Читать книгу Alles Liebe - zum Fest der Hiebe - Antje Ippensen, Tobias Bachmann - Страница 7

Literarische Verführung

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Lilly Grünberg


Mit hellem Gebimmel wurden einer oder mehrere eintretende Kunden angekündigt. Sabrina sah die kleinen Glöckchen an der Ladentüre vor ihrem geistigen Auge hin- und herschwingen. Leise verdrückte sie sich zwischen die hinteren Buchreihen, bückte sich zu dem Karton, der dort stand und begann die neuen Buchlieferungen einzusortieren. Geschichte und Fachbücher, das war ihre Domäne. Ganz im Gegensatz zu ihren beiden Kolleginnen, die sich lieber um Belletristik, Garten- und Kochbücher kümmerten, oder zur Zeit beim Durchblättern der neuesten Advents- und Weihnachtsartikel in Schreie des Entzückens ausbrachen.

Einer der Kunden verfügte über eine besonders angenehme männliche Stimme, nicht zu tief, aber voller Volumen. Leider ging seine Frage im Gewirr der vielen Geräusche unter. Weihnachtliche Lieder erklangen schon seit Tagen aus den Lautsprechern und mischten sich mit dem Stimmengewirr der Käufer. Dazwischen mischte sich dann und wann das Bimmeln eines Glöckchens und das eher quäkende »Ho, ho, ho …« eines pummeligen Nikolaus’, den ein Bewegungsmelder in Gang setzte, sobald jemand an ihm vorbei ging.

Angestrengt horchte Sabrina, verstand aber dennoch nicht, was der Mann sagte, obwohl sie für einen Augenblick ihre Arbeit unterbrach und sich darauf konzentrierte. Vielleicht benötigte er ein spezielles Fachbuch, das in ihren Zuständigkeitsbereich fiel, aber zuerst bestellt werden musste. Angesichts des umfangreichen Sortiments des Buchhandels war es praktisch unmöglich, wirklich jedes Buch vorrätig zu haben.

Leider blieb es Sabrina nicht immer erspart, auch zu den ihr lästigen Themen zu beraten, wenn sie personell gerade unterbesetzt waren, wie im Augenblick. Ihre Kollegin Lena war für zwei Wochen zum Skifahren in die Berge abgehauen und Sabrina beneidete sie darum von ganzem Herzen. Das Wetter war für Anfang Dezember geradezu ideal. Frau Holle hatte ihre Betten über den Bergen reichlich ausgeschüttelt und die Schneehöhen boten ideale Verhältnisse für Wintersportler. Ihrer eigenen, eher blassen, nur von ein paar vorwitzigen Sommersprossen befleckten Haut würden ein paar höhenintensive Sonnenstrahlen bestimmt auch gut tun. Aber freie Tage waren erst zu Weihnachten in Sicht.

»Entschuldigung, könnten Sie mir bitte weiterhelfen?«

Sabrina war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie nicht gehört hatte, dass sich jemand genähert hatte. Die Stimme erkannte sie jedoch sofort wieder und schaute den Mann, der ihr jetzt gegenüber stand, interessiert an. Ein Mann Mitte vierzig, schwarzer Kurzhaarschnitt, dezent gebräunte Haut und Dreitagebart sah sie freundlich durch seine moderne, schmale Brille an. Männlich, selbstbewusst, aber ohne Arroganz. Mit einem kurzen taxierenden Blick verabreichte Sabrina ihm in Gedanken das Prädikat: Attraktivität und Sympathiefaktor Kategorie Zwei. Nicht, dass sie jemals eine Eins vergeben hätte. »Ihre Kollegin hat mich zu Ihnen nach hinten geschickt.« Er machte eine entschuldigende Geste. »Da vorne ist gerade die Hölle los.”

Das stimmte allerdings. Sabrina war so auf die Einsortierung der Bücher konzentriert und zugleich mit ihren privaten Überlegungen beschäftigt gewesen, dass sie völlig ausgeblendet hatte, nach vorne zu gehen und zu helfen. Quengelige Kinder, genervte Mütter, dazwischen die etwas brüchige Stimme eines Senioren.

Ihre Kollegin Mona hatte bestimmt jedes Kinder- und Jugendbuch, das neu war, mindestens zweimal selbst gelesen und wartete nur darauf, den richtigen Mann kennenzulernen, um möglichst bald selbst Mama zu werden und ihrem Sprössling vorlesen zu dürfen. In Sachen Buchgeschenke zu Weihnachten war sie gerade voll in ihrem Element: Eltern und Großeltern beraten.

Abgesehen davon interessierten Mona nur noch Liebesromane, am liebsten mit einem satten Schuss Erotik, für Sabrina ein geradezu unerträglicher Gedanke. In ihren Augen war dieses Zeug durchwegs Schund. Wenn sie las, wollte sie ihr Wissen erweitern und nicht ihre Zeit mit unnützem Inhalt verschwenden.

Ganz Profi in ihrem Job lächelte Sabrina den Mann freundlich an. Er suchte bestimmt ein Sachbuch. »Aus welchem Fachbereich ist denn das Buch, das Sie suchen?«

Grübchen bildeten sich an seinen Mundwinkeln, als sein Lächeln breiter wurde und eine Reihe makelloser Zähne freigab. »Nun, wie man es nimmt – ich suche einen erotischen Liebesroman.« Seine Augen schienen vor Erwartung zu blitzen.

Sabrina fühlte sich, als hätte man ihr einen Schlag in die Magengrube versetzt. »Liebesroman?«, murmelte sie. Na klar. Bestimmt war das ein Geschenk für seine Frau oder Freundin. Schließlich stand ja Weihnachten vor der Tür, und wenn »Mann« nichts Besseres einfiel, konnte er mit einem Buch bei einer Leseratte immer punkten. »Wissen Sie denn, welche Buchtitel die Dame in letzter Zeit gelesen hat, damit Sie ihr nichts schenken, was sie schon hat?«

Sein Blick schien sie bis tief in ihr Innerstes zu durchbohren. Sie wäre ihm gerne ausgewichen, von dieser Intensität eigentümlich berührt, aber irgendwie fesselten sie diese graugrünen großen Augen, so dass es ihr nicht gelang, ihren Blick abzuwenden.

Er schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Ich werde das Buch nicht verschenken. Es ist für mich. Und da ich schon einiges gelesen habe, zu viel, um es einzeln aufzuzählen, interessieren mich vor allem die Neuerscheinungen.«

Von ihrer falschen Vermutung schien er nicht im Mindesten unangenehm berührt. Im Gegenteil, offensichtlich stand er ganz und gar zu seiner Vorliebe.

Das durfte nicht wahr sein! Ein ausgesprochen männlicher, attraktiver Typ, der schnöde Liebesromane las? Sabrinas Beurteilung sank auf Note 3. Und ausgerechnet sie sollte ihn beraten? Sabrina knurrte innerlich. Ob Mona wohl gewusst hatte, was der Mann suchte und ihn absichtlich zu ihr geschickt hatte, um sie zu ärgern? »Oh, na ja, hm, das wird schwierig.« Sabrina drehte sich um und ging zwei Regale weiter. Im Augenwinkel sah sie, wie er ihr folgte. Sie deutete mit einer Handbewegung über die Buchreihen, die ordentlich in Reih und Glied standen. Einige Bücher namhafter Autoren, von denen man gute Verkäufe erwarteten, waren auf speziellen Ständern platziert, mit dem Cover zum Betrachter. »Das ist alles, was wir haben”, säuselte Sabrina so freundlich wie möglich. »Sie können sich gerne umsehen oder sich auch dort hinsetzen und in Ruhe hinein schnuppern.« Sie deutete mit ihren rot lackierten Fingernägeln auf eine kleine Sitzecke mit zwei gemütlichen Sesseln und einem Beistelltisch. Der dahinter stehende Wasserbehälter war fast leer und der Stapel frischer Becher war ebenfalls bis auf wenige geschrumpft. Sie würde sich als nächstes darum kümmern müssen.

Ihr Gegenüber zuckte fast unmerklich mit den Schultern. »Können Sie mir nicht direkt etwas von den Neuerscheinungen empfehlen, damit ich nicht solange suchen muss?«

Hitze stieg in Sabrinas Gesicht auf, als sie zu dem Mann aufsah, der gut einen halben Kopf größer war als sie. Bei ihrem Gardemaß von einsneunundsiebzig eher eine Seltenheit. Sie pustete eine Strähne ihrer rostroten Locken zur Seite, die sich aus dem schwarzen Band gelöst hatte, das ihre schulterlange Mähne zusammenhielt. Verdammt, das war ihr schon lange nicht mehr passiert, dass sie jemand so in Verlegenheit brachte. Noch dazu war dieser jemand sehr gut aussehend und machte den Eindruck, als ob er gute Manieren hätte – und intelligent wäre. Wobei, woran erkennt man Intelligenz? Er hatte wache, interessierte Augen – oder bildete sie sich das nur ein? Auf jeden Fall entsprach er nicht ihrem Bild, das sie von Leuten hatte, die diesen Mist lasen.

Sabrina bemühte sich, unter seinem durchdringenden Blick ruhig zu bleiben. Wann war sie zuletzt so nervös gewesen? »Nein, tut mir leid. Aber bei Romanen kenne ich mich gar nicht aus. Da müssten Sie warten, bis meine Kollegin Zeit für sie hat.«

»Ach, das ist aber schade. Lesen Sie denn keine Romane?«

Er sprach leise, so dass jemand, der auf der anderen Seite des Regals stünde, ihn nicht verstehen würde. Seine Stimme war betörend sanft und mit einem sinnlichen Vibrieren darin, wodurch sich der Aufruhr, der Sabrina erfasst hatte, von Sekunde zu Sekunde verstärkte. »Doch«, presste sie mühsam heraus. Wenn er doch wenigstens mal woanders hinschauen würde, zum Beispiel auf das Bücherregal, statt sie unverhohlen anzustarren. Mit diesen ungewöhnlichen Augen, die ihr jetzt noch viel dunkler und betörender vorkamen. »Doch, ich lese schon auch mal einen Roman. Aber eher selten, und nur wenn es um einen historischen Hintergrund geht. Ich befasse mich nicht mit diesem …« Sie stockte.

»Mit diesem Schund?«, komplettierte er amüsiert ihren Satz.

Hoffentlich lief sie nicht aus lauter Verlegenheit rot an. Ihre Wangen und Ohren fühlten sich wärmer an als zuvor. Was war nur los mit ihr? Es brachte sie doch sonst niemand so schnell aus der Fassung. Plötzlich war es sehr heiß in der Buchhandlung. Bestimmt hatte die verfrorene Mona wieder die Heizung zu weit aufgedreht. Sabrina sehnte sich nach dem kühlenden Luftzug eines Deckenventilators. Schweißperlen standen in ihrem Rücken und sie hätte sich gerne unbemerkt ihre Stirn abgewischt.

»So wollte ich das nicht sagen. Geschmäcker sind ja zum Glück verschieden, sonst würden nicht so viele Bücher gekauft werden …«, versuchte sie, die Situation zu retten. Sie hatte gerade eine der Grundregeln für Buchhändler und Buchverkäufer verletzt: niemals dem Kunden zeigen, was man von seinen Interessen hält.

Sein Lächeln verunsicherte sie noch mehr. Sie hätte besser damit umgehen können, wenn er aufgrund ihrer abwertenden Meinung eingeschnappt gewesen wäre.

»Natürlich wollten Sie das so nicht sagen, aber vermutlich haben Sie es gedacht. Das macht ja auch nichts. So wie es aussieht, könnte wohl eher ich sie zu diesem Thema beraten, als sie mich«, schmunzelte der Fremde.

»Ja, bestimmt. Ich werde mal sehen, ob meine Kollegin mittlerweile Zeit hat. Sie kennt sich bei diesen Büchern wirklich besser aus.«

Als Sabrina sich hektisch umdrehte, stieß sie gegen einen Ständer, auf dem die Sonderedition einer Erotikreihe präsentiert wurde. Sie wäre rücklings gestürzt, hätte der Käufer nicht in letzter Sekunde mit kräftiger Hand ihren Arm gepackt und dies verhindert.»Hoppla!«

Für einen Augenblick sahen sie sich direkt in die Augen und sein Blick brannte sich tief in ihr Innerstes, dann löste er seinen Griff und Sabrina schaute sich irritiert nach den herabgefallenen Büchern um.»So ein Mist!«, entfuhr es ihr. Hoffentlich hatte keines der Bücher Schaden genommen. Jedenfalls hatte sie sich jetzt vollends blamiert. Keine Ahnung von Liebes- und Erotikromanen und dann auch noch ein Verhalten wie der Elefant im Porzellanladen.

Als sie sich bückte, ging der Kunde ebenfalls in die Hocke, um ihr zu helfen. Es kam Sabrina vor, als würde sie von den schönen, nackten Frauen auf den Buchumschlägen verhöhnt. Ausnahmslos waren sie so fotografiert, dass sie den Betrachter direkt anschauten.

Der Fremde schmunzelte und hielt ihr mit gezieltem Griff eines der Bücher entgegen. »Das hier ist beispielsweise eines meiner Lieblingsbücher. Die Autorin beschreibt, wie die Protagonistin einen Aushilfsjob in einem Bordell annimmt, also wohlgemerkt, als Animierdame, nicht als Hure. Aber dann wird ein Kunde auf sie aufmerksam, der so attraktiv ist und so hartnäckig um sie wirbt, dass sie ihm irgendwann nicht mehr widerstehen kann und – schwups – ist sie mittendrin in einem äußerst erotischen Abenteuer. Man kann das Buch nicht weglegen, ehe man es ausgelesen hat.«

So ein Blödsinn. Sabrina hatte keinen blassen Schimmer, was sie mit seiner Ausführung anfangen sollte. Einerseits interessierte sie der Inhalt dieses oder ähnlicher Bücher überhaupt nicht. Gefühlskitsch bis hin zum Porno. Oberflächliche Unterhaltungslektüre, unrealistisch. Andererseits, ermahnte sie sich noch einmal, lautete eine der Regeln in ihrem Job, immer freundlich zu bleiben und den Kunden nicht vor den Kopf zu stoßen. Immerhin lebte sie davon, dass die Leser bei ihr Bücher kauften, egal ob Fachbuch oder Roman, und ob sie selbst diesen Geschmack teilte, war vollkommen

unerheblich.

Aber als könne er ihre Gedanken erraten, fuhr der Fremde mit seiner Erklärung fort: »Wissen Sie, es ist ja nicht wichtig, ob die Story der Realität entspricht. Es könnte so passieren, vielleicht – Hauptsache es ist sinnlich, spannend, und – ah, da ist ja auch der neue Roman der Autorin. Ich dachte, der kommt erst nächsten Monat raus.« Er nahm eines der anderen Bücher in die Hand, richtete sich auf, überflog die Kurzbeschreibung auf der Rückseite des Buches und nickte zufrieden. »Genau, das ist es. Von dieser Autorin kann man einfach alles lesen. Das nehme ich.«

Er sah Sabrina mit zufriedener Miene an. »Sie sollten sich wirklich mal eines von diesen Büchern vornehmen.« Dann lächelte er wieder. »Damit wir uns beim nächsten Mal darüber unterhalten können. Auf Wiedersehen.«

Sabrina schaute ihm sprachlos hinterher. Dieser arrogante Schnösel erlaubte sich tatsächlich, ihr einen Buchtipp zu geben. Ihr Blut kochte vor Empörung. Den Teufel würde sie tun, diesen Mist zu lesen! Reine Zeitverschwendung.

Wie doch die äußere Fassade täuschen konnte. Sie wäre niemals darauf gekommen, dass dieser gut aussehende Mann Frauenromane las, erotische wohlgemerkt. Vielleicht sah er ja doch nicht ganz so gut aus? Ach was. Kopfschüttelnd kehrte Sabrina zu dem Karton mit den Büchern zurück, die ausgepackt werden sollten, und fuhr mit dem Einsortieren fort.


Es vergingen etwa zwei Wochen und Sabrina hatte die Begegnung mit dem merkwürdigen Fremden völlig aus ihrem Gedächtnis gestrichen, als er plötzlich wieder die Buchhandlung betrat. Sabrina hörte zunächst nur seine Stimme, die sie sofort wieder erkannte, ging hinter einem Regal in Deckung und spähte vorsichtig durch eine kleine Lücke zwischen zwei Büchern hindurch. Auch diesmal sah er wieder wie aus dem Ei gepellt aus, dem Schneetreiben vor der Tür angemessen mit Schal und dicker Jacke bekleidet.

Ruckartig wandte sie sich ab und flüchtete leise zwischen den Regalen hindurch in den dahinter liegenden Mitarbeiterbereich. Nein, sie wollte diesem Kunden nicht begegnen und die Diskussion über seine unseligen Bücher von Neuem aufnehmen. Sie würde einfach ein paar Minuten auf der Toilette bleiben und ihm auf diese Weise ausweichen. Bis sie hinauskam, hatte er sich bestimmt schon für ein neues Buch entschieden, bezahlt und war wieder gegangen. Sollten doch ihre Kolleginnen sich um seine Wünsche kümmern, die für dieses Genre Feuer und Flamme waren.

Sabrina schaute kurz nach links, nach rechts und atmete erleichtert auf. Gefahr vorüber. Zehn lange Minuten hatte sie es ausgehalten, um der unerwünschten Begegnung auszuweichen, und die Zeit genutzt, ihr Makeup ein wenig aufzufrischen. Mit forschen Schritten ging sie zwischen den Regalen nach vorne und wäre beinahe mit dem Kunden zusammengestoßen, als er unverhofft hinter einem Regal hervortrat.

»Hoppla – da sind Sie ja! Ihre Kolleginnen wollten schon eine Vermisstenanzeige aufgeben«, begrüßte er sie lächelnd.

»Ach ja?«, entgegnete Sabrina kurz angebunden, was ihr Gegenüber aber gar nicht wahrzunehmen schien.

»Es ist schön, dass ich Sie antreffe, ich wollte Ihnen nämlich unbedingt sagen, dass das Buch super geschrieben ist. Das wird bestimmt ein Bestseller. Haben Sie es schon gelesen?«

»Nein«, entgegnete Sabrina wahrheitsgemäß. »Und das werde ich auch nicht. Dieses nicht und die anderen auch nicht«, fügte sie unwilliger hinzu, als sie wollte. Warum konnte er sie nicht einfach mit diesem Mist in Ruhe lassen? Schön, wenn es ihm gefiel, so kam Umsatz in die Kasse. Aber das bedeutete nicht, dass sie sich dafür interessieren musste. Forsch versuchte sie sich an ihm vorbei zu schieben, aber er ging nicht auf die Seite und sie sah verärgert zu ihm auf.

Der Fremde lachte. »Und ich dachte schon, Sie wären über die Inhalte schockiert. Mag ja vorkommen, wenn man das erste Mal so einen Erotikroman liest und merkt, wie anregend das sein kann.« Er zwinkerte sie verschwörerisch an. »Aber wenn Sie noch nie eines gelesen haben, dann können Sie sich ja gar kein Urteil erlauben. Das sollten wir ändern.«

Er nahm sie sanft am Oberarm und zog sie mit sich.

Dieser unverschämte Kerl, was fiel ihm ein! Sabrinas Kopf begehrte auf und forderte eine Gegenmaßnahme, ihre Gliedmaßen waren jedoch wie gelähmt. Sie schaffte es weder, sich seinem Griff zu entwinden, noch zu widersprechen. Endlich ließ er ihren Arm los, aber nur, um ein Buch aus dem Regal zu nehmen und ihr resolut in die Hand zu drücken. »Hier, fangen Sie damit an. Ein sanfter und romantischer Einstieg in die Welt der Liebe und die Sinnlichkeit der Unterwerfung.«

Unterwerfung? Sabrinas Nackenhaare sträubten sich. Und überhaupt – was hatte sein forschender Blick zu bedeuten? »Es ist wirklich gut geschrieben. Glauben Sie mir, Sie werden nicht aufhören zu lesen, ehe Sie auf der letzten Seite angekommen sind.«

Das hatte er schon einmal behauptet und sie hatte es dennoch nicht gelesen.»Na gut, wenn Sie meinen«, versprach sie, um ihn loszuwerden und tatsächlich schien diese Schutzbehauptung zu wirken, denn er verabschiedete sich mit einem warmen Händedruck und wünschte ihr einen schönen Feierabend.

Sabrina wartete noch eine Weile, nachdem der Kunde die Buchhandlung verlassen hatte, dann stellte sie das Buch ins Regal zurück. Allerdings nicht, ohne zuvor den Klappentext gelesen zu haben. Kopfschüttelnd ging sie danach wieder an ihre Arbeit. Leute, die dieses Zeug lasen, hatten bestimmt irgendwelche Persönlichkeitsprobleme oder waren ganz einfach pervers.


Der Stachel der Unwissenheit saß allerdings tief. Viel tiefer, als Sabrina sich zunächst eingestehen wollte. Schlaflos wälzte sie sich im Bett herum. Die Stimme des Fremden und seine Worte gingen ihr nicht mehr aus dem Kopf. Es war wie ein Echo, das immer und immer wieder angestimmt wurde, wie der Ohrwurm eines lästigen Liedes, das man im Radio gehört hat.

Vielleicht musste sie dem Kerl ein kleines bisschen recht geben, aber nur ein ganz kleines bisschen, mehr wäre ein Zuviel der Selbsterkenntnis gewesen. Es stimmte schon. Über Literatur, die sie noch nie gelesen hatte, durfte sie sich keine Meinung erlauben. Also würde sie das ändern. Sie würde diese Lücke schließen, nur um sich selbst (und ihm) zu beweisen, dass sie intuitiv mit ihrem Urteil richtig gelegen war.

Gleich am nächsten Morgen steckte sie ein Exemplar des von ihm so hoch gelobten Romans in ihre Handtasche. Eine unerklärliche Unruhe erfasste sie, mit dem Lesen zu beginnen. Wie sollte sie dem Kunden gegenüber treten, wenn er wieder kam und sie erneut mit ihrer Unwissenheit provozierte? Nein, das würde ihr nicht noch einmal passieren. Da sie zur Gattung der Schnellleser gehörte, würde sie das Buch am heutigen Abend verschlingen. Es war ja auch unwesentlich, ob sie jedes Wort las. Ein schnelles Überfliegen würde sicherlich genügen, und dabei konnte sie sich selbst davon überzeugen, dass diese Texte das Papier nicht wert waren, auf das man sie druckte.

Ungeduldig erwartete Sabrina den Abend. Aber als sie endlich Feierabend hatte und zuhause ankam, scheute sie sich, das Buch aufzuschlagen. Das war doch albern, was sie vorhatte. Wo bitte schön stand geschrieben, dass sie sich in allen Genres auskennen und von allem etwas gelesen haben musste? Am besten erst mal kochen, ihr Magen knurrte schon unwillig. Am besten sie warf den Backofen an und schob eine tiefgefrorene Gemüserolle hinein, dann könnte sie ohne Aufwand in gut zwanzig Minuten etwas Leckeres essen …

Während Sabrina auf das erlösende »Drrr« der Zeitschaltuhr wartete, starrte sie das Buch an, das vor ihr auf dem Küchentisch lag. Schon alleine dieser Umschlag war eine Provokation. Diese nackte Frau, die die rücklings in einem goldenen Ring lag] und den Betrachter herausfordernd ansah. War das nicht sexistisch, entwürdigend? Die Frau als bloßes Lustobjekt darzustellen?

Sabrina schnaubte. Ich könnte ja einfach nur mal die erste Seite lesen. Mit resoluter Handbewegung schlug Sabrina das Buch auf und blätterte die innere Titelseite um.

Der Einstieg war relativ harmlos. Eine junge Frau vermisste ihre beste Freundin, es regnete in Strömen, sie ging alleine shoppen. Doch die Autorin kam schnell zur Sache. Nicht irgendein Modegeschäft war das Ziel, sondern ausgerechnet ein Sexshop, und die Protagonistin suchte diesen auf, um sich einen Vibrator zu kaufen. Schon nahm das Schicksal seinen Lauf …

Das schnarrende »Drrr« riss Sabrina in die Gegenwart zurück. Ungeduldig beförderte sie den Gemüsestrudel auf den bereit gestellten Teller und setzte sich wieder an den Küchentisch. Während sie wie automatisiert Bissen um Bissen in ihren Mund beförderte, las sie von Neugierde gepackt weiter. Schließlich erhob sie sich, ließ den Teller stehen, und zog vom Küchenstuhl auf das bequemere Sofa im Wohnzimmer um, nun bereits beim dritten Kapitel angelangt und erwartete mit steigender Spannung, was weiter geschehen würde.

Die Empfindungen der Personen übertrugen sich auf ihren Körper. Sie sehnte, fühlte und litt mit ihnen. Dann folgte die erste Sexszene und Sabrina dachte, nur diese eine würde sie lesen, auch wenn es sie vielleicht anwidern würde, und dann hätte sie sich ausreichend genug informiert, um das Buch aus der Hand zu legen und mitreden zu können.

Aber es kam ganz anders. Sabrina empfand ein sinnliches Kribbeln, ein heißes ungestilltes Verlangen, je mehr sie den Text auf sich wirken ließ, sich zum einen wünschte und andererseits gleichzeitig fürchtete, das selbst auszuprobieren, was die Hauptdarstellerin erlebte. Dies war nicht einfach nur eine Liebesgeschichte. Dies war nicht einfach nur irgendein blöder Erotikroman. Es ging nicht nur um Sex und Leidenschaft. Das Thema war ein erregendes und sinnliches Spiel aus Dominanz und Unterwerfung, aus unterschiedlichen Neigungen, die mit dem passenden Partner ausgelebt werden durften, so dass Sabrina völlig vergaß, dass sie eigentlich nur ein paar Seiten hatte lesen wollen.

Die Handlung sprach ihr Innerstes an, und noch viel mehr, es regte ihre Sehnsucht nach einem Leben zu zweit, nach Liebe und nach Zärtlichkeit. Von Zeit zu Zeit begann es in ihrem Unterleib zu kribbeln. Nein, konnte es sein, dass diese Geschichte sie ein wenig erregte?

Als Sabrina es nach ihrem langen anstrengenden Arbeitstag trotz der spannenden Geschichte schließlich nicht mehr schaffte, sich zu konzentrieren und ihre Augen offenzuhalten, war es schon weit nach Mitternacht. Sehr viel später, als sie sonst zu Bett ging. Sie blieb einfach auf dem Sofa liegen, knipste das Licht der Leselampe aus und zog die Decke, in die sie sich gekuschelt hatte, bis über die Schultern.


»Nun, wie geht es Ihnen? Gibt es etwas Neues?«

Sabrina fuhr herum. »Sie schon wieder! Müssen Sie mich immer so erschrecken, Herr …?«

»Oh, tut mir leid, das wollte ich wirklich nicht.« Ihr Gegenüber machte eine zerknirschte Miene. »Und ich habe mich wohl letztes Mal nicht vorgestellt. Wie unhöflich von mir. Joachim Krummer. Aber nennen Sie mich doch bitte einfach Jo.«

Sein Lächeln strahlte, als ginge darum, mit einer Zahnpastawerbung zu überzeugen, und sein unschuldiger Dackelblick war nicht weniger umwerfend. Damit bekam er bestimmt jede rum.

Jede andere, korrigierte Sabrina in Gedanken, sie aber würde sich davon nicht einnehmen lassen. Außerdem, wenn er solche Bücher las, dann stand er bestimmt auch nur auf Frauen, die dem Schönheitsideal dieser Protagonistinnen entsprachen. Zwar haderte Sabrina nicht mit ihrer etwas fülligeren Figur und dem prallen Busen, dafür naschte und aß sie einfach viel zu gern. Andererseits war ihr bewusst, dass Frauen mit Kleidergröße 42 sich noch so gut kleiden mochten – Männer standen einfach mehr auf Modellmaße.

»Sabrina Tanner«, erwiderte sie der Höflichkeit halber.

»Nun Sabrina – haben Sie auf meine Empfehlung gehört und das Buch inzwischen gelesen?«

Zu gerne hätte sie verneint, es lag ihr auf der Zunge, ihm entgegen zu schmettern, dass ihn das überhaupt nichts anginge. Aber dieser Kerl hatte etwas an sich, etwas Magisches, das sie völlig aus dem Konzept brachte. Ehe sie dazu kam, ihm zu antworten, sprach er bereits weiter, leise, mit einem eigenartigen Unterton, der hier nicht hingehörte. »Sie haben es gelesen, ich sehe es. Es steht in Ihren wunderschönen Augen geschrieben.«

Das fehlte ihr noch, dass er versuchte sie mit Schmeicheleien zu umgarnen. Zwar gab es nicht viele Frauen, die außergewöhnlich grüne Augen hatten wie sie. Das war ihr sehr wohl bewusst, und diese Farbe passte sowohl zu ihrem Teint mit den Sommersprossen als auch zu ihrer naturroten Haarfarbe. Nixe hatte sie deswegen einer ihrer früheren Liebhaber genannt. Dennoch. Er sollte sie in Ruhe lassen!

Jetzt lächelte er wieder, aber anders als zuvor. Wissend, selbstbewusst. Dabei sinnlich, geradezu verführerisch. Ehe Sabrina begriff, was er vorhatte, beugte er sich auf einmal zu ihr herunter, legte seine Hand in ihren Nacken, zog sie sanft an sich und küsste sie. Sein Kuss war köstlich und zugleich fordernd, die Frische von Pfefferminz drang in ihren Mund ein und seine Zunge suchte die ihre, klopfte zärtlich an und kostete sie.

Schwindel ergriff Sabrina und sie hatte Angst, dass ihre Beine wegsackten.

»Wann hast du Feierabend? Ich hole dich ab«, fragte er, kaum dass er sie losgelassen hatte. Dem bestimmenden Tonfall nach zu urteilen war dies jedoch nur eine rhetorische Frage. Ihm ging es wohl zu gut?

Sabrina stieß ihn abrupt von sich weg. »Was fällt Ihnen ein! Ich werde mich nicht mit Ihnen treffen.«

Er gab ein tiefes und ein wenig spöttisches Kichern von sich. Als er seine Hand ausstreckte, um ihr Kinn zu heben, wich sie einen Schritt zurück. Ein weiterer Kuss war überflüssig. Sie würde sich nicht einlullen lassen, und auch weder einem Treffen noch einer Diskussion über Romane nachgeben. Bleib mir von der Pelle!

»Hast du etwa Angst vor mir, Sabrina?«

»Blödsinn!«, fauchte sie.

»Also, wann hast du Feierabend? Ich möchte nur mit dir etwas essen gehen, dich zu einem Gläschen Wein einladen, zu einer kleinen Plauderstunde. Mehr nicht.«

Wie kam er dazu, sie auf einmal zu duzen? »Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich versteh gar nicht, warum …«

Mit einer herrischen Geste stoppte er ihre Argumentationsversuche. Sein flehendes »Bitte. Bitte sagen Sie nicht Nein.« passte nicht zu seinem dominanten Auftreten, und dennoch lag darin so viel Inbrunst, soviel Gefühl, dass Sabrina beinahe glauben mochte, es wäre ihm wirklich ein Herzensbedürfnis, mit ihr auszugehen.

»Ich kann nicht«, murmelte sie mit einem letzten Funken Widerstand. Sie musste sich umdrehen und ihn stehen lassen, sie musste ihre Augen von ihm abwenden, um ihm widerstehen zu können, sie musste …

»Warum? Niemand wartet auf dich«, hauchte er.

»Woher wollen Sie …«

Sabrina verstummte unter seinem Blick. Wieder dieser unwiderstehliche und durchdringende Dackelblick, als müsste er auf der Stelle, direkt hier vor ihren Augen zusammenbrechen, falls sie es wagte, noch einmal Nein zu sagen.

»Also gut«, seufzte Sabrina. »Fünf nach sechs bin ich fertig, Herr Krummer.«

»Jo«, erwiderte er mit einem strahlenden Lächeln. »Nennen Sie mich bitte einfach Jo.«


Es gelang ihr nicht sich zu konzentrieren. Zerstreut prüfte Sabrina schon zum dritten Mal den Inhalt der Kasse. Und jedesmal erhielt sie ein anderes Ergebnis.

»Was ist denn mit dir los?« Mona musterte ihre Kollegin mit prüfendem Blick von der Seite.

»Nichts«, erwiderte Sabrina ein wenig zu hastig.

Mona schaute kurz verdutzt, dann lachte sie frei heraus. »Den Bären kannst du jemand anderem aufbinden. Lass mal, ich mach das. Geh schon und schau, dass du morgen wieder du selbst bist!«

Sabrina bedankte sich. Ein wenig verlegen zog sie ihre wattierte Jacke und die Fell gesäumten Handschuhe an, hängte sich ihre Handtasche über die Schulter und trat schließlich aus der Buchhandlung hinaus. Festliche Beleuchtung aus allen Geschäften tauchte die Fußgängerzone in ein unwirkliches und doch fast taghelles Licht, in dem es überall funkelte und strahlte.

Mit sich selbst im Unreinen schlenderte Sabrina von einem Schaufenster zum nächsten, ohne die aufwändigen Dekorationen bewusst in sich aufzunehmen und sich davon in eine weihnachtliche Vorfreude versetzen zu lassen. Ihr Innerstes war so aufgewühlt wie schon lange nicht mehr. Wie hatte Mona das bemerkt? Stand auf ihrer Stirn geschrieben: treffe mich heute mit Mister Unbekannt, der leidenschaftlich(e) Romane liest. Ich weiß nicht, was in mich gefahren ist, dem zuzustimmen.

Dieses doofe Buch, das sie vergangene Nacht gelesen hatte, war ihr den ganzen Tag über nicht mehr aus dem Kopf gegangen, ebenso wenig wie ihr Kavalier, denn dieser stand jetzt plötzlich vor ihr. »Du hast schon Feierabend?«, fragte er mit samtiger Stimme und überreichte ihr einen Strauß rosaroter Rosen. Sie sahen nicht nur wunderschön aus, sie dufteten auch verführerisch.

Sofort schlug Sabrinas Herz einige Takte schneller. »Danke«, mehr brachte sie nicht über die Lippen.

Es war schon eine Weile her, dass ihr jemand Blumen geschenkt hatte, noch dazu einen so wundervollen Strauß, und das hatte sie gewiss nicht erwartet. Das war überaus romantisch und es machte sie verlegen.

»Gehen wir, Sabrina?«

Jo wirkte sehr zufrieden, bot ihr ganz Kavalier seinen Arm an und sie hängte sich verwirrt bei ihm ein, im anderen Arm behutsam die Rosen an sich drückend.

Sabrina hatte alles Mögliche und Unmögliche erwartet, dass er den ganzen Abend über sich und seine Erfolge reden würde, mit Errungenschaften wie einem tollen Auto oder seiner Eigentumswohnung prahlend. Irgendwann nutzte jeder Mann die Gelegenheit zur perfekten Selbstinszenierung. So hatte sie es bislang kennenlernt. Die andere Variante war, dass er sie sofort in seine Wohnung locken und zu einem One-Night-Stand verführen wollte.

Aber weder das eine noch das andere geschah.

Jo bestellte das Essen, da Sabrina viel zu aufgeregt war, um sich für ein Gericht zu entscheiden, dazu einen Rotwein und auf ihre Bitte hin auch Mineralwasser. Er fragte sie nach ihren Wünschen, wie sie sich ihr künftiges Leben vorstellte und wie von selbst flossen Sabrinas innerste Sehnsüchte nach einem liebevollen, verständnisvollen Lebensgefährten von ihren Lippen, nach Sicherheit und später, ja, da wollte sie gerne auch ein oder zwei Kinder. Schließlich unterhielten sie sich sogar über die erotische Lektüre, die er ihr empfohlen hatte.

Auch jetzt schaffte Sabrina es nicht, ihre ganz persönlichen Empfindungen für sich zu behalten. Geschickt entlockte Jo ihr das Geständnis, dass sie beim Lesen der Geschichte erregt gewesen war.

Es war ihr ein wenig peinlich und es fiel ihr schwer, seinem Blick standzuhalten. Ihr Begleiter strahlte eine ruhige Dominanz aus, ohne viele Worte, ohne besondere Gesten. Diese Dominanz war einfach da. Was er wissen wollte, kitzelte dieser Mann auf eine überaus geschickte rhetorische Weise aus ihr heraus, so dass sie es erst merkte, als es schon zu spät war. Oder war es die Wirkung des Rotweins, der ihre Sinne und ihr Reaktionsvermögen so sehr benebelt hatte?

Für einen kurzen Augenblick wünschte sie sich, er würde sie in den Arm nehmen, sie leidenschaftlich küssen, unsittlich berühren und sie – verführen.

Sabrina fand erst wieder richtig zu sich selbst, als sie später, von ihm fürsorglich nach Hause begleitet, alleine in ihrem Bett lag. Doch obwohl sie müde war und herzhaft gähnen musste, war sie innerlich viel zu aufgewühlt und ihr Körper von einem alles verzehrenden Feuer erfüllt, so dass an Schlafen nicht zu denken war. Da half nur noch eines: eine kalte Dusche, um wieder die Kontrolle über sich selbst zu übernehmen.

Tag um Tag überlegte Sabrina, was Jo wirklich von ihr wollte. Er war ihrer Meinung nach einfach nicht der Typ Mann, der sich mit einer kleinen Buchhändlerin, wie sie es war, zu einem Smalltalk traf. Abend um Abend nahm sie sich vor, ihn zu fragen, was er beabsichtige, aber wenn sie ihm gegenüber stand, traute sie sich nicht mehr. Der Blick aus seinen Augen paralysierte sie und jede Berührung durch seine Hand war wie ein sensorischer Stromstoß. Die zurecht gelegte Frage blieb ihr in der Kehle stecken, als wäre diese zu eng.

War es ihr zuvor schon wichtig gewesen, für sich selbst gut gekleidet zu sein, in dem Bewusstsein täglich Kunden gegenüber zu treten, so legte sie nun noch mehr Wert darauf. Akribisch achtete sie auf Abwechslung, auf die richtige Kombination von Kleid, Schuhen und Handtasche. Um von ihren etwas fülligeren Hüften abzulenken trug sie Blusen und Kleider, die ihr schönes Dekollete und ihren festen Busen betonten. Ob ihm gefiel, was er sah? Mochte er ihre Sommersprossen, die vorwitzige Stupsnase und ihre freche rostrote Mähne?

Es gab einige Gemeinsamkeiten zwischen ihnen, aber auch viele Unterschiede, soviel hatte sich inzwischen heraus kristallisiert. Es war interessant, mit ihm zu diskutieren und seine Meinung kennenzulernen. Er hatte ihr erzählt, dass er eine Firma besäße, die Sonnenkollektoren herstelle – Sabrina hatte nicht alles verstanden, was er ihr zu ihrem Verständnis erklärt hatte. Er war gebildet und belesen. Zwei bis drei der großen Tageszeitungen gehörten zu seinem täglichen Programm. Nur diese Art spezieller Romane passten für Sabrina nicht ins Gesamtbild, auch wenn Jo behauptete, diese wären ein sinnlicher Ausgleich zum Alltag und würden ihn entspannen.

Eines war hingegen sonnenklar. Die Stunden mit Jo vergingen wie im Flug und sie freute sich inzwischen darauf. Allmählich gewann sie zudem den Eindruck, dass vielleicht doch sie diejenige war, die sich in eine falsche Meinung verrannt hatte. Tagsüber beobachtete sie ein wenig genauer, welche Käufer vor dem Regal mit den erotischen Romanen standen und diese kauften, und das waren am wenigsten gelangweilte Hausfrauen, wie sie bislang vermutet hatte. Die meisten waren selbstbewusste, moderne Frauen verschiedenen Alters. Ein Drittel der Käufer waren Männer, und Sabrina glaubte inzwischen nicht mehr, dass diese die Bücher zum Verschenken kauften.

Sie achtete darauf, welche Bücher bevorzugt gekauft wurden und nahm heimlich einige davon mit nach Hause. Das Geld legte sie in die Kasse, wenn gerade keine ihrer Kolleginnen in der Nähe war. Niemand brauchte zu wissen, für welche Lektüre sie sich neuerdings interessierte.

Es wurden lange Nächte mit wenig Schlaf, denn nach jedem Treffen mit Jo war Sabrina viel zu aufgewühlt, um gleich ins Bett zu gehen. Stattdessen fing sie an zu lesen – um sich abzulenken. Ob es ihm wohl genauso ging wie ihr? Ruhelos, entsetzt und zugleich fasziniert jagten ihren Augen über die Zeilen, fraßen sich durch die Geschichten und versetzten ihren Körper in einen nie gekannten Strudel aus Sehnsucht und Lust. Es gelang ihr nicht länger, sich dagegen zu sträuben. Die Bücher zogen sie in ihren Bann und sie fühlte sich hoffnungslos darin verloren.

Und dann war die Vorweihnachtszeit zu Ende und ein turbulenter vierundzwanzigster Dezember erwachte. Panikkäufer gaben sich den ganzen Vormittag über die Klinke der Buchhandlungstür in die Hand und wollten trotz der allgemeinen Hektik persönlich beraten werden. Sabrina und ihre Kolleginnen hetzten zwischen Bücherregalen, weihnachtlichem Geschenkpapier und der Kasse hin und her. Das »Ho, Ho, Ho« des amerikanischen Weihnachtsmannes ging an diesem Tag völlig im Stimmengewirr unter. Eine Girlande mit kleinen Weihnachtskugeln löste sich von der Decke und verteilte auf dem Fußboden bunte Splitter. Ein von der Vorfreude auf Geschenke überdrehtes Kind riss einen Bücherstapel um … Dann fiel endlich die Ladentür hinter dem letzten Käufer ins Schloss und auch für Sabrina begann der gemütlichere Teil des Tages.

Ein nervöses Kribbeln nahm sie in Besitz, als Sabrina vor dem Haus ankam. Jo hatte sie wie immer abholen wollen. Aber da Sabrina nicht wusste, ob sie den Laden an diesem besonderen Tag pünktlich schließen würden, hatte sie ihn überredet, zuhause auf sie zu warten. In seinem Zuhause. Denn – Jo hatte sie zum ersten Mal zu sich, in seine Wohnung eingeladen.

Er begrüßte sie mit einem sanften Kuss auf die Lippen, dann nahm er ihr den Mantel ab und bat sie herein. Seine Drei-Zimmer-Neubau-Wohnung war geschmackvoll eingerichtet. Alles war modern und praktisch, aber mit Stil ausgewählt. Die Wände waren weiß oder in pastelligen Farben gestrichen, das Wohnzimmer von einer roten Ledercouch und einem langen schwarzen Bücherregal dominiert. Alles in allem eine Wohnung zum Wohlfühlen.

Ein paar Accessoires würden allerdings nicht schaden, überlegte Sabrina. So ein bisschen Schnickschnack, der da oder dort herumsteht. Dinge, die man nicht braucht, die einfach nett fürs Auge und die Seele sind. Wahrscheinlicher waren Männer in diesem Punkt nüchterner veranlagt als Frauen, oder dachten einfach nur an lästiges Staubwischen. Aber wenigstens zu Weihnachten wäre ein wenig Deko angebracht. Hätte sie das gewusst …

Kaum hatten sie ihre Besichtigung beendet zog Jo Sabrina in seine Arme und küsste sie diesmal länger und intensiver. Eine Hand fuhr langsam ihren Rücken hinab und blieb auf ihrem Po liegen. Sabrina seufzte leise in seinen Mund. Von einer Sekunde zur anderen wurde ihr heiß. Seine Hand knetete sanft ihre Pobacke und sie verspannte sich. Mit Kleidung ließ sich so manches kaschieren, was zu üppig geraten war. Würde er sie auch noch wollen, wenn sie nackt vor ihm stand?

Da hob er mit einer Hand ihr Kinn und schaute sie prüfend an. »Bist du mutig genug für ein kleines erotisches Abenteuer?«

Sabrinas Zuversicht sank. Bis zu diesem Augenblick hatte sie gehofft, er könne an einer langfristigen Beziehung interessiert sein, sonst hätte er sie doch bestimmt schon vor Tagen in sein Bett gelockt und wäre nicht nur mit ihr ausgegangen. Und nun war er doch nur an einem Abenteuer interessiert? Es fiel ihr schwer, ihm zu widerstehen, aber was diesen Punkt betraf, hatte sie ihre Prinzipien und es war bestimmt besser, sie beizubehalten, sonst würde sie es später bereuen.

Mit aller Kraft, die sie aufbrachte, schob sie ihn von sich. »Ach so ist das, du willst dich nicht binden. Also für ein Abenteuer hättest du dir nicht so viel Mühe …«

Jo legte einen Finger auf ihre Lippen und lachte leise. »Warte, du hast mich falsch verstanden. Ich habe mich vielleicht zu ungenau ausgedrückt. Ich will keinen One-Night-Stand. Ich meinte – willst du ein erotisches Erlebnis riskieren, wie es in den von dir abgelehnten Romanen steht?« Er zwinkerte belustigt. »Es ist doch nicht bei dem einen geblieben – du hast doch längst mehr davon gelesen, nicht wahr?«

Sabrinas Herz drohte auszusetzen. Das konnte er unmöglich ernst meinen.

Jo streckte seine Hand aus und streichelte ihr über die Wange. »Oder willst du leugnen, dass du beim Lesen feucht geworden bist – und ein wenig neugierig?«

Stumm schüttelte sie den Kopf. Es war, als läge ihr Innerstes offen vor ihm, als gäbe es nichts, was sie vor ihm verbergen könnte. Dennoch – vom Lesen und sich Vorstellen, wie es sein könnte, wenn, war es noch ein großer und mutiger Schritt bis zum Ausprobieren, und sie war sich nicht sicher, ob sie das wirklich wollte.

»Hast du Angst?«, flüsterte Jo.

Sie nickte.

»Angst vor mir?«

Sabrina schüttelte den Kopf.

»Wo vor dann? Dass es dir nicht gefallen könnte?«

»Ja.«

»Das hat jeder beim ersten Mal«, erwiderte er mit einem Vertrauen erweckenden Lächeln. »Aber das brauchst du nicht. Ich werde dich zu nichts zwingen, das verspreche ich dir. Wenn du willst, dass ich aufhöre, verwendest du das Safeword: Game Over.«

Sabrina sog hörbar die Luft ein. Der Gedanke, in eine neue sexuelle Welt einzutauchen, war durchaus reizvoll. Andererseits kannten sie sich erst kurz und ihr schossen mehrere Erinnerungsfetzen durch den Kopf, was die Männer mit den Frauen in diesen Romanen machten – oder eben auch in der Realität. Sie hatte es nicht glauben wollen, aber mit wenigen Stichwörtern und Klicks hatte sie eines Abends im Internet gefunden, was sie suchte. Es war nicht nur eine aufregende Story. Eine ganze Erotikindustrie befriedigte die Bedürfnisse nach dem Spiel mit der Lust und dem Schmerz. Es war beängstigend, was es alles gab.

Als Jo sie erneut küsste, fest an sich presste und seine Hände ihren Rock hochschoben, unter ihren Slip glitten, ihn herabstreiften und ihre Pohälften umfassten, streichelten und kneteten, sank ihr letzter Rest Widerstand. Sie wollte ihn so sehr, dass es schmerzte. Leidenschaftlich erwiderte sie seinen Kuss und knöpfte dabei sein Hemd auf. Er ließ sie gewähren, als sie es aus der Hose zog und ihm über die Arme abstreifte. Langsam öffnete er den Reißverschluss ihres Kleides, küsste ihren Hals und – ließ sie auf einmal los. Sein Blick war durchdringend und das Lächeln, das sie an ihm so liebte, nur noch zu erahnen.

»Zieh dich aus, ganz langsam, wie bei einem Striptease«, forderte er leise, mit einer Strenge in der Stimme, die keinen Widerspruch duldete.

Ein Hauch von Peinlichkeit befiel Sabrina. Er hatte sie ihres Schutzes beraubt, ihr Kleid geöffnet, ihren Po entblößt und das Höschen einfach mitten an ihren Oberschenkeln hängen gelassen. Es war ein wenig entwürdigend. Sie fühlte noch immer die Hitze seiner Hände auf ihrer Haut und schluckte. Hätte er sie weiter ausgezogen, ihr die Kleidung vollkommen abgestreift, wäre es weniger unangenehm gewesen.

Wie erstarrt musterte sie seinen Oberkörper. Durchtrainierte wohl proportionierte Muskeln, eine glatte unbehaarte Brust. Dunkle, sich verlockend abzeichnende, dunkle Brustwarzen. Warum machte er nicht weiter?

»Fang an!«

Jo ging rückwärts bis zur Couch, ohne Sabrina dabei aus den Augen zu lassen. Dann setzte er sich, bediente den Knopf einer Fernbedienung. Leise Musik erklang aus den Lautsprechern, die knapp unter der Decke in allen vier Ecken des Zimmers an der Wand angebracht waren.

Unsicher streifte Sabrina das Kleid ab. Sein Blick war erwartungsvoll und sie wollte ihn nicht enttäuschen. Aber sie hatte sich noch nie vor jemandem auf diese Weise ausgezogen. Ihre Bewegungen waren unsicher und steif, sie hatte Mühe sie mit dem Takt der Musik zu koordinieren. Um ihn nicht anschauen zu müssen, was sie noch mehr verunsicherte, schloss sie halb die Augen, was ihr jedoch nur mit großer Mühe gelang. Zuletzt zog sie den Slip aus und ihre Schuhe.

Als sie völlig nackt vor ihm stand, machte er ein Zeichen, dass sie sich vor ihm drehen sollte und sie gehorchte. Er nickte zufrieden und zu ihrer Erleichterung erschien wieder ein Lächeln auf seinen Lippen. Mit gekrümmtem Zeigefinger winkte er sie zu sich und klatschte mit der anderen Hand auf seine Schenkel.

Sabrina hielt den Atem an. Es war eindeutig, was diese Geste bedeutete. Sie hatte es in einem der Romane gelesen. Aber das war nun doch etwas anderes. Sollte sie wirklich? Sich freiwillig über seine Schenkel legen, seinen Begierden preisgegeben, den Schmerz kosten, der als einzigartiges und sehr sinnliches Erlebnis beschrieben wurde?

Jo zog die Augenbrauen hoch, da gehorchte sie. Ein wenig peinlich berührt ließ sie sich über seinen Beinen nieder und er half ihr dabei, schob sie mit seinen Händen zurecht. »Liegst du bequem?«

»Ja«, erwiderte sie. Ihre Stimme zitterte vor Aufregung. Es war ein eigenartiges Gefühl, ihm ihren nackten schutzlosen Po entgegen zu strecken, zu fühlen, wie seine warme Hand darauf lag, ihn sanft knetete und streichelte. Ihr Herz pochte laut und energisch in ihrem Brustkorb und nahm ihr den Atem.

Jo streichelte sie weiter und wartete, bis sie ein wenig ruhiger wurde und sich entspannte. Er summte leise zur Musik vor sich hin. Seine Hand erkundete ihre Schenkel, ihren Rücken und ihr lief ein kalter Schauer herunter, als er ihre Wirbel nachfuhr.

Dann gab er ihr unvermittelt einen Klaps auf den Po. Noch einen, und noch einen. Das Klatschen wurde lauter, das Beben ihrer Pobacken intensiver, und was sanft begonnen hatte, steigerte sich ganz langsam zu einer Wärme, die von ihrem Po über die Schenkel in ihren Unterleib einzog.

Sabrina hielt die Luft an und hob den Kopf ein wenig an. Sie wagte nicht, irgendeinen Ton von sich zu geben. Seine freie Hand lag leicht auf ihrem Nacken, ohne sie herunterzudrücken, aber wie eine stille Drohung: wage es nicht, dich zu rühren, denn ich bin da und warte auf dich.

Seine andere Hand ging wieder und wieder, in einem regelmäßigen, nicht zu schnellen Rhythmus auf ihren Po nieder. Nicht kalkulierbar, mal da, mal dort, auch auf die Schenkel, dann mehrmals auf dieselbe Stelle. Die Wärme ging in ein Brennen über, dann in einen kurzen stechenden Schmerz und ihren Lippen entfuhr zum ersten Mal ein lautes Stöhnen.

Von da an war es mit Sabrinas Beherrschung vorbei. Jeder Klatscher wurde von ihr mit einem Seufzer, einem Aufstöhnen oder einem kurzen Aufschrei begleitet, abhängig von der Intensität und der Position seiner Hiebe. Sie stemmte sich mit dem Oberkörper nach oben, unfähig länger stillzuhalten. Die Bitte, seine Züchtigung zu beenden, lag ihr auf der Zunge, und als ahnte er dies, hielt er inne und streichelte sanft ihre erhitzte Haut. Seufzend sank ihr Kopf ein wenig herab.

Ihr war heiß, überall heiß und in ihrem Schoß war es verdächtig feucht. Es war überaus verwirrend, sich einzugestehen, dass sie diese erniedrigende Lage tatsächlich genoss. Sie versuchte sich umzudrehen, aber seine Hand hielt sie fest.

»Schon genug?«

Darüber war sie sich noch nicht im Klaren. Aber er war immer noch halb bekleidet, trug seine Hose und sie wollte ihn nackt. »Zieh dich aus, lass mich …«

Sein Lachen ließ sie innehalten. »Nicht so schnell, mein Engel. Das war erst die Ouvertüre.«

»Was?«

Ehe sie begriff, was geschah, hatte er seine Position verlagert, ihre Schenkel fest zwischen seinen Beinen eingeklemmt. Dann streckte er sich zur Seite, griff unter das Sofakissen und holte ein Paar rot gepolsterte Handschellen hervor.

»Nein!« Sabrina versuchte sich erneut, seiner Kontrolle zu entziehen, wand sich, aber er war stark. Er packte ihre Hände und ehe sie sich versah, war sie mit den Handschellen gefesselt. Wut stieg in ihr auf, aber auch Angst. Nun war alles klar. Er hatte sie in Sicherheit gewiegt, alles vorbereitet und sie in eine Falle gelockt. Ganz schön raffiniert und hinterhältig. Sie sollte für sein Vergnügen herhalten, aber damit war sie alles andere als einverstanden.

»Mach mich sofort wieder los!” Wie lautete doch gleich wieder sein verdammtes Safeword? »Ich will das nicht. Hör sofort auf damit.«

Seine Hände streichelten sie verführerisch sanft. »Beruhige dich. Ich habe doch gesagt, es ist alles nur ein sinnliches Spiel mit der Lust und du wirst doch nicht behaupten wollen, dass es dir bisher nicht gefallen hat? Du musst keine Angst haben, vertrau mir.«

Seine Finger schoben sich ihre Poritze entlang, drangen langsam in die Enge zwischen ihren Schenkeln ein, wo es verräterisch warm und feucht war. Wie war es nur möglich, dass ihr Körper gegen ihren Verstand, gegen ihre Vernunft arbeitete?

»Nein«, wimmerte Sabrina mit letzter Kraft, aber ohne eigene Überzeugung.

Sein Finger kam ihrem Eingang immer näher, drang behutsam zwischen ihre Schamlippen und ihre Vagina reagierte prompt. Ein intensives lüsternes Ziehen verflüchtigte alle nüchternen Überlegungen. Sabrina stöhnte laut auf.

Jo lachte leise, aber es klang gar nicht so, als ob er sie auslachte. Eher zufrieden, als wolle er ausdrücken: ich hab’s doch gewusst, dass du auch noch auf den Geschmack kommst. Darüber hinaus lag Begierde in seinem Lachen, nicht beängstigend oder fordernd, sondern sinnlich und erwartungsvoll.

Als er seine Hand zurückzog, stöhnte Sabrina erneut, aber diesmal vor Enttäuschung. Sie wollte ihn in sich spüren, am liebsten jetzt sofort, tief und ihre Vagina ganz und gar ausfüllend.

Er schien ihr Verlangen zu erraten, oder war es in ihre Haut eingebrannt?

»Noch nicht«, flüsterte er rau. »Du sollst dich noch morgen daran erinnern, dass du mit mir zusammen warst.«

Sabrinas Herz drohte auszusetzen. Ein herber Klaps auf ihren Po entfachte die abklingende Hitze aufs Neue.

»Hast du schon jemals darum gebettelt, befriedigt zu werden?«

»Nein«, winselte sie. Was für eine Idee! Wenn sie überhaupt mit einem Mann zusammen gewesen war, hatte es dieser meistens eilig gehabt, mit ihr zu schlafen, manchmal allerdings so schnell, dass es für ihre Befriedigung nicht gereicht hatte. Aber dann war es sowieso schon zu spät gewesen.

»Dann wirst du es heute tun«, fuhr Jo mit blitzenden Augen fort. »Du wirst mich anflehen, dich zu nehmen, und du wirst bereit sein, dich mir so darzubieten, wie ich es verlange.«

Nein, dachte Sabrina, das kann ich nicht, das ist zu erniedrigend. Er würde sich bestimmt irgendeine Gemeinheit ausdenken, irgendetwas Unannehmbares, sonst würde er nicht derart betonen, dass sie sich unterwürfig verhalten sollte. Aber tief in ihrem Inneren wusste sie, er würde sie dazu bringen und eigentlich wollte sie es sogar. Noch nie hatte sie ähnlich widersprüchlich empfunden, aber es war gar nicht so unangenehm, wie sie befürchtet hatte. Sie wollte fühlen, dass er unbarmherzig war, streng, fordernd, befehlend, und damit ihre Lüsternheit ins Unerträgliche steigerte. Jetzt und hier. Auf diese Weise. Mit einem Flächenbrand, der sich von ihrer Haut in ihre Vagina ausbreitete.

Jo spielte mit Sabrinas wachsender Geilheit. In einer gekonnten Mischung aus Liebkosungen, unter denen sie sich seufzend räkelte, soweit ihre Position dies zuließ, und Züchtigungen durch seine Hand, die mit jedem Mal schneller und intensiver brannten. Sabrina quiekte und schrie, schluchzte und stöhnte, aber sie unterdrückte das Bedürfnis, ihn anzuflehen, mit ihr zu schlafen. Das Feuer in ihrem Inneren jedoch war noch viel schlimmer als das auf ihrer Haut. Zwar schmerzte es nicht, aber es verbrannte sie. Ihr Mund war trocken vom Stöhnen und Seufzen, ihr Kopf ausgeschaltet. Sie bestand nur noch aus Schmerz und Lust, aus dem Wunsch, dass er aufhörte und dem ambivalenten Verlangen, dass er weitermachte. Immer wenn sie glaubte, es nicht mehr zu ertragen, wurden seine Klapse sanfter und gingen in ein sinnliches Streicheln über. Und sobald sie sich ein wenig erholt hatte und weniger laut keuchte, legte er von neuem los.

Die ganze Zeit über sprach er kein Wort. Die leise Musik aus den Lautsprechern, sein melodisches Summen und die lüsternen Töne, die er ihr entlockte, waren stimmungsvolle Atmosphäre genug.

Das Spiel erschöpfte sie. Längst war ihr Kopf nach unten gesunken, lag schwer auf dem Polster. Es dauerte, bis sie begriff, dass er aufgehört hatte. Aufgehört mit allem. Seine Hand ruhte heiß und schwer auf ihrem erhitzten Po und rührte sich nicht mehr von der Stelle. Bestimmt glich ihr Hinterteil einer riesigen knallroten Tomate. »Nun, mein Unschuldslämmchen – hast du genug?«

Ihr Mund klebte und sie mühte sich ab zu schlucken, um ihm zu antworten, aber dann nickte sie doch nur.

Er klang amüsiert. »Ah, hat es dir deine süße Stimme verschlagen? Ich dachte, wir fahren noch ein wenig fort. Oder habe ich dich schon um Nachsicht betteln gehört?«

»Jo, bitte«, flüsterte Sabrina mühsam. »Bitte, du machst mich völlig fertig.«

Er lachte. »Das glaube ich kaum. Außerdem würde ich gerne etwas anderes von dir hören.« Er kitzelte sie mit seinen Fingerspitzen auf dem Po und Sabrina begann zu kichern.

»Nein, nein, bitte nicht. Hör auf damit!«

Er gab ihr einen festen Klaps und ihr Kopf schnellte nach oben. »Dann doch lieber so?«

Sabrina wimmerte zur Antwort.

»Sag mir, was du willst!«, knurrte er in einem tiefen Ton, der in seinem Bauch vibrierte und sich über seine Schenkel auf ihren Körper übertrug.

Verdammt, sie wusste schon gar nicht mehr, was sie am meisten wollte. Am liebsten alles. Mach einfach weiter, funkte es durch ihren Kopf. Worte formulierten sich, die sie normalerweise nur dachte, aber nicht in den Mund nahm. Aber er würde sie sogar dazu bringen, diese auszusprechen, wenn es sein musste.

»Nun, wenn du es mir nicht sagst, Lämmchen …« Jo lehnte gelangweilt seinen Kopf zurück. Seine Beine gaben entspannt nach und nur seine Hände verhinderten, dass Sabrina von seinen Schenkeln rutschte.

Verwirrt blickte sie ihn über die Schulter an. Er konnte doch nicht einfach seine prächtige Erektion ignorieren. »Ich –«

Jo öffnete ein Auge und hob die Braue an. »Ja?«

»Fick mich«, flüsterte sie.

Dieses Unwort, das ihrer Meinung nach nur zu einem harten, unsinnlichen Akt passte, nach Gewalt und männlichem Egoismus klang, gehörte eigentlich nicht in ihren Wortschatz. Aber sie vermutete, genau dies wollte er von ihr hören. Oder doch etwas anderes, was in den Romanen vorgekommen war? Im Moment erinnerte sie sich an gar nichts mehr. Es gab keine Texte, es gab keine Realität, es gab auch keinen Raum – nur Jo und sie und dieses verflixt unterlegene Gefühl.

»Ich glaube, ich habe dich nicht verstanden«, erwiderte er und gähnte herzhaft. »Vielleicht sollte ich dich fest in eine Decke einwickeln, damit du mir nicht abhaust, und eine Runde schlafen gehen, bis du weißt, was du willst. Danach sehen wir weiter. Vielleicht kurbelt das deine Fantasie an?«

Ein Aufschrei stieg in Sabrinas Kehle empor. Das würde er doch wohl nicht ernst meinen? »Nein! Das – das kannst du doch nicht machen! Du – du …«

»Du – was?« Seine Beine spannten sich an und er öffnete nun auch das zweite Auge. Hellwach und aufmerksam. Es war beeindruckend, wie gebieterisch er zu schauen verstand.

»Du Scheusal! Erst machst du mich heiß und dann willst du mich schmoren lassen!« Sabrina versuchte sich der Umklammerung seiner Beine zu entwinden, doch umsonst. »Ah, ich bin also ein Scheusal«, brummte er und klatschte ihr auf den Po. »Nun, dann werde ich also noch ein wenig weitermachen und dir zeigen, was es bedeutet, frech zu sein, vom Lustschmerz heiß zu werden und sich dann willig zu unterwerfen!«

Es war völlig verrückt, aber seine Worte versetzten sie in tiefstes Entzücken, obwohl ihr gleichzeitig ein wenig bange vor dem war, was er offenbar noch vorhatte. »Du brauchst eine intensivere Abreibung. Lass uns rübergehen.«

Er packte sie mit beiden Händen, stellte sie auf die Füße und schob sie vor sich her, über den Flur in ein anderes, kleineres Zimmer.

