Читать книгу Wir überfallen die Polizei - Thorsten Nesch - Страница 6
Die Knockout Situation
ОглавлениеWenn jeder Mensch nur eine gewisse Menge an Adrenalin im Leben produziert, dann habe ich meinen gesamten Vorrat alleine heute verschossen. Dann schlurfe ich für den Rest meines Lebens als Zombie durch die Gegend, getrocknete Spucke an den Lippen, blöder Blick.
Wir stehen schon eine ganze Weile hier an der Theke dieser schäbigen Kneipe und haben uns gegenseitig unsere Versionen des Tages erzählt; trotzdem fehlt nicht viel, und ich würde meinen Whisky mit zwei Händen trinken, so sehr klappert das Glas zwischen meinen Zähnen.
Ob es den anderen genauso geht?
Über den zitternden Glasboden schaue ich in die Runde. Diesem Anton scheint der ganze Tag am Arsch vorbeizugehen. Der steht da, als würde er sich sein Feierabendbier gönnen.
Und der soll mein leiblicher Vater sein!
Das verschwitzte Polizeihemd hat er sich aus der Hose gerupft und bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, so dass uns der verwitterte Totenkopf von seiner tätowierten Brust angrinst wie Keith Richard einen Zöllner. Die Polizeilederjacke liegt zusammengeknüllt auf dem Tresen.
Chris trinkt seinen Cutty Sark, dabei zwinkert er zu oft mit den Augen. So zeigt sich bei ihm die Nervosität. Seine Polizeilederjacke trägt er noch. Verstehe ich nicht. Auch wenn sie vorne offen ist, muss es da superheiß drin sein. Es sind ganz sicher über 40 Grad in diesem Bierloch, genau wie draußen, kein Unterschied. Eine Bullenhitze.
Der knarrende Deckenventilator quirlt die heiße Luft nur, Wind erzeugt er keinen. Schlaff hängen die Staubfäden von dem Fischernetz, das jemand vor vielen Jahren unter die Holzimitatdecke des fensterlosen Ladens getackert hatte. Seitdem hält es seinen Fang: Plastikfische, Plastikseesterne, eine Gummiente, leere Bierdosen, Bierdeckel, Zigarettenschachteln, einzelne Handschuhe und BHs.
Maria lehnt hinter ihrer Theke auf der Bar und raucht hektisch eine Zigarette nach der anderen. Sie zieht immer nur kurz, wartet, ohne die Hand mit der Zigarette weiter als nötig vom Mund zu entfernen, atmet aus und nimmt gleich den nächsten Zug. Jedes Mal, wenn sie an dem Filter zieht, entstehen Linienfältchen um ihre Lippen, die sternförmig auf den Mund zeigen. Ihre Augen starren zwischen uns hindurch.
Mein Erzeuger hebt sein Glas auf Stirnhöhe, räuspert sich spektakulär laut und spricht einen Toast aus, —Den hier For the Road! Danach sollten wir uns verpissen.
Ich weiß noch nicht einmal, ob Anton sich mit mir verpissen will oder wieder alleine wie nach meiner Geburt.
Persönlich kennengelernt haben wir uns erst heute Vormittag. Nach meiner Entlassung aus der Jugendhaftanstalt.
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—So, Ralf Dreher ...
An dieser Stelle unterbrach ich Ömmes, den fülligen Vollzugsbeamten, der heute an der Ausgabestelle saß und innerlich nur noch auf seine baldige Pensionierung wartete, —Daniel, Daniel Dreher!
Ich stand in einer Art Schleuse zur Freiheit, eine Tür links, eine Türe rechts von mir: hinter einer der Knast, hinter der anderen die Freiheit. Alles war weiß gestrichen mit der billigsten Farbe, die im Baumarkt zu kriegen war, und gestrichen wurde dauernd. Meistens, nachdem jemand ausrastete. Gründe gab es genug. Unter der frischen Farbschicht konnte ich einige Dellen und Kerben erkennen.
—Hier steht Ralf, meinte Ömmes so emotionslos wie die dicke Plexiglasscheibe zwischen uns.
—Ralf Daniel heiße ich eigentlich, Ralf Daniel Dreher.
Er nagelte mit einem grünen Kugelschreiber auf das Papier, —In den Unterlagen steht nur ...
—Ja, Ralf, ich weiß, ich habe meinen Mittelnamen nie angegeben, aber heute beginnt mein neues Leben. Neues Leben, neuer Name.
Jetzt schaute er mir zum ersten Mal in die Augen, seine Routine hatte einen Knacks bekommen. Es kam wohl nicht häufig vor, dass jemand bei seiner Entlassung anders genannt werden wollte als beim Einchecken in den Club Mett.
Ömmes räusperte sich, —Daniel Dreher. Ein neuer Vorname alleine macht noch kein neues Leben.
—Mein neues Leben heißt Clarissa.
