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ОглавлениеKapitel 2: Voll verhamstert
Tom starrte auf den Hamster, und der Hamster starrte zurück. »Das darf doch jetzt echt nicht wahr sein«, murmelte Tom und schaute Hilfe suchend zu Mimi.
Das grünlich schimmernde Geistermädchen war im Dunkel der Geisterbahn sehr gut zu sehen und zuckte mit den durchsichtigen Achseln. Auch Hop-Tep die Mumie, Toms Pflegeonkel Welf der Werwolf und Wombie der Zombie standen um den Sarg in der Kerker-Dekoration herum. Der Zombie starrte wie immer teilnahmslos ins Leere, hatte aber seinen Kuschelhasen Odor so in der Armbeuge platziert, dass der gut sehen konnte. Es fehlte also nur Vlarad der Vampir. Oder anders gesagt: Es fehlte nur der Vampir. Vlarad war ja da, