieg, in dem sie mitkämpft.“
„Die wird es geben. Nutz deinen geringen Einfluss, den du noch auf diese Welt hast, und hilf uns.“
„Ich soll das noch forcieren?“, fragte er.
„Wenn du das kannst“, antwortete sie.
„Du wirst staunen, was ich alles kann.“
„Lass Sakania in Ruhe und lass mich staunen. Je besser du uns hilfst, umso glimpflicher wird die Sache für uns alle ausgehen“, bot ihm Bcoto nochmals an.
„Glimpflich wird sie nur ausgehen, wenn Sakania ihren Scheiß-Pazifismus lässt. Ich habe jederzeit die Möglichkeit, Psyche in einem gewaltigen Feuerball verglühen zu lassen.“
Ort: Psyche, Scandia, Schloss Gripsholm, jetzt
Ein riesiger Feuerball näherte sich Psyche.
Zufällige Beobachter hätten ihn für eine Sternschnuppe gehalten. Obwohl man mit einem Teleskop erkennen konnte, dass die Sternschnuppe aus Menschen bestand.
Aus Menschen, die ein Wesen aus Lava und Asche mit ihren Schwertern bekämpften. Und die es dabei überhaupt nicht zu interessieren schien, dass sie mit kosmischer Geschwindigkeit auf diese Welt stürzten.
Der Mann, der auf einer kleinen Insel im Mellersee stand und die „Sternschnuppe“ beobachtete, blieb erstaunlich gelassen. Obwohl sie direkt auf ihn zuraste.
Als sie nahe genug heran war, hob er seine Arme. Ein grelles Licht verließ die Spitzen seiner Finger und hüllte die „Sternschnuppe“ ein.
Sanft ließ er sie zu Boden gleiten.
Weniger sanft teilten seine immer noch leuchtenden Hände die Kämpfer.
Einer von ihnen, der größte und scheinbar auch mächtigste, wurde immer noch von diesem Licht eingehüllt.
Er wehrte sich dagegen. Vergebens.
„Heimdall, du verdammter Idiot, lass mich los. Wie kannst du unseren Kampf beenden? Ich hatte sie fast so weit“, brüllte die Gestalt aus Lava und Asche wütend.
„Hallo, Richard“, antwortete der mit Heimdall angesprochene, „schön, dass du mich erkennst. Ich hätte dich kaum wiedererkannt. Außer an deiner Streitsucht vielleicht.“
Der Lavakörper von Ricardo Bellator kämpfte weiter gegen das Licht, das ihn umhüllte. Heimdall schien hingegen keine Mühe zu haben, das wütende Monster zu bändigen. Er fand sogar die Zeit, die anderen Mitglieder der Sternschnuppe anzusprechen.
„Maria, schön, dich zu sehen. Huldrich, Gerrich, hallo miteinander. Habt ihr einen kleinen Familienausflug gemacht? Was ist mit euren Schwestern los? Und wer sind die anderen?“
Nicht nur Huldrich und Gerrich, auch die anderen knieten auf dem Rasen vor dem Schloss vor Sakania und Wihtania, die leblos dalagen.
„Ist das dein Werk?“, blaffte Heimdall das Lavamonster an. „Sieht ganz danach aus. Ich hasse ohnmächtige Götter. Das bringt die Weltordnung durcheinander. Ich bin dafür zuständig, dass die Weltordnung nicht durcheinanderkommt.“
Während dieser Worte war er auf fast fünf Meter angewachsen und damit ein wenig größer, als das Lavamonster Ricardo Bellator. Den ließ er durch sein Licht auf Menschengröße schrumpfen und verwandelte dann das Licht in die festen Gitterstäbe eines Käfigs. Nachdem er Bellator so eingesperrt hatte, ging er, nach und nach auf menschliche Größe schrumpfend, zu den anderen Göttern.
Wieder kam ein Leuchten aus seinen Händen. Ein ganz zartes nur. Es strich über die Körper der Mädchen.
Die kamen zu sich. Langsam.
Takhtusho half Sakania beim Aufstehen.
Bcoto half Wihtania dabei.
Maria und Heimdall waren nur auf die Medem-Zwillinge konzentriert. Trotzdem entging ihnen nicht, dass auch Kowalski sehen konnte, was sie sahen.
Aus jedem Mädchenkörper floh die durchsichtige Gestalt eines riesigen Haies.
„Das war nicht nur Bellator“, waren Heimdalls Gedanken nur für Maria spürbar. „Hier haben die Selachii ihre Hand im Spiel. Bringt die beiden ins Schloss. Die haben wir schnell wieder auf den Beinen. Bellator kann erstmal keinen Ärger machen. Meine Gitter bieten einen guten Schutz.“
Ort: Psyche, USA, New Mexico, 14 Tage vorher
Der Strand war zum Schutz von hohen Stacheldrahtzäunen umgeben. Obwohl man ein hochseetüchtiges Schiff benötigte, um diese Insel zu erreichen.
GIs standen Posten. Schwer bewaffnet und mit mitleidslosen Mienen. Dabei war das kein Gefängnis, dem sich das Schiff näherte, sondern die ehemalige Außenstelle einer Eliteuniversität. Die US-Regierung hatte mit der Uni einen Pachtvertrag geschlossen. Vorerst über fünf Jahre.
Zwei davon waren bereits verstrichen.
Aber es gab noch einen anderen Grund zur Eile: Der Krieg neigte sich dem Ende zu. Da man hier an Waffen arbeitete, bestand die Gefahr, dass es keinen Kriegsgegner mehr gab, an dem man sie ausprobieren konnte.
Auch deswegen hatte General Groves gehandelt und weitere Spezialisten angefordert. Er wartete auf seinem erhöhten Platz, bis die Neuankömmlinge den Pier entlang durch die hohen Tore zum Hauptplatz gelaufen waren. Dann räusperte er sich ins Mikrofon und hatte bald die Aufmerksamkeit aller.
„Meine Damen, meine Herren“, begann er, „wir sind dazu auserkoren, unserem Land wichtige Dienste zu leisten. Ich bin mir sicher, jeder von Ihnen wird sein Bestes dazu beitragen. Denn eins ist sicher: Mit dem, was wir hier leisten, werden wir den Krieg gewinnen.“
Ort: Psyche, Scandia, Schloss Gripsholm, jetzt
„Gegen die Selachii kann man keinen Krieg gewinnen“, knurrte Heimdall, während er aus dem Fenster zusah, wie sich die jüngeren Mitglieder des Neuen Hohen Rates auf der Wiese in Kampfkunst übten.
„Aber man kann sich gegen sie wehren. Und das tun wir. Das müssen wir“, antwortete Maria.
„Habe ich dich richtig verstanden? Megalodon weiß nicht, wie sehr seine Welt gefährdet ist? Spürt er das nicht?“
„Er sieht sich schon so lange nur noch als geistige Wesen ohne jedwede körperliche Bindung, dass er ihre Körper und die Welt, in der diese leben, nicht mehr spüren kann.“
Maria sah, wie Heimdall ihre Worte mit seinem Geist überprüfte. Und wie ihn entsetzte, was ihm diese Überprüfung zeigte. Er überlegte eine Weile.
Dann wies nach unten und auf die Medem Zwillinge. „Sie wissen nicht, wie nah ihre Mutter ist?“
„Auf deinen FogOfWar ist Verlass.“
„Und Megalodon hat nichts von der wahren Herkunft der Zwillinge gespürt, als er gegen sie kämpfte?“
Maria nickte nur.
„So schwach ist er?“, fragte er. „Oh heilige Scheiße. Was für ein Schlamassel.“
„Du sagst es. Und du weißt, was das bedeutet.“
„Ja. Dass Scandia seine Neutralität aufgeben muss. Ich werde das Nötige veranlassen“, erwiderte Heimdall.
„Das ist schön. Und kein Wort zu den Kindern.“
„Sie werden es herausfinden“, gab er zu bedenken.
„Ja. Aber das müssen sie ohne unsere Hilfe“, sagte Maria und verschwand in der RaumZeit.
Heimdall sah auf die Stelle, wo Maria gerade noch gestanden hatte. Tief in Gedanken versunken. Dann nickte er, als habe er einen Entschluss gefasst, und ging zur Treppe.
Die steig er hinunter, während die jungen Leute fröhlich die Treppenstufen hochgingen und dabei den Kampf auswerteten, den sie unten auf der Wiese ausgetragen hatten.
Aus Niederlagen lernt man viel besser, als aus Siegen. Was dafür sorgte, dass die Ehrlichthausen Geschwister immer bessere Kämpfer wurden und Takhtusho nicht aus der Übung kam. Er hatte nicht verloren. Nicht mal gegen alle anderen zusammen.
„Warum hast du nicht mitgekämpft?“, fragte Takhtusho Ala Skaunia. In seiner ihm eigenen Arglosigkeit. Ihn hatte es nie gestört, dass Ala Skaunia ihn nicht leiden konnte. Er kannte sie nur so. „Du könntest viel lernen und eine noch bessere Kämpferin werden.“
„Mit dir fetten Klops kämpfe ich nicht. Mir reicht der Unterricht, den mir Kowalski gibt.“
„Der sagt, du bist gut. Ich hätte gern herausgefunden, wie gut du bist.“
„Wie gut ich bin? Im Kämpfen meinst du?“, fragte Ala Skaunia misstrauisch.
„Natürlich“, erwiderte Takhtusho in aller Unschuld. „Worin bist du denn noch gut? Kann man das herausfinden?“
Ala Skaunia gelang es, nicht rot zu werden. Und nicht wütend. Wir sehen, sie machte Fortschritte.
„Beim diesem Kampf kann dich nur Sakania besiegen, Takhtusho“, mischte sich nun Kowalski eilig ein. Wäre ja noch schöner, wenn Takhtusho herausfand, worin sie wirklich gut war. „Ein Zweikampf zwischen Ala Skaunia und Wihtania wäre eine gute Idee.“
Die angesprochenen Damen sahen Kowalski mit großen Augen an. Bei Ala Skaunia war nicht nur Überraschung, sondern auch eine kleine Spur Entsetzen im Blick.
