Читать книгу "I"- Achtung Spyware! - Til Erwig - Страница 5
1 AUSWÄRTSBESUCH
ОглавлениеEin Unwetter in dieser krassen Form mit vielzackigen, kunstvoll ineinander verflochtenen Blitzen, explosionsartigem Donnergrollen und nachfolgendem sintflutartigem Regen würde normalerweise jede stickige Atmosphäre auf diesem Planeten reinigen. Die dicke Luft in ´Schnurres Modelädchen` bleibt davon unberührt. Zu groß sind die Alltagssorgen der Besitzer, die sich seit Jahren gegen die Übermacht global aufgestellter Konzerne wehren und nicht wahrhaben wollen, dass die kleine Firma aufgrund der immer größer werdenden Finanznöte unausweichlich auf den Konkurs zusteuert. Heute Abend ist wieder mal ein allerletzter Versuch angesagt, das Ruder durch einen Kreativeinfall herumzureißen. Alle Familienmitglieder sind widerwillig beteiligt obgleich schon jetzt abzusehen ist, dass diese Aktion nicht einmal dazu beitragen kann das fehlende „ l “ in der in simpler Handschrift gehaltenen Leuchtreklame von Schnurres Mode.ädchen zu ersetzen. Das Geschäft, an einer der verkehrsreicheren Straßen in einem unattraktiven Vorort von Berlin gelegen, wirkt altmodisch. Veraltet ist auch die Dekoration mit den hölzernen, starr und unpersönlich dreinblickenden Schaufenster Puppen, die mit einem nicht genau definierten Trachtenlook, irgendwas von nördlicher Waterkant und südlichem Bayernland, bekleidet sind. Gemessen an den neuen, riesigen Einkaufscentren am Potsdamer Platz oder den genial irrwitzigen Dekorationen im Berliner „Bikini“, gegenüber der berühmten, nun renovierten Gedächtnis Kirche, darf sich keiner wundern, wenn in diesem altmodischen Laden mit seiner uralt Aufmachung kaum jemand einkaufen möchte. Bis auf ein paar alte Stammkunden vielleicht, die noch den früheren Besitzer des Modelädchens kannten, den Vater von Monika Schnurre, und die dem Geschäft aus welchen nostalgischen Gründen auch immer bis heute die Treue hielten.Und doch fehlt bei ´Schnurres Mode.ädchen` eben nicht nur das „l“ – da ist noch etwas anderes, etwas das schwer zu beschreiben ist. Es ist möglicherweise nur ein Gefühl, eine Einbildung, vielleicht auch ein Geheimnis, eine uralte Verwünschung, ein Zauber oder eine Bedrohung, eine Ahnung von einem Schicksalsschlag, der irgendwie ständig zu spüren ist, eine dunkle Wolke, die unsichtbar in der Luft liegt wenn der Betrachter aus der Dunkelheit kommend auf die beiden Schaufenster zugeht um einen verstohlenen Blick hineinzuwerfen. Heimlich, oder sogar unheimlich, denn drinnen im Geschäft tut sich etwas, das zwar ganz normal aussieht, aber trotzdem anders ist als anderswo in Modegeschäften zu nachtschlafender Zeit, bei einem Unwetter mit Blitz und Donner, begleitet von einem Regenguss wie aus Eimern. Dabei ist zunächst nichts Besonderes zu sehen: denn Schnurres dekorieren nur um. Und die ganze Familie hilft dabei. Dass Kinder den Eltern freiwillig bei der Arbeit helfen ist eher ungewöhnlich heutzutage und hierzulande und lässt auf ein intaktes Familienleben schließen. Das täuscht. Vater Bernhard und Tochter Amelie statten eine nagelneue Mädchenpuppe mit stylisch jugendlichen Klamotten aus. Ein Ohr der Puppe ist sogar mit einem Ring gepierct, was als Hinweis auf einen neuen Trend im alten Modelädchen zu werten ist, nämlich die längst überfällige Anpassung an die modische Glitzerwelt mit Strass und Glas, mit farbenfrohen Tätowierungen und Piercings an Armen und Beinen und Gesicht und Hals und Po und an vielen anderen Stellen unterhalb der Gürtellinie. Vater Bernhard trägt blütenweiße Handschuhe um die Puppe ja nicht zu beschmutzen. Amelie dekoriert konzentriert und hingebungsvoll, zugleich aber auch irgendwie gelangweilt. Die Revolution im Modelädchen war offenbar ihre Idee. Bruder Mick, um 5 Jahre jünger als Amelie, ist ein selbsternannter Computer Experte und geht ebenfalls ganz in seiner heute besonders wichtigen Funktion hier im Familienbetrieb auf. Wichtig deshalb, weil die neue Schaufensterpuppe nicht einfach nur Puppe ist, sie ist mehr. Sie k a n n mehr. Zumindest von den düsteren Gedanken ablenken, die den Jungen immer wieder beschäftigen. Also in erster Linie ein Gewinn, die nagelneue Schaufenster-Kreation. Sie ist nämlich in der Lage einige lebensecht wirkende Bewegungen auszuführen, ihre Position zu verändern, sich zu drehen, zu wenden, wenn… ja wenn es dem Spezialisten Mick gelingt die Puppe mit dem i-Pad zu verbinden, das genau aus diesem Grund kostenlos zu Testzwecken mitgeliefert wurde. Aber irgendwie scheint die Verbindung nicht so recht zu funktionieren, weshalb Mick einige Verwünschungen ausstößt. „Fuckshit, die Tussi will nicht so richtig!“
Vater Bernhard ist zu beschäftigt um seinen Sohn zu hören, aber Amelie, die alleinerziehende Schwester, wie sie sich selbst gerne bezeichnet, bemängelt umgehend Micks ordinäre Ausdrucksweise. „Hey Mann, langsam. Das Teil muss erst richtig angezogen sein! Wie sieht denn das aus?“ „Wie du beim Duschen, boah!“ antwortet Mick lässig und beweist damit, dass er sich, obwohl erst zarte zehn Jahre, bereits bestens in der Welt junger Damen auskennt, was allerdings nicht das Problem löst unter dem er zu leiden vorgibt. Amelie ihrerseits kennt ihren Bruder und antwortet ihm deshalb langsam, cool und über den Dingen stehend. Dazu zeigt sie ihr berühmtes Markenzeichen: die arrogant hochgezogene Augenbraue. “Hahaha, was weißt du schon von der weiblichen Psyche? Die Kunden wollen das nicht, halbnackte Schaufensterpuppen! Stimmt’s Papa?“ Bernhard betrachtet das gemeinsame Werk, pustet hier und da ein Stäubchen von der Puppe und meint nicht ohne Stolz . „Naja, sieht ziemlich echt aus, alles dran an ihr, oder? Bin gespannt ob die sich auch so bewegt, wie die Lieferfirma versprochen hat…“ „Die bewegt sich nur, wenn ich sie richtig andocke an das Teil hier“, quakt Mick dazwischen und fummelt weiter am i-Pad herum. „Aha, auf das Programm kommt’s also an!“ meint Bernhard und gibt damit gleich zu erkennen, dass er von Computern und all diesem neumodischen Zeug keine Ahnung hat. „Bin ich ‚The Specialist‘ oder was?“ tönt Mick in perfektem Englisch und muss sich dafür von Amelie ein ironisches „Mit dem Mund, ja, Babo!“ anhören. Mick verdreht die Augen während Amelie das bei Mädchen beliebte Freundschaftsband, ein aus dünnen Plastikfäden geknüpfter Armreif, am Handgelenk der Puppe befestigt. Das kann nicht ohne Kommentar des Brüderchens bleiben. „Ey, Digga, geht’s noch? So stylt man doch nicht! Jedenfalls nicht meine Generation. Freundschaftsband mit ´ner Puppe! Abartig!“ “Hast du vielleicht noch´n Schnulli von dir übrig, du Senfautomat!?“ gibt Amelie feixend zurück und muss dafür von Mick hören. „Und was sie für ´ne zarte Haut hat. Fast wie Sexting Wolfi.“„Halt die Klappe, Blödmann“, zischt Amelie, scheinbar hat Mick mit der Bemerkung einen Nerv der Schwester getroffen. „Okay, es reicht jetzt“, schaltet sich Bernhard ein und fragt im selben Atemzug „Wer ist Wolfi?“ Und wieder kann es Mick nicht lassen und flüstert mit qualvoll verdrehten Augen. „Läuft bei ihr, einer aus der Klasse! So süüüüüß!“ „Armer Idiot!“ gibt Amelie zurück und unterstützt Bernhard bei dem Versuch der Puppe stylische Schuhe anzuziehen. „Die Hautoberfläche fühlt sich zart an“, sagt Bernhard und provoziert damit Mick zu neuer Besserwisserei. „Sag‘ ich doch, Papa, ´ne Haut wie die von Amelies Macker“. Jetzt fliegt ein Schuh durch die Luft, verfehlt Mick und trifft dafür das i-Pad, was Mick mit
„Voll cool! Genau ‚Enter‘ getroffen“, kommentiert. Aber immerhin bewegt sich jetzt die Schaufensterpuppe, streckt die Arme aus, sieht nach links und rechts, hebt ein Bein als ob sie gehen will. Es wirkt ungelenk, ähnlich einem Roboter. Zunächst für alle ein Grund zum Lachen, dann versucht Bernhard die Puppe anzuhalten, sie zum Stehen zu bringen, er umarmt sie, klammert sich an sie, schafft es aber nicht sie zu halten. Jetzt ist auch eine Abfolge von elektronischen Tönen zu hören. „Dida dadidadadadaaa!“ Es erinnert ein bisschen an die Musik aus dem Film „The Bridge on the River Kwai“, einem alten Kriegs-Film-Schinken mit dem damals sehr berühmten und später von der englischen Queen Elisabeth sogar geadelten Schauspieler Sir Alec Guiness. Nur daran denkt im Augenblick sicher keiner, denn Bernhard kommt bei seinen Bemühungen allmählich in echte Bedrängnis. Die Mädchen-Puppe ist deutlich stärker, als es auf den ersten Blick aussieht. „Stopp! Du musst ´Stopp` drücken, Junge!“ schreit er schnaufend. Aber obwohl Mick schon lange wieder am i-Pad hantiert, bewegt sich die Puppe ungestört weiter. Vor und zurück – vor und zurück. Es sieht ziemlich lustig aus - für Unbeteiligte. Das scheint auch Monika, die Ehefrau von Bernhard und Mutter der beiden liebenswürdigen Kinder zu denken, die eben durch die hintere Eingangstür reinkommt „Was ist d a s denn? Ein neuer Tanz, oder was?“ Amelie, immer noch wütend, zeigt auf Mick. „Unser Spezialist hat auf ‚Enter‘ gedrückt und jetzt ist das Programm voll am durchstarten …“„Stimmt nicht, Mama“, wehrt sich Mick. „Die Zicke hat’ n Schuh nach mir geworfen und doof wie sie ist das i-Pad getroffen“. Bernhard, der immer noch die zappelnde Puppe festhält, wird zunehmend sauer und das nicht nur weil die elektronische Tonfolge „Dida dadadadidadaaa“ nervt, sondern weil ihm auch langsam die Puste ausgeht. „Jetzt zieh den Stecker raus, Mick, damit das Ding aufhört!“ Aber da ist kein Stecker, das muss Mick, recht kleinlaut geworden, jetzt zugeben. „Papa, online! Drahtlos! Da gibt‘ s no Stecker!“ „Scheißteil!“ keucht Bernhard und wird dafür mit einem strengen Bick von Monika bedacht. Jetzt klammert sich auch Amelie an die Puppe, aber die ist stärker und schüttelt sie ab. Bernhard stöhnt. „Der Lieferschein, Monika! Guck auf den Lieferschein, da steht die Firmennummer drauf. Die müssen doch wissen, wie das Ding anhält!“ Er stolpert, stößt mit der Puppe gegen einen großen Garderobespiegel, der prompt umfällt und dabei zu Bruch geht. Bernhard jault auf, hält sich aber mit Schimpfworten zurück, seine Frau ist in dieser Beziehung konservativ bis saumäßig streng. Mick hackt fast verzweifelt weiter auf dem i-Pad herum, ohne Erfolg. Amelie hilft jetzt ihrer Mutter beim Suchen. Beide wühlen in den Kartons herum, schließlich findet Monika den Schein und wählt eine Telefonnummer. Dütdütdüt ist zu hören und dann: ´Kein Anschluss unter dieser Nummer` quäkt eine Stimme aus dem Hörer. „Kein Anschluss unter dieser Nummer“ wiederholt Monika die schlechte Nachricht und auch Amelie kann es nicht fassen und schreit „Kein Anschluss, Papa!“ Jetzt wird Bernhard so wütend wie nur ein Choleriker wütend werden kann. Er lässt die Puppe los um selbst nachzusehen. Das Modemädchen aber, von der menschlichen Last befreit, bewegt sich nun ganz selbstständig durch das Geschäft und kommt erst vor der geschlossenen hinteren Ladentür zum Stillstand. Durch eben diese Tür sieht jetzt Crash herein, der Golden Retriever der Schnurres. Er springt routiniert hoch und öffnet dabei die Tür, in dem er die Klinke drückt. Die Glastür springt auf, die Puppe, die nicht versteht weshalb, schiebt sie wieder zu. Durch die Glastür sieht man wie der Hund erneut hochspringt und die Tür wieder öffnet. Reflexartig schiebt die Puppe sie wieder zu. Jetzt ist ein „Dida dadadadidadaaa“
zuhören, der Vorgang wird offenbar abgespeichert und deshalb geht es auch ohne Pause weiter: Tür auf –Tür zu –Tür auf –Tür zu. „Dida dadadadidadaaa“.
Das wird selbst dem Hund zu dumm, vermutlich denkt er: So blöd kann doch kein Mensch sein! Ein letztes Mal springt er gegen die Tür, öffnet sie, und setzt sich dann demonstrativ davor, sodass die Puppe sie nicht wieder schließen kann. Was sie auch gar nicht tut. Das ´Programm` nämlich hat begriffen, dass man durch offene Türen durchgehen kann. Die Puppe tut es. Crash sieht ihr nach und bellt ein zufriedenes „Wuff!“ Vorne im Laden suchen die Schnurres immer noch in den Kartons nach einem Absender oder irgendeiner Adresse. Crash kommt herangewedelt und schmeichelt sich bei Amelie ein. Sie krault ihn brav und lässt dabei ihren Standard Spruch los „Was macht der faule Hund?“ Der schmeißt sich geübt hin, streckt alle Viere von sich und stellt sich schlafend. Aber die Ruhe hält nur kurz, denn Mick hat die Puppe wieder entdeckt und schreit:
„Alter, die haut ab, Swag!“ „Was?“ fragt Bernhard zurück und überhört bewusst Monikas „Keine Kraftausdrücke, Mick!“Aber auch Amelie hat gesehen, was sich vor dem Geschäft gerade abspielt und schreit laut „Daaa! Da draußen!“
In der Tat läuft die Puppe gerade am Schaufenster vorbei. Sie hat es offenbar eilig, vielleicht wegen dem starken Regen, trotzdem vergisst sie nicht zu grüßen – zumindest sieht es mit den schlenkernden Armen so aus. Bernhard ist völlig erledigt. „Das war ein Leihangebot aus dem Internet! Kostenfrei. Rein zu Testzwecken“. „Ui, das kann teuer werden!“ jammert Monika und provoziert damit eine ewig gleiche Bemerkung ihres Mannes, die da lautet „Pleite sind wir sowieso!“ Mick starrt jetzt mit offenem Mund auf das Display. Dort ist wieder dieses „Dida dadadadidadaaa“ zu hören, und der Junge, sonst nie um ein freches Wort verlegen, kommentiert was er sieht fast andächtig. „Cool! Voll cool!! Guckt mal! Die sieht das und speichert dann ab, oder so was!“ „Echt?“ sagt Bernhard und glaubt seinen Augen nicht zu trauen. Auf dem i-Pad ist zu sehen, sozusagen durch die Augen der Puppe, wie ein Taxi herankommt. Am unteren Bildrand laufen Daten auf und wieder ist das allmählich schon nervende
„Dida dadadadidadaaa“ zu hören. Es kann nicht anders sein - die Puppe speichert tatsächlich das Taxi ab.
*
Das Taxi kommt heran und hält unaufgefordert. Vielleicht hat der Mann ja einen Anfall von Mitleid wegen des starken Regens, er lässt die Scheibe an der Beifahrerseite herunter und fragt direkt in den Blick der Puppe. „Wohin junge Frau?“ Und da er keine Antwort erhält, die Puppe pitschnass unschlüssig rumsteht mitten in der Nacht und er froh ist um diese Zeit noch einen Fahrgast zu haben fügt er hinzu. „Steig ein“! Die Puppe tut es, was Familie Schnurre nur vermuten kann, denn zu sehen ist das nur durch die Augen der Puppe. Zu hören ist aber Amelie, die mit den anderen zusammen das Geschehen am i-Pad beobachtet und deshalb völlig geschockt flüstert: „Ich glaub‘ ich spinne!“
Auf dem Bildschirm dreht der Taxifahrer sich jetzt um und erscheint deshalb sozusagen in Großaufnahme im Blick der Puppe. „Wo soll’s hingehen, junge Frau?“ Und wieder erhält er keine Antwort, denn die Puppe sieht gerade zum Fenster des Taxis hinaus, das gleichzeitig anfährt. Darüber hört man den Taxifahrer freundlich fragen „Ausländerin oder taub?“ Und noch darüber ist die Stimme von Mick zu hören, der ebenfalls stark beeindruckt zu sein scheint.
„Endscool - yolo!“ Aus der Sicht der Puppe ist jetzt eine Verkehrsampel zu sehen, die gerade auf ROT schaltet. Wieder laufen im Ticker-Tape am unteren Bildschirmrand Daten auf und erneut nervt das „Dida dadadadidadaaa“.
Der endgültige Beweis für die Schnurres, dass die Puppe alles was sie sieht sofort für sich abspeichert. Aber wie funktioniert das?
*
Im Modelädchen macht Crash seinem Namen Ehre, in dem er wie wild herumrennt, alle möglichen Dinge apportiert, sich wichtigmacht und damit auf seine Weise beim Aufräumen hilft. Bernhard sucht mühsam Teile des zerbrochenen Spiegels zusammen. „Das zahlt doch die Versicherung, Papa!“
sagt Mick im Brustton der Überzeugung und gibt sich damit als Spezialist für Hausrat Versicherungsfälle zu erkennen. Darauf kann Bernhard nur resigniert antworten „Hoffentlich. Wir sind sowieso schon pleite“. Und Monika hat eine Idee. „Diebstahl - ist bei Hausrat mit drin!“ „Glasbruch vielleicht“, meint Bernhard und fegt deprimiert weitere Scherben zusammen. Mick will seinen Vater trösten, denn als kreativer Computer-Freak hat er sofort auch einen Vorschlag. „Könnten wir doch gleich die Leuchtschrift mit reparieren lassen, Papa!“ „Das kaputte ‚L‘ als gestohlen melden. Super Idee“! Amelie ist genervt und zieht wieder einmal arrogant ihre Augenbraue hoch. „Die Puppe geklaut, mein ich“, sagt Monika aber Mick, der große Denker, hat schon wieder nachgedacht und fragt seinen Vater „Warum pleite, Papa?“ „Sagt man halt so“! versucht Amelie den Vater zu retten, aber der antwortet nur „Schön wär‘ s, wär es nicht so.“ Zur Ablenkung deutet jetzt Monika auf das i-Pad, denn dort ist inzwischen Bewegung entstanden. Der Taxifahrer scheint sich über seinen Fahrgast zu ärgern. Im Taxi aber hört man zunächst eine freundliche GPS-Frauenstimme sagen „Wenn möglich, bitte wenden!“ Die Daten im Ticker-Tape am unteren Bildrand laufen schneller. Das Auto hält. Der Taxifahrer greift an seinem Fahrgast vorbei und macht die Beifahrertür auf. „Entweder zahlen – oder raus!“ Durch die Augen der Puppe sieht man, dass sie aussteigt, während aus dem GPS Gerät erneut zu hören ist „Wenn möglich, bitte wenden!“ Jetzt ist der Fahrer noch mehr verärgert, denn er ruft der ausgestiegenen Puppe nach. „Wie wär’s mit einem Danke!“ Und fast gleichzeitig hört man die Frauenstimme aus dem GPS-Gerät wiederholen. „Wenn möglich, bitte wenden!“ „Dida dadadadidadaaa“. Die Abfolge der elektronischen Töne scheint die einzig mögliche Antwort der Puppe zu sein. Falsch gedacht. Ganz plötzlich, ein wenig verzerrt, aber doch fast wie im Originalton, ist die Frauenstimme aus dem GPS-Gerät zu vernehmen, die jetzt allerdings von der Puppe kommt. „Wenn möglich, bitte wenden!“ Und gleich danach, ebenfalls von der Puppe „Wie wär’s mit einem Danke!“ Durch die Augen der Puppe ist der wütende Taxifahrer im Auto zu sehen. Er schreit mit zornrotem Kopf „Verarschen kann ich mich selber!“ Und wie ein verzerrtes Echo tönt es aus der Puppe zurück „Verarschen kann ich mich selber!“ Die Puppe hat tatsächlich die wenigen Sätze aufgenommen und in ihrem Speicher abgelegt. Der Taxifahrer gibt Gas und fährt in einer Staubwolke ab. Durch die Augen der Puppe gesehen, rast er wütend die Straße hinunter. Das Ticker-Tape am unteren Bildrand stoppt abrupt.
* Monika, Mick und Amelie haben sich inzwischen im Wohnzimmer vor dem i-Pad versammelt. Unten im Laden räumt Bernhard das Durcheinander auf. Er wirft die klirrenden Spiegelscherben in einen blechernen Mülleimer, was ordentlich Lärm macht und die Familie zugleich über seinen seelischen Zustand informiert. Auf dem i-Pad ist das in einer dunklen Rußwolke davon fahrende Taxi zu sehen. „Wieder so ein Reality-Mist!“ sagt Monika, um überhaupt was zu sagen. „Hallooo, Mama, das hier is’ n i-Pad und kein Fernseher! Übertragung von unserer Puppe!“ Die Antwort auf diese Feststellung des Experten für alles und jedes übernimmt Amelie für ihre Mutter und zieht dabei arrogant ihre Augenbraue hoch. „Was du nicht sagst, größter aller Meister!“ Mick ignoriert die Ironie, denn wenn er wirklich was weiß und Ahnung hat, dann besteht er souverän auf seiner Meinung. „Drum ist es auch kein Fernsehprogramm, Kind. Alles klaro?!“ „Dann sagt mir Bescheid, was richtig ist, wenn ihr‘ s raus habt“ sagt Monika, die keine Lust mehr hat auf diesem Scherz-Ironie-und Schwachsinn-Niveau weiter zu diskutieren. Außerdem klingelt im Flur das Telefon. Aber Mick stört das wenig, er spielt ohne Erbarmen weiter den Alleswisser. „Eine Kochsendung isses nicht, Mama!“ Monika holt tief Luft, bewahrt aber Haltung und verlässt deshalb die Kampfzone nicht ohne ihren Fernsehkonsum zu verteidigen. „Was ich da lerne und dann auf den Tisch bringe, darüber hat sich noch keiner beklagt!“ Sagt’s und verschwindet.
