Читать книгу Geschichte des peloponnesischen Krieges - Thukydides - Страница 11

Zweites Buch.

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1. Von hier an beginnt nun der Krieg zwischen den Athenern und Peloponnesiern und den beiderseitigen Bundesgenossen, wo sie ohne einen Herold [ohne sicheres Geleite] keinen Verkehr mehr mit einander hatten, und seit dem Anfange des Kriegszustandes den Kampf unausgesetzt fortführten. Es sind aber die Ereignisse, der Zeitfolge gemäß , nach Sommern und Wintern1, wie jedes geschah, beschrieben.

2. Vierzehn Jahre lang war jener, nach der Einnahme von Euböa2, auf dreißig Jahre geschlossene Friede beobachtet worden. Im fünfzehnten Jahre (431 v. Chr. Geb.), als Chrysis acht und vierzig Jahre Priesterin in Argos, und Aeneslas Ephore in Sparta war, als zehen Monate an der Regierungszeit des Archon Pythodorus in Athen verflossen waren, sechs Monate nach dem Treffen bei Potidäa, mit dem Anfange des Frühlings, geschah es, daß ein bewaffneter Haufe Thebaner, nach der Sommersonnenwende, etwa mit unserem Julius. Thucydides aber rechnet reine Kriegsjahre anders: sie beginnen etwa mit der Frühlingstag- und Nachtgleiche, und jein Sommer dauert vom April bis Ende etwas mehr als dreihundert Mann stark, befehligt von Pythangelus, dem Sohne des Phylidas, und Diemporus, dem Sohne des Onetoridas, Vorstehern der Böotier3, um die Zeit des ersten Schlafs in Platäa in Böotien, welche Stadt mit Athen im Bunde stand, eindrang. Sie waren herbeigerufen und zu den Thoren eingelassen worden durch Platäische Männer, Nauklides und seine Anhänger, welche, um ihre eigene Macht zu erheben, die Absicht hatten, ihre Gegenpartei unter den Bürgern zu stürzen, und die Stadt den Thebanern zuzuwenden. Verhandelt hatten sie die Sache durch Eurymachus, den Sohn des Leontiades, des angesehensten Mannes unter der Thebanern. Da nämlich die Thebaner voraussahen, daß es zum Kriege kommen würde, so wünschten sie noch während des Friedens und vor dem Ausbruche des offenen Krieges, der Stadt Platäa, die stets mit ihnen im Zwiste gewesen, sich voraus zu bemächtigen. Daher konnten sie auch, da keine Wache ausgestellt war, um so leichter unbemerkt eindringen. Sie stellten sich nun bewaffnet auf dem Marktplatz auf, und statt dem Rathe derer, welche sie herbeigerufen, zu folgen, daß sie nämlich sogleich zum Werke schreiten, und in die Wohnungen ihrer Gegner einbrechen möchten, beschloßen sie vielmehr, zweckmäßige Erklärungen durch den Herold zu erlassen, und die Stadt zu freundschaftlicher Uebereinkunft einzuladen: in der Meinung, die Stadt würde auf diese Weise ohne Schwierigkeit zu ihnen übertreten. Der Herold verkündigte nämlich: wer nach dem herkömmlichen Rechte der gesammten Böotier ihrem Kriegsbunde beitreten wolle, solle sich bewaffnet an sie anschließen.

3. Als nun die Platäer vernahmen, daß die Thebaner in der Stadt sehen, und dieselbe durch Ueberraschung besetzt sei, so schritten sie aus Furcht und in der Meinung, daß die Anzahl der Eingedrungenen stärker sei, da man sie bei Nacht nicht übersehen konnte, zum Vergleiche, nahmen die Vorschläge an, und verhielten sich ruhig, zumal, da gegen Niemand unter ihnen ein Gewaltschritt geschah. Allein während man dieß verhandelte, wurden sie zufällig gewahr, daß der Thebaner nicht Viele seien, und so kamen sie auf den Gedanken, daß durch einen Angriff jene leicht überwältigt werden könnten. Denn die Mehrzahl in Platäa war nicht geneigt, von den Athenern abzufallen. Sie beschloßen daher, den Angriff zu wagen. Sie traten also, indem sie die gemeinschaftlichen Zwischenwände der Häuser durchbrachen, zusammen, um nicht, wenn sie über die Straße giengen, bemerkt zu werden, und stellten unbespannte Lastwagen auf die Straßen, um sie statt einer Verschanzung zu gebrauchen: und trafen noch andere Anstalten, wie sie etwa unter diesen Umständen ihnen zuträglich dienen. Nachdem sie, so gut es gerade möglich, war, sich geristet, so benützten sie die Zeit, wo es noch Nacht war, und der Morgen erst dämmerte, um aus den Häusern auf jene einzudringen, damit sie nicht, durch das Tageslicht ermuthigt, ihnen mit gleichem Vortheile Widerstand leisten möchten, sondern, durch die Nacht desto mehr eingeschüchtert, wegen der Bekanntschaft der Platäer mit der Lage ihrer Stadt in Nachtheil kämen. So rückten sie plötzlich auf jene zu, und wurden schnell mit ihnen handgemein.

4. Als die Thebaner sich getäuscht sahen, zogen sie sich enge zusammen, und suchten die Angreifenden, wo man auf sie einstürmte, zurückzutreiben. In der That schlugen die auch den Angriff zwei- bis dreimal ab. Als aber die Männer selbst mit gewaltigem Lärm auf sie eindrangen, während die Weiber und das Gesinde unter Geschrei und Wuthgeheul von den Häusern Steine und Ziegel auf sie schleuderten, indem zugleich während der Nacht ein heftiger Regen eingetreten war, so geriethen sie in Schrecken, wandten sich um, und flohen durch die Stadt. Da nun bei der Dunkelheit - denn der Mond stand eben im letzten Viertel - und bei den kothigen Straßen die Meisten die Durchgänge, durch welche sie sich hätten retten sollen, nicht zu finden mußten, hingegen es mit Gegnern zu thun hatten, welche, mit den Wegen wohl bekannt, den Verfolgten die Flucht versperrten, so kam die größere Zahl um. Ein Platäer hatte auch das Thor, welches allein offen war, durch das sie hereingekommen waren, geschlossen, indem er statt der eisernen Eichel am Querbalken den Schaft von einem Spieße gebrauchte, so daß sie auch dort keinen Ausweg mehr hatten. Während sie durch die Stadt umhergejagt wurden, erstiegen Einige die Mauer, stürzten sich auswärts hinab, und kamen dabei meist um. Andere entkamen durch ein abgelegenes Thor, wo sie mit einem Beile, das ihnen ein Weib gab, das Querholz unbemerkt entzwei hieben: doch ihrer waren Wenige, denn man bemerkte dieß bald. Andere wurden da und dort in der Stadt zerstreut niedergemacht. Der größte Haufen aber, der sich am engsten geschlossen hielt, warf sich in ein großes Gebäude, das zur Stadtmauer gehörte, und dessen Thüre gerade offen stand, im Wahne, daß diese Thüre ein Stadtthor sei, und man dort gerade durch hinauskommen könne. Als nun die Platäer sie hier eingeschlossen sahen, so rathschlagten sie, ob sie das Gebäude anzünden, und jene, so wie sie da waren, verbrennen, oder anders mit ihnen verfahren sollten. Endlich, aber verglichen sich: diese und die noch übrigen andern Thebaner, die in der Stadt umherirrten, mit den Platäern, so daß sie sich und ihre Waffen ihnen unbedingt übergaben. Solches Schicksal hatten die in Platäa.

5. Die übrigen Thebaner aber, die während der Nacht mit der gesammten Streitmacht auf den Fall des Mißlingens zu den Eingedrungenen hätten stoßen sollen, eilten nun, von dem Vorfalle auf dem Zuge benachrichtigt, herbei. Platäa ist von eben siebzig Stadien (1¾ deutsche Meile] entfernt: es hatte jedoch der in der Nacht gefallene Regen jene auf dem Zuge aufgehalten. Denn der Fluß Asopus war stark angelaufen und nicht leicht zu durchwaten. Da sie aber im Regen den Weg machten, und nur mit Mühe über den Fluß setzten, so kamen sie zu spät, als schon ihre Leute zum Theil gefallen, zum Theil gefangen waren. Als nun die Thebaner hörten, was geschehen war, so lauerten sie den ausserhalb der Stadt befindlichen Platäern auf: denn es waren noch Leute und Geräthschaften auf dem Lande, da dieser Unfall unvermuthet im Frieden sich ereignet hatte. Sie wollten nämlich die Platäer, die etwa in ihre Hände fielen, als Geiseln für die in der Stadt, wofern welche gefangen wären, behalten. Während sie mit der Berathung über diesen ihren Plan sich beschäftigten, sandten die Pratäer, vermuthend, daß so etwas geschehen würde, und für ihre Leute ausserhalb der Stadt besorgt, einen Herold an die Thebaner, mit der Erklärung: sie hätten schon durch das Vorgefallene, bei dem Versuche, mitten im Frieden sich ihrer. Stadt zu bemächtigen, eine heilige Pflicht verletzt; sie sollten nun ausserhalb der Stadt weiter keine Gewaltthat verüben: wo wicht, so werden auch sie die Männer, welche lebend in ihre Gewalt gekommen, tödten; würden sie sich aber aus ihrem Gebiete wieder zurückziehen, so sollten ihnen jene. Männer wieder ausgeliefert werden. So erzählen die Thebaner, und behaupten, jene hätten den Antrag durch einen Schwur bekräftigt. Die Platäer aber sind nicht geständig, daß sie versprochen hätten, die Männer sogleich zurückzugeben, sondern erst auf den Fall gepflogener Unterhandlung und getroffener Uebereinkunft. Auch läugnen sie den Eid. Die Thebaner zogen nun, ohne weitere Beschädigung des Gebiets, sich aus demselben zurück. Die Platäer aber, nachdem sie in Eile Alles vom Lande in die Stadt geschafft hatten, lies Ben jene Männer alsbald hinrichten. Es waren hundert achtzig Gefangene, und unter ihnen Eurymachus, mit welchem die Verräther unterhandelt hatten.

6. Nach diesem Vorfalle sandten sie einen Boten nach Athen, und lieferten unter dem Schuße eines Waffenstillstandes den Thebanern ihre Todten aus: in der Stadt aber trafen sie solche Anstalten, wie sie unter den jetzigen Umständen dienlich schienen. Den Athenern war sogleich gemeldet worden, was von Seiten Platäa's vorgefallen war. Augenblicklich bemächtigten sie sich nun aller Böotier, die in Attika waren, und schickten einen Herold nach Platäa, mit dem Auftrage, sie möchten gegen die gefangenen Thebaner nichts Weiteres verfügen, bis sie selbst einen Beschluß darüber gefaßt hätten. Denn man hatte ihnen von deren Hinrichtung nichts gemeldet. Denn der erste Bote war im Augenblicke des Einrückens der Thebaner abgegangen: der zweite, als sie besiegt und festgenommen waren: vom Spätern wußten sie noch nichts. So hatten die Athener, unbekannt mit dem Hergange der Sache, jene Aufforderung erlassen. Der Herold traf bei seiner Ankunft die Leute schon nicht mehr lebend. Hierauf ließen die Athener Kriegsvolt nach Platäa einrücken, brachten Lebensmittel hinein, und ließen eine Besatzung dort, indem sie die zum Kriege Unbrauchbarsten nebst Weibern und Kindern aus der Stadt fortschafften.

7. Nachdem nun diese That in Platäa geschehen, und der Friedensvertrag augenscheinlich gebrochen war, so rüsteten sich die Athener zum Kriege: ein Gleiches thaten die Lacedämonier und ihre Bundesgenossen. Diese giengen auch damit um, Gesandtschaften an den Perserkönig zu schicken und an andere Staaten der Barbaren, wo beide Theile irgend hoffen konnten, einige Unterstützung zu gewinnen; auch schloßen sie Bündnisse mit den Städten, die noch ausser ihrem Machtbezirke waren. Von den Lacedämoniern erhielten die, welche ihre Partei ergriffen hatten, Befehl, ausser den Schiffen, die aus Italien und Sicilien schon in ihren Häfen vorhanden waren, nach Verhältniß der Große der Städte so viele zu stellen, daß es im Ganzen fünfhundert Fahrzeuge würden: und eine bestimmte Geldsumme bereit zu halten, sonst aber ruhig zu bleiben, und die Athener mit einzelnen Schiffen einlaufen zu lassen, bis jene Anstalten getroffen wären. Die Athener hingegen untersuchten den Zustand ihrer vorhandenen Bundesgenossenschaft, und schicken vornämlich, Gesandte in die Umgegend des Peloponneses, nach Korcyra, Cephallenia, Atarnanien und Zakynthus (Zante), indem sie wohl einsahen, daß sie, wenn jene Gegenden ihnen befreundet wären, den Peloponnes von allen Seiten mit Nachdruck würden angreifen können.

8. Beide Theile hatten nichts Geringes im Sinne, sondern machten alle Anstrengungen zum Kriege, wie dieß sehr begreiflich ist: denn im Anfange greift man immer eine Sache rascher an. Damals war auch die junge Mannschaft im Peloponnes und in Athen sehr zahlreich, die aus Unerfahrenheit sich im Kriege zu versuchen lebhaft wünschte. Das ganze übrige Griechenland war in gespannter Erwartung, da die zwei bedeutendsten Staaten gegen einander aufs treten wollten. Viele Weissagungen wurden herumgetragen, und mancherlei vertündeten die Orakeldeuter, dort wo man Krieg bereitete, wie in den übrigen Staaten. Auch war Des los kurz zuvor durch ein Erdbeben erschüttert worden, das seit Menschengedenken unter den Hellenen früher nie ein Erdbeben erlitten hatte. Man sagte nun, und glaubte, daß dieß ein Vorzeichen künftiger Ereignisse sei, und wo sonst etwas von der Art sich zutrug, so wurde es hervorgesucht. Die öffentliche Stimmung neigte sich entschieden mehr zu Gunsten der Lacedämonier hin, zumal, da diese voraus erklärten, sie wollen Hellas befreien. Alle, sowohl einzelne Bürger, als Staaten, thaten, was in ihren Kräften stand, um jene mit Wort und That zu unterstützen. Jeder meinte, dem Unternehmen fehle etwas, wenn er nicht auch selbst dabei sei. So leidenschaftlich waren die Meisten gegen die Athener gestimmt, die Einen, weil sie ihrer Oberherrschaft los werden wollten, die Andern, weil sie fürchteten, unter dieselbe zu kommen. Dieß waren die Voranstalten und Gesinnungen, womit man das Werk begann.

9. Als man in den Kampf trat, standen auf beiden Seiten folgende Staaten als Bundesgenossen. Die Verbündeten der Lacedämonier waren: alle Peloponnesier disseits der Landenge, die Argiver und Achäer ausgenommen, welche mit beiden Theilen in Freundschaft standen. Von den Achäern nahmen jedoch gleich Anfangs die Pellenäer Theil am Kriege, später aber alle insgesammt. Ausserhalb des Peloponneses: die Megareer; Sokrier, Bootier, Phoceer, Amprafioten, Peutadier, Anaktorier. Unter diesen stellten die Korinther , Megareer, Sicyonier, Pellenäer, Eleer, Ampratioten und Leukadier Schiffe, Reiterei aber die Bootier, Phoceer und Potrier: die übrigen Staaten lieferten Fußvolk. Dieß war der Bundesverein der Lacedämonier. Die Athener aber hatten zu Verbündeten die Chier, Lesbier, Platäer, die Messenier in Naupaktus, die Meisten der Akarnanier, die Korcyräer, Zakynthier und andere Städte, die ihnen unter folgenden vielen Völkerschaften zinsbar waren: Karien, so weit es am Meere liegt, die Dorier, die an Karien grenzen, Ionien, den Hellespont, die Grenzgegenden von Thracien, alle zwischen dem Peloponnes und Kreta öftlich gelegenen Inseln: alle übrigen Sykladischen Eilande, ausser Melos und Thera. Von diesen Lieferten die Chier, Lesbier und Korcyräer Schiffe, die Uebrigen gaben Landtruppen und Geld. Dieses war die Bundesgenossenschaft und Zurüstung beider Theile zum Kriege.

10. Die Lacedämönier erließen nun sogleich, nach den Vorfällen zu Platäa im Peloponnese umher und an ihre auswärtigen Bundesvereine die Aufforderung: die Städte sollten Truppen und die nöthigen Vorräthe bereit halten, wie man sie bei einem Zuge ausser Landes haben müsse; in der Absicht, in Attika einzufallen. Als nun überall Alles zur bestimmten Zeit bereit war, so kamen zwei Drittheile der Mannschaft sämmtlicher Städte auf der Landenge zusammen. Als das ganze Heer beisammen war, so berief Archidamus, König der Lacedämonier, als Oberanführer des Kriegszugs, die Feldherrn aller Städte und die vornehmsten Beamten und angesehensten Männer vor sich, und hielt folgenden Vortrag:

11. "Peloponnesische Männer und Bundesgenossen! Es haben nicht allein unsere Väter manche Feldzüge im Peloponnese und auswärts gemacht: sondern auch die Bejahrtern unter uns sind nicht ohne Erfahrung in Kriegszügen. Doch sind wir noch nie mit einer größeren Rüstung, als diese ist, ausgezogent. Aber wir gehen auch gegen einen sehr mächtigen Staat in den Kampf: darum sind wir mit einem so zahlreichen und tüchtigen Heere ausgerückt. Es ist also billig, daß wir uns nicht schlechter zeigen als unsere Väter, noch hinter unserem eigenen Ruhme zurückbleiben. Denn ganz Hellas ist bei dieser Bewegung in gespannter Erwartung, und seine Blicke sind auf uns gerichtet: es wünscht uns, von Haß gegen Athen beseelt, Glück zur Ausführung unseres Unternehmens. Wenn nur Mandyer denkt, wir dürfen, weil wir mit Uebermacht anrücken, ganz sicher sein, daß die Feinde uns nicht in Offener Schlacht begegnen werden, so dürfen wir darum doch nicht in nachlässiger Haltung vorwärts ziehen, vielmehr sollen Anführer und Krieger jedes Staats für sich jeden Augenblick gefaßt sein, einen Kampf zu bestehen. Denn ungewiß sind die Fälle des Kriegs, und aus Kleinen Anlässen und mit Hitze erfolgen meist die Angriffe. Oft schon hat die Minderzahl durch Vorsicht eine Ueberzahl siegreich zurückgeschlagen, wenn diese ans Verachtung des Feindes nicht gefaßt war. In Feindesland aber muß man stets, während man mit kühnvertrauendem Muthe zu Felde zieht, in der Ausführung mit scheuer Vorsicht sich waffnen. Denn so hat man Zuversicht genug, den Gegner anzugreifen, und wird man angegriffen, die größte Sicherheit. Wir aber ziehen gegen einen Staat, der keineswegs anmächtig zur Selbstvertheidigung, sondern mit allem aufs Beste gerüstet ist. Wir dürfen daher auch ganz sicher erwarten, daß jene eine Schlacht wagen werden, wenn sie schon jetzt, wo wir ihnen noch nicht so nahe stehen, nicht angreifen, wenigstens dann, wann sie sehen, wie wir ihr Land verwüsten und ihre Habe verderben. Denn mit eigenen Augen und auf frischer That eine ungewöhnliche Mißhandlung zu sehen, reizt immer zur Erbitterung, und je weniger man Ueberlegung anwendet, desto mehr wird man durch Aufwallung zu Thätlichkeiten hingerissen. Ein solches Benehmen läßt sich von den Athenern noch mehr als von. Andern erwarten, da sie Anspruch auf die Herrschaft über Andere machen, und lieber fremdes Land durch Einfälle verheeren, als ihr eigenes verheert sehen wollen. Da wir nun gegen einen so mächtigen Staat zu Felde ziehen, und da der Erfolg, wie er auch ausfalle, für den ausgebreitetsten Ruf unserer Vorfahren und unsern eigenen entscheidend sein wird, so folget überall euren Führern, und laßt euch Ordnung und Behutsamkeit vor Allem wichtig sein: und vollziehet schleunig, was euch geboten wird. Denn es ist in hohen Grade sichernd, und ruhmvoll zugleich, wenn man eine so große Menge dieselbe Ordnung befolgen sieht."

12. Nach dieser Rede hob Archidamus die Versammlung auf, und schickte zuerst den Spartaner Melesippus, den Sohn des Diacritus, nach Athen, um zu sehen, ob die Athener etwa eher nachgeben würden, wenn sie sähen, daß die Lacedämonier bereits im Anzuge sehen. Jene aber ließen ihn nicht in die Stadt ein, noch vor die Volksgemeinde treten. Denn schon früher hatte Perikles mit seinem Vorschlage durchgedrungen, daß man keiner Herold und keine Gesandtschaft mehr annehmen rolle, sobald die Lacedämonier ausgerückt wären. Man schickte jenen also zurück, ohne ihn anzuhören, und befahl ihm, noch an demselben Tage über die Grenze zu gehen, mit der Erklärung: wenn die Lacedämonier künftig wieder unterhandeln wollten, so sollten sie sich zuvor in ihr Gebiet zurückziehen. Man gab auch dem Melesippus Begleiter mit, daß er mit Niemand sprechen könnte. Als er aber an die Grenze gelangt, und im Begriffe war, von seinen Begleitern zu scheiden, so sagte er, ehe er weiter gieng, die wenigen Worte: „dieser Tag wird für die Hellenen der Anfang großen Unheils sein.“ Da er nun ins Lager kam und Archidamus sich überzeugte, daß die Athener auf keine Weise nachgeben wurden, so brach er auf und rücke mit seinem Heere in ihr Gebiet ein. Die Böotier hatten Ihren Antheil von Truppen, und die Reiterei schon zu den Peloponnesiern stoßen lassen: mit den Uebrigen rückten sie vor Platäa und verheerten dessen Gebiet.

13. Während sich noch die Peloponnesier an der Land: enge sammelten, und auf dem Zuge begriffen waren, ehe sie in Attika einbrachen, so vermuthete Perikles, der Sohn des Xanthippus, welcher mit neun Andern Feldherr der Athener war, auf die Nachricht von dem bevorstehenden Einfalle, es möchte Archidamus, der zufälliger Weise sein Gastfreund war, entweder etwa aus besondern Rücksichten der Gefälligkeit für ihn seine Güter verschonen und nicht verheeren, oder es möchte dieß auf Befehl der Lacedämonier geschehen, um ihn in ein nachtheiliges Licht zu stellen, so wie sie auch seinetwegen die Verbannung der Fluchbeladenen verlangt hatten. Er erklärte also den Athenern in der Volksversammlung, Archidamus sei zwar sein Gastfreund; doch solle dieß dein Staate nicht zum Nachtheile gereichen: reine Güter und Häuser, wenn sie die Feinde nicht, wie die der Andern, verheeren würden, wolle er dein Staate als öffentliches Gut überlassen, so daß ihn dieß nicht verdächtig machen könne. Auch ermahnte er sie, in Betracht der gegenwärtigen Umstände, wie er auch früher gethan, sich auf den Krieg gefaßt zu halten, und ihre Habe vom Lande hereinzuschaffen. Uebrigens sollten sie nicht zur Schlacht hinausrücken, sondern sich in die Stadt werfen, und diese zu behaupten suchen, auch die Seemacht, worauf ihre Stärke beruhe, in fertigem Stande erhaltet. Auch sollten sie der Sache der Bundesgenossen ihre Aufmerksamkeit widmen: dabei bemerkte er, daß die Geldankünfte von diesen eine Hauptstütze ihrer Macht sehen, da ja im Kriege das Meiste durch Klugheit und überwiegende Geldmittel entschieden werde. Er sprach innen in dieser Beziehung Muth ein, indem die Stadt, ihre übrigen Einkünfte angerechnet, von den Bundesgenossen meist eine jährliche Steuer von sechshundert Talenten4 beziehe: auch sehen auf der Burg sechstausend Talente an gemünztem Gelde vorräthig. (Als dieser Schatz die höchste Summe erreicht hatte, so betrug er neuntausend siebenhundert Talente, wovon die Rosten für die Vorhalte der Burg (Propyläen) und andere Gebäude, so wie für den Krieg mit Potidäa, bestritten worden waren). Ausserdem sei an gemünztem Gold und Silber, an besondern und öffentlichen Weihgeschenken, und was an heiligen Geräthschaften zu den Festzügen und heiligen Spielen und an Persischer Beute, und was dergleichen sonst noch vorhanden war, der Werth nicht unter fünfhundert Talenten. Dazu rechnete er, daß sie vor den übrigen Heiligthümern nicht unbeträchtliche Schäle würden benützen können: und wenn ihnen alle Mittel abgeschnitten würden, so stünde ihnen das Gold, das am Bilde der Göttin (Minerva) angebracht war, zu Gebote: wobei er nachwies, daß Das Bild vierzig Talente geläuterten Goldes5 an Gewicht habe, welches ganz abgenommen werden könne: nur müßten sie es, wenn sie es zu ihrer Rettung gebraucht, in nicht geringerem Gehalte wieder erstatten. So ermuthigte er sie durch Angabe ihrer Geldmittel. Ihre Schwerbewaffneten, jagte er, betragen dreizehntausend Mann, ohne die in den besetzten Plätzen, und die sechzehntausend Mann, die auf den Mauerzinnen vertheilt sehen. Denn so stark waren anfänglich die Wachposten, als die Feinde eindrangen. Man nahm sie aus den Aeltesten und Jüngsten und Beisitzern, so Viele deren Schwerbewaffnete waren. Es betrug nämlich die Phalerische Mauer bis an die Ringmanern der Stadt fünfunddreißig Stadier, und der besetzte Theil dieser Ringmauer dreiundvierzig. Ein Theil davon war auch ohne Wachposter zwischen der langen und der Phalerischen Mauer. Die langen Mauern aber bis zum Piräeus betragen vierzig Stadien, wovon die äussere bewacht war. Der ganze Umfang des Piräeus nebst Munychia hatte sechzig Stadien: wovon der besetzte Theil der Mauer die Hälfte ausmachte. Die Reiterei gab er auf eintausend zweihundert Mann an, mit Einschluß der Bogenschützen zu Pferde, und die Bogenschüben auf eintausend sechshundert, die zur See brauchbaren Dreiruder auf dreihundert. So groß, und in keinem Theile geringer war der Bestand der Athenischen Macht, als die Peloponnesier im Begriffe waren, den ersten Einfall in ihr Gebiet zu machen, und der Krieg ausbrach. Perikles trug auch noch andere Beweise vor, wie er sie sonst gewöhnlich vorbrachte; dafür, daß sie im Kriege den Sieg davon tragen würden.

14. Die Athener gaben auch seinem Vorschlage Gehör, und schafften vom Lande ihre Weiber und Kinder in die Stadt, nebst ihrer übrigen Habe, die sie als Hausgeräthe gebrauchten, und sogar das Holzwerk an den Häusern, das sie niederrissen. Ihre Schaafe und ihr Lastvieh schickten sie nach Euböa hinüber und auf die nahe gelegenen Inseln. Jedoch fiel ihnen dieser Wechsel des Aufenthalts schwer, da die Meisten gewohnt waren, auf dem Lande zu leben.

15. Dieß war bei den Athenern von uralten Zeiten her mehr als bei Andern der Fall gewesen. Denn zur Zeit des Sekrops und der ersten Könige bis auf Theseus herab, war die Bevölkerung von Attika in verschiedene Städtegemeinden vertheilt, und das Land hatte seine einzelnen Gemeindehäuser und Obrigkeiten; und wenn nicht eine Gefahr vorhanden war, so kam man nicht zur Berathung bei dem Könige zusammen, sondern jeder Art berathschlagte für sich und verwaltete seine bürgerlichen Angelegenheiten selbst. Einige derselben führten sogar Kriege mit einander, wie die Eleusinier unter Eumolpus mit dem Erechtheus. Als aber Theseus zur Regierung gelangte, ein Fürst, welcher Macht mit Einsicht in sich vereinigte, so traf er unter andern guten Anstalten für das Land auch die, daß er in den übrigen Städten die Rathsgebäude und Obrigkeiten aufhob, und durch Errichtung Eines Rathsgebäudes und Gemeindehauses alle Einwohner zu Bürgern der jetzigen Hauptstadt machte. Und wiewohl sie, wie zuvor, jeder feine Güter zu besitzen und zu benützen fortfuhren, so nöthigte er sie doch, sich diese einzige Stadt zu halten, welche, da nunmehr Alle insgesammt dorthin ihre Leistungen zu machen hatten, jetzt zu einer bedeutenden Größe heranwuchs, und so von Theseus auf seine Nachfolger sich vererbte. Daher feiern die Athener noch heut zu Tage der Palais zu Ehren das Volksfest der Vereinigung ihrer Wohnungen, Synöcia genannt. Vor jener Zeit bestand die Stadt hauptsächlich nur aus der jetzigen Burg und den Theile, der südlich daran gelegen ist. Zum Beweise dient folgendes: es sind nicht allein die Tempel anderer Götter auf der Burg selbst, sondern auch die ausserhalb gelegenen sind näher bei diesem Theile der Stadter baut, wie der des olympischen Zeus, des pythischen Apollo, der Tempel der Gäa und des Dionysos bei den Teichen, welchem zu Ehren das ältere Bacchusfest am zwölften des Monats Anthesterion (Februar) gefeiert wird, ein Gebrauch, den die von den Athenern abstammenden Ionier noch jetzt beobachten. In jener Gegend stehen auch noch andere alte Heiligthümer. Auch der Quelle, die jetzt seit ihrer Fassung durch die Tyrannen (Pisistratiden) Enneakrunos (Neunbrunnen) heißt, und vormals, wo die Sprudel noch unbedeckt waren, Kallirrhoë genannt wurde, bediente man sich, weil sie dort in der Nähe liegt, zu der feierlichsten Handlungen; und noch jetzt besteht die alte Sitte, dieses Wasser vor der Hochzeitfeier und bei andern heiligen Verrichtungen zu gebrauchen. Wegen dieser alten Bewohnung wird die Burg noch bis auf diesen Tag von den Athenern die Stadt genannt.

16. Da nun die Athener nicht allein zuvor lange Zeit bei der unabhängigen Wohnungsart auf dem Lande geblieben waren, sondern auch seit ihrer Vereinigung zu Einer Stadtgemeine, gewohnheitshalber meist in ältern und spätern Zeiten bis auf den gegenwärtigen Krieg herab ihren ganzen Haushalt auf dem Lande hatten und sich da aufhielten, so fiel ihnen der Umzug schwer: zumal, da sie seit nicht gar langer Zeit nach dem Persischen Kriege erst ihre Einrichtungen neu gemacht hatten. Ungern und mit Widerwillen verließen sie ihre Wohnungen und Familienheiligthümer, welche sie noch von der uralten Verfassung her stets beibehalten hatten: empfindlich war es ihnen, daß sie nun ihre Lebensart ändern sollten, indem es ihnen gerade so zu Muthe war, wie wenn jeder von seiner Vaterstadt sich trennen sollte.

17. Als sie nun in die Hauptstadt kamen, so fanden zwar einige Wenige Wohnung und Unterkunft bei einiger Freunden und Verwandten. Die meisten aber ließen sich auf den leeren Plätzen der Stadt nieder, und nahmen ihrer Aufenthalt in allen Tempeln und Kapellen, mit Ausnahme der Burg und des Eleusiniums und anderer Tempel, die fest verschlossen werden konnten. Das sogenannte Pelasgicum unter der Burg, dessen Bewohnung mit Fluch belegt und durch einen Pythischen Orakelspruch untersagt war, dessen Schlußworte also lauten: "Besser verbleibt das Pelasgicum öde: wurde des dringenden Bedürfnisses wegen doch mit Wohnungen ganz angefüllt. Und so scheint mir der Orakelspruch auf eine der erwarteten entgegengesetzte Art in Erfüllung gegangen zu sein: denn nicht wegen der unerlaubten Bewohnung trafen die Stadt jene Unfälle, sondern durch den Krieg erfolgte die Nothwendigkeit der Bewohnung: und ohne diesen zu nennen, sah das Orakel voraus, daß jener Platz nicht unter glücklichen Umständen mit Wohnungen, werde belegt werden. Auch auf den Thürmen der Mauern richteten sich Viele ein, so gut jeder konnte. Denn die zusammenströmende Menge faßte die Stadt nicht mehr; sondern späterhin mußte man noch die Langen Mauren und einen großen Theil des Piräens zu Wohnungen unter sie vertheilen. Zugleich beschäftigte man sich auch mit dem, was zum Kriege nöthig war, sammelte die Truppen der Verbündeten, und rüstete eine Flotte von hundert Schiffen zu einer Landung im Peloponnes. So weit waren hier die Anstalten zum Kriege gediehen.

18. Indessen war das Peloponnesische Heer bei seinem Vorrücken vor Oenöë in Attika angelangt, von wo es einzubrechen den Plan hatte. Als sie sich nun hier festgelegt hatten, so machten sie Anstalten zum Angriff auf die Mauer mit Sturmzeug und auf andere Weise. Denn Oenöë, das auf den Grenzen von Attika und Böotien liegt, war befestigt, und die Athener hielten dort, so oft ein Krieg ausbrach, eine Besatzung. Sie rüsteten sich nun zur Bestürmung, und hielten sich sonst eine geraume Zeit bei diesem Platzte auf. Dieß war es hauptsächlich, was dem Archidamus großen Tadel zuzog, indem man glaubte, daß er die Herbeischaffung der Kriegsmittel nachlässig betrieben, und wegen seiner Verhältnisse mit den Athenern nicht mit Eifer zum Kriege gerathen habe. Als sodann das Heer beisammen war, so veranlaßte fein Verweilen auf der Landenge von Corinth, und die Langsamkeit des weiteren Zugs, so wie der lange Aufenthalt vor Oenöë ungünstige Urtheile gegen ihn. Denn in der Zwischenzeit konnten die Athener Alles in die Stadt bringen: wären hingegen die Peloponnesier schneller eingefallen, so hätten sie, meinte man, noch Alles ausserhalb der Stadt überrascht, was durch sein Zandern vereitelt worden sei. In solcher gehässigen Stimmung war das Heer während der Belagerung gegen den Archidamus. Allein Archidamus hoffte, die Athener werden, so lange ihr Gebiet noch unbeschädigt sei, zu einiger Nachgiebigkeit sich entschließen, und es nicht über sich gewinnen, dasselbe vor ihren Augen verwüsten zu sehen: daher zögerte er noch immer.

19. Als sie aber bei der Berennung von Oenöë alle Angriffsmittel ohne Erfolg versucht hatten, und die Athener keine Unterhandlungen anknüpften, so brachen sie von dort auf, ungefähr achtzig Tage nach dem Vorfalle bei Platäa, und dem Einbruche der Thebaner daselbst, mitten im Sommer, während das Getreide in der Blüthe stand, und drangen in Attika vor, unter Anführung des Archidamus, Königs der Lacedämonier, des Sohnes von Zeuridamus. Sie nahmen nun eine feste Stellung, und verheerten zuerst Eleusis und die Thriasische Ebene, und schlugen auch die Athenische Reiterei bei den sogenannten Rheitoi in die Flucht. Sodann rückten sie, den Berg Aegaleon rechts behaltend, durch die Kropeische Markung vor, bis sie nach Acharnä kamen, welches der größte Ort unter den Attischen Bezirksgemeinden, Demoi genannt, ist. Dort setzten sie sich fest, schlagen ein Lager, und behaupteten sich geraume Zeit dort, und matten Vorheerungszüge.