Eine leichte Geste Kowalskis beruhigte sie sofort. „Natürlich nicht heute. So etwas muss gut vorbereitet sein. Aber ich denke, in ein paar Wochen bist du soweit. Bis dahin haben wir ohnehin ausreichend zu tun.“
„Das denke ich auch“, mischte sich nun Sakania ins Gespräch. „Nach unserem Sieg über Bellator gibt es immer noch Aidoneus. Was machen seine Intrigen?“
Kowalski lächelte. „Die laufen so, wie sie sollen. Er kann mit seiner Körperlichkeit noch nicht viel anfangen, glaubt aber, er sei damit so mächtig, wie es sein Geist sich wünscht.“
„Wenn er deine Gegenmaßnahmen erkennt, wird ihn das sehr wütend machen“, warnte Sakania.
„Davor habe ich keine Angst“, beruhigte Kowalski ihre Ängste. „Ich habe mächtige Verbündete.“
„Unsere Mutter“, konkretisierte Huldrich trocken.
„Was ist eigentlich zwischen euch beiden gelaufen?“, wollte Gerrich wissen.
„Möchtest du Details?“ fragte Kowalski, ohne welche zu liefern. „Wir sind die allerbesten Freunde.“
„Wir auch“, bestätigte Takhtusho kauend, ehe jemand anderes etwas sagen konnte. „Sie ist eine tolle Frau.“
Die Kinder dieser tollen Frau schwiegen, verdrehten aber die Augen.
Kowalski grinste und fragte Takhtusho: „Was macht dein Vorgesetzter in Flensburg?“
„Ether? Der hat plötzlich Angst vor den sich nähernden US-Truppen und bastelt an einer neuen Identität.“
Ort: Psyche, Washington, Weißes Haus, jetzt
„Wir benötigen eine neue Identität?“, fragte der US-Präsident überrascht.
„Wollen Sie, dass Sie die anderen Staatsoberhäupter immer noch als Präsident der Vereinigten Staaten von Hinterindien ansprechen?“, fragte sein neuer Berater zurück.
„Das ist eine alte Angewohnheit. Weil wir früher so hießen. Unter britannischer Herrschaft. Irgendwann werden sie sich an USA gewöhnt haben“, erwiderte der Präsident.
„Hinterindien ist ein Schimpfwort, das die Britannier dieser Gegend gaben, um zu beweisen, dass sie von ihnen aus gesehen am Ende der Welt liegt. Aber wir sind nicht das Ende von Psyche, wir sind sein Beginn“, erklärte Fjölnir.
„Ich habe Ihren Artikel in der „Washington Post“ gelesen. Eine interessante Theorie, die Sie da ausbreiten. Sie meinen also, dass Psyches Menschheitsgeschichte ihren Ursprung auf unserem Archipel hat? Und Sie haben versprochen, diese Theorie in den nächsten Artikeln stichhaltig zu beweisen?“
Fjölnir nickte. „Das große britannische Empire ist erst in den letzten 150 Jahren entstanden. Die Vereinigten Staaten von Amerika gibt es auf Psyche seit 1000 Jahren. Und wir waren nie die Provinz dieser Emporkömmlinge aus London.“
„Das höre ich gern. Das hören Ihre Zeitungsleser gern“, bestätigte ihm der US-Präsident. „Aber in London wird man das nicht gern hören. Die haben uns vorgeworfen, wir nutzen den Krieg, um die Geschichte umzuschreiben.“
Fjölnir grinste. „Dazu ist ein Krieg doch da. Mr. President.“
Der drohte mit dem Finger. „Sie werden beweisen müssen, was Sie da behaupten. Schon, damit es keine diplomatischen Verwicklungen zwischen engen Verbündeten gibt.“
Fjölnir lächelte. „Ich werde Sie zu absolutem Stillschweigen verdonnern müssen, Mr. President, sonst feuert mich mein Chefredakteur. Das wäre schade. Wo ihm meine Artikel doch so prächtige Verkaufszahlen garantieren.“
„Dann wird er Sie schon nicht feuern.“
„Geben Sie mir fünf Minuten Ihrer wertvollen Zeit, dann erzähle ich Ihnen, was meine Leser und die amerikanische Öffentlichkeit erst nach und nach durch meine Artikel erfahren werden“, bat Fjölnir.
Der Präsident nickte und hörte dann zu.
Da er zu dem Gehörten eine Menge Fragen hatte, wurden mehr als fünf Minuten daraus.
Ort: Psyche, Sonderbereich Mürwik, jetzt
„In fünf Minuten können die US-Truppen hier sein und du bist immer noch nicht umgezogen. Ich dachte, Schauspieler beherrschen so etwas im Schlaf“, maulte Heinrich Ether.
„Wozu soll ich mich umziehen?“ Luitpold Ether saß auf einem schmuddeligen Metallbett und sah aus dem Fenster.
„Damit dein Aussehen zu deiner Rolle passt. Wir sind Kradmelder. Die bekannten Zwillingsbrüder Edeler aus Bayern. Und wir setzen uns nach Süden in unsere Heimat ab. Nimmt uns jemand gefangen, bleiben wir bei der Geschichte“, versuchte der Reichsführer SS seinen Bruder aufzumuntern.
„Bei der Geschichte können wir schon deshalb nicht bleiben, weil sie ausgemachte Scheiße ist. Unsere Gesichter kennt jeder. Ich bin ein berühmter Schauspieler, der sogar Angebote aus Hollywood bekam. Und du bist die größte Nazi-Oberbonze, die noch lebt.“
„Und die weiterleben will. Hast du keine Lust dazu?“
„Schon, aber nicht so. Was soll mir schon passieren? Ich habe nichts gemacht. Nur Filme gedreht.“
„Und ich habe auch nichts gemacht. Nur eine riesige Behörde geleitet. Und das sogar sehr gut. Mit deutscher Effizienz und Gründlichkeit. Trotzdem sind die Amerikaner so blöd und wollen mich vor Gericht stellen. Ich hatte denen mehr Realitätssinn zugetraut.“
„So viel, dass sie dich mit dem Aufbau eines neuen Deutschlands beauftragen? Warum sollten sie?“
„Weil ich der Beste dafür bin. Ich dachte, die hätten ein Händchen für eine gute Personalpolitik. Mit mir wäre ein Sieg des Westens über den Bolschewismus eine sichere Sache.“
„Im Moment vertragen sie sich doch mit den Russen. So gut, dass die Alliierten dich sogar über den Rundfunk suchen lassen. Ich bin mir sicher, das machen sie nur, um dich nicht zu verlieren. Vielleicht nehmen sie dich ja in Schutzhaft“, spottete Luitpold Ether.
„Die werden schon noch merken, wie gut ich bin. Der Krieg ist noch lange nicht zu Ende. Die SS hat noch ein paar Asse im Ärmel und ich wäre gern so lange frei, dass ich noch erleben kann, wie sie stechen“, gab sich Heinrich Ether geheimnisvoll.
Nun sah Luitpold nicht mehr aus dem Fenster, sondern seinen Bruder an. „Meinst du nicht, der Krieg war lang genug? Ihr beherrscht nur noch ein paar Quadratkilometer deutschen Bodens und glaubt, ihn noch zu gewinnen?“
„Zumindest können wir die Alliierten zu Zugeständnissen zwingen, die unser Überleben sichern werden. Max Friedrich ist das auch gelungen. Ich habe das Gleiche vor.“
Luitpold gab nach. Wie immer. Zum letzten Mal, hoffte er. Er sollte nie erfahren, wie recht er damit hatte.
Ort: Psyche, USA, New Mexico, 14 Tage vorher
„Ich hoffe, Sie haben recht, Oppenheimer“, meinte General Groves mit skeptischer Miene.
Oppenheimer hingegen betrachtete den Stahlturm durch sein Fernglas, als habe er nie etwas Schöneres gesehen. „Die Wissenschaftler, die der Meinung sind, die Atmosphäre könne explodieren, wenn wir die Bombe zünden, haben keine Ahnung. Was dort auf dem Stahlgerüst steht, hat nichts mit herkömmlichen Sprengkörpern zu tun. Und unsere Atmosphäre ist stabiler, als diese Wissenschaftler glauben wollen.“
„In ein paar Stunden sind wir schlauer“, meinte Groves mit jenem Fatalismus, den nur hohe Militärs aufbringen können. Seine Kollegen hatten in Deutschland schon fast jeden Quadratzentimeter erobert. Keine Chance also mehr, die Bombe dort irgendwo einzusetzen. Dementsprechend waren die hohen Regierungsmitglieder, die ihm weisungsberechtigt waren, verschnupft. Um diesen Schnupfen zu heilen, machten sie Druck. Und heute sah man das Ergebnis.
„The Gadget“ nannten es alle. Voller Ehrfurcht. Denn jeder, auch die Nichtwissenschaftler, hatte wenigstens die Spur einer Ahnung, was es mit diesem Gadget auf sich hatte.
Ort: Psyche, Reims, SHAEF, jetzt
Die anderen Offiziere hatten keine Ahnung, was ihr Oberkommandierender da zu bereden hatte.
Sie lauschten nur. Es war schon an sich ungewöhnlich, dass ihr oberster Chef persönlich ans Telefon ging. Aber General Patton hatte darauf bestanden, ihn persönlich zu sprechen. Und Patton war zu verdienstvoll, ihm so etwas abzuschlagen.
Es schien, als habe Patton am anderen Ende der Leitung wirklich Wichtiges zu vermelden gehabt.
General Eisenhower legte den Hörer so vorsichtig auf, als sei der von Glas. Dabei hatte sein Gesicht eine furchtbare Blässe angenommen, die langsam einer noch ungesünderen Röte zu weichen begann.
„Alle Führungsoffiziere in mein Arbeitszimmer. Sofort. Ist mein G-2 hier? Sehr gut. Sie kommen auch mit Kowalski. Und Gnade Ihnen Gott, sie können mir auf meine Fragen keine Antworten geben.“
Ort: Psyche, Lüneburg, Uelzener Str. 31a, jetzt
„Die wollen uns keine Antworten geben?“, fragte der Offizier überrascht.
„Nein, Sir. Die beiden bestehen auf ihrer Geschichte, sie seinen Kradmelder.“
„Und was meinen Sie, Sarge?“
„Ich habe Augen im Kopf, Sir. Und ich war im Kino. Sehr oft, Sir“, erwiderte der Sergeant lächelnd.
„Ich auch, Sarge, ich auch. Wenn wir da mal keine großartigen Leinwandhelden festgenommen haben.“
„Es wird uns keinen Oscar einbringen, Lieutenant.“
„Nein, aber zumindest eine ehrenvolle Erwähnung. Vielleicht springt auch mehr dabei heraus. Mal sehen. Wir nehmen sie uns einzeln vor?“
„Und wenn sie sich in Widersprüche verwickeln, konfrontieren wir sie damit.“
„Wie wir es mit Mobstern auch machen würden. Da sie nicht zu unterscheiden sind, nehmen Sie den Rechten, Sarge, und ich den Linken.“
„Zu Befehl, Sir.“
„Wäre doch ganz unwahrscheinlich, dass wir sie nicht zum Reden bringen, was Sarge.“
Ort: Psyche, Reims, SHAEF, jetzt
„Mein Gott, nun reden Sie schon, Kowalski.“
„Das ist so geheim, Sir, nicht mal der Präsident weiß alles.“
„Gut, dann sagen Sie mir das, was der Präsident weiß, sonst frage ich bei dem nach.“
„Was wollen Sie wissen, Sir?“
„Was ich schon die ganze Zeit frage: Besteht die Möglichkeit, mit einer einzigen Bombe eine ganze Großstadt auszulöschen? So, wie es Patton eben behauptet hat.“
„Die Möglichkeit besteht, Sir.“
Eisenhower musste sich setzen.
„Arbeiten wir daran, eine solche Waffe zu entwickeln?“, fragte er nach einer Weile des Nachdenkens.
„Würde Sie das beruhigen, Sir?“
„War das eine Antwort, Kowalski?“
Der nickte nur.
„Hat der Präsident darum darauf bestanden, Sie an meine Seite zu stellen?“, fragte Eisenhower.
„Dresden wäre ein mögliches Ziel gewesen, Sir.“
„Die Russen sind schon dort“, verstand Eisenhower nun.
„Deshalb ist es kein mögliches Ziel mehr, Sir.“
„Wir nehmen auf die Russen Rücksicht?“
„Es ist ein großes, starkes Land, Sir. Und es hat großartige Physiker und Wissenschaftler.“
Eisenhower benötigte eine Weile, das zu verstehen. Dann fragte er: „Das heißt, die Russen entwickeln auch so eine Waffe? Und die Deutschen auch?“
„Wir haben dort unsere Informanten, Sir. Zum Teil sehr hochrangige Informanten.“
„Was verstehen Sie schon unter hochrangig, Kowalski“, knurrte der Armeegeneral, der nicht viel von Spionen hielt.
„Einer hat nur zwei Sterne weniger als Sie, Sir.“
„Tatsächlich?“
Eine Weile herrschte Schweigen. Eisenhower schien nachzudenken, während die anderen Herren nicht wussten, worum es eigentlich ging. Außer dem gerade beschriebenen Dialog war nämlich nichts geschehen, als sie der Commander in Chief so plötzlich in sein Arbeitszimmer befahl.
Der sah auf und glaubte, es sei nun an der Zeit für einige Erklärungen. „Patton hat Unterlagen und Materialien sichergestellt, die vermuten lassen, es sei ein deutscher Angriff auf London geplant. Mit einer Waffe, die in der Lage ist, die ganze Stadt zu vernichten.“
„Und wie soll diese Waffe nach London kommen?“, fragte der Chef der 2nd STAF.
„Mit einem Flugzeug“, erwiderte Eisenhower dem Luftwaffenoffizier. „Sie können sich Ihr Grinsen sparen, Sir Arthur. Nach meinen Informationen ist es ein Düsenflugzeug. Schneller als alles, was wir haben. Und so konstruiert, dass es für unser Radar unsichtbar bleibt.“
Sir Arthur Coningham, der Chef der Luftwaffe, wurde blass. Dann überlegte er und erwiderte: „Daran arbeiten wir auch, Sir, aber es ist alles noch in Erprobung.“
„Die Deutschen arbeiten nicht daran. Ihnen ist es bereits gelungen, so etwas zu bauen. Patton hat Unterlagen und Prototypen, die zu beweisen scheinen, dass es ein flugtaugliches Gerät gibt. Es soll unterwegs sein. Nach London. Ich hätte gern Vorschläge, meine Herren.“
Ort: Psyche, Lüneburg, Uelzener Str. 31a, jetzt
„Was schlagen Sie vor, Sarge?“
„Konfrontation?“
Der Leutnant lächelte. „Mit Leuten, die sich auskennen sollten? Gute Idee. Wir haben doch diesen SS-General festgenommen. Der ist erstaunlich ruhig geblieben. So, als habe er keinen Dreck am Stecken. Was sagen unsere Unterlagen?“
„Er ist ein von Eberbach, Sir. Uralte Adelsfamilie. Alles Offiziere. Der Vater ist ein Viersternegeneral.“
Der Leutnant pfiff anerkennend durch die Zähne. Ein Viersternegeneral würde er auch gern einmal sein. Irgendwann. Zeit, den ersten Schritt in diese Richtung zu unternehmen. Er erteilte die entsprechenden Befehle und kurze Zeit später brachten zwei GIs il caskar ins Büro.
Der Leutnant musterte den SS-Offizier. Der war mindestens Einsneunzig groß, blond und blauäugig. So, wie diese Burschen halt aussehen sollten.
Und viel zu jung für einen General.
Darauf sprach er ihn zuerst an, um sich die dumme Antwort anhören zu müssen, der Herr SS Brigadeführer sei über sechshundert Jahre alt. In dem Alter sei es angemessen, ein General zu sein.
Nein, zu den beiden Kradmeldern könne er nichts sagen. Wenn sie gültige Papiere hätten, dann seien die gewiss in Ordnung. Deutsche Papiere seien schwer zu fälschen.
„Auch für die SS?“, hakte der Leutnant nach.
Der Bursche lächelte verächtlich. „Alle Papiere, die die SS ausfüllt, sind echt. Schließlich ist die SS auch die Polizei.“
„Stimmt. Aber mit diesem Blödsinn werden wir Schluss machen. Polizisten werden wieder Polizisten sein. Die guten werden wir aussortieren und wieder ihre Arbeit machen lassen.“
„Und die guten Polizisten erkennt ihr deshalb sofort, weil ihr selber Bullen seid?“, fragte il caskar.
„Ist das so deutlich zu erkennen?“, fragte der Leutnant.
„Ich erkenne bei jedem, was sich hinter der Uniform verbirgt“, antwortete il caskar verächtlich.
„Und was verbirgt sich hinter Ihrer Uniform?“
„Ein Offizier der Reichswehr, dem angeboten wurde, vom Oberst zum General aufzusteigen, wenn er dafür die SS-Uniform anzieht. Die Entscheidung fiel leicht.“
„Obwohl die SS so viele Verbrechen begangen haben soll?“
„Was für Verbrechen? Mit dem Bolschewismus aufzuräumen kann man wohl kaum als Verbrechen bezeichnen.“
„Interessante Einstellung.“ Der Leutnant schien eine Weile zu überlegen, dann fasste er einen Entschluss. „Sarge, sagen Sie den beiden Burschen, sie können abtreten. Ich brauche keine Wache. Und nehmen Sie sich einen Stuhl. Sie dürfen sich ebenfalls setzen, Herr Brigadeführer.“
il caskar lächelte. Die Informationen, die ihm seine Eltern zugespielt hatten, stimmten also. Die US-Truppen bewegten sich bereits von ihrem Verbündeten weg und suchten neue Verbündete unter den deutschen Offizieren, die den Krieg überlebt hatten.
Nach dem Krieg war vor dem Krieg. Und der nächste Krieg, den die US-Truppen führen würden, sollte gegen die Sowjetunion gerichtet sein. Damit der siegreich verlaufe, hatten die richtigen Leute bereits Anweisung erhalten, unter den deutschen Kriegsgefangenen die treffende Vorauswahl zu fällen.
Dass il caskar die bestand, war nicht zu bezweifeln.
Ort: Psyche, Moskau, Kreml, jetzt
„Ich bezweifle, dass mir der Genosse Mercheulow die Wahrheit sagt. Verstanden, Genosse Abakumow?“
Der Chef von SMERSch salutierte nur.
Wissarew sah weiter aus dem Fenster. Es fiel ihm schwer, sich zu konzentrieren. Manchmal hatte er den Eindruck, er würde sich durch zähes Wasser bewegen.
Heute zum Beispiel. In solchen Situationen konsultiert man seinen Arzt. Aber Wissarews Arzt war ein Gefangener des NKWD. Soviel hatte er bereits herausgefunden.
Dieser Mercheulow war nützlich, wenn es darum ging, politischen Ballast zu entfernen. Aber mit der Festnahme seines Leibarztes hatte er diese Kompetenzen überschritten.
„Sie werden die Lubjanka aufsuchen und dem Kandidaten des Politbüros Mercheulow mitteilen, dass ich meinen Arzt zu sprechen wünsche. Jetzt, sofort. Nehmen Sie ein paar Leute mit, Viktor Semjonowitsch. Falls meinem Doktor etwas zugestoßen sein sollte. In diesem Fall müssen wir entscheiden, was Mercheulow zustoßen soll.“
Ort: Psyche, Reims, SHAEF, jetzt
„Wir müssen auf jeden Fall verhindern, dass der Londoner Bevölkerung etwas zustößt, meine Herren. Das bedeutet, wir nehmen die Bedrohung als real an, so unwahrscheinlich das auch ist“, fasste Eisenhower einen Entschluss.
Die anderen nickten.
„Seine Chancen stehen am besten, wenn er sich Britannien als Tiefflieger nähert“, erklärte Sir Arthur, „was eine Feindaufklärung über Radar, aber auch auf herkömmliche Weise fast unmöglich macht.“
„Ein einzelnes Flugzeug und wir müssen solche Angst haben“, antwortete Eisenhower sauer.
„Darauf werden wir uns in Zukunft einstellen müssen, Sir“, gab Kowalski zu bedenken.
„Gut, dann können wir ja schon mal üben. Vorschläge, meine Herren?“, fragte Eisenhower.
Kowalski lächelte, als er der darauffolgenden Diskussion folgte.