Sabrina stockte der Atem. Diesen Raum hatte er ihr bei der Wohnungsführung vorenthalten. Wie war es nur möglich, dass sie diese Tür übersehen hatte?

Abgesehen von einem Strafbock in der Mitte war der Raum fast leer. Ein schmaler Schrank, ein paar Haken an den Wänden, das war alles. Decke und Wände waren dunkelrot gestrichen, der Boden bestand aus schwarzem Laminat, vor dem Fenster hing ein schwerer schwarzer Vorhang. An den Haken warteten Teppichklopfer, Rohrstöcke und anderes Gerät auf ihre Verwendung.

Sabrinas Knie drohten einzuknicken. »Nein«, hauchte sie. Ihr Herz blieb fast stehen vor Schreck. Zwischen Lesen und Erleben klaffte nicht nur eine Lücke, sondern ein ganzer Krater. Sie war absolut nicht der Typ für solche SM-Spiele.

Als Jo sie voranschob, leistete sie keinen Widerstand. In ihrem Kopf war ein großes Loch, als schnitte seine Berührung sie vom Zugang zu ihrem Gehirn ab. Verzweifelt suchte sie nach einem Ausweg aus der Situation. Vielleicht sollte sie das Safeword gebrauchen und darauf bauen, dass es nicht nur eine leere Hülle zu ihrer Beruhigung gewesen war, sondern tatsächlich dem Abbruch seines Spiels diente. Und wenn nicht?

Jo gab Sabrina nicht die Zeit, ihre Gedanken zu ordnen. Er schob sie bäuchlings über den Bock, spreizte mit geübten Händen ihre Schenkel und band sie an den Beinen des Strafbocks fest. Sie wollte sich wehren, sie wollte ihm widerstehen – aber sie schaffte es nicht. Selbst ohne Worte strahlte er nur durch die Art, wie er sie anschaute und seine Hand auf ihren Rücken legte, soviel Autorität aus, dass ihr Widerstand in sich zusammensackte. »Verspann dich nicht«, sagte er zärtlich und streichelte ihr über den Rücken. Dann fühlte sie, wie seine Finger sanft auf der Innenseite ihrer Schenkel entlangfuhren, sich ihrem Zentrum näherten – und seine Zunge sinnlich ihre intimsten Zonen erkundete.

In dieser Position, ihm noch mehr als zuvor ausgeliefert, floss Sabrina geradezu über. Sein Mund saugte sich fest, seine Zungenspitze liebkoste ihre Perle und sie war außer sich vor Lust, stöhnte, wimmerte, quiekte. Ihr Höhepunkt nahte – doch Sekundenbruchteile bevor es dazu kam, hörte er auf. Nein, protestierte alles in ihr, aber sie brachte auch jetzt kein Wort über die Lippen. »Untersteh dich zu kommen!«, drohte er leise. »Du kommst erst, wenn ich es dir erlaube.«

Sabrina hätte am liebsten laut aufgelacht. Wie sollte das denn gehen? Sie hatte noch niemals versucht, ihren Orgasmus zurückzuhalten. Sie war froh, wenn sie überhaupt einen hatte.

Es war berauschend, wie Jo Besitz von ihr ergriff und ihre Lust zu höchstem Entzücken erweckte. Was das betraf, war sie alles andere als verwöhnt. Er wartete ihre Antwort überhaupt nicht ab, sondern fuhr fort, sie zu streicheln, zu lecken und in ihre Spalte zu züngeln.

Seine Forderung war völlig unannehmbar. Den Orgasmus zurückhalten? Das begierige Ziehen in ihrer Vagina hob zu einem tosenden Vulkanausbruch an und dann war es auch schon geschehen. Sabrina ließ ihrer Lust mit einem befreienden Schrei ungehemmten Raum. Doch kaum war dieses wunderbare Gefühl im Abklingen, ihr Körper in matter Kraftlosigkeit entspannt, riss ein brennender Schmerz ihren Kopf empor. »So so, du bist also ungezogen, hemmungslos, ungehorsam. Ich hatte dir doch verboten zu kommen!«

Sabrina gab einen spitzen Schrei von sich. Der Schmerz schien ihr unerträglich, er war kurz, dafür aber intensiv. Das Feuer, das sie gelöscht glaubte, loderte nun erneut umso heftiger in ihrem Unterleib auf.

In dem kurzen Moment, in dem sie sich der Erschöpfung hingegeben hatte, die der Befriedigung folgte, hatte Jo sich ausgezogen. Der lederne Gürtel, der seine Hose gehalten hatte, schwang durch die Luft und brannte sich in Sabrinas sensible Haut. Es war zu viel. Dies war nun entschieden zu viel. »Aua!« Ob der Gürtel Striemen hinterlassen würde, wusste sie nicht. Aber es fühlte sich so an.

»Hatte ich dir erlaubt, zu kommen?«

»Nein, aber du verla…« Der erneute Schmerz, dem ein intensives Verlangen folgte, unterbrach ihre Antwort.

Auf einmal spürte sie seine Erektion, die sich gegen ihre heiße Haut presste. Bereit zu allem. Sich zwischen ihre Schenkel drängte, mit der Spitze an ihrem Eingang schnupperte. Er würde sie jetzt einfach nehmen, wehrlos wie sie war und sie bebte vor Erwartung.

Eine Hand strich ihr die Haare aus dem Gesicht und sein Mund war ihrem Ohr ganz nah. »Sag es, meine kleine widerspenstige Buchhändlerin. Bitte mich darum.«

Sabrina wimmerte kläglich. Es war erniedrigend, aber es war auch aufregend. Und ganz offensichtlich war es der einzige Weg zu bekommen, wonach es sie in diesem Augenblick am meisten verlangte. »Bitte«, ächzte Sabrina. »Bitte nimm mich. Fick mich. So fest und hart wie du kannst.«

Jo lachte dröhnend und dann drang er in sie ein. Langsam, immer mehr, tief und füllte sie ganz aus. Sabrina stöhnte laut, als ihre Vagina kontraktierte, sich eng um sein zuckendes Geschlecht zog. Jos Erektion erschien ihr gewaltig, wie ein riesiger Eindringling in ihr Allerheiligstes, oder war das nur ihre eigene Erregung, die so unglaublich war, dass sie ihn genau so und nicht anders fühlen wollte? Sie war in diesem Moment sein Besitz und es spielte keine Rolle, ob dies ein Spiel war. Es war erotisch, aufregend, alles andere in den Schatten verdammend.

Ihr zweiter Orgasmus raubte ihr fast den Verstand. Es war das Elementarste, was sie je erlebt hatte. Ihre von der Züchtigung sensibilisierte Haut jagte ihr kleinste Schmerzschauer über Po und Schenkel, doch zugleich lief sie über. Ihre Scham und ihre Schenkel waren nass vor Lust. Sie kam noch mal und noch mal, schrie sich vor Verlangen heiser, aber Jo hörte nicht auf. Er packte ihre Haare, zog ihren Kopf nach hinten, hielt mit den Fingern der anderen Hand ihren Po und vögelte sie hart, in einem besitzergreifenden Ritt. Bis er endlich selbst kam.

Noch ein wenig benommen fand sich Sabrina wenig später in seinem Arm wieder, in seinem Bett, unter eine weiche Decke gekuschelt. Bis zur absoluten Erschöpfung und Aufgabe ausgelaugt und dabei von einem glückseligen Taumel erfüllt.

»Nun, meine unschuldige kleine Buchhändlerin …«, murmelte Jo sanft in ihr Ohr. »Hat dir meine Einführung in unbekannte Lust gefallen?«

»Ja sehr, du Verführer«, murmelte Sabrina, noch ein wenig benommen.

»Dann werd‘ mal wieder wach. Frohe Weihnachten«, sagte er und reichte ihr ein in goldene Folie eingepacktes Geschenk.

»Danke!« Sabrina richtete sich auf. Auf sein Geschenk, das sich in ihrer Handtasche befand, durfte er noch ein wenig warten. Zuerst wollte sie wissen, was er ihr geschenkt hatte. Ungeduldig zerfetzte sie das Papier. Eine rote Augenbinde und ein paar rot gepolsterte Handschellen ließen keine Zweifel aufkommen, wofür dieses Geschenk gedacht war. »Danke«, wiederholte Sabrina und zwinkerte ihm zu.

Er lachte und gab ihr einen Kuss. »Nun lass uns aufstehen und schnell noch das Wohnzimmer ein wenig weihnachtlich dekorieren, ich habe Kugeln und so Zeug, mit denen du bestimmt besser umgehen kannst als ich. Und dann essen wir etwas Leckeres.«

Als sie erstaunt die Augenbrauen hochzog, lachte er. »Nein, ich werde nicht selbst kochen. Ich kann zwar vieles, aber das gewiss nicht, und ich will dich an Weihnachten auf keinen Fall verhungern lassen. Ich habe etwas bestellt.«

»Und dann kommt der Weihnachtsmann, aber nur zu artigen Männern …«, erwiderte Sabrina und freute sich schon auf sein erstauntes Gesicht, wenn sie sich später in seinem Bad umziehen und ihm die Romane, die sie für ihn ausgesucht hatte, in einem knappen Weihnachtsgirlkostüm überreichen würde …

Alles Liebe - zum Fest der Hiebe

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