Читать книгу Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 2 - Tobias Fischer - Страница 3

Die Jäger

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Nach gut sechs Stunden Marsch wurde der Wald lichter und die Zahl der Baumriesen deutlich geringer. Sie gelangten über einen sich hin und her windenden Trampelpfad hinunter in ein flaches Tal, dass von einem breiten Fluss durchzogen wurde. Von einem Ufer zum anderen mussten es gut und gerne zweihundert Meter sein. Links und rechts lagen breite Kiesstrände, hinter denen die Uferböschung steil aufragte und eine Art natürlichen Damm schuf.

»Der Talasafon, der große Waldfluss. Weiter nördlich laufen die neun Flüsse der Himmelmauerberge zusammen und bilden diesen Strom. Um ihn zu überqueren, müssen wir weiter in den Süden gehen. Dort gabelt er sich in vier kleinere Läufe, wo es auch Furten gibt. Wenn wir unser Tempo halten, sollten wir unser Ziel in zwei Tagen erreichen können«, erklärte Faeringel.

Als er das hörte, bat Tom um eine kurze Pause. Ihm taten die Füße weh und er wollte sich ein bisschen ausruhen. Faeringel schien nichts dagegen zu haben, Iulia und Jane ebenso wenig. Nur Veyron fand diese neuerliche Unterbrechung sehr unzeitig.

»Na schön, machen wir eine kurze Verschnaufpause, danach geht’s weiter. Wir haben noch einen weiten Weg und die Zeit zerrinnt uns zwischen den Fingern«, sagte er laut. Als ihm niemand widersprach, nickte er zufrieden und setzte sich auf einen großen, fast kugelrunden Stein. Er streckte die Beine aus, nahm seine Reisetasche und kramte darin herum. Er holte ein Buch heraus und warf es Tom zu. Verdutzt fing dieser es auf.

»Math Teacher, Stufen 4 bis 8«, las er vom Einband ab. Seine Augen weiteten sich, ebenso wie sein Entsetzen. »Sie wollen, dass ich hier und jetzt Mathe mache? Sie sind ja komplett irre, Mann!«

Veyron zuckte nur mit den Schultern.

»Wir sind hier nicht auf Ferien, Tom. Niemand weiß wie lange wir von Zuhause wegbleiben. Ich will nicht, dass du den Anschluss in der Schule verlierst.«

Toms Wut war am Überkochen. Sie waren unterwegs um einem großwahnsinnigen, brandgefährlichen Verbrecher das Handwerk zu legen – und Veyron wollte, dass er Mathe lernte? Tom packte das Buch, ging damit zum Ufer und holte aus. Soweit er konnte, schleuderte er das verflixte Ding von sich. Er hörte es ins Wasser klatschen, im nächsten Moment wurde es von der Strömung fortgetragen.

»Das sag ich dazu!«

»Sehr unvernünftig von dir, hitzköpfig und unüberlegt«, meinte Veyron.

Tom wurde glutrot im Gesicht.

»Sie Spinner! Sie blöder, besserwisserischer…« Er vollendete seine Schimpftirade nicht, stopfte die Fäuste in die Hosentaschen und stapfte davon, ohne Veyron auch noch eines weiteren Blicks zu würdigen. Was zum Henker war nur mit dem Kerl los? Er spionierte ihm nach, er vergraulte seine Freundin – und alles nur, weil er es für das Beste hielt. Überhaupt schickte er sich an, das Leben aller in seinem Umkreis zu bestimmen, ganz so, wie es in seine eigenen Pläne passte. Und jetzt wollte er, dass Tom hier in Elderwelt für die Schule lernte?

Geht’s noch? Er ist durchgeknallt, einfach völlig durchgeknallt, entschied er. Irgendwann müsste er einmal ein ernstes Wort mit seinem Paten reden.

Jane ließ die beiden mit ihrem Gezänk allein. Faeringel war verschwunden, sagte, er wolle das Ufer genauer erkunden, ehe sie sich weiter in den Süden wagten. Vielleicht war er auf einen Baum geklettert, Jane wusste es nicht. Sie wollte für einen Moment allein sein – und obendrein diese Prinzessin nicht ganz aus den Augen lassen.

Iulia hatte sich von den Jungs abgesondert, saß etwa fünfzig Meter weiter am Rand des Wassers, die Arme um die angewinkelten Knie geschlungen. Iulia gefiel ihr nicht. Nicht, dass sie das Mädchen nicht mochte, sie war sicher eine nette Person. Was ihr nicht gefiel, war die Lebenseinstellung der jungen Frau. Sie könnte sich niemals vorstellen, so zu leben wie die Maresierin: eingezwängt in ein Korsett aus den Erwartungen anderer, verpflichtet zu Noblesse und Etikette. Sie fand die Ansichten der jungen Frau im besten Fall naiv, im Schlimmsten für dumm. Dennoch war es diese eine Frage von Iulia, die sie immer noch quälte: war sie glücklich?

Jane war der Prinzessin die Antwort schuldig geblieben und sich selbst ebenso. Sie war frei in ihren Entscheidungen, das stimmte; zumindest teilweise. Ihre Entscheidungen mussten sich jedoch immer nach der Fülle ihres Geldbeutels richten. Das Gehalt als Police Constable war nicht schlecht, aber auch nicht üppig und die Preise für Miete, Strom, Wasser und Heizung schossen jedes Jahr weiter in die Höhe. Eigentlich bräuchte sie einen zweiten Job, wenn sie ihre kleine Wohnung allein bestreiten wollte. Zum Glück hatte sie Alex. Nun ja, so ein Glück war das vielleicht gar nicht. Sie mochte ihn, er war da, wenn sie mal eine Schulter zum Anlehnen brauchte. Aber wirkliches Verständnis zeigte er für ihre Sorgen nicht. Er wusste nichts von ihren Albträumen, von der Belastung, wenn wieder einmal eine Leiche gefunden wurde und sie als eine der ersten alles in Augenschein nehmen musste. Er verstand nichts vom Leid der Opfer von Vergewaltigungen, Einbrüchen oder Gewalttaten. Sie aber bekam das alles mit. Diese traurigen Schicksale berührten sie jedes Mal aus Neue. Alex war nett, aber ganz ehrlich: Ihre richtig große Liebe war er nicht, ihn zu heiraten käme für sie nicht in Frage.

Alex war obendrein phantasielos, erzählte nur von seiner Arbeit und von seinem Sport. Vielleicht unternahmen sie mal einen Einkaufsbummel, wenn sie gemeinsam frei hatten, aber ansonsten unternahmen sie nicht viel – außer die Wochenenden in einem Pub totschlagen. Jane war schon lange nicht mehr aus Ealing herausgekommen, geschweige denn aus ihrem Wohnbezirk. Sie lebten sich auseinander, hatten sich mit jedem neuen Tag weniger zu sagen. Ihre Liebe war nach nur einem knappen Jahr zur Gewohnheit verkommen. Ganz allein war Alex da sicher nicht schuld, das wusste sie.

Jane machte einfach zu viele Überstunden, für Alex blieb nur wenig Zeit, für ihre Freundinnen sogar noch weniger. Zu den meisten hatte sie den Kontakt inzwischen verloren. War sie glücklich?

Die Antwort fiel sehr ernüchternd aus. Nein – nicht einmal zufrieden.

Sie setzte sich zu Iulia, beide beobachteten mit regloser Miene das Spiel der Wellen, die sanft ans Ufer schwappten.

»Brechen wir wieder auf«, fragte Iulia sie nach einer Weile.

»Sie haben es wohl eilig nachhause zu kommen, oder?«

»Nein, ich will nur schnell nach Loca Inferna. Ich muss wissen, was mit Nero geschehen ist. Es ist meine Schuld, dass er dort eingekerkert wurde. Ach, ich mache mir solche Vorwürfe, trotz seines entsetzlichen Verhaltens. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn er zu Tode käme. Aber das wird er. Loca Inferna verlässt man nur in einer Urne, heißt es«, jammerte Iulia und brach in Tränen aus.

Jane legte der Prinzessin ihren Arm um die Schultern.

»So schlimm wird‘s schon nicht kommen. Wie ich Veyron kenne, hat der bereits einen Plan geschmiedet, wie wir Ihren Nero aus dieser Hölle herausholen«, versicherte sie Iulia tröstend. Insgeheim hoffte sie, dass es auch zutraf.

Iulia erwiderte ihren Blick mit einem zaghaften Lächeln. Doch auf einmal wurde sie kreidebleich und begann zu zittern. Jane brauchte einen Moment, bis sie begriff, dass die Prinzessin durch sie hindurch starrte, genauer gesagt, an ihr vorbei. Jane wandte sich um und glaubte fast, ihr Herz bleibe stehen.

