Читать книгу Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. Zehnter Band: enthaltend Kapitel 19 und 20. - Т.Б. Маколей, Томас Бабингтон Маколей - Страница 30

Neunzehntes Kapitel.
Wilhelm und Marie
Ursprung der Nationalschuld

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Während des Zeitraums zwischen der Restauration und der Revolution hatte der Reichthum der Nation rasch zugenommen. Tausende von geschäftsthätigen Leuten fanden jede Weihnachten, daß, nachdem die Ausgaben des Jahreshaushalts von dem Jahreseinkommen bestritten waren, ein Ueberschuß blieb, und wie sie diesen Ueberschuß anlegen sollten, war eine ziemlich schwer zu beantwortende Frage. In unsrer Zeit ist es die Sache einiger Minuten, einen solchen Ueberschuß zu etwas mehr als drei Procent gegen die beste Sicherheit, die die Welt je gekannt hat, unterzubringen. Im 17. Jahrhundert aber war ein Advokat, ein Arzt oder ein vom Geschäft zurückgetretener Kaufmann, der sich einige Tausende erspart hatte und sie sicher und nutzbar anlegen wollte, oft in großer Verlegenheit. Drei Generationen früher kaufte Jemand, der sich im Geschäft Vermögen erworben hatte, in der Regel Grundeigenthum oder lieh seine Ersparnisse auf Hypothek aus. Aber die Anzahl der Acker Landes im Königreiche war die nämliche geblieben und der Werth des Bodens war zwar beträchtlich gestiegen, aber doch keineswegs in so rascher Progression als die Masse des auf Verwendung harrenden Kapitals zugenommen hatte. Viele wünschten auch ihr Geld so anzulegen, daß sie jeden Augenblick darüber verfügen konnten, und sie sahen sich nach einer Gattung Eigenthum um, das sich leichter cediren ließ als ein Haus oder ein Stück Feld. Ein Kapitalist konnte zwar auf Bodmerei oder auf persönliche Sicherheit ausleihen, aber wenn er dies that, lief er stets große Gefahr, Zinsen und Kapital zu verlieren. Es gab ein paar Actiengesellschaften, unter denen die Ostindische Compagnie die erste Stelle einnahm; aber die Nachfrage nach den Papieren dieser Compagnie war bei weitem größer als das Angebot. Das Verlangen nach einer neuen Ostindischen Compagnie ging in der That hauptsächlich von Leuten aus, denen es schwer geworden war, ihre Ersparnisse gegen gute Sicherheit zinsbar anzulegen. Diese Schwierigkeit war so groß, daß die Gewohnheit, baares Geld aufzusammeln, allgemein war. Es wird uns erzählt, daß der Vater des Dichters Pope, der sich zur Zeit der Revolution von seinem Geschäft in der City zurückzog, auf seinen Landsitz eine Geldkasse mitnahm, welche nahe an zwanzigtausend Pfund enthielt, und daß er von Zeit zu Zeit herausnahm, was er zur Bestreitung seiner häuslichen Bedürfnisse brauchte, und es ist sehr wahrscheinlich, daß dies kein vereinzelter Fall war. Gegenwärtig ist die Quantität des von Privatpersonen aufgesammelten gemünzten Geldes so unbedeutend, daß es, wenn es in den Verkehr käme, keine merkliche Vermehrung der Geldcirculation hervorrufen würde. Zu Anfang der Regierung Wilhelm’s III. aber waren alle renommirten Schriftsteller über den Geldumlauf der Meinung, daß eine sehr beträchtliche Masse Gold und Silber in geheimen Schubkästen und hinter Wandgetäfel verborgen sei.

Die natürliche Folge dieses Standes der Dinge war, daß eine Menge Projectenmacher, geistreiche und alberne, rechtschaffene und betrügerische, sich damit beschäftigten, neue Pläne zur Anlegung des überflüssigen Kapitals zu ersinnen. Es war im Jahre 1688, daß man das Wort Stockjobber zum ersten Male in London hörte. In dem kurzen Zeitraume von vier Jahren entstanden eine Masse Compagnien, deren jede den Actienzeichnern zuversichtlich die Hoffnung auf enormen Gewinn eröffnete: die Versicherungscompagnie, die Papiercompagnie, die Darmsaitencompagnie, die Perlenfischereicompagnie, die Glasflaschencompagnie, die Alauncompagnie, die Kohlenblendecompagnie, die Degenklingencompagnie. Es gab eine Tapetencompagnie, welche bald hübsche Wandbekleidungen für die Besuchszimmer der mittleren Stände und für die Schlafzimmer der höheren liefern wollte. Es gab eine Kupfercompagnie, welche die Minen England’s auszubeuten gedachte und die Hoffnung aussprach, daß sich dieselben nicht minder werthvoll erweisen würden als die von Potosi. Es gab eine Tauchercompagnie, die sich anheischig machte, werthvolle Gegenstände von untergegangenen Schiffen zu Tage zu fördern, und welche verkündigte, daß sie einen Vorrath wunderbarer Maschinen angeschafft habe, welche vollständigen Rüstungen glichen. Vorn am Helme befand sich ein großes Glasauge, gleich dem eines Cyclopen, und von der Helmspitze ging eine Röhre aus, durch welche die Luft eingelassen wurde. Der ganze Prozeß wurde auf der Themse öffentlich gezeigt. Elegante Herren und Damen wurden zu dem Schauspiele eingeladen, gastlich bewirthet und durch den Anblick erfreut, wie die Taucher in ihrer Rüstung in den Fluß hinabstiegen und mit altem Eisen und Schiffsgeräth wieder heraufkamen. Es gab eine Grönlandsfischereicompagnie, welche unfehlbar die holländischen Wallfischjäger und Heringsbüsen aus den nordischen Meeren verdrängen mußte. Es gab eine Gerbereicompagnie, welche Leder zu liefern versprach, das vorzüglicher sein sollte als das beste türkische und russische. Es gab eine Gesellschaft, die es auf sich nahm, jungen Gentlemen unter billigen Bedingungen eine liberale Ausbildung angedeihen zu lassen und die sich den hochtrabenden Namen Royal Academies Company beilegte. In einer pomphaften Ankündigung wurde bekannt gemacht, daß die Directoren der „Königlichen Academiencompagnie” die besten Lehrer in jedem Zweige des Wissens engagirt hätten und auf dem Punkte ständen zwanzigtausend Loose zu zwanzig Schilling auszugeben. Es sollte eine Lotterie sein mit zweitausend Gewinnen und die glücklichen Treffer der Gewinne sollten auf Kosten der Gesellschaft Latein, Griechisch, Hebräisch, Französisch, Spanisch, die Kegelschnittlehre, Trigonometrie, Heraldik, Lackirkunst, Befestigungskunst, Buchhaltung und die Kunst, auf der Theorba zu spielen, erlernen. Einige von diesen Gesellschaften mietheten große Gebäude und druckten ihre Ankündigungen in goldenen Lettern. Andere bescheidenere begnügten sich mit Tinte und versammelten sich in Kaffeehäusern in der Nähe der Börse. Bei Jonathan und Garraway wimmelte es beständig von Mäklern, Käufern und Verkäufern, von sich versammelnden Directoren und Actionären. Bald kamen die Zeitkäufe in die Mode. Es wurden ausgedehnte Combinationen aufgestellt und monströse Fabeln in Umlauf gebracht, um den Preis der Actien hinaufzutreiben oder herunterzudrücken. Unser Vaterland war zum ersten Male Zeuge der Erscheinungen, mit denen eine lange Erfahrung uns vertraut gemacht hat. Eine Manie, deren Symptome im Wesentlichen dieselben waren, wie die der Manie von 1720, der Manie von 1825 und der Manie von 1845, ergriff das Publikum. Eine Sucht, schnell reich zu werden, eine Geringschätzung des kleinen aber sicheren Gewinns, welche der gebührende Lohn der Betriebsamkeit, der Ausdauer und der Sparsamkeit sind, verbreiteten sich durch die ganze Gesellschaft. Der Geist der betrügerischen Würfelspieler von Whitefriars bemächtigte sich der ernsten Senatoren der City, der Gildenvorsteher, der Deputies und Aldermen. Es war viel leichter und viel einträglicher, einen lügenhaften Prospectus auszugeben, der ein neues Actienunternehmen ankündigte, unwissende Leute zu überreden, daß die Dividenden nicht unter zwanzig Procent betragen könnten und fünftausend Pfund dieses imaginären Gewinns für zehntausend Stück solide Guineen hinzugeben, als ein Schiff mit einer gutgewählten Ladung für Virginien oder die Levante zu befrachten. Jeden Tag trat eine neue Blase ans Licht, stieg lustig empor, schimmerte glänzend, zerplatzte und war vergessen.85