Die Gelegenheit für Amelie sich jetzt über den Laptop herzumachen um eventuell einen Kontakt zur Puppe herzustellen, diesem merkwürdigen, ihr ein bisschen angsteinflößenden ETWAS. Mick muss gezwungenermaßen assistieren, begehrt aber sogleich auf. „Jetzt lass mich wieder – echt!“ „Papa hat gesagt …“„Da muss‘ n Profi ran!“ wird Mick jetzt energisch und nach dem Motto die Klügere gibt nach, überlässt ihm Amelie erneut den Platz vor dem i-Pad. Bedenkt den Bruder allerdings mit einem Blick, der töten könnte – wenn er denn töten könnte. Aber Mick kennt diesen Blick seit langem schon, er hat ihn öfter überlebt und deshalb lässt er ihn kalt. „Was der drauf hat, der Profi, haben wir gerade gesehen!“ schiebt Amelie dennoch schnippisch nach, bevor sie abgelenkt wird, denn Crash drängt sich heran und bittet um Aufmerksamkeit, in dem er ein schweres Telefonbuch herbeischleppt. Könnte sein, dass es von Monika stammt, die im Flur lautstark telefoniert mit ziemlich gestresster Stimme. „Was macht der faule Hund?“ spielt Amelie ihr altes Spiel mit Crash, der sich erwartungsgemäß hinwirft, mit dem Telefonbuch im Maul aber nur ein knurriges „Wuff!“ zustande bringt. Mick, voll mit dem Laptop beschäftigt, sagt lässig „Vielleicht steht die Lieferfirma ja im Telefonbuch, schon mal dran gedacht, he?“ „Hahaha, Mister Specialist, das war das erste was Papa gemacht hat“ seufzt Amelie und sagt im selben Atemzug liebevoll zum Hund „Danke, mein Süßer! War gut gemeint, ich weiß!“ „Guck dir das an! Das Etwas geht waschen!“ quäkt Mick jetzt aufgeregt. Und in der Tat bewegt sich auf dem Bildschirm die Puppe auf einen hellerleuchteten Waschsalon zu. Das Ticker-Tape am unteren Bildschirmrand beschleunigt sich und zugleich, offenbar unvermeidlich, ist das „Dida dadadadidadaaa“ zu hören. Mick dreht sich zu Amelie um und flüstert ziemlich laut „Sag Mama, dass sie leiser sein soll!“
Tatsächlich hat Monika die Angewohnheit beim Telefonieren so zu schreien, als ob sie dem Gesprächspartner direkt, also ohne die Telefonleitung, ihre Gedanken zurufen müsste. Im Flur auf und abgehend schreit sie in den Hörer. Kein Wunder, sie spricht mit ihrer Schwester Rosl, die in Amerika lebt und Mick hat Recht, offenbar versucht sie den die Kontinente trennenden Atlantik durch Lautstärke zu überwinden. „What? What? Slowly please. I cannot understand very well!“ Und dann schreit sie noch lauter in den Flur „Teleeeefoooon aus Amerika! Das ist bestimmt die Tante Rosl. Vom Büro aus!“ Amelie kommt aus dem Wohnzimmer und zischt ebenfalls ziemlich laut „Pssst! Mitten in der Nacht!“„Pssst! Mitten in Nacht!“ flüstert Monika durch Amelies energischen Auftritt fast eingeschüchtert ins Telefon. Um gleich darauf wieder an Lautstärke zuzulegen „Was? Yes! Also du hast vielleicht Nerven, Rosl! Weißt du wieviel Uhr es ist? Ja, bei e u c h ! Bei uns ist es nachts. Was? Wann? Ich werd‘ verrückt!“ Bevor das aber passiert ruft Amelie vorsichtshalber laut nach ihrem Vater „Paaaapaaaa! Die Tante Rosl aus UhSAh!“ Das ist selbst für Monikas Verhältnisse viel zu laut, weshalb sie ihrerseits nun versucht Amelie zu dämpfen. „Psssst! Ja, natürlich holen wir ihn ab. Ist doch Ehrensache.“ Bernhard hat den Schrei seiner Tochter offenbar mitbekommen, denn er erscheint, vom Treppensteigen keuchend, im Flur. „Wo ist der Alleskleber?“ „Pssst!“ macht Amelie. „Pssst!“ macht Monika. „Tante Rosl?“ fragt Bernhard ahnungsvoll. Und weil Monika nickt und Amelie auch, hält sich seine Freude in Grenzen. Insbesondere, als er hört wie seine Frau noch einmal nachfragt... „Und du kommst nicht mit?“ … danach aber gleich ihren Kopf schüttelt, stößt Bernhard ein erleichtertes „Gottseidank“ aus und wischt sich den Schweiß von der Stirn. Natürlich keinen Angstschweiß, soweit geht es in der Verwandtschaft nicht, oder besser n o c h nicht, wie wir bald erfahren werden. Monika hat inzwischen weitergeredet, denn Tante Rosl ist es absolut ernst mit dem angekündigten Auswärtsbesuch. „Ach so, das zahlt die Firma nicht, klar. Okay, okay, leg auf, wird sonst zu teuer. Zwei Uhr mittags, Internäschenell Airport. Alles klaro, wir sind da. Mit‘ m Auto, ja, sowieso“. Bernhard hat schon vor einiger Zeit zu gestikulieren begonnen, erst jetzt versteht Monika was er meint und schreit ins Telefon „Halt. Stopp! Wie sieht er denn überhaupt aus, dein Henry? Schlank, aha, schwarzhaarig. Ich bin ja total neugierig. Also nochmal, guten Flug für ihn und verlass dich drauf: 15 Uhr!“ Bernhard stöhnt kurz auf, Überraschungsbesuche kann er nun wirklich nicht leiden, weshalb er kurz angebunden fragt „Wie lang?“ „Was wie lang?“ fragt seine Frau zurück und stellt sich ganz bewusst dumm. „Wie lang bleibt er?“ „Jetzt hör aber auf. Er ist ja noch nicht mal da.“ Aus dem Wohnzimmer schaut Mick um sich über den Lärm zu beschweren. „Laaauuu!“ „Es hat telefoniert, Schatz, schlaf weiter!“ flüstert die fürsorgliche Mutter, was den ´erwachsenen` Mick sogleich empört. „Ich schlaf doch gar nicht!“ „Kann er gleich mit aufräumen, der Herr Schwipp-Schwager“, geht Bernhard dazwischen und schließt das Thema ab mit der eingangs gestellten Frage. „Der Alleskleber, wo?“ Monika sieht einen Besuch aus ihrer Familie naturgemäß anders und ärgert sich deshalb. „Was willst du denn kleben, verdammt noch mal? Den Spiegel?!“ „Mama, bitte nicht diesen Ton!“ kann Mick sich wieder mal nicht zurück halten und bringt dadurch die Familie zum Lachen. „Wir feiern und machen ein großes, original deutsches Essen für den Onkel Henry!? Eine Grillparty, okay?!“ Amelie und Mick, zum ersten Mal heute einer Meinung, werfen sich einen gelangweilten Blick zu. Aber schon gerät Monika in die Panik vieler Gastgeberinnen, die überraschend Besuch bekommen. „Frische Bettwäsche! Hoffentlich ist noch genug Waschpulver da! B e r n i e …“ Aber Bernhard ist schon geflüchtet, unter Verzicht auf den Alleskleber.
*
Nur einer der vielen Trockner rotiert vollgefüllt im ansonsten leeren Waschsalon. Aber in der Spiegelung der Trockner Scheibe tut sich jetzt was.
Die Mädchen Puppe beugt sich vor und scannt mit dem anscheinend unvermeidlichen „Dida dadadadidadaaa“ den Trockner und vielleicht auch seinen Inhalt. Wer weiß das schon genau. Zu sehen aber ist DAS ETWAS in den modischen Klamotten aus ´Schnurres Modelädchen`, im Ohr das ´Piercing`, an der rechten Hand das Freundschaftsband von Amelie. „Dida dadadadidadaaa“.
Wie durch Zauberhand öffnet sich eine versteckte kleine Nebentür mit dem Schild ´Privat`. Aber das ist natürlich ein Zufall. Heraus nämlich kommt Fred, ein junger Mann ohne geregeltes Einkommen, wie man nach Aussehen und Bekleidung leicht schließen kann, denn er trägt nur ein T-Shirt und eine Unterhose. Durch die jetzt offene Tür sind illegale Spielgeräte zu erkennen. DAS ETWAS bewegt sich wie magisch angezogen auf die Automaten zu. Weit hinten sitzt ein alter Mann in auf einem Stuhl. Er schläft. Der Waschsalon ist also zugleich eine geheime und natürlich verbotene Spielhölle. Ganz klar, dass Fred versucht die Puppe aufzuhalten „Hey, is‘ privat hier. Weiber haben no Zutritt!“ Aber die Puppe lässt sich nicht stoppen, nimmt die Automaten ins Visier und äußert sich lediglich mit einem „Dida dadadadidadaaa“ wobei gleichzeitig im Ticker-Tape zu Hause bei Schnurres die Daten der Spielautomaten auflaufen. Fred beobachtet das Mädchen aus müden geröteten Augen. Der wiederkehrende Ablauf der elektronischen Töne gefällt ihm aber. Er klopft dem Girlie auf die Schulter „Ey, Kleine, schon mal gewonnen?“ DAS ETWAS dreht sich um und fixiert ihn. Im Ticker-Tape laufen erneut Daten auf. Das weiß Fred natürlich nicht und deshalb quatscht er einfach weiter „Scheißspiel. Musst du gar nicht erst anfangen. Kommst´ nur schwer wieder los von.“ Trotz des guten Rates steckt er dann aber doch eine Münze in den Schlitz. Die Scheiben des Automaten drehen sich. Die Puppe fixiert die rotierenden Zahlen und die dazu gehörenden elektronischen Töne, die aus dem Gerät kommen. Kein Gewinn. Ihr Blick richtet sich auf Fred. Am unteren Bildrand läuft auf: Nicht kompatibel. Fred fühlt sich unbehaglich mit diesem wortkargen, nein, dem stummen Mädchen. Er sagt fast entschuldigend. „Siehste, hab ich gleich gesagt. Is‘ nix für kleine Mädchen, das Scheißspiel!“ Dennoch, wie bei allen Menschen, die der Spielsucht verfallen sind, wirft er erneut eine Münze ein. Durch eine spezielle Technik des Auslesens kann DAS ETWAS die tatsächlichen Umsätze errechnen, die mit dem Automaten gemacht werden. Aber was die Puppe kann und in ihrem Speicher ´weiß`, davon hat Fred natürlich keine Ahnung. Umso erstaunter ist er, als das Mädchen jetzt die rotierenden Scheiben stoppt: der Automat zeigt „Jackpot“ und die Puppe kommentiert das in dem sie emotionslos Freds letzte Bemerkung wiederholt:
„Is´ nix für kleine Mädchen … das Scheißspiel!“ Gleichzeitig spuckt der Automat eine enorme Menge an Münzen aus. Fred sieht mit offenem Mund zu, sackt dann aber mit beiden Händen freudig das Geld ein. Der alte Mann in der Ecke auf dem Stuhl kriegt nichts mit. Oder er tut nur so. Das Mädchen aber redet weiter mit der leicht verzerrten Stimme des Taxifahrers und der sanften GPS Frauenstimme „Wie wär’s mit einem Danke. Wenn möglich, bitte wenden. Verarschen kann ich mich selber.“ „Du tickst nicht ganz sauber“, entfährt es Fred, aber die Puppe antwortet stattdessen ohne jede Emotion „Is´ nix für kleine Mädchen … das Scheißspiel!“ „Scheiß drauf“, meint Fred, „ich kenn‘ ganz andere Läden. Da können wir abräumen mit deinem Trick!“ Sagt es und zieht ihr schnell seine Sportjacke über; zusammen mit Freds Baseball Kappe sieht sie jetzt fast wie ein Junge aus. „Sorry, aber die mögen dort keine Weiber!“ Damit schubst er DAS ETWAS aus dem Salon, kehrt aber gleich darauf zurück, stoppt den Trockner, schlüpft in die noch feuchten Hosen und zieht ein zerknittertes Hemd über sein T-Shirt. Blinzelnd geht er nach draußen, denn es ist in zwischen Tag geworden.
*
Im Schnurre Haus arbeitet Monika schon seit dem frühen Morgen schwitzend an der Waschmaschine, als Bernhard hereinschaut. „Gib’ s her, Schatz!“ sagt die vom Vorstress des kommenden Besuchs geplagte Hausfrau und ist nicht überrascht als Bernhard fragt „Was meinst du?“ „Was? Das Waschpulver! Oh, Mann, wieder vergessen?“ Bernhard schreit laut „Mist!“ macht eine Kehrtwende und ist schon wieder draußen. Und Monika ruft hinterher. „Schreib‘ s dir auf! Das Gute! Mit der amerikanischen Duftnote. Der Henry soll sich wie daheim fühlen bei uns. Und vergiss nicht deinen Schwager abzuholen!“
*
Bernhard rennt über den Innenhof des Schnurre Hauses zu einer kleinen Lagerhalle, schiebt vor sich hin grantelnd das Tor auf. Aber er kann Monika nicht entkommen, aus dem Fenster ruft sie ihm nach. „Und bring um Himmels Willen was Gutes zum grillen mit! Ich will ihn mit echter deutscher Küche verwöhnen, der Rosl ihren Ami!“ Im Schuppen das reine Chaos. Hektisch schnaufend vor Ärger über sich selbst und seine eigene Vergesslichkeit räumt Bernhard ein paar ausgemusterte Schaufensterpuppen zur Seite. Schiebt Kleiderständer weg. Wirft Köpfe für Hutmodelle in die Ecke wo bereits diverse Arme und Beine von beschädigten Puppen verteilt sind. Dazwischen Eimer mit Gips, Spachtelmasse. Und ganz hinten ein alter VW-Bus, ein Lieferwagen mit der leicht verkratzten Aufschrift ´Schnurres Modelädchen`. Er steigt ein und startet, zu Bernhards Freude springt die alte Karre nicht gleich an. Auch daran scheint der angekündigte Besuch Schuld zu sein. „Auswärtsbesuch, amerikanischer!“
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Ein echter, total verspiegelter Spielsalon Marke Las Vegas für Arme, mit all den glitzernden, sich wie verrückt drehenden und vor sich hin düdelnden Automaten, an denen kein Spielerherz ungestraft vorbeigehen kann. Die Puppe hat so etwas offensichtlich noch nie gesehen. Fred macht einen auf vertraulich und ist gerade dabei einigen Kumpels, man könnte auch sagen Ganoven, das jetzt mit Baseball Kappe und Lederjacke ausgestattete Mädchen vorzustellen, die durch die Verkleidung wie ein hipper Junge aussieht. Freds Problem, er kennt ihren Namen nicht. Und die Puppe kann ihm nicht helfen, sie weiß ja selber nicht wie sie heißt. Die herumstehenden Kerle aber kennt Fred und macht sie deshalb mit der der Puppe bekannt in der Hoffnung, dass keiner Fragen stellt. „Das ist Herr Giacomo, man nennt ihn auch ‚Bleifuß‘. Weißt du warum?“ Und da DAS ETWAS nur mit einem „Dida dadadadidadaaa“ antwortet, liefert er die Erklärung schnell selbst nach. „Giacomo war Rennfahrer, zu seiner Zeit weltbekannt und mehrfacher Sieger bei … bei … mehrfachen Autorennen … und das hier ist Carlito, genannt ´Seifenhändchen`, er ist … äh…Kunstschütze im Zirkus …äh … welcher war’s gleich …?“ Carlito, immer noch stolz auf seinen Beruf, lässt es sich nicht zweimal sagen wenn man ihn bittet aus seiner aufregenden Zirkuszeit zu berichten. Deshalb sagt er im Brustton der Überzeugung „Volltreffer! Immer Volltreffer!“Aber einen echten Italiener aus der Ndrangheta Hochburg Kalabrien ärgert es wenn sein Kollege zu viel redet, weshalb Giacomo seinem Kollegen voll auf den Fuß tritt und dann das Gespräch übernimmt, zugleich den stolzen Kunstschützen durch einem drohenden Blick auffordert, sein Maul zu halten „Mitten in Brust! Volltreffer!“ „Fünf Mal, Volltreffer!“ bestätigt Carlito mit geschwellter Brust und hat wohl vergessen, dass die Zirkusleute nach seinem Auftritt öfter einen Menschen zu Grabe trugen. Natürlich mit megatrauriger Blasmusik und viel lautem Blech ´Tschingderassa Bummbumm` wie im Film ´Der Pate` zum Beispiel, als die junge Frau von Al Pacino beerdigt wird. Bei Carlito aber war es kein Film, es war das richtige Leben. „Idiota! Alle gehen tot!“ zischt Giacomo und tritt seinem Partner auf den Fuß um ihn mal wieder an sein Mafiosi Schweigegelübde zu erinnern. Aber da die Puppe keinerlei Reaktion zeigt, fühlt sich Fred zu einer Erklärung verpflichtet „Das meint der nicht so“. Und ob er das meint, Carlito will sich seine Erinnerungen nicht nehmen lassen und zischt deshalb „Alle tot! Bravo. Bravissimo!“ „Dida dadadadidadaaa“ ertönt es nun doch - und zu aller Überraschung redet die Puppe plötzlich „Volltreffer … immer Volltreffer! Bravissimo Idiota!“ Jetzt ist Giacomo erst recht alarmiert, nicht dass der Kollege noch mehr ausplaudert, wer weiß wo der Typ mit der Baseball Kappe herkommt und was er vielleicht im Schilde führt. Zumindest eines ist Giacomo aufgefallen.
„Hat er Piepsstimme - wie kleines Mädchen!“ Das wollen die Italiener nun genauer wissen und rücken deshalb der Puppe auf die Pelle. Giacomo zückt sogar sein SEK-Messer und spielt professionell damit herum. Fred versucht erneut zu vermitteln. „Nur die Ruhe, Leute. Der Typ hat auch einen an der Waffel. Aber vom Feinsten“. Er steckt Geld in einen der Spielautomaten und fordert DAS ETWAS auf die rotierenden Scheiben anzuhalten. „Los, zeig’s ihnen!“ Die Puppe hat damit kein Problem. Die Glückszeichen stoppen auf ´Jackpot`. Münzen rasseln in das Ausgabefach. „Mitten in Brust. Volltreffer, Idiota! Bravissimo!“ sagt die Puppe, bevor sie zum nächsten Automaten weitergeht, eine der eben gewonnenen Münzen einwirft und: ´Jackpot`! Wieder rasseln Geldstücke in das Ausgabefach. Carlito und Giacomo sind höllisch überrascht und wollen sich sogleich bedienen. Das findet Fred wiederum nicht komisch und knurrt drohend. „Pfoten weg ihr Arschlöcher, das ist meine Kohle!“ „Pfoten weg ihr Arschlöcher, das ist meine Kohle!“ echot die Puppe ohne das bisher übliche ´Dida dadadadidadaaa`. Jetzt ist aber auch Schluss mit lustig. Jeder der drei will einen Anteil am Gewinn haben. Der Geschäftsführer des Spielsalons, ein Riesenkerl Marke Ganzkörper tätowierter ´Wrestler`, mischt sich ein. Er hatte sowieso schon die ganze Zeit misstrauisch zu dem Geschehen hingeschielt. Nun will er echt wissen, was hier abgeht. Auf lange Diskussionen können sich aber weder die Italiener noch Fred einlassen. Keiner weiß ja, wie lange die Glückssträhne mit dem Gewinnertypen noch anhält. Weshalb jetzt eine Rangelei entsteht, die bald in Handgreiflichkeiten ausartet. Dabei wird die Puppe hin und her geschubst, ihre Baseballkappe unsanft heruntergerissen. Selbst ein Blinder mit Krückstock würde nun am Schnitt und den langen Haaren erkennen, dass der Junge ein Mädchen ist. „Deine Tussi?“ schreit der Geschäftsführer Fred an „Das geht ja gar nicht!“ Aber Fred hat die Taschen voller Geld, damit die Ruhe weg, er fühlt sich stark „Und wenn schon, Mann!“„Viel junges Mädchen für altes Fred!“ keucht Giacomo und Carlito assistiert „Ist verboten! Sex mit Kinder!“ Beide aber verstummen, als jetzt die Puppe lautstark wiederholt „Ist verboten … kleine Tussi Sex mit Kinder?! Was … heißt … verboten?“ Carlito und Giacomo scheint das zu amüsieren, sie krächzen sich einen ab vor Lachen. Nur der Geschäftsführer weiß, dass Kinder im Spielsalon verboten sind und es mindestens eine Geldstrafe einbringt wenn nicht Schlimmeres, zum Beispiel Lizenzentzug und damit Schließung des Casinos. Das ist Existenz gefährdend für den ehemaligen ´Wrestler` , der aus Altersgründen nun Geschäftsführer ist, weshalb er umgehend versucht das Problem auf seine Weise zu lösen. Er komplimentiert, nein, er schiebt die Bande gewaltsam nach draußen und flucht dabei „Alles in diesem Land ist verboten! Und deshalb raus jetzt! Avanti, dilletanti, Fred. Und nimm deine Spaghettis gleich mit!“ Das wollen sich Fred und die Italiener nun gar nicht gefallen lassen. Das war ja eine Diskriminierung allerschlimmster Sorte von diesem ungehobelten Fettsack. Deshalb beginnen sie jetzt erst recht ein großes, lautstarkes Palaver mit dem Geschäftsführer. DAS ETWAS scheint davon unberührt. Nicht einmal ein ´Dida dadadadidadaaa` lässt die Puppe hören. Das heißt wohl, sie hat alles was interessant oder vielleicht auch uninteressant war abgespeichert, echte Menschen würden sagen: sie langweilt sich. Und da sie durch Crash in Schnurres Modelädchen gelernt hat wie Türen geöffnet werden, verlässt sie das Spielcasino ohne sich umzusehen und ohne dass die Streithähne es bemerken.
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Im Schnurre Haus, in Amelies Zimmer, ist die Luft zum schneiden dick, so fühlbar ist die Anspannung von Mick und Amelie. Denn erneut tut sich was auf dem i-Pad. „Da! Daaaa!“ schreit Amelie und tippt aufgeregt mit dem Finger auf den Schirm, was leider einen Fettfleck zur Folge hat. „Was daa?!“ wischt Mick ärgerlich den Fleck wieder weg, „die Puppe latscht über die Straße, ja und?“ „Ist doch süüüß, wie sie geht, wie ein richtiger Mensch, guck doch!“ Aus dem Blick der Puppe ist allerdings etwas anderes zu erkennen. Nämlich, dass die Fußgängerampel gerade ROT hat und man deshalb lieber auf dem Trottoir warten sollte, bis der Verkehr vorbeigerast ist und die Ampel wieder grünes Licht zeigt. Nur woher soll eine fehlgeleitete Schaufensterpuppe das wissen?
Sie kennt offenbar keine Verkehrsregeln und geht einfach weiter, obwohl genau in diesem Augenblick ein alter VW-Bus mit der Aufschrift Schnurres Modelädchen in hohem Tempo heranfährt, in letzter Sekunde versucht auszuweichen, mit quietschenden Reifen bremst, ins Schleudern kommt, die stur geradeaus weiterlaufende Puppe touchiert und zur Seite schleudert. „Von wegen süß“, ist die trockene Stimme von Mick zu hören, „die ist Matsch!“ In Amelies Zimmer starren die Kinder einigermaßen entsetzt auf den i-Pad. Und jetzt erst erkennen sie, was für ein Auto DAS ETWAS angefahren hat. „Boah, Scheiße, Mann! Das ist Papa!“ flüstert Mick und Amelie schreit „Mamaaa! Schnell, unser Auto!“ Sie reißt die Tür auf und schreit nochmal in höchster Not „Mamaaa! Kommm …“ Auf dem i-Pad sieht man, aus der Sicht der am Boden liegenden Puppe, einen sich nähernden Krankenwagen mit Sirene und rot/gelb blinkenden Warnlampen heranfahren. Notarzt und Sanitäter beugen sich über DAS ETWAS, sie tragen Handschuhe und versuchen erste Hilfe zu leisten. Bernhard ist völlig unter Schock, er kann nichts für den Unfall, will dennoch seine Pflicht tun und helfen. Vorsichtig betastet er das Mädchen, sieht das Freundschaftsband an ihrem rechten Arm. Leichte elektrische Entladungen lassen ihn zurückschrecken. Ganz so schlimm scheint es die Puppe aber nicht erwischt zu haben, denn sie richtet sich auf und sagt genau das, was sie gerade abgespeichert hat. „Pfoten weg, ihr Arschlöcher. Das ist meine Kohle!“ Trotzdem wird sie von den einigermaßen verdutzten Sanitätern gepackt und auf eine Bahre verfrachtet. Unbeachtet liegt ihr Ohrring im Straßengraben. Bernhard hebt ihn auf, betrachtet das Teil nachdenklich und steckt es dann in die Hosentasche. Darüber hört man Amelie sagen „Mein Freundschaftsband hat sie noch am Arm! Ich glaub‘ ich dreh durch!“ Im Schnurre Haus schleppt Mick den großen Flachbildschirm aus der Wohnstube hinüber in Amelies Zimmer. Monika hält ihm widerstrebend die Tür auf. „Mit dem Teil ist der Fall übersichtlicher“, meint Mick in der Sprache der weltberühmten deutschen Fernseh-Kriminal Kommissare und fährt wichtig fort. „Übersicht trägt immer zur Klärung des Sachverhalts bei!“ „Was denn für ein Fall?“ mokiert sich Amelie über den Bruder, „ist das vielleicht ein Film in dem wir alle mitspielen?“ „Das ist live!“ sagt Mick stolz über die neu gewonnene Erkenntnis und „Klar spielen wir mit! Das ist was Ähnliches wie ´Versteckte Kamera` oder ´Bauern, Freundschaft und das liebe Vieh`!“ „Unser Schaufenstermädchen ist doch kein Bauer“, widerspricht Amelie in einem Ton, der keinen Widerspruch zulässt. Damit ist der nächste Streit der Geschwister schon vorprogrammiert, weshalb Monika schnell daran erinnert, was jetzt in der Realität ansteht. „Bevor ihr mir Philosophie Unterricht in Sachen Liebe erteilt, darf ich daran erinnern, dass wir gleich Besuch kriegen und noch einiges vorbereitet werden muss. Kleine Hilfen – immer gern. Und Fernsehgeräte, i-Pads und so weiter bitte aus!“ „Wuff!“ macht Crash und zeigt damit deutlich, dass er ebenfalls Bedürfnisse hat. Mit einer Pfote öffnet er die Tür, eine diskrete Aufforderung endlich Gassi zu gehen.
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DAS ETWAS liegt auf einem Operationstisch und wird von weiß und grün gekleideten Damen und Herren, die alle Gesichtsmasken tragen, versorgt. Außerdem haben sie Gummihandschuhe an, genau wie in der Fernseh ´Sachsenklinik`. Eine gründliche Untersuchung steht offenbar kurz bevor. Tatsächlich befinden wir uns in der Havelstein Klink, einem echten und gar nicht mal schlechten Krankenhaus. Dr. Mundfohl, der Stationsarzt und Assistent des Chefs, fühlt dem Mädchen mit bloßen Händen den Puls und erhält einen mächtigen Stromschlag, der ihn stöhnend in die Knie gehen lässt. Prof. Dr. Dr. Havelstein, der Chefarzt und Leiter der Klink zeigt sich überrascht. „Was ist, Kollege. Kreislauf?“ „Die steht unter Strom! Verdammt …“ antwortet Dr. Mundfohl dem Klinik Chef, aber der kann das nicht verstehen und fragt deshalb ungläubig „Wie – unter Strom? Was soll das heißen?“ „Aufgeladen. Hochspannung“ ächzt der Assistenzarzt und richtet sich mühsam wieder auf.
„Unmöglich!“ sagt Prof. Dr. Dr. Havelstein mit der Attitüde des Besserwissers und greift zugleich an die Halsschlagader des Mädchens. Einen Schlag erhält er allerdings nicht denn er trägt, wie es sich für einen richtigen Doktor im OP Saal gehört, ein paar isolierende Gummihandschuhe. Dr. Mundfohl sieht das und zitiert zerknirscht seinen Chef „Regel Nummer Eins: Handschuhe. Ich weiß!“ „Puls okay. Keine äußerlichen Verletzungen. Kernspin. Das Übliche. Merkwürdige Hautstruktur“, diagnostiziert der Professor routinemäßig und während die Mitarbeiter alles für die Untersuchung vorbereiten, winkt Havelstein seinem Assistenten fröhlich zu. „Ergebnisse gleich, muss nur schnell mal telefonieren.“ Dr. Mundfohl betrachtet missmutig seine Handflächen, sie weisen Verbrennungen auf. Aber der Professor bleibt fröhlich jovial, wie die Chefärzte in den Fernsehserien, die immer bestens drauf sind weil sie einen guten Charakter und Humor haben und vor allem immer das Sagen. „Lassen Sie sich versorgen, Kollege!“
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Über die Autobahn fährt holpernd und stotternd und mit gelegentlichem Auspuffknallen der VW Bus mit der Aufschrift Schnurres Modelädchen. Bernhard am Steuer hat sich nach dem Unfall wieder beruhigt und dreht an den Knöpfen des Autoradios. Mit leichten Störungen, weil das Gerät wirklich schon alt ist, hört man den Yankee-Doodle, auch nicht gerade ein Hit aus den hippen Musik Charts. Ein Autobahnschild weist darauf hin, dass der Flughafen nicht mehr weit ist.
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Die Klinik ist wirklich bestens ausgerüstet. Nur mit einem der üblichen Nachthemden bekleidet liegt DAS ETWAS jetzt auf der Intensivstation. Die Puppe ist an mehrere Geräte zur Überwachung aller lebenswichtigen Funktionen angeschlossen. Das sieht irgendwie unheimlich aus, weil außer den Ärzten und dem Pflegepersonal niemand so genau weiß, wofür all die Apparate gut sind.
Einer jedenfalls misst den Puls, oder den Herzschlag, eine Zickzacklinie auf dem Monitor zeigt das optisch an und dazu ist ein ‚Piep‘ Ton zu hören der signalisiert, dass keine Gefahr für den Patienten besteht. Professor Dr. Dr. Havelstein und sein Assistenzart Dr. Mundfohl würden sonst ohne Zweifel sofort reagieren, wenn sich auf den Geräten auch nur die geringste Störung im Befinden der Verunfallten abzeichnen würde. So aber schleichen sie nur um die Patientin herum, die nach dem Unfall offenbar immer noch unter Schock steht und tief schläft. „Was sind das für Besonderheiten, Michael?“ fragt der Professor seinen Assistenten und der, froh in diesem Fall auch mal zu Wort zu kommen, antwortet wie aus der Pistole geschossen. „Also davon abgesehen, Chef, dass das Mädchen eine eigenartige Haut besitzt, könnte sowas wie Silikon sein…“Der Professor unterbricht sofort, er hat das Mädchen nochmal abgetastet, mit Handschuhen ist ja klar, denn er ist Profi in sich selbst und seine Perfektion verliebt und zugleich in seine Reden, deshalb auch die Unterbrechung, denn die Gelegenheit ist günstig sein phänomenales Professoren Wissen wieder mal an den Assistenzart zu bringen. „Hab ich ja von Anfang an diagnostiziert: Hautstruktur rätselhaft. Fühlt sich so ein bisschen an wie Teflonpfannen früher…“ Doktor Mundfohl hat inzwischen dazu gelernt. Deshalb nimmt er all seinen Mut zusammen, wagt es den Vorgesetzten zu unterbrechen und macht zugleich hinterlistig klar, wer von beiden der Ältere ist. „War lange vor meiner Zeit, Professor!“ „Tatsächlich, Sie sehen nicht jünger aus, Kollege.
Teflonpfannen, ein Abfallprodukt aus der Weltraumfahrt! Na, klingelt’ s jetzt? Echte Bildungslücke, mein Lieber!“ Dr. Mundfohl steigt nicht auf die Frozzelei ein und bleibt angenehm sachlich. „Unsere Tests haben nichts Entsprechendes ergeben. Aber was anderes könnte Sie interessieren…“ „Raus damit. Der Nobelpreis ist Ihnen sicher. Trotz Ihrer Jugend, hahaha!“ Der Professor weiß sich zu revanchieren und stellt auf seine Art klar, wer hier für den Humor zuständig ist. Dr. Mundfohl denkt an seine Zukunft in der Klinik und wird noch vorsichtiger in seinen Formulierungen. „Es handelt sich um etwas, an dem wir gemeinsam mit vielen ausländischen Kollegen schon lange arbeiten: das Human Brain Project. “Jetzt zeigt sich der Professor alarmiert. Er legt den Zeigefinger auf den Mund ohne Pssst! zu sagen, öffnet die Tür der Intensivstation und sieht vorsichtig hinaus. Aber dort ist niemand zu sehen. Dennoch flüstert er als er weiterspricht. „Unser Flaggschiff-Projekt! 100 Millionen Euro pro Jahr!“ „Aber da ist noch etwas, Professor. Ihr Kopf …“ Er zeigt vorsichtig auf „Is“ verbundenen Kopf, wird aber gleich von seinem flüsternden Chef unterbrochen. „Irgendwelche inneren Verletzungen?“ „Nicht direkt“, jetzt flüstert Dr. Mundfohl ebenfalls, „aber das cerebrum ist …“ Und wieder unterbricht ihn der Professor ...“beschädigt? Das Gehirn?!“ „Also, so würde ich es nicht bezeichnen“ antwortet der Assistenzarzt und fährt so schnell wie möglich fort um nicht wieder unterbrochen zu werden. „Der visuelle und der auditorische Cortex sind, naja, sagen wir mal äußerst ungewöhnlich gestaltet. Ist eher eine Art Schaltkreis oder so was ähnliches“. Prof. Dr. Dr. Havelstein steht vor Erstaunen der Mund offen. Er sieht einigermaßen dämlich aus, gar nicht wie ein kluger Klinikleiter und hochgebildeter Professor Doktor Doktor. „Kann ich nicht glauben. Sind Sie sicher?“ Jetzt ist es an Dr. Mundfohl den großen Meister zu spielen, weshalb er dramatisch die Arme ausbreitet und dabei ganz das Flüstern vergisst. „Der Hippocampus ist in spezifischer Weise verändert … eine Plastizität des Gehirns …“ Beinahe hätte es den Professor auf das Bett der Patientin hingehauen, in letzter Sekunde fängt er sich. Buchstäblich bleibt ihm die Spucke weg, als er mit trockenem Mund antwortet. „Ein Brainmodell?! Ein Hochleistungscomputer, der das Gehirn simuliert?! Großer Gott, das muss ganz unter uns bleiben, Michael“. Er holt tief Luft, klatscht dann in die Hände. „Eine wissenschaftliche Weltsensation - aus u n s e r e m Hause!“ Beide stürmen geradezu aus dem Zimmer, ohne Rücksicht auf die immer noch schlafende Verunfallte. Deshalb erfährt man auch nicht wie lange sie in Wahrheit schon wach ist, die Patientin, und was sie von der Unterhaltung eventuell mitbekommen hat. Tatsache aber ist, dass sich das Mädchen jetzt erhebt und dieses „Dida dadadadidadaaa“ vernehmen lässt während sie ruhig und besonnen, so sieht es zumindest aus, die an ihr befestigten Versorgungs-schläuche entfernt, die herumstehenden Apparate scannt und speichert, emotionslos rekapituliert was sie anscheinend doch gehört hat. „Eine wissenschaftliche ...Weltsensation...ein Brainmodell...ich muss dringend telefonieren ...telefonieren.“ Schnell verlässt sie das Zimmer, immer noch mit dem hinten offenen Krankenhaus Nachthemd bekleidet.
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Der VW-Bus fährt ratternd und mit Fehlzündungen von der Autobahn ab und nähert sich dem Flughafen. Bernhard ist stinkig. In letzter Zeit läuft aber auch alles schief. Nicht nur mit dieser merkwürdigen, computeranimierten Schaufensterpuppe, das ist noch seine geringste Sorge. Mehr beschäftig ihn, woran es liegen kann, dass er immer wieder so unausgewogen, so schnell nervös wird. Jede Kleinigkeit bringt ihn in Rage. Aus jeder Mücke macht er gleich einen Elefanten, sieht Probleme wo keine sind und macht sich dadurch erst welche. Reflektieren nennt er das und nimmt sich jetzt eisern vor, sein Leben von Grund auf zu ändern. In Zukunft mehr relaxen und zugleich weise sein, mehr auf Monika eingehen und sich gleichermaßen den Kindern zu widmen. Mehr musizieren, das Spiel auf seinem Banjo hat er in letzter Zeitstark stark vernachlässigt. Das muss sich ändern. Er wird vieles ändern, nein, keine Kompromisse, er wird alles ändern! Soeben aber ändert sich die Musik aus dem Radio, sie hört nämlich auf und die Sprecherin kündigt eine Meldung an, eine sogenannte Sondermeldung an der Bernhard nicht ganz unschuldig ist, wie er gleich erfahren wird. Um die Motoren- und Auspuffgeräusche zu übertönen, stellt er das Radio lauter und hört die Sprecherin sagen „… wie wir soeben erfahren, hat sich heute Vormittag in der Innenstadt ein merkwürdiger Unfall ereignet. Die verletzte Person unbekannter Herkunft wurde in die Havelstein Klinik eingeliefert und ist von dort anscheinend geflüchtet. Die Polizei bittet um Mitteilung wo das junge Mädchen gesehen wurde. Sie ist lediglich mit einem Nachthemd der Klinik bekleidet und leidet unter einer starken Elektrophobie. Die Polizei warnt davor, die Frau mit bloßen Händen zu berühren, ein schmerzhafter Stromschlag könnte die Folge sein.“ Vor lauter Zuhören hat Bernhard nicht aufgepasst und ist an der richtigen Ausfahrt vorbeigefahren. Und schon sind die guten Vorsätzen relaxt zu sein und sich in Zukunft positiv zu verändern dahin. Wütend haut er mit der flachen Hand auf das Steuerrad, auf die Hupe, die daraufhin das Hupen einstellt, um anschließend mit einem schrecklich quäkenden Dauerhupton zu erwachen und anzuzeigen, dass Bernhard mit seinem handfesten Wutausbruch irgendwas an dem Teil beschädigt hat. Im Radio hat Bea Freimuth, die Sprecherin, inzwischen weitergequatscht, trotz der brisanten Eilmeldung immer in fröhlichem, aufmunterndem Party-Ton, als ob die Welt nur aus feiern und Festen besteht.
„Weitere Informationen, liebe Zuhörer, bei jeder Polizeidienststelle und unter www.frauunterstrom.de im Internet. Hier ist Bea Freimuth, ihre Reporterin aus Leidenschaft. Mit Musik geht‘ s weiter in ein frohes Wochenende, trotz aller Horrormeldungen. Bleiben Sie bei uns!“
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DAS ETWAS, immer noch im Nachthemd des Krankenhauses, gestikuliert vor einem Passanten, indem sie windmühlenartig in alle Himmelsrichtungen zeigt und dabei abgespeicherte Sätze ohne Sinn und Verstand von sich gibt. Das ist rührend und unfreiwillig komisch anzusehen, aber offensichtlich ist da ein Wille in dem Mädchen, sich irgendwie verständlich zu machen. „Wenn möglich, bitte wenden. Verarschen kann ich mich selber. Is ´n Scheißspiel! Das cerebrum … ist beschädigt!“ Der Passant zeigt sich anfangs nur irritiert, zumal das Mädchen im Nachthemd ihn jetzt auch noch umarmen will, so wie Bernhard im Modelädchen. Ein Glück, dass er einen Regenmantel trägt und deshalb keinen Stromschlag erhält. Dabei brabbelt DAS ETWAS immer weiter das was sie inzwischen gelernt hat und in ihrem Speicher abgelegt ist. „Ist verboten! Kleine Tussi … Sex mit Kindern. Was ist ´verboten`?“ Dem Mann wird das merkwürdige Verhalten des Mädchens allmählich unheimlich. Insbesondere jetzt, wo auch noch von Sex mit Minderjährigen die Rede ist. Sowas ist strafbar und man weiß heutzutage nie, ob nicht plötzlich die Polizei vor der Tür steht weil eine Irre, und die Kleine ist sicher nicht ganz dicht, eine Anzeige gemacht hat. Hier muss eine sichere Distanz gewahrt bleiben, denkt sich der Passant, windet sich aus der Umarmung und spannt seinen Regenschirm auf um wie ein Florettfechter das Mädchen abzuwehren. Die aber lässt sich nicht stören, sie breitet die Arme aus und ruft mit der Stimme von Dr. Mundfohl. „Der Hippocampus ist in spezifischer Weise verändert!“ Jetzt reicht es dem Passanten endgültig, seine Gesichtszüge entgleisen, die ist ja völlig irre, wahrscheinlich sogar gemein gefährlich deshalb nichts wie weg ohne Rücksicht auf Verluste. DAS ETWAS sieht dem davonrennenden Mann nach und ruft ihm hinterher „Muss dringend telefonieren … dringend telefonieren … telefonieren!“
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Vor dem Berliner Flughafen drängen sich die Fluggäste, einige werden hingebracht, andere werden abgeholt, begrüßt, umarmt, geküsst. Bernhard stellt seinen dauerhupenden Lieferwagen direkt vor der Ankunft ab. Empörte Blicke wegen des Lärms ignoriert er und rennt so schnell wie möglich in die belebte Halle. Ein Japaner, mit zwei Fotoapparaten quer vor der Brust, lächelt typisch japanisch und fotografiert, ebenfalls typisch japanisch. Bernhard schiebt sich suchend durch die Menge. Liest die Anzeigetafel für ankommende Maschinen, fragt an einem Schalter, läuft eilig hinüber zum Meeting Point. Ein dicker Herr mit Glatze sieht ihm erwartungsvoll entgegen. Bernhard bleibt stehen, fixiert ihn, versucht sich zu erinnern, was Tante Rosl zu seiner Frau am Telefon gesagt hat: „Schwarzhaarig!“ Das ist der dicke Herr mit Glatze nun wirklich nicht und auch nicht ´schlank`, das zweite Erkennungsmerkmal für den amerikanischen Schwipp-Schwager. Deshalb dreht sich Bernhard schnell um und rennt eilig zu einem der Telefone. In der Nebenzelle telefoniert bereits der Japaner mit den zwei Kameras auf der Brust. Er lächelt schlitzäugig freundlich zu Bernhard hinüber, aber der hat kein Auge für asiatische Höflichkeit. Er wählt hektisch. Die Nummer ist besetzt. Aufgeregt sieht er auf die Uhr. Späht in die menschenvolle Halle. Der Japaner verlässt jetzt japanisch still vor sich hinlächelnd die Telefonzelle nebenan und geht zum Ausgang. Bernhard versucht erneut den Anschluss zu kriegen. Diesmal hat er Glück. Die Nummer ist frei und Tochter Amelie meldet sich mit dem Versuch eines Scherzes. „Ich nix verstehn, du verstehn?“ Bernhard ärgert sich über die blöde Frage, seinen Vorsatz in Zukunft relaxt zu sein und über den Dingen zu stehen hat er schon wieder vergessen. „Was soll denn der Quatsch, Amelie!“ raunzt er ins Telefon. „Tschuldigung, Papa. Ich hab gedacht es wär noch mal der Onkel Henry, der hat nämlich gerade angerufen …“„Von wo hat er angerufen?“ will Bernhard wissen und erhält kurz und knapp die Antwort. „Was weiß ich. Der hat nur amerikanisch geredet. Wo bist du jetzt?“ „Im Flughafen, wo sonst. Hab ihn irgendwie verpasst“, schnauft Bernhard aufgeregt und muss sich von seiner Tochter sagen lassen „Jetzt lass ihn halt ausrufen, Papa. Mach doch kein Drama draus!“ Bernhard nimmt den guten Rat zur Kenntnis, handelt aber nicht danach, legt wortlos den Hörer auf und rennt aus der Halle. Der VW-Bus im absoluten Halteverbot hat sein quäkendes Hupen inzwischen eingestellt, die Batterie ist am Ende. Dafür klebt ein Ticket wegen Falschparkens an der Windschutzscheibe. Wieder mal kommt für Bernhard eines zum anderen. Da bleibt keine Zeit zu relaxen, man muss aus der Haut fahren. Stinkig reißt er den Strafzettel unter dem Scheibenwischer hervor und klettert ins Fahrzeug. Anspringen will der VW-Bus auch nicht mehr – dafür hat er viel zu viel Strom verbraucht mit seinem nervigen Hupkonzert. Es ist echt zum Heulen.
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Dieses Problem kennt DAS ETWAS allerdings nicht. Woher auch? Menschliche Gefühle, Emotionen, sind der Puppe fremd. Noch fremd! Ruhig und geduldig sieht sie zu, wie eine ältere Frau ihr gestenreich zu erklären versucht, wie man am Fahrkartenautomaten ein Ticket für die U-Bahn löst.
„Es ist sehr schwierig“ erläutert die freundliche alte Dame immer wieder, sie hat selbst Monate gebraucht um das komplizierte Karten-Auswahl-System zu verstehen. „Wissen Sie, früher war das ganz einfach. Man ist eingestiegen in die Trambahn, dann kam der Schaffner oder die Schaffnerin und rief: ‚Herrschaften, die Fahrkarten, bitte!‘ oder: ‚Hast du keinen – kauf dir einen‘! Das war dann natürlich ein Scherz. Und dann hat man ihnen seinen Groschen gegeben, den haben sie in eine kleine Geldwechselmaschine gesteckt, die sie in einem Ledergurt um den Bauch vor sich hertrugen. Und dafür hat man dann den Fahrschein bekommen, der allerdings vorher noch mit einer silbernen Zange durchgeknipst und damit entwertet wurde. Das ganze selbst für Kinder ohne Schwierigkeiten oder Probleme. Einen davon hab ich sogar noch zu Hause … aus der guten alten Zeit“. Und dann lacht die alte Dame in der Erinnerung und wundert sich zugleich, dass das junge Mädchen nicht mit lacht über die doch wirklich komische Episode aus ihrer Vergangenheit. „Ja, früher war alles anders aber nicht unbedingt besser, mein Kind!“ seufzt die alte Dame und kramt in ihrem Portemonnaie nach einer Münze. Eine U-Bahn fährt ein und ehe sich DAS ETWAS versieht, ist die Frau flink wie Wiesel davon geeilt und in einem der letzten Waggons verschwunden. Die Puppe starrt auf die Münze in ihrer Hand, es fällt ihr offenbar schwer einen Zusammenhang zwischen dem Geldstück und einer U-Bahn Fahrt herzustellen. Trotzdem sieht es so aus, als würde sie überlegen, oder versuchen sich an etwas zu erinnern, obwohl diese Gedanken ja rein menschlich sind und ein Roboter Wesen eigentlich nicht über ´Denken` verfügt. Aber einen Speicher besitzt DAS ETWAS und sowas ist einem menschlichen Gedächtnis doch ziemlich ähnlich, bei der Puppe vielleicht sogar ähnlicher als ähnlich. Denn jetzt fixiert sie den Automaten, drückt dann einen der Knöpfe und nun ist auch das unvermeidliche „Dida dadadadidadaaa“ wieder zu hören. Der Automat arbeitet jetzt und spuckt im wahrsten Sinne des Wortes meterweise Papierstreifen aus. Genauer betrachtet sind es Tickets, also Fahrkarten, genug um tagelang, wochenlang vielleicht sogar einen Monat lang kostenlos U-Bahn damit zu fahren. Hinter dem Mädchen hat sich inzwischen eine Warteschlange gebildet, die dem Geschehen erstaunt und mit offenem Mund zusieht. Dann beginnen einige – in Vorfreude auf die kostenlosen Fahrscheine vermutlich - zu klatschen. DAS ETWAS reagiert emotionslos, verteilt wahllos die Fahrscheine offenbar nicht wissend, warum sich die Leute um sie herum so erfreut zeigen.