Er überlegte mit dem Kugelschreiber an seinen Lippen und zeigte dann auf mich, als hätte Sherlock Holmes seinen schwierigsten Fall gelöst, —Das Mädchen, das dich am Anfang mal besucht hat?
—Ja.
—Ich habe sie danach nicht mehr gesehen.
—Der Knast hat sie deprimiert, sagte ich.
—Der deprimiert mich auch, trotzdem komme ich jeden Tag.
—Sie werden dafür bezahlt. Clarissa nicht.
Ömmes kreuzte Kästchen in dem Formular an, er kannte die ganzen drei Seiten auswendig, auch die Abstände zwischen den Kästchen. Seine Hand mit dem Stift schob sich über das Papier, als würde sie von einem Magneten unter dem Tisch gelenkt.
—Schon komisch, wenn die Besuche aufhören, sagte er, als würde er laut denken.
—Sie wartet auf mich.
—Sicher?
Auch wenn er mich gerade nicht ansah, erkannte ich seine hochgezogenen grauen Augenbrauen.
—Sie hat mir geschrieben. Wir lieben uns! Das müssten Sie doch wissen, sie lesen doch jeden Brief.
—Na, na, na, Vorsicht!, warnte er mich mit dem Zeigefinger, —Und dann? Wie geht’s dann weiter? Hast du einen Job in Aussicht?
Er legte den Kugelschreiber weg und stempelte die Papiere.
—Ich mache meinen Realschulabschluss nach und werde Automechatroniker.
—War es vor einem Jahr nicht noch Boxtrainer?
—Boxmanager! Aber mein Schützling hat es sich anders überlegt. Nun will ich was Solides.
—Du?
—Ich bin gut mit Autos, deswegen war ich hier auch in der Schlosserei.
—Unsere Schlosserei stammt aus der Zeit, wo Autos noch das Lenkrad in der Mitte hatten.
—Man muss alles können. Von der Pike auf.
—Da hast du viel vor.
—Den Hauptgewinn.
Er kratzte sich am speckigen Nacken, —Na dann, viel Glück, das brauchst du, und halt die Ohren steif und die Finger weg von Drogen!
Eine Anspielung auf den Grund meines Aufenthalts.
—Das war nur Marihuana, wiegelte ich ab.
—In der Bundesrepublik Deutschland sind das Drogen. Laut Paragraph ...
—Ehrlich, ich wusste nichts von den 40 Kilo. Ich war nur in dem Wagen, weil ich per Anhalter mitgefahren bin.
Ömmes lachte seinen erstickten Zigarillohusten, —Ich wette, wenn es ein Cabrio gewesen wäre, hättest du behauptet, der hätte dich kurz vorher angefahren und du wärst hinten auf seinem Rücksitz gelandet.
—Glauben Sie mir nicht?
—Ich glaube dem Richter.
—Der hatte etwas persönlich gegen mich.
—Junge. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir.
Den Standardspruch brachte er bestimmt schon seit 20 Jahren.
—Wenigstens einer von uns, sagte ich.
Er ignorierte meinen Kommentar, —Wir wollen dich hier nicht wiedersehen.
—Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit.
—Dann tue auch was dafür.
—Als Erstes suche ich mir einen Nebenjob, ich muss ja unser Leben irgendwie finanzieren.
Das schien ihn zu enttäuschen, er fiel zurück in seine alte Tonlosigkeit, garniert mit einem Zucken im schlecht rasierten Mundwinkel, —Das sagt ihr alle.
—Sie suchen nicht zufällig noch eine Urlaubsvertretung?, fragte ich ihn.
Wieder stempelte er einen Vordruck, —Hier sind keine Vorbestraften erlaubt.
—Echt? Wer hätte das gedacht?
—Nicht frech werden, und er deutete mit dem Stempel in meine Richtung, als wollte er ihn mir durch die Glasscheibe auf die Stirn setzen, —Ich dachte, du wolltest dein Leben umkrempeln? Du klingst noch sehr nach Ralf, Daniel!
Themawechsel. Ab in die Offensive, —Ich bekomme noch mein Geld.
Eine Antwort blieb er mir schuldig. Vertieft in seine Routinehandlungen zeitlupte er sich durch den frühen Morgen. Wir schwiegen wie zwei Verwandte, denen bei einer Familienfeier die Gesprächsthemen ausgegangen sind.
—Hier, dein Geld, sagte er endlich.
—Ist da ein Scheck drin?
—Nein, Blattgold.
—Ein Scheck, ein Scheck, was soll ich mit einem Scheck?
Für die Auszahlung müsste ich erst einmal ein Konto eröffnen.
—Das ist bald so viel, wie ich im Monat verdiene, sagte er.
—Ich brauchte dafür aber ein Jahr.
—Hattest dafür aber auch Kost und Logis frei.
Überrascht von seinem eigenen Humor, bebte sein uniformierter Körper, als säße er auf einem Massagestuhl. Dabei drang lediglich ein asthmatisches Fiepsen aus seinem Mund.
—Dafür kann ich mir nichts kaufen.
—Gehst doch sowieso hartzen.
—Hey, nä, sagte ich.
Aber wir beide wussten es besser. Selbst mit der Beihilfe für entlassene Häftlinge wäre ich bald pleite, und ob ich bis dahin einen Job gefunden hatte, von dem ich und Clarissa halbwegs leben konnten, stand ja noch nicht einhundertprozentig fest. Vorstrafen und Jugendhaft konnte ich in meinen Bewerbungsmappen weglassen und Ausfallzeiten mit Bildungsreisen und Ähnlichem kaschieren. Demnach müsste ich sowas wie ein weitgereister Einstein sein. Sollte mich allerdings jemand zu einem Vorstellungsgespräch einladen, dann wollte der irgendwann sicher ein Führungszeugnis sehen. Da hieß es: Hosen runter.
Apropos Hosen runter, das würde es heute Abend auch heißen, ich würde Clarissa sehen, endlich, nach fast einem Jahr. Action!
Seit eineinhalb Jahren waren wir zusammen. Wir kannten uns aus der Schulzeit in Leverkusen. Damals hatte es aber noch nicht gefunkt. Bei ihr nicht. Bei mir natürlich schon. Ich war verrückt nach ihr. Gut, ich war verrückt nach allen Mädels, deren Fingerknöchel beim Gehen nicht über den Bürgersteig schleiften.
Das musste sie doch gemerkt haben, gespürt haben. Es heißt doch, die Mädels hätten so einen tollen Sinn für so was!
Deswegen fragte ich sie relativ bald, nachdem wir uns in einem Club in Köln getroffen hatten und zusammengekommen waren, in ihrer Einzimmerwohnung in Nippes, warum wir damals nicht schon in der Schule ein Paar gewesen waren. Und sie meinte, ihr wäre das zu peinlich gewesen. Angeblich nur wegen meiner Freunde, besonders Frank, dem Spanner, wie sie sagte, sie konnte ihn nicht ab, von dem Freak würde sie Gänsehaut kriegen.
Natürlich verteidigte ich meinen Kumpel, aber genauso angeblich hatte ich ja gar keine Ahnung, was das für einer sei.
Ein guter Boxer war er, das stand fest, das hatte ich jede Woche miterleben können, auf dem Schulhof oder nach der Schule. Außerdem war er im Boxverein, und nach dem eigenen K.O. bei seinem ersten Kampf stieg seine Formkurve kontinuierlich an. Wir wären ein gutes Team gewesen, ich als sein Manager, wir standen kurz davor, unser erstes Startgeld einzusacken. Aber dann hatte er sich verknallt. Wie das so ist mit den Mädels: Wenn man mit einem zusammen ist, hat man nur noch das Eine im Kopf.
Clarissa hatte mich gleich zu Anfang im Club Mett besucht. Und geschrieben hatte sie, jeden Monat, ihr letzter Brief musste leider irgendwie verloren gegangen sein. Kein Wunder, bei dem Personal hier.
Daher hatte ich ihr vor ein paar Tagen schnell noch eine Postkarte geschickt. Zum Abendessen würde ich bei ihr sein. Vorher würde mich mein unbekannter Vater vom Tor abholen, und wir würden gemeinsam Mittag essen. Er hatte mich hier vor einem halben Jahr das erste Mal angerufen und sich vorgestellt. Drei weitere Telefonate folgten.
Ich würde mich frisch machen für meinen Abend mit Clarissa, und mit einer Flasche Wein, oder besser zwei oder drei, bei ihr auftauchen, und noch mehr Kondomen.
—Was grinst du?, riss mich Ömmes aus meinem Tagtraum.
—Nix.
—Gefällt es dir hier besser, als du dachtest?
—Nein.
—Hier, der Papierkram, Quittungen, unterschreiben, da, da und da. Mach hin, ich hab gleich meine kleine Pause.
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Ich kannte nur Menschen mit großen Pausen. Einer einzigen großen Pause. Meine Mutter, meine Stiefväter, meine Freunde und deren Eltern und Lebensabschnittspartner. Und alles, was ich von diesem gewissen Anton Vielhaber gehört hatte, klang nicht anders.
In ein paar Minuten würde ich ihn kennenlernen, zum ersten Mal persönlich, nach all den Telefonaten, gleich würde er mich abholen. Ehrensache, hatte er gesagt. Ein großer Moment.
Ich würde zum ersten Mal in meinem Leben meinem leiblichen Vater gegenüberstehen, gleich, draußen vor dem Gefängnistor. Gut, ein bisschen spät insgesamt gesehen und zugegeben nicht der beste Platz für eine erste Vater-Sohn-Begegnung, aber besser als gar keine.
Wie ähnlich wir uns wohl sahen? Konnte ich mir anhand seines Aussehens meine Zukunft vorstellen? Wie würden wir uns verstehen? Am Telefon klappte das ganz gut. Werden wir den ganzen Tag erzählen? Worüber? Ich hatte Zeit bis zum Abendessen mit Clarissa.
Das waren die Fragen, die in meinem Kopf während der letzten Wochen herumgeisterten, und auch jetzt, als ich durch die endlosen Gänge aus dem Knast geleitet wurde, fragte ich mich das alles, ohne eine Antwort erwarten zu können. Bis sich das hohe Stahltor hinter mir schloss und das Echo verhallte.
Außer mir wurde heute niemand entlassen.
Vor mir lag der verlassene Parkplatz, nirgends ein Auto, nur ein leerer Bus der KVB zehn Meter weiter, der Knast war die Endstation in vielerlei Hinsicht.
Es war der heißeste Tag in Köln, seit einer aus Langeweile angefangen hatte, die Temperaturen zu notieren. Kaum draußen drängten sich Schweißperlen auf meine Stirn, juckte der Stoff meines steifgewaschenen T-Shirts auf der Haut. Es kursierten die wildesten Gerüchte, was die hier außer Waschpulver der Gefängniswäsche beimischten.
Ich ließ meinen Seesack von der Schulter gleiten und setzte mich auf ihn.
Die Tür des Busses öffnete sich zischend.
—Was ist?, rief der schwarze Busfahrer so laut, dass er den Diesel übertönte. Auf dem Schoß lag eine Tageszeitung. Welche, konnte ich nicht erkennen.
—Was soll sein?, rief ich zurück.
—Einsteigen?
—Ich werde abgeholt.
Er fasste sich mit beiden Händen an die Wangen, unter den hochgekrempelten Ärmeln seines Hemdes spannten sich die Muskeln, —Oooh! Wieder ein V.I.P.-Knasti! Irgendwo den großen Schatz vergraben?
Was wollte der denn?
Er tippte auf die Zeitung, —Oder war der Millionenraub dein Plan, bist du der große Mastermind?
Er spielte auf dem gestrigen Rekordraub an, bei dem die größte Geldsumme in der Geschichte Europas gestohlen wurde. Die Nachricht hatte sich natürlich wie ein Lauffeuer im Kahn rumgesprochen. Über nichts anderes fantasierten die ganzen Bekloppten hinter ihren Türen. Ich fantasierte über meinen Abend mit Clarissa.
—Maul, raunte ich.
Er lachte gekünstelt, —Vergiss es, bis in einer Stunde!
Ich zeigte ihm den Finger.
Er winkte ab und schloss die Tür wieder.
Was wusste der schon? Gleich würde mein Vater um die Ecke fahren. Wahrscheinlich mit etwas Gesetzterem: einem Daimler oder Cadillac.
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Das dachte ich zumindest.
Aber dem war nicht so.
Was ich nicht wusste: Er hatte sich bereits in Maria verguckt, der Kellnerin jener schmuddeligen Kneipe in der Nähe des Bahnhofs. Während ich in der Sonne brütete, turtelte er über einem kalten Frühstücksbier mit ihr.
Ganz groß.
Hätte ich ihn besser gekannt, ja, hätte ich ihn überhaupt gekannt, wäre ich netter zu dem Busfahrer gewesen.
Mein Vater war sehr früh, noch vor Sonnenaufgang, mit dem Zug angekommen. Er hatte tatsächlich vorgehabt, mich abzuholen, das musste ich ihm lassen. Doch anstatt in eine Selbstbedienungsbäckerei zu gehen, schlenderte Anton in dieses Bierloch. Beim zweiten Kölsch bekam er seine Zähne auseinander.
—Stört dich das nicht?, waren seine ersten Worte an Maria, mit der er alleine in der Kneipe war, den schnarchenden Alten in der Ecke mal nicht mitgerechnet.
—Was?, fragte sie genervt, und goss den letzten Rest Whisky aus einer Flasche Cutty Sark in ihr Glas. Dabei fiel ihre mediterrane Haarmähne nach vorn. Sie warf sie auf die andere Seite, indem sie ihren Kopf schief legte und in dieser Haltung verharrte, als würde sie einen Vampir zum Biss einladen.
Der makellose Hals einer von der Kneipenarbeit durchtrainierten Frau mit einem kleinen Bauchansatz, den andere nicht einmal wahrnehmen würden, erregte die Aufmerksamkeit meines Vaters.
Anton zeigte mit seinem Glas zur Eingangstür, —Na, das helle Licht da, der neue Tag, die damit verbundene Hoffnung.
Sie lachte kurz auf, —Mach dir hier um Hoffnung keine Sorge.
—Ach, wieso?
—Die traut sich hier nicht rein. Glaub mir, ich arbeite seit fast zehn Jahren ...
Genau in dem Moment wurde die Kneipentür brutal aufgestoßen. Hart schlug sie gegen die Wand, Putz rieselte herunter. Im Rahmen stand nicht die Hoffnung, sondern ein Typ in meinem Alter mit Militärhose, barfuß, mit nacktem Oberkörper, übersät mit zahlreichen Piercings. Er griff sich den erstbesten Stapel Bierdeckel von dem Tisch neben dem Eingang und feuerte sie, ein Maschinengewehrgeräusch imitierend, auf die drei Anwesenden.
Das war genau das, was Maria nach einer langen Nachtschicht brauchte.
—Raus hier, Junkie!, rief sie und warf die leere Flasche nach ihm.
Die Cutty Sark verfehlte ihr Ziel und traf den Türrahmen. Von dort polterte sie zu Boden, ohne zu zerbrechen. Der Wahnsinnige flüchtete aus dem Laden.
Die leere Flasche rollte an den Füßen von Anton und seinem Barhocker vorbei.
In Filmen zersplitterten die Flaschen immer. Wenn dem so gewesen wäre oder der Boden der Kneipe nicht so schief, der ganze Tag wäre anders verlaufen. Die Möglichkeiten, die einem das Leben bietet, schillern am hellsten in der Vergangenheit.
So meinte mein Mustervater, sich über die Jugend auslassen zu müssen, —Siehste! Das ist die Jugend, die Jugend, die Jugend.
—Was ist mit der Jugend?, fragte Maria.
—Verrückt.
—Das waren wir auch mal.
—So verrückt?
Sie zuckte mit den Schultern.
—Die Frage ist doch: Warum?, fragte er.
Und sie sagte, —Drogen. Das war ein Junkie.
—Das geht doch viel früher los. Warum nimmt er denn Drogen?
—Um high zu sein?
Er nippte an seinem Whisky, —Ach was, von wegen high sein. Was sollen die denn denken, wenn die sehen, was wir Erwachsenen machen? Guck dir doch die Nachrichten an, die Politiker, die Bänker, jeden mit einem Anzug, von wegen Politiker, denen sollte man die Berufsbezeichnung aberkennen! Durch etwas anderes ersetzen. Weißt du, dass Politik von Polis kommt? Das ist griechisch für „das Volk“!
—Herrje, ich hab einen Gelehrten an der Theke.
—Nur haben die nix mehr mit dem Volk zu tun. Von denen kommt keiner aus dem Volk, oder kennst du eine Ministerin, die vorher Krankenschwester war? Die kommen alle aus reichen Häusern, stinkreichen Häusern, da kann man auch nur so Politik machen, für Reiche, die kennen gar nichts anderes. Das kann man denen kaum zum Vorwurf machen. Aber dann soll man es auch nicht Politik nennen, sondern eher Firmenpolitik, oder so, ach, sagte er und winkte ab, als hätte Maria ihm geantwortet, und präsentierte stolz seine Wortschöpfung, —Firmenpolitiker, das sind sie, ja, und Firmenpolitik machen sie, das wäre ehrlich, und weil sie nicht so richtig für sich an die Steuergelder direkt rankommen, überweisen sie das Geld nach Griechenland. Geldwäsche ist das, Steuergeldwäsche, das sage ich dir, nichts anderes, vorne kommen Steuergelder rein, und hinten kommt Geld für die Taschen der Reichen raus, Banken, Versicherungen, da sitzen ihre Verwandten in den Vorständen und auf den Managerposten, perfekt. Unsereins wird entlassen, die Bänker werden staatlich unterstützt und kriegen weiter ihren Lohn. Schimpansen hätten nicht größeren Mist machen können als die all die Jahre. Den sollte man wenigsten den Lohn auf das deutsche Durchschnittsgehalt senken. Sollen sie damit mal klarkommen. Mal sehen, was sie dann sagen würden. Arrogant, wie die sind.
—Bist du fertig?, seufzte Maria mehr, als dass sie fragte.
—Die Gesichter würde ich gerne sehen. Das wäre was. Perfekt!, echote er für sich noch einmal. Aber weil er ihr ansah, dass sie seine Worte im Ordner mit der Aufschrift Kneipengefasel ablegte, und er spürte, dass er etwas weit ausgeholt hatte, wie immer bei dem Thema, fügte er noch etwas Allgemeingültiges hinzu, —Die Jugend hat einfach keine Vorbilder mehr.
—Außer uns, meinst du?
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Meinte er wohl, oder so ähnlich. Was weiß ich, was er meinte, ich meinte auf jeden Fall irgendwann, es wäre besser, loszumarschieren und nicht länger auf ihn vor dem Gefängnistor zu warten. Außerdem wollte ich auch so schnell wie möglich weg von der Anstalt. Wie sieht das denn aus? Ewig vor dem Tor zu warten? Nachher denken die wirklich, ich will gar nicht raus, oder ich hätte nichts Besseres zu tun.
Und so latschte ich durch die brütende Hitze entlang der schnurgeraden Landstraße zwischen Feldern und Wiesen Richtung Stadt. Es roch nach Teer und toten Tieren, die wohl irgendwo verwesten.
Ich schwitzte wie ein Eisbär beim Sex im Zoo. Mein Seesack hatte das Gewicht eines kleinen Himmelskörpers angenommen, und weil er nur einen Riemen hatte, wechselte ich in immer kürzeren Abständen die Schulter. Schweiß tropfte aus meinen Haaren zu Boden. Ich hörte nur das Schlurfen meiner Sohlen und das helle Summen der Wespen und Bienen in den Büschen.
—Elendige Hitze, von wegen abholen. Wenn ich mich schon mal auf jemanden verlasse, selbst auf meinen Alten, meinen richtigen. Wie blöde kann man eigentlich sein?
Ich spuckte aus, mein Speichel weiß wie Kleister. Der Schweiß rann in meine Augen, das Salz brannte. Meine Sicht verschwamm, und der Asphalt flimmerte, trotzdem erkannte ich in der Ferne den Bus. Er war bereits auf seiner Rückfahrt.
Auch ich musste deutlich auf der Straße zu erkennen sein, denn der Fahrer blinkte mit den Scheinwerfern auf und hupte erfreut.
Als er an mir vorbeifuhr, winkte er fröhlich aus dem offenen Fenster, und ich hörte seine dreckige Lache, wobei er mir sein komplettes weißes Gebiss zeigte.
Ich zeigte ihm mit beiden Händen an ausgestreckten Armen den Mittelfinger und rief ihm nach, —Komm, halt an, trau dich, dann kriegst du von mir ein paar aufs ...
Ein plötzlicher Schlag am Kopf.
Die Welt kippte zur Seite.
Es wurde Nacht.
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—Träumst du?, fragte mein Vater Maria.
—Hör auf, mir mit deinen Fingern vor dem Gesicht herumzuschnippen. Wer glaubst du, bist du? David Copperfield?
Er verlagerte sein Gewicht, und der hölzerne Barhocker knarrte unter ihm, —Hast du geträumt?
—Das hier ist nicht der Ort zum Träumen.
—Was hast du dann?
—Ich habe geschlafen.
—Mit offenen Augen?
—Klar, sonst zapfst du dir dein nächstes Bier doch selber.
Er schaute sich um, als gäbe es etwas Neues in der alten Kneipe zu entdecken. Dann sagte er, —Du denkst zu schlecht von den Menschen.
—Muss an meiner guten Schule liegen, sagte sie und deutete mit beiden Armen um sich.
Die Innenseiten ihrer Oberarme zierten zwei kleine tätowierte Sterne. Nur wenn man genau hinschaute, erkannte man, dass sie über die Jahrzehnte eine leicht ovale Form angenommen hatten.
Ansonsten stachen ihre dunklen, kajalumrundeten Augen heraus, weil es eine Menge Kajal war. Um ihren Hals rollten gleich drei dünne Goldkettchen, und goldene Ringe zierten, mehr oder weniger eng, sämtliche Finger bis auf zwei, ihre Ringfinger.
Mein Vater schüttelte den Kopf, —Glaube nicht, einfach zu wissen, wen du vor dir hast. Vergleiche mich nicht so schnell mit den anderen. Du könntest dich leicht verschätzen.
Sie beugte sich vor, wobei sie sich mit einer Hand auf der Theke abstürzte, —Okay, sag Bescheid, wenn ich falsch liege.
Und sie zählte mit den Fingern der anderen Hand ihre Vermutungen auf, —Du bist seit heute Morgen in Köln, diese Kneipe hat dir ein Süffelbruder am Bahnhof empfohlen, du bist Ex-Musiker, arbeitslos, vorbestraft, mehrfach geschieden, hast zwei Kinder, deine ...
—Falsch! Ein Kind.
—So weit du weißt.
—Sehr witzig.
—Mädchen oder Junge?
—Junge. Na ja, eigentlich ein junger Mann schon. Ich weiß erst seit einem halben Jahr von ihm.
—Was?
—So eine Schlampe aus Leverkusen hat einen Test machen lassen.
—Typisch Leverkusenerinnen.
—Na ja, Es gab eine ganze Reihe möglicher Väter. Ich wette, die Ärzte haben sich die Kohle eingesteckt und einfach aus den zwanzig Kandidaten gelost.
—Und du hast gewonnen?
—So würde ich das nicht nennen.
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Langsam kam ich wieder zu mir. Mein Puls schlug so hart, dass es sich anfühlte, als wollte ein stumpfer Gegenstand von innen meine Schädeldecke durchstoßen.
Ich schlug die Augen auf. Alles war grün, eine ganze Wand, meine Pupillen stellten sich scharf, und ich erkannte, dass ich seitlich im Gras im Graben neben der Straße lag. Grüne Halme zitterten vor meinen Augen, als sich meine Lider mühsam öffneten.
Ein Meter weiter lag mein Seesack. Meine linke Schläfe fühlte sich an wie nach einem Schlag mit einem Gummiknüppel. Kleine Fliegen umschwirrten mich. Es roch modrig. Ein Insekt krabbelte mir über die Lippen, ich pustete es weg und rieb mir mit dem Handrücken über den Mund.
Stöhnend stützte ich mich ab, bis ich aufrecht saß. Durch meine Arme und Beine schien Wackelpudding zu fließen. Der Boden bewegte sich, ich kniff die Augen zu und öffnete sie wieder, mehrmals. Ein neongelber Punkt stach aus dem Grün heraus, ich konzentrierte mich auf ihn. Zunächst erkannte ich ein Ei, dann einen Flummi, einen Tischtennisball, aber es war ein Golfball.
Hinter mir hörte ich Schritte und eine Männerstimme, —Hey, alles in Ordnung?
Mühsam drehte ich mich um, —Mal sehen ... ich liege im Dreck ... halb tot ...
Ein Typ stand da in einem Anzug, aber beide hatten schon bessere Zeiten gesehen. Um genau zu sein, der Anzug sah aus, als hätte er ihn aus einem Mülleimer gefischt: Risse, Falten, Flecke, Knöpfe fehlten, und die Watte eines Schulterpolsters glänzte in der Sonne. Daneben das unrasierte und ungewaschene Gesicht eines Obdachlosen, eines Penners mit fettigen, strähnigen Haaren, der sich, Ende zwanzig, bereits aufgegeben und gehen gelassen hatte. Zwei Plastiktüten in der einen Hand, in der anderen einen schmalen Gehstock.
Nein. Einen Golfschläger!
Ich schnappte mir den Golfball und reckte ihn ihm entgegen, —Ist das deiner?
Der Typ hob seinen Golfschläger über die eine Schulter, —Du gehst nicht oft Kegeln, oder?
—Komm mir nicht noch blöde!, sagte ich, beschloss aber, es dabei zu belassen, schließlich hatte er einen Golfschläger in der Hand und ich nicht.
Er streckte mir den Eisenknüppel entgegen, und erst dachte ich, er wollte mir drohen, doch dann meinte er, —Halte dich fest, ich ziehe dich hoch.
Mein Stolz widerstrebte dem Angebot, aber mein in Mitleidenschaft gezogener Kopf entschied sich für die Hilfe. Mit einer Hand hielt ich mich fest. Endlich stand ich wieder, und mit meinem Seesack erklomm ich den Grabenrand. Ein spröder Plastikbecher zersplitterte unter meinen Füßen.
—Tut mir echt leid, Mann, zum Glück hat der Ball nicht dein Auge getroffen.
Er war ein Stück größer als ich, blond, mit den Augen eines ehemaligen Abiturienten.
—Ja, ich bin schon ein richtiger Glückspilz, sagte ich und fegte mit der Hand Grashalme von meiner Wange, Shirt und Hose. Dabei drehte ich mich.
—Du hast was verloren, sagte er hinter mir.
—Was?, fragte ich.
Er hielt mir meine Entlassungspapiere entgegen, sie waren mir aus der Hosentasche gerutscht.
—Bitte, Kollege, sagte er.
—Danke, Kollege?
—Laut meinen Bewährungsauflagen haben sie mir den Umgang mit Ex-Knastis verboten. Ich dürfte gar nicht mit dir rumstehen und erzählen.
—Die hätten dir besser das Golfen verboten. Weswegen warst du drin?
—Eine Geldgeschichte.
—Kenne ich. Und dann geben sie dir einen Scheck am Ende.
Seine Augen blitzten auf, —Kann ich den sehen?
—Wozu?
—Vielleicht passt noch irgendwo eine Zahl in die Summe, oder zwei, ich nehme dreißig Prozent für meinen Service.
Mein erster Instinkt war Freude, doch mein gesunder Menschenverstand konnte sich gegen mein Gefühl durchsetzen, —Meinst du nicht, die könnten misstrauisch werden bei einem Scheck, ausgestellt von der Strafanstalt, an dem herumgepfuscht wurde?
Er schlug ein Bein über das andere wie ein Dandy, während sein Gewicht voll und ganz auf dem Golfschläger ruhte, —Das sieht keiner. Ich bin der Beste.
Seine Plastiktüten knisterten.
—Dann sag mir mal, du Bester, was du hier machst? In dem Aufzug.
—Hatte Pech gehabt.
—Und das will ich vermeiden. Außerdem habe ich das hinter mir gelassen.
—Was?
—Pech, Knast, Verbrechen.
—Sicher?
—So sicher, wie ich verliebt bin.
—Wegen einer Schnecke, natürlich, verstehe.
Meine Schläfe pochte, ich verzog das Gesicht.
—Kann ich das irgendwie wieder gutmachen?, fragte er.
Ich musterte ihn demonstrativ von oben bis unten, seine Füße steckten in ausgelatschten Romeka Slippern, —Du? Wie willst du jemals irgendetwas wieder gutmachen können?
—Mit einem Drink, sagte er betont ruhig, die Frage hatte er erwartet.
—Mit einem Drink? Wo? Im Restaurant von deinem Golfclub?
Ich gab ihm den Golfball wieder und hob meinen Seesack auf.
—Für einen Cross-Golfer ist die ganze Welt ein Golfplatz, sagte er und steckte sich den Ball in die Jackentasche.