Die neue Form, welche die Gewinnsucht angenommen hatte, lieferte den humoristischen Dichtern und Satyrikern einen vortrefflichen Stoff, und dieser Stoff war ihnen um so willkommener, weil einige der gewissenlosesten und glücklichsten von dieser neuen Gattung von Spielern Männer in schwarzen Röcken und mit schlichten Haaren waren, Männer, welche die Spielkarten Bücher des Teufels nannten, Männer, die es für eine Sünde und Schande hielten, einige Pence am Triktrakbret zu gewinnen oder zu verlieren. In Shadwell’s letztem Drama wurde die Heuchelei und Schurkerei dieser Spekulanten zum ersten Male dem öffentlichen Spotte preisgegeben. Er starb im November 1692 kurz vor der ersten Aufführung seiner „Stockjobbers,” und der Epilog wurde von einem Schauspieler in Trauerkleidern gesprochen. Die beste Scene ist die, in welcher vier oder fünf starre Nonconformisten in vollständigem puritanischen Costüm, nachdem sie die Prospecte der Mausefallencompagnie und der Flohtödtungscompagnie discutirt haben, die Frage besprechen, ob die Gottseligen gesetzmäßigerweise Actien einer Compagnie zur Herbeischaffung chinesischer Seiltänzer haben dürften. „Angesehene Leute haben Actien,” sagt ein ernster Mann mit kurzgeschorenen Haaren und mit Bäffchen; „aber ich bin wahrhaftig in Zweifel, ob es erlaubt ist oder nicht.” Diese Zweifel werden durch einen trotzigen alten Rundkopfobersten gehoben, der bei Marston Moor gefochten hat und der seinen schwächeren Bruder daran erinnert, daß die Heiligen für ihre Person den Seiltanz nicht anzusehen brauchten und daß aller Wahrscheinlichkeit nach überhaupt gar kein Seiltanz zu sehen sein werde. „Die Sache scheint Anklang zu finden,” sagt er, „die Actien werden sich gut verkaufen lassen, und dann kann es uns gleichgültig sein, ob die Tänzer kommen oder nicht.” Es ist wichtig, zu bemerken, daß diese Scene dargestellt und applaudirt wurde, bevor noch ein Farthing von der Nationalschuld contrahirt war. So schlecht waren die zahlreichen Schriftsteller unterrichtet, die zu einer späteren Zeit der Nationalschuld das Entstehen des Börsenspiels und aller damit verbundenen Unmoralitäten zuschrieben. Das Wahre ist, daß die Gesellschaft in ihrem natürlichen Entwicklungsgange einen Punkt erreicht hatte, auf welchem das Börsenspiel, mochte es eine Nationalschuld geben oder nicht, eben so unvermeidlich war als das Vorhandensein einer Nationalschuld, wenn ein langer und kostspieliger Krieg geführt wurde.

Wie wäre es in der That möglich gewesen, keine Schuld zu contrahiren, wenn der eine Theil durch die stärksten Beweggründe zum Entlehnen, der andre Theil durch eben so starke Beweggründe zum Darleihen angetrieben wurde? Der Augenblick war gekommen, wo sich die Regierung in die Unmöglichkeit versetzt sah, ohne die bedenklichste Unzufriedenheit zu erregen, durch Besteuerung die zur Vertheidigung der Freiheit und Unabhängigkeit der Nation erforderlichen Geldmittel zu beschaffen, und gerade in diesem Augenblicke sahen sich zahlreiche Kapitalisten vergebens nach einer guten Art und Weise der Anlegung ihrer Ersparnisse um und behielten in Ermangelung einer solchen ihr Geld im Kasten oder verschwendeten es an unsinnige Projecte. Reichthümer, welche hingereicht haben würden, eine Flotte auszurüsten, die den deutschen und den atlantischen Ocean von den französischen Kapern hätte säubern können, Reichthümer, welche hingereicht haben würden, eine Armee zu unterhalten, die Namur hätte wiedernehmen und die Niederlage von Steenkerke rächen können, lagen müßig oder gingen aus den Händen ihrer Besitzer in die Hände von Gaunern über. Ein Staatsmann konnte wohl auf den Gedanken kommen, daß ein Theil des Geldes, das täglich vergraben oder vergeudet wurde, mit Vortheil für den Eigenthümer, für den Steuerzahlenden und für den Staat in den Schatz gezogen werden könne. Warum den außerordentlichen Aufwand eines Kriegsjahres dadurch bestreiten, daß man fleißigen Familien Stühle, Tische und Betten wegnahm, daß man den einen Landgentleman nöthigte, seine Bäume zu schlagen, bevor sie für die Art reif waren, einen andren die Landhäuser auf seinem Gute verfallen zu lassen, einen dritten, seinen hoffnungsvollen Sohn von der Universität zu nehmen, während es um die Börse herum von Leuten wimmelte, die nicht wußten was sie mit ihrem Gelde anfangen sollten, und die in Jedermann drangen, es ihnen abzuborgen?

Es wurde späterhin von Tories, welche unter allen Dingen die Nationalschuld und unter allen Menschen Burnet am meisten haßten, oft behauptet, Burnet sei Derjenige gewesen, der der Regierung zuerst gerathen habe, eine Nationalschuld zu contrahiren. Allein diese Behauptung wird durch keinen glaubwürdigen Beweis bestätigt und scheint durch das Stillschweigen des Bischofs widerlegt zu werden. Er war unter allen Menschen derjenige, von dem am wenigsten anzunehmen war, daß er die Thatsache verschweigen würde, daß eine wichtige fiskalische Revolution sein Werk gewesen. Auch war das damalige Schatzcollegium kein solches, das die Rathschläge eines Geistlichen nöthig gebraucht, oder von dem man hätte annehmen können, daß es dieselben sonderlich beachten würde. In diesem Collegium saß Godolphin, der klügste und erfahrenste, und Montague, der waghalsigste und erfinderischste aller Financiers. Es konnte keinem dieser beiden ausgezeichneten Männer unbekannt sein, daß es in den Nachbarstaaten schon längst Gebrauch war, die durch ein Kriegsjahr nöthig gemachte übermäßige Besteuerung auf mehrere Friedensjahre zu vertheilen. In Italien bestand dieser Gebrauch seit mehreren Generationen. Frankreich hätte während des Kriegs, welcher 1672 begann und 1679 endigte, nicht weniger als dreißig Millionen nach unsrem Gelde geborgt. Sir Wilhelm Temple hatte in seinem interessanten Werke über die Batavische Föderation seinen Landsleuten erzählt, daß zu der Zeit als er Gesandter im Haag war, die damals von dem sparsamen und klugen De Witt verwaltete Provinz Holland allein ungefähr fünf Millionen Pfund Sterling schuldete, für welche die Zinsen zu vier Procent stets auf den Tag bereit waren, und daß, wenn ein Theil des Kapitals zurückgezahlt wurde, der Staatsgläubiger sein Geld mit Thränen in Empfang nahm, wohl wissend, daß er keine Anlage von gleicher Sicherheit finden konnte. Das Wunder ist nicht, daß England endlich das Beispiel seiner Feinde wie seiner Verbündeten nachahmte, sondern daß bereits das vierte Jahr seines schweren und erschöpfenden Kampfes gegen Ludwig zu Ende ging, ehe es zu einem so nahe liegenden Aushülfsmittel griff.

Am 15. December 1692 erklärte sich das Haus der Gemeinen zu einem Ausschusse für Feststellung der Mittel und Wege. Somers nahm den Präsidentenstuhl ein. Montague schlug vor, eine Million auf dem Wege der Anleihe zu erheben; der Vorschlag fand Beifall und es wurde angeordnet, daß eine Bill eingebracht werden solle. Die Details des Planes wurden ausführlich besprochen und vielfach modificirt; das Prinzip aber scheint allen Parteien gefallen zu haben. Die Geldmänner waren froh, daß sie eine gute Gelegenheit hatten, ihre aufgehäuften Kapitalien zinsbar anzulegen, und die durch die Steuerlast hart gedrückten Grundbesitzer waren bereit, um momentaner Erleichterung willen Alles zu genehmigen. Kein Mitglied wagte das Haus abstimmen zu lassen. Am 20. Januar wurde die Bill zum dritten Male gelesen, durch Somers den Lords überreicht und von ihnen ohne Amendement angenommen.86

Durch dieses denkwürdige Gesetz wurden neue Abgaben auf das Bier und andere geistige Getränke gelegt. Diese Abgaben sollten im Schatze von allen übrigen Einnahmen gesondert bleiben und einen Fond bilden, auf dessen Garantie hin eine Million gegen Leibrenten aufgenommen werden sollten. Nach dem Absterben der Renteninhaber sollten ihre Annuitäten unter die Ueberlebenden vertheilt werden, bis die Zahl der Ueberlebenden auf sieben zusammengeschmolzen war. Was nach dieser Zeit zurückfiel, sollte dem Staate zu Gute kommen. Es war demnach ausgemacht, daß das 18. Jahrhundert weit vorgerückt sein würde, ehe die Schuld getilgt war. Der Zinsfuß sollte bis zum Jahre 1700 zehn Procent, und nach diesem Jahre sieben Procent sein. Die dem Staatsgläubiger durch diesen Plan gebotenen Vortheile mögen groß scheinen, waren aber nur eben hinreichend, um ihn für sein Risico zu entschädigen. Es war nicht unmöglich, daß eine Contrerevolution ausbrach, und wenn eine solche stattfand, war es gewiß, daß Die, welche Wilhelm Geld geliehen hatten, sowohl Zinsen als Kapital verloren.

Dies war der Ursprung der Schuld, die seitdem das größte Wunder geworden ist, das jemals den Scharfsinn der Staatsmänner und Philosophen in Verlegenheit gesetzt und ihren Stolz beschämt hat. Bei jeder neuen Vermehrung dieser Schuld hat die Nation stets das nämliche Geschrei der Angst und Verzweiflung erhoben. Bei jeder neuen Vermehrung dieser Schuld haben einsichtsvolle Männer allen Ernstes behauptet, daß Bankerott und Ruin bevorständen. Und doch wuchs die Schuld fortwährend, und Bankerott und Ruin waren so fern als je. Als der große Kampf mit Ludwig schließlich durch den Frieden von Utrecht beendigt wurde, schuldete die Nation ungefähr funfzig Millionen, und diese Schuld wurde, nicht bloß von dem ungebildeten großen Haufen, nicht blos von fuchsjagenden Squires und Kaffeehausrednern, sondern von scharfen und tiefen Denkern als eine Last betrachtet, welche den Staatskörper fortwährend lähmen würde. Gleichwohl blühte der Handel, der Wohlstand nahm zu, die Nation wurde reicher und reicher. Dann kam der österreichische Erbfolgekrieg, und die Schuld stieg auf achtzig Millionen. Tagesschriftsteller, Geschichtsschreiber und Redner erklärten, daß jetzt unsre Lage jedenfalls eine verzweifelte sei. Die Zeichen zunehmenden Wohlstandes, Zeichen, die weder gefälscht noch verborgen werden konnten, mußten jedoch jeden aufmerksamen und nachdenkenden Beobachter überzeugen, daß eine Schuld von achtzig Millionen für das von Pelham regierte England weniger war, als eine Schuld von funfzig Millionen für das von Oxford regierte England gewesen war. Bald brach von neuem Krieg aus, und unter der energischen und verschwenderischen Verwaltung des ersten Wilhelm Pitt schwoll die Schuld rasch auf hundertvierzig Millionen an. Sobald der erste Siegesrausch verflogen war, erklärten Männer der Theorie und Männer der Praxis einstimmig, daß der verhängnißvolle Tag nun wirklich gekommen sei. Der einzige unter allen praktischen und theoretischen Staatsmännern, der die allgemeine Verblendung nicht theilte, war Edmund Burke. David Hume, ohne Widerrede einer der gründlichsten Staatsökonomen seiner Zeit, erklärte, unser Wahnsinn übertreffe noch den Wahnsinn der Kreuzfahrer. Richard Löwenherz und Ludwig der Heilige hätten nicht mathematischen Beweisen Hohn gesprochen. Es sei unmöglich, mit Ziffern zu beweisen, daß der Weg zum Paradiese nicht durch das gelobte Land gehe, aber es sei möglich mit Ziffern zu beweisen, daß der Weg zum Nationalruin durch die Nationalschuld führe. Es sei jedoch überflüssig noch von dem Wege zu sprechen, denn mit dem Wege hätten wir es nicht mehr zu thun, wir seien bereits am Ziele angelangt und Alles sei vorbei: alle Einkünfte der Insel nördlich vom Trent und westlich vom Reading seien verpfändet. Es würde besser für uns gewesen sein, wenn Preußen oder Oesterreich uns besiegt hätte, als daß wir die Zinsenlast für hundertvierzig Millionen tragen müßten.87 Dieser große Gelehrte – denn das war er – hätte indessen nur die Augen zu öffnen gebraucht, um überall um sich her Fortschritt und Verbesserung zu erblicken: sich vergrößernde Städte, sich immer weiter ausbreitende Bebauung des Bodens, Märkte, zu klein für die Masse der Käufer und Verkäufer, Häfen, nicht mehr genügend zur Aufnahme der Schiffe, künstliche Flüsse, welche die Hauptbinnensitze der Industrie mit den wichtigsten Seehäfen verbanden, besser erleuchtete Straßen, besser eingerichtete Häuser, kostbarere Waaren, in eleganteren Läden zum Verkauf gestellt, leichtere Wagen, die auf ebeneren Wegen dahinrollten. Er hätte in der That nur das Edinburg seiner Kindheit mit dem Edinburg seines Mannesalters zu vergleichen gebraucht. Seine Prophezeiung bleibt für die Nachwelt ein denkwürdiges Beispiel der Schwäche, von der auch die stärksten Geister nicht frei sind. Adam Smith sah ein wenig, aber auch nur ein wenig weiter. Er gab zu, daß die Nation die Schuldenlast trotz ihrer ungeheuren Größe doch trage und unter ihr in einer Weise gedeihe, die Niemand habe voraussehen können. Aber er warnte seine Landsleute, ein so gewagtes Experiment zu wiederholen. Die Grenze sei erreicht, selbst eine geringe Vermehrung könne verderblich werden.88 Nicht minder schwarz war das Licht, in welchem Georg Grenville, ein ausgezeichnet fleißiger und praktischer Minister, unsre finanzielle Lage erblickte. Er meinte die Nation müsse unter einer Schuldenlast von hundertvierzig Millionen erliegen, wenn nicht ein Theil derselben von den amerikanischen Colonien getragen würde. Der Versuch, einen Theil der Last auf die amerikanischen Colonien zu übertragen, rief einen neuen Krieg hervor. Nach diesem Kriege hatten wir hundert Millionen Schulden mehr und die Colonien verloren, deren Beistand als unerläßlich dargestellt worden war. Wieder wurde England aufgegeben, und wieder beharrte der sonderbare Patient darin, trotz aller Diagnosen und Prognosen der Staatsärzte immer kräftiger und blühender zu werden. Wie es mit einer Schuld von hundertvierzig Millionen sichtlich besser gediehen war als mit einer Schuld von funfzig Millionen, so gedieh es wieder mit einer Schuld von zweihundertvierzig Millionen besser als mit einer Schuld von einhundertvierzig Millionen. Bald jedoch stellten die Kosten der aus der französischen Revolution hervorgehenden Kriege, welche an Kostspieligkeit alle übertrafen, die die Welt je gesehen, die Kräfte des öffentlichen Credits auf die äußerste Probe. Als die Welt wieder ruhig geworden war, betrug die fundirte Schuld England’s achthundert Millionen. Wenn man dem aufgeklärtesten Manne im Jahre 1792 gesagt hätte, daß im Jahre 1815 die Zinsen von achthundert Millionen auf den Tag von der Bank ausgezahlt werden würden, so würde er dies eben so wenig geglaubt haben, als wenn man ihm gesagt hätte, die Regierung werde im Besitz der Aladinslampe oder des Fortunatusbeutels sein. Es war in der That eine riesige, eine fabelhafte Schuld, und wir dürfen uns kaum darüber wundern, daß das Geschrei der Verzweiflung lauter war als je. Doch abermals überzeugte man sich, daß das Geschrei eben so grundlos gewesen war als je. Nach einigen Jahren der Erschöpfung erholte sich England wieder. Dennoch beklagte es sich, wie Addison’s eingebildeter Kranker, der beständig wimmert, er müsse an der Schwindsucht sterben, bis er so fett wird, daß er beschämt schweigen muß, fortwährend, daß es in Armuth versunken sei, bis sein Reichthum sich durch Zeichen verrieth, die seine Klagen lächerlich machten. Die verarmte, die bankerotte Gesellschaft erwies sich nicht nur fähig, alle ihre Verbindlichkeiten zu erfüllen, sondern wurde sogar, während sie ihre Verbindlichkeiten erfüllte, so schnell immer reicher und reicher, daß die Zunahme ihres Reichthums fast mit den Augen zu erkennen war. In jeder Grafschaft sahen wir seit kurzem Wüsteneien in Gärten verwandelt; in jeder Stadt sahen wir neue Straßen und Squares und Marktplätze, glänzendere Laternen, reichlichere Versorgung mit Wasser; in den Vorstädten jedes großen Sitzes der Industrie sahen wir die Villas, jede in ein reizendes kleines Paradies von Hollunder und Rosen gebettet, sich rasch vermehren. Während seichte Politiker beständig wiederholten, daß die Kräfte des Volks durch die Wucht der öffentlichen Lasten erdrückt würden, fand die erste Dampfwagenfahrt auf einer Eisenbahn statt. Bald war die Insel mit Schienenwegen überzogen. Eine Summe, größer als der Betrag der ganzen Nationalschuld zu Ende des amerikanischen Kriegs, wurde von diesem ruinirten Volke binnen wenigen Jahren freiwillig auf den Bau von Viaducten, Tunneln, Dämmen, Brücken, Bahnhöfen und Lokomotiven verwendet. Inzwischen wurde die Besteuerung fast beständig leichter und leichter und doch war die Staatskasse gefüllt. Man darf ohne Besorgniß vor Widerspruch behaupten, daß es uns eben so leicht wird, die Zinsen von achthundert Millionen zu bezahlen, als es vor hundert Jahren unseren Vorfahren wurde, die Zinsen von achtzig Millionen zu bezahlen.