Soeben starrte sie in das Antlitz einer Bestie.

Das Ungeheuer stand vielleicht ein gutes Dutzend Meter entfernt, hatte den nahezu einen Meter großen, wolfsartigen Schädel über das Wasser gebeugt und schlapperte gierig. Das ganze Biest, mit seinem graubraun gemusterten Pelz, war samt dem kurzen, dicken Schwanz knapp fünf Meter lang, die Schultern ragten über zwei Meter auf. Jeder Löwe, jeder Tiger, ja sogar der größte aller Bären, wurde von diesem Geschöpf regelrecht verzwergt. Obwohl das Untier wie ein überdimensionaler Wolf aussah, waren die Ohren klein und rund wie die eines Bären. Seine messerscharfen, dicken Zähne konnten jede Beute auseinanderreißen und selbst die dicksten Knochen zerbrechen. Ungewöhnlich fand Jane nur die Pfoten. Anstelle von Krallen oder Zehennägeln, lief das Monster auf vier gebogenen Hufen.

»Ein Fenriswolf – das schlimmste fleischfressende Ungeheuer der Welt«, wimmerte Iulia. Ganz langsam und vorsichtig erhob sich Jane, zog sie Prinzessin mit auf die Beine. Noch hatte die Bestie sie nicht bemerkt, löschte nur gierig seinen Durst. Jane fielen der große dreisitzige Sattel und die zahlreichen Beutel und Taschen auf, mit denen das Tier behängt war.

»Es ist domestiziert«, erkannte sie. Wer mochten nur die die Besitzer eines solchen Ungeheuers sein?

Schließlich zeigten sie sich. Drei Schrate kamen die Uferböschung herunter gelaufen. Auf den ersten Blick wirkten sie menschenähnlich, mit krummen Beinen und ebenso krummen Rücken. Anstelle von Fingernägeln besaßen sie Klauen. Ihre Gesichter waren grausam entstellt, die Nasen krumm oder platt, die Augen gelb und giftig, die schwarzen Haare lang und fettig, die großen, spitzen Ohren zerfetzt. Bei zweien wies die Haut einen ungesunden schwefelgelben Farbton auf, beim Dritten war sie grau und fleckig, von Ekzemen und eitrigen Blasen übersät.

Iulia konnte sich nur mit Mühe zusammenreißen, um nicht laut zu kreischen. Jane schlich so leise wie sie konnte, rückwärts und zog die Prinzessin mit sich. Die Schrate hatte sie nicht entdeckt, packten ihr vielfach größeres Ungeheuer am ledrigen Zaumzeug und zwangen es in die Knie, um auf den hohen Rücken zu klettern. Gar keine leichte Übung, bei einem Monsterwolf, der so groß und schwer war wie ein ausgewachsenes Nashorn.

»Sie haben mich gefunden, sie haben mich gefunden«, heulte Iulia. »Den ganzen Weg von Gloria Maresia bis hierher sind sie mir gefolgt. Jetzt haben sie mich. Das ist unser Ende.«

Jane verstand nicht, was die junge Frau damit meinte. Aber sobald die Schrate sie entdeckten, wäre es vorbei. Sie bückte sich und hob ein paar größere Steine auf. Noch immer waren die Unholde damit beschäftigt, auf den Sattel zu klettern. Kaum saßen sie oben, erhob sich der Fenris behäbig und trottete am Ufer entlang. Er fuhr mit seinem mächtigen Schädel herum und witterte etwas in der Luft. Im Nu richteten sich seine kleinen, orangen Augen auf Jane und Iulia. Seinen Reitern war die frische Beute nun ebenfalls aufgefallen.

»Na, was haben wir denn da?« krakelte der erste Fenrisreiter. »Der Boss hat recht gehabt, das Flittchen hat sich bei den dreckigen Elben versteckt. Zu dumm, zu dumm!«

Seine beiden Kameraden beugten sich nach vorn.

»Unsere entlaufene Prinzessin, mitsamt einer leckeren Freundin«, grölten sie und lachten boshaft. Zumindest hielt Jane diese abscheulichen, würgenden Geräusche für ein Lachen.

Wieder ganz die Polizistin, packte sie Iulia und schob sie hinter sich. Den Fenris und seine drei furchtbaren Reiter interessierte das allerdings kaum. Für sie war Jane ein ebenso leichtes Opfer wie Iulia.

»Rennen Sie, Prinzessin! Rennen Sie um Ihr Leben«, rief Jane, schleuderte einen der Steine nach dem ersten Schrat. Sie würde versuchen, diese Kreatur aufzuhalten. Dass sie das nicht einmal einen Moment lang schaffen und obendrein mit ihrem Leben bezahlen würde, kam ihr nicht einmal in den Sinn. Sie war Polizistin! Ihr Job war es, andere zu beschützen, wenn Gefahr drohte.

Mit einem dunklen Grollen machte der Fenris einen Satz nach vorne. Jane erstarrte. Sie glaubte ihr Leben in einer Art Film am Auge vorbeirauschen zu sehen. Doch noch war sie nicht tot, noch hatte sie die Bestie nicht erreicht.

Etwas sauste pfeifend an ihrem Ohr vorbei, erwischte den Fenris zwischen den Augen. Mit einem plötzlichen Aufbäumen brach das Monster auch schon zusammen und warf die Schrate ab, die erschrocken kreischten. Jane war für einen Moment wie gelähmt, dann erkannte sie, dass es ein langer Pfeil gewesen war, abgeschossen von Faeringel, der gut und gerne fünfzig Meter hinter ihr stand.

Die Schrate wurden jetzt erst richtig lebendig. Sie fluchten auf einer garstigen, würgenden und krächzenden Sprache, zückten Dolche und Schwerter, stürmten auf Jane zu.

Sie schleuderte ihre Steine, einen nach dem anderen, traf den ersten Schrat hart an der Stirn. Mit einem Quieken ging er zu Boden und fasste sich heulend an den Schädel. Die anderen beiden hielt das nicht auf. Ein weiterer Pfeil Faeringels fällte den nächsten Angreifer. Schrat Nummer Drei stürzte sich dagegen mit besinnungsloser Wildheit auf Jane. Sie wich seinem Hieb blitzschnell aus, trat ihm in den Bauch und hielt ihn auf Distanz. Der Unhold fauchte, brüllte, geiferte. Mit mordgierigen, gelben Augen griff er erneut an, den krummen, rostigen Dolch fest in der Rechten.

»Dir zeig ich’s, Weib! Ich schlitz dich auf, ich schneid dir die Kehle durch!« kreischte er, stach mit seinem Dolch nach Jane. Ein Pfeil von Faeringel, mitten in die Stirn, machte auch diesem Kerl den Garaus.

Der letzte der Schrate nahm ein kleines Horn vom Gürtel und prustete hinein. Heraus kam ein scheußlicher Ton, der weithin durch das Tal hallte. Bevor er ein zweites Mal hineinstoßen konnte, durchbohrte einer von Faeringels Pfeilen seine Kehle. Der Schrat schlug wild um sich, mit einem scheußlichen Gurgeln verstummte er schließlich.

Veyron, Tom und Faeringel kamen angelaufen, begutachteten die vier toten Monster. Iulia fiel Tom zitternd um den Hals, klammerte sich an ihm fest.

»Sie haben mich gefunden, sie haben mich gefunden«, schrie sie in entsetzlicher Panik, wieder und immer wieder.

»Ein leibhaftiger Fenriswolf!« schimpfte Faeringel voller Entrüstung. »Wie frech und dreist müssen die Schrate geworden sein, wenn sie sich in diese Gegenden wagen, nur ein knappes Jahr nach der Schlacht bei den Messerbergen!« Er gab dem toten Ungeheuer einen verärgerten Tritt.

»Die sind nicht zufällig hier, sie wurden ausgesandt, um uns aufzuhalten«, meinte Veyron. Er warf Tom einen besorgten Blick zu.

Der Junge begriff sofort, was sein Pate meinte.

»Consilian«, erkannte er flüsternd. Veyron nickte.

Iulia schüttelte dagegen verzweifelt den Kopf, als sie das hörte.

»Nein, das kann nicht sein. Ihr müsst Euch irren. Consilian ist ein ehrbarer Mann, er würde sich niemals mit diesen Unholden einlassen!«

Lautes Bellen und schauriges, dunkles Heulen aus dem Wald beendete die Diskussion, noch ehe sie richtig begonnen hatte. Weitere Fenrisse!

»Wir müssen hier weg. Los, den Flusslauf entlang! An diesem breiten Strand sind wir eine zu leichte Beute«, entschied Faeringel. Sie liefen zurück zu ihrem Lager, packten die Rucksäcke und Veyrons Reisetasche. Anschließend hieß es die Beine in die Hand nehmen. Faeringel rannte voraus, gefolgt von Iulia, Jane und Tom. Veyron bildete das Schlusslicht. Sie mussten in Bewegung bleiben, um möglichst großen Abstand zu den Ungeheuern zu wahren und notfalls durch Davonschwimmen zu entkommen.

Etwa hundert Meter vor ihnen tauchte ein Fenris oben auf einem großen Felsen auf, der senkrecht aus der Uferböschung aufragte. Faeringel spannte sofort den Bogen, tötete das Monster mit einem gezielten Schuss ins Herz. Die Bestie stürzte in den Fluss, riss seine drei Reiter mit sich. Der tote Fenris begrub sie unter sich.

»Die sind hin! So ein Mesonychid wie dieser Fenris, wiegt über eine Tonne«, wusste Veyron. Die fünf liefen weiter, vorbei an dem halb im Wasser versunkenen Fleischberg. Tom glaubte ein paar dürre Arme und Beine unter dem graubrauen Fell herausschauen zu sehen. Fast taten ihm die Schrate leid. Oben im Wald wurde neuer Lärm laut: das Knacken und Brechen von Unterholz, Zweigen und kleiner Bäume. Es näherte sich in rasender Geschwindigkeit.

»Wie viele Fenrisse waren hinter Euch her«, fragte Faeringel die maresische Prinzessin.

Iulia, am ganzen Körper zitternd vor Angst, brauchte einen Augenblick um zu begreifen, dass sie gemeint war.

»Acht dieser Monster. Vielleicht auch neun oder zehn. Ich weiß es nicht mehr. Vielleicht waren es auch nur sechs oder sieben«, rief sie mit schriller Stimme.

»Dann sind es jetzt wahrscheinlich noch sechs und jeder mit drei Schraten besetzt«, schlussfolgerte Veyron gelassen. Sein konzentrierter Gesichtsausdruck verriet den Schlachtplan, den er zu entwickeln begann. Tom hoffte, dass er bald damit herausrückte, denn der Lärm der Fenrisse kam immer näher. Faeringel schüttelte den Kopf.

»Selbst dann hätten wir kaum eine Chance. Sie holen uns ein und kommen von allen Seiten«, meinte er finster.

Jane drehte sich um, suchte aufgekratzt Fluss und Ufer ab. Es musste doch irgendein Entkommen geben! Dann entdeckte sie etwas am Himmel, einen silbernen Punkt, der sich langsam vorwärts bewegte.

»Ein Flugzeug«, rief sie aufgeregt, deutete in die entsprechende Richtung. Alle wandten sich dem kleinen Flugobjekt zu. Es näherte sich von Süden kommend den Himmelmauerbergen, zweifellos auf den Weg nach Fabrillian.

»Bestimmt jemand vom Inselreich Talassair, der zu Königin Girian will. Schnell, wir müssen uns bemerkbar machen«, rief Tom. Er hüpfte auf der Stelle und winkte mit den Armen.

Veyron, der sofort realisierte, dass die Maschine viel zu weit entfernt war, um fünf winzige Menschen inmitten eines gigantischen Waldes überhaupt zu bemerken, griff in seine Reisetasche. Er holte eine Signalpistole heraus. Während die anderen dastanden, wie verrückt winkten und dem Flugschiff hilflos zuriefen, es möge umdrehen und hierher kommen, feuerte er einen Schuss hoch in die Luft. Die Rauchpatrone platze über den Baumwipfeln auseinander, rotes Licht und Qualm stiegen auf. Alle wirbelten zu ihm herum. Jane klatschte in die Hände.

»Sie haben wirklich an alles gedacht! Schnell, noch einen Schuss! Die haben es nicht bemerkt«, rief sie.

Hinter ihnen brach ein weiterer Fenris aus dem Unterholz, brüllte und galoppierte auf dem Kamm der Uferböschung entlang, einen Weg nach unten suchend. Faeringel schoss einen Pfeil ab, traf das Ungeheuer ins Herz und brachte es zu Fall. Ein armseliges Jaulen, ein Krachen, dann rutschte der Fenris die Böschung hinunter und blieb liegen, seine drei Reiter unter ihm eingequetscht. Die Schrate fluchten, schrien und kreischten vor Wut.

Veyron lud die Waffe nach und feuerte noch einmal. Das riesige Flugzeug machte jedoch keine Anstalten beizudrehen.

»Verflucht!« schimpfte Jane voller Verzweiflung, »sehen die das denn nicht?«

Das Toben der Fenrisse wurde immer lauter, jetzt hörten sie auch schon das Gejohle und Gekreische der Schrate, die ihre Monster durch das Dickicht trieben. Sie kamen von zwei Seiten.

Tom war sofort klar, dass sie keine Chance hatten, einem solchen Angriff standzuhalten. Er griff an seinen Gürtel, spürte plötzlich einen Gegenstand an seiner Seite. Es war der Griff eines Schwerts. Natürlich! Das Daring-Schwert!

Er hatte es in der ganzen Aufregung seit der Flucht aus London vergessen. Es war eine Waffe der Simanui, verborgen durch geheime Zauber. Wenn die Not es gebot, erschien es wie aus dem Nichts. Tom packte fest zu und tatsächlich hielt er gleich darauf die lange, mit Saphiren verzierte Klinge in der Hand.

Jane sprang mit einem Keuchen zur Seite.

»Was ist das? Wo hast du das her?« rief sie erschrocken aus.

»Ein Zauberschwert«, sagte Tom, »erfüllt vom Geist eines alten und großen Zauberers, eines Simanui. Lewis Daring.«

Er spürte, wie das Schwert ihm Wärme und Mut verlieh, wie es ihn stark machte und alle Furcht vertrieb. Jetzt sollten die Schrate nur kommen. Sie würden schon sehen, was sie davon hatten.

Jane weitete ungläubig die Augen. »Doch nicht etwa der pensionierte Professor, der letztes Jahr ermordet wurde?«

»Genau der«, gab Tom grimmig zurück. Er erwartete die Schrate, das Daring-Schwert mit beiden Händen fest umklammert.

»Ich mach jeden fertig, der mir zu nahe kommt«, rief er.

Plötzlich riss ihm Veyron ihm das Schwert aus den Händen.

»Mach keine Dummheiten, Tom! Für wen hältst du dich? Für den wiedergeborenen Niaryar, oder für den Erben Mikor Berenions?« schimpfte er ihn aus.

Wut schoss Tom ins Gesicht, er ballte die Fäuste. Es war unfair, dass ihn Veyron mit den beiden großen – aber gescheiterten – Helden Elderwelts verglich.

»Wir müssen kämpfen!« protestierte er, doch Veyron schüttelte den Kopf.

»Diesmal ist das keine Alternative. Sieh zu und lerne«, sagte er, so ruhig und gelassen, als wäre das hier eine Unterrichtsstunde und keine Situation wo es Spitz auf Knopf stand.

Tom verstand überhaupt nicht, worauf Veyron hinaus wollte. Sie hatten schon einmal gegen diese Strolche gekämpft und gewonnen. Was um alles in der Welt war jetzt falsch daran?

Veyron nahm das Schwert und beschwor den Geist des Simanui.

»Zeit ein Zeichen zu senden, Professor. Mit der ganzen Kraft, mit aller Macht. Die Not verlangt es – oder der Tod wird uns holen. Gegen die dunkle Macht, bis zum letzten Mann, für das Licht Elderwelts!« rief er und reckte das Schwert hoch in die Luft. Die blauen Kristalllinien auf der schmalen Klinge begannen mit einem Mal zu leuchten, ein blauer, greller Lichtstrahl schoss hinauf in den Himmel, kilometerhoch. Alle waren gebannt. Im nächsten Moment war das Schauspiel bereits wieder vorbei, das Daring-Schwert hatte sich so geheimnisvoll in Nichts aufgelöst wie es erschienen war.

»Die Macht der Simanui«, rief Faeringel begeistert aus. »Und seht nur, sie verfehlt ihre Wirkung nicht!«

Dieses Schauspiel hatte das Flugzeug diesmal nicht übersehen, wie konnte es auch? Endlich drehte es bei, ging tiefer und kam näher. Jetzt erkannten sie, dass es sich um ein Flugschiff mit einem steilen, geraden Bug handelte. Zwölf Propellermotoren saßen in sechs kastenförmigen Gondeln auf dem großen Hauptflügel, der sich über den langen Rumpfspannte.

»Es ist die Silberschwan, es ist wirklich die Silberschwan«, rief Tom aufgeregt. »Die alte Do X von König Floyd, dem Herrn von Talassair! Mein Gott, ich werd’ irre!«

Doch auch die Fenrisse und die Schrate näherten sich, brachen von zwei Seiten aus dem Wald. Sie schickten sich an, die steile Uferböschung hinunter zu reiten. Faeringel schoss einen Pfeil mit tödlicher Präzision ab. Der getroffenen Fenriswolf stürzte jaulend in die Tiefe, rollte über den Abhang und walzte seine krummbeinigen Reiter nieder. Die Schrate feuerten nun mit Pfeil und Bogen zurück, doch alle ihre Schüsse gingen fehl, denn das sich nähernde Flugobjekt ließ ihre monströsen Reittiere unruhig werden.

Die Silberschwan brauste heran, nur wenige Meter über der Wasseroberfläche. Der Lärm ihrer zwölf riesigen Propeller hallte im ganzen Tal wieder, hämmerte in den Ohren der Menschen und ließ den Boden erzittern. Iulia fiel vor Angst auf die Knie, Tom hörte sie zu den Göttern beten.

Der Auftritt der Silberschwan sorgte aber auch unter den Unholden für Panik und Verwirrung. Heulend brachen die vier übrigen Fenrisse aus, rannten in alle Richtungen davon. Ihre derb fluchenden Reiter hatten alle Hände voll zu tun, die schrecklichen Bestien wieder unter Kontrolle zu bringen.

Die Silberschwan wasserte und zog einen langen, silbernen Schleier aus Gischt hinter sich her. Die Seitentüren wurden geöffnet. Dunkelblau uniformierte Besatzungsmitglieder erschienen, darunter auch ein kleinwüchsiger, etwas stämmiger Mann mit prächtigem, rotbrauen Bart. Ein Zwerg, wie an den kreisrunden Ohren und der leicht eckigen Form seines Kopfes zu erkennen war.

Tom erinnerte sich sofort wieder an ihn. Es war Toink, der Bordmechaniker. Er und seine menschlichen Kameraden, hielten fast schon antike Steinschlussmusketen in den Händen. Auf ein Kommando hin, feuerten sie alle gleichzeitig. Paff, paff, paff. Pulverwolken stiegen auf, die Schüsse schlugen pfeifend in den Boden ein, verfehlten die Fenrisse und ihre abscheulichen Reiter. Hin und her gerissen, was sie denn nun tun sollten – fliehen oder angreifen – ließen die Schrate ihre Monster verzweifelt Kreise drehen. Einige der Unholde schossen mit ihren Bögen auf den verchromten Rumpf des riesigen Flugschiffs, das langsam zum Stillstand kam. Natürlich prallten ihre Pfeile nur wirkungslos ab. Die Schrate kreischten voller Panik.

Veyron quittierte die Ablenkung für ihre Gegner mit einen Nicken und wandte sich an seine Begleiter.

»Eine wichtige Frage: wollen wir warten, bis sich die Schrate ergeben und wir ein Tässchen Tee mit ihnen trinken können?« sagte er. »Nein? Na dann ab ins Wasser und schwimmt um euer Leben!«

Er packte Tom am Kragen, warf ihn in den Fluss. Jane war gleich hinter ihm und half dem Jungen wieder auf die Beine. Sie schickte ihn voraus. Das Wasser wurde nur allmählich tiefer, doch die Strömung war stark genug, um ihn fast mitzureißen. Hinter ihm führten Jane und Veyron die Prinzessin ins Wasser, die am ganzen Körper zitterte. Tom kämpfte gegen die Strömung an, aber sie war zu stark. Sofort wurde er abgetrieben.

»Haltet euch an den Händen fest«, rief Veyron, der als letzter in die Fluten sprang.

»Großartige Idee, aber wie sollen wir gegen die Strömung schwimmen? Das schaffen wir doch nie«, entgegnete Tom zornig.

Hinter ihnen verursachten die Motoren der Silberschwan einen höllischen Lärm. Das riesige Flugschiff kippte nach vorne, als ihre Propeller im Rückwärtsgang drehten. Gischt spritzte den Schraten entgegen. Sie heulten, als Millionen superbeschleunigter, kleinster Wassertropfen auf ihrer Haut brannten. Die Unholde wichen noch weiter zurück, unschlüssig, ob sie nicht lieber fliehen sollten. So einem Gegner waren sie nicht gewachsen.

Das Flugschiff drehte bei, folgte jetzt der Strömung und schwamm von den Fenrissen fort. Faeringel stand noch immer am Ufer und schoss weiterhin seine Pfeile ab. Er pickte einen Schrat nach dem anderen vom Rücken der riesigen Monster, doch einige seiner Pfeile wurden jetzt vom Sturm der Propellermotoren davongewirbelt. Den Unholden wurde es allmählich lästig, dass sie stets als Zielscheiben endeten. Mit wütendem Gebrüll peitschten sie auf ihre Reittiere ein und ließen sie vorwärts stürmen. Faeringels Stellung hatten sie im Nu überrannt, so schnell konnte der elbische Jäger seine Pfeile gar nicht abschießen. Er schulterte den Bogen und mit einem riesigen Satz war er im Fluss und kraulte um sein Leben.

Hinter ihm brüllten die Motoren der Silberschwan laut. Im Nu war das Flugschiff auf seiner Höhe. Die Besatzung warf dem Elb Leinen zu. Toink hatte sein Gewehr nachgeladen, zielte und feuerte. Er erwischte einen Schrat und katapultierte ihn aus dem Sattel. Der Fenris machte kehrt, schüttelte die übrigen beiden Reiter ab und rannte in die andere Richtung davon. Den beiden anderen Ungeheuern befahlen die Schrate, sich auf den Boden zu legen. Sie verschanzten sich hinter ihren Bestien, spannten die Bögen und schossen auf die Schwimmenden.

Tom fühlte Panik in sich aufsteigen, als er nur um Zentimeter von einem Pfeil verfehlt wurde. Er hörte Iulia schreien, spürte, wie sie seine Hand fester packte. Ein Pfeil hatte sich in ihren Arm gebohrt. Die Schrate am Ufer lachten begeistert. Dann warfen sie sich in Deckung, als die Besatzung der Silberschwan das Feuer erwiderte. Die Kugeln schlugen jedoch nur in die gewaltigen Leiber der Fenrisse ein. Sie jaulten laut, aber eine kleine Gewehrkugel vermochte diese Monster kaum zu verletzen.

»Die erwischen uns, einen nach dem anderen«, erkannte Jane. Sie musste sich zur Seite werfen, um einem weiteren Pfeil zu entgehen. Die Silberschwan kam näher, Toink warf den Schwimmern Leinen zu. Tom wurde wieder knapp von einem Pfeil verfehlt, als er in Richtung der Leinen schwamm. Mit Mühe erwischte er eine. Iulias Griff wurde schwächer, ihr Arm war schon ganz blutig. Jeden Moment würden sie die Kräfte verlassen. Die Schrate ließen ihre Pfeile jetzt in immer schnellerer Folge auf die Menschen niedergehen.

Plötzlich brach einer der Schrate tot zusammen. Ein Pfeil steckte in seinem Hinterkopf. Die anderen gerieten in Panik, wirbelten herum und riefen ihre Monster. Die Fenrisse sprangen zornig bellend auf. Oben auf der steilen Uferböschung war eine Gruppe Krieger erschienen, gehüllt in grüne Gewänder, die Gesichter unter Kapuzen verborgen. Tom erkannte sie dennoch. Es waren elbische Jäger. Jetzt saßen Schrate und Fenrisse in der Falle. Binnen weniger Augenblicke war ihnen der Garaus gemacht.

Tom bekam das jedoch nur noch am Rande mit, er hatte die Prinzessin an der einen Hand, mit der anderen klammerte er sich an der Leine fest. Etwas packte ihn am Kragen. Mit einem langen Enterhaken zog ihn Toink, der Zwerg, aus den Fluten. Seine Kameraden ließen Leitern und ein Netz ins Wasser, fischten Veyron, Faeringel und die beiden Frauen aus dem Fluss. Erneut wendete die Silberschwan. Mit einem kurzen Schub ihrer Motoren glitt sie wieder flussaufwärts. Tom konnte die Elbenschar am Ufer sehen, Männer wie Frauen. Sie schwenkten Schwerter und Bögen. Faeringel, der in den offenen Einstieg trat, winkte ihnen.

»Meine Leute, die Irlas Helarin, stets wachsam und immer bereit, dem Feind Widerstand zu leisten«, sagte er.

»Ich denke, Meister Faeringel, Eure Truppe könnte sich bei unserem weiteren Vorgehen noch als nützlich erweisen«, gab Veyron leicht erschöpft zurück. Tom konnte sehen, wie der niemals ruhende Verstand seines Paten neue Pläne ausheckte.

»Mag sein«, erwiderte Faeringel. »Kommt, wir treffen uns mit ihnen. Ich muss wissen, woher diese Schrate kamen.«

Veyron Swift und der Orden der Medusa: Serial Teil 2

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