Читать книгу Der Peloponnesische Krieg - Thukydides - Страница 6

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54. Nachdem die Athener diese Antwort ertheilt hatten, schickten sich die Korinther zur Heimfahrt an, und errichteten zu Sybota auf dem Festlande ein Siegeszeichen. Die Korcycäer versammelten ihre Schiffstrümmer und Todten, die von der Strömung und dem Winde, der sich bei Nacht erhoben und sie überall hin zerstreut hatte, an's Land getrieben waren, und errichteten dagegen auch, als hätten sie das Treffen gewonnen, ein Siegeszeichen zu Sybota auf der Insel. Die Gründe, warum beide Theile sich den Sieg zuschrieben, waren folgende: Die Korinther stellten darum ein Siegeszeichen auf, weil sie in der Seeschlacht bis zum Anbruche der Nacht im Vortheil gewesen, so daß sie die meisten Schiffstrümmer und Todten wegbrachten, weil sie nicht weniger als tausend Gefangene gemacht, und gegen siebzig Schiffe versenkt hatten. Die Korcycäer aber, weil sie gegen dreißig Schiffe vernichtet, und nach der Ankunft der Athener ihre Schiffstrümmer und Todten gesammelt hatten, und weil Tags zuvor die Korinther, beim Anblick der Athenischen Schiffe, rückwärts rudernd, sich vor ihnen zurückgezogen, und bei ihrer Annäherung vor Sybota nicht gegen sie vorgerückt waren. So machten beide Theile Anspruch, auf die Ehre des Sieges.

55. Die Korinther nahmen auf der Heimfahrt durch List Anaktorium in Besitz, das an der Einfahrt des Ambrakischen Meerbusens (Golf von Arta) liegt, einen Platz, der ihnen und den Korcycäern gemeinschaftlich gehörte: dort setzten sie Korinthische Ansiedler ein, und zogen sich dann nach Hause zurück: achthundert der Korcycäer, welche Sclaven waren, verkauften sie, zweihundert und fünfzig aber behielten sie in Gewahrsam, behandelten sie aber mit rücksichtsvoller Sorgfalt, damit sie nach der Heimkehr Korcyra's Besitz ihnen verschaffen möchten. Denn zufälliger Weise gehörten die meisten zu den mächtigsten jenes Staats. So behauptete sich Korcyra im Korinthischen Kriege, und die Athenischen Schiffe fuhren von dort wieder zurück. Dieß war für die Korinther die erste Veranlassung zum Kriege mit den Athenern, weil diese, während des bestehenden Vertrags mit ihnen, die Korcyräer im Seetreffen unterstützt hatten.

56. Bald darauf trat noch folgende Mißhelligkeit zwischen den Athenern und den Peloponnesiern ein, welches den Krieg veranlassen half. Da die Korinther mit Racheplanen gegen sie umgiengen, so verlangten die Athener, ihre feindselige Gesinnung vermuthend, von den Potidäern [im heutigen Cassandra in Macedonien], die, ein Korinthisches Pfanzvolk, auf der Landenge von Pallene angesiedelt sind, und ihre zinsbaren Bundesverwandten waren, sie sollten ihre Festungswerke gegen Pallene hin niederreißen, und Geiseln stellen: und die Epidemiurgen (Volksbeamten) entlassen, und in Zukunft die nicht mehr annehmen, welche die Korinther jedes Jahr schickten. Die Athener fürchteten nämlich, jene möchten von Perdikkas und den Korinthern sich zum Abfalle bewegen lassen, und die übrigen Bundesgenossen in der Gegend von Thracien mit zum Trenbruche verleiten.

57. Solde vorbereitende Maßregeln nahmen die Athener gegen die Potidäer sogleich nach der Seeschlacht bei Korcyra. Denn die Korinther befanden sich jetzt mit ihnen in offenem Zwiste. Berdikkas aber, der Sohn Alexanders, König von Macedonien, der zuvor ihr Freund und Bundesgenosse war, hatte sich mit ihren verfeindet: und zwar aus dem Grunde, weil die Athener mit seinem Bruder Philipp und mit Derdas, die gemeinschaftlich sich wider ihn erhoben, ein Bündniß geschlossen hatten. Aus Furcht suchte er nun durch eine Sendung nach Lacedämon zu bewirken, daß Athen mit den Peloponnesiern in Krieg verwickelt würde. Die Korinther aber brachte er, zu Gunsten des Abfalls der Botidäer, auf seine Seite. Et unterhandelte mit den Chalcidiern und Potidäern in Thracien, daß sie am Abfalle Theil nehmen möchten, in der Hoffnung, daß er, wenn er diese Nachbarn zu Bundesgenossen hätte, leichter in Verbindung mit ihnen den Krieg führen könnte. Als die Athener davon Kunde erhielten, so wollten Sie dem Abfalle jener Staaten zuvorkommen: und da sie gerade dreißig Schiffe und taufend Schwerbewaffnete gegen des Perdikkas Land ausschickten, unter Anführung des Archestratus und zehn anderer, so ertheilten sie den Schiffsbefehlshabern den Auftrag, von den Potidäern Geiseln zu nehmen, ihre Festungswerke niederzureißen, und die benachbarten Städte zu bewachen, daß sie nicht abfallen möchten.

58. Die Potidäer schickten nun Gesandte an die Athener, um, wo möglich, alle ungewöhnlichen Maßregeln gegen sie abzuwenden; auchwandten sie sich vereint mit den Korinthern nach Lacedämon, und suchten zu bewirken, daß man, wenn es nöthig wäre, zu ihrem Schutze sich rüsten möchte. Als sie nun nach langen Unterhandlungen bei den Athenern nichts Erwünschtes erzielen konnten, sondern die gegen Macedonien bestimmten Schiffe auch eben so gegen sie heranzogen: und als die Lacedämonische Regierung ihnen versprach, in Attika einzufallen, wenn die Athener gegen Potidäa zögen; so fielen sie um diese Zeit ab, nebst den durch Eisschwur mit ihnen verbundenen Chalcidiern und Bottiäern. Auch bewog Perdikkas die Chalcidier, ihre Städte am Meere zu verlassen und zu zerstören, und sich landeinwärts in Olynth anzusiedeln, und diese einzige Stadt zu befestigen. Diesen Auswanderern wies er ein Stück seines eigenen Gebietes in Mygdonien um den See Bolbe für die Dauer des Kriegs mit den Athenern zur Benützung an. Sie bauten sich nun landeinwärts an, rissen ihre Wohnorte nieder, und rüsteten sich zum Kriege.

59. Die dreißig Athenischen Schiffe kamen hinauf in-die Gegend von Thracien3, und fanden, daß Potidäa und die übrigen Orte abgefallen waren. Weil aber die Anführer es für unmöglich hielten, zugleich gegen Perdikkas und gegen die vereint abgefallenen Bezirke mit der vorhandenen Macht Krieg zu führen, so wendeten sie sich gegen Macedonien, wozu sie auch anfänglich ausgesendet waren. Und nachdem sie ihre Stellung genommen, begannen sie die Feindseligkeiten in Verbindung mit Philipp und den Brüdern des Derdas, die aus dem Binnenlande mit Heeresmacht eingedrungen waren.

60. Indessen waren die Korinther nach dem Abfall von Potidäa, und weil sich Attische Schiffe in der Gegend von Macedonien befanden, wegen jenes Platzes in Sorgen: und weil sie glaubten, daß die Gefahr sie mit anginge, so schickten sie Freiwillige aus ihrer Stadt, und von den übrigens Peloponnesiern gedungene Söldner, zusammen sechzehnhundert Schwerbewaffnete und vierhundert Mann leichte Truppen. Ihr Auführer war Aristeus, der Sohn des Adimantus, dem zu Gefallen vornehmlich die meisten Freiwilligen aus. Korinth mitzogen, weil er von jeher mit den Potidäern an vertrautem Verhältniß geweset war. Diese kamen - vierzig Tage nach dem Abfalle Potidäa's in Thracien an.

61. Auch die Athener wurden bald von dem Abfalle jener Städte benachrichtigt. Als sie nun vernahmen, daß auch Aristeus mit den Seinigen zu Hülfe komme, so sandten sie zweitausend von ihren Schwerbewaffneten und vierzig Schiffe gegen die abgefallenen Orte, und Kallias, den Sohn des Kalliades, mit vier andern als Anführer aus. Diese Armen zuerst nach Macedonien, und trafen die früher abgeschickten tausend Mann im Besitz des feit kurzem eroberten Therma [nachher Thessalonich genannt und mit der Belagerung von Pydna beschäftigt. Zuerst stellten sie sich auch dort auf, und unterstützen die Belagerung: dann schlossen sie einen notgedrungenen Vergleich und Bundesgenossenschaft mit Perdikkas, da Potidäa und des Aristens Ankunft sie drängte; und zogen nun aus Macedonien ab. Darauf kamen sie in die Gegend von Berda: zogen sich aber, da sie sich gegen diesen Platz gewendet, und ihn vergeblich angegriffen hatten, zurück, und begaben sich zu Lande gegen Potidäa, mit dreitausend eigenen Schwerbewaffneten, und ausserdem mit vielen Bundesgenossen, und sechshundert Reitern der Macedonier im Gefolge des Philipp und Pausanias. Zugleich waren sie von siebzig Schiffen begleitet. Langsam vorrückend kamen sie am dritten Tage nach Gigonus, und schlugen ein Lager.