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Mick ist doch cleverer als Amelie und seine Eltern oft denken. In stundenlanger Arbeit mit dem i-Pad ist es ihm doch tatsächlich gelungen, das Programm von DAS ETWAS zu knacken. Dazu hat er ein heimlich aus dem Netz heruntergeladenes Code-Cracker-Programm benutzt, ihm die eigene Kennung ´Brain 999` verpasst und durch Kombinationen mit einer anonymen Maske erreicht, dass DAS ETWAS jetzt auf Befehle reagiert, die Amelie versucht auf dem i-Pad einzugeben. Das kränkt Mick in seinem berechtigten Stolz weshalb er die Schwester anfährt. „Pfoten weg, du Spasti, du versaust noch alles!“ Amelie reagiert wie gewohnt erst mal beleidigt. „Hallo, geht ´s noch? Das sagt einer, dem wir den ganzen Mist zu verdanken haben“. Doch dann starren beide gebannt auf den großen Fernseher, den Mick an das i-Pad angeschlossen hat, denn dort zeichnet sich ein erster Erfolg ihrer gemeinsamen Bemühungen ab: Durch die Augen der Puppe, man kann es auch den subjektiven Blick nennen, sieht man ein Stadion. Auf der Tartanbahn bewegen sich Läufer. Mick stößt grinsend seine ältere Schwester an und meint versöhnlich „Was guckst´ du, Kleine?! Sport ist Mord! Weiß doch jeder!“ „Weiß sie nicht. Woher denn?“ antwortet Amelie, bemüht eindeutig Partei für DAS ETWAS zu ergreifen, ganz nach dem unter den Mädchen in der Schule heiß diskutierten Motto: Wir Frauen müssen zusammenhalten. Wir Frauen brauchen eine Quote! Wofür denn? Am besten für alles und jedes. Auf jeden Fall in der Politik und in der Wirtschaft und für alle zu besetzenden wichtigen Spitzenpositionen auf der ganzen Welt.
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Im Stadion trabt die Sportlergruppe über die Tartanbahn um sich im Langlauf zu trainieren. DAS ETWAS läuft mit, immer noch im Nachthemd und rückwärts, keine Ahnung warum. Vielleicht weil sie die Sportler und ihr Tun dann besser beobachten kann. Das ist möglicherweise auch der Grund, weshalb die Puppe manchmal schneller, dann wieder langsamer läuft und sich schließlich mitten unter die Sportler mischt, die durch die Rückwärtsläuferin und ihren nackten Po, der aus dem hinten offenen Krankenhaushemd herauslugt, so ziemlich aus dem Rhythmus kommen, worüber sich einige ärgern, andere aber lachen. Sie verjagen schließlich das Mädchen, die irgendwie ratlos zurück bleibt.
„Dida dadadadidadaaa“ düdelt es aus dem Speicher der Puppe und dann wiederholt sie ganz deutlich und voll zur Überraschung von Mick und Amelie, was sie bei Fred und den beiden Italienern im Spielsalon gelernt hat. „Verboten! Alles verboten! Avanti dilletanti! Bravissimo Idiota!“ Amelie und Mick geben sich stolz „five“, um gleich darauf auf dem Bildschirm zu sehen wie sich DAS ETWAS am Rand der Tartanbahn niederlässt. Sie wirkt jetzt müde und sieht älter aus. Eine Folge der Anstrengung, lässt ihre Kraft nach? Amelie sorgt sich und meint „Die müsste was essen!“ „Trinken wär wichtiger“, meint Mick, der Fachmann für alles und damit auch Sport Experte. Er freut sich kichernd über die Tatsache, dass die Puppe offensichtlich nicht auf den Mund gefallen ist und das auch ganz klar zum Ausdruck bringt. „Hätt‘ ich nicht gedacht, von so einem Teil. Die kann echt bös werden. Typisch Frau, von nix ´ne Ahnung, aber …“„Dann ist sie ja bei dir richtig“, lästert Amelie. „Der Mann, der alles weiß und kann! Jedenfalls mit dem Mundwerk“ „Kann ja sein, dass sie ein Zombie ist. Mit Killerinstinkt!“ knurrt Mick und kriecht zähnefletschend auf seine Schwester zu. Die schreit ihn an, verängstigt durch ihre eigenen fantasievollen Vorstellungen. „Hör auf mit dem Scheiß!! Und kein Wort darüber zu den Eltern. Die werden sie sonst löschen, ehrlich!“ Das unfreiwillig gemachte Angebot nützt der Experte für geschäftliche Dinge gnadenlos aus. „Was zahlst du?“ „Wieviel schuldest du mir?“ gibt Amelie geistesgegenwärtig zurück. „Dann sind wir uns ja einig“, sagt der Fachmann für Geldpolitik und grinst dabei fröhlich. Er bietet der Schwester neue „five“ an, aber diesmal verweigert sich Amelie, sie ärgert sich zu sehr.
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Im Besprechungsraum der Havelstein Klinik sind am Reißbrett zahlreiche Fotos angepinnt: DAS ETWAS in allen möglichen Lagen. Detailbilder vom Kopf und von den Gliedmaßen. Dazu entsprechende Hinweise und Anmerkungen, die sicher keiner der Anwesenden medizinischen Laien versteht. Vor dem Pult liegen Journalisten, Fotoreporter und ein Team von RRTB, dem TV-Sender REGIONAL RADIO & TELEVISION BERLIN, auf der Lauer. Bea Freimuth, die investigative Reporterin und gleichzeitige Moderatorin bei dem neuen regionalen Kleinstsender hat sich eine gute Position gesichert. Sie sitzt direkt vor Prof. Dr. Dr. Havelstein, der eine Pressekonferenz in der für ihn so wichtigen Sache anberaumt hat und in der Hoffnung auf sensationelle News sind alle, alle gekommen. Dr. Mundfohl, der Assistenzarzt, ist ebenfalls anwesend, hält sich aber zurück. Er weiß, dass der eitle Professor sehr ungehalten wird, wenn man versucht ihm die Show zu stehlen. Und die hat nach ersten einleitenden Worten des Klinikleiters gerade begonnen. „Selbstverständlich, meine Damen und Herren von Presse und Fernsehen…“ schmeichelt sich der Professor sogleich bei den Presseleuten ein. „Selbstverständlich stehen Ihnen einige der in unserer Klinik gemachten Fotos zur Verfügung. Mit Details zur Patientin möchte ich Sie noch verschonen, bis wir alle Untersuchungs-Ergebnisse zusammengefasst und ausgewertet haben. Zur Person der Unbekannten darf ich vielleicht noch anmerken, dass wir die junge Frau auf keinen Fall für gefährlich halten. Darum mein Rat an eifrige Polizeikräfte: Bitte nicht von der Waffe Gebrauch machen, falls Sie das Mädchen aufspüren sollten.“ Jetzt lacht der Professor medienwirksam, die Zuhörer ebenfalls. Die Gelegenheit, denkt sich Dr. Mundfohl, das Wort zu ergreifen um seine Mitarbeit an diesem Fall wirkungsvoll zu unterstreichen. „Vielleicht interessiert Sie...“ „Aber bestimmt doch …!“ ruft Bea Freimuth dazwischen und kann sicher sein, dass die Presse Kollegen ihre Anwesenheit endlich zur Kenntnis nehmen.
Dr. Mundfohl lässt sich indes nicht aus der Ruhe bringen. Presse ist wichtig, aber der Klinik Chef wichtiger für die eigene Karriere. Deshalb ignoriert er den Einwurf und fährt fort sich ins Rampenlicht hineinzumanövrieren. „Was wir über die Implementierung – also das Umsetzen eines Algorithmus oder sogenannten Softwareentwurfs – das Chris Eliasmith in seinem Buch …“ Und wieder stört Bea Freimuth und wirft rücksichtslos ein, was sie irgendwann mal gelesen und vielleicht sogar verstanden hat. „How to build a brain!“ Das kann Prof. Dr. Dr. Havelstein nun doch nicht zulassen, dass eine naseweise Pressetante der Medizin die Butter vom Brot nimmt. Also mischt er sich ein und macht zugleich Dr. Mundfohl zum Sündenbock. „Genau das, lieber Kollege Mundfohl, meinte ich, als ich von noch nicht ganz ausgewerteten Details sprach. Möglicherweise, ich betone, möglicherweise sind wir hier einem Phänomen auf der Spur, das ich in m e i n e m Buch ´Kennen wir unser Gehirn und unsere Seele` theoretisch schon beschrieben habe …“Bea Freimuth ist Profi. Oder will zumindest einer werden im neuen kleinen TV-Sender RRTB. Da gibt es kein zurück, auch wenn ein Professor höchst persönlich das Wort hat. Zur eigenen Sicherheit aber ist Weibliche Charme Offensive angesagt. „Professor, reden Sie über die Umsetzung von festgelegten Strukturen und Prozessabläufen in einem System von …“„Ich will hier kein wissenschaftliches Seminar abhalten, Frau …?“ „Bea Freimuth, vom Regional Sender RRTB“ drängelt sich Bea in die erste Reihe der Runde. Und der Professor, trotz seines fortgeschrittenen Alters dem Weiblichen immer noch zugetan, wiederholt charmant lächelnd den Namen der kessen Reporterin, den spätestens jetzt sich auch die Journalisten Kollegen gemerkt haben. „Frau Freimuth, nur so viel und zur Erweiterung Ihres medizinisch wissenschaftlichen Kenntnisstandes: Wer bestimmte Mechanismen beherrscht, dem verrät beispielsweise das Gesicht eines Menschen dessen Gefühle und Absichten. Er erkennt sozusagen einen Lügner durch den Spiegel der Seele.“ „Schwere Zeiten für Mediziner, Professor!“ lächelt Bea und tut so, als habe sie die Doppeldeutigkeit ihrer Bemerkung nicht gewollt.
Das hämische Gelächter der anwesenden Journaille belehrt sie eines besseren, weshalb Dr. Mundfohl wiederum glaubt eine Rettungsaktion für den Chef starten zu müssen. „Nicht unerwähnt sollte eine Erfahrung sein, die ich selbst“ Aber das war‘ s dann auch schon, denn der Professor ist viel zu erfahren im Umgang mit den Medien um sich ins Abseits drängen zu lassen. Deshalb unterbricht er seinen Assistenten erneut. „Ganz recht, Herr Kollege, wenn Sie gestatten, gerade wollte ich es ansprechen. Falls Sie in nächster Zeit der jungen Frau begegnen sollten: Bitte, nicht berühren! Keinen direkten Haut Kontakt also. Die Patientin steht sozusagen unter Strom. Es kann deshalb zu einer Entladung größeren Ausmaßes kommen. Mein Assistent hier hat das bitter am eigenen Leib verspüren müssen. Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, ich muss dringend mal telefonieren. Bitte, Dr. Mundfohl!“ Und weist mit großer Geste auf seinen Assistenzarzt, bevor er mit dynamischen Schritten den Raum verlässt. Doktor Mundfohl bleibt nichts anderes übrig, als sich der Order zu beugen. Im Inneren aber kocht er vor Wut. Den ungestüm herandrängenden Journalisten und Fotoreportern darf man als verantwortungsvoller Arzt seinen Gemütszustand natürlich nicht offen zeigen, weshalb er stumm seine verbundenen Hände präsentiert: ein Lazarus! Ein Schelm, der schlecht darüber denkt.
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„Unbekannte, als Mann verkleidete Frau, leert Automaten im
Spielsalon!“ lautet der Aufmacher einer großen Boulevard Zeitung, es könnte BILD oder eine ähnliche Klatschzeitung sein. Don Brandolo ist Italiener, ein sogenannter Pate, offiziell aber der Besitzer des Pizza Restaurants, in dessen Hinterzimmer er gerade die Schlagzeilen gelesen hat. Nun ist es auf diesem Globus an und für sich nichts Besonderes, daß der Inhaber eines italienischen Restaurants zugleich auch Inhaber und Entscheidungsträger einer verschwiegenen, schlagkräftigen, stolzen und untadeligen Mannschaft von weltweit agierenden meist italienisch sprechenden Männern ist. Das haben viele Kinofilme, Aufklärungsromane und geradezu selbstmörderische Dokumentationen aller Welt bewiesen. Und dennoch ist Don Brandolo eine stattliche Ausnahme Erscheinung. Nicht allein deshalb, weil sein Vater ein Marlon Brando Fan war und Francis Ford Coppolas vielgerühmten ´Paten` mindestens zwei Dutzendmal im eigenen Heimkino gesehen und beweint hatte, was Schlussendlich ein weiterer von zwei Gründen und zugleich ehrenvolle Verpflichtung war seinen Namen zu ändern und den einzigen Sohn und Nachfolger nach dem großen US-Filmstar zu benennen. Das ´lo` am Ende des ´Brando` war eine naheliegende Zugabe, geschuldet seiner zweiten großen Filmliebe, der rassigen wunderbaren total italienischen Gina Lollobrigida, der auf diese Weise ebenfalls die Ehre zu teil wurde in der Ahnentafel des Brandolo Clans ein Plätzchen gefunden zu haben. Seinen traditionellen und echten Namen hatte der Padre des Dons nach reiflicher Überlegung und in Absprache mit den amerikanischen Behörden aus dem New Yorker Geburtenregister tilgen und durch den neuen Namen Brandolo ersetzen lassen. Es wäre besser für ihn, nach seiner aufschlussreichen Aussage vor dem USSC, dem Supreme Court oft the United States, das großzügig angebotene Zeugenschutzprogramm in Anspruch zu nehmen, hatte ihm das FBI zugeflüstert und dann ganz ordnungsgemäß die Ausreise der Familie ins ferne Germany nach Berlin finanziert. Die Umsetzung der staatlichen Hilfe war also schon aufwändig und kostenintensiv genug, weshalb der traditionell bekannte Name an dieser Stelle unerwähnt bleiben soll, denn die Rache der Mafiosi kann fürchterlich sein. Gerade in Zeiten der neuen Autobahnmaut für PKW, die ja schon zu unerhörten baulichen Aktivitäten im Strassenbau der Bundesrepublik Deutschland geführt hat, was wiederum bedeutet, wie jeder einigermaßen belesene Mafia Kenner weiß: Tonnenweise ´Mischbeton` Land auf Land ab! Da ist jeder Schreiberling gut beraten in diesen Geschichten nicht mitzumischen. Ebenfalls nicht mitmischen kann man ohne Zweifel bei den genetischen Vorgaben von Geburt an. Aber da hat der junge Don Brandolo – je nach Sichtweise – Glück gehabt. Er hat genug von seinem Padre im Blut um ebenfalls ein guter Pate im Sinne von Mario Puzo zu sein, dem Ideengeber vom Francis Ford Coppola. Das soll heißen, er kann ganz schön rabiat werden, der Don, wenn es um Familienbelange oder um das große Geschäft geht, gleichzeitig aber charmant und liebevoll sein, genau wie der Pate von Puzo und Coppola. Und da haben wir schon das Problem! Jeder Pate hat nämlich zwei Seiten: Die helle und die dunkle Seite. Das ist übrigens genau wie bei den übrigen Menschen, den Guten und den Schlechten, alle haben sie meist zwei Seiten und ganz wenige drei oder mehr. Insofern ist Don Brandolo eben auch nur ein Mensch. Aber was für einer? Das wird sich schon bald herausstellen. Honi soit qui mal y pense – beschämt sei, wer schlecht darüber denkt. Aber das ist eigentlich altfranzösisch schreibt wikipedia und in Frankreich gibt´ s keine Mafia. Hört man. Darüber hat Don Brandolo im Augenblick auch gar nicht Zeit nachzudenken. Ihm geht anderes, besseres durch den Sinn. Sorgfältig faltet er die Zeitung zusammen und sucht in seinen Taschen nach Streichhölzern für die bei allen Mafiosi gern gerauchten Zigarren aus der weltweit für gute Zigarren bekannten kubanischen Hauptstadt. Der dicke Qualm beflügelt eine Idee, die in seinem sizilianisch edel geformten Paten Kopf Gestalt anzunehmen beginnt.
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In der Polizei Wache meldet der Passant den wachhabenden Polizisten Klaus und Erika seine Begegnung mit einem merkwürdigen Mädchen, das offenbar gesucht wird, wie alle Medien melden. Der Mann demonstriert in großer Erregung die windmühlenartigen Bewegungen dieser Person. Eine Irre vermutlich, eine Wahnsinnige, die unverständliches Zeug redet, sich sexuell belästigt fühlt, ständig telefonieren will, unberechenbar, gefährlich, hundert Pro!
Polizist Klaus hat inzwischen in aller Ruhe ein Blatt Papier zu Hand genommen und macht sich Notizen. Polizistin Erika versucht den Mann zu beruhigen, sie bietet Kaffee an, obwohl das zu dieser späten Tageszeit nicht unbedingt gesund ist. Außerdem, sagt Erika, wird man nervös von der schwarzen Brühe und Nervosität bei der Polizei ist etwas, das bei den Bürgern der Hauptstadt überhaupt nicht gut ankommt.
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Nervosität kennt Fred, der junge Mann ohne geregeltes Einkommen, anscheinend nicht. Im Waschsalon sitzend döst er in Unterhosen vor sich hin, während seine Wäsche im Trockner rotiert, dessen eintöniges Surren zu einem Nickerchen geradezu auffordert. Dem Kunden gegenüber geht es offenbar genauso. Seine Zeitung ist heruntergefallen und Fred kann mit einem seiner immer müden Augen gerade noch die Titelfotos und die Schlagzeile lesen. Ein Adrenalinstoß ist die Folge. Wie von der Tarantel gestochen springt er auf und wäre beinahe in Unterhosen davon gerannt, wenn nicht eine gerade eintretende neue Kundin bei seinem Anblick vor Schreck den vollen Wäschesack fallen gelassen hätte um ihn mit spitzem Schrei auf seine mangelnde Bekleidung hinzuweisen. Schnell stoppt Fred den Trockner und schlüpft umständlich, auf einem Bein hüpfend, in seine noch halbnassen Klamotten.
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Im Spielsalon langweilen sich ´Bleifuß` Giacomo und ´Seifenhändchen` Carlito vor den stumpfsinnig vor sich hin blinkenden Automaten. Die schlucken die Kohle der Spieler und geben nur ganz selten etwas davon zurück. So sehr sich die beiden Italiener darum bemühen, ihre Tricks bleiben erfolglos. Ein an der Decke aufgehängter Monitor erregt plötzlich ihre Aufmerksamkeit, dort wird ein Fahndungsaufruf der Polizei verlesen und Fahndungen gehen die beiden immer was an, es könnte ja sein, dass man selbst Betroffener ist. So wie kürzlich in der Uralt Sendung Aktenzeichen XY, wo ein Kollege aus einem der verfeindeten Mafia Clans plötzlich im Bild war, wenn auch verfremdet, weil er über einen Bruch in einem Pelzgeschäft aussagen sollte. Carlito und Giacomo wussten genau worum es da ging. Was sie allerdings nicht wussten war, dass bei dem Einbruchdiebstahl der Nachtwächter ums Leben kam. Erschossen von eben dem Mann, der ihnen die geklaute Ware andrehen wollte und der im Fernsehen jetzt als unbeteiligter Zeuge auftrat. Mafiose Arbeitsmethoden, immer schwer zu durchschauen. Aber zum Glück, zu i h r e m Glück, hatte Don Brandolo, der Pate, den richtigen Durchblick und deshalb den Deal nachdrücklich verboten. Einbruch, Diebstahl, Geldwäsche, Drogen, Spielcasinos, Rotlichtmilieu und schöne Mädchen, das ist eine Sache – Mord eine andere. Und die Kleine, nach der im Fernsehen gerade gefahndet wird, ist sowieso außen vor. Die ist auf keinen Fall aus der Branche, dafür haben Carlito und Giacomo einen Riecher.
So eine hübsche anständige Madonna, nicht vorbestraft, vielleicht sogar unschuldig im wahrsten Sinne des Wortes, und dazu mit dieser einmaligen Begabung ausgestattet jeden Spielautomaten knacken zu können – ist nämlich ein echter Glücksbringer, selbst für abgebrühte erfahrene Mafiosi. „Madonna mia Santa, meine große Love Song“, singsangt Carlito und verdreht dabei temperamentvoll sehnsüchtig seine Augen. Ein Tritt von Giacomo auf den Fuß lässt ihn aufstöhnen. „Keine Namen, idiota!“ zischt er und sieht sich vorsichtig nach heimlichen Zuhörern im Casino um. „Außerdem ist Madonna Lieblingssong von Al Capone! Und du bist nicht Al Capone, du bist idiota Carlito!“
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Am Privateingang des Schnurre Hauses klingelt es. Gleichzeitig ist unmissverständlich ein „Dida dadadadidadaaa“ zu hören. Monika öffnet die Haustür und sieht sprachlos und mit offenem Mund auf den doppelten Auswärtsbesuch. Zum einen Henry, den Japaner vom Flughafen mit den zwei Fotoapparaten quer über der Brust und hinter ihm, in aller Bescheidenheit und immer noch im Nachthemd der Havelstein Klinik: DAS ETWAS, die Schaufensterpuppe. Einigermaßen fassungslos um nicht zu sagen hilflos, steht Monika den Besuchern gegenüber. Crash, der Hund, hat da weniger Probleme, er schnüffelt erstmal neugierig an beiden. Es passiert nichts, ein Zeichen, dass Crash für das Mädchen kompatibel ist, er dankt es ihr schwanzwedelnd. Der Japaner allerdings scheint Crash weniger zu interessieren, denn der ist Sushi-Esser, das heißt er liebt rohen Fisch, und Crash ist ein Hund und keine Katze, die den leichten Fischgeruch den der Japaner ausströmt sicher freudig beschnuppern würde.
„Ameliiiiie! Schnell!“ schreit die völlig überraschte Monika und fährt stotternd fort „Also … ich weiß jetzt gar nicht … Ameliiiie! Der lächelnde Japaner verstärkt sein Lächeln zu einem Grinsen.
„Surprise!“ Darauf antwortet Monika.
„Du bist Henry …?“ Der nickt ausgesprochen fröhlich worauf Monika die Puppe im Nachthemd in Augenschein nimmt.
„Und du …“ „Yeah, ich bin der Mann von dein´ Sister“, unterbricht der Japaner und hat damit ein großes Geheimnis von Monikas Schwester Rosl gelüftet. Der Japaner ist halt auch Amerikaner oder umgekehrt. Sowas kommt vor im Land der unbegrenzten Möglichkeiten.
Umso verwirrter ist jetzt Monika. „Jaja, die …die da...Ameliiiiie!“
Auf der Straße hält jetzt der VW-Bus mit der Aufschrift ´Schnurres Modelädchen`. Bernhard steigt aus und kommt auf das Haus zu. Irgendwas ist geschehen vermutet er und nähert sich vorsichtig der Versammlung. Oben im Wohnzimmer starren Amelie und Mick fasziniert auf den Großbildschirm, an den Mick den i-Pad angeschlossen hat. Dort sehen sie, klar und deutlich durch die Augen der Puppe, wie Monika erneut hilflos schreit
„Ameliiiie!“ Und dann guckt DAS ETWAS in die andere Richtung und sieht – und die Kinder sehen es mit – wie Bernhard vorsichtig näher kommt und dabei ruft „Was geht denn hier ab?!“
Ein Blick zwischen Amelie und Mick und schon rennen beide los wie auf Kommando. Vor der Haustür steht nach wie vor unbeweglich die Puppe und beobachtet die Szene. Und natürlich ist auch das „Dida dadadadidadaaa“ zu hören, weil das Schaufenstermädchen offensichtlich die Situation scannt. Monika findet allmählich ihre Fassung wieder und versucht als gute Gastgeberin die Gäste einander vorzustellen. „Das ist der Mann von der Rosl, Bernhard!“ Und Henry, der amerikanische Japaner oder japanische Amerikaner sagt freundlich grinsend zu Bernhard „Wir kennen uns … from the Airport!“ „Vom Flughafen?“ antwortet Bernhard und kann oder will sich nicht an ihn erinnern, so peinlich ist ihm die Sache. „The crazy man in der Telefonzelle! Das muss ick gleich mein Rosl erzählen.“ Er fummelt ein Handy aus der Tasche, zum Anruf aber kommt es nicht mehr, denn die Treppe herunter poltern Mick und Amelie und bleiben dann wie erstarrt stehen. Amelie flüstert Mick ins Ohr „Sie isses!“ Und Mick flüstert zurück „Wer von beiden?“
„Blödmann! Wir nennen sie von jetzt ab ‚I‘!“ Und weil Mick gleich kapiert was Amelie meint, bestätigt er kurz und gibt der Schwester ‚five‘. „Von ICH und i-Pad, okay! DAS ETWAS heißt ab jetzt ‚I‘!“ Bernhard versucht nun die merkwürdige Empfangssituation zu überspielen und stellt seine Kinder dem Onkel aus Amerika vor „Das ist euer Onkel Henry aus Amerika!“ Der amerikanische Japaner verneigt sich mit gefalteten Händen und bis über beide Ohren grinsend. Aber Amelie und Mick haben ihr Augenmerk bereits auf den anderen Besucher gerichtet. Reflexartig verneigt sich Bernhard mit gefalteten Händen vor der Puppe. Der Japaner lächelt japanisch, Monika stößt Bernhard kopfschüttelnd an mit einem typischen ´Was soll das denn?`Gesichtsausdruck, weshalb Bernhard verunsichert ist und ihr mit einem Achselzucken antwortet.
Deshalb springt Amelie ein und übernimmt souverän die Vorstellungsarie. Sie räuspert sich und fragt dann die Puppe freundlich und direkt. „Und du bist …? Wie heißt du?“ Darauf rasselt DAS ETWAS - das die Kinder ab sofort „I“ nennen - alles herunter, was sie bis jetzt an Sprache gelernt hat. „Is‘ n Scheißspiel! Wenn möglich, bitte wenden. Volltreffer! Verarschen kann ich mich selber. Telefonieren! Bravissimo Idiota! Telefonieren!“ Während der Redeschwall bei Monika und Bernhard ein ungläubiges Staunen auslöst, können sich Amelie und Mick das Lachen nicht verkneifen. Beide prusten los. Der amerikanische Japaner tut es ihnen nach. Jedenfalls sieht es so aus wenn man für einen Augenblick vergisst, dass Onkel Henry offensichtlich mit einem Lächeln im Gesicht geboren ist. Monika gibt sich jetzt einen Ruck, reißt sich zusammen und geht auf das Mädchen zu, will sie umarmen mit einem fröhlichen
„Herzlich willkommen, Kleine! Aber erstmal brauchst du was Anderes zum Anziehen. Berniiiiie …?“ Doch anstatt auf das freundliche Angebot erfreut zu reagieren, tritt die Puppe zwei Schritte zurück und sagt mit unbewegtem Gesicht. „Pfoten weg, ihr Arschlöcher! Wie wär‘ s mit einem Danke.“
Monika ist erneut stark verunsichert, fast wäre ihr wieder ein Hilferuf Marke ´Ameliiiie` rausgerutscht. Aber sie fasst sich, ein kleines bisschen beleidigt.
„Entschuldigung, dann eben nicht.“ Crash scheint ihr zuzustimmen und stößt deshalb ein deutliches „Wuff!“ aus. DAS ETWAS, das jetzt „I“ heißt, beugt sich hinunter zum Hund, der sie gerade noch einmal schwanzwedelnd beschnüffelt – und beschnüffelt nun ihrerseits den Golden Retriever, dabei ist deutlich ein
„Dida dadadadidadaaa“ zu hören. „I“ hat den Hund abgespeichert und für kompatibel befunden.
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Auf dem Großbildfernsehgerät, das mit dem i-Pad verbunden ist, kann man sehen wie die Tür zu Amelies Zimmer geöffnet wird, Amelie und Mick kommen herein, drehen sich um und winken „I“ nachzukommen. Im Nachthemd betritt die Puppe das Zimmer und hört, falls sie im menschlichen Sinne hören kann, was zu diesem Zeitpunkt niemand genau weiß, wie Amelie voll Stolz und mit großer, den Raum umfassender Geste sagt. „Das ist meins! Komm nur, musst keine Angst haben.“ Und dann zeigt sie mit spitzem Finger auf ihre Puppen, Plüschtiere, das kleine Piano, das i-Pad. „Meine Spielsachen. Bücher. Meine CDs. Das Klavier. Das i-Pad.“ Und über alle Backen grinsend unter bricht Mick und fährt fort. „Da ist dein Programm drin, Puppa. Alle deine Top Secrets. Aber das rocken wir noch.“„Dida dadadadidadaaa“ ertönt es aus dem Mädchen und gleichzeitig ist auf dem Großbildschirm zu sehen, dass sie das i-Pad fixiert. Im Ticker-Tape am unteren Bildrand laufen Daten auf. Dann richtet sich der Blick auf das Fernsehgerät, während Amelie um Eindruck zu schinden flüstert.
„Wir haben vierundfünfzig Programme!“ Um das zu beweisen schaltet Mick ein paar Kanäle durch und bleibt dann bei einer Werbung hängen: Auf dem Schirm sieht man, wie Kinder ein Müsli löffeln, ihre Gesichter sind mit Joghurt verschmiert. Und eine Frauen-Fernsehstimme sagt lachend dazu „Lieber lecker, lieber leichter! Ein Mayer-Joghurt! Naturfrisch auf den Tisch – auch für unsere Kleinsten!“ „Dida dadadadidadaaa“ tönt es aus der Puppe und Amelie beeilt sich zu sagen „Ich mag lieber Pizza!“ Was „I“ jetzt wiederholt zur Überraschung der Kinder. „Pizza. Pizza?“ Und Amelie erklärt wie eine Kindergärtnerin aus der Kita. „Pizza ist Pizza! Ist hamm, hamm! Essen!“ „Dida dadadadidadaaa!“
macht „I“ und speichert das Gehörte und Gesehene ab. Mick muss an sich halten, um nicht laut loszulachen. Er drückt wahllos die Fernbedienung um die Puppe zu weiteren Reaktionen zu ermutigen: ein Nachrichtensender mit aktuellen Börsendaten. „Fernsehprogramme vom Allerfeinsten!“, belehrt Mick die beiden Mädchen.„Dida dadadadidadaaa!“ Auch die Börsendaten speichert die Puppe ab, sie scheint unersättlich darin zu sein Informationen aller Art zu sammeln. Amelie findet Micks Versuche wiederum gar nicht lustig. „Lass den Blödsinn, Mick. Was ist denn schon fein an Aktien?“ „Das merkst du erst, wenn du welche hast“, vermeldet der Spezialist für Börsenkurse und Anlagen. Amelie kontert. „Aber nur wenn sie steigen! Wirtschaftskunde! Unterrichtsgebiet im Curriculum der Schulbildung, Herr Oberlehrer!“ „Genau, Frau Doktor!“ Und dann flüstert er übertrieben laut ins Ohr von „I“ „Das ist immer noch besser als der Shit, den sie sonst immer guckt: ´Mein Name ist Liebling`! Boah, gleich muss ich kotzen!“ „I“ kann vermutlich zu diesem Zeitpunkt noch nicht unterscheiden was ein Scherz ist und was für sie wichtig ist zu lernen. Vorsorglich speichert sie erstmal alles ab und spricht es nach, wenn auch ohne Begeisterung „Mein …Name ist …Liebling!“ „Jetzt hat sie das gelernt, Schwachkopf!“ Amelie regt sich auf über Mick muss aber zugleich lernen, dass sie selbst in ihrer Wortwahl vorsichtig sein muss, denn „I“ wiederholt ohne zu zögern. „Boah! Gleich muss ich … kotzen, Schwachkopf!“ Mick hält es nicht länger, er prustet los, will sich ausschütten vor Lachen. Amelie stimmt ein und nach kurzer Zeit übernimmt „I“ das Gelächter ebenfalls. Man weiß allerdings nicht, ob sie sich wirklich amüsiert oder das Lachen nur in ihrem Speicher ablegt.
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In der Küche des Schnurre Hauses geht es hoch her. Monika ist nämlich gerade dabei das Abendessen vorzubereiten. Für die Familie und die Gäste, alle wollen ja gesund leben, braucht es nach ihrer Meinung ungeheure Mengen von frischem Salat. Bernhard, hilfsbereit wie sonst nur selten, versucht seiner Frau zur Hand zu gehen und gleichzeitig ein Problem loszuwerden. Monika weiß, wo ihn der Schuh drückt, tut aber harmlos mit ihrer Frage „Also, Schatz, worum geht‘ s?“
Bernhard wiederum weiß, dass seine Frau genau weiß worum es ihm geht, sie sind immerhin schon über 15 Jahre verheiratet und da kennt man sich (glauben viele Ehepaare), weshalb ihn das Versteckspiel ärgert und er entsprechend aggressiv reagiert. „Worum, worum schon, he? Unser Auswärtsbesuch! Mann, Mann, was machen wir bloß.“ „Es wird sich schon irgendwie irgendwas ergeben.“ Monika taktiert ein bisschen herum obwohl sie genau weiß, dass Bernhard sich mit dieser ´politischen` Art‚ wie er es nennt, nämlich nicht konkret auf eine konkret gestellte Frage zu antworten, niemals zufrieden geben wird. Das bringt ihr Mann aus sogleich zum Ausdruck. „Hör mal, wir kennen die doch gar nicht! Was ist das überhaupt für eine? Wo kommt sie her? Wird sie vielleicht ferngesteuert? Vielleicht kommt sie von einem anderen Stern, ist gefährlich? Eine die so extrem anders ist. Vielleicht steckt sogar ein Dienst dahinter …“ Monika unter bricht den Redeschwall und versucht gleichzeitig die Aufregung zu dämpfen. „Ein Service?“ „So ein NSA ´Prism` Programm …“
„ …das Edward Snowden nicht verraten wollte!“ kichert Monika. „Du hast gut lachen. Du hast keine Ahnung, was da alles dranhängen kann“, regt sich Bernhard auf. „Man hat doch eine Verantwortung für die Familie! Und dazu noch der Ami …“„Ein Schwager, Bernie, ist ein Verwandter! Der gehört auch zur Familie!“ „Was heißt a u c h“, schreit der Choleriker plötzlich los, „ist die … das Etwas, ist die jetzt auch schon eine Verwandte, oder was?“ „Schatz, wir sollten das vielleicht nicht so eng sehen, wo doch alle Welt andauernd von Integration redet.“ Bernhard ist ob dieser Argumentation sprachlos. Er versucht die Mohrrüben mit der Geschwindigkeit eines Profikochs zu schnippeln. Es gelingt nur mäßig, was Monika zu der Bemerkung veranlasst „Vielleicht kann sie ja bald einfache Tätigkeiten im Haushalt übernehmen? Dazu müsste sie einen Lernkursus machen und sich dabei ihre neue Umgebung einprägen.“
„Einen Lernkursus?“ fragt Bernhard, einigermaßen erstaunt darüber, dass seine Frau sich in Sachen Roboter offensichtlich schon kundig gemacht hat.
„So nennt man das bei ´World Robotics` das ist so ein…so ein … also die beschäftigen sich hauptsächlich mit Roboter Technik in der näheren der Zukunft, soweit ich weiß“, bestätigt Monika Bernhards Gedanken und nimmt ihm zugleich das Schnippeln der Möhren ab. „Und wenn sie dann den Kurs bestanden hat, dient sie uns kostenfrei im Haus: putzt die Fenster, macht die Regenrinne sauber, mäht den Rasen, reinigt das Schwimmbad.“ „Berniiiiie! Wir haben kein Schwimmbad!“ „Vielleicht baut sie uns ja eines, wenn wir lieb zu ihr sind!“ „Warum nicht? Mit dem richtigen Programm kriegt sie das hin, bin ich ganz sicher. So ein Mädchen ist eine Bereicherung für die menschliche Gemeinschaft!“ Das regt Bernhard den Choleriker, der sich vorgenommen hat mehr relaxt durchs Leben zu gehen, noch mehr auf. „Ja, hauptsächlich für die Gutmenschen, die nicht mit dem Problem tagtäglich konfrontiert sind. T a g t ä g l i c h!! Und wir holen uns freiwillig so was ins Haus. Eine Schaufensterpuppe, gesteuert durch ein uns unbekanntes Computerprogramm! D a s g e h t n i c h t , Moni! Weil, weil … vielleicht können humanoide Roboter Bewegungsabläufe und Sprache durch Nachmachen erlernen, möglich. Will ich gar nicht bestreiten. So wie kleine Kinder halt. Und wie erklären wir das den Nachbarn, bitte?“
„Wir könnten sagen, dass „I“ eine Asylsuchende ist, dem Tod im Mittelmeer entronnen, oder so ähnlich.“ Fast sieht es so aus, als ob Monikas Argument Bernhard gänzlich die Sprache verschlagen hat. Soweit sind wir also, denkt er, seine eigene Frau, offensichtlich manipuliert von diesen rituellen Aufwallungen der Öffentlichkeit, die mit ihren sinnfreien Parolen die eigene Befindlichkeit zu beruhigen suchen! Hat sie Schuldgefühle und will sich ihrer auf diese Weise entledigen? Die eigene Ehefrau, das unbekannte Wesen?! „Das ist jetzt dein Ernst, ja? Die Puppe ist diesem Assad Mörder unter Lebensgefahr entkommen und bei uns untergetaucht nach dem Motto: ´Kein Mensch ist illegal!` Und dann beantragen wir das ´Bleiberecht für alle!` oder was? Abgesehen davon, was uns das vielleicht kostet.“ „Heute erst mal ein Abendessen“, sagt Monika so cool wie möglich und erwartet nun erst recht einen neuen Gefühlsausbruch von Bernhard. Aber Glück - denn in diesem Augenblick kommt Amelie in die Küche und fragt scheinheilig und für die Eltern ungewohnt „Kann ich was helfen?“„Ui, das sind ja ganz neue Töne, Schatz! Wo ist sie?“ „Bei Mick. Guckt Fernsehen. Irgendwas muss sie ja machen.“ Bernhard kann und will sich nicht zurückhalten und faucht, während sein Messer erneut beginnt Möhren zu schnippeln, „Darüber reden wir gerade, deine Mutter und ich.“ „Ja und?“, stellt sich Amelie harmlos. „Papa meint, sie kann nicht bleiben.“ „Wieso nicht?“
„Weil man bei uns hier in Deutschland nicht einfach so ein … so ein Teil bei sich aufnehmen und behalten kann.“ „Ein Teil?!“ fragt Amelie empört um sich gleich darauf aufzuregen „I“ ist doch kein Teil, Papa. Sie ist ein ... eine …“
Bernhard, auf ´s höchste alarmiert, geht unhöflich dazwischen, lässt seine Tochter nicht ausreden. „Ach ja! Eine bitte was?“ „Eine Asylantin!“ behauptet Amelie und steigert sich weiter rein. „Das sieht man doch, oder?! Auf jeden Fall eine Bereicherung für unser eingerostetes Familienleben. So, musst du das sehen, Papa!“ Jetzt holt Bernhard tief Luft, der große Krach ist anscheinend nicht mehr aufzuhalten. Aber Monika geht nun doch mutig dazwischen um zu verhindern, was dann zwar aufgeschoben aber nicht aufgehoben ist. Sie nimmt Bernhard das Messer und die Möhren aus der Hand und lobt ihn, das haben alle Männer gern. „Schatz, ganz prima gemacht. Und wenn du jetzt noch das besorgst was wir vorhin besprochen haben, nämlich das Waschpulver, dann versprech‘ ich dir, wir klären das ganz demokratisch in der Familie.“
„Jaja, so wie immer“ mault Bernhard, „über meinen Kopf weg!“ Aber auch Amelie weiß schon, wie mit störrischen Männern umgegangen werden muss und hängt sich deshalb bei ihrem Vater ein. „Dafür bist du aber auch unser Lieblings-Papa, Papa!“
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Im Gartenteil, hinter dem Haus der Schnurres, brennt ein Lagerfeuer. Große Sonnenschirme sind aufgestellt. Es regnet wieder mal in Strömen. Aber das ist auch der einzige, wenn auch ziemlich große und nasse ´Wermutstropfen` der die Planung von Monikas Party für die speziellen Gäste ein wenig verwässert.
Endlich kann sie es allen zeigen, nämlich dass die ewige Hausfrau und aus ihrer Sicht alleinerziehende Mutter mehr drauf hat als nur Gemüse für den Eintopf zu schnippeln, das Haus sauber zu halten und hin und wieder (viel zu oft, nach Bernhards Meinung) die gesamte Wäsche zu waschen, mit einem Wort, der Dienstbote, die Angestellte, ach was, die Sklavin für alle in der Familie zu sein. Eine Familie, wo anscheinend jeder glaubt er könne sein Leben so vor sich hin leben wie es ihm gefällt ohne jegliche Verpflichtung den anderen gegenüber.
Monika hat in dieser Hinsicht einen Komplex. Sie fühlt sich nicht nur häufig unbeachtet und ausgenutzt, nein, sie muss immer wieder darüber nachdenken, ob es nicht an der Zeit ist sich selbst zu verwirklichen, eigenständiger zu werden, selbstbestimmter. So wie ihre Mutter, die sich überraschend für alle zügig über Nacht aus dem familiären Staub gemacht hatte und ihre Kinder beim Erzeuger zurückließ, dem Inhaber von ´Schnurres Modelädchen`, einem spießigen Geschäftsmann eben, der einer ehemaligen Künstlerin nichts zu bieten hatte, außer vielleicht eine gewisse finanzielle Sicherheit in den wunderbaren Nachkriegsjahren des ewigen Aufschwungs. Ihr Abgang war leise und unauffällig, ganz gegen ihre Natur und sonstigen Gewohnheiten. Bis zu diesem Zeitpunkt aber war die Stimme von Monikas ´Mammeli` nie zu überhören. Als Schauspielerin hat sie in ihren jungen Jahren bühnentechnisch perfekt sprechen gelernt, die Stimmbänder gedehnt, geformt und gebildet. Zuerst die Technik mit dem „Kleinen Hey“: ´Jetzt wetzt der Letzt gehetzt entsetzt des Messers flitzge Spitz` um danach, im Rollenstudium, schrill und kräftig zu schreien, hasserfüllt zu schimpfen, herzerweichend zu weinen, das war Übung und Pflicht zugleich. Einen Ausbruch hinlegen, nennt man das. Einen Ausbruch in einer bestimmten Rolle auf einer großen Theaterbühne perfekt hinzulegen und danach den Jubel des Publikums einkassieren: Das sind ´Die Bretter, die die Welt bedeuten`! Die bürgerliche Regel dafür lautet, je größer der Schauspieler auf der Bühne, umso mehr bringt er oder sie Theater und Privatleben durcheinander. Es soll Mimen geben, die im Kreis der Familie absolut glaubwürdige Ausbrüche hinlegen, auf der Bühne hingegen eher bescheiden ´rüberkommen` und von gehässigen Kollegen, hinter vorgehaltener Hand natürlich, als Garderoben Clown bezeichnet werden. Mutter Mammelie gehörte nicht in diese Kategorie, sie war streng zu sich selbst, Disziplin war lange Zeit ein wichtiger Punkt in ihrem Leben, ausreichend hatte sie in Kindheit und Jugend davon erfahren müssen. Streng ging man damals um mit dem Nachwuchs, insbesondere wenn er aus gutem Hause kam. Und Mammelie kam aus gutem Hause. Ihr Vater Mathias Edlig war ein tüchtiger und beliebter Oberkellner in einem angesagten Münchener Bierkeller. Dort lernte er Rosa, die Tochter der Pächterin kennen, die beiden heirateten und das Ergebnis war Monikas Mammelie, zwei Jahre davor ihre Schwester Gretl und später, sehr viel später das Nesthäkchen Kurt. Die Familiengründung verlief ruhig, ohne Komplikationen und alles in allem sehr diszipliniert. Das Geschäft brummte, gesoffen wird immer, viel Bier bringt viel Geld und viel Geld schafft Macht und damit die Möglichkeit gesellschaftlich aufzusteigen, durch den Erwerb eines Hotels in bester Lage zum Beispiel. Alles eine Frage der Disziplin! Der mahnend erhobene Zeigefinger unterstreicht die mahnend erhobene Stimme des gestrengen Papas. Jawoll! Und Disziplin ist Stärke! Das muss der Herr Vater wenig später von seiner jüngsten Tochter erfahren, als ihm Mammelie eröffnet, dass sie vorhabe Schauspielerin zu werden und deshalb beabsichtige eine dafür geeignete Schule zu besuchen. Energischer väterlicher Widerstand – viel diskutiert und schließlich gebrochen von einer disziplinierten, emanzipierten, sehr engagierten jungen Frau, die sich fortan Lola nennt und nach Abschluss der Schauspielschule ihr erstes Theater Engagement im österreichischen Brünn antritt; Würzburg, Stuttgart und schließlich Berlin folgen. Wer ist der geschäftstüchtige junge Mann, der gerade noch rechtzeitig vor der 1. Hauptprobe die vom Theater in Auftrag gegebenen Trachtenkostüme liefert. Edeltraut, die brave Garderobiere, klärt auf: Alphons Schnurre heißt er und besitzt ein kleines Modegeschäft, das exakt die Kleider auf Lager hat, die für das dramatische Bauernstück, das in einem entlegenen Dorf im öden Niederbayern spielt, kostengünstig gebraucht werden. Mammelie war immer schon neugierig auf das Leben, auf neue Rollen, auf die Menschen hinter den Rollen und nun auch auf den Menschen, der die original bayerische Bekleidung für diese Rollen zu liefern hatte. Und Monika, ihre doch leibliche Tochter, wenn auch irgendwie aus der Art geschlagen, fühlt manchmal ganz ähnlich wie Lola, nur sie kommt einfach nicht dazu so zu sein wie Mammelie war. Warum eigentlich nicht? Fuck! Verdammt noch mal, ehrlich! Mit ihrem Bernhard kann sie diese Gedanken sowieso nicht teilen, nicht darüber reden, ihre Gefühle und Ängste nicht artikulieren. Als Macho der alten Schule nimmt er seine Frau und ihre selbstgemachten Problemchen nicht ernst, würde grinsend ironische Bemerkungen vom Stapel lassen und darauf hinweisen, dass es anderen erheblich schlechter geht. Dass andere auf diesem Globus echte, wirkliche, lebensbedrohende Gründe für Klagen haben. Nicht nur Hunger und Durst, nicht nur Krankheit und keine medizinische Versorgung, nein, Mord und Totschlag durch korrupte Regierungen und religiöse Fanatiker sind weltweit an der Tagesordnung, davor darf man die Augen doch nicht verschließen, auch wenn sich gelegentlich die künstlerische Ader ihrer Mammelie zu Wort meldet, richtig? Aber wenn sie meint, dass die Welt schön und heil ist nur für die Schnurres nicht, dann soll sie doch einfach mal ihren Blick in die Ost-EU-Länder richten, würde er sagen, oder nach Afrika, und warum denn so viele Menschen zu ´uns` rüber wollen? Und die Antwort hätte er auch gleich parat: Weil wir für diese Leute vergleichsweise das Paradies sind, hier in Good Old Germany keinen Hunger kennen, jede Menge (viel zu viel) trinken können, ein Dach über dem Kopf und was zum Anziehen (viel zu viel) im Schrank haben und das seit Jahren, seit Jahrzehnten, seit dem 2. Weltkrieg und den verdammten Nazis. Und obwohl er ja das Glück der späten Geburt hatte (um mit Altkanzler Kohl zu reden), also in den späten Nach-Ludwig- Erhard Wirtschaftswunder-Jahren aufwuchs, müsse er doch eines heute mal feststellen dürfen ohne gleich in die rechte Ecke gedrängt zu werden: Bei den Nationalsozialisten herrschte Ordnung und Ruhe und mal abgesehen von den dummen Sprüchen, dass Hitler die Autobahn gebaut hat von der wir heute angeblich noch profitieren, also abgesehen davon, wären solche Exzesse und Schandtaten, wie sie täglich in allen Medien verbreitet werden, nicht möglich gewesen. Diesen Dreck wie zum Beispiel: Deutschland sucht die supermäßigen Models, die geilen Sänger, die armen Bauern suchen Frauen, die auch das Vieh lieben und diesen ganzen Scheiß! Nee, das hätte es damals alles nicht gegeben, abgesehen davon natürlich, dass es so richtig noch kein Fernsehen gab und schon gar nicht Internet und Spyware und Cyber Attacken. Und schon deshalb, würde Bernhard sein Referat dann abschließen, schon deshalb kann er nur zu äußerster Vorsicht raten! Nicht nur wegen der computergesteuerten Schaufensterpuppe, die immer mehr menschliche Züge annimmt, nein, auch wegen dem Schwager, dem japanisch-amerikanischen. Denn heutzutage kann man niemandem trauen, wer weiß weshalb der Ami plötzlich hier auftaucht und ob er nicht mit irgendwas von irgendwem beauftragt worden ist, oder noch schlimmer, ob er vielleicht „umgedreht“ ist, wie die Spionage Fachleute das nennen, und für die Chinesen oder Russen Geheimnisse rauskriegen soll an die man durch Abhören von Telefongesprächen oder dem abfangen vom E-Mails einfach nicht dran kommt.