20. Die Absicht aber, aus welcher Archidamus in schlagfertiger Stellung bei Acharnä verweilte, und bei seinem damaligen Einfalle nicht in die Ebene herabzog, war, wie man sagt, folgende. Er hoffte, die Athener, stark durch zahlreiche junge Mannschaft, und zum Kriege, wie nie zuvor, gerüstet, würden ihm vielleicht entgegen rücken und der Verheerung ihres Landes nicht gleichgültig zusehen. Da sie sich ihm aber bei Elcusis und auf der Thriasischen Ebene nicht entgegenstellten, so versuchte er durch seine feste Stellung bei Acharnä, sie zum Angriff herauszulocken. Zugleich schien ihm jene Gegend zu einem Lagerplatze geeignet: auch dachte er, die Acharner, welche einen bedeutenden Theil der Bürgerschaft ausmachten, da ihrer dreitausend schwerbewaffnete Fußgänger waren, würden die Zerstörung ihres Eigenthums nicht ruhig sich gefallen lassen, sondern die andern Alle zur Schlacht aufrufen. Würden aber die Athener auch diesem feindlichen Einbruch keinen Ausfall entgegensetzen, so würde er in der Folge um so sicherer das platte Land verheeren und gegen die Stadt selbst vorrücken können. Denn die Acharuer würden bei dem Verluste ihrer Habe nicht mehr so geneigt, wie zuvor sein, für die Besitzungen der Uebrigen zu kämpfen, und so würde Zwiespalt unter den Athenern entstehen. Dieß waren die Gründe, warum Archidamus bei Acharnä verweilte.

21. So lange nun das Heer noch bei Eleusis und in der Gegend der Thriasischen Ebene stand, hatten die Athener einige Hoffnung, es werde nicht weiter vorrücken; denn sie erinnerten sich, daß Pleistoanar, König der Lacedäinonier, Sohn des Pausanias, als er vierzehn Jahre vor diesem Kriege mit einem Peloponnesischen Speere gegen Eleusis und auf das Thriasische Feld in Attika eingerückt war, ohne weiter vorzubringen, sich wieder zurückgezogen habe, weswegen er auch aus Sparta verbannt wurde, weil man glaubte, er hätte sich durch Bestechung zum Rückzüge bestimmen lassen. Als sie aber das Heer bei Acharnä, sechzig Stadien von der Stadt entfernt sahen, so schien ihnen dieß unerträglich; und der Anblick der Verheerung ihrer Felder, den die Jüngeren noch nie, und die Aelteren nur zur Zeit der Perserkriege gehabt, dünkte ihnen, wie leicht zu erachten, empörend. Das her waren Alle, besonders aber die junge Mannschaft, der Meinung, mau solle ausrücken; und jedes nicht dulden. Sie theilten sich nun in Parteiungen und stritten mit Hitze, indem die Einen auf einen Ausfall drangen, die Andern iha mißriethen. Die Wahrsager verkündeten mancherlei Sprüche, die jeder, je nachdem er gesinnt war, eifrig auffaßte. Die Acharner aber, die sich als einen nicht unbedeutenden Theil der Athener betrachteten, betrieben es, bei der Verwüstung ihres Feldes, um meisten, daß ein Ausfall und eine Schlacht geschähe. Auf alle Art wurde die Stadt aufgereizt, und war voll Unwillen gegen Perikles: man gedachte seiner frühern Ermahnungen nicht mehr, sondern schalt auf ihn, daß er, als Feldherr, sie nicht gegen den Feind führe, und maß ihm die Schuld von Allem bei, was man zu leiden hatte.

22. Perikles aber, welcher die Atheneer mit ihrer jetzigen Lage sehr unzufrieden, und von keinem guten Geiste beseelt sah, und doch überzeugt war, seine Ansicht, daß ein Ausfall mit der Gesamtmacht vermieden werden müsse, sei die richtige, veranstaltete keine Volksversammlung oder sonstige Zusammenkunft, um zu verhüten, daß sie nicht mehr durch Leidenschaft als durch Ueberlegung bei ihrer gemeinschaftlichen Berathung geleitet, einen Mißgriff thun möchten. Er lief nur die Stadt gehörig bewachen, und erhielt darin, so viel ihm möglich war, die Ruhe. Indeß schickte er immer Reiterei aus, damit nicht die feindlichen Vortruppen in die Felder nahe bei der Stadt streifen und sie beschädigen möchten. Es erfolgte auch ein kleines Reitergefecht zwischen einem Geschwader der Athenischen Reiterei, mit dem die Thessalier vereinigt waren, und der Reiterei der Böotier, bei Phrygia, wobei die Athener und Thessalier nicht im Nachtheile waren, bis den Böotiern das schwerbewaffnete Fußvolk zu Hülfe kam, und jene zurückgedrängt wurden, wobei die Athener und Thessalier einen kleinen Verlust an Todten hatten, welche sie noch denselben Tag, ohne Waffenruhe nachzusuchen, von dem Kampfplatze wegschafften. Die Peloponnesier errichteten den folgenden Tag ein Siegeszeichen. Jene Thessalische Schaar war den Athenern, zu Folge eines alten Bundesvertrages, zu Hülfe gekommen, und zwar von den Larissäern, Pharsaliern, Kranoniern, Pyrasiern, Gyrtoniern und Pheräern. Ihre Anführer waren Polymedes und Aristonus aus Larissa, jeder von einer besondern Partei, und Menon and Pharsalus; und so hatten auch die Truppen der übrigen Städte ihre besondern Anführer.

23. Die Peloponnesier brachen, als die Athener nicht zur Schlacht gegen sie ausrückten, von Acharnä auf, und verwüsteten einige andere Bezirke zwischen dem Paruesischen und Brilessischen Gebirge. Während sie nun noch in dem Lande standen, so sandten die Athener jene hundert Schiffe, die sie ausgerüstet, mit einer Bemannung von tausend Schwerbewaffneten und vierhundert Bogenschützen in die Gegend des Peloponneses unter Anführung des Karcinus, des Sohnes von Xenotimus, und des Proteas, Sohnes von Epikles, und des Sokrates, Sohnes vor Autigenes. Diese liefen mit dieser Kriegsmacht aus, und kreuzten, daselbst. Die Peloponnesier aber zogen sich, nachdem sie in Attika, so lange die Vorräthe reichten, geblieben waren, durch das Böotische Gebiet auf einem andern Wege, als sie hereingekommen waren, zurück. Sie zogen an Oropus vorbei, und verwüsteten das sogenannte Grajische Gebiet, welches die Oropier, Athenische Unterthanen, bebauen. Nachdem sie im Peloponnes angekommen, löste sich das Heer auf, und jeder gieng in seine Heimath.

24. Nach ihren Abzuge stellten die Athener zu Lande und zur See Wachposten aus, wie sie dieselben den ganzen Krieg hindurch bestehen lassen wollten: auch beschlossen sie eintausend Talente von den auf der Burg befindlichen Geldern bei Seite zu legen und nicht anzugreifen, sondern die Kriegskosten von dem Uebrigen zu bestreiten: und sie setzten Todesstrafe darauf, wenn jemand die Verwendung dieser Summe zu einem andern Zwecke in Vorschlag oder zur Abstimmung bringen würde, ausser auf den Fall, daß die Feinde mit einer Kriegsflotte gegen die Stadt heransegelten, und man sich gegen diese vertheidigen müßte. Zugleich bestimmten sie, daß jedes Jahr hundert Dreiruder, und zwar die besten Schiffe, und die Befehlshaber dazu ausgesondert werden sollten, und keines dieser Schiffe sollte anders, als für denselben Nothfall, wie jenes Geld, gebraucht werden.

25. Die Athener aber, die mit der Flotte von hundert Schiffen um den Peloponnes kreuzten, nebst den Korcyräern, die mit fünfzig Schiffen zu ihrer gestoßen waren, und einigen andern Verbündeten aus jener Gegend, landeten, nachdem sie auf ihrem Zuge dem Feinde manchen andern Schaden zugefügt, bei Methone (Modon) im Lakonischen Gebiete, und rückten auf diesen ummauerten Ort vor, der schwach, befestigt und ohne Besatzung war. Gerade befand sich in dieser Gegend Brasidas, der Sohn des Tellis, ein Spartaner, der einen Wachposten befehligte. Auf die Nachricht von diesem Vorfalle eilte er den Bewohnern dieses Orts mit hundert Schwerbewaffneten zu Hülfe. Er schlug sich durch das Heer der Athener, das in der Gegend zerstreut umher lag, und mit der Belagerung beschäftigt war, durch, warf sich in Methone hinein, und behauptete die Stadt, nachdem er bei dem Durchmarsche nur Wenige von seinen Leuten verloren hatte. Wegen dieses kühnen Streiches wurde er, der Erste in diesem Kriege, in Sparta belobt. Die Athener aber brachen auf, und fuhren weiter, und richteten ihren Lauf nach Phea im Eleischen Gebiet, und verheerten das Land: und als dreihundert Mann auserlesene Truppen von dem Eleischen Thallande und aus der Umgegend auf sie anrückten, so besiegten sie dieselben in einem Treffen. Als sich hierauf ein heftiger Landwind erhob, und sie in jener Gegend ohne schirmende Bucht dem Sturme blosgestellt waren, so schifften sich die Meisten ein, und umschifften das sogenannte Vorgebirge Ichthys, und liefen in den Hafen Phea ein. Die Melles Hier aber und Andere, welche die Schiffe nicht hatten erreichen können, nahmen den Landweg und bereiten Phea: und wurden von den indeß angekommenen Schiffen später aufgenommen. Denn sie gaben den Besitz von Phea auf, und fuhren weiter, da jetzt ein zahlreiches Heer von Eleern gegen sie anrückte. Die Athener regelten hierauf in andere Gegenden, welche sie verheerten.

26. Um dieselbe Zeit schickten die Athener dreißig Schiffe in die Gegend von Lokris, und zugleich zum Schutze von Euböa: der Anführer war Kleopompus, der Sohn des Klinias. Dieser landete zu wiederholten Malen, und verwüstete einige Küstengegenden, eroberte Thronium, nahm Geißelt von den Einwohnern, und schlug bei Alope die herangerückten Lotrier in einem Treffen.

27. In eben diesem Sommer vertrieben die Athener auch die Aegineten mit Weibern und Kindern aus Aegina, weil sie ihnen zur Last legten, daß sie hauptsächlich, an dem Kriege Schuld sehen. Auch schien es sicherer, Regina, das so nahe am Peloponnes lag, durch Ansiedler aus ihrer Mitte zu besetzen: auch sandten sie nicht lange nachher Anpflanzer dahin. Den vertriebenen Aegineten wiesen die Lacedämonier Thyrea zur Wohnung und dessen Felder zur Benutzung an, theils um das Gegentheil von den Athenern zu thun, theils weil die Aegineten zur Zeit des Erdbebens und des Aufstandes der Heloten sich um sie verdient gemacht hatten. Das Gebiet von Thyrea ist ein Grenzland der Argivischen und Laconischen Landschaft, und erstreckt sich bis an das Meer. Einige von jenen ließen sich nur daselbst nieder, Andere zerstreuten sich im übrigen Griechenlande.

28. In dem nämlichen Sommer, an einem Neumonde nach dem Mondsmonate (der dritten August), bei welchem es auch allein als möglich angenommen wird, verfinsterte sich die Sonne nach Mittag, und wurde sichelförmig, und einige Sterne wurden sichtbar, aber die Sonne erhielt darauf wies der ihr volles Licht.

29. In eben diesem Sommer schloßen die Athener öffentliche Gastfreundschaft mit Nymphodorus aus Abdora, dem Sohne des Pythes, den sie zuvor für ihren Feind gehalten hatten, und beriefen ihn nach Athen. Sitalces nämlich, der Sohn des Teres, König der Thracier, hatte dessen Schwester zur Gemahlin, und jener hatte auf ihn großen Einfluß: und die Athener wünschten diesen Fürsten zum Bundesgenossen zu haben. Jener Teres, der Vater des Sitalces, war es, der zuerst den Odrysiern die ausgebreitete Herrschaft über den größern Theil des übrigen Thraciens erwarb. Denn ein großer Theil der Thracier ist unabhängig. Uebrigens stand dieser Teres mit dem Tereus, welcher Prokne, Pandion's Tochter, zur Gemahlin hatte, in keiner Verwandtschaft. Sie stammten auch nicht aus demselben Theile von Thracien: sondern Tereus wohnte in Daulia, in dem Lande, das jetzt Phokis heißt, und damals von Thraciern bewohnt war. Es ist dieß dasselbe Land, in welchem jene Frauen die That am Itys verübt haben. Viele Dichter geben bei Erwähnung der Nachtigall dieser den Beinamen: der Daulische Vogel. Auch ist es wahrscheinlicher, daß Pandion in dieser Entfernung wegen gegenseitiger Vortheile ein Verwandtschaftsband durch seine Tochter habe anknüpfen wollen, als viele Tagreisen weit bei den Odrysiern. Teres aber, dessen Name auch von jenem verschieden ist, war der erste mächtige König der Odryster. Seinen Sohn Sitalces suchten nun die Athener als Bundesgenossen zu gewinnen, wobei sie die Absicht hatten, daß er ihnen zur Bezwingung des Nachbarlandes von Thracien (Chalcidice) und des Perdikkas helfen sollte. Nymphodorus kam nach Athen, brachte den Bund mit Sitalced zu Stande, und bewirkte die Aufnahme von dessen Sohne, Sadokus, unter die Athenischen Bürger. Er nahm es auch auf sich, dem Kriege an der Thracischen Grenze eine entscheidende Wendung zu geben, und den Sitalces zu bestimmen, eine Thracische Schaar von Reitern und leichten Schildträgern den Athenern zu senden. Auch stiftete er einen Vergleich zwischen Perdikkas und den Athenern und bewog diese, ihm Therma zurückzugeben. Sogleich vereinigte auch Perdikkas reine Truppen mit den Athenern und Phormio gegen die Chalcidier. So wurden Sitalced, der Sohn des Teres, König von Thracien, und Perdikkas, Sohn Alerander's, König von Macedonien, Bundesgenossen der Athener. schlachtete nach der Fabel ihren eigenen Sohn Itys, uns die Entehrung der Philomela an Tereus zu rächen: diese roll dann in eine Nachtigall verwandelt worden sein.

30. Die Athener aber auf der Flotte der hundert Schiffe, die noch in der Gegend des Peloponneses waren, besetzten Sollium, ein Korinthisches Städtchen, und übergaben es den Paläreern in Akarnanien zur alleinigen Benützung der Ortschaft und des Gebiets. Sie erstürmten auch Astakus6, wo Euarchus Alleinherrscher war, vertrieben ihn, und vereinigten den Ort mit ihrem Bunde. Dann segelten sie auf die Insel Cephallenia zu, welche sich ohne Kampf ihnen ergab. Es liegt aber Cephallenia in der Gegend von Akarnanien und Leukas, und hat vier Städte, welche den Paleern, Kraniern, Samäern und Pronäern gehören. Die Schiffe steuerten bald nachher nach Athen zurück

31. Um den Spätherbst dieser Jahreshälfte machten die Athener mit ihrer Gesammtmacht, Bürgern und Beisitzern, einen Einfall ins Megarische Gebiet unter Anführung des Perikles, des Sohnes von Xanthippus. Als nun die den Peloponnes umschiffenden Athener auf den hundert Schiffen, welche aus dem Rückwege in die Heimath gerade in Aegina waren, erfahren, daß die von der Stadt mit gesammter Kriegsmacht im Megarischen sehen, so segelten sie dorthin, und vereinigten sich mit innen. So war dieß die zahlreichste Heeresmacht, welche die Athener je beisammen hatten, als die Stadt noch in der Blüthe, und von der Seuche noch nicht heimgesucht war. Denn die Athener für sich allein zählten nicht weniger als zehntausend Schwerbewaffnete: ausserdem hatten sie noch dreitausend vor Potidäa stehen. Von den Beisitzern aber nahmen nicht weniger als dreitausend an dem Einfalle Theil. Ferner war die Zahl der leichten Truppen nicht gering, die dabei waren. Nachdem sie nun den größten Theil des Gebiets verheert hatten, zogen sie wieder nach Hanse Megarische Gebiet, theils mit Reiterei, theils mit der gesammten Kriegsmacht, bis Nisäa von den Athenern eingenommen wurde.

32. Es wurde auch gegen das Ende dieses Sommers - von den Athenern der Posten Atalante, eine zuvor unbewohnte Insel, gegenüber von den Opuntischen Lokrern, befestigt, damit nicht aus Opus und dem übrigen Lokrischen Gebiete Seeräuber auslaufen, und Euböa beschädigen möchten. Dieß geschah in diesem Sommer, nach dem Rückzuge der Peloponnesier aus Attika.

33. In dem nächstfolgenden Winter bewog der Akarnanier Euarchus, um in Astakus wieder eingesetzt zu werden, die Korinther, mit vierzig Schiffen und eintausend fünfhundert Schwerbewaffneten auszusegeln, und seinen dortigen Besitzstand wieder herzustellen. Er selbst miethete dazu einige Hülfsvölker. Anführer des Zuges waren Euphamidas, der Sohn des Pristonymus, Timorenus, der Sohn des Timokrates, und Eumachus, der Sohn des Chrysis. Sie schifften hin, und setzten ihn wirklich wieder ein. Als sie auch noch einige andere Küstenplätze von Akarnanien erobern wollten, und dieser Versuch mißlang, so schifften sie nach Hanse zurück. Im Vorbeisegeln richteten sie ihren Lauf nach Cephallenia, und landeten im Gebiete der Kranier, wurden aber von diesen durch einen Vergleich hintergangen, und verloren bei einem unerwarteten Ueberfall der Kranier einige von den Ihrigen, und wurden gezwungen, sich in Eile wieder einzuschiffen, worauf sie in die Heimath zurückkehrten.

34. In demselben Winter veranstalteten die Athener, der Sitte der Väter gemäß, die öffentliche Bestattung derer, die in diesem Kriege zuerst gefallen waren, auf folgende Weise. Drei Tage zuvor wird ein Seit errichtet, die Gebeine der Abgeschiedenen werden ausgestellt, und Jeder bringt seinem Angehörigen, wenn er will, eine Leichengabe dar. Wenn aber der Leiterzug selbst gehalten wird, so werden Garge von Cypressenholz auf Wagen gefahren, einer für jeden Volksstamm. Auch wird ein leeres gepolstertes Todtenlager, mitgeführt, für die Vermißten, die etwa bei der Sammlung der Leichname nicht aufgefunden worden. Jeder, der da will, Stadtbewohner oder Fremder, nimmt Theil an dem Zuge. Auch die anverwandten. Frauen erscheinen wehklagend bei der Leichenfeier. Man setzt nun die Leichen im öffentlichen Begräbnißplatze bei, welcher in der schönsten Vorstadt sich befindet. Von jeher begräbt man dort die im Kriege Gefallenen: nur denen, welche vor Marathon fielen, wurde, weil man ihre Heldentugend für unvergleichbar erklärte, dort auch ihr Grabmal errichtet. Wenn man sie nun mit Erde bedeckt hat, so hält ihnen ein von Staatswegen dazu erwählter Mann, der den Ruf verständiger Einsicht und hervorragendes Ansehen genießt, eine passende Lobrede. Hierauf begeben sie sich wieder nach Hause. Dieß ist nun die Begräbnißfeier: und den ganzen Krieg hindurch, so oft der Fall vorkam, beobachtete man diese Sitte. Für diese ersten Gebliebenen wurde Perikles, Xanthippus Sohn, zum Redner gewählt. Als nun der bestimmte Zeitpunkt gekommen war, so trat Perikles von dem Grabmale auf ein hohes das zu verfertigtes Gerüste, um so weit als möglich von der Menge gehört zu werden, und sprach also:

35. "Die Meisten derer, die bisher an dieser Stelle aufgetreten sind, beloben den Stifter dieser Reden, der solche mit diesem Leichengebrauche verbunden hat, weil es eine schöne Sitte sei, bei der Bestattung der im Kriege Gefallenen solche öffentliche Vorträge zu halten. Ich aber glaube, es wäre hinreichend gewesen, das ehrenvolle Andenken an Männer; die durch die That sich als tapfer bewiesen, auch nur durch eine Thathandlung zu beweisen, wie ihr sie hier bei den öffentlichen Anstalten zu dieser Leichenfeier sehet: ohne daß man die Beglaubigung der Verdienste so vieler Männer, der bessern oder geringern Rednergabe eines Einzigen überlassen sollte. Denn schwer ist es, zweckgemäß zu sprechen, da, wo es schon Mühe kostet, die Ueberzeugung von der Wahrheit fest zu begründen. Denn ein kundiger und günstig gestimmter Hörer wird vielleicht meinen, die Darstellung sei in Vergleichung mit seinen Wünschen und seiner Sachkenntniß zu mangelhaft. Der Unkundige aber wird aus Neid Manches sogar für übertrieben halten, wenn er etwas hört, was über seine Kräfte hinausgeht. Denn insoweit läßt man sich wohl die Lobreden auf Andere gefallen, als man selbst etwa glaubt, im Stande zu sein, etwas von dem, was man hört, zu leisten; was aber über diese Schranken sich erhebt, das beneidet man, und darum wird es auch sofort bezweifelt. Da nun aber den Alten dieser Gebrauch als lobenswerth sich erprobt hat, so muß auch ich der Sitte gehorchen, und dabei mich bestreben, Euer Aller Wünsche und Ansichten, so gut ich’s vermag, zu treffen."

36. "Ich will aber zuvörderst mit den Vorfahren beginnen. Denn billig und diesem Anlasse angemessen ist es, ihnen hier ein ehrenvolles Andenken zu weihen. Denn sie haben, stets dieselben, dieses Landes Besitz behauptet, und durch ihre Tapferkeit in der Folge der Geschlechter bis heute dasselbe frei auf die Nachwelt gebracht. Und so ruhmwärdig jene sind, so sind es noch in höherem Grade unsere Väter. Denn sie erwarben zu dem Ererbten noch die Herrschaft in dem Umfange, wie wir sie besitzen, und haben dieselbe nicht ohne Anstrengung auf uns jetztlebende fortgepflanzt. Doch noch mehr haben wir, die wir hier sind, und gerade noch in lebenskräftigem Alter stehen, die Vergrößerung jener Macht gefördert, wird dem Staate für Krieg und Frieden eine allseitig tüchtige und selbstständige Haltung gegeben. Ihre Kriegsthaten, durch welche jenes Alles der Reihe nach errungen worden, oder wie wir selbst oder unsere Väter der Barbaren oder Hellenen feindlichen Angriff muthig zurückgewiesen, will ich vor Kundigen, um nicht durch lange Rede hinzuhalten, übergehen. Vielmehr will ich zuvörderst erklären, durch welches Verfahren wir so weit gediehen sind, und durch welche Staatseinrichtung und Handlungsweise, jene Größe gegründet wurde; dann werde ich auf das Lob dieser Männer übergehen. Denn ich glaube, eine solche Darstellung werde, unter den jetzigen Umständen nicht unangemessen und nützlich sein, wenn die ganze Versammlung von Stadtbewohnern und Fremden sie vernehme."

37. "Wir leben nämlich unter einer Verfassung, die nicht eine Nachbildung auswärtiger Gesetze ist: vielmehr sind wir selbst Manchen ein Muster, als daß wir Andern nachahmen sollten. Unsere Verfassung trägt den Namen "Volksregierung" (Demokratie), weil sie nidt zum Vortheile von Wenigen, sondern der Mehrzahl eingerichtet ist. Denn bei besondern Rechtshändeln genießen Alle gesetzmäßig das gleiche Recht: was aber sie öffentlichen Würden betrifft, so wird Jeder nach dem guten Kufe, den er in einem Fache behauptet, und nicht sowohl als Mitglied einer gesonderten Classe, sondern nach seiner Tüchtigkeit bei Staatsgeschäften hervorgezogen: auch ist Niemand wegen der Armuth durch Unscheinbarkeit des Ranges gehindert, dem Staate, wenn er es vermag, Nützliches zu leisten. In freisinnigem Geiste handeln wir in der Verwaltung des Staats und in der täglichen Lebensweise, welche so leicht gegenseitiges Mißtrauen erzeugt: wir verdenken es dem Nachbar nicht, wenn er einmal dem Vergnügen sich hingiebt; wir verhängen keine Strafen, die, wenn sie auch ohne Geldbuße sind, doch dem Auge wehe thun. Ferne von lästiger Strenge im besonderen Verkehre, lassen wir uns im Oessentlichen vornämlich durch ehrerbietige Scheu von gesetzwidrigen Handlungen zurückhalten, aus Gehorsam sowohl gegen die jedesmal bestehenden Obrigkeiten, als gegen die Gesetze, zumal solche, die zum Schutze der Gekränkten aufgestellt sind, oder welche, wiewohl ungeschrieben, in der öffentlichen Meinung (wenn sie verletzt sind) entehren."

38. "Ueberdieß haben wir so manche Erholung von der Lebensmühen dem Geiste bereitet, durch gesetzliche Veranstaltung von Kampfspielen und jährlichen Opfern, und durch gefällige Einrichtung des häuslichen Lebens, deren tägliche Ergötzlichkeit den traurigen Ernst verscheucht. Wegen der Größe unserer Stadt wird aus allen Landen Alles bei uns eingeführt, und davon ist die Folge, daß der Genuß der Güter anderer Gegenden und eben so geläufig ist, wie der Genuß der hiesigen Erzeugnisse."

39. "Auch haben wir in der Art; das Kriegswesen zu betreiben, vor unsern Gegnern folgenden Vorzug. Wir gestatten Jedem offenen Zutritt zu unserer Stadt, und verwehren Niemand je durch Ausweisung der Fremden, Dinge zu erfahren und zu sehen, die, da sie nicht geheim gehalten werden, ein Feind sich, bemerken, und Nutzen daraus ziehen könnte: denn wir vertrauen bei unsern Unternehmungen nicht sowohl auf gewisse Plane und listige Kunstgriffe, als auf unsern persönlichen Muth. Jene suchen in der Erziehung von frühester Jugend an sich etwas Mannhaftes anzueignen: wir aber, bei unserer ungebundenen Lebensweise, ziehen nichts desto weniger in den ungewissen Kampf mit gleich starken Gegnern. Zum Beweise mag dienen, daß die Lacedämonier nicht allein für sich, sondern mit ihrer Gesammtmacht gegen unser Land zu Felde ziehen, wir aber bei Einfällen in ein anderes Gebiet, die wir für uns wagen, gewöhnlich auf fremdem Boden gegen solche, die im Treffen doch ihre Heimath verfechten, einen leichten Sieg davon tragen. Ueberdieß hat noch nie ein Feind unsere Gesammtmacht versucht, weil wir zugleich das Seewesen mit Sorgfalt betreiben, und zu Lande nach vielen Richtungen unsere Macht verbreiten. Sind sie nun etwa mit einer Abtheilung der Unsrigen in Kampf gerathen, und Sieger geblieben, so rühmen sie sich, die Besammtmacht sei zurückgeschlagen; und werden sie besiegt, so behaupten sie, unserem ganzen Heere unterlegen zu sein. Uebrigens wenn wir es etwa auch vorziehen, lieber aus gemächlichern Lebensverhältnissen, als aus einer mühseligen Uebungsschule, und mit einer Tapferkeit, die nicht sowohl auf Gesetzen, als auf dem Charakter beruht, in den Kampf zu ziehen, so bleibt und der Vortheil, bei dem Ungemache, das unser wartet, nicht schon voraus ermattet zu sein , und, wenn wir ihm nun entgegentreten, nicht mindere Kühnheit zu erproben, als die, welche von jeher sich abgemüht haben."

40. "Ja, es bleibt und der Vortheil, daß unsere Stadt sowohl in diesem, als in andern Dingen der Bewunderung werth ist. Denn wir lieben das Schöne, doch mit mäßigem Aufwande: wir lieben die Wissenschaften, doch ohne durch sie weichlich zu werden. Unsern Reichthum zeigen wir zur rechten Seit, mehr durch die That, als durch Wortgepränge. Seine Armuth zu gestehen ist bei uns für Niemand entehrend: aber desto schimpflicher ist es, sie nicht thätig abzuwenden. Die nämlichen Menschen widmen sich zum Theil bei und häuslichen und Staatsgeschäften; zum Theil haben Andere, die sich mit dem Ackerbau und andern Gewerben beschäftigen, doch keine dürftige Kenntniß von öffentlichen Angelegenheiten. Wir allein erklären den, welcher an jenen keinen Theil nimmt, nicht für einen Ruheliebenden, sondern für einen unnützen Menschen: wir selbst beurtheilen oder erwägen wenigstens die Staatsgeschäfte mit richtigem Blicke: wir meinen nicht, daß die Rede der That Nachtheil bringe, sondern der Mangel an vorläufiger Belehrung durch die Rede, ehe man in nöthigen Fällen zur That schreitet. Denn uns ist gewiß auch der Vorzug eigen, daß wir mit hohem Muthe zugleich auch sorgfältige Berechnung unserer Unternehmungen verbinden, da sonst Unerfahrenheit eine Quelle der Verwegenheit, Ueberlegung aber der Unentschlossenheit zu sein pflegt. Für die tapfersten Seelen darf man wohl mit Recht die erklären, welche mit den Beschwerden sowohl als mit den Annehmlichkeiten vertraut, doch darum vor den Gefahren des Kampfes nicht zurückbeben. Auch von der Tugend der Dienstfertigkeit haben wir andere Ansichten als die Menge. Denn nicht durch empfangene, sondern durch erwiesene Wohlthaten erwerben wir uns Freunde. Beständiger in der Gesinnung ist der Wohlthäter, um den schuldigen Dank des Empfängers für sein Wohlwollen sich zu sichern: lässiger aber der Verpflichtete, indem er wohl weiß, er werde nicht als dankerzeugende Gefälligkeit, sondern als abzutragende Schuld den Dienst erwiedern. Wir allein sind es, die Andere rücksichtslos unterstützen, nicht sowohl unsern Vortheil berechnend, als ihrem Edelmuthe vertretend."

41. "Um meine Ansicht in wenige Worte zu fassen, behaupte ich: unser Staat ist nicht nur im Ganzen eine Schule für Hellas, sondern auch im Einzelnen vermag, wie ich glaube, ein Mann aus unserer Mitte seine Person für mancherlei Fächer tüchtig und doch zugleich in hohem Grade gewandt und mit Anmuth zu zeigen. Und daß dieß nicht ein bloßes Wortgepränge, gewählt für diese Gelegenheit, sondern vielmehr durch die That bewiesene Wahrheit sei, dieß zeigt die jetzt bestehende Macht des Staats, welche wir durch jenen Volkscharakter errungen haben. Denn unser Staat allein unter den Zeitgenossen erprobt sich, daß er seinen Ruf noch übertreffe: er allein erregt bei dem angreifenden Feinde keine unwillige Beschämung, daß er von solchen Gegnern Ungemach erleide, noch bei den unterworfenen Staaten eine Beschwerde, daß sie von Unwürdigen beherrscht werden. Da wir nun bei so gewichtigen Thatbeweisen unsere Macht nicht unbezeugt gelassen haben, so werden wir Gegenstand der Bewunderung bei der Mitwelt und Nachwelt sein, und so bedürfen wir nicht einmal eines Lobredners, wie Homer, oder irgend eines andern, dessen bildlich geschmückte Darstellung, bei allem augenblicklichen Reize seiner Dichtungen, durch den wahren Thatbestand widerlegt wird. Vielmehr haben wir durch unsern Heldenmuth in allen Ländern und Meeren uns eine Bahn gebrochen, und überall unvergängliche Denkmale, daß wir wohlzuthun und zu strafen wissen, gestiftet. Ein solches Vaterland ist es also, für dessen Besitz, den sie sich mit Recht nicht rauben lassen wollten, diese Männer den edeln Tod in der Schlacht gestorben sind; und billig ist es, daß jeder der Ueberlebenden denselben ein Opfer zu bringen bereit sein."

42. "Daher habe ich auch bei der Schilderung unseres Staates länger verweilt, um darzuthun, daß wir uns solche, die keinen von unsern Vorzügen in gleichem Grade besitzen, nicht um den gleichen Preis kämpfen: zugleich wollte ich den Ruhm derer, von denen ich nun zu sprechen habe, durch Gründe einleuchtend darstellen. Das Wichtigste derselben ist schon ausgesprochen. Denn was ich an unserem Staate als preiswürdig dargestellt, das haben die Tugenden der hier ruhenden Männer und ihres Gleiche zu seinem Glanze erhoben: und es mag wohl wenige Hellenen geben, bei welchen, wie bei diesen, Wort und That in so schönem Gleichgewichte sich zeigen. Ein solches Lebensende, wie diese es gefunden, scheint mir, sei es nun als erste Probe, oder als letzte Bekräftigung, männliche Tugend zu beweisen. Denn selbst bei solchen, die sonst minder fehlerfrei wären, ist es bullig, die im Kriege für’s Vaterland erprobte Tapferkeit als Vertheidigungsgrund zu gebrauchen: denn sie verdunkeln ihre Mängel durch diesen Vorzug, und haben dem Ganzen mehr Vortheil, als im Einzelnen Schaden gestiftet. Aber von diesen Gefallenen hat keiner, durch den Reichthum und durch Vorliebe für die bisherigen Genüsse verleitet, sich der Weichlichkeit hingegeben, noch gereizt durch die Hoffnung, der Armuth sich zu entwinden, und Reichthum zu erwerben, Aufschub der Gefahr gesucht. Vielmehr hielten sie die Rache an den Feinden für wünschenswerther, als jenen Genuß und Reichthum, und ein solches Wagniß für das ruhmvollste, und entschloßen sich, unter Gefahren an jenen Rache zu nehmen, und diesem entgegen zu gehen. Das Ungewisse des glücklichen Erfolges der Hoffnung überlassend, hatten sie Selbstgefühl genug, für die That und das, was ihnen vor Augen lag, sich selbst zu vertrauen; und dabei glaubten sie, eher durch Abwehr und Leiden, als durch feiges Weichen ihr Heil zu finden; und so haben sie sich über jede entehrende Nachrede erhoben, und die That mit persönlicher Aufopferung bestanden, und in einem kurzen Augenblicke wurden sie, auf dem Gipfel des Ruhmes sich fühlend, nicht sowohl von der Furcht, als von der Macht des Schicksals entbunden."

43. "Durch solches Betragen haben diese Männer unseres Staats sich würdig gezeigt. Die Ueberlebenden aber mögen sich's zum Grundsatze machen, eine nicht minder heldenmüthige Gesinnung gegen die Feinde zu hegen; wiewohl ihnen zu wünschen ist, daß sie ihnen minder gefahrvoll werde. Nicht nach Worten allein mögen sie die Nützlichkeit für den Staat bemessen, wovon, wer Dinge, die euch Allen ebensowohl bekannt sind, besprechen wollte, mit unnöthigem Aufwande von Worten darthun könnte; wie vortheilhaft es sei, den Feind abzuwehren. Vielmehr sollet ihr von der Macht des Staates durch tägliche Anschauung in der Wirklichkeit euch überzeugen, und innige Liebe für ihn gewinnen. Und wenn ihr die Größe dieser Macht erkannt habt, so erwäget, daß heldenmüthige Männer, ihre Pflichten erkennend, und im Handeln durch Gefühle der Ehre geleitet, jene erworben haben: und saß sie, wofern ihnen auch etwa ein Unternehmen mißlang, darum doch ihre tugendhaften Dienste dem Staate nicht entziehen wollten , sondern ihm das edelste Opfer dargebracht haben. Denn indem sie dem öffentlichen Wohle Leib und Leben hingegeben, haben sie für sich nie alternden Ruhm geerndtet, und das ehrenvollste Grabmal erhalten, nicht sowohl das, in welchem sie ruhen, sondern jenes, in welchem ihr Ruhm bei jedem Anlasse zu Wort und That unvergeßlich bewahrt wird. Denn ausgezeichneter Männer Grabmal ist der ganze Erdkreis: und nicht bloß der Denksäulen Inschrift in der Heimath verkündet ihren Ruhm: auch in fremdem Lande lebt ohne Schrift ihr Andenken bei Allen nicht sowohl im Werke des Künstlers, als in den Gemüthern fort. Ihnen sollet ihr jetzt nacheifern, und in der Ueberzeugung, daß die Glückseligkeit auf der Freiheit, die Freiheit aber auf der Tapferkeit beruhe, bei den Gefahren des Kriegs nicht lässig sein. Denn nicht die, deren Loos unglücklich und ohne Hoffnung auf einen bessern Zustand ist, sind eher berechtigt, ihr Leben rücksichtslos zu wagen. Vielmehr gilt dieß denen, bei welchen der entgegengesetzte Umschwung ihrer Lebensverhältnisse noch auf dem Spiele steht, und bei welchen, wenn sie ein Unfall träfe, der Wechsel sehr bedeutend wäre. Denn für einen Mann von Selbstgefühl ist die mit zaghaftem Betragen verbundene Mißhandlung drückender, als der unvermuthet überraschende Tod selbst, wenn dieser bei kraftvollem Benehmen und unter gemeinsam günstigen Aussichten erfolgt."

44. "Darum will ich Euch, ihr Eltern unsrer Gefallenen, so viele euer hier anwesend sind, nicht sowohl beklagen, als trösten. Wisset Ihr ja doch, daß Ihr selbst unter wechselvollen Zufällen herangereift sein, und daß der glücklich ist, dem ein so rühmliches Ende wie diesen, und eine so rühmliche Trauer, wie Euch, zu Theil wird, und wem das Loos zugeschieden wurde, in eben dem, was das Glück seines Lebens ausmachte, seinen Tod zu finden. Wohl weiß ich, daß es schwer ist, Euch davon zu überzeugen, da der Anblick fremden Glücks, dessen auch Ihr Euch einst freutet, so manche Erinnerungen an die Verlornen in Euch hervorrufen wird: betrifft ja doch die Trauer nicht den Verlust solcher Güter, welche man nie genossen, sondern die Entbehrung eines Besitzes, an welchen uns Bande der Gewohnheit fesselten. Indessen mögen sich die, welchen ihre Altersstufe noch Nachkommenschaft verspricht; durch die Hoffnung trösten, andere Kinder zu erzielen; und so wird nicht nur im Einzelnen der Verlust derer, welche nicht mehr sind, über den Nachgebornen in Vergessenheit gebracht werden; sondern es wird dieß auch dem Staate zweifach nützen, weil er nicht entvölkert wird, und an Sicherheit gewinnt. Denn es ist nicht denkbar, daß man auf eine billige und gerechte Weise das öffentliche Wohl berathe, wenn man nicht auf gleiche Art, wie Andere, bei den Gefahren des Staates Kinder auf das Spiel zu setzen hat. Ihr aber, die Ihr schon jene Altersstufe überschritten habt, möget es als Gewinn betrachten, daß Ihr den größten Theil Eures Lebens glücklich hingebracht, und im Gedanken, das der Nest kurz sein werde, und im Ruhm Eurer Gefallenen Erleichterung stufen. Denn die Ehrliebe allein altert nie, und bei der Unthätigkeit des hohen Alters ist es nicht Geldgewinn, wie Einige behaupten, sondern die Ehre, was den meisten Reiz und die größte Befriedigung gewährt."

45. "Für Euch aber, die ihr als Söhne oder Brüder der Hingeschiedenen zugegen seid, sehe ich, einen großen Wettkampf eröffnet: denn Jedermann ist gewohnt, den, der nicht mehr ist, zu loben: und kaum werdet ihr wohl bei so hervorragenden Tugenden es erreichen, eine Stufe geringer als sie, geschweige dann, ihnen gleichgeachtet zu werden. Denn wer unter den Lebenden den gleichen Ziele zustrebt, wird beneidet: wer aber nicht mehr in Wege steht, wird mit unbestrittenem Wohlwollen geehrt. - Soll ich nun auch der weiblichen Tugend derer gedenken, die jetzt im Witwenstande leben, so will ich in kurze Worte der Ermunterung Alles zusammenfassen. Zu großer Ehre wird es Euch gereichen, wenn Ihr den Eurem Geschlechte gebührenden Charakter nicht verlaugnet, und wenn so wenig als möglich, weder im Lob noch Tadel, unter Männern Euer gedacht wird."

46. "So habe ich denn, was ich der Sitte gemäß für dienlich erachtete, in meiner Rede vorgetragen; und durch die That ist der Bestatteten schon ihre Ehre geworden, und von nun an wird der Staat ihrer Kinder Erziehung bis zu den Jahren der Mannbarkeit besorgen, und so diesen Todten, wie ihrer Hinterbliebenen, für ihre Stümpfe einen nützlichen Siegeskranz reichen: denn wo der Tugend die größten Belohnungen bestimmt sind, da leben im Staate and die trefflichsten Männer. Und jetzt, nachdem Jeder die Klage über seine Ungehörigen vollendet, begebt Euch nach Hause."

47. So wurde die Begräbnißreier in diesem Winter Veranstaltet: und mit seinem Ende verfloß auch das erste Jahr des Kriegs. Unmittelbar nach dem Anfange des Sommers (430. v. Chr.) thaten die Peloponnesier und ihre Bundesgenossen mit zwei Drittheilen ihrer Heere einen Einfall in Attika wie zuvor; unter Anführung des Archidamus, Königs der Lacedämonier, Sohnes von Zeuridamus, und setzten sich daselbst fest, und verwüsteten das fand. Kaum aber standen sie einige Tage in Attika, so begann zum erstenmale jene Seuche unter den Athenern auszubrechen, welche, wie man sagt, schon früher in vielen Orten eingerissen hatte, theils auf Lemnus, theils in andern Gegenden: doch war eine so große Pest und ein solches Sterben unter der Leuten seit Menschengedenken noch nirgends gewesen. Denn auch die Aerzte leisteten anfangs, aus Unkunde der Krantheit, keine genügende Hülfe; sondern sie starben meist selbst um so eher, je mehr sie sich mit den Kranken in Berührung retten: auch half keine andere menschliche Kunst. So oft man auch zu den Tempeln Bittgänge that, oder sich an die Orakel und andere dergleichen Anstalten wendete, so war doch Alles umsonst. Zuletzt gab man auch Dieß auf, weil aller Muth durch des Uebels Größe gelähmt war.

48. Es begann aber die Krankheit, wie man behauptet, zuerst in demjenigen Aethiopien, das jenseits Egypten’s liegt; dann verbreitete sie sich auch über Egypten und Libyen und viele Länder des Perserkönigs. Ins Athenische Gebiet kam sie plötzlich, und ergriff zuerst die Einwohner des Piräens; daher behaupteten diese, die Peloponnesier hätten Gift in die Gisternen geworfen: denn Brunnen gab es damals dort, noch nicht. Später drang sie aber auch in die Stadt ein, die weiter landeinwärts liegt: und nun ward das Sterben schon häufiger. Es mag übrigens jeder, sei er Arzt oder Laye, darüber nach seiner Ansicht urtheilen, was die wahrscheinliche Veranlassung dieser Seuche war, und welche Ursachen bei einer so gewaltigen Veränderung ihm hinreichend scheinen, diesen Umschwung des Zustandes zu bewirken. Da aber ich selbst von der Krankheit befallen wurde, und Andere, die an derselben litten, beobachtete, so will ich erzählen, wie der Verlauf derselben war, und angeben, nach welchen Merkmalen und Vorzeichen, wenn sie wieder einmal ausbrechen sollte, man sie am besten erkennen kann.

49. Jenes Jahr war, wie man allgemein anerkannte, gerade vor allen andern sehr frei von sonstigen Krankheitszufällen; litt aber jemand schon früher an irgend einem Uebel, so nahm Alles die Richtung auf diese Seuche. Die Andern, die gesund waren, ergriff ohne eine äussere Veranlassung plötzlich zuerst heftige Hitze im Kopfe, mit Entzündung und Röthe der Augen: die innern Theile, die Kehle und die Zunge, wurden sogleich mit Blut unterlaufen, und gaben einen auffallend widrigen, übelriechenden Athem von sich. Dann gesellte sich Nießen und Heiserkeit dazu: und in Kurzem warf sich die Krankheit auf die Brust, mit heftigem Husten. Wenn sie sich dann beim Magen festsetzte, so bewirkte sie eine so heftige Erschütterung desselben, daß alle von den Aerzten namhaft gemachten Entleerungen der Galle unter großer Beschwerde erfolgten. Die Meisten bestel ein leeres Schlucken, das starken Krampf mit sich führte, welcher bei Einigen bald nach ließ, bei Andern länger anhielt. Der Körper fühlte sich von aussen nicht sehr warm an, war auch nicht blaß, sondern röthlich, oder bläulich, mit einem Ausschlage von kleinen Blasen und Geschwüren. Innerlich aber war die Hitze so heftig, daß man selbst die dünnsten Kleider und eine Bedeckung von der feinsten Leinwand nicht ertragen konnte, und nur immer ganz unbekleidet sein wollte, am liebsten aber sich in kaltes Wasser stürzte: viele, auf die man nicht Acht gab, warfen sich, von unlöschbarem Durste überwältigt, sogar in die Cisternen: man mochte viel oder wenig trinken, so war die Wirkung dieselbe. Ein allgemein drückendes Uebel war auch der Mangel an Ruhe und die Schlaflosigkeit. So lange die Krankheit im Zunehmen war, wurde der Körper nicht abgemagert, sondern widerstand dem Leiden über die Erwartung, so daß die Pieisten entweder am neunten oder auch am siebenten Tage, wo sie noch nicht ganz entkräftet waren, an innerlichem Brande hinstarben: oder wenn sie auch für jetzt davon kamen, so warf sich die Krankheit auf den Unterleib, worauf starke Geschwüre dort ausbrachen, und ein übermäßiger Durchfall erfolgte, durch Welchen die Kranken zuletzt ein Opfer der Entkräftung wurden: denn das Uebel fieng oben an, indem es sich zuerst im Kopfe festsetzte, und durchlief dann den ganzen Körper: und wenn man auch die größte Gefahr überstanden hatte, so zeigte sich die Macht der Krankheit noch in den äussersten Theilen: und ergriff die Geschlechtstheile und die Spitzen der Hände und Füße: und viele kamen mit dem Verluste derselben, einige auch mit Erblindung der Augen davon. Einige befiel auch, wenn sie genesen waren, plötzlich eine durch gängige Gedächtnißschwäche, so das sie sich selbst und ihre Angehörigen nicht mehr kaunten.

50. Denn die Gewalt dieser Gattung von Krankheit ging nicht allein überhaupt über alle Beschreibung, indem sie Jeden heftiger ergriff, als es die menschliche Natur zu ertragen vermochte, sondern sie zeigte sich auch darin als eine ganz ungewöhnliche Erscheinung: die Vögel und vierfüßigen Thiere, welche sonst menschliche Leichname angreifen, rührten entweder die vielen unbegrabenen Körper gar nicht an, oder, wenn sie davon fraßen, starben sie. Zum Beweise dient das auffallende Verschwinden dieser Art von Vögeln, die sich weder sonst, noch bei irgend einem solchen Leichname mehr zeigten. An den Hunden aber, weil sie in menschlicher Umgebung lebten, bemerkte man häufig den Einfluß des Uebels.