62. Die Potidäer aber und die Peloponnesier unter Aristeus lagerten sich, die Athener erwartend, bei Olynth auf der Landenge; sie hatten sich nämlich ausserhalb der Stadt einen Markt eröffnet. Die Verbündeten hatten zum Befehlshaber des gesammten Fußvolks den Aristeus gewählt, und den Perdikkas zum Anführer der Reiterei. Denn dieser war sogleich wieder den Athenern untreu geworden, und focht auf der Seite der Potidäer, nachdem er dem Iolaus die Regierung in seinem Namen übertragen hatte. Der Plan des Aristeus war, sein Heer auf der Landenge stehen zu lassen, und so die Athener, wenn sie heranrücken sollten, zu erwarten, während die Chalcidier und die Bundesgenossen ausserhalb der Landenge, und die zweihundert Reiter des Perdikkas in Olynth bleiben, und im Fall eines Angriffes der Athener ihnen in den Rücken fallen, und die Feinde so in die Mitte nehmen sollten. Kalias dagegen, der Athenische Anführer, und seine Mitbefehlshaber schickten die Macedonischen Reiter und eine kleine Abtheilung der Bundesgenossen gegen Olynth, um einen Ausfall von jenen zu verhindern. Sie selbst aber brachen aus dem Lager auf, und zogen gegen Potidäa. Als sie nun an die Landenge kamen, und die Feinde zur Schlacht gerüstet sahen, so stellten auch sie sich gegen jene auf. Und bald darauf kam es zum Handgemenge. Der Flügel des Aristeus selbst und die auserlesenen Truppen der Korinther und der übrigen, die bei ihm waren, drängten, was ihnen entgegen stand, zurück, setzten dem Feinde nach, und verfolgten ihn eine weite Strecke: aber das übrige Heer der Peloponnesier und Potidäer wurde von den Athenern geschlagen, und floh in die ummauerte Stadt.

63. Als nun Aristeus von der Verfolgung zurückkam, und den übrigen Theil des Heeres geschlagen sah, so war er in Verlegenheit, wohin er ziehen und sich durchschlagen sollte, nach Olynth oder nach Potidäa? Er beschloß jedoch, seine Leute so enge wie möglich zusammen zu ziehen, und im Sturmschritte nach Potidäa durchzubrechen. Er zog sich nun mit Mühe und von Pfeilschüssen verfolgt, längs dem Steindamme am Meere hin, verlor nur wenige Leute, und brachte die Meisten glücklich davon. Die Hülfsvölker der Potidäer, die auf der Seite von Olynth standen, welche Stadt ungefähr sechzig Stadien entfernt und dem Auge erreichbar liegt, rückten beim Anfange der Schlacht, als die Feldzeichen aufgepflanzt waren, eine kleine Strecke weit vor, in der Absicht, zu Hülfe zu kommen, und die Macedonischen Reiter stellten sich ihnen gegenüber auf, um dieß zu verhindern. Als aber der Sieg der Athener bald entschieden war, und die Feldzeichen wieder weggenommen wurden, so zogen sie sich wieder in die Festungswerke zurück, und die Macedonier zu den Athenerii. Reiterei war von beiden Seiten nicht in's Gefecht gekommen. Nach dem Treffen errichteten die Athener ein Siegeszeichen, und übergaben nach geschlossenem Stillstandsvertrage die Todten den Potidäern. Gefallen waren vor den Potidäern und ihren Bundesgenossen etwas weniger als dreihundert, von den Athenern selbst hundert und fünfzig, mit dem Anführer Katias.

64. Die Athener sperrten nun die Festungswerke Potidäa's, gegen die Landenge hin, durch eine Verschanzung, in welche sie eine Beratung legten. Die Seite gegen Pallene blieb ohne Belagerungsschanzen. Denn sie glaubten sich nicht stark genug, neben der Beratung auf der Landenge auch noch auf Pallene überzusetzen und Schanzen anzulegen: indem sie fürchteten, die Potidäer und ihre Bundesgenossen möchten, wenn sie ihre Macht theilten, über sie herfallen. Als nun die Athener in der Hauptstadt hörten, daß auf der Seite von Pallene keine Belagerungswerke sidy befinden, so sandten sie einige Zeit nachher sechzehnhundert von ihren eigenen Schwerbewaffneten mit Phormio, dem Sohne des Alopius, als Befehlshaber. Als dieser nach Pallene gekommen war, so wählte er die Straße von Aphytis her, und näherte sich, mit dem Heere allmählig vorrückend, und zugleich das Gebiet verwüstend, der Stadt Potidia. Da nun Niemand zum Widerstande heranrückte, so sperrte er durch Schanzen die Festungswerke auf der Seite von Pallene: und so wurde nun Potidäa von beiden Seiten und zugleich von der Seeseite durch Schiffe, die dort vor Anker stunden, ernsthaft belagert.

65. Aristeus aber, der nach der Einschließung keine Rettung hoffte, wenn nicht von Peloponnes oder sonst und vernuthete Hülfe käme, rieth, es sollten, ausser fünfhundert, alle Uebrigen günstigen Wind abwarten, und auslaufen, mit die Lebensmittel desto länger ausreichen möchten. Er selbst wollte unter den Zurückbleibenden sein. Als aber rein Vorschlag nicht genehmigt wurde; so wollte er dem zufolge seine Maßregeln nehmen, und auswärts die Verhältnisse so gut wie möglich ordnen; er lief daher, unbemerkt von den Wachposten der Athener, aus, und nahm seinen Standort im Gebiete der Chalcidier, und unter andern Kriegsunternehmungen, die er in Gemeinschaft mit ihnen machte, erlegte er viele Hermylier durch einen bei der Stadt aufgestellten Hinterhalt, und unterhandelte nach dem Peloponnes, auf welche Art ihm Unterstützung zukommen könnte. Nach der Einschließung Potidäa's aber verheerte Phormio mit jenen sechzehenhundert Mann Chalcidice und Pottiäa, und eroberte auch einige kleine Städte.

66. Dieß waren die früheren gegenseitigen Beschwerden der Athener und Peloponnesier von der Korinther Seite, daß die Athener ihre Pflanzstadt Potidäa und Korinthische und Peloponnesische Mannschaft daselbst belagerten: von Seiten der Athener gegen die Peloponnesier, daß diese eine ihr verbündete und zinsbare Stadt zum Abfalle verleitet, und in Verbindung mit den Potidäern in offenem Kampf gegen sie gestritten hätten. Doch war der Peloponnesische Krieg noch nicht völlig ausgebrochen, sondern die Sache wurde noch eine Zeitlang hinausgeschoben. Denn die Korinther hatten hierin für sich gehandelt.

67. Als aber Potidäa Belagert wurde, so wollten sie sich nicht länger ruhig verhalten, theils weil von ihrer Mannschaft dort eine Besatzung lag, theils weil sie auch wegen des Platzes selbst besorgt waren. Sie beriefen also sogleich die Bundesgenossen nach Lacedämon, und erhoben dort Klage gegen die Athener, daß diese die Verträge gebrochen hätten, und die Rechte' des Peloponneses verlebten. Hier trugen die Aegineten, welche zwar aus Furcht vor den Athenern nicht öffentlich, aber heimlich Gesandte schickten, sehr viel dazu bei, den Krieg anzuregen, indem sie behaupteten, daß gegen die Verträge ihre Unabhängigkeit verletzt sei. Die Lacedämonier aber beriefen dazu, wer sonst noch von ihren Bundesgenossen durch die Athener gekränkt zu sein behauptete, und veranstalteten unter sich die herkömmliche Versammlung, und foderten jene auf, ihre Sache vorzutragen. Unter andern, welche der Reihe nach ihre Beschwerden vorbrachten, traten auch die Megareer auf, und erklärten sich theils über manche andere streitige Punkte, theils und vornehmlich über die vertragswidrige Sperrung der Häfen in Attischen Gebiete und der Märkte in Attika. Zuletzt traten die Korinther auf, nachdem sie durch Andere zuvor die Lacedämonier zur Erbitterung hatten reizen lassen, und sprachen sofort in folgendem Sinne:

68. "Ihr Männer von Lacedämon, eure Redlichkeit in der eigenen innern Staatsverwaltung und im gesellschaftlichen Leben macht, daß ihr in Betreff Anderer etwas schwergläubig seid, wenn wir gegen sie etwas vorzubringen haben: und eben daher zeigt ihr, bei der Mäßigung, die ihr beobachtet, zu wenig Einsicht in auswärtigen Verhältnissen. Denn wiewohl wir oft vorher sagten, welche Kränkungen uns von den Athenern drohen, so mochtet ihr doch allemal über das Angezeigte keine nähere Kunde einziehen, sondern ihr hattet vielmehr die Klagenden im Verdacht, daß sie nur wegen ihrer besondern Zwiste so sprächen. Daher kommt es auch, daß ihr nicht vor erlittener Kränkung, sondern erst jetzt, da die That gegen uns schon geschehen ist, diese Bundesgenossen versammelt habt, vor welchen uns vornehmlich das Wort um so eher gebührt, je bedeutender unsere Beschwerden sind, da wir von den Athenern gemißhandelt und von euch vernachläßigt worden sind. Hätten sie im Verborgenen irgendwo Hellas beeinträchtigt, so wäre es nöthig, euch als Unkundige zu belehren: nun aber, wozu bedarf es eines langen Vortrags, da ihr sehet, daß einige von uns schon unterjocht sind, und andern durch sie dasselbe Schicksal droht, und zumal unsern Verbündeten, und daß die Athener seit langer Zeit auf den Fall eines Krieges gerüstet sind? Denn sonst würden sie nicht wider unsern Willen sich in Korcyra eingedrungen haben und Potidäa belagern: wovon dieses der gelegenste Platz ist, aus dem man für die Umgegend Thraciens Vortheile ziehen kann, jenes aber den Peloponnesiern eine sehr bedeutende Seemacht hätte liefern können."

69. Und von allem Diesem liegt die Schuld auf euch ; denn ihr habt geduldet, daß sie nach dem Perserkriege zuerst ihre Stadt befestigten, sodann die langen Mauern aufführten: und so habt ihr bis jetzt immer nicht nur denen, die von jenen unterjocht wurden, sondern auch bereits euren eigenen Bundesgenossen die Freiheit entzogen. Denn dieß thut eigentlich nicht sowohl der Unterjocher selbst, sondern der, welcher es verhindern könnte, und dieß versäumt, mag er auch den ehrenvollen Namen des Befreiers von Hellas tragen. Und kaum ist es jetzt, zu einer Versammlung gekommen, und auch jetzt noch nicht, als ob die Sache im Klaren wäre. Denn es sollte nun nicht mehr erst untersucht werden, ob wir Unrecht leiden, sondern wie wir uns dagegen verheidigen werden; denn der Thatkräftige geht mit gesatztem Entschlusse ungesäumt auf die Unentschiedenen los. Wissen wir ja doch, auf welchem Wege und wie die Athener allmählig gegen ihre Nachbarn vorwärts schreiten. So lange sie meinen, daß ihre Plane wegen eurer Gleichgültigkeit unenthüllt bleiben, so handeln sie weniger dreist: wenn sie aber sehen, daß ihr die Sache merket, und doch unthätig bleibet, so werden sie um so gewaltiger zugreifen. Ihr Lacedämonier seid ja die einzigen unter den Hellenen, die sich ruhig verhalten, und nicht mit Kriegsmacht, sondern durch Zögerung Andere abwehren: ihr suchet das Wachsthum der Feinde nicht in seinem Beginnen, sondern wenn es sich schon verdoppelt hat, zu unterdrücken. Mau rühmt zwar eure sichere Haltung: aber der Ruf hat die That überstiegen. Denn wir wissen ja, daß, als die Perser von den Grenzen der Erde her gegen den Peloponnes anrückten, von eurer Seite noch nicht einmal die angemessenen Gegenanstalten getroffen waren: und jetzt kümmert ihr euch nicht um die Athener, die nicht ferne, wie jene, sondern in der Nähe sind, und statt sie selbst anzugreifen, wollt ihr gegen ihren Angriff lieber vertheidigend zu Werke gehen, und im Kampfe gegen eine weit stärkere Macht es auf den Zufall ankommen lassen. Und doch wisset ihr, daß die Perser ihre meisten Unfälle durch eigne Schuld erlitten, und daß wir über die Athener selbst bisher oft mehr durch ihre Fehler, als durch eure Hülfe Vortheile erhalten haben. Denn die auf euch gesetzten Hoffnungen haben wohl schon Manchen, der sich wegen seiner Zuversicht nicht gehörig rüstete, zu Grunde gerichtet. Uebrigens glaube Niemand von euch, daß dieß mehr aus feindseliger Absicht, als Beschwerde zu führen, gesagt setz Denn Beschwerde findet statt gegen fehlende Freunde, Anklage aber gegen beeinträchtigende Feinde.

70. Zugleich glauben wir, eben sowohl als irgend Jemand, berechtigt zu sein, Pudere zu tadeln, zumal, da die Gegenstände, auf die es hier ankommt, so wichtig sind: für welche ihr keinen Sinn zu haben scheinet, indem ihr wohl noch nie erwogen habt, was für ein Volk die Athener sind, mit denen ihr es zu thun haben werdet, und wie sehr sie euch in Allem überlegen seien. Denn sie sind unter: nehmend, und rasch im Entwerfen und in der Ausführung alles dessen, was sie beschließen. Ihr aber sein stets nur bereit, das Bestehende zu erhalten, ohne etwas Weiteres zu unternehmen, auch wisst ihr nicht einmal das Nothwendige in der That durchzusetzen. Sie dagegen sind über ihre Kräfte thatlustig, sie wagen über Erwartung, und sind in Gefahren voll Hoffnung. Euch aber ist es eigen, in der Ausführung unter euren Kräften zu bleiben, selbst sichern Erwartungen nicht zu trauen, und keine Errettung aus der Gefahr zu hoffen. Vergleicht man ferner Beide, so sind sie rastlos thäthig, ihr aber langsam: sie reiselustig, ihr die größter Heimathfreunde: sie glauben durch Aufenthalt in der Fremde etwas zu gewinnen, ihr aber, durch einen Kriegszug sogar den vorhandenen Besitz zu schmälern. Gewinnen sie einen Vortheil über die Feinde, so verfolgen sie denselben so weit als möglich, werden sie besiegt, so wird ihr Muth nur wenig gebeugt. Ihre Leiber weihen sie dem Staate, als ob sie ihnen ganz fremd wären; der Geist aber, womit sie für das Vaterland wirken, ist ihr eigenstes Wesen. Wenn sie einen Plan nicht durchführen, so ist es ihnen, als rerlören sie ein Besitzthum: was sie im Kriege erringen, gilt ihnen als unbedeutender Gewinn gegen das, was ihren Unternehmen die Zukunft verspricht. Mißlingt ihnen irgend einmal ein Versuch, so richten sie dagegen ihre Hoffnung auf etwas anderes, und ihr Bedürfniß ist befriedigt. Denn bei ihnen allein fällt Besitz und Hoffen des Gegenstandes der Wünsche zusammen, weil sie rasch zur Ausführung aller ihrer Entschlüsse schreiten. Und dieses alles streben sie ihr ganzes Leben hindurch unter Mühsal und Gefahren zu erringen: auch genießen sie sehr wenig, was sie besitzen, weil sie stets nach Erwerb trachten, und kein anderes Fest kennen, als die Erfüllung ihrer Pflicht, und thatlose Ruhe nicht minder für ein Uebel halten, als mühselige Geschäftslast. Man könnte sie säher kurz und richtig so schildern: sie seier nach ihrer Gemüthsart dazu gemacht, weder selbst Ruhe zu haben, noch andern Menschen Ruhe zu lassen.

71. "Wiewohl nun ein solcher Staat euch, ihr Lacedamonier, gegenüber steht, so beharrt ihr doch in eurem Zaudern, und wollt euch nicht überzeugen, daß nur Denjenigen befriedigende und daurende Ruhe zu Theil werde, von welchen bei aller Beobachtung der Gerechtigkeit in ihren Rüstungen bekannt ist, daß sie den Vorsatz haben, Beleidigungen nicht zu dulden. Ihr aber setzet das Recht darein, daß man weder Andere kränke, noch bei der Selbstvertheidigung Nachtheil leide. Allein ihr würdet, selbst wenn ihr einen gleichgesinnten Staat zum Nachbar hättet, dieß schwerlich erreichen. Nun aber sind, wie wir bereits gezeigt haben, eure Grundsätze in Vergleich mit jenen ganz veraltet, da dody. hier, wie bei den Künsten, das Neuere stets die Oberhand gewinnen muß. So lange ein Staat in Ruhe bleibt, so ist unverrückte Beobachtung des Herkömmlichen für ihn das Beste: wird man aber genöthigt, Allerlei zu unternehmen, so bedarf's mancher künstlichen Nachbesserung. Daher ist auch: die Verfassung der Athener wegen ihrer vielseitigen Unternehmungen weit mehr als die Eurige erneuert worden. Setzet daher endlich eurer Langsamkeit Grenzen, und kommet jetzt sowohl den Uebrigen als besonders den Potidäern, eurem Versprechen gemäs, durch einen Einfalt in Attika zu Hülfe, damit ihr nicht Befreundete und Stammesverwandte ihren größten Feinden Preis gebet, und uns Uebrige durch Entmuthigung nöthiget, eine andere Bundesgenossenschaft zu suchen. Wir würden dabei weder vor den Göttern, die über den Eidschwüren wachen, noch vor Menschen, denen diese Kunde zukäme, unrecht handeln. Denn bundbrüchig ist nicht, wer sich in einer verlaßnen Lage an Andere anschließt, sondern wer denen nicht beisteht, die zu demselben Bunde geschworen haben. Zeigt ihr euch, willfährig, so werden wir bei euch bleiben; denn durch einen Bundeswechsel würden wir eine heilige Pflicht verlegen, auch könnten wir keine andere so gleich gesinnte Verbündete wieder finden. Faßt nun dem zu: folge einen angemessenen Entschluß, und bemüht euch, daß der Peloponnes unter eurer Leitung nicht minder mächtig bleibe, als eure Väter ihn euch hinterlassen haben."

72. Dieß war der Vortrag der Korinther. Von den Athenern, aber war gerade vorher schon eins Gesandtschaft wegen anderer Angelegenheiten in Lacedämon anwesend. Als diese nun von jenen Vorträgen hörten, so glaubten sie vor den Lacedämoniern auftreten zu müssen, nicht, um sich in irgend einem Punkte wegen der Beschwerden zu entschuldigen, welche die Städte gegen sie vorbrachten, sondern um sie aufmerksam zu machen, daß sie über das Ganze nicht einen zu raschen Beschluß fassen, sondern die Sache weiter überlegen sollen. Zugleich wollten sie andeuten, wie groß die Macht ihres Staats sei, und die Bejochtenen an das erinnern, was sie schon erlebt hatten, die Jüngern aber belehren über das, was sie noch nicht wußten, in der Hoffnung, sie würden sich durch ihre Gründe bestimmen lassen, die Ruhe dem Kriege vorzuziehen. Sie wandten sich also an die Lacedämonier mit der Bitte, daß auch sie vor dem Volke reden dürften, wenn kein Hinderniß vorhanden wäre. Man erlaubte um den Athenern, aufzutreten, und sie hielten folgenden Vortrag:

73. "Wir sind zwar nicht zur Widerlegung eurer Bundesgenossen, sondern wegen des Zweckes unserer Sendung von unserer Stadt abgeordnet. Da wir aber vernommen haben, daß man ein großes Geschrei gegen uns erhebe, so treten wir auf, nicht, um uns gegen die Beschwerden der Städte zu vertheidigen (denn einen solchen Vortrag hätten wir nicht vor Euch, da ihr weder über uns, noch über sie Richter seid, zu halten), sondern damit ihr nicht in einer so wichtigen Sache durch die Bundesgenossen euch zu leicht hinreißen lasset, einen nachtheiligen Beschluß zu fassen. Zugleich wollen wir wegen der sämmtlichen gegen uns aufgestellten Behauptungen darthun, daß wir nicht mit Unrecht das haben, was wir besitzen, und daß unsere Stadt Rücksicht verdiene. Und wozu sollten wir die ältesten Begebenheiten erwähnen, für welche mehr die Sage, als die Anschauung der Zuhörer zeugen kann? Die Perserkriege aber, und was davon Euch selbst schon bekannt ist, müßen wir, sollte es auch minder angenehm sein, stets auf's neue euch vorhalten und anführen. Denn als wir jene Thaten verrichteten, so galt der Kampf solche Vortheile, an denen ihr in der That auch euren Antheil hattet. Daher wollen wir unsererseits das Recht, darüber zu sprechen, wenn es einigen Nutzen hat, uns nicht ganz nehmen lassen. Es soll dieß aber gesagt sein, nicht sowohl, um uns zu rechtfertigen, sondern zum Zeugniß und Beweise, was es für ein Staat sei, mit den ihr, wenn ihr keinen vernünftigen Beschluß fasset, in Kampf gerathen werdet. Denn wir rühmen uns, bei Marathon allein Vorkämpfer gegen die Perser gewesen zu sein: und als sie zum zweiten Male anrückten, und wir nicht stark genug waren, ihnen zu Lande die Spitze zu bieten, so ging unser ganzes Volk zu Schiffe, und half die Seeschlacht bei Salamis liefern. Dieß war es, was die Barbaren abhielt, bei den einzelnen Städtenumherzuschiffen, und den Peloponnes zu verheeren; denn man hätte dort nicht Macht genug gehabt, gegen eine so starke Flotte einander zu Hülfe zu kommen. Den entscheidendsten Beweis aber für jene Behauptung gab der Perserkönig selbst: denn als er die Seeschlacht verloren, zog er sich, überzeugt, daß seine Macht der vorigen nicht mehr gleich sei, eilig mit dem größern Theile seines Heeres zurück."

74. "Bei diesem Verlaufe jener Begebenheit, wobei es sich deutlich zeigte, daß das Schicksal der Griechen von der Flotte abhieng, haben wir in drei Rücksichten wesentlich zum glücklichen Erfolg mitgewirkt, durch die größte Zahl von Schiffen, durch den einsichtsvollsten Anführer, und durch den unverdrossensten Eifer. Denn wir stellten zu den vierhundert Schiffen nicht viel weniger als zwei Drittheile, und den Themistokles als Befehlshaber, der am meisten dazu beitrug, daß in der Meerenge die Seeschlacht geliefert wurde; was unstreitig der Sache eine günstige Wendung gab. Ihr selbst habt ihm ja deshalb vor allen Fremden, die je euch besuchten, die größte Ehre erwiesen. Wir haben aber auch den entschlossensten Eifer erprobt. Denn als uns zu Lande Niemand Hülfe leistete , als die Uebrigen bis an unsere Grenze sich bereits unterworfen hatten, so entschlossen wir uns, unsere Stadt zu verlassen, unsere Habe der Zerstörung preiszugeben, und doch nicht dem Vereine der übrigen Bundesgenossen und zu entziehen, noch durch Zerstreuung uns ihnen unbrauchbar zu machen, sondern die Schiffe zu besteigen, und den Kampf zu wagen, ohne darüber zu grollen, daß ihr uns früher nicht zu Hülfe kamet. Daher behaupten wir, euch eben so viele Vortheile verschafft zu haben, als wir (durch euch) erlangten. Denn ihr rücktet aus bewohnten Städten, um ihren Besitz auch ferner zu behaupten, in's Feld, da ihr für euch und nicht eigentlich für uns fürchten mußtet; wenigstens erschienet ihr nicht auf dem Kampfplatze, so lange unsere Stadt noch stand. Wir aber, die wir auszogen aus einer Stadt, die nicht mehr war, und kämpften für eine Heimath, die nur noch auf schwachen Hoffnungen beruhte, halfen doch euch und uns selbst erretten. Hätten wir dagegen früher, wie die Andern, aus Furcht für unser Land, uns an die Perser angeschlossen, oder hätten wir später, uns für vernichtet achtend, nicht den Muth gehabt, die Schiffe zu besteigen, so wäre ein Seetreffen von eurer Seite, aus Mangel an einer hinlänglichen Flotte, zwecklos gewesen, und den Persern wäre ihr Unternehmen ungehindert und nach Wunsche gelungen."

75. ,,Sollten wir also, ihr Lacedämonier, theils wegen des damals bewiesenen Eifers, theils wegen der einsichtsvollen Plane nicht verdienen, daß die Herrschaft, die wir besitzen, nicht so sehr Gegenstand des Neides für die Hellenen wäre? Haben wir sie doch nicht durch Zwang erhalten, sondern weil ihr, was im Perserkriege noch zu thun übrig war, nicht ferner leiten wolltet, und weil die Verbündeten sich an uns anschlossen, und aus ersuchten, ihre Auführer zu werden. Durch die Natur der Sache wurden wir zuerst gezwungen, unsere Herrschaft auf diesen Punkt zu bringen, vornehmlich wegen unserer Sicherheit, sodann aber auch der Ehre, und später unseres Vortheils wegen. Wirklich schien es unsere Sicherheit nicht mehr zu gestatten, daß wir das Band der Herrschaft loser werden zu lassen wagten, da wir mit den Meisten verfeindet, und einige Abtrünnige bereits bezwungen waren, und ihr nicht mehr, wie zuvor, mit uns befreundet, sondern argwöhnisch und im Zweifel waret. Denn die Abgefallenen hätten sich an euch angeschlossen. Niemand aber wird es verdenken, wenn man seinen Vortheil gegen die bedenklichsten Gefahren sichert."

76. Ihr Lacedāmonier habt wenigstens eure Vorsteherdschaft so geführt, daß ihr den Staaten in Peloponnes eine eurem Vortheile gemäße Verfassung gabet. Und hättet ihr damals die ganze Oberleitung behauptet, und euch dabei, wie wir, verhaßt genacht, so wäret ihr sicher den Bundesgenossen nicht weniger lästig geworden, und genothigt gewesen, entweder mit Nachdruck zu herrschen, oder selbst Alles auf's Spiel zu setzen. So haben denn auch wir nicht auffallend, noch der menschlichen Weise entgegen gehandelt, indem wir die angetragene Oberherrschaft annahmen, und durch die dringendsten Beweggründe, Ehre, Furcht und Vortheil bestimmt, nicht schlaffer werden ließen. Waren wir doch nicht die Ersten, die dieses unternahmen; sondern es ist längst hergebracht, daß der Schwächere von dem Mächtigern beschränkt wird. Auch waren wir nach unserem und eurem Urtheile dessen würdig. Nur jetzt wollt ihr, euren Vortheil in Berechnung zierend, den rechtlichen Gesichtspunkt geltend machen: und doch hat wohl noch nie Jemand, wenn er durch Gewalt etwas erringen konnte, jenem der Vorzug gegeben, und sich abhalten lassen, seinen Vortheil zu verfolgen. Lob verdienen dabei die, welche bei der Befriedigung der den Menschen natürlichen Neigung, über Andere zu herrschen, doch gerechter handeln, als ihre erworbene Macht es gestatten würde. Wir glauben wenigstens, wenn Andere an unsere Stelle treten würden, so würde sich am besten zeigen, ob wir mit Mäßigung handeln. Uns aber hat, was höchst unbillig ist, unser mildes Benehmen mehr Tadel als Lob zugezogen."

77. "Wenn schon bei den durch Vertragsgerichte zu schlichtenden Rechtshandeln mit unsern Bundesgenossen gegen uns entschieden wird, und wir auch vor unseren eigenen Gerichten nach gemeinsamen Gesetzen dein Rechte gegen jene seinen Lauf lassen; so gelten wir doch für streitsüchtig: und Niemand denkt daran, daß denen, die anderswo eine Herrschaft besitzen, und gegen ihre Untergebenen weniger gemäßigt als wir handeln, dieß nicht vorgeworfen wird. Die nämlich, welche Gewalt brauchen könnten, hätten nicht nöthig, einem Rechtsspruche sich zu unterwerfen. Jene aber sind gewohnt, nach dem Verhältnisse der Gleichheit mit uns zu verkehren. Wenn sie daher in irgend etwas, wie sie weinen, gegen die Gebühr, durch einen Spruch oder durch die Macht, welche die Herrschergewalt mit sich bringt, in Nachtheil gesetzt werden, so wissen sie es uns keinen Dank", daß man ihnen nicht noch mehr entzogen hat; sondern sie sind über den geringfügigen Verlust weit mehr ungehalten, als wenn wir von Anfang an gesetzlos gehandelt, und zu unserem Vortheil , offenbare Gewalt gebraucht hatten. In jenem Falle würden euch sie die Einwendung nicht gemacht haben, es zieme sich nicht, daß Mindermächtige dem Stärkern nachgebe. Es scheint nämlich, daß die Menschen weit mehr darüber aufgebracht werden, wenn sie ihre Rechte gekränkt glauben, als wenn ihnen Gewalt geschieht: denn jenes, weil es von ihres Gleichen kommt, gilt ihnen als Uebervortheilung; dieses aber, als vom Stärkeren kommend, als Nothwendigkeit. Als ihnen nämlich durch die Perser weit Aergeres widerfuhr, so ließen sie sich's gefallen; unsere Oberherrschaft aber scheint ihnen unerträglich: und dieß ist leicht begreiflich. Denn die gegenwärtige Lage erscheint den Unterworfenen stets drückend. Solltet aber ihr durch den Sturz unserer Macht die Herrschaft erhalten, so würde die Zuneigung, die ihr wegen der Furcht vor uns euch erworben, bald herabgestimmt werden: wenn ihr anders auch jetzt noch eben die Grundsätze habt, die ihr während eures kurzen Oberbefehls gegen die Perser an den Tag legtet. Denn ihr habt für euch Gesetze und Sitten, die mit andern nichts gemein haben: und dazu verfährt jeder von eud), der in das Ausland kommt, weder nach jenen, noch nach Dem, was in dem übrigen Hellas herkömmlich ist.“

78. „Ueberleget also die Sache langsam, da sie nicht unbedeutend ist. Ladet nicht durch Nachgiebigkeit gegen fremde Meinungen und Beschwerden euch selbst Ungemach auf. Erwäget zuvor, wie manches Unerwartete in einem Kriege sich ereignet, bevor ihr euch in denselben einlasset. Denn wenn ein Krieg sich in die Länge zieht, so pflegt in ihm Manches sich durch Glückswechsel anders zu wenden, welche dem Einen so nahe als dem Andern liegen: und, wohin das Glück sich auch neigen mag, so wagt man ein ungewisses Spiel. Bei der Unternehmung eines Kriegs beginnt man gewöhnlich mit Thätlichkeiten, zu denen man erst später schreiten sollte : und erst bei erlittenen Unfällen fängt man an zu überlegen. Wir aber, die wir einen solchen Fehler noch nicht begangen, noch bei euch, denselben bemerkt haben, fordern euch auf, so lang vernünftige Berathung für beide Theile noch offen steht, den Vertrag nicht zu brechen, noch die Eide zu übertreten, die streitigen Punkte aber auf rechtlichem Wege vertragsmäßig zu erledigen. Wo nicht, so werden wir die Götter, die den Meineid. rächen, zu Zeugen anrufen, und uns gegen euch, wenn ihr den Krieg beginnet, auf die Art, wie ihr das Beispiel gebet, zu vertheidigen suchen.“

79. Dieß war der Vortrag, der Athener. Nachdem nun die Lacedämonier die Beschwerden der Bundesgenossen gegen Athen und die Rede der Athener angehört hatten, ließen sie die übrigen bei Seite treten, und berathschlagten für sich über den vorliegenden Gegenstand. Die Meinung der Meisten vereinigte sich nun dahin, daß die Athener Unrecht haben, und man in Bälde zum Kriege schreiten müsse. Archidamus aber, ihr König, der für einen verständigen und gemäßigten Mann galt, hielt folgende Rede:

80. "Wie ich selbst schon, ihr Lacedämonier, die Erfahrung mancher Kriege gemacht habe, so erblicke ich auch unter euch, so viel eurer meine Altersgenossen sind, solche Männer. Keiner von diesen wird daher aus Unerfahrenheit, was der Fall bei dem großen Haufen sein möchte, oder weil er etwa den Krieg an sich für gut und gefahrlos hielte, ein solches Ereigniß herbeiwünschen. Betrachtet man aber den Krieg, über den ihr jetzt berathschlagt, mit vernünftiger Mäßigung, so werdet ihr wohl finden, daß er von großerWichtigkeit ist. Unsere Macht ist zwar den Peloponnesiern und den Grenznachbarn ziemlich gewachsen, und hier ist es möglich, alle Punkte schnell zu erreichen. Aber gegen Männer, die ein entlegenes Land bewohnen, die überdieß des Seewesens sehr kundig sind, die mit allein Uebrigen auf das Beste ausgerüstet sind, mit Wohlhabenheit der Einzelten und einem reichen Schabe, mit Schiffen, Pferden, Waffen und einer Bevölkerung, wie sie in keinem andern Hellenischen Sande sich findet, die endlich viele zinsbare Bundesgenossen haben, - wie sollte man gegen solche leichthin einen Krieg unternehmen? Worauf vertrauend könnten wir unvorbereitet die Sache übereilen? Etwa auf Schiffe? aber darin sind wir die Schwächeren: und wollten wir uns erst üben, und Gegenrüstungen machen, so wird dazu lange Zeit erfordert. Oder auf Geldmittel? Aber darin stehen wir noch weit mehr hinter ihnen zurück: wir haben solche weder im öffentlichen Schatze, noch bringen wir sie leicht aus dem Vermögen der Einzelnen zusammen."

81. "Vielleicht aber möchte man sich darauf verlassen, daß wir an Waffen und Volksmenge ihnen überlegen sind, so daß wir durch Einfälle ihr Gebiet verheeren können. Allein sie haben viele andere Länder unter ihrer Hoheit, und werden zur See ihre Bedürfnisse einführen. Versuchen wir ferner ihre Bundesgenossen zum Abfalle zu reizen, so werden wir nach diesen mit einer Flotte zu Hülfe kommen müssen, da sie meist Inselbewohner sind. Was wird das also für ein Krieg für uns werden ? Wenn wir nicht zur See siegen, oder die Einkünfte, womit sie ihre Seemacht erhalten, ihnen entziehen, so werden wir meist im Nachtheile sein. Und in diesem Falle könnten wir ehrenhalber nicht einmal mehr die Sache beizulegen suchen, zumal, wenn wir eigentlich für die Urheber des Zwiespalts gelten werden. Denn lasset uns ja nicht der stolzen Hoffnung uns hingeben, der Krieg werde bald zu Ende sein, wenn wir ihr Land verwüsten. Ich fürchte vielmehr, wir möchten ihn auch noch unsern Kindern hinterlassen: so wahrscheinlich ist es, daß die Athener bei ihrem Selbstgefühle weder ihnen Lande zu Liebe sich erniedrigen, noch als Unerfahrne durch einen Krieg sich werden schrecken lassen."

82. "Jedoch ist meine Meinung nicht, daß ihr unsere Bundesgenossen gleichgültig kränken lassen, oder die Uebelgesinnten ihrer Plane nicht überführen sollet. Nur rathe ich noch nicht, die Waffen zu ergreifen, sondern Gesandte zu schicken, und Beschwerde zu führen: ohne den Krieg zu laut anzukündigen, doch so, daß wir zu erkennen geben, wir wer: den uns nicht alles gefallen lassen. Indessen sollten wir unsere eigene Macht rüsten, theils dadurch, daß wir Bundesgenossen von Hellenen und Barbaren an und ziehen, wenn wir irgendwoher eine Verstärkung an Seemacht und Geld uns verschaffen können: man kann es uns nämlich nicht verdenken, wenn wir Alle, die wir, wie es mit uns der Fall ist, einen Angriff von Athen befürchten müssen, durch Verbindung mit Barbaren sowohl als Hellenen uns zu retten suchen. Zugleich müssen wir aber auch unsere eigenen Hülfsmittel hervorsuchen. Hören sie die Vorstellungen unserer Gesandten, so ist dieß das Beste: wo nicht, so können wir, wenn wir sodann besser gerüstet sind, nach zwei oder drei Jahren, wofern eo uns beliebt, sie angreifen. Und wenn sie dann unsere Zurüstung sehen, und unsere ihr entsprechenden Vorstellungen vernehmen, so werden sie vielleicht lieber nachgeben wollen, ehe noch ihr Land verheert wird, während sie noch über ihre Habe im ungeschmälerten Besitze derselben berathschlagen können. Denn ihr Gebiet müßt ihr, wenn ihr es besetzet, blos als Unterpfand ansehen, um so mehr, je besser es angebaut ist. Man muß dasselbe so viel wie möglich schonen, und nicht dadurch, daß man sie zur Verzweiflung bringt, ihre Besiegung sich erschweren. Denn wenn wir, durch die Beschwerden der Bundesgenossen zur Eile veranlaßt, jenes Gebiet ohne gehörige Rüstung verheeren, so sehet zu, daß wir nicht mit den Peloponnes größere Schmach und Noth zuziehen. Denn Beschwerden von Staaten und Einzelnen lassen sich erledigen; wenn wir aber besonderer Ursachen wegen insgesammt einen Krieg, dessen Ausgang ungewiß ist, unternehmen, so ist es nicht so leicht, denselben wieder ehrenvoll beizulegen."

83. "Niemand aber halte es für Feigheit, wenn wir mit unserer Ueberzahl jene einzelne Stadt nicht sogleich ans greifen. Denn auch sie haben keine geringere Zahl von Bundesgenossen, welche ihnen Geldbeiträge geben: und bei einem Kriege kommt es nicht sowohl auf Waffen, als auf die Gelds mittel an, wodurch die Waffen erst wirksam werden, zumal bei einer Landmacht gegen eine Seemacht. Wir wollen und also zuerst Geld verschaffen, und nicht zuvor durch die Reden der Bundesgenossen uns aufreizen lassen. Da man vornehmlich und den Erfolg, von welcher Art er auch sei, zuschreiben wird, so wollen wir ihn auch zuvor einigermaßen mit Ruhe überdenken."

84. "Auch habt ihr euch der Langsamkeit und des Zögerns, woraus man uns einen so großen Vorwurf macht, nicht zu schämen. Denn wenn ihr euch übereilet, so würdet ihr wegen des unvorbereiteten Unternehmens desto später an's Ziel kommen. Ferner haben wir uns im ungestörten Besitze einer freien und hochberühmten Vaterstadt erhalten. Auch mag wohl unsere Langsamkeit hauptsächlich in kluger Mäßigung bestehen. Denn eben darum sind wir allein im Glücke nicht übermüthig, und lassen uns durch das Mißgeschick weniger als Andere beugen. Will man uns durch Lobsprüche zu gefährlichen Unternehmungen reizen, so lassen wir uns nicht durch das Schmeichelhafte derselben hinreißen, gegen unsere Grundsätze zu handeln. Will man uns durch Vorwürfe erbittern, so lassen wir uns eben so wenig durch Unwillen umstimmen. Unser gesetztes Wesen macht uns eben sowohl kriegerisch als wohlbedachtsam: kriegerisch, weil Ehrgefühl mit vernünftiger Mäßigung, und Muth mit Ehrgefühl nahe verwandt ist: vorsichtig - klug, weil wir zu einfach erzogen sind, als daß wir die Gesetze verachten sollten, und zu strenge zur Bescheidenheit angehalten werden, als daß wir uns ihnen nicht fügen sollten. In unwesentlichen Dingen nicht sehr erfahren, bestreiten wir die Anstalten unserer Feinde nicht blos mit schönen Worten, ohne sie durch entsprechende That anzufechten. Wir glauben, daß die Plane Anderer eben so klug, wie die unsrigen sind, und daß Glücksfälle sich nicht durch Worte bestimmen lassen. Wir rüsten uns vielmehr stets thatkräftig gegen unsere Gegner, in der Voraussetzung, daß sie sich vorsichtig berathen haben. Denn wir dürfen unsere Hoffnungen nicht auf die künftigen Fehler der Feinde, sondern auf unsere eigenen zuverlässigen Vorsichtsmaßregeln gründen: auch wähne man nicht, daß ein Mensch von dem andern so sehr unterschieden sei: vielmehr halte man den für den Besten, der im Wesentlichsten ausgebildet ist.“

85. "So wollen wir denn diese Grundsätze des Handelns, die von unsern Vätern sich auf uns vererbt, und die wir stets zu unserem Vortheile behauptet haben, nicht aufs geben, und nicht in der kurzen Frist eines Tages uns über: eilen lassen, sondern ruhig einen Beschluß fassen: da es so viele Menschen, Schätze, Städte und unsere Ehre gilt. Wir können dieß mehr als Andere um unserer eigenen Stärke willen thun. Schicket nun an die Athener eine Botschaft wegen Potidäa, und wegen der Beeinträchtigungen, welche nach ihrer Behauptung die Bundesgenossen erlitten haben: zumal da sie selbst bereitwillig sind, die Sache auf dem Rechtswege zu verhandeln. Wer dieß thut, den darf mau gesetzlich nicht vorher als Rechtsverletzer angreifen. Zugleich wollen wir uns aber auch zum Kriege rüsten. So werdet ihr den besten Entschluß fassen, der zugleich den Gegnern am meisten furchtbar sein wird.“ Also redete Archidamus. Zuletzt aber trat Athenelaidas auf, der damals unter den Ephoren war, und sprach also zu den Lacedämoniern:

86. Das lange Gerede der Athener kann ich nicht begreifen. Sie haben sich selbst eine große Lobrede gehalten, ohne im geringsten die Behauptung zu widerlegen, daß sie gegen unsere Bundesgenossen und den Peloponnes Unrecht gethan haben. Haben sie sich ehmals gegen die Perser brav gehalten, und jetzt an uns schlecht gehandelt, so verdienen sie vielmehr doppelte Züchtigung, weil sich ihre Rechtschaffenheit in Schlechtigkeit verkehrt hat. Wir aber sind noch dieselben, wie damals ; und wenn wir vernünftig sind, werden wir nicht dulden, daß unsern Bundesgenossen Unrecht geschehe, sondern ihnen ungesäumt rächende Hülfe bringen. Säumt man ja doch auch nicht mit ihrer Bedrückung. Andere mögen viele Schätze, Schiffe und Rosse haben: wir haben brave Bundesgenossen: diese dürfen wir den Athenern nicht preisgeben, noch durch Rechtsverhandlung und Worte die Sache erledigen, da auch sie nicht durch Worte gekränkt sind. Hier bedarf's vielmehr schneller und nachdrücklicher Rache. Niemand wolle uns hier belehren, daß wir die Beleidigten und lange berathschlagen sollten. Nein! es ziemt sich vielmehr für die Beleidiger, sich lange zu bedenken. Stimmt also, ihr Lacedämonier, wie es Sparta’s würdig ist, für den Krieg, und duldet nicht, daß die Athener ihre Macht vergrößern. Auch unsere Bundesgenossen wollen wir nicht aufs opfern, sondern mit der Götter Hülfe ausziehen gegen die Unterdrücker.

87. Nachdem er dieß gesprochen, ließ er, da er selbst Ephore war, die Versammlung der Lacedämonier zur Abstimmung schreiten. Diese geben ihre Stimmen nicht durch Stimmzeichen, sondern durch Zuruf ab. Er sagte nun, er könne nicht unterscheiden, welche Meinung die meisten Stimmen für sich habe: und um durch offenkundige Stimmgebung sie noch mehr zum Kriege zu reizen, sprach er: Wer von euch, ihr Lacedämonier, dafür hält, daß der Vertrag gebrochen sei, und die Athener Unrecht haben, der trete auf jene Seite (dabei wies er ihnen einen Platz): und wer nicht dieser Meinung ist, gehe auf die andere Seite. Sie erhoben sich nun, und traten auf verschiedene Seiten: und die Zahl derer, die den Vertrag für gebrochen erklärten, war bei weitem die stärkere. Man rief nun die Bundesgenossen herbei, und erklärte ihnen, man sei der Meinung, daß die Athener Unrecht haben: man wolle aber sämmtliche Bundesgenossen einladen und abstimmen lassen, damit sie nach gemeinsamer Berathung, wenn die Sache genehmigt würde, den Krieg beginnen. Nachdem sie diese Verhandlung beendigt, gingen sie nach Hause: ebenso die Athenischen Gesandten, nach Ausrichtung des Geschäfts, wegen dessen sie hergekommen waren. Diese Entscheidung der Versammlung, daß der Friede gebrochen sei, erfolgte [432 vor Chr.) im vierzehnten Jahre nach dem Friedensschlusse, der nach dem Euböischen Kriege auf 30 Jahre zu Stande gekommen war.

88. Die Lacedämonier faßten aber den Beschluß, daß der Friede gebrochen, und Krieg anzufangen sei, nicht sowohl aus Nachgiebigkeit gegen die Vorstellungen der Bundesgenossen, als aus Furcht vor den Athenern, diese möchten ihre Macht zu sehr vergrößern, da sie sahen, daß bereits die meisten Gegenden von Hellas von denselben abhängig waren.

89. Die Athener waren nämlich auf folgende Weise in die Lage gekommen, ihre Macht zu vermehren. Nachdem die Perser, zur See und zu Lande von den Hellenen geschlagen, aus Europa sich zurückgezogen, und diejenigen, welche mit der Flotte nach Mykale geflohen, vernichtet waren (479 v. Chr.), so begab sich Leotychides, König der Lacedämonier, und Anführer der Hellenen bei Mykale, nebst den Verbündeten vom Peloponnes in die Heimath zurück. Die Athener aber, und die vom Perserkönig bereits abgefallenen Bundesgenossen aus Ionien und dem Hellesponte, blieben zurück, und belagerten Sestus, das die Perser inne hatten: überwinterten da, und eroberten den Platz, nachdem die Perser ihn verlassen hatten. Hierauf regelten sie vom Hellesponte weg, jeder in sein Vaterland. Die Staatsbehörde der Athener aber ließ, nachdem die Barbaren aus ihrem Lande abgezogen waren, sogleich die Kinder und Weiber und was von der beweglichen Habe noch vorhanden war, aus den Orten, wohin man jene in Sicherheit gebracht, herüberholen, und traf Anstalten, die Stadt und die Mauern wieder aufbauen zu lassen. Denn von der Ringmauer war nur ein kleiner Theil stehen geblieben, und die meisten Häuser waren eingestürzt, und nur wenige noch übrig, in welchen die angesehensten der Perser selbst sich aufgehalten hatten.

90. Als die Lacedämonier nun von diesem Vorhaben Kunde erhielten, so schickten sie eine Gesandtschaft, einestheils, weil sie es lieber gesehen hätten, wenn weder Athen noch sonst eine Stadt eine Festung wäre, anderntheils und vornehmlich, weil ihre Bundesgenossen sie aufgereizt hatten, aus Furcht vor der großen Seemacht der Athener, die vor Kurzem noch nicht vorhanden gewesen, und vor ihrem Unternehmungsgeiste, den sie im Persischen Kriege erprobt hatten. Sie verlangten also, die Athener sollten ihre Stadt nicht befestigen, sondern lieber die Ringmauern der Städte außerhalb des Peloponneses, wo sich solche fanden, ihnen niederreißen helfen. Dabei ließen sie ihre eigentliche Absicht und das Argwöhnische ihrer Gesinnung gegen die Athener nicht merken, sondern erklärten sich nur dahin, daß man den Persern, wenn sie wieder einfallen sollten, keinen festen Stützpunkt für ihre Angriffe, wie neuerlich Theben gewesen, lassen müsse: der Peloponnes biete für alle einen hinreichenden Zufluchtsort und Rückhalt für Kriegsunternehmungen dar. Auf den Rath des Themistokles fertigten nun die Athener nach diesem Vortrage die Lacedämonier sogleich mit der Antwort ab, daß man an sie wegen des vorgebrachten Gegenstandes eine Botschaft schicken werde. Sodann rieth Themistokles, man sollte ihr selbst sobald wie möglich nach Sparta senden, und noch andere ihm beizuordnende Gesandte wählen, diese aber nicht sogleich abschicken, sondern so lange zurückbehalten, bis die Mauer zu hinlänglicher Höhe gebracht wäre, um sich von ihr herab für den Nothfall vertheidigen zu können. Indessen sollten alle Einwohner ohne Unterschied, Männer, Weiber und Kinder an dem Mauerbau arbeiten, und kein eigenes noch öffentliches Gebäude schonen, sondern alles abtragen, was man irgend zu dem Werte brauchen könne. Nachdem er ihnen diese Weisung und den Wink gegeben hatte, daß er selbst das Uebrige dort erledigen wolle, reiste er ab. Bei feiner Ankunft in Sparta meldete er sich nicht bei der Regierung, sondern wartete unter allerlei Vorwänden: und wenn ihn jemand von den Staatsbeamten. fragte, warum er nicht öffentlich, auftrete, so sagte er, er erwarte seine Mitgesandten, die eines Geschäftes wegen zurückgeblieben seien: er hoffe jedoch, daß sie in Bälde eintreffen werden, und wundere sich, daß sie noch nicht da seien.

91. Sie hörten dieß an, und glaubten dem Themistokles aus Freundschaft für ihn. Aber als Andere ankamen, und die bestimmte Anzeige brachten, daß die Mauer gebaut werde, und bereits eine gewisse Höhe zu erreichen anfange: so konnten sie nicht länger zweifeln. Als Themistokles dieß erfuhr, so bat er sie, sich nicht durch Gerüchte hintergehen zu lassen, sondern lieber rechtliche Männer aus ihrer Mitte abzuordnen, welche die Sache untersuchen und ihnen treuen Bericht erstatten rollten. Sie sandten nun solche ab: Themistokles aber ließ heimlich die Athener wissen, sie rollen dieselben mit so wenig Aufsehen als möglich zurückbehalten, und nicht entlassen, bis auch ihre Gesandte zurückgekehrt wären. Denn bereits waren seine Mitgesandten angelangt, Abronychus, der Sohn des Lysikles, und Aristides, der Sohn des Lysimachyus, welche die Nachricht brachten, die Mauer sei schon weit genug gediehen. Er befürchtete nämlich, die Lacedämonier möchten, wenn sie genaue Kunde erhielten, sie nicht mehr ziehen lassen. Die Athener hielten nun jene Gesandten, seiner Weisung gemäß, zurück. Jetzt trat Themistokles vor den Lacedämoniern mit der offenen Erklärung auf, seine Stadt sei bereits soweit befestigt, daß sie ihre Bewohner gehörig schützen könne. Wollten die Lacedämonier oder ihre Verbündeten mit ihnen durch Gesandte unterhandeln, so sollten sie in Zukunft dabei nicht vergessen, daß die Athener selbst zu unterscheiden wissen, was ihnen selbst vortheilhaft, und was gemeinsame Sache der Griechen sei. Damals, als sie für zweckmäßig erachtet, ihre Stadt zu verlassen und sich einzuschiffen, hätten sie, ohne die Lacedämonier beizuziehen, ihren Entschluß gefaßt, und auss zuführen gewagt: so oft sie dagegen mit ihnen gemeinschaftlich sich berathen, so habe es sich gezeigt, daß sie an Einsicht keinem nachgestanden. So halten sie es denn auch jetzt für zweckmäßig, daß ihre Stadt eine Mauer habe, und dieß werde für ihre Mitbürger insbesondere und im allgemeinen für ihre Bundesgenossen vortheilhafter rennt; denn es sei nicht möglich, ohne gleich starke Vertheidigungsmittel einen übereinstimmenden oder gleichen Beschluß für das gemeine Wohl zu fassen. Entweder müssen alle Verbündeten ohne Festungswerke sein, oder man müsse auch das genehmigen, was hier geschehen sei.

92. Als die Lacedämonier dieß vernommen, so ließen sie zwar ihren Unwillen gegen die Athener nicht laut werden: denn sie wollten ja, nicht um die Sache zu hintertreiben, sondern um ihre berathende Ansicht zum gemeinen Besten mitzutheilen, die Gesandtschaft abgeordnet haben; auch waren sie gerade damals noch den Athenern wegen des gegen die Perser bewiesenen Eifers in hohem Grade gewogen. Doch behielten sie, wegen der verfehlten Absicht, einen geheimen Groll.“ Die beiderseitigen Gesandten kehrten hierauf ohne weitere Einsprache nach Hause zurück.

93. Auf diese Art befestigten die Athener ihre Stadt in kurzer Zeit. Und noch heut zu Tage ist an der Bauart die Eile sichtbar, mit welcher die Sache betrieben wurde. Denn die Grundmauern sind aus allerlei Steinen aufgeführt, die an einigen Stellen nicht behauen sind, sondern so, wie jeder sie gerade herbeischaffte. Es wurden auch viele Säulen von Denkmälern und bereits bearbeitete Steine mit eingefügt. Denn die Ringmauer wurde überall weiter hinausgeführt, als die Stadt bisher reichte. Daher trug man in der Eile alles ohne Unterschied ab. Themistokles veranlaßte auch die Athener, den Piräens vollends auszubauen: der Anfang dazu war früher unter seiner einjährigen Verwaltung, als er Archon (Regierungsmitglied) war, gemacht worden. Denn er erkannte die treffliche Lage dieses Platzes, der drei natürliche Häfen hat, und dachte, wenn sie sich dem Seewesen widmeten, würde derselbe die Vermehrung ihrer Macht bedeutend fördern. Denn er war der erste, der den kühnen Gedanken auf: stellte, die Athener müssen sich der Meeresherrschaft bemächtigen: und half ihnen eben damit zugleich die Vorsteherdschaft erringen. Sie führten auch nach seiner Angabe die Mauer in der Dicke auf, wie man sie noch um den Piräens sieht. Denn zwei sich entgegenkommende Wagen fuhren die Steine herbei. Dazwischen wurde weder Kalt noch Lehm angebracht: sondern große Steinmassen wurden winkelrecht behauen zusammengefügt, und auf der äußeren Seite mit Eisen und Blei verbunden. Jedoch wurde nur die Hälfte der Höhe erreicht, die im Plane gelegen. Denn er wollte durch Höhe und Dicke zugleich die feindlichen Angriffe vereiteln, und. dachte, daß dann eine Beratung von wenigen und sonst ganz unbrauchbaren Leuten genügen werde, während die andern zur Bemannung der Schiffe gebraucht werden könnten. Denn der Flotte widmete er die größte Aufmerksamkeit, weil er, wie ich glaube, einfach, daß ein Angriff des Persischen Heeres leichter zur See als zu Lande erfolgen könne: auch hielt er den Piräens für wichtiger als die landeinwärts gelegene Hauptstadt; und oft ertheilte er den Athenern den Rath, wenn sie einmal zu Lande überwältigt würden, so sollten sie sich in den Piräens werfen, und mit der Flotte allen Feinden die Spitze bieten. Also befestigten die Athener nach dem Abzuge der Perser ihre Stadt, und trafen sonst die nöthigen Einrichtungen.