Ach, Aidoneus, dachte er, was bist du doch für ein stümperhafter Anfänger.
Aber ich werde dir helfen, besser zu werden, das kann ich dir versprechen. Erst einmal müssen wir dein Flugzeug zum Landen zwingen.
Ort: Psyche, Husum, jetzt
Als das Flugzeug landete, handelten die wenigen verbliebenen Angehörigen der SS-Marineeinheit rasch und präzise. Tankwagen wurden herangeführt und der Flieger aufgetankt.
Der Pilot bekam Kaffee und die Gelegenheit, den Kaffee, den er bereits intus hatte, wieder loszuwerden.
Zwei flugzeuglose Piloten checkten die Maschine von außen, ob alles in Ordnung sei. Ihren Gesichtern war nicht anzumerken, dass sie ein solches Flugzeug noch nie gesehen hatten und sich auch nicht vorstellen konnten, es könne wirklich fliegen. Rumpf und Flügel waren eins und statt Propeller hatte die Maschine Düsen, um sie anzutreiben.
Der Pilot behauptete auf ihre Frage sogar, dass Ding könne fast Schallgeschwindigkeit erreichen. Warum hatten sie auch gefragt? Als sie selber noch flogen, hatten sie ähnlich großspurig mit ihren Leistungen geprahlt.
Dann war alles geschafft und der Pilot stieg wieder in seine Kanzel. Ein Fauchen ertönte, als er die Triebwerke anwarf. Als das Ding beschleunigte, kratzten sich die Expiloten nachdenklich die unrasierten Wangen. So, wie der beschleunigte, abhob und davonflog, mochte das mit der Schallgeschwindigkeit vielleicht doch stimmen.
Ein wenig Hoffnung hatten sie nun, dass diese Maschine den Krieg noch wenden könne, die da so zügig in Richtung friedliches London flog.
Dort hatte keiner eine Ahnung von der Gefahr, die drohend näherkam.
Ort: Psyche, Moskau, Kreml, jetzt
„Ich versichere Ihnen, mein lieber Miron Michailowitsch, ich hatte keine Ahnung von Ihrer Verhaftung. Es geht Ihnen hoffentlich gut?“, fragte ein sehr besorgter Wissarew.
Wissarews Leibarzt beruhigte sich langsam.
Die Auseinandersetzungen, die es zwischen den Generälen Mercheulow und Abakumow gegeben hatte, bis er endlich frei war, hatte er nicht mitbekommen. Er entnahm sie nur der Tatsache, dass die Zivilisten von SMERSch ihn aus seiner Zelle holten, während seine Bewacher vom NKWD finster blickten.
Der Metzger fand noch die Gelegenheit, ihm zu versichern, man würde sich wiedersehen.
Der Arzt hoffte inständig, dass dieses Wiedersehen in einer gut gesicherten Psychiatrischen Klinik stattfinden würde, in die man den Metzger eingeliefert hatte. Dass der dort hingehörte, stand außer Zweifel.
Ebenso zweifelsfrei war die Zuneigung, die ihm sein schwieriger Patient immer noch entgegenbrachte. Vielleicht würde sich das aber schnell ändern. Der Arzt war fest entschlossen, Wissarew seine Diagnose mitzuteilen. Auch, wenn er dafür gleich wieder ins Gefängnis musste.
Aber Wissarew lächelte nur, als er sich alles angehört hatte. „Sie erzählen mir da nichts Neues, Miron Michailowitsch. Ich weiß bereits, dass die Durchblutung meines Gehirns immer mehr eingeschränkt ist und ich jederzeit an einem Schlaganfall sterben kann. Ist nicht der Genosse Bolschoi auch so gestorben? Dann ist es ein ruhmreicher Tod. Die Frage ist doch eher, wann ist es soweit?“
Ort: Psyche, Canterbury Distrikt, jetzt
Gleich war es soweit. Bald würde er London am Horizont erkennen können.
Die Sonne ging auf. In seinem Rücken. Also stimmte die Flugrichtung.
Geschwindigkeit und Höhe stimmten auch.
Nur mit dem Düsenantrieb schien plötzlich etwas nicht zu stimmen. Der ging aus. Einfach so.
Treibstoff war genug da. Und alle anderen Anzeigen zeigten ebenfalls keine Abweichungen von der Norm. Aber das Fauchen der Turbinen war verstummt.
Gut, dass das Ding eigentlich ein Segelflugzeug war.
Gut, dass er nahe am Boden flog. Weniger gut war der britannische Ozean unter ihm.
Ein hübscher, kleiner Strand wäre jetzt nicht schlecht.
Land tauchte auch vor ihm auf. Kein Strand. Eine Steilküste und ein paar Klippen davor.
Er korrigierte die Flugbahn, um es noch irgendwie auf die Steilküste zu schaffen. Was auch immer dahinterlag, Land war besser als Ozean. Und viel besser als Klippen.
Noch besser war, dass sich hinter den Felsen der Steilküste weicher britannischer Rasen befand. Die Schafe waren irritiert, machten dem großen Ding, was da aus der Luft auftauchte, aber Platz.
Die Soldaten vom SAS ebenfalls.
Aber nur, um das Flugzeug, kaum war es zum Stehen gekommen, rundherum einzuschließen. Die MPs im Anschlag. Humorlosigkeit in den geschminkten Gesichtern.
Der Pilot lächelte trotzdem, als er ausstieg.
„Gentlemen, Colonel von Altstetten begibt sich in britannische Kriegsgefangenschaft. Bitte seien Sie so nett, und senken Sie Ihre Waffen. Unter Gentlemen ist das doch nicht nötig“, erklärte der deutsche Oberst in einem Englisch, das jedem Oxfordprofessor ein anerkennendes Lächeln entlockt hätte.
Der britannische General lächelte auch. Aber er sprach jenes Deutsch, das den Berliner nicht ganz verleugnen lässt. „Colonel von Altstetten, der General Kowalski nimmt Ihre Bitte um die Ehre der Kriegsgefangenschaft an. Seien Sie so nett, und folgen Sie dem Major. Ich werde Ihnen gleich meine Aufwartung machen. Aber erst einmal sorgen wir dafür, dass es dieses Flugzeug und die Bombe darin nie gegeben hat.“
Ort: Psyche, SHAEF, Kowalskis Zimmer, jetzt
„Wenn es das Flugzeug nie gegeben hat, gab es auch Aidoneus´ Bedrohung nie“, konnte Ala Skaunia ihre Anerkennung nicht verbergen.
Kowalski lächelte. „Offiziell, ja. Denn nur wenige wissen davon. Irgendwann, in vielen, vielen Jahren, wird die Wahrheit herauskommen. Aber dann ist es nicht mehr wichtig.“
„Aidoneus wird sehr wütend auf uns sein. Wann ist er hier?“, fragte sie aufgeregt.
Kowalski lächelte so, dass sie es nicht sehen konnte. Schließlich hatte er das Ganze auch geplant, um seiner Frau mehr Selbstbewusstsein zu verschaffen. Das hatte sie sehr nötig. Sie besaß gar keins. Erstaunlich für eine Göttin.
„Konzentrier dich, dann kannst du ihn spüren“, forderte er sie deshalb auf.
„Ich kann mich nicht konzentrieren.“
„Wenn wir üben, kannst du es doch auch.“
„Wir üben aber nicht.“
„Doch, noch üben wir. Also bitte Konzentration. Er ist nah, spürt uns aber noch nicht.“
„Weil er erst seit kurzem ein Mensch ist?“
„Das auch. Hauptsächlich aber, weil er sehr, sehr wütend ist. Das lenkt ab“, erklärte Kowalski.
„Er ist sehr, sehr wütend? Oh weh …“
„Gar nicht oh weh. Wir schaffen das. Du bleibst, wo du bist, ich nehme ihn in Empfang. Da kommt er schon. Es geht los.“
Ort: Psyche, USA, New Mexico, 14 Tage vorher
„Endlich geht es los“, Oppenheimer war erleichtert.
„Haben Sie die nötigen Anweisungen gegeben?“, fragte General Groves.
Oppenheimer nickte. „Das schlechte Wetter ist vorbei. Man könnte fast glauben, der Planet habe sich gegen das gewehrt, was wir ihm antun wollen.“
„Unsinn, Oppenheimer, es ist Gott, dem unsere Sache nicht gefällt“, war sich General Groves sicher.
„Dabei ist das Ganze eine gute Sache“, war sich Oppenheimer sicher.
„Trotzdem kann ihm nicht gefallen, wie tief wir seinen Geheimnissen auf den Grund gekommen sind. Und was machen wir daraus? Eine Waffe.“
„Sie sind doch der Militär. Was beschweren Sie sich dann?“
„Glauben Sie mir, Oppenheimer, wir alle werden noch furchtbar bereuen, an diesem Projekt beteiligt gewesen zu sein.“ Auch darin war sich Groves sicher.
„Mag sein. Vielleicht explodiert die Atombombe ja gar nicht. Oder ihre Sprengkraft ist viel geringer, als erwartet. Warten wir, was daraus wird.“
Ort: Psyche, Lüneburg, Uelzener Str. 31a, jetzt
„Wir warten erst einmal, was uns die Ärzte sagen können, Sarge“, erklärte der Leutnant.
Der Sergeant sah seinen Vorgesetzten skeptisch an. „Meinen Sie, einer von denen kommt durch?“
„Wenn sie kein Zyankali genommen haben, und danach sieht es aus, habe sie gute Chancen, zu überleben.“
„Wer hat gute Chancen zu überleben?“, fragte il caskar, der gerade von zwei MPs hereingeführt wurde.
„Ah, unser Reichswehroffizier, der kein SS-Mann mehr sein will. Mal sehen, wie sehr Sie das nicht mehr wollen“, knurrte der Leutnant, bot il caskar aber einen Stuhl an. Auch der Sergeant saß.
Sah alles nach einem entspannten Gespräch aus. Aber das täuschte und il caskar spürte das. „Die Kradfahrer haben versucht, sich umzubringen?“, stellte er eher fest, als dass er fragte.
Die beiden Militärpolizisten musterten ihn immer noch ohne etwas zu sagen.
„Wie soll ich denn beweisen, dass es mir mit der Kooperation Ernst ist?“, versuchte il caskar, ihr Schweigen zu brechen.