51. Dieß war im Ganzen die Beschaffenheit der Krankheit, mancher sonderbaren Zufälle im Einzelnen, die sich verschieden bei Diesem oder Jenem äusserten, nicht zu gedenken. Um diese Zeit herrschte keine von den gewöhnlichen Krankheiten, und wo etwa eine vorkam, so ging sie in jene über. Einige starben aus Mangel an Pflege, Andere auch bei der sorgsamsten Wartung. Es gab kein einzelnes bestimmtes Heilmittel, von welchem man hätte jagen können, daß sein Gebrauch entscheidende Hülfe gewähre. Denn was dem Einen zuträglich war, schadete dem Andern. Keine Liebesbeschaffenheit, sie mochte stärker oder schwächer sein, vermochte dieser Krankheit zu widerstehen; sie raffte Alle ohne Unterschied hin, nach welcher Heilart man sie auch behandelte. Das Schlimmste bei dem ganzen Uebel war: einerseits die Niedergeschlagenheit, die Jeden ergriff, sobald er sich krank fühlte. (denn dann überließ man sich sogleich, der Hoffnungslosigkeit, und vernachläßigte sich selbst viel zu sehr, und leistete der Krankheit keinen Widerstand), andererseits der Umstand, daß sie Einer durch die Pflege des Andern angesteckt wurden, und wie die Schaare hinstarben. Dieß verursachte den größten Menschenverlust. Denn wollte man aus Furcht sich einander nicht nähern, so starben die Franken ohne Beistand, und viele Häuser wurden aus Mangel an Pflege verödet. Kam man aber mit den Kranken in Berührung, so war man verloren, zumal solche, die einigen Diensteifer zeigen wollten: denn aus Ehrgefühl vergaßen sie die Schonung gegen sich selbst, und besuchten ihre Freunde: dein auch die nächsten Angehörigen wurden, betäubt von dem Uebermaaße des Unglücks, am Ende der Klage um die Sterbenden überdrüssig. Jedoch fühlten die Genesenen am meisten Mitleid gegen die Sterbenden und Leidenden, weil sie das Uebel aus Erfahrung kannten, und sich selbst nunmehr gerettet fühlten: denn ein tödtlicher Rückfall trat nicht ein. Solche wurden nicht allein von Andern glücklich gepriesen, sondern auch sie selbst hegten bei ihrer augenblicklichen Freude für die Zukunft die leise Hoffnung, daß nicht leicht eine andere Krankheit sie hinraffen werde.

52. Es bedrängte aber die Athener ausser dem vorhandenen Leiden noch mehr das Zusammenströmen der Leute vom Lande in die Stadt, besonders die später Hereingekommenen. Denn da nicht Wohnungen genug vorhanden waren, sondern da sie zur Sommerszeit in dumpfigen Hütten sich aufhielten, so starb Alles durcheinander weg. Sterbende lagen übereinander, und so blieben die Leichname liegen. Andere wälzten sich halbtodt auf den Straßen und bei allen Brunnen herum, um ihren Durst zu löschen. Die Tempel, in welchen sie ihre Hütten aufgeschlagen hatten, waren voll von Todten, welche dort verschieden waren. Denn da die Menschen nicht wußten, was aus ihnen werden sollte, so überließen sie sich, überwältigt von dem Unglücke, der Geringschätzung alles Göttlichen und Menschlichen ohne Unterschied. Alle Gebräuche, die man sonst bei Begräbnissen Beobachtet hatte, geriethen in Unordnung. Man begrub, so gut man eben konnte. Manche nahmen ihre Zuflucht ohne Scheu zu fremden, verbotenen Begräbnißplätzen, da die eigenen nicht zureichten, weil von den Ihrigen schon so viele zuvor gestorben waren. Denn sie suchten fremde Scheiterhaufen, und Einige legten, indem sie denen, welche jene errichtet hatten, zuvorkamen, ihre Todten darauf, und zündeten den Holzstoß an: Andere warfen, während eine andere Leiche verbrannt wurde, die, welche sie trugen, hinauf, und eilten davon.

53. Diese Seuche gab auch sonst noch zu weiterer Gesetzlosigkeit in der Stadt die erste Veranlassung. Denn ungescheuter wagte man nun, was man sonst, ohne rein Gelüste offen zu befriedigen, verheimlicht hatte, da man den raschen Wechsel des Schicksals sah, wie die Reichen plötzlich hinstarben, und solche, die zuvor Nichts hatten, schnell in den Besitz ihrer Güter kamen. Daher wollten sie sich einen schnellen und angenehmen Genuß derselben verschaffen, da Leben und Vermögen, das Eine wie das Andere, ihnen als so kurzdauernd erschienen. Niemand hatte Lust, für das, was als gut und edel galt, ein Opfer zu bringen, da es ihm ungewiß dünkte, ob er nicht vor Erreichung seines Zwecks weggerafft würde. Was aber augenblicklichen Genuß und der Lust irgend welchen Gewinn gewährte, das wurde als gut und nützlich erklärt. Keine Furcht vor den Göttern, kein menschliches Gesetz gab eine Schranke. Denn jene zu ehren oder nicht, achteten sie für gleichgültig, weil sie doch Alles ohne Unterschied eine Beute des Todes werden sahen: was aber die Verbrechen betraf, so dachte Keiner so lange zu leben, bis die Sache vor Gericht entschieden wäre, und er sie Strafe zu entrichten hätte: da ein schon bestimmtes, viel ärgeres Strafgericht bereits über seinem Haupt schwebte, vor dessen Ausbruch man billig das Leben noch einigermaßen genießen dürfe.

54. Solche Noth kam jetzt über die bedrängten Athener, da die Menschen in der Stadt hinstarben, und draußen das Land verwüstet wurde. In diesem Jammer gedachten die ältern Personen, wie leicht zu erachten, auch jenes Wortes, das vorlängst geweissagt worden: "Kommen wird Dorischer Krieg, und die Pest in seinem Gefolge." Es erhob sich nun ein Streit unter den Leuten, es sei in jenem Spruche von den Alten nicht die Pest (Loimos), sondern der Hunger (Limos) benannt gewesen. Doch behielt unter den damaligen Umständen, wie natürlich, die Erklärung die Oberhand, daß die Pest gemeint sei; denn die Erinnerungen der Menschen gestalteten sich nach ihren Begegnissen. Sollte aber später wieder einmal ein Dorischer Krieg7 ausbrechen, und Hungersnoth eintreten, so würde van wahrscheinlich die Weissagung darnach umdeuten. Auch erinnerten sich die, welchen die Sache bekannt war, jener Weissagung8, wo der Gott den Lacedämoniern auf die Frage, ob sie Krieg beginnen sollten, die Antwort ertheilte: wenn sie mit Nachdruck kämpften, werde ihnen der Sieg zu Theil werden: und er selbst werde ihnen Beistehen. So fanden sie nun den Erfolg dem Orakel ganz entsprechend, indem die Pest gleich mit dem Einfalle der Peloponnesier ausbrach. In den Peloponnes aber drang die Krankheit nicht ein, was merkwürdig ist, sondern verheerte Hauptsächlich Athen, und sodann auch andere sehr volkreiche Gegenden. Dieß war der Verlauf jener Krankheit.

55. Nachdem nun die Peloponnesier das platte Land verheert, zogen sie seitwärts nach dem sogenannten Paralischen (Küsten-) Lande bis Laurium, wo die Athener ihre Silberbergwerke haben: und zuerst verwüsteten sie den Bezirk, der gegen den Peloponnes hin liegt, sodann, was Euböa und Andros gegenüber gelegen ist. Perikles aber, der noch immer Feldherr war, hatte noch dieselbe Ansicht, wie bei dem ersten Einfalle, daß die Athener nicht gegen die Feinde ausrücken sollten.

56. Während aber diese noch im Blachfelde standen, ehe sie in’s Küstenland, rückten, rüstete er eine Flotte von hundert Segeln zu einem Einfalle in den Peloponnes aus, und als Alles bereit war, erfolgte die Abfahrt. Er führte auf diesen Schiffen viertausend schwerbewaffnete Athener und dreihundert Reiter auf Lastschiffen, die man zu diesem Zwecke jetzt zum erstenmale aus alten Schiffen eingerichtet hatte. Auch die Chier und Lesbier nahmen mit fünfzig Schiffen an diesem Kriegszuge Theil. Als nun dieses Heer der Athener auslief, ließen sie die Peloponnesier in den Küstenländern von Attika stehen, und gelangten nach Epidaurus im Peloponnes, wo sie den größten Theil des Landes verheerten. Auch rückten sie gegen die Stadt an, in der Hoffnung sie zu erobern, was ihnen aber nicht gelang. Sie stachen, nun von Epidaurus wieder in die See, und verheerten das Gebiet von Trözen, Halias und Hermione, Oerter, die insgesammt an der Küste des Peloponneses liegen. Nachdem sie von da aufgebrochen, kamen sie nach Prasiä, einem Lakonischen Küstenstädtchen, verheerten einen Theil des Gebiets, eroberten das Städtchen selbst und plünderten dasselbe. Nach diesen Verrichtungen zogen sie sich in die Heimath zurück. Die Peloponnesier aber trafen sie nicht mehr in Attika an; sie waren bereits wieder abgezogen.

57. Die ganze Zeit hindurch, wo die Peloponnesier auf dem Athenischen Gebiete standen, und die Athener den Kriegszug zur See machten, wüthete die Seuche bei dem Heere sowohl, als in der Stadt. Daher sagte man auch, die Peloponnesier, als sie von Ueberläufern hörten, daß die Pest in der Stadt herrsche, und die Begräbnißfeierlichkeiten sahen, hätten aus Furcht vor der Krankheit um so früher das Land verlassen. Allein sie verweilten bei diesem Eindalle die längste Zeit, und verwüsteten das ganze Land. Denn sie waren etwa vierzig Tage lang auf dem Boden von Attika.

58. In dem nämlichen Sommer zogen Hagnon, der Sohn des Nicias, und Kleopompus, der Sohn des Klinias, die Mitfeldherrn des Perikles, mit dem Heere, das dieser bei sich gehabt hatte, sogleich gegen die Chalcidier an der Thracischen Grenze, und gegen Potidäa, das noch belagert wurde. Nach ihrer Ankunft brachten sie Sturmzeug vor Potidäa und wandten Alles an, die Stadt zu erobern. Aber weder die Einnahme der Stadt gelang ihnen, noch hatten sie sonst einen ihrer Rüstung entsprechenden Erfolg: denn die Seuche, welche auch dort ausbrach, brachte sie sehr in's Gedränge, und steckte das Heer an, so daß auch die Athenischen Krieger, die früher dort sich befanden und bisher gesund geblieben waren, durch Berührung mit der Schaar des Hagnon von der Krankheit befallen wurden. Phormio aber und seine eintausend sechshundert Mann standen nicht mehr in der Gegend von Chalcidice. Hagnon zog sich nun mit seinen Schiffen nach Athen zurück, nachdem er von viertausend Schwerbewaffneten tausend fünfzig durch die Seuche in ungefähr vierzig Tagen verloren hatte. Die alten Kriegsvölker aber blieben dort stehen, und belagerten Potidäa.

59. Indessen wurden die Athener nach dem zweiten Einfalle der Peloponnesier, als ihr Land zum zweitenmale verwüstet wurde, und Seuche und Krieg sie zugleich bedrängte, anderes Sinnes, und murrten über Perikles, daß er sie zum Kriege überredet, und in solches Unglück gestürzt hätte: sie waren daher geneigt, sich mit den Lacedämoniern zu vertragen. Auch schickte man einige Gesandte ab, die aber Nichts ausrichteten. Da sie sich nun in dieser Noth durchaus nicht zu rathen wußten, so bestürmten sie den Perikles mit Vorwürfen. Als er sah, wie unwillig sie über ihre jetzige Lage waren, und daß sie sich ganz so betrugen, wie er es erwartet hatte, so veranstaltete er, da er noch Feldherr war, eine Volksversammlung, in der Absicht, sie zu ermuthigen, ihre erbitterten Gefühle zu beschwichtigen, und in ruhigere Fassung umzustimmen. Er trat also auf, und hielt folgende Rede:

Geschichte des peloponnesischen Krieges

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