—Cross-Golfer? Du bist ein Penner mit einem Golfschläger.
Er zog ein beleidigtes Gesicht, —Also ich kann dem Herrn wohl nicht helfen. Entschuldigung nochmal, machs gut.
Mir fiel ein, dass sich der Typ hier auskennen könnte. Vielleicht wusste er den kürzesten Weg zum nächsten öffentlichen Telefon, dann könnte ich meinen Vater anrufen, nachhören, was er treibt. Vielleicht würde mir der Typ auch mit fünfzig Cents aushelfen. Schmerzensgeld quasi. Und wenn so einer Geld hat: dann Kleingeld.
—Weißt du, wo hier die nächste Telefonzelle ist?
Er lehnte den Golfschläger elegant an sein Bein und fischte ein Handy aus der Sakkotasche.
Das hatte ich nicht erwartet, —Gibt es die Dinger schon als Nachtisch in der Suppenküche? Wie lange habe ich gesessen?
—Jetzt komm mal unter. Ruf an, nicht zu lange, und gut ist.
Und dann warf er mir sein Handy zu.
Kratzer zogen sich über das Nokiagehäuse, und unten links im Display leuchtete ein rotes Dreieck, das seine Farbe nicht veränderte, egal, was man drückte. Es besaß nur die Grundfunktionen, alles andere als ein Smartphone.
Ich tippte die Nummer ein, die ich bei seinem ersten Anruf auf einer Serviette notiert hatte und seitdem mit mir herumtrug. Es tutete so lange, ich wollte schon aufgeben, da meldete sich die bekannte Säuferstimme, —Ja?
—Hallo, hier Dreher, ich hätte gern ein Taxi!, sagte ich.
—Sohnemann!
—Scheiße Sohnemann. Wo bist du?
—In Köln.
—Schön für Köln. Köln ist groß. Du wolltest mich abholen.
—War nicht so leicht, einen Wagen zu bekommen.
—Dann hättest du doch einem Pförtner Bescheid sagen können. Dann hätte ich wenigstens nicht wie blöde gewartet.
—Wenn er es dir gesagt hätte! Du weißt, wie die sind.
Das wusste ich, aber ich sagte, —So wäre ich jetzt sauer auf ihn und nicht auf dich.
—Ich habe nicht dran gedacht.
—Scheint so. Hättest mich auch mit dem Bus abholen können.
Nur sein Atmen in der Leitung. Und dieser Chris schaute mich die ganze Zeit an, als würde er unser Gespräch belauschen. Wenn andere neben mir telefonieren, dann tue ich wenigstens so, als würde ich nicht zuhören.
—Bist du noch da?, fragte ich.
—Ja.
—Du hast mir versprochen, mich abzuholen.
—Sorry, Sohnemann. Aber immerhin bin ich zu deiner Entlassung in die Stadt gekommen.
—Auf niemanden ist Verlass. Niemanden!
—Natürlich kannst du dich auf mich verlassen, auf mich kannst du dich immer verlassen! Ich bin doch keine Frau, mein ... aua ...
Er sprach vom Telefon weg, war nur noch leise zu hören, —Wofür war der denn jetzt?
Marias entfernte Stimme, die ich da noch nicht kannte, sie äffte ihn nach, —Ich bin doch keine Frau.
—Das war doch nicht so gemeint.
—Wie kann man so was meinen?
Flirteten die?
—Hallo! Hallo!, rief ich in das Telefon.
—Ja, da bin ich wieder.
—Hervorragend.
—Hör mal, komm doch hierhin, ich gebe dir ein Bier aus, und wir können was quatschen.
Ich schaute Chris an. Dass er mich telefonieren ließ, war schon ein feiner Zug von ihm. Irgendwie tat er mir auch leid. Ein gefallener Engel.
Deshalb fragte ich, —Gibst du auch zwei Bier aus?
—Vier, acht, was sage ich, heute ist ein großer Tag, Entlassung, Freiheit, das muss gefeiert werden!
Die Erleichterung sprach aus ihm, er war froh, dass ich nicht allzu sauer auf ihn war.
—Wo bist du denn?, fragte ich.
Eigentlich konnte ich kaum glauben, dass ich mich dazu breitschlagen lassen würde, nachdem er mich so versetzt hatte. Das schafft nur Familie.
Wieder hörte ich ihn leise Maria fragen, —Wie heißt denn der Laden?
Noch leiser, —Habe ich vergessen.
—Sei nicht so.
—Steht draußen über der Tür.
Er fluchte und nuschelte mir ins Ohr, —Mann, manche Weiber sind leicht eingeschnappt, Mann, Mann, Mann ...
Ich hörte eine Tür quietschen, ein unpassendes Geräusch hier draußen im Grünen, weit und breit gab es keine Türen, nicht mal ein Haus, nicht mal eine Scheune.
—Sohn, so, jetzt kann ich dir sagen, wie der Laden heißt, so, er heißt ... der Laden heißt ...