„Indem Sie uns sagen, wer die beiden wirklich sind“, eröffneter der Sergeant, der hinter il caskar saß.
„Das wissen Sie doch schon lange“, erwiderte der, ohne sich umzudrehen.
„Wir ahnen es, hätten aber gern Gewissheit.“
„Und meine Forderungen?“
„Wurden akzeptiert. Von ganz oben. Der G-2 des Supreme Commander persönlich hat alle Ihre Bedingungen akzeptiert.“
„Kowalski persönlich?“, pfiff il caskar durch die Zähne. „Haben Sie das schriftlich? Sonst trau ich dem nicht.“
„Sie kennen den General?“, war der Leutnant verblüfft.
„Kowalski ist der Ehemann meiner Exfrau, müssen Sie wissen. Das sind sozusagen Familienangelegenheiten.“
„Unser Chef ist der Ehemann Ihrer Exfrau? Ich glaube, wir werden eine interessante Zeit miteinander haben“, stellte der Leutnant fest.
„Werden wir. Und als Einstand bestätige ich Ihnen, dass die beiden Kradmelder die Etherbrüder sind.“
„Okay. Aber wer von den beiden ist wer?“
„Das wird schwer. Eineiige Zwillinge sind kaum voneinander zu unterscheiden. Verhören sie doch einfach die beiden Herren. Wer besser schauspielert, heißt Luitpold.“
Der Leutnant seufzte. „Wissen Sie, General, ich bin schon seit Ewigkeiten Polizist. Ich habe geholfen, die Mafia zu besiegen und Al Capone hinter Gitter zu bringen. Ich habe dafür gesorgt, dass Lucky Luciano ganz unglücklich wurde und jetzt in Italien ist. Und das, obwohl die sich alle zum Schweigen verpflichtet hatten. Die Etherzwillinge aber, die werden für immer schweigen. Die haben sich nämlich vergiftet.“
„Heilige Scheiße!“, antwortete il caskar.
„Das können Sie laut sagen“, bestätigte ihm der Leutnant.
„Und wie soll es nun mit uns weitergehen?“
Ort: Psyche, Reims, SHAEF, Kowalskis Zimmer, jetzt
„Ich weiß nicht, wie es mit uns weitergehen soll, Aidoneus, wenn du weiterhin nur Scheiße baust. Mach einen Vorschlag“, empfing Kowalski den sehr, sehr wütenden Aidoneus.
„Den Vorschlag habe ich bereits“, brüllte der, kaum dass er aus der RaumZeit erschienen war. „Ich bring dich um, suche deine Frau und bringe die auch um, nachdem ich mein Vergnügen mit ihr hatte. Das ich dich dabei gestört habe, sehe ich daran, dass du keine Kleidung trägst.“
„Du vergnügst dich mit meiner Frau? Ich wusste gar nicht, dass du so menschlich geworden bist. Wo ist deine göttliche Überlegenheit?“, spottete Kowalski.
„Die ist schwer umzusetzen, wenn man an einen so schwachen Körper gebunden ist. Also werde ich dich mit in mein Reich nehmen. Dort kann der Spaß länger dauern.“
„Wenn ich mitkomme.“
„Ich werde dich schon besiegen. Schließlich bist auch du nur an einen so schwachen Körper gebunden. Lass es uns wie Männer austragen. Ich weiß, dass du ein Schwert besitzt. Auch ich habe eins.“
„Das ist nicht zu übersehen. Bist du schon groß genug, für ein so riesiges Schwert?“
Aidoneus war es nicht. Kowalski war, obwohl oder weil er keine Kleidung trug, viel schneller und wendiger als sein Kontrahent. Aber er war viel vorsichtiger mit dem Schwert.
Während Aidoneus mit seinem riesigen Bidehänder rumfuchtelte und alles Mögliche traf, nur nicht Kowalski, traf der immer seinen Gegner. Allerdings nur so, dass er dessen Haut ritzte. Was dazu führte, dass auch Aidoneus bald kaum noch von Kleidung bedeckt war.
Kowalski schien damit am Ziel zu sein. Mit einer leichten, kaum erkennbaren Bewegung, schlug er seinem Gegner das Schwert aus der Hand.
Sein eigenes verschwand im selber Augenblick.
„Okay. Ich werde dein Schwert aufheben und an mich nehmen, denn nach unseren Regeln bist du besiegt. Du bekommst es wieder, wenn du richtig kämpfen gelernt hast.“
Aber Aidoneus kämpfte nach seinen eigenen Regeln. Und als Kowalski sich nach dem Schwert bückte, hatte Aidoneus plötzlich einen Dolch in der Hand und wollte zustechen.
Wenn er denn in der Lage gewesen wäre, sich zu bewegen.
„Erste Lehre für dich aus diesem Zweikampf, lieber Aidoneus, Regeln sind einzuhalten“, sagte eine Frauenstimme hinter ihm.
Ala Skaunia hatte blitzschnell seine Hand gepackt und hielt ihm nun den eigenen Dolch … nicht an die Kehle. Viel tiefer. „Zweite Lehre aus diesem Zweikampf, wir Menschen sind stärker, als wir scheinen. Besonders, wenn du es mit echten Vollbürgern zu tun hast. Ich werde dich jetzt nach weiteren versteckten Waffen durchsuchen. Es wäre besser für dich, du rührst dich dabei nicht.“
Nachdem sie fertig war, sah sie Kowalski an. „Keine weiteren Waffen. Nur ´ne kleine Erektion. Nichts Bedeutendes.“
„Vollkommen unverständlich, wenn man bedenkt, dass er in deinen Armen ist und du nichts anhast.“
„Eben“, bestätigte Ala Skaunia. „Wenn ich mir aber sein Schwert ansehe, würde ich meinen, größer wird da unten nichts. Nicht einmal durch meine Nähe.“
„Könnt ihr jetzt aufhören, zu spotten, und mich wieder loslassen?“, fauchte Aidoneus.
„Nur, wenn du versprichst, ein ganz braver Junge zu sein. Bist du es nicht, musst du dir einen neuen Körper suchen. Das kann dauern“, erklärte Ala Skaunia.
„Lass mich los und ich verschwinde. Ich sehe schon ein, dass ich euch noch nicht gewachsen bin. Aber eines Tages werde ich euch vernichten.“
Ort: Psyche, USA, New Mexico, 14 Tage vorher
„Was für eine Vernichtung.“ Groves war erschüttert.
Die Vernichtungskraft der Bombe war, im wahrsten Sinne des Wortes, unvorstellbar.
Obwohl mit Leib und Seele Militär, spürte General Groves eine tiefe innere Abneigung, eine solche Waffe gegen andere Menschen einzusetzen.
Oppenheimer hingegen war begeistert. „Und das war nur die kleinste der Bomben, die wir vorbereitet haben. Die anderen werden noch viel mehr Bums haben.“
Er sah seinen Chef an. „General Groves, sagen Sie dem Präsidenten, es kann losgehen. Von nun an ist diese Welt eine andere.“
2. Kapitel Shadow Makers*
„Ich habe mich stets um die Freundschaft der Russen bemüht; aber … die von ihnen inspirierte kommunistische Taktik in so vielen anderen Ländern und vor allem ihre Fähigkeit, lange Zeit große Armeen im Felde stehen zu lassen, beunruhigen mich ebenso sehr wie Sie“
Churchill an Truman (Erde, 05.März 1946)
Ort: Psyche, Mercheulows Datscha nahe Moskau
„Meinen Sie wirklich, dass die Sache so glimpflich abgeht?“, fragte Chruschtschow ängstlich.
„Wenn wir die Atmosphäre der Angst weiterhin aufrechterhalten können, warum nicht?“, erwiderte Mercheulow leichthin.
Die anderen Genossen sahen sich an.
„Weiß der Genosse Generalissimus, wie es um ihn steht?“, fragte Mikojan.
„Selbstverständlich, Anastas Iwanowitsch. Sie kennen doch seinen Arzt. Der wird ihm alles offengelegt haben. Politischen Verstand hatten diese Juden nie“, erwiderte Mercheulow.
„Wir werden dem Genossen Generalissimus unsere unverbrüchliche Treue versichern“, kam es vom Außenminister.
„Das haben sie doch heute Morgen bereits, Wjatscheslaw Michailowitsch. Aber Sie können ihm gern nochmals in den Arsch kriechen. Der Genosse Wissarew wird es Ihnen nie vergessen“, wies ihn Mercheulow zurecht.
Die anderen Genossen duckten sich ängstlich unter der Großspurigkeit Mercheulows. Seine Offenbarung, der Genosse Vorsitzende sei sterbenskrank und mit seinem Ableben bald zu rechnen, hatte wie eine Bombe eingeschlagen. Heftiger, als der Atombombenversuch im fernen pazifischen Ozean, von dem er ebenfalls berichtet hatte.
Die Vereinigten Staaten waren weit und deren Bedrohung so fern. Aber der Genosse Wissarew war nahe und noch sehr lebendig. Deshalb schauderten auch alle, als Mercheulow vorschlug, über die Ämterverteilung nach Wissarews Ableben zu verhandeln.
Nur Marschall Schukow und General Abakumow hatten bis jetzt noch kein Wort gesagt.
Ort: Psyche, Lüneburg, Kreiskrankenhaus
„Er hat noch kein Wort gesagt, Sir“, empfing sie der behandelnde Arzt. Wahrscheinlich ein Deutscher. Aber er sprach fließend Englisch. Was die beiden Militärpolizisten als sehr angenehm empfanden.
„Wird er überleben?“, fragte ihn der Leutnant.
Der Arzt nickte. „Aber niemand kann jetzt schon sagen, wozu er noch in der Lage sein wird. Sein Gehirn war lange ohne Sauerstoff. Das wird zu Schädigungen geführt haben. Sie können froh sein, dass sie uns gerufen haben. Wir arbeiten schon seit ein paar Jahren daran, Menschen künstlich beatmen zu können. Der Krieg hat uns genug Möglichkeiten geboten, unsere Erfindung auszuprobieren. Deshalb bin ich extra aus meiner Heimat nach Deutschland gekommen.“
„Sie sind kein Deutscher?“
„Nein, mein Name ist Henning Ruben und ich bin Skandinavier“, erwiderte der Arzt und lächelte, als er die Mienen der beiden amerikanischen Militärpolizisten sah. „Sie müssen mich nicht ansehen, als käme ich vom Mars. Meine Geburtsstadt liegt nur eine halbe Autostunde von hier entfernt.“
„Aber hinter dem Danewerk“, stellte der Leutnant klar.
„Und damit weit weg von jedem Krieg und jeder Gewalt. Manchmal ist die jedoch nötig, Ärzte zu Höchstform zu bringen. Sie würden staunen, welch bahnbrechende medizinische Erfindungen in diesem Krieg gemacht wurden.“
Inzwischen hatten sie ein vergittertes Fenster erreicht und der Sergeant sah hindurch. „Welcher Ether liegt denn nun dort?“, fragte der Sergeant.
Der Arzt zuckte die Schultern. „Fragen Sie ihn, wenn er je wieder sprechen kann. Möglich auch, dass er sich nicht erinnern kann.“
„Aber die Antwort ist wichtig. Ist es Luitpold, schicken wir ihn nach Hollywood. Dort kann er Nazis spielen. Ist es Heinrich, muss er nach Nürnberg und wird angeklagt.“
„Sie sind doch die Polizisten. Finden Sie´s raus.“
Ort: Psyche, Husum
„Was wollen Sie eigentlich aus mir rausholen?“, fragte der Mann.
Es klang müde, stellte der General in Zivil zufrieden fest. Kein Wunder, nach dem langen Verhör.
„Warum soll ich Ihnen das auf die Nase binden? Sie reden doch sowieso nicht“, provozierte er trotzdem. „Kann ich bei den SS-Strolchen verstehen, die wir hier festgenommen haben. Die haben nur ihre Muskeln und die Erbse im Kopf, die sie Hirn nennen. Aber Sie … “
„Eigentlich haben Sie recht. Der Krieg ist zu Ende. Der Einzige, dem gegenüber man noch loyal sein sollte, ist man selbst“, gab der Deutsche plötzlich nach.
„Wollen Sie eine Zigarette?“, bot der amerikanische General in Zivil an und wartete, bis sich der deutsche Zivilist die Zigarette angezündet hatte.
Der blies den ersten Rauch aus, nickte anerkennend und sagte dann: „Wir haben ein Flugzeug gewartet und aufgetankt, als wir euch schon auf dem Meer sahen.“
„Unser Radar hat kein Flugzeug ausgemacht.“
„Ihr habt Radar auch auf euren Schiffen?“
„Ja. Das ist ganz nützlich. Bei Nebel. Und gegen Flugzeuge“, gab der General in Zivil zu.
„Das werdet ihr nicht gesehen haben. Der Pilot hat erzählt, das Ding sei für Radar unsichtbar und außerdem viel zu schnell.“
„Viel zu schnell?“
„Er sprach von Schallgeschwindigkeit.“
„Das ist unmöglich.“
Der Deutsche spukte aus. „Nur, weil Sie sich das nicht vorstellen können? Ich habe Raketen gebaut, die diesen Planeten verlassen können. Ich könnte welche bauen, die bis zum Mond fliegen. Die sind um vieles schneller als der Schall. Das Flugzeug hatte keine Propeller, sondern Düsen. Damit wäre eine solche Geschwindigkeit kein Problem.“
„Hätten Sie ein Problem damit, eine kleine Reise zu machen?“, fragte der General in Zivil. Viel freundlicher, als noch zu Beginn des Verhörs.
„Eine kleine Reise? Wohin?“
„Nach Texas.“
„Texas soll eine schöne Insel sein. Aber ich habe meine Familie ewig nicht gesehen.“
„Die ist noch immer im Schwarzwald, nicht wahr?“
„Das wissen Sie?“, staunte der Deutsche.
„Ich weiß einiges über Sie, Herr Baron. Die Vereinigten Staaten würden sich dieses Wissen, das Sie haben, gern zu Nutze machen. Natürlich wird unsere Bezahlung entsprechend ausfallen. Für Sie. Und für Ihr Team selbstverständlich. Ihre Familien holen wir auch nach Texas. Onkel Sam bezahlt das“, bot der General in Zivil an.
„Und dies Angebot macht mir ein Zivilist?“
„Gestatten Sie, dass ich mich vorstelle. Kowalski ist mein Name. General Kowalski. Im Moment bin ich die linke und die rechte Hand des Alliierten Oberbefehlshabers, General Eisenhowers. Es ist alles mit dem General abgesprochen.“
Der Deutsche stand ebenfalls auf. „Wernher von Braun ist mein Name. Aber das wissen Sie sicher schon.“
Ort: Psyche, Pazifischer Ozean, Tinian, North Field
„Das wissen Sie schon?“, fragte der General überrascht.
„Das war nicht schwer zu erraten, Sir“, antwortete der Oberst, während er seinen Kommandanten ansah. Militärische Geheimnisse sind nur Wunschträume von Stabsoffizieren. In der Truppe sickerte immer etwas durch.
Als der Oberst sah, dass sein General nicht begriff, erklärte er: „Sie haben aus meiner Maschine alles ausbauen lassen, was möglich war. Sie haben die Bombenschächte erweitert und uns mit diesen komischen Kürbissen üben lassen. In der Truppe wird schon lange gemunkelt, dass wir eine besonders mächtige Waffe haben.“
„Wir werden sie einsetzen. Aber es wird wohl ein wenig heikel werden“, begann der General.
„Sie ist noch nicht getestet worden?“, vermutete der Oberst.
„Oh doch, ein Test fand statt. Das Testergebnis war mehr als überwältigend. Wir wissen nun, dass eine solche Bombe in der Lage ist, eine Großstadt zu vernichten.“
Der Oberst pfiff durch die Zähne „Dann sollten wir aufpassen, dass uns diese kleine Insel nicht um die Ohren fliegt, wenn die Bombe hier ankommt.“
„Schön, dass Sie es sagen, Colonel. Ich dachte schon, ich wäre zu vorsichtig.“
„Zu vorsichtig gibt es bei Waffen nicht, General, das wissen Sie doch“, erwiderte der Oberst.
„Auf jeden Fall weiß ich jetzt, dass ich den Richtigen für den Job ausgesucht habe. Ich erwarte Sie und Ihre Crew in einer halben Stunde zum Briefing.“
„Zu Befehl, Sir. General, Sir?“
„Ja, Colonel.“
„Ich würde meine B 29 gern taufen, Sir. Letztendlich ist es doch ein Jungfernflug, den wir da übernehmen.“
„Genehmigung erteilt, Colonel.“
Ort: Psyche, Moskau, Kreml
„Ich erteile unseren Truppen die Genehmigung, in China einzumarschieren. Verstanden, Genossen?“ Wissarew sah die Genossen vom Politbüro des ZK der KPdSU an. So, als wolle er erkunden, wer schon abtrünnig wäre. Nach der Nachricht vom bevorstehenden Tod des Zaren.
Der Genosse Skrjabin war nicht abtrünnig, aber Außenminister. Als solcher durfte er widersprechen. Hoffte er. „Obwohl das unsere amerikanischen Verbündeten nicht wollen?“, fragte er deshalb.
Wissarew reagierte erstaunlich gelassen. „Nein, sondern weil sie es nicht wollen, Genosse Skrjabin.“
„Es geht bereits um die geopolitische Ausrichtung nach dem Krieg. Und die US-Regierung hätte da gern allen Einfluss auf China, den sie bekommen kann“, ergänzte Wihtania.
„Richtig, Genossin Ehrlichthausen“, stimmte Wissarew zu, „aber auch wir möchten gern in China so viel Einfluss haben, wie es geht. Möglichst allen. Und möglichst allein. Ein kommunistisches China wäre eine prima Sache.“
Die Generalin von Ehrlichthausen nickte. „Ich kann mich dem Genossen Mao gern als militärische Beraterin zur Verfügung stellen. Ich bin mir sicher, die Amerikaner haben ihre Berater bereits zu Chiang Kai-Sheck geschickt.“
„Der Ausdruck „ich bin mir sicher“ bedeutet bei Ihnen doch, Sie wissen, dass die anderen ihre Militärberater hingeschickt haben?“, fragte Wissarew argwöhnisch.
„Davon können Sie ausgehen, Genosse Vorsitzender.“ Wihtania nannte ihn nie anders und er, der sonst immer mindestens auf Woschd oder Generalissimus bestand, schluckte es nur. Die anderen Herren dachten, es liege daran, dass sie eine Frau wäre. Wihtania klärte diesen Irrtum nie auf.
Dafür erklärte sie den Herren, wie es weitergehen müsse. Sie hatte stets ihre ungeteilte Aufmerksamkeit dabei, denn sie irrte sich nie. „Wo liegen unsere Stärken und ihre Schwächen? Die Frage lässt sich leicht beantworten: Wir haben keinen Landbesitz außerhalb der Grenzen der Sowjetunion. Die anderen haben Kolonien. Sehen Sie die Chance, meine Herren.“
Die Herren kamen sich ein wenig wie Schulbuben vor. Aber vor einer so schönen Lehrerin will jeder Schulbub glänzen. Wihtania musste nie lange auf Antworten warten.
„Wir sorgen dafür, dass sich ihre Kolonien von ihnen lossagen, und bringen ihnen den Fortschritt der Arbeiter- und Bauerngesellschaft“, platzte der Außenminister als erster heraus. „Dann kontrollieren wir ihre Kolonien und deren Reichtum.“
„Fast richtig, Wjatscheslaw Michailowitsch…“
„…denn wir werden sie nicht direkt kontrollieren, sondern über die Regierungen, die sie bekommen. Genauso, wie wir es in den Ländern machen, die unsere ruhmreiche Rote Armee befreit hatte“, ergänzte Chruschtschow.
Eigentlich müsste man jetzt erstmal lüften, dachte Wihtania.
Aber die Herren nahmen den politischen Dunst, den sie ausströmten, für bare Münze und störten sich nicht daran.
Sie verstand ihre Brüder nun viel besser. Diesen Menschen den richtigen Weg zu weisen, war ein Job, der schlauchte. Auch eine Göttin.
Inzwischen diskutierten die Herren, was in Europa anders werden musste.