Trau, schau, wem, hat schon der Ur-Alt-Bundespräsident Lübke seinerzeit immer gesagt und obwohl der in seiner Amtszeit schon ziemlich Gaga, heute sagt man vornehm „dement“ war, hat er doch in manchen Dingen richtig gelegen. Damals schon. Punkt. Und nach diesem politisch/ menschlich/ weltweiten Überblick-Monolog würde Monika um des lieben Friedens willen den Mund halten, allerdings ohne damit dem Allerwelts- Geschwafel und Dampf-Geplaudere ihres Mannes zugestimmt zu haben (so viel ´Mammelie` fließt doch noch durch ihre Adern). Und in manchem hat er ja auch nicht Unrecht, versucht sie sich selbst zu überzeugen, besonders in seiner Behauptung, dass früher, viel früher …Was war das doch gleich? Schon hat sie es wieder vergessen oder verdrängt und ganz so wichtig war es auch wieder nicht denn jetzt ist etwas anderes angesagt: sie ist Gastgeberin, steht also im Mittelpunkt und das für einen ganz besonderen Auswärtsbesuch. Toleranz und Großzügigkeit sind gefordert und das wird sie liefern. Einen guten Eindruck machen und davon noch lange Zeit später profitieren. Wer weiß, wofür das alles gut ist, hat Mammelies Schwester, die alte Tante Gretl immer gesagt, ja, wer weiß? Der Regen indes will nicht aufhören und Monika hat jetzt alle Hände voll zu tun, dass das gemütliche, speziell deutsche Essen, für die ausländischen Gäste nicht buchstäblich ins Wasser fällt. Tut es nicht. Unter den Schirmen sitzend essen „I“, Onkel Henry, Bernhard, Amelie und Mick mit großem Appetit: Doppel Whopper und Chicken Mc Nuggets. Nur Crash beteiligt sich nicht an der Fressorgie und Monika behält souverän den Überblick und liefert gelegentlich nach – ganz wie sonst auch immer. Mick ist der erste, der sich kauend positiv äußert, auch wenn es nicht gerade das Lob ist, das Monika erwartet hätte „Besser kocht Mama auch nicht …“ „Halt die Klappe!“ verteidigt Amelie ihre Mutter. „Ich bin ein Schwachkopf, große schlaue Schwester, schon vergessen“ kontert Mick und beweist wieder mal, dass er immer das letzte Wort haben muss. Monika aber, unermüdlich um Harmonie und Frieden bemüht, versucht es im Scherz „Bloß keinen Streit vermeiden!“ und an „I“ gerichtet „Schmeckt’ s dir, Schatz?“ „I“ – weiterhin im Nachthemd – testet mit vollen Backen und gehörig lauten Verdauungsgeräuschen den Whopper, speichert anschließend alles ab was das Sandwich so zu bieten hat. Die Nährwerte sind im Ticker-Tape an der unteren Bildschirmkante nachzulesen: 670 kcal-Kohlehydrate 51g – Zucker 11g – Ballaststoffe 3g – Fett 50g – gesättigt 11g – trans 1,5g – Protein 28g – natrium 1020 mg – Energie aus Fett 350 kcal – Cholesterin 115 mg. „Dida dadadadidadaaa“ Und ohne zu wissen, dass „I“ gerade die Zutaten des Whoppers verinnerlicht hat flüstert Henry der Puppe ins Ohr. „Essen made in Germany! I’ve to tell about Rosl! Das muss ich meiner Rosl erzählen. Great!“ „I“ sieht ihn emotionslos aber durchaus aufmerksam an und wiederholt, was sie vorhin vom Werbe-Fernsehen gelernt hat. „Lieber lecker, lieber leichter! Ein Mayer Joghurt! Naturfrisch auf den Tisch – auch für unsere Kleinsten!“ Henry ist zwar verdutzt, knipst aber dann sein japanisches Lächeln an. Grünes Licht für die Schnurres, die lauthals loslachen. Im Ticker-Tape wird die Mahlzeit als kompatibel/ verdaulich ausgewiesen. „I“ reicht ein Stück vom Whopper an Crash weiter. Doch der Hund rümpft die Nase, ein Zeichen, dass er von diesem Fraß mehr zu verstehen scheint als die mit Appetit essenden Menschen.
*
Vor dem Garten, draußen auf der Straße, wird ein altes Auto ordnungsgemäß neben Schnurres VW-Bus eingeparkt. Ein weiterer Auswärtsbesuch ist eingetroffen, allerdings ohne Einladung. ´Bleifuß` Giacomo und ´Seifenhändchen` Carlito konnten dank ihrer „italienischen Beziehungen“ zur deutschen Polizei das Kennzeichen des VW-Bus mit der Werbeaufschrift ´Schnurres Modelädchen` ausfindig machen. Beide unterhalten sich in ihrer Muttersprache, zum besseren Verständnis hier aber gleich in deutscher Übersetzung. „Was hab ich dir gesagt, Amico?!“ zischt Giacomo seinem Kumpan zu und stellt Scheibenwischer und Motor ab, denn es regnet nach wie vor heftig. Carlito ist nicht der Schnellste im Kopf, wie wir schon vom Spielsalon wissen und fragt deshalb naiv „Was hast du mir gesagt?“„Ich habe dir gesagt, was mir unser Freund von der Polizei gesagt hat!“ Giacomo ist nervös und zugleich schon wieder genervt davon, dass sein Partner nie, aber auch wirklich niemals geistig auf gleicher Höhe ist wie er selbst. Weil er, der große Giacomo, italienisch selbstverständlich davon überzeugt ist ständig auf der Höhe der Zeit zu sein. Deshalb ist er ganz erstaunt, dass ihm Carlito in aller Ruhe und ohne jede südländische Aufgeregtheit antwortet. „Dass wir hier richtig sind: bei Schnurres Modelädchen“. „Molto bene, amico. Nur ein intelligenter Mafioso ist ein guter Mafioso.“ „Sagst du!“ „Sagt Don Brandolo!“ Sie nicken sich ernst und wichtig zu und verlassen das Auto. Leider regnet es immer noch, was Carlito veranlasst einen schlimmen Fluch auszustoßen, den man nicht so einfach wieder geben kann. Ins Deutsche übersetzt würde es ungefähr heißen
„So eine Scheiße, wir sind angepisst!“„Pssst! Idiota!“ stößt ihn Giacomo an und sieht wieder einmal bestätigt, dass Carlito niemals auf gleicher Höhe mit ihm sein wird, mit einem echten Rennfahrer und Sieger bei zahlreichen Straßenrennen. Da muss man schnell sein im kühlen Kopf, reagieren in null Komma nix Bruchteilen von Sekunden. Ein Kunstschütze, der immer trifft weil er daneben schießt, hat deshalb nicht das Zeug zu einem echten Mafioso. Eine Frage von höchster italienischer Qualität. Da nützt die beste und längste Ausbildungszeit nichts. Ein Einbruch oder Überfall auf ein deutsches Häuschen, das zur Tatzeit leer steht, weil im Garten Party gemacht wird, gehört schließlich zu den leichteren Übungen. Selbst wenn die geplante Geiselnahme erschwerend hinzukommt. Aber die Deutschen kommen in diesem Fall hilfreich entgegen. So dumm, und dabei muss Giacomo grinsen, so dumm können auch nur die Germanen sein, bei Regen im Garten zu feiern. Ein Glück aber für Carlito stupido, denn exakt diesem Umstand hat er es zu verdanken, sich heute als perfekter Anwärter beweisen zu können. Vom Auszubildenden bis hin zu einem echten, weltweit anerkannten Mafioso ist dann allerdings noch ein weiter Weg. Und ohne Giacomo, dem besten Mann von Don Brandolo, dem Paten in dieser Stadt, geht gar nichts.„Attenzione!“ flüstert Giacomo drohend und sieht zu, wie Carlito ungeschickt versucht den brüchigen, dringend einer Reparatur bedürftigen Zaun vom Schnurre Grundstück zu übersteigen. Aus der Sicht der beiden Mafiosi prasselt das Lagerfeuer erneut auf, Bernhard hat neues Holz hineingeworfen. Der Regen lässt die Flammen aber sogleich wieder kleiner werden. Onkel Henry macht dennoch jede Menge Fotos vom Feuer, von „I“, von der Familie Schnurre. Die hocken nach wie vor gemütlich unter den Schirmen und essen mit Freude und Appetit. Giacomo und Carlito läuft bei diesem Anblick das Wasser im Mund zusammen. Triefend nass inzwischen, verständigen sie sich „hochprofessionell“ durch Handzeichen und schleichen in gebückter Indianer Haltung um das Haus herum. Mick hat inzwischen sein Banjo geholt. Der Experte für Country-Musik spielt recht und schlecht und mit kaum erkennbarer Melodie den Yankee-Doodle, zur Ehre für den japanischen Amerikaner, wie er behauptet. Die stolzen Eltern applaudieren, worauf Mick das Banjo an „I“ weitergibt, die mit einem „Dida dadadadidadaaa“ die wenigen Griffe abspeichert und schnell nachspielt. Das weckt den Ehrgeiz von Bernhard, er geht um sein original amerikanisches Banjo zu holen. Henry wird zunehmend fröhlicher und lauter, so sehr gefällt ihm Deutschland und das deutsche Bier.
„Country Music very good! Das muss ich Rosl erzählen!“ Ein bisschen neidisch kann man bei so viel Freude am deutschen Familienleben schon werden. Das würde Amelie natürlich nie zugeben, will sich aber eine Bemerkung nicht verkneifen. „Ich kann ja mein Klavier runterholen!“ sagt sie und beginnt gleich darauf zu lachen. Ein Scherz überbrückt jeden Anfall von Frust. Bloß nicht darüber nachdenken. Auch ist Bernhard jetzt zurück, mit seinem Banjo, und spielt ebenfalls den Yankee Doodle. „I“ antwortet zur Überraschung aller auf Micks Banjo. Es hört sich gut an. Bernhard spielt schneller, auch „I“ legt an Tempo zu. Es entwickelt sich eine Art „Dueling Banjos“, wie in ´Deliverance`, einem US-Film, den Monika und Bernhard vor Jahren in einer nächtlichen Retrospektive im Kino gesehen hatten. Damals, verdammt waren wir jung damals, denkt Bernhard während er sein Instrument bearbeitet, damals jedenfalls entwickelte sich eine Riesendiskussion mit Freunden, wie weit denn ein Kinofilm gehen kann. Es war eine üble Sexszene, mit allem Drum und Dran, die gezeigt wurde. Der arme Ned Beatty, eigentlich der Spaßvogel in der vier Männer Gruppe, die, um der Großstadt zu entfliehen eine abenteuerliche Flussfahrt unternommen hatten, wird mitten im Wald von einem Holzfäller vergewaltigt und seine gefesselten Freunde müssen die Sauerei hilflos mit ansehen. Wie gern wäre Bernhard der Held gewesen, damals, er hätte Monika noch mehr imponiert und die Holzfällerbande einfach umgelegt. Auge um Auge – Zahn um Zahn! Im Film hätte das eigentlich Burt Reynolds erledigen müssen, ein Großmaul und angeblicher Experte für Abenteuer, mit seinem irren Jagdbogen, den ein normaler Mensch nicht spannen konnte. Aber der war irgendwie gehandicapt, wodurch eigentlich? So richtig kann sich Bernhard nicht mehr daran erinnern. Jedenfalls war das ganz offensichtlich ein Fehler im Drehbuch, so wie sie die Dinge damals sahen, und der nette Ned Beatty, der überhaupt nicht schwul war, musste es büßen. Und Monika hatte einen Grund weniger um ihren Bernie zu bewundern. Sie war übrigens ganz anderer Meinung als die Mehrheit der Freunde, fällt ihm jetzt ein, wahrscheinlich weil ein paar vererbte Gene ihrer hippen ´Mammelie` rebellierten, was zu einem ersten größeren Streit führte, den sie allerdings noch in der gleichen Nacht auf der Couch im elterlichen Wohnzimmer kompromissvoll beendeten. In der Erinnerung zupft er noch ein paar schräge Akkorde aus seinem Banjo. Bernhard hat Spaß und ist endlich mal locker.„Okay, okay! Klasse, gefällt mir!“ „I love it too!“ sagt Henry, der Amerikaner, und fährt fort in dem er „I“ applaudiert.
„Du sein gut für international friendship. Care for a gift?“ Und Monika übersetzt für „I“, wenngleich sie nicht wissen kann, ob die Puppe vielleicht Fremdsprachen beherrscht. „ Ein Geschenk will er dir machen?“ „Geschenk ?“
echot „I“ und Henry steht lächelnd auf und winkt ihr ihm zu folgen. „I“ tut es, Monikas Frage kann sie sowieso nicht beantworten „Was habt ihr vor?“ Das macht dann Bernhard, durch Banjo Spiel und seine Gedanken dazu friedlich und freundlich gestimmt. „Wart‘ s doch ab, Schatz!“ „Überraschung!“ schreit Mick und Amelie fügt hinzu. „Surprise!“ Jetzt kommt Bernhard wieder mit seiner alten Ironie Nummer „Nicht zu fassen, wie so ein Auswärtsbesuch auf einmal motiviert Fremdsprachen zu lernen“. „Solltest du auch mal versuchen, Papa“,
kontert Amelie und legt noch einmal Holz auf. Der flackernde Schein des Feuers huscht über die Gesichter der Schnurre Familie, ein bisschen hängt jeder seinen Gedanken nach. Das ändert sich aber schnell, denn jetzt erscheint „I“ mit unbewegtem Gesicht, was vielleicht ihren Stolz ausdrücken soll, wer weiß das schon, berechtigt wäre es allemal, denn neu gekleidet im grellen Outfit des amerikanischen Japaners sieht sie blendend aus, trotz der beiden spießig quer über die Brust gelegten Fotoapparate. Die Schnurres lachen, freuen sich, applaudieren, was „I“, die Situation scannend, zur Kenntnis nimmt.
„Dida dadadadidadaaa.“ Auf Onkel Henry warten sie allerdings vergebens. Mick reagiert als erster. „Der Ami wird doch nicht eingepennt sein?“ „Jetzt sieh halt nach, Bernie. Vielleicht hat er sich verirrt.“ Gehorsam steht Bernhard auf, entledigt sich seines Banjos und latscht gemütlich hinüber zum Schuppen. Mick kann nicht anders, er muss wieder einen Kommentar loswerden. „Ein Usaaahhhh Auswärtsbesuch im deutschen Geräteschuppen. Ohne GPS – das geht ja gar nicht!“ Bernhard kann seinen Sohn nicht gehört haben, er kommt aus dem Schuppen zurück und ruft lachend „Hat der kein GPS? Gibt’s das?“ Darüber lachen bestenfalls doofe Amerikaner, findet die Schnurre Familie, und Amelie macht darauf aufmerksam, dass sowohl bei den ´Simpsons` als auch bei ´Two and a half men` öfter mal jemand verschwindet und unter saukomischen Umständen wieder auftaucht. Der Henry ist vielleicht so ein Komiker, der ohne Lachkulisse nicht auskommt. Und dann brüllen alle im Chor. „Onkel Henry!!! H e n r i i i i i … !“ Und “I”, die natürlich keine Ahnung hat worum es hier eigentlich geht, scannt die Situation und wiederholt dann emotionslos aber ebenfalls laut. „H e n r i i i i …!“
*
Mit einem Kartoffelsack über dem Kopf, dazu gefesselt und geknebelt sitzt der Vermisste im Auto der beiden Italo-Gangster. Keine Chance also, den Rufen der Familie Schnurre zu antworten, selbst wenn er sie hätte hören können. Eine Entführung in regendunkler Nacht! Eine Geiselnahme?! Wie konnte das passieren? Und warum ausgerechnet Onkel Henry, der stets freundliche Amerikaner mit den japanischen Wurzeln, die sprichwörtlich asiatische Höflichkeit in Person. Henry selbst hätte keine Antwort darauf geben können. Er wusste nicht wie ihm geschah in Schnurres Geräteschuppen, alles passierte so plötzlich, so überraschend und so völlig lautlos. „I“ hatte das Nachthemd ausgezogen und nach längerem Gestikulieren mit Henry die Klamotten getauscht, überraschender Weise ohne sich vor ihm zu genieren. Dafür hatte der gute Onkel dem Mädchen genau erklärt, wie der Fotoapparat funktioniert und ihr dann geholfen das Teil zu bedienen. Zahlreiche Bilder waren die Folge, abgespeichert auf dem Chip der Kamera (Made in Germany, nicht in Japan!), und Henry war stolz auf sein japanisches Foto know how und hatte Spaß bei den Aufnahmen. Und „I“, die ihm aufmerksam zuhörte, hatte manchmal sogar ihr „Dida dadadadidadaaa“ eingeschaltet. Und während Onkel Henry noch darüber nachdachte was die Tonfolge bedeuten könnte, vielleicht ein Signal für ihn, sozusagen ein persönliches ´Vielen Dank, lieber Henry` hatte „I“ den Gerätschuppen verlassen und ihm wurde plötzlich dunkel vor Augen. Das lag an dem Kartoffelsack, wie er jetzt weiß. Der wurde ihm plötzlich und unerwartet hinterrücks über den Kopf gezogen. Ein Scherz, a Joke, dachte Henry, setzte in der Dunkelheit unter dem Sack sein amerikanisch japanisches Grinsen auf und kicherte, und kicherte und kicherte und lachte – bis er merkte, dass ihm hier übel mitgespielt wurde und keineswegs die Schnurres als Täter in Frage kamen.
Die Männer, es waren ohne Zweifel zwei Männer, sprachen nicht Deutsch, da war er sich sicher, obwohl der eine mehrfach ´Idiota` zum anderen sagte, was dem deutschen Idiot und dem amerikanischen ´idiot` doch ziemlich nahe kommt. Welche Sprache auch immer, dachte Henry während ihm das Grinsen unter dem Sack verging, so einen gekonnten Überfall bringen nur Professionelle fertig. Spezialisten in Sachen Raub und Geiselnahme, Mord und Totschlag, US-Gangster wie in seinem Lieblingsfilm mit Mel Gibson, wie hieß er doch gleich? Richtig ´Payback`, eine Neuverfilmung von ´Point Blank` aus dem Jahr 1967. Die Geschichte ist schnell erzählt: Mel raubt von chinesischen Geldwäschern 140.000 Dollar um sich in ein Syndikat einzukaufen und dann braucht er aber nur 130.000 und dann, und dann … Henry kann sich nun doch nicht so richtig erinnern an den Streifen, nur dass viel geschossen und gekillt wird und dass Mel Gibson am Ende trotz aller Gefahren überlebt … Das wünscht sich Henry unter dem Kartoffelsack auch, weshalb er versucht sich zu konzentrieren um zu verstehen, was die Gangster, wie gesagt es müssen zwei sein, da gerade bereden.
(Natürlich sprechen echte Mafiosi echtes Mafiosi Italienisch. Der Einfachheit halber und zum besseren Verständnis für Leser und Leserinnen wird es hier gleich mal ins Deutsche übersetzt)„Der Don wird uns ehren!“ krächzt Carlito mit vor Aufregung heiserer Stimme. Cool und wie immer über den Dingen stehend antwortet Giacomo. „Che bello: Kar … toffel … sack!“ Und dann fragt Carlito, der anscheinend genauso gern ins Kino geht wie der Gefangene unter dem Sack, seinen amico Giacomo, seinen Freund. „Kennst du den Film ´Der Pate`? Die Amici haben immer mit Kartoffelsack Entführung gemacht.“
„Wir sind Ehrenwerte Gesellschaft. Auch ohne Kino“, schnappt Giacomo streng und schaltet an der Ecke den Wagen herunter. Zum Glück, denn in hohem Tempo kommt gerade ein Streifenwagen heran. Die Polizisten Klaus und Erika sind mit Blaulicht unterwegs zum Schnurre Haus. Ein Notfall, ein Verbrechen, mitten in der Hauptstadt! Wer hätte das gedacht? Inzwischen hat es aufgehört zu regnen. Klaus und Erika, die Streifenwagen Polizisten, durchsuchen mit Taschenlampen den Geräteschuppen. Ausrangierte Modepuppen, Arme, Beine, Werkzeug, Eimer, stören enorm bei dieser Arbeit. Bernhard, Monika und Amelie stören auch, denn nach dem Motto ´Die Polizei bittet um Ihre Mitarbeit` wollen sie den Beamten bei der Aufklärung des Falles behilflich sein.
Polizistin Erika, nach eigener Aussage kein Fan der lange schon inflationierten Krimireihe ´Tatort`, beginnt die Polizei übliche Ausfragerei dennoch mit der im Fernsehen üblichen Frage „Das ist der Tatort?“ Worauf Bernhard, er ist TATORT Fan, einigermaßen irritiert antwortet. „Naja, also Tatort! Von hier ist der Onkel jedenfalls verschwunden.“ Polizist Klaus macht sich Notizen, dazu hat er sich eigens einen Notizkalender zum aufklappen beschafft, so wie ihn sein Lieblingskommissar, der glatzköpfige Kojak aus dem US-Fernsehen immer benutzt hat. Auf Kojaks ´Lolli` hat er allerdings bisher verzichtet, nicht zuletzt weil ihn Kollegin Erika in darauf hingewiesen hat, dass zu viel Zucker seiner Figur schadet. Dabei ist Klaus ein echt attraktiver Polizeibeamter. Etwa an den Kollegen gemessen, die zum Beispiel rund um die Ministerien oder Botschaften in der Hauptstadt Tag und Nacht Dienst tun bei viel Wind und überhaupt jedem Wetter und die deshalb, um sich vor Kälte oder Hitze zu schützen, schon öfter mal zum Burger oder der Curry-Wurst greifen. Genau deshalb fährt Klaus auch lieber den Streifenwagen, jedenfalls solange er noch kann mit dem sich immer mehr abzeichnenden Bierbauch. Die norddeutschen Kollegen nennen sowas übrigens ´Holsten Geschwür` nach dem beliebtesten und meistgetrunkenen Gerstensaft der Freien und Hansestadt Hamburg. Den immer gleichen Scherz macht Erika immer wieder gern und Kamerad Klaus tut immer wieder so, als würde er sich sehr darüber ärgern. Was er in Wahrheit natürlich auch tut und sich deshalb in einem der Fit-fit-fit Studios angemeldet hat, klammheimlich, denn niemand auf dem Revier und schon gar nicht Erika darf davon wissen.
„Was hat er hier gemacht, mitten in der Nacht, der Onkel?“ Erika bleibt di enstlich, bisher ist es noch niemandem gelungen, sie bei der Arbeit aus der Ruhe zu bringen. Obwohl, Monikas Antwort lässt sie zumindest aufhorchen. „Die haben sich umgezogen.“ „Wer die?“ Erika wird noch eine Spur amtlicher. „Der Henry und die … die … unser Besuch halt“. Das klingt verdächtig für Erika. Ein Onkel und ein weiblicher Besuch haben sich mitten in der Nacht im Geräteschuppen umgezogen! Sie wirft dem Kollegen Klaus einen kurzen Blick zu, aber der ist beschäftigt und schreibt trotz schlechter Lichtverhältnisse auf seinem Block mit. Also führt Erika das Gespräch, oder ist es schon ein Verhör, auf ihre kurze und trockene Art weiter. „Name?“ „I“! springt jetzt Amelie ihrer Mutter bei und Polizist Klaus notiert umgehend die zweite Zeugin. Erika aber glaubt sich verhört zu haben „Aaai …?“„Ist Englisch“, sagt Amelie, „typisch englischer Mädchenname“. „Aha, englische Ausländerin. Nachname?“ Jetzt mischt sich Monika wieder ein, freundlich und lieb und in der festen Überzeugung die Ermittlungen tatkräftig zu unterstützen. „Die Sache ist die, Frau Mann“. „Der Klaus heißt Mann“, korrigiert die Beamtin, „ich bin die Erika“. „Der Nachname ist Pad“, schaltet sich Amelie wieder ein in dem Gefühl, dass mit der Aufdeckung von „Is“ Identität am Ende irgendwas schief laufen könnte. Auch wird Erika jetzt langsam ungeduldig, besonders als sie Klaus dabei erwischt, wie er hinter seinem Notizblock verstohlen gähnt.
„Also, wie jetzt: i-Pad, oder was?“ „Ja“, sagt Amelie und tut eingeschüchtert. Erika holt tief Luft, Klaus blättert seinen Block um. „Also, ist Ausländerin und heißt auch so: i-Pad! Klaus wollen wir mit ihr sprechen!?“ Polizist Klaus schreckt hoch aus seinen Notizen, gleichzeitig kommt Mick in den Schuppen. Clever wie er ist, überreißt er sofort die angespannte Situation und sagt ehrfürchtig zu den Beamten. „Sie kenn´ ich – vom Fernsehen!“ „Nee, bestimmt nicht, wir sind echt“, antwortet Erika um gleich darauf von Mick, dem Profi Schauspieler ein erstauntes „Echt?!“ zu hören. Erika, inzwischen mehr genervt, antwortet schroff mit einem nicht geschauspielerten „Echt!“, schließt aber sogleich eine Frage an. „Also, was ist der Grund für den Aufenthalt von Fräulein Pad hier in der Bundesrepublik Deutschland?“ „Austausch-Schülerin. Spitzenfrau. Krass intelligent!“ Mick hat kaum ausgeredet, da mischt sich Klaus ein, vielleicht hat er Hunger oder wie sein Blick auf die Uhr zeigt, ist bald Feierabend. „Jetzt reicht‘ s, Erika. Lass sie morgen auf’ s Revier kommen, zusammen mit dem Mädchen“. „Ist auf jeden Fall besser. Reisepass mitbringen. Auch vom Onkel. Wir machen dann ein Protokoll und falls der … der“
„… der Henry“, hilft Amelie aus, froh dass die Prozedur vorbei ist und „Is“ Anonymität weiterhin gewahrt bleibt. Erika fährt unbeirrt fort „ … der Henry nicht bis dahin wieder aufgetaucht ist, geben wir ´ne Fahndung raus, okay?“ „Die Polizei – dein Freund und Helfer! Der Spruch gilt immer noch, wie schön.“
Monika ist spürbar erleichtert. Sie sind noch mal davon gekommen. Nur Mick kann sein freches Mundwerk wieder nicht halten und säuselt verständnisvoll tuend „Genau wie im Fernsehen!
*
Im Gästezimmer des Schnurre Hauses steht „I“ bewegungslos und starrt aus dem Fenster. Es hat aufgehört zu regnen, zwischen den Wolkenfetzen sieht der immer und ewig bleiche Mond hervor. „I“ fixiert ihn und sofort laufen im Tickertape Daten auf. Entfernung 363.300 KM / Beleuchtungsstärke bei Vollmond 0,2 Lux / Mittlerer Durchmesser 3474,2 KM / Exosphäre aus Helium, Neon, Wasserstoff / Alter 4527+/-10 Millionen Jahre. Unbeweglich steht die Puppe, die sie jetzt „I“ nennen. Niemand könnte sagen, ob sie emotional berührt ist, ob sie eventuell weiß, wie viele Dichter den Anblick des Trabanten schon früh beschrieben haben: ´Der Mond ist aufgegangen, die goldenen Sternlein prangen am Himmel, hell und klar …`
Der Streifenwagen von Erika und Klaus hält an einer Verkehrsampel die ROT zeigt. Klaus spielt nervös mit dem Gaspedal, er ist verärgert über die „Ermittlungen“ bei Familie Schnurre. Seine Kollegin kann das gut nachvollziehen. Einsatz Polizisten wie sie haben genug andere Dinge zu tun, als sich um die merkwürdigen - das Kind kann man beim Namen nennen - äußerst merkwürdigen wenn nicht sogar unglaubhaften Darstellungen einer Familie Schnurre zu kümmern, bei denen offenbar einiges durcheinander geht,
wie die unterschiedlichen, sich teils widersprechenden Aussagen zum Fall ´Onkel Henry` eindeutig bewiesen haben. Ein Fall, so klar wie dicke Tinte!
Normalerweise macht sich Erika lustig über die Pingeligkeit ihres Kollegen, nämlich alles und jedes gleich und genau zu aufzuschreiben, nur weil er das in irgendwelchen Fernsehserien bei den als Kommissar/innen verkleideten Schauspieler/innen so gesehen hat. Aber heute tickt sie anders, die coole Erika, diesmal ist sie des Lobes voll über seine Zettel Tätigkeit, Gedächtnisstützen, die in diesem Fall mit Sicherheit noch nützlich sein werden. Soviel ungewohntes Lob aus dem Munde der Kollegin, weckt bei Klaus wieder alte Hoffnungen, denn er mag Erika nicht nur als seine Chefin im Streifenwagen. Er würde ihr mit kollegialem Einsatz auch anderweitig Tag und Nacht zur Seite stehen, sozusagen auch privat manche Dienstleistung erbringen, die nicht in seinem polizeilichen Normalo Arbeitsvertrag steht. Und Erika weiß das natürlich. Nicht umsonst hat sie die auf dem langen und dornigen Weg zur Polizeibeamtin erforderlichen Psycho Kurse mit Bestnote bestanden und ist deshalb Willens und in der Lage die erworbenen Kenntnisse nicht nur beim Räuber und Gendarmspiel mit Dealern, Dieben, Dumpfbacken und Ruhestörern einzusetzen. Sie kann, wenn sie gut drauf ist, auch Kollegen für oder gegen sich in Stellung bringen, je nachdem wie gesagt, je nachdem wie sie gerade drauf ist.
Heute gut, weshalb sie wie zufällig die linke Hand auf das mit dem Gas spielenden rechten Bein von Klaus legt und dazu beiläufig bemerkt. „Respekt, Kollege. Respekt für Deine Geduld und Ausdauer in diesem äußerst schwierigen Fall!“ „Und ich sage dir …“ antwortet Klaus, aber da ist Erika schon beim nächsten Gedanken „Irgendwas stimmt nicht bei denen. I-Pad! So heißt doch keine. Nicht mal in Asien. Die verarschen uns.“ „Frei erfunden“, gibt ihr Klaus eifrig recht, „Ai Pätt, hahaha! Okay, Pol-Pott, das war, glaub´ ich, so´ n Massenmörder in Korea, oder Thailand, nee Vietnam, glaub´ ich.“ „Kambodscha“, hilft Erika aus. „Ehrlich?“, staunt Klaus immer wieder über seine anscheinend umfassend gebildet Kollegin. „Hättest ja nachfragen können“.
„Was zum Beispiel?“ Erika merkt die Verunsicherung beim Kollegen und witzelt, während sie ihn schelmisch anblinzelt. „Wo waren Sie heute Abend zwischen 20 und 22 Uhr?“ „Wie im Fernsehen“, grinst Klaus und freut sich, dass er seine Partnerin damit zum Lachen gebracht hat. Endlich mal eine Reaktion in seinem Sinne. Das stärkt, das baut auf, lässt Gefühle erwachen, weckt Kräfte…Klaus will nicht länger darüber nachdenken, was das für Kräfte sein könnten, er gibt einfach Gas und unter dem Gelächter der beiden biegt der Streifenwagen mit quietschenden Reifen um die Ecke – ohne Blaulicht verkehrswidrig, denn die Ampel zeigt immer noch tiefes ROT.
*
Im Gegensatz zu den beiden Polizeibeamten ist Bernhard gar nicht zum Lachen zu Mute an diesem Morgen. Obwohl bereits angenehmer Kaffeeduft durch die Küche zieht und Monika den Frühstückstisch ganz deutsch mit Butter, Brötchen, Marmelade und Honig bestückt hat und auch der Orangensaft diesmal nicht fehlt, fühlt er sich knatschig, ist immer noch müde. Er hat einfach schlecht geschlafen, ungereimtes Zeug geträumt und was noch schlimmer ist: er kann sich an so gut wie nichts richtig erinnern. Selbst wenn Monika ihn ausfragen würde, was sie gelegentlich tut, wenn er mit offenen Augen vor sich hinstarrt und mit Problemen kämpft, die ihn gerade umtreiben. Selbst dann wüsste er nicht zu sagen, was ihn in der vergangenen Nacht so beschäftigt hat. Er konnte fliegen, richtig, daran erinnert er sich und an den Eisenbahnzug, der davon fuhr mit ihm auf der hinteren Plattform, vielmehr, dem er hinterherrannte um auf die hintere Plattform aufzuspringen. Es war ein alter Waggon, den die Dampf- lokomotive zog, so ein romantisches Teil aus dem Wilden Westen, ´Der letzte Zug von Gun Hill` vielleicht, mit Kirk Douglas und Anthony Quinn von denen mindestens einer schon tot ist. Tot? Der Tod? Was hatte der verdammte Traum und die Eisenbahn mit dem hier und heute zu tun? Eine Vorahnung vielleicht, dass der verschwundene Onkel Henry möglicherweise tot ist? Wie so viele, die nur mal schnell zum Automaten gehen um Zigaretten zu holen und niemals wiederkommen. Blödsinn, Schwager Henry war Nichtraucher, jedenfalls hatte er keine Zigaretten bei ihm gesehen oder gerochen. Und riechen konnte Bernhard jeden Raucher schon auf allergrößte Entfernung. Das hängt damit zusammen, dass er selbst mal Nikotin süchtig war bis kurz vor Amelies Geburt, denn …
„Dann ist Schluss mit lustig!“ sagt Monika im selben Ton, mit dem sie ihm damals das Rauchen verboten hatte. „Wo du Recht hast - hast du Recht, Schatz. Ein ganz ungutes Gefühl hab´ ich. Hundert pro kriegen wir Ärger… glaub´ mir.“
„Mit wem?“ „Mit beiden. Aber wir könnten sie wieder loswerden“, sieht Bernhard einen kleinen Hoffnungsschimmer in der Weite des fernen Horizonts, hinter dem nahen Küchenfenster. Doch Monika fasst nach. „Davon träumst du? Der Henry bleibt doch nur ein paar Tage.“ „Den mein´ ich nicht. Die andere – wann geht die eigentlich mal auf ´s Klo?“ „Das kannst du deinen Kindern nicht antun!“ sagt Monika und die Tatsache, dass sie von seinen Kindern spricht macht Bernhard klar, dass es ihr ernst ist damit. Aber ihm ebenso. Er sei ein gelernter Bedenkenträger, im Gegensatz zu seinem Opa, dem Staatsschauspieler mit der positiven Einstellung zum Leben, hatte Monika ihm an den Kopf geworfen. Das ist noch gar nicht so lange her und war auf einen schrecklichen Grundsatz Streit zurückzuführen, den sie vor längerer Zeit einmal hatten. Im Zusammenhang mit moderner Kindererziehung und dass es seiner Meinung nach wichtig ist, und dazu steht er bis heute, wenn den Kleinen auch mal die Grenzen aufgezeigt werden. ´Antiautoritäre Erziehung ist doch von gestern`, hatte er sich aufgeregt und ´Sieh bloß mal mich an, eine Ohrfeige gelegentlich hat noch keinem geschadet`! Und dann hatte er schnell noch hinzugefügt, was das alles denn mit einem ´Bedenkenträger` zu tun haben soll, der er bestimmt nicht ist und niemals gewesen war. Beweis dafür? Bitte, seine Motorrad Zeit zum Beispiel, wo er sich über (fast) alles hinweggesetzt hatte, was man Gesetz und Ordnung nannte. Aber damals kannte er Monika noch nicht, Got tseidank, damals war er frei, wild und ungebunden, ein ´Easy Rider` wie aus dem Kultfilm mit Peter Fonda und dem anderen Typen, dem, der später mit James Dean im Film ´Giganten` zu sehen war, wie hieß er doch gleich? Das ´Gottseidank` - das hatte sie ihm übel genommen und eine Woche lang nicht mehr mit ihm gesprochen. Naja, der Klügere gibt nach, erinnerte er sich an ein Sprichwort seiner Mutter und entschuldigte sich dafür. Das ´Gottseidank` hätte echt nicht sein müssen. Immer wenn Religion im Spiel ist, wird es gefährlich, hatte sein Vater, der olle Till Höpfel, ihm schon in jüngeren Jahren mit auf den Weg gegeben um aber gleichzeitig zu betonen, dass es ohne Religion die wunderbaren Kirchenbauten nicht gäbe, die Münster, den Kölner Dom und auch nicht diese riesigen Bibliotheken, tausende Bücher von fleißigen Mönchen geschrieben, so schön und mit Bildchen verziert, dass man auch ´gemalt` zu diesen Kunstwerken sagen könnte. „Antun, antun! Meinen Kinder nicht antun!“
Bernhard wollte sich eigentlich abregen, cool bleiben, aber dass im Streitfall immer die Kinder herhalten müssen will ihm nicht einleuchten. „Das Mädchen ist irgend so ein neumodischer Cyber-Typ und sonst nix. Ein Anti-Virus Programm in die Kiste - und puffff, schon ist sie weg!“ „Kommt nicht in Frage. So was musst du mit Amelie und Mick ausmachen. Das ist M o r d!“ Einer zu viel für Bernhard. Drama in allen Ehren aber ein gelöschtes Computerprogramm als Mord zu bezeichnen, das geht über jeden Verstand. Sein Vater hätte gesagt ´über die Hutschnur`! Deshalb macht er gute Miene zum bösen Spiel, steht auf, umarmt seine Moni, (Na bitte, sein Entspannungsvorhaben funktioniert doch) und flüstert ihr ins Ohr. „Jetzt spinnst du aber, Moni Bär! Das Mädchen besteht aus … aus … aus Silikon und Energie und aus was weiß ich noch. Risiko! Hoch riskant, die Kleine, das sag i c h dir!“ Und irgendwie ist Monika froh, dass ihr Mann nicht noch mal ausrastet und deshalb stimmt sie seinem Genuschel, Gegrummel und beginnenden Gefummel zu und sagt halbherzig „Sie ist doch noch ein Kind. Du wolltest doch immer noch so was Süßes wie Amelie, oder?“
„Hummmh, hummmmh, grrrrruuuh!“ macht Bernhard das wilde Raubtier und schleppt sein nur leicht widerstrebendes Opfer zur Küche hinaus ins obere Stockwerk des Hauses.
*
Mick hockt mit gegrätschten Beinen in seinem Zimmer und starrt auf den Bildschirm. Er betrachtet Eigenartiges, das gerade in Schnurres Modelädchen passiert. Wenn man ganz genau hinsieht, kann man erkennen, sozusagen durch die Augen von „I“, wie Amelies Hand mit ausgestrecktem Zeigefinger den ausgestreckten Zeigefinger des Mädchens berührt. Wenn Leonardo da Vinci noch lebte, würde er sich über den dreisten Versuch seine 1508 geschaffenen ´Schöpfung des Menschen` in der Sixtinischen Kapelle in Rom zu kopieren sicher beschweren, vielleicht sogar eine Klage einreichen, wenn er noch leben würde. Tut er aber nicht und wo kein Kläger – da kein Richter, sagt Papa manchmal und der hat den Spruch von seinem Vater und der wiederum …
Aber so berühren sich die Finger der beiden Mädchen und – es passiert nichts. Mick lehnt sich erstaunt zurück, eigentlich war mit einem Stromschlag zu rechnen, der seine Schwester aufkreischen lässt und ihn, den Experten für elektrische Spannungsfelder, der ja schon im Vorfeld vor Experimenten gewarnt hat, zum Retter über Leben und Tod gemacht hätte. Naja, mit Zitronen gehandelt, würde Mama sagen, die ja gar nichts wissen darf von der Sache und angeblich mit Papa zusammen ziemlich geräuschvoll das Frühstück vorbereitet.
Ins Modelädchen sind die beiden Mädchen ja nur um rasch ein paar witzige Klamotten für „I“ zu finden, sie kann schließlich nicht ein Leben lang in Onkel Henrys Ami-Klamotten herumlaufen. Amelie betrachtet immer noch ihren ausgestreckten Zeigefinger – und ist doch einigermaßen erleichtert, dass nichts passiert ist. Unter Strom zu stehen soll fürchterlich unangenehm sein, bei Blitzschlag hat es sogar schon Todesfälle gegeben, behauptet zumindest Mick, der Fachmann in Energiefragen, aber man kann ihm eben nicht immer glauben. In Sachen Stromschlag jedenfalls ist sein Prognose nicht eingetroffen, das hat der Finger Test soeben eindeutig bewiesen. „Nix passiert!“ Amelie hält ihren Finger dem Mädchen unter die Nase und die wiederholt emotionslos „Nix … passiert!“ „Das ist gut so“, sagt Amelie und das Mädchen echot „Das ist gut so“.
Danach aber - und zur großen Überraschung Amelies - stellt sie nun sogar eine Frage „Was ist das … gut so?“ Amelie klatscht erfreut in die Hände und antwortet „Gut so heißt, dass es gut ist, wenn ich dich anfassen kann und dabei keinen Schlag kriege. Du stehst nämlich unter Strom, verstehst du?“ „Ich bin unter Strom, wenn Menschen … anfassen. Doktor Mundfohl … darf nicht anfassen. Das ist gut so.“ „Und warum darf Doktor Mundfohl nicht anfassen?“
„Amelie ist … ist … kompa …“ „Kompatibel! Da hab´ ich Glück gehabt“ , lacht Amelie und umarmt die neue Freundin heftig. Die echot was sie soeben abgespeichert hat „Da hab ich Glück gehabt.“ „Da hast d u Glück gehabt“, korrigiert Amelie. „Da hast du Glück gehabt“, antwortet „I“ und zugleich ertönt wieder das nun schon zur Gewohnheit gewordene „Dida dadadadidadaaa“.
„Nee, nee, neee!”, sagt Amelie und legt dabei die Hand auf den Mund des Mädchens, als ob sie damit das Abspeichern verhindern könnte. „Nicht alles speichern, das musst du noch lernen. Aber jetzt suchen wir erstmal was für dich zum anziehen, okay?“ Sie hält „I“ ein modisches Kleidungsstück hin. Das Mädchen betrachtet und befühlt es, weiß aber im Grunde nicht recht was damit anzufangen. Amelie versucht es ihr zu erklären „Mein kleiner Bruder Mick nennt das abartig, aber mir gefällt´s. Probier´s an. Anziehen, verstehst du? A n z i e h e n! Warte, ich helf ´ dir. Ist super stylisch.“
*
Im Garten des Schnurre Hauses rennen Monika und Bernhard hin und her um
den Frühstückstisch für Familie und Gast schön zu decken. Die Anspannung ist nach dem Besuch des Schlafzimmers einer fühlbaren Entspannung gewichen, dennoch geht das Streitgespräch in locker geführtem Ton weiter. „Entschuldige mal“, sagt Monika und Bernhard antwortet wie aus der Pistole geschossen mit einem verbindlichen und gleichwohl desinteressierten Lächeln. „Ich entschuldige.“ Eigentlich ist Monika nicht an einer Fortsetzung der Diskussion um die merkwürdige Schaufensterpuppe und um das inzwischen kaum weniger merkwürdige Mädchen interessiert. Vielmehr hatte sie gehofft, dass Bernie noch ein wenig in der zärtlich vertraulichen Stimmung der vergangenen Minuten verweilen würde. Sie ärgert sich über sich selbst. Nach all den Jahren ihres gemeinsamen Lebens – wie viele sind es doch gleich - hat sie immer noch dieselben Hoffnungen und Wünsche und Gefühle wie in ihrer Teenagerzeit. Ein Vermächtnis von Mammelie, denkt sie, und ist irgendwie stolz darauf sich wenigstens etwas von ihrer Mutter erhalten zu haben, auch wenn sie sich kaum an sie erinnern kann und auch Fotos oder Erinnerungsstücke sind ihr nur wenige geblieben. Ausgenommen das Wiegenlied vielleicht, das die hippe Künstlermutter noch kurz vor der Geburt des zweiten Töchterchens auf inzwischen vergilbtem Originalnotenpapier textete und komponierte, von Monika immer noch irgendwo sicher aufbewahrt.
Schlaf nun bald, Schlaf nun bald, Kleiner Wiegenschatz
In der Hütt´
Auf dem Herd
Schläft schon Hund und Katz´.
Fuchs und Has´
Maus und Reh´
Schlafen auch im Wald
Silbermond blickt herein,
Schlaf mein Kind nun bald.
Morgens wenn die Sonne lacht, lacht auch unser Kind,
Einen lichten Wiegentraum
Schickt der Abendwind.
Schlaf nun bald, Schlaf nun bald, kleiner Wiegenschatz.
Mutters Brust, Vaters Herz,
Sind dein warmer Platz.
Mit dem Wiegenlied verband sich für Mammelie die Hoffnung, dass
vorbildhaft gelebte Kultur und Bildung über Haut und Haar sie durchdringen möge um dem ungeborenen Kind zu Fantasie und geistiger Bildung zu
verhelfen. Um dieses hehre Ziel zu erreichen schienen ihr lange, sehr disziplinierte Spaziergänge durch Wald und Feld hilfreich zu sein. Verbunden mit dem Rezitieren schöner Gedichte Gottfried Benns, dem Dichter der literarischen Moderne, von Heine und Hölderlin. Für den humoristischen Teil des im Bauch heranwachsenden und von Mammelie zu gestaltenden Lebewesens gaben Wilhelm Busch und Christian Morgenstern ihr Bestes um dem Kind einen leichtfüßigen Eintritt in die Welt der Künste, des Theaters, der Dichter und Denker, der Musiker und Maler, der Schauspieler und Regisseure und vieler die Kunst liebenden Menschen zu ermöglichen, die sich seit Jahren zu Lolas Freundeskreis zählen durften. Mit einem Wort: Die Muse sollte bereits den Fötus im Mutterleib küssen. Tat sie aber nicht. Jedenfalls nicht so richtig.
Eine spätere Bemühung und damit noch in guter kindlicher Erinnerung war Monika ihr erster Theaterbesuch. Man gab ´Peterchens Mondfahrt` und sie ging an der Hand der ´Sonne`, Mammelie spielte dieses leuchtende Gestirn mit der goldenen vielzackigen Sonnenkrone aus Pappmaché, hinter die Bühne und durfte dem angsteinflößenden ´Mondmann` und dem liebenswert tapferen Maikäfer ´Sumsemann` guten Tag sagen. Unvergesslich bleibt ihr der Geruch von Schminke und Mastix, dem Klebemittel für Perücken und Bärte, die Hitze der Scheinwerfer die das Bühnenbild vom Mann im Mond in verschiedenen Farben aufleuchten ließen, besonders wenn der ´Donnermann` tätig wurde, dessen unheimliches Gedonnere durch ein großes Blechteil in Verbindung mit einer Pauke von Bühnenarbeitern erzeugt wurde. Dazu blitzten die Beleuchter auf der Brücke mit ihren Scheinwerfern und ein Regengeprassel vom Tonband perfektionierte den gruseligen Höllenspektakel. Ja, ihr habt’s gut, pflegte die in der ´Ostzone` lebende Schwester von Lola bei ihren Besuchen zu klagen, hier im ´Goldenen Westen`. Gretl, bei uns ist auch nicht alles Gold was glänzt, lautete Mammelies stereotype Antwort. Und ihr habt doch immer noch euer Haus und den Schnapsgroßhandel und wir hier nicht annähernd was Angemessenes. Aber konnte was ´Angemessenes` wirklich der Grund sein für Lola ihre zwei Kinder und den dazugehörenden Vater über Nacht zu verlassen – auf nimmer Wiedersehen, sozusagen? Dafür Verständnis aufzubringen fällt Monika heute noch schwer, auch wenn sie keine Hassgefühle oder ähnliches gegen ihre Mutter entwickelt hat. Der festen Meinung ist sie jedenfalls bis heute.