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Diese Darstellung des Ursprungs des Actienschwindels in der City von London habe ich hauptsächlich nach einer höchst interessanten periodischen Schrift, betitelt: „Collection for the Improvement of Husbandry and Trade, by J. Houghton, F. R. S.” entworfen. Sie ist thatsächlich eine wöchentliche Geschichte der Handelsspekulationen jener Zeit. Ich habe mehrere Jahrgänge durchgesehen. In Nr. 33, vom 17. März 1692/93, sagt Houghton: „Das Kaufen und Verkaufen von Actien ist einer der großen jetzt florirenden Handelszweige. Ich finde aber, daß sehr Viele nichts davon verstehen.” Unterm 13. und 22. Juni 1694 schildert er den ganzen Prozeß des Börsenspiels. Unterm 13. Juli des nämlichen Jahres spricht er zuerst von Zeitkäufen. Wer über die im Texte genannten Compagnien Näheres wissen will, der lese Houghton’s Sammlung und eine 1695 erschienene Flugschrift, betitelt: Angliae Tutamen.

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Commons’ Journals; Stat. 4. W. & M. C. 3.

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Siehe eine höchst bedeutsame Anmerkung in Hume’s History of England, Anhang III.

88

Wealth of Nations, Buch V. Kap. 3.

Geschichte von England seit der Thronbesteigung Jakob's des Zweiten. Zehnter Band: enthaltend Kapitel 19 und 20.

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