Wissarew erklärte weiter: „Wir werden der Siegesgewissheit der Alliierten schon den richtigen Dämpfer versetzen. Die werden merken, was sie von ihrer Demokratie haben.“
Damit war es eigentlich so wie immer. Und die meisten hatten inzwischen vergessen, dass sie sich bereits geeinigt hatten, wie es nach Wissarews Tod weitergehen sollte. Sie sahen ihn mit hündischer Ergebenheit an und lauschten seiner Weisheit.
Der gestikulierte mit seiner Pfeife und gab Anweisungen: „Genosse Chruschtschow, Ihr Aufgabengebiet wird sich nun nicht mehr nur auf die Ukraine erstrecken, sondern erst hinter der Werra enden. An der deutsch-deutschen Grenze.“
Chruschtschow stand auf und nickte ergeben.
Wissarew sah es gnädig, tigerte weiter durch den Raum und erklärte, ab und zu an seiner Pfeife ziehend: „Vergessen Sie das Geschwafel von der deutschen Einheit. Ein geeintes Deutschland wird immer viel zu mächtig für uns sein. Wir wollen zwei deutsche Staaten. Mindestens. Der östliche davon gehört uns. Was die anderen mit ihren Besatzungszonen machen, ist Ihre Sache.“
Wissarew blieb stehen und sah die Politbüromitglieder an: „Der französische Präsident hat mich unter dem Mantel tiefster Geheimhaltung gebeten, seinen Plan zu unterstützen. Er will aus jedem Besatzungsgebiet eine neue deutsche Republik machen. Alles andere macht den Franzosen Angst.“
„Sie haben immer noch Angst vor den Deutschen?“, fragte Chruschtschow erstaunt.
Wissarew nickte. „Fast so viel, wie vor dem Kommunismus. Wir werden ihnen zeigen, wie mächtig der Kommunismus ist. Sein Gespenst wird wieder umhergehen, in Europa.“
Ort: Psyche, Washington, Weißes Haus
„Das Gespenst des Kommunismus darf man nie unterschätzen, Mr. President“, bekräftigte der blasse Mann im Bett.
„Die sind aber unsere Verbündeten“ warf der Angesprochene ein.
„Unsinn. Der Krieg ist vorbei. Wir brauchen sie nicht mehr. Der nächste Krieg hat bereits begonnen und es kommt nun nur noch darauf an, wer dabei die bessere Ausgangsposition einnimmt, um nicht gleich zu Beginn abgehängt zu werden.“
„Das hat nichts mit Sport zu tun.“
„Deshalb können wir auch unfair sein, Mr. President. Der einzige Schiedsrichter ist der da oben und er mischt sich selten ein“, erklärte der Berater seinem Präsidenten.
„Meinen Sie, er billigt, was wir tun?“, fragte der.
„Trauen Sie mir einen direkten Draht dorthin zu?“, fragte sein Berater erstaunt.
Der sah genau so erstaunt auf Harry Hopkins. „Unbedingt. Ich hatte noch nie einen Berater, der immer richtig lag. Kein Wunder, dass mein Vorgänger auf Sie nicht verzichten konnte und Sie mir wärmstens empfahl. Wie wollen wir vorgehen?“
„Wir spielen unsere Stärken aus. Die Demokratie ist dem Kommunismus weit überlegen. Bei uns gibt es Freiheit und Gerechtigkeit. Gegen die Nazis mussten wir noch mit den Kommunisten gemeinsame Sache machen. Damit ist es endlich vorbei.“
„Sie sprechen mir aus der Seele, Harry. Es hat mir nie gefallen, wie die alle aus ihren Winkeln krochen, und ich konnte nichts dagegen tun“, gab der US-Präsident zu.
„Sie müssen sich da raushalten, Mr. President. Suchen Sie sich einen Bluthund. Einen Mann fürs Grobe. Einen richtig scharfen. Der die Kommunisten jagt. Weil er das will. Es gibt genug Senatoren und Abgeordnete beider Parteien, die das wollen, und die für Sie in die Schusslinie gehen können.“
„Beider Parteien?“
„Meinen Sie, die werden Ihnen eine vierte Amtszeit zugestehen? Niemals. Man arbeitet bereits an einem Verfassungszusatz, der einer Person nur eine zweimalige US-Präsidentschaft ermöglichen soll. Mehr wird es in Zukunft nicht geben.“
„Ich weiß.“
„Dann wissen Sie auch, dass man Eisenhower die Präsidentschaft angetragen hat?“
„Die Wahlen sind erst in zwei Jahren, Harry.“
„Politisch gesehen also morgen.“
„Morgen interessiert mich Politik nicht mehr.“
„Auch nicht, was aus der Politik wird, die Sie zu verantworten haben oder die Sie angeregt haben?“
„Sie wissen, wie Sie bekommen, was Sie wollen. Also, was wollen Sie, Harry?“, fragte der US-Präsident.
„Fördern Sie den jungen Fjölnir. Ich meine natürlich Paulos Pantonostis. Er ist nicht nur ein begabter Journalist.“
„Ich wundere mich, dass seine Zeitung die Dinge veröffentlicht, die er schreibt“, musste der US-Präsident zugeben.
„Warum nicht?“, wunderte sich Harry Hopkins. „Jedes Wort davon ist wahr.
Der US-Präsident lachte. „Sie glauben an diesen Schwachsinn, Harry?“
Der sah ihn aufmerksam an. Und erwiderte in einem Ernst, der den Präsidenten nachdenklich machte: „Ich weiß, dass jedes Wort davon wahr ist. Denn ich war dabei, als die Vereinigten Staaten vor tausend Jahren besiedelt wurden.“
„Unsinn, Harry. So alt sind Sie nicht.“
Nach einem heftigen Hustenanfall entgegnete der jedoch: „Ich bin viel älter, als Sie glauben. Aber es wird Zeit, dass ich abtrete. Der Mann, den Sie als Paulos Pantonostis kennen, ist mein Neffe und heißt Fjölnir. Reicht Ihnen das als Empfehlung?“, fragte Harry Hopkins.
„Unbedingt. Soll ich ihn zu Ihrem Nachfolger machen?“
„Das ist unmöglich. Er will es nicht. Fjölnir will nicht mehr sein, als ein Journalist. Sagen Sie den richtigen Leuten, wie sehr Sie ihn schätzen. Der Rest wird sich von selbst ergeben“ erklärte der Berater.
„Einverstanden. Was noch?“, fragte der Präsident.
„Ein Krieg geht zu Ende. Damit beginnt immer eine technologische Revolution. Diesmal wird sie gewaltig sein. Damit meine ich nicht die Waffen, die wir bauen werden, sondern die Dinge, die bei dieser Entwicklung quasi abfallen. Es wird eine vollkommen neue Welt auf Psyche entstehen. Sorgen wir dafür, dass es die richtige wird.“
„Machen wir das nicht schon lange, Harry?“
„Viel zu lange, Mr. President.“
Ort: Psyche, Moskau
„Wie lange wird Wissarew noch leben?“
Gerrich lächelte. „Lassen Sie sich überraschen, Georgi Konstantinowitsch.“
„Als Militär ist mir das egal. Aber Politiker, die sich überraschen lassen, leben nicht lange. Nicht in diesem Land.“
„Und wenn Sie die richtigen Maßnahmen ergreifen? Mercheulow ergreift sie bereits. Er möchte einen einheitlichen Geheimdienst. Unter seiner Führung, versteht sich.“
„Darauf kann er lange warten“, erwiderte Schukow verächtlich.
„Er wartet nicht. Sobald Wissarew tot ist, wird er handeln. Vorbereitet ist schon alles. Schließlich stellen seine Leute die Bewachung des Kremls.“
Schukow verstand. „Dann wird das so schnell wie möglich von meinen Leuten übernommen“, erklärte er.
„Es muss aber geschehen, ohne dass nur ein einziger Schuss fällt“, verlangte Gerrich.
„Selbstverständlich. Alles andere würde einen Bürgerkrieg auslösen. Den kann im Moment niemand gebrauchen.“
„Das wird auch die anderen Politiker davon abhalten, dem Militär ins Handwerk zu pfuschen, wenn das Militär keinen Pfusch macht“, stimmte Huldrich zu.
„Es wird keinen Pfusch geben. Weil ich die Planung übernehme“, war Schukow zuversichtlich. „Eure Schwester wird mir dabei helfen.“
„Dann ist das in Ordnung“, war Gerrich einverstanden.
„Mit Wissarews Tod endet dessen Gewaltherrschaft. Etwas anderes lassen wir nicht zu. Egal wie russisch die euch erschien“, stellte Huldrich klar.
„Ich glaube, die meisten werden euch bei diesem Punkt unterstützen. Es wird zwar ungewohnt sein, plötzlich keine Angst mehr zu haben. Aber es wird gut sein“, war Schukow einverstanden.
„Dann sind wir uns einig, Genosse Marschall? Das ist schön. Sie übernehmen den militärischen Aspekt, wir den politischen. Wir werden alle Hände voll zu tun haben.“
„Und wer uns danach nicht unterstützt?“, wollte der Marschall wissen.
„Zwei Worte, Genosse Marschall, Lubjanka und Suchanowka. Sie kennen die Vorzüge dieser Einrichtungen? Wir würden sie nochmals nutzen. Ein letztes Mal. Warum sollen die Genossen Mercheulow, Abakumow oder Rjumin nicht die Vorzüge politischer Gefangenschaft kennenlernen dürfen, bevor wir sie vor Gericht stellen?“, bemerkte Gerrich mit bitterem Sarkasmus.
Huldrich stand ebenfalls auf. „Soweit muss es gar nicht erst kommen. Wir bevorzugen einen friedlichen Coup d´Etat. Machen Sie einen entsprechenden Plan, Genosse Marschall. Und versagen Sie nicht dabei.“
Ort: Psyche, Pazifischer Ozean, Tinian, North Field
„Wir dürfen nicht versagen, Leute, die ganze Nation blickt auf uns“, hatte der Colonel seine Besatzung motiviert.
Das war natürlich nur bildlich gemeint, denn im Moment blickte nur die Besatzung des Flugplatzes auf den riesigen Bomber und seine zwei Begleitflugzeuge, die alles aufzeichnen würden. Auch die Auswirkungen des Bombenabwurfes.
