Читать книгу Herr und Knecht: Novelle - Лев Толстой, Tolstoy Leo, Leo Tolstoy - Страница 2

II

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Der brave Hengst zog unter leisem Knarren der Kufen den Schlitten an und schritt in munterem Gange auf der innerhalb der Ortschaft glattgefahrenen, gefrorenen Straße dahin.

„Wie kannst du dich unterstehen, dich da aufzuhocken? Gib mal die Peitsche her, Nikita!“ rief Wasili Andrejitsch; er freute sich augenscheinlich über seinen Sohn, der sich hinten auf die Kufen gekauert hatte. „Wart, ich will dich! Lauf zu deiner Mutter, du Schlingel!“

Der Knabe sprang ab. Der Braungelbe beschleunigte seinen Paßgang, schüttelte sich und ging in Trab über.

Das Dorf Krestü, zu welchem Wasili Andrejitschs Haus gehörte, bestand nur aus sechs Häusern. Sobald sie an dem letzten Hause, der Schmiede, vorbei waren, merkten sie sofort, daß der Wind weit stärker war, als sie geglaubt hatten. Vom Wege war fast gar nichts mehr zu sehen. Die Spur der Kufen wurde sofort wieder verweht, und man konnte den Weg nur daran unterscheiden, daß er höher war als das übrige Terrain. Über das ganze Feld hin stürmte es, und die Linie, wo Erde und Himmel sich berühren, war schlechterdings nicht zu erkennen. Der Teljatiner Wald, der sonst immer so gut zu sehen war, erschien durch das Schneegestöber hindurch nur undeutlich als etwas Schwarzes. Der Wind blies von links; er trieb hartnäckig die Mähne an dem drallen, wohlgenährten Halse des Braungelben nach der einen Seite, drückte sogar den aufgebundenen Schweif des Tieres seitwärts und preßte den langen Kragen an dem Mantel Nikitas, der auf der Windseite saß, gegen dessen Gesicht und Nase.

„Er kann nicht ordentlich zutraben, wegen des Schneetreibens,“ sagte Wasili Andrejitsch, der auf sein gutes Pferd stolz war. „Ich bin einmal mit ihm nach Paschutino gefahren, da hat er mich in einer halben Stunde hingebracht.“

„Was?“

„Ich sage, ich bin mit ihm in einer halben Stunde nach Paschutino gefahren.“

„Das kann niemand bestreiten: es ist ein gutes Pferd,“ erwiderte Nikita.

Sie schwiegen ein Weilchen. Aber Wasili Andrejitsch hatte Lust, ein bißchen zu reden.

„Na, wie ist es? Du hast doch wohl deiner Frau verboten, dem Böttcher Schnaps zu geben?“ sagte Wasili Andrejitsch; er war so fest davon überzeugt, daß Nikita sich geschmeichelt fühlen müsse, wenn er sich mit einem so bedeutenden, klugen Manne, wie er, unterhalten dürfe, und so zufrieden mit seinem eigenen Späßchen, daß es ihm gar nicht in den Sinn kam, dieses Gespräch könne seinem Knechte vielleicht unangenehm sein.

Nikita hatte wieder nicht verstanden, da der Wind den Ton der Worte seines Herrn weggetragen hatte.

Wasili Andrejitsch wiederholte mit seiner lauten, deutlichen Stimme seinen Scherz über den Böttcher.

„Gott möge es ihnen verzeihen, Wasili Andrejitsch; ich mische mich nicht in diese Sachen. Wenn sie nur meinem Jungen nichts zuleide tut; sonst mag sie machen, was sie will.“

„Da hast du recht,“ antwortete Wasili Andrejitsch. „Na, was meinst du? Willst du dir zum Frühjahr ein Pferd kaufen?“ fragte er, zu einem neuen Gegenstande übergehend.

„Das wird wohl nötig werden,“ antwortete Nikita; er schlug den Kragen seines Mantels zurück und bog sich zu seinem Herrn hin.

Jetzt war das Gespräch für Nikita interessant geworden, und er hatte den Wunsch, alles zu verstehen.

„Der Junge ist nun herangewachsen und muß selbst pflügen; bisher haben wir immer einen Pflüger und ein Pferd gemietet,“ fügte er hinzu.

„Weißt du was? Nehmt meinen Kreuzschwachen; ich werde euch einen billigen Preis machen,“ rief Wasili Andrejitsch. Er fühlte sich in angeregter Stimmung und verfiel infolge dessen auf seine Lieblingsbeschäftigung, der er seine gesamten Geisteskräfte widmete, auf den Handel.

„Sonst könnten Sie mir ja auch fünfzehn Rubel geben, und ich kaufe mir ein Pferd auf dem Pferdemarkt,“ antwortete Nikita, der recht wohl wußte, daß für den Kreuzschwachen, welchen Wasili Andrejitsch an ihn loswerden wollte, sieben Rubel der richtige Preis war, Wasili Andrejitsch aber, wenn er ihm dieses Pferd überließe, es ihm mit fünfundzwanzig Rubeln anrechnen werde und er dann ein halbes Jahr lang von ihm kein Geld werde zu sehen bekommen.

„Es ist ein gutes Pferd. Ich meine es mit dir ebenso gut wie mit mir selbst. Auf mein Gewissen. Brechunow übervorteilt keinen Menschen. Lieber verliere ich selbst mein Hab und Gut, als daß ich es so machen sollte wie andere Leute. Auf Ehre!“ rief er in jenem ihm geläufigen Tone, in welchem er diejenigen, mit denen er als Käufer oder Verkäufer handelte, zu beschwatzen suchte. „Es ist ein tüchtiges Pferd.“

„Gewiß, gewiß,“ sagte Nikita mit einem Seufzer, und in der Überzeugung, daß es keinen Zweck habe weiter zuzuhören, ließ er mit der Hand den Kragen los, der ihm sofort wieder das Ohr und das Gesicht bedeckte.

Etwa eine halbe Stunde lang fuhren sie schweigend. Der Wind blies bei Nikita an der Seite und am Arme da hindurch, wo der Pelz zerrissen war.

Er krümmte sich zusammen und atmete in den Kragen hinein, der ihm den Mund bedeckte, und es kam ihm vor, als ob dieser Hauch ihn erwärme.

„Nun, was meinst du? Wollen wir über Karamüschewo fahren oder direkt?“ fragte Wasili Andrejitsch.

Über Karamüschewo ging die Fahrt auf einer vielbenutzten Landstraße, bei der zu beiden Seiten gute Merkstangen aufgestellt waren; aber es war weiter, direkt war es näher; aber der Weg war wenig befahren, und die Merkstangen waren teils nicht mehr vorhanden, teils in so üblem Zustande, daß sie nicht aus dem Schnee hervorragten.

Nikita überlegte einen Augenblick lang.

„Über Karamüschewo ist es ja weiter, aber der Weg ist besser befahren,“ antwortete er.

„Aber direkt brauchen wir nur darauf zu achten, daß wir, ohne uns zu verirren, durch den Hohlweg kommen, und dann ist guter Weg,“ erwiderte Wasili Andrejitsch, welcher Lust hatte, direkt zu fahren.

„Wie Sie belieben,“ antwortete Nikita und ließ den Kragen wieder los.

Wasili Andrejitsch tat, was er in Aussicht genommen hatte: eine halbe Werst weiter, bei einer Merkstange, einem im Winde hin und her wackelnden Eichenstämmchen, an dem noch hier und da trockene Blätter hafteten, bog er links ab.

Nach dieser Biegung hatten sie den Wind fast gerade entgegen. Das Schneetreiben wurde dichter. Wasili Andrejitsch lenkte das Pferd; er blähte die Backen auf und blies sich den Atem von unten in den Schnurrbart. Nikita war eingedruselt.

So fuhren sie etwa zehn Minuten schweigend. Plötzlich sagte Wasili Andrejitsch etwas.

„Was?“ fragte Nikita und öffnete die Augen.

Wasili Andrejitsch gab keine Antwort, sondern drehte und wendete sich und hielt Umschau, nach hinten und am Pferde vorbei nach vorn. Das Pferd, das von Schweiß an den Weichen und am Halse ganz kraus geworden war, ging Schritt.

„Was ist denn? Was ist denn?“ fragte Nikita von neuem.

„Ja, was ist denn, was ist denn?“ äffte Wasili Andrejitsch ihm ärgerlich nach. „Es sind keine Merkstangen zu sehen! Wir müssen vom Wege abgekommen sein!“

„Dann halten Sie doch; ich will den Weg wieder suchen,“ sagte Nikita. Er sprang behende aus dem Schlitten, zog die Peitsche aus dem Stroh heraus und ging nach links zu, nach der Seite, auf der er gesessen hatte.

Der Schnee lag in diesem Jahre nicht tief, so daß man überall gehen konnte; aber an einzelnen Stellen reichte er doch bis ans Knie und füllte von oben her einen Stiefel Nikitas voll. Nikita ging hin und her und tastete mit den Füßen und mit der Peitsche; aber ein Weg war nirgends.

„Nun, wie steht's?“ fragte Wasili Andrejitsch, als Nikita wieder zum Schlitten herankam.

„Auf dieser Seite ist kein Weg. Ich muß nach der anderen Seite suchen gehen.“

„Da nach vorn zu ist etwas Schwärzliches; geh doch mal dahin und sieh zu,“ sagte Wasili Andrejitsch.

Nikita ging dorthin und näherte sich dem, was schwärzlich aussah: dieses Schwärzliche war Erde, die von entblößten Wintersaatfeldern durch den Wind über den Schnee getrieben war und den Schnee schwarz gefärbt hatte. Nachdem Nikita dann auch noch auf der rechten Seite umhergegangen war, kehrte er zum Schlitten zurück, klopfte sich den Schnee ab, schüttelte ihn auch aus dem Stiefel aus und setzte sich wieder in den Schlitten.

„Wir müssen rechts fahren,“ sagte er in entschiedenem Tone. „Vorher bekam ich den Wind in die linke Seite und jetzt gerade ins Gesicht. Fahren Sie nach rechts,“ sagte er mit aller Bestimmtheit.

Wasili Andrejitsch befolgte seine Weisung und hielt nach rechts. Aber auf einen Weg kamen sie dennoch nicht. So fuhren sie eine Zeitlang. Der Wind hatte nicht nachgelassen, und es schneite immer noch.

„Wir sind offenbar ganz und gar vom Wege abgekommen, Wasili Andrejitsch,“ sagte Nikita auf einmal, wie es schien, mit einer Art von Vergnügen. „Was ist das da?“ fuhr er fort und zeigte auf schwarzes Kartoffelkraut, das aus dem Schnee hervorragte.

Wasili Andrejitsch hielt das Pferd an, das schon ganz in Schweiß geraten war und mit den Flanken heftig atmete.

„Was willst du damit?“ fragte er.

„Ich will sagen, daß wir auf dem Felde von Sacharowka sind. Nun seh mal einer, wohin wir geraten sind!“

„Quatsch!“ erwiderte Wasili Andrejitsch, der jetzt in durchaus ungekünstelter, bäuerlicher Sprache redete, ganz anders als zu Hause.

„Das ist kein Quatsch, Wasili Andrejitsch, sondern was ich sage, ist richtig,“ antwortete Nikita. „Auch am Schlitten ist es zu hören, daß wir über ein Kartoffelfeld fahren; und da sind auch Haufen, da haben sie das Kartoffelkraut zusammengeworfen. Das ist das Feld, das zur Brennerei von Sacharowka gehört.“

„Ei ei, wohin haben wir uns verirrt!“ sagte Wasili Andrejitsch. „Was sollen wir nun machen?“

„Wir müssen geradeaus fahren, weiter nichts; irgendwohin werden wir schon kommen,“ erwiderte Nikita. „Kommen wir nicht nach Sacharowka, dann kommen wir nach der herrschaftlichen Meierei.“

Wasili Andrejitsch gehorchte und ließ das Pferd gehen, wie es Nikita geheißen hatte. So fuhren sie ziemlich lange. Manchmal fuhren sie über entblößte Wintersaat, wo die beschneiten Raine und die Schneewehen obenauf mit Erdstaub bedeckt waren. Dann wieder kamen sie auf Stoppelfeld, bald von Wintergetreide, bald von Sommergetreide, wo Beifußstauden und Strohhalme aus dem Schnee hervorragten und im Winde schwankten. Dann wieder kamen sie in tiefen, überall gleichmäßig weißen, eben daliegenden Schnee, aus dessen Oberfläche nichts mehr hervorschaute. Schnee rieselte von oben herab, und Schnee stiebte von unten auf. Manchmal glaubten sie bergauf, manchmal bergab zu fahren; bisweilen hatten sie die Vorstellung, als ständen sie still auf einem Fleck und das Schneefeld liefe neben ihnen vorbei. Beide schwiegen sie. Das Pferd war offenbar sehr ermattet, infolge des Schweißes am ganzen Leibe rauh geworden und von Reif bedeckt; es ging im Schritt. Plötzlich sank es ein und blieb in einer Vertiefung stecken, mochte dies nun eine vom Wasser ausgespülte Stelle oder ein Graben sein. Wasili Andrejitsch wollte anhalten, aber Nikita schrie ihm zu:

„Wozu sollen wir halten? Sind wir hineingefahren, so müssen wir auch wieder hinausfahren. Hü, mein lieber Freund, hü, hü, du lieber Kerl!“ rief er in heiterem Tone dem Pferde zu; er sprang aus dem Schlitten und sank selbst tief in die Höhlung hinein.

Das Pferd zog kräftig an und arbeitete sich sofort auf einen gefrorenen Damm hinauf. Augenscheinlich war es also ein von Menschenhand hergestellter Graben.

„Wo sind wir denn?“ fragte Wasili Andrejitsch.

„Das werden wir schon erfahren!“ antwortete Nikita. „Fahren Sie nur einfach zu. Irgendwohin werden wir schon kommen.“

„Das wird da wohl der Wald von Gorjatschkino sein?“ sagte Wasili Andrejitsch und zeigte auf etwas Schwarzes, das vor ihnen durch den Schnee hindurch sichtbar wurde.

„Wenn wir herankommen, werden wir sehen, ob das ein Wald ist und was für einer,“ antwortete Nikita.

Nikita hatte bemerkt, daß aus der Gegend, wo sich dieser schwarze Gegenstand befand, trockene, längliche Weidenblätter vom Winde herübergetrieben wurden, und wußte daher, daß da kein Wald war, sondern menschliche Wohnungen; aber er wollte es nicht sagen. Und wirklich waren sie nach dem Graben noch nicht dreißig Schritt weitergefahren, als sie zweifellos dunkle Bäume vor sich hatten, und ein neues, melancholisches Geräusch vernahmen. Nikita hatte richtig vermutet: es war kein Wald, sondern eine Reihe hoher Weidenbäume, an denen noch hier und da Blätter im Winde raschelten. Die Weidenbäume waren augenscheinlich an dem Graben, der eine Tenne umgab, gepflanzt.

Als sie sich den Bäumen näherten, die im Winde so schwermütige Töne von sich gaben, hob sich das Pferd auf einmal mit den Vorderfüßen über die Höhe des Schlittens hinaus, arbeitete sich dann auch mit den Hinterfüßen hinauf und ging nun nicht mehr bis an die Knie im Schnee. Das war ein Fahrweg.

„Da sind wir nun glücklich angekommen,“ sagte Nikita. „Ich weiß bloß nicht, wo wir sind.“

Das Pferd schritt auf dem verschneiten Fahrwege, ohne von ihm abzukommen, dahin, und sie waren auf ihm noch nicht hundert Schritte weit gefahren, als sie wie eine dunkle Masse das Flechtwerk einer Getreidedarre vor sich hatten, von der unaufhörlich Schnee herunterrieselte. Als sie an der Darre vorbei waren, machte der Weg eine Biegung, so daß sie nun den Wind hinter sich hatten, und sie fuhren in eine Schneewehe hinein. Aber darüber hinaus sahen sie vor sich eine Gasse zwischen zwei Häusern, so daß offenbar die Schneewehe auf dem Fahrwege zusammengeweht war und sie hindurchfahren mußten. Und wirklich kamen sie, sobald sie durch die Schneewehe hindurch waren, in die Dorfstraße. Auf dem ersten Gehöfte flatterte steifgefrorene Wäsche, die an einer Leine aufgehängt war, wild im Winde: zwei Hemden, ein rotes und ein weißes, ein Paar Unterhosen, Fußlappen und ein Unterrock. Das weiße Hemd bewegte sich besonders wild und schlug, an den Ärmeln festgesteckt, heftig umher.

„Na, das muß ein faules Weib sein, wenn sie nicht etwa im Sterben liegt; hat die Wäsche zum Fest nicht abgenommen!“ sagte Nikita beim Anblicke der flatternden Wäschestücke.

Herr und Knecht: Novelle

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