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BERLINER BILDSTÖRUNG

„Schweine“ rufen zwei Grundschulmädchen, die auf der Straße an mir vorbeigehen, direkt auf meiner Höhe, und lachen kurz darauf los. Was hat das zu bedeuten, frage ich mich. Ein Bekannter aus Köln schrieb mir kürzlich, ich solle nicht ersticken am Zuwanderungsstrom, der immer mehr in die Stadt dränge. Ich finde die Stadt wie eine veränderte Geliebte. Etwas zwischen uns hat sich abgekühlt, empfindlich nach so vielen Jahren. Sie trägt jetzt anderes Parfum für die, denen sie schöne Augen macht.

In einem Modegeschäft in der aufgetakelten Friedrichstraße, gleich neben dem Lafayette, liegt in der gesamten Auslage, wo sonst knapp geschnittene Kleider hängen, ein arty-und-catchy Robert Wilson Buch. Was hat das zu bedeuten, frage ich mich zäh. Ein Altpapiersammler in der U-Bahn, abgerissen, wie ich nicht sagen würde, liest in einem frischen BMW-Katalog. Auch das gehört zu dieser Stadt. „Schweine.“

Auf dem Alex, vor der Skaterstrecke am Burgerking. Ein Typ um die zwanzig sagt zwei schwedischen Mädchen, daß er mit Ihnen ins Bett will (in weniger gehobenem Deutsch) und zwar möglichst sofort. Die Mädchen kichern. Er wiederholt sein Angebot mehrmals, eindringlich. Ich verlasse die Situation, ohne den Ausgang zu erfahren und sehe den Kampf einer Rentnerin mit einem leeren Einkaufsbeutel, braun mit schwarzen Punkten, der seit den fünfziger Jahren ihr Freund gewesen sein muß. Sie versucht ihn mit Füßen auf ein Stück Rasen an einem Fahrradweg zu bugsieren, aber es mißlingt ihr mehrmals. Sie tritt und tritt, aber er will sich nicht von ihren Füßen lösen. Dann flucht sie und läßt ihn auf dem mit roten Kunststeinplatten ausgelegten Fahrradstreifen liegen. „Schweine“.

Der Antiquar meines erweiterten Vertrauens, dem sie bereits zum zweiten Mal die Scheibe eingeschlagen haben, und das mitten im LSD-Kiez, berichtet mir von seinem Anruf beim Bezirksamt. Auf seine erregte Rede schickte man ihm die Anti-Rassismus-Frau der postsozialistischen Partei vorbei, mit der ein Gespräch zu führen ihm einigermaßen unmöglich und egal sei. Jetzt muß auch er Angst vor der Vereinnahmung durch den Sozialismus haben, deren Klassiker bei ihm im Regal stehen und meist länger auf einen Käufer warten. Ich gestehe ihm ein, daß ich fast zwanzig Jahre vom Sozialismus vereinnahmt wurde und doch die Leber auf dem richtigen Fleck habe, will sagen: die Zunge frei und gleich, gleich meinen Katzen, die wie ich, mit Güte und Milde das Eine und Andere hören, nicht ohne ein mitunter winziges Lächeln, das über unsere Barthaare huscht! Da sich zwei Abiturienten auf ihren Velos darüber unterhalten, daß der eine gehört habe, daß es unter der Bahnbrücke Eberswalder die beste Currywurst Berlins gebe.

Also, hier nun zum Mitschreiben für zu spät oder falschen Orts Geborene: Der traditionelle Konnopkegeher zeichnet sich durch eine Stringenz des Bestellens aus. Man verlange zwei Curry (ungeschnitten!) mit Brötchen und dazu eine Brühe. Auf Getränke anderer Art weiß der traditionelle Konnopkegeher zu verzichten. Sträflich sind Pommes mit Majo und Derartiges. Man nehme die Currywurst zwischen Daumen und Zeigefinger beider Hände und biege sie so, daß aus einem zwei Enden werden. Damit wäre auch der Satz mit den zwei Enden der Wurst ein für allemal bewiesen. Frau Konnopke (mit Künstlernamen) sei Dank!

Noch einmal als Zusammenfassung für alle nicht traditionellen Konnopkegeher: Man verlange (zügig) zwei Currywürste (ungeschnitten!) mit Brötchen. (Liegt in einem angebundenen Korb: Nur herausnehmen!) und dazu eine Brühe. Man entnehme der Papiertuchspenderstation ein einzelnes Serviettchen. Trage alles zusammen auf einen der nahen Tische. Ja und dann. Möglich ist auch eine kleine Variation vorgenannter Bestellung, wie folgt: Nur eine Curry (ungeschnitten!) mit Brötchen und dazu eine Brühe. Zur Wiederholung und zum besseren Verständnis: Pommes Frittes liegen nicht wirklich in der Traditionslinie des echten Konnopkegehers, da man als eingeschworener Konnopkegeher in der (wenn auch tragischerweise untergegangenen) Demokratischen Republik ohne Pommes ganz gut leben konnte! „Schweine“.

Ich wohne ja nicht in den badisch- oder rheinischbesetzten Vierteln der Stadt, sage ich mir dann doch beruhigt und stampfe zurück in meinen Arbeiterbezirk mit Ober und Unterstadt, getrennt einzig von der Allee; wo mich der schwankende Mann mit Gehstock grüßt, mittags um halbzwölf in der Samariterstraße, wo ich das erste Bier durch die Scheiben einer Eckkneipe sehe und denke, gar keine schlechte Zeit.

Weddinger Vorfahrt

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