Sie hatten ihn mit der Tonnenschweren Bombe beladen, als sei die ein rohes Ei, und dabei Blut und Wasser geschwitzt.
Dieses Privileg hatte nun nur noch die dreiköpfige Besatzung des Bombers, der ohne Probleme startete und sich mit einer Leichtigkeit in die Luft erhob, als gelte es wieder nur, Kürbisse zu Testzwecken auf die Insel zu werfen.
Aber es war ernst. Bitterer Ernst und der ließ die Besatzung schweigen.
Seine Männer konnten das. In wichtigen Situationen schweigen. Der Oberst steuerte das Flugzeug. Eine viermotorige Boeing B-29 Superfortress. Die anderen beiden Besatzungsmitglieder sahen hinaus und versuchten sich bereits auf das zu konzentrieren, was ihre Vorgesetzten und ihr ganzes Land von ihnen zu erwarten schien:
Tod und Verderben in einer Art und Weise über diese Welt zu bringen, wie die es bisher noch nie gekannt hatte.
Dabei waren sie sich ganz sicher, richtig zu handeln. Denn es hatte sich ihrer eine Ruhe und Zuversicht angenommen, die ein Scheitern des Angriffes von vornherein ausschloss.
Ort: Psyche, Kunzewo, Wissarews Datscha
Diesmal hatte Aidoneus auf eine Art und Weise in die Ereignisse auf Psyche eingegriffen, die sein Scheitern von vornherein ausschloss: Auf die Althergebrachte. Den VIP-Fall Wissarew und den Atombombenabwurf regelte er nur mit seinem Geist. Von Akromytikas aus.
Der begleitete nun nicht nur den Bomber über dem fernen Pazifischen Ozean, sondern auch den Genossen Wissarew auf dem Weg zur Toilette.
Dass Wissarew aufs Klo ging, war ebenso wichtig, wie die Mission der „Enola Gay“ über Japan. Beides würde die „Operation Unthinkable“ unmöglich machen.
Wissarew ging nie vor dem frühen Morgen zu Bett und schlief dann meist bis gegen elf. In der Zeit hatten seine Bewacher ihre Ruhe. Umso erstaunter waren sie, als der Genosse bei ihnen erschien. In Pyjamahose und Unterhemd. Sich den Bauch kratzend und ausgiebig vor sich hin schimpfend.
Nicht über die Wachen, wie die erleichtert feststellten, sondern über hohe Genossen der Regierung.
Das war so seine Art und nicht weiter verwunderlich.
Ebenso seine Art war es, die Tür hinter sich zuzuschlagen.
Dass dem Zuschlagen der Tür noch ein weiteres Geräusch folgte, hörten die Wächter nicht.
Sie hörten ganz lange nichts mehr vom Genossen Wissarew. Viel länger, als sonst.
Ort: Psyche, Schloss Gripsholm
Kowalski blieb viel länger als sonst in seiner Trance, stellte Ala Skaunia mit Verwunderung fest.
Da er aber lächelte, als er wieder zu vollem Bewusstsein zurückfand, beruhigte sie sich.
Denn es war jenes Lächeln, in das sie sich einst verliebt hatte. Ein Lächeln, das jedem Gegner Kowalskis furchtbare Angst einflößen musste, so jungenhaft es auch war.
„Aidoneus hat aus seiner Niederlage gelernt. Gut so. Als Gott ist er viel besser zu kontrollieren, als in seiner menschlichen Form. Diesmal will er auf Nummer Sicher gehen. Da wir das auch wollen, arbeiten wir gut zusammen.“
„Was er wohl dazu sagen wird, wenn er herausbekommt, wie sehr du ihn manipulierst?“
Kowalski sah seine Frau an. „Er wird hoffentlich wütend sein. Sehr wütend.“
Es machte sie ganz verrückt, wenn er so war. Sie schmiegte sich an ihn an und nutze schamlos aus, dass Götter sich nackt in eine Trance versenken.
Es machte ihn ganz verrückt, wenn sie so war.
Eine ganze Weile redeten sie nicht.
Zumindest nichts wichtiges, was in dieser höchst seriösen Chronik erwähnenswert wäre.
Sondern sie machten das, was Mann und Frau manchmal tun, wenn sie keine Kleidung tragen. Manchmal sogar, obwohl sie miteinander verheiratet sind.
Danach hatte Ala Skaunia viel von ihrer üblichen Biestigkeit verloren. Und Kowalski meinte, manch schwierige Mission nehme doch ein gutes Ende.
Trotzdem war er für den richtigen Verlauf der aktuellen verantwortlich.
Seufzend bette er Ala Skaunias Kopf so in seinen Schoß, dass er sich wieder in Trance versetzen konnte, und sendete seinen Geist zuerst nach Hiroshima.
Ort: Psyche, Dai Nippon, Hiroshima
Hiroshima sah von weit oben aus, wie jenes Model, über dem sie den Abwurf so oft besprochen hatten.
Die Innenstadt war fast komplett aus Holz erbaut. Diesen Baustoff verwendeten die Japaner gern. Gut so. Er würde ausgezeichnet brennen und die Wirkung der Bombe auf fatale Weise verstärken.
Alles andere war so oft geübt worden, dass es keine Pannen gab. Bombe ausklinken, Wendemanöver einleiten und die Maschine auf Höchstgeschwindigkeit beschleunigen.
Ob die Bombe wirkte und wie sie wirkte, das zu beobachten, war Aufgabe der anderen beiden Flugzeuge.
Der Pilot der „Enola Gay“ starrte verbissen nach vorn.
Zum Glück, denn so hatte er die Maschine immer noch fest im Griff, als ein Blitz plötzlich eine Helligkeit verursachte, die so blendend war, dass man glaubte, nie wieder etwas sehen zu können.
Ort: Psyche, Kunzewo, Wissarews Datscha
„Ihr werdet doch mal nach dem Genossen Wissarew sehen können“, bat der Sekretär.
Die Soldaten der Leibwache schüttelten den Kopf. Es hätte dem Genossen Wissarew sicher sehr gefallen, welche Angst in den Gesichtern der Genossen zu erkennen war, die vor seiner Schlafzimmertür standen.
Immerhin war es fast Mitternacht. So lange schlief der große Woschd sonst nie.
Der diensthabende Sekretär hatte trotzdem allen Mut aufbringen müssen, sein Büro zu verlassen, um den großen Führer in seinem Schlafgemach persönlich nach dessen Befehlen zu fragen.
Allerdings ließ sich die Schlafzimmertür nicht öffnen.
Irgendetwas Schweres lag dahinter.
Das einzig Schwere allerdings, dass es in diesem Schlafzimmer gab, war der Genosse Wissarew selbst.
Und nun?
Erlaubte sich der Genosse Wissarew vielleicht einen jener Scherze, über die man in der Bevölkerung manchmal munkelte und die alle hier zu Recht fürchteten?
Er hatte einen sehr … hm … eigenartigen Humor. Manchmal überlebten seine Untergebenen sogar die Scherze des Woschd. Aber nur manchmal.
Die Anwesenden hofften inständig, heute sei so ein Tag.
Denn sie hatten beschlossen, die Tür nun gemeinsam zu öffnen und damit den Widerstand zu brechen, der sich auf der anderen Seite befand.
Der Genosse Wissarew Höchstselbst hatte die Tür zugehalten. Indem er hinter ihr zusammengebrochen war.
Er war bei Bewusstsein, konnte sich aber nicht rühren. Nur die wie verrückt sich bewegenden Augen zeigten, welch verhängnisvolle Befehle sein Mund herausschreien würde. Zum Glück hinderte ihn die Lähmung am Schreien.
Die Männer seiner Wache schleppten ihn zum nächsten Diwan und legte ihn darauf.
Der Hauptmann sah den Sekretär an.
„Es wäre gut, wenn wir unsere jeweils höchsten Vorgesetzten verständigten. Was halte Sie davon, Genosse Starostin?“, fragte er.
Der Sekretär nickte nur und ging dann zum Telefon auf dem Schreibtisch, wo er sich mit dem Genossen Chruschtschow verbinden ließ.
Die Wache hatte eine eigene Telefonverbindung in ihrem Raum. Die führte direkt zum Genossen Abakumow.
Keiner dachte daran, den Genosse Mercheulow zu informieren.
So musste weder Kowalski, noch Aidoneus, ja nicht einmal Huldrich und Gerrich in das Geschehen eingreifen.
Denn es passte genau in die Pläne der Götter, die den Tod des Genossen Wissarew überwachten.
Schließlich war dessen Sterben eine genauso wichtige Angelegenheit, wie sein ganzes Leben vorher.
Da es nun zu Ende war, sollten einige Festnahmen erfolgen.
Ort: Psyche, Moskau, Kreml
„Sie wollen mich festnehmen? Mich?“ Mercheulow schrie fast, so wütend war er.
Schukow lächelte nur. „Wir wollen Ihnen die Möglichkeit einräumen, Selbstkritik zu üben, Genosse Mercheulow. Wir haben einen hübschen Gulag für Sie ausgesucht. Ich kann Ihnen den sehr empfehlen. Ich selbst hatte dort die Gelegenheit, Selbstkritik zu üben. Zum Glück habe ich dabei keine Zähne verloren. Andere Offiziere hatten da weniger Glück. Mal sehen, wie es Ihnen dort ergehen wird.“
„Wie schon?“, knurrte Mercheulow. „Ihr werdet mich irgendwo erschießen und verscharren.“
„Sie werden es nicht glauben, Lawrenti Pawlowitsch, aber Sie werden einen fairen Prozess bekommen. Marschall Konew wird ihn leiten. Der Prozess wird sogar öffentlich sein.“
„Öffentlich? Also vor ausgewählten Genossen? Damit die Angst bekommen und in Zukunft gehorchen?“
„Aber nicht doch. Diese Zeiten sind vorbei. Wir werden die Presse einladen. Auch die ausländische. Aus dem Westen und aus Amerika. Darauf bin ich selbst gespannt. Das Fernsehen wird auch da sein. Sie kommen ins Fernsehen, Lawrenti Pawlowitsch. Ist das nicht herrlich?“
* engl. Schattenmacher (bezieht sich auf die gespenstischen Schatten, die an den Wänden entstehen, wenn bei Atombombenexplosionen Menschen einfach „verdampfen“)