94. Pausanias, des Kleombrotus Sohn, wurde nun von Lacedämon als Anführer der Hellenen mit zwanzig Schiffen vom Peloponnes ausgesendet. Auch die Athener schlossen sich mit dreißig Schiffen an, und eine große Zahl von den übrigen Verbündeten. Dann machten sie einen Kriegszug gegen Byzanz (477 v. Chr.), und unterwarfen sich, den größten Theil der Insel, und später gegen Byzanz, das die Perser inne hatten, und eroberten die Stadt.

95. Als aber Pausanias bei dieser Führung des Oberbefehls sich gewallthätig zu betragen anfing, so wurden sowohl die übrigen Hellenen, als besonders die Ionier, und alle die, welche sich neuerlich vom Perserkönig losgerissen hatten, sehr aufgebracht, und wandten sich wiederholt an die Athener, mit dem Unsinnen, sie sollten wegen der Stammverwandtschaft die Oberleitung annehmen, und es nicht dulden, wenn Pausanias etwa Gewalt brauchen wolle. Die Athener genehmigten diese Vorschläge, und machten sich die Sache zur Angelegenheit, da sie dieselbe wicht gleichgültig behandeln, und auch sonst solche Einrichtungen treffen wollten, die ihnen für sich am zweckmäßigsten dürften. Indessen riefen die Lacedämonier den Pausanias zurück, um ihn über das, was sie von ihm vernommen, in Untersuchung zu ziehen; denn von den dorthin gekommen Hellenen wurde ihm manche Ungerechtigkeit zur Last gelegt, und offenbar fand bei ihm mehr eine Art von Alleinherrschaft als Verwaltung der Feldherrnwürde statt. Und es fügte sich, daß gerade zur Zeit seiner Abberufung die Bundesgenossen, mit Ausnahme der Peloponnesischen Truppen, aus Haß gegen ihn, zu den Athenern übergingen. Nach seiner Ankunft zu Lacedämon mußte er zwar wegen besonderer Beleidigungen Einigen Genugthuung leisten: in Betreff der wichtigsten Puncte aber wurde er von der Schuld freigesprochen. Man warf ihm vornehmlich Begünstigung der Perser vor: und diese Beschuldigung hätte sonst als sicher gegründet gegolten. Man schickte ihn nun nicht mehr als Oberbefehlshaber aus, sondern den Dorkis, und neben diesem einige andere, mit unbedeutender Mannschaft. Diesen überließen aber die Verbündeten den Oberbefehl nicht mehr. Als sie dieß wahrnahmen, so kehrten sie zurück. Und später sandten die Lacedämonier keine andere Mannschaft mehr, aus Furcht, ihre Mitbürger möchten durch die Feldzüge verdorben werden, wovon sie an Pausanias ein Beispiel sahen. Zugleich wünschten sie des persischen Krieges los zu sein, und glaubten, die Athener, die damals mit ihnen befreundet waren, seien geeignet, den Krieg fortzuführen.

96. Nachdem nun die Athener das Recht des Oberbefehls auf diese Art durch freien Entschluß der Verbündeten, weil Pausanias verhaßt war, erlangt hatten, so bestimmten De, welche Staaten Geld, und welche Schiffe gegen die Perser liefern sollten. Der Vorwand war, das Erlittene durch Verheerung des königlichen Gebiets zu rächen. Damals zuerst wurde das Amt eines Hellenen-Schatzmeisters bei den Athenern eingeführt, welcher den sogenannten Phoros oder Geldbeitrag einzusammeln hatte. Die erste Anflage betrug vier hundert sechzig Talente: der Sitz der Schatzkammer war Des los, wo auch im Tempel die Versammlungen gehalten wurden.

97. Im Besitze der Vorsteherdschaft über die Bundesgenossen, denen sie anfänglich ihre Freiheit, und eine berathende Stimme auf gemeinschaftlichen Zusammenkünften ließen, haben die Athener in der Zwischenzeit zwischen dem Versischen und diesem Kriege in Verwaltung der öffentlichen Geschäfte, und im Kriege theils gegen die Perser, theils gegen ihre abgefallenen Bundesgenossen, und die jedesmal an diese sich anschließenden Peloponnesier folgende Thaten verrichtet. Ich zeichne dieselben auf, und mache diese Abschweifung in meiner Erzählung deswegen, weil bei allen meinen Vorgängern, sowohl welche die Hellenische Geschichte vor der Perserzeit, als die den Perserkrieg selbst beschrieben haben, dieser Zeitraum übergangen ist. Hellanikus aber, der in seiner attischen Geschichte die Sache berührt, hat ihrer nur kurz, und ohne Genauigkeit in der Zeitrechnung erwähnt. Zugleich wird hier nachgewiesen, auf welche Weise die Athener zu ihrem Uebergewicht gelangten.

98. Zuerst ( 471 W. Ch.) belagerten und eroberten sich, unter Anführung des Simon, des Sohnes von Miltiades, Eion am Strymon, das von den Persern besetzt war, und machten die Einwohner zu Sclaven: ebenso verfügten sie über die Einwohner von der Insel Skyros im Aegäischen Meere, die von Dolopern belebt war: wohin man Athenische Ansiedler verpflanzte. Sie geriethen dann in Krieg mit den Karystiern, an dem die übrigen Euböer nicht Theil nahmen: jene ergaben sich nach einiger Zeit durch eine Uebereinkunft. Darauf führten sie Krieg mit den abgefallenen Nariern, und zwangen sie durch eine Belagerung zur Unterwerfung. Dieß war der erste verbündete Staat, der den bestehenden Verträgen entgegen unterjocht wurde. Nachher hatten auch andere dieß Loos, wie jeder an die Reihe kam.

99. Neben andern Ursachen des Abfalls waren die wichtigsten der Rückstand bei der Lieferung der Steuern und Schiffe, und die Nichterfüllung der Pflicht des Kriegsdienstes, wenn diese bei einem Staate vorkam. Denn die Athener trieben alles strenge ein, und wurden dadurch höchst lästig, daß sie bei solchen, die nicht gewohnt oder nicht gemeint waren, Beschwerde zu ertragen , Zwang anwendeten. Auch in anderer Hinsicht waren die Athener als Oberanführer nicht mehr so beliebt, wie zuvor. Sie behandelten ihre Kriegsgenossen nicht mehr auf gleichem Fuß, auch wurde es ihnen leicht, die Abtrünnigen wieder zum Gehorsam zu bringen: und daran waren die Bundesgenossen selbst Schuld. Denn wegen jener Scheu vor dem Kriegsdienste ließen sich, die meisten derselben, um nicht aus der Heimath sich entfernen zu müssen, eine Geldsteuer statt der Schiffe-Lieferung auflegen, um nach Verhältniß an dem Aufwande zu tragen. Durch die Summe nun, welche Jene beisteuerten, wurde die Seemacht der Athener vermehrt: jene aber, wenn sie abfielen, befanden sich in einer solchen Lage, daß sie ohne Rüstung und Mittel für den Krieg waren.

100. Hierauf erfolgte (469 v. C.) die See- und Landschlacht am Flusse Eurymedon in Pamphylien, zwischen den Athenern und deren Bundesgenossen und den Persern: und die Athener erfochten an diesem Tag einen doppelten Sieg unter Anführung des Cimon, des Sohnes von Miltiades. Sie eroberten und zerstörten von den Phoenicischen Kriegs schiffen im Ganzen gegen 200. Einige Zeit nachher (465 v. C.) trug es sich zu, daß die Thasler sich empörten, weil sie wegen der Handelsplätze im gegenüber liegenden Thracien, und wegen der Bergwerke, die sie benützten, in Streit gerathen waren. Die Athener schifften nun mit der Flotte gegen Thasus, gewannen ein Seetreffen, und bewerkstelligten eine Landung. Um dieselbe Zeit schickten sie 10,000 Ansiedler aus ihrer Mitte und vor den Bundesgenossen an den Strymon, um den Ort, der damals Neunwege hieß, und jetzt Amphipolis heißt, zu bevölkern. Diese bemächtigten sich zwar der Kennwege, welche die Edoner inne hatten: da sie aber ins Binnenland von Thracien vorrückten, so wurden sie von der Gesammtmacht der Thracier bei dem Edonischen Orte Drabeskus gänzlich geschlagen: denn die Thracier sahen die Niederlassung bei den Neunwegen als eine feindliche Handlung an.

Der Peloponnesische Krieg

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