Und nach dem ersten großen Schmerz über den Verlust der Mama ging das Leben ja auch nicht unangenehm weiter. Mit allen Höhen und Tiefen bis heute. Und wenn man es genau nimmt, also mal abgesehen von den kleinen Reibereien mit Bernhard, das ist doch ganz normal, das war schon damals klar als sie sich kennenlernten, sich verliebten und sie darauf hin ihre (Ehrenwort! rein platonische) Beziehung zu dem Sohn eines italienischen Pizzabäckers aufgab. Nicht kampflos, nein, das muss sie sich nicht vorwerfen lassen. Der Junge aus Torri del Benaco, diesem süßen kleinen Ort am Gardasee, den sie einmal zusammen besuchten weil Fredo sie ja unbedingt seinen Eltern vorstellen musste, die, naja, ziemlich katholisch waren und deshalb so gar nicht begeistert von der festen Verbindung ihres Sohnes mit einer jungen, evangelischen Deutschen. Das hatte sie deutlich gespürt, auch wenn man gemeinsam zur Kirche ging und sich damit schutzlos den neugierig fragenden Blicken der Nachbarschaft und anderer Kirchenbesucher aussetzte. Die müssten ja eigentlich glücklich und dankbar sein, Alfredos Eltern, dass bald danach Schluss war , nach diesem Lago di Garda Besuch, mit dem unvergessenen und von Monika streng gehüteten Geheimnis auf dem kleinen Segelboot, mit allem was italienische Fantasie zu bieten hat: einen herrlichen Sonnenuntergang, Wein, Weißbrot und den natürlich feurigen Küssen und Streicheleinheiten von Fredo, dem temperamentvollen Jungen mit dem dunklen lockigen Haar, der so wunderbar Gitarre spielte und dazu singsangte, dass ihr vor lauter Romantik zum Heulen war. Einfach zu viel des Guten, weshalb sie sich ihm in der derselben Nacht, trotz aller italienischen Lover-Tricks, doch verweigerte und kilometerweit zur nächsten Bushaltestelle lief, und dass damit die Sache zu Ende war, dass Schluss war, dass es endgültig aus war, alles. Schluss mit dem ´Itaker Abenteuer` machte sich schon bald darauf ein anderer junger Mann über ihre Geschichte lustig. Einer mit viel weniger Haaren als Fredo, dafür aber mit ´Schalke null vier im Nacken` wie er nie müde wurde zu betonen und ohne jede religiöse Anbindung, was zu betonen ihm ebenfalls wichtig schien. Also gleich wieder rein und diesmal in ein großes deutsches Abenteuer? Monikas Vater, der seit Mammelies plötzlichem Verschwinden zunehmend müde war und nur unter großer Anstrengung sich selbst und ´Schnurres Modelädchen` am Leben hielt, war ganz klar dafür. Auch wenn Bernie keine Ahnung von dem Geschäft hatte, aus der Sicht von Alphons Schnurre war er jung genug um das die Modebranche auszeichnende Gehabe und Getue und ein damit manchmal auch verbundenes, aber eigentlich unerlässliches modisches Know-how, schnell zu erlernen.
Erst Angestellter, dann Teilhaber, schließlich Inhaber vom Modelädchen, das war aus der Sicht des Alten eine steile Karriere, schlimmstenfalls mit dem Risiko behaftet, dass sich kaum Käufer am überwiegend ländlichen Angebot aus ´Schnurres Modelädchen` interessiert zeigten. Weshalb es nach dem plötzlichen, wenn auch nicht ganz unvorhergesehen Tod des Vaters eigentlich zu einer Neuorientierung in Sachen Mode hätte kommen sollen, aber dann fehlte es an allen Ecken und Kanten, zumal Schwester Rosl die Auszahlung ihres Erbteils forderte, was nur durch einen größeren Kredit bei der Sparkasse möglich wurde.
Außerdem war Amelie schon da, an einem Stammhalter ´arbeiteten` sie, wie Bernhard sich in seinem unnachahmlich und geradezu einmalig witzigen
´SchalkenullvierimNacken` Humor auszudrücken pflegte. Arbeiten an seinen musikalischen Talenten, das schien dem jungen Ehemann und Geschäftsführer von ´Schnurres Modelädchen` aber mindestens genauso wichtig. Dazu hatte er sich ein nicht ganz billiges, auf seiner bisher einzigen USA Reise erworbenes Original Western-Banjo, geleistet. Mit den Gitarre Künsten von Fredo, Monikas italienischem Sündenfall, hatte dies absolut nichts zu tun, ist doch wohl klar!
Ein Kosmopolit, der er nun mal ist, steht über den Dingen, weshalb Monika aus seiner Sicht ihre vorehelichen Erfahrungen mehr als gegönnt sind. Zumal er, Bernie, ja ungeheuer davon profitiert, von diesen südländischen ´Erfahrungen`.
Er sagt das irgendwie so, so unanständig grinsend, dass Monika eher versucht ist zu glauben (sich zu wünschen?), dass ihr Bernhard vielleicht doch mehr für sie empfindet als er gemeinhin so zugibt. Eifersucht, ja, könnte sein. Wenn sich die Gelegenheit bietet, nimmt sie sich vor, wird sie diese Vermutung mal testen. Es müsste ja nicht unbedingt eine italienische Testperson sein. „Hey, darf ich fragen, wo du gerade bist?“ fragt Bernhard Spiegeleier mit Speck in sich hinein schaufelnd und zwingt Monika dazu nicht weiter über Mammelie, Italiener und Testpersonen nach zu denken. „Bin ganz bei dir, wie immer, Schatz, nein ernsthaft, Schatz. Schau mal, das Mädchen isst und spricht inzwischen. Und aufs Klo, naja, irgendwie wird sie Essen und Trinken schon verwerten. Alles absolut menschlich und im Rahmen. Bernie, wenn wir das Programm löschen, sie einfach abmurksen sozusagen – dann kriegen wir wahrscheinlich erst recht Ärger.“ „Mit wem, Moni? Die Verleihfirma gibt´s nicht. Telefon stimmt nicht, Adresse falsch! Das sind Betrüger, Gauner. Der BND oder weiß der Teufel wer dahinter steckt. Die Kleine ist Spyware, so heißt das heute. Geheime Software von facebook oder Google um private Daten abzugreifen, die Menschheit ausspionieren.“„Bei uns gibt´ s nix zu holen, Berni, sagst du selber immer!“
Ganz allmählich gerät Bernhard, auf Grund der zutreffenden Argumentation seiner Frau, wieder in Rage. Christian Fürchtegott Gellert, ein Quälgeist aus den frühen Schuljahren, schießt ihm durch den Kopf, wie war das gleich: „Ismene, hatte neben vielen anderen Gaben auch diese, dass sie widersprach. Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach …“ Spätestens an dieser Stelle pflegt Monika dazwischen zu gehen, denn zum einen ist es nicht das erste Mal, dass Bernhard aus Gellerts ´Widersprecherin` zitiert um sie zu ärgern, und zweitens hat er das Gedicht nur bis zu diesem ´Man sagt es überhaupt den guten Weibern nach` noch in Erinnerung. Deshalb bleibt sie jetzt überraschend stehen, das Tablett beladen mit Kakao und Mineralwasser für die Kinder, und fragt äußerst höflich und dabei mühsam ein Lachen unterdrückend. „Na gut. Was sagt man überhaupt den guten Weibern nach? W a s bitte?“ Nun ist es an Bernhard überrascht zu sein und so zu tun, als ob er sie nicht weiter mit diesem Fürchtegott Scherz belästigen wolle. Also windet er sich heraus mit seiner alten ´SchalkenullvierimNacken` Männer-Macho-Masche. „Man sagt ihnen nach, dass sie sehr zärtlich, gefühlvoll und zugleich humorvoll sind, eine Kanone im Bett sein können, das beste Frühstück der Welt herrichten für ihre Kinder und den über alles geliebten Ehemann und so weiter und so weiter …“ „Hihihihi“, kichert Monika, „wie fantasievoll und romantisch! Nur leider nicht im richtigen Versmaß. Gellert wird sich im Grabe rumdrehen.“ Bernhard grapscht nach ihr und beinahe wäre sie mit dem vollen Tablett zu Boden gegangen. „Darf ich daran erinnern, wir haben Kinder und einen Auswärtsbesuch …“ „Und einen braven Hund!“, kontert Bernhard, „der nicht durch menschliche Lüste verdorben werden darf. Aber ernsthaft: Hast du so gar nicht das Gefühl, da könnte mehr dahinter stecken. Bis du echt so naiv? Ich denke, wir sollten bei aller Gefühlsduselei Augen und Ohren offen halten …“ Für offene Ohren ist jetzt aus dem Haus sehr gut ein Klavierspiel zu hören: Chopin / Preludes, Op. 28 / Sonata No. 2, Op. 35. Bernhard ist mächtig erstaunt. „Amelie?“ „Ja bestimmt. Chopin in der Perfektion, ein Wunder!“ sagt Monika und verdreht die Augen himmelwärts. „Übt sie überhaupt noch?“ will Bernhard wissen und bekommt als Antwort zu hören. „Mit dem CD-Player spielt sie wie Vladimir Ahskenazy, oder war das jetzt Horowitz?“ Das ist Wasser auf seine Mühle. „Sag ich ja immer wieder: die haben nur noch Computer und das ganze Zeug im Kopf. Und jetzt kommt noch ein lebendiger dazu!“ „Angenommen“ , sagt Monika und will jetzt mal ernst genommen werden. „Nur mal angenommen du hast Recht und das Mädchen ist ein Experiment vom Staat. Ein Prism-Abhör-Angriff, oder sowas. Vielleicht ist sie tatsächlich ein Spionage Programm, was der Snowden noch nicht aufgedeckt hat. Aber, mein lieber Mann, da kommen wir doch in Teufels Küche, wenn man dem Geheimdienst ins Handwerk pfuscht und so eine Sache einfach löscht. „Du solltest wirklich bei deinen Kochsendungen bleiben“ nimmt Bernhard seine Frau eben n i c h t ernst und lenkt ab indem er auf das Klavierspiel verweist, das im Augenblick nur mit einer Hand fortgesetzt wird. Ein Grund seinen wieder aufkeimenden Ärger cholerisch raus zu brüllen. „Das n e r v t jetzt!“ Monika reagiert diplomatisch und spricht schnell ein anderes Thema an. „Weißt du, Schatz, zur Polizei müssen wir vielleicht gar nicht. Und wegen der Schule würde ich vorschlagen …“ „Austauschschülerin!“ übernimmt Bernhard, plötzlich ganz vernünftig, die Idee von Mick und tut als wäre es seine. „Das klingt immer glaubwürdig, auch für die Nachbarn.“ „Toller Einfall“, lobt Monika, „mit Amelie in einer Klasse, sehr gut. Privatschulen sind nicht so pingelig, schon allein wegen dem sau teuren Schulgeld …“„Das Programm löschen kommt billiger“ knurrt Bernhard. „Ich weiß, wir sind sowieso pleite!“
Das ist Monikas lange schon standardisierte Antwort auf sein Gejammer, dabei haut sie ihm nochmal Rühreier mit Speck auf den Teller. Das mag Bernhard. Dennoch will er sich nicht geschlagen geben und tut was er meint tun zu müssen, er brüllt hinüber zum Haus. „Frühstück ist fertig! Verdammt!“
Die Antwort ist ein perfekter Fingerlauf, eine Chopin-Prelude auf Amelies Kleinklavier.
*
„I“ sitzt vor diesem Klavier, in Onkel Henrys Cowboy Hemd und neuen passenden Hosen. Fun Kleidung, ganz individuell, hat Amelie betont und ihrem Bruder jeden Kommentar dazu verboten. Und „I“ hat offenbar noch nicht das richtige Gefühl dafür was hippe Kleidung angeht, ausmacht, woher auch. Viel interessanter scheint die Musik CD zu sein. Das Mädchen hat die Daten
eingelesen und spielt den Übungslauf nur mit der linken Hand. In der rechten hält sie ein Eis am Stiel, das Amelie ihr offeriert hat. „Krass, musst du mir unbedingt beibringen, Klavier spielen ohne zu üben!“ Ob „I“ die Bemerkung verstanden hat, sei dahingestellt, auf jeden Fall ist kein Gedüdel aus ihrem Speicher zu hören, stattdessen antwortet sie, wenn auch stotternd, mit einer Art Gegenfrage. „Eis … am Stiel. Gut. Auch gut … Pizza!“ „Stimmt, Amelie mag Pizza! Auch gut. Super gut „I“! “Sie klappt den Klavierdeckel zu und startet einen neuen Versuch dem Mädchen Deutsch beizubringen. Der Dialog ist unfreiwillig komisch. „I“ wirkt jetzt irgendwie fraulicher, nicht mehr ganz so kindlich, als sie wiederholt „Stimmt … Amelie mag Pizza! Auch gut. Super gut „I“!“ „I“ – das bist du, okay? Ich heiße Amelie – und du bist „I“. Stereotyp und ohne jede Emotion wiederholt die Puppe brav „Ich … heiße … Amelie … und du bist „I“. Amelie muss lachen, reißt sich aber zusammen, versucht mit ihren Händen zu erklären was gemeint ist, indem sie zuerst auf sich und dann auf „I“ zeigt. „Nein. Ich … i c h …bin Amelie. Du … heißt „I“ – okay?! Oder hast du einen richtigen Namen, einen anderen Namen?“ „Einen … anderen Namen. Einen richtigen … Namen. Du heißt „I“ – okay?!“ antwortet das Mädchen.
„Neeee! D u heißt „I“! – Ich bin Amelie!“ „Ich bin … Amelie. - D u heißt „I“.
Jetzt prustet Amelie los, gibt aber nicht auf. Scheiße nochmal, wie frustrierend muss es für Lehrer sein, wenn ihre Schüler absolut nicht kapieren wollen wovon sie eigentlich reden. Der Englischlehrer fällt ihr ein, Herr Weinzierl, ein zarter, gebrechlicher älterer Herr, der sich gegen die geballte Wucht der Rüpel im Klassenzimmer so richtig nicht durchsetzen kann, der aber niemals aufgibt, der immer wieder versucht den am Unterricht ziemlich desinteressierten Typen etwas von seinen persönlich gemachten Erfahrungen in dieser Sprache zu vermitteln, kein sogenanntes Schulenglisch, ein Englisch, das die Engländer sprechen, zum Beispiel in London, er war zweimal da und kennt Abbey Road und einfache People von der Straße, spricht also Englisch der Extra Klasse, ein Englisch aus dem richtigen, dem britischen Leben. Und gerade die Schüler, die es am nötigsten hätten, nämlich Boris, Kevin, Mike und Elvis, also die mit den e n g l i s c h e n Namen, die „A perfect English“ besonders interessieren müsste, genau diese Hirnis sind die größten Ignoranten und machen sich über den ´Old Teacher Man` lustig ohne Ende. Wobei, das muss Amelie ehrlicherweise zugeben, der Dr. Weinzierl auch manchmal Scheiße baut, echt voll daneben, mit maximal unfreiwilliger Komik. Ein einfacher Satz wie zum Beispiel: ´Er ging zurück` - wird von ihm pantomimisch dargestellt durch einen schnellen Gang, verbunden mit dramatisch gespielter Rückwendung und näselnder Tränsläischen: „He himself went backwards!“ Gelächter in der Klasse, und ab sofort heißt Weinzierl nur noch „Mr. Himself“. Also sorry, Sir, da kann auch eine Amelie nichts mehr dran ändern.Was guckt sie mich so an, fragt sich Amelie und hat die Zeit vergessen, über die ihre Gedanken sie weggetragen haben. Vielleicht hat „I“ auch nachgedacht, kann sie das? Das Puppen-Mädchen tippt sich an die eigene Stirn. „Ich bin … „I“! Amelie steht der Mund offen, ja, die Kleine hat irgendwie irgendwo eine Möglichkeit entdeckt nachzudenken, echt ein Grund zum feiern. „Jetzt hast du ´s verstanden, ja?!“ Und „I“ wiederholt noch einmal fast andächtig „Ich bin „I“! „Cool! Jaaa, du bist echt cool!“ Wieder ist eine Umarmung fällig und wieder bleibt ein Stromschlag aus. In der Brusttasche von Onkel Henrys Hemd spürt Amelie etwas. „Was hast du da?“ Sie greift hinein und holt das Teil heraus. „Ein Translate- und Schach Minicomputer, whow, neuestes Modell, typisch japanisch, Made in China. War das da drin im Hemd? Kannst du das einlesen?“ „Ich … bin „I“! Kann ich das einlesen?“ „Du schaffst das!“ Amelie ist überzeugt davon und gibt ihr den Translater. „I“ betrachtet das Teil, der Minicomputer ist vielschichtig und kann mehr als nur eine Sprache nachplappern. Klar, dass in diesem Fall wieder ein „Dida dadadadidadaa“ nötig ist, weil das Mädchen das Gerät nun erst einmal abspeichert. Mick, der Spion im Nebenzimmer, beobachtet die Transaktion auf dem Laptop. Er sieht – durch die Augen von „I“ – wie im Ticker-Tape am unteren Ende des Bildschirms einfache Englisch/Deutsche Redewendungen für Touristen auflaufen: Good morning. Guten Morgen. - How do you do? Wie geht es Ihnen? - What´ s the time? Wie spät ist es? - May I please have a cup of coffee? Darf ich bitte eine Tasse Kaffee haben? Where is the Police Station? Wo geht´s zur Polizei? - May I shoot some fotos? Darf ich hier fotografieren? Die letzte Frage bringt Amelie auf eine Idee. Schon brüllt sie laut gegen die Wand, hinter der sie zu recht den brüderlichen Lauscher vermutet „Wo sind die Fotoapparate von Onkel Henry? Habt ihr fotografiert?“ „May I shoot some fotos? Darf ich hier fotografieren?” antwortet „I“ brav, fast verschüchtert. Weil sie natürlich nicht verstanden hat, dass die Frage an Mick gerichtet war.Weshalb Amelie sich umdreht, gegen die Wand klopft und wiederholt „Miiiick! Wo sind Onkel Henrys Fotoapparate? Der Spion hinter der Wand hat die Fotoapparate von Onkel Henry längst an den Computer angeschlossen. Der Ladebalken läuft gerade auf, als Amelie und „I“ hereinstürmen. „Hab ich mir schon gedacht“, sagt Amelie. „Hab ich mir gedacht, dass du dir das gedacht hast“ antwortet der vielbeschäftigte Foto und Bildexperte und tippt lässig mit einem Finger auf der Tastatur des Computers herum während „I“ freundlich echot. „Gedacht, gedacht, hab ich mir schon gedacht!“ Auf dem Bildschirm erscheint jetzt eine Fotoserie: Geil! Flugzeug, ein zweiter, größerer Flieger, Passagiere, eins, zwei, drei, vier hübsche Stewardessen, im Landeanflug der Berliner Flughafen. Dann die Anzeigetafel in der Flughafen Halle, Bilder von Henrys Taxifahrt durch Berlin, Familie Schnurre beim Essen im Garten, Sonnenschirm im Regen, „I“ beim testen des „Doppel-Whoppers“, grinsende Gesichter von Amelie und Mick, „I“ beim Umziehen im Geräteschuppen, Henry lachend im Nachthemd von „I“ … und dann schreit Amelie plötzlich „Stopp, halt an. Mach Zoom oder sowas. Nun mach schon, Männchen!“ „Ey, willst du mich dissen, oder was? Männchen – hallo, das geht ja gar nicht - Männchen!“ sagt der kleine Bruder und ist mehr als angesäuert. Wenn er nämlich eines nicht leiden kann, dann ist es nicht für voll genommen zu werden. „Das Männchen, kannst du dir sonst wo hinstecken. Und deine Fotostrecke dazu. Ende der Durchsage.“ Mick kann ganz schön stur sein, wenn ihm etwas nicht passt, dann gibt es voll, krass Ärger. Die Kommunikation mit der Familie abzuschalten, ist noch die geringste Strafe. Bei aus seiner Sicht weiteren Ungerechtigkeiten, ist mit einem verstärkten Strafmaß zu rechnen, das gilt für alle im Haus, für Tiere und für Menschen. Verstärktes Strafmaß heißt zum Beispiel auch den ´Compu` abschalten (obwohl ihn das innerlich am meisten schmerzt), keine Infos mehr und keine Spiele, für alle, die ihn ständig ´quälen` mit Schularbeiten oder Müll raus tragen. Weitere Sanktionen sind in Planung, aber noch nicht ganz ausgereift.´Compu` ist Micks bester Kumpel, mehr noch als Crash, der Hund, der ihm gelegentlich auch schon mal Trost gespendet hat in seiner Bubeneinsamkeit. Aber Crash ist wild, verspielt, knurrt, bellt, kratzt und fordert! Der Compu dagegen bleibt friedlich und stumm, ein echter Kamerad, ein verständnisvoller Zuhörer, ein Trostbringer, der sich ganz nebenbei andient als verschwiegener Spitzel, als Spion, der den bescheidenen endscoolen Voyeur im worldwideweb gibt, der vor Entdeckung schützt und für hämische Freude sorgt, wenn man nur weiß, wie alle unsichtbar gelegten Spuren zu verwischen und unwiederbringlich zu löschen sind. Mit einem Wort, der Compu ist sein allerbester Freund, der einzige, dem er vertraut, alles anvertraut, echt wahr. Und wer‘ s nicht glaubt, Fuck, der kann sich gleich verpissen, und wenn´s die eigene Schwester ist mit ihrer nagelneuen Super Tussi. Doch die ist wirklich super, obwohl sie keine Ahnung hat was das bedeutet, denn noch bevor Amelie unter Einsatz weiblicher List versuchen kann den kleinen Bruder zu überzeugen, sein Lieblingsteil wieder hochzufahren, mischt sich die Puppe auf ihre naive unbedarfte Art mit einem „Dida dadadadidadaaa“ in das Geschehen ein und zeigt mit dem Finger auf den noch immer dunklen Bildschirm. Ein Grund mehr für Amelie nun energisch bei Mick zu insistieren „Siehst du, sie will uns was sagen, oder zeigen, nun mach wieder an die Kiste, mein toller Checker.“ „Hör bloß auf mit deinem Hip-Hop-ABC. Du hast doch no Ahnung vom checken. Ich muss erst mal abdönern!“ quetscht Mick cool hervor und geht provzierend langsam hinaus. „Das bring ich auch ohne dich - Männchen!“
kreischt Amelie wütend hinter dem Bruder her, der zeigt ihr den Stinkefinger, was sie aber nicht hindert den Computer zu starten. Der fragt auf dem Bildschirm höflich um das Codewort. Amelie hackt „Chillen“ in die Tastatur was der Computer sofort als „Error“ bezeichnet und um das richtige Kennwort bittet. „Dieser Hirni, hat schon wieder seinen blöden Code geändert, du kriegst die Krise!“ „I“ indessen scheint die Bedeutung von Krisen nicht zu kennen. Sie fixiert den Bildschirm, gibt in rasendem Tempo ein paar Daten ein und sagt dann emotionslos „Ich bin „I“. Ich kriege nicht die Krise! Amelie kriegt die Krise! Was ist die Krise?“ Mit einem ´Kling-Klang‚ fährt der Computer hoch, wie auch immer „I“ das hingekriegt hat. Auf dem Bildschirm sind wieder die Fotos von Onkel Henry zu sehen: „I“ beim Aus- und Umziehen. Onkel Henry in „Is“ Krankenhaus Nachthemd. Amelie zoomt mittels Tastatur vorsichtig heran:
Im Hintergrund, schemenhaft zu erkennen, Giacomo und Carlito mit einem Kartoffelsack in Lauerstellung. Amelie ist sprachlos, kann es nicht fassen, umarmt „I“ und drückt sie heftig „Boah, ist das geil!“ Zugleich hört man Bernhard im Garten rufen. „Frühstück wird abgeräumt! Wir danken für Ihren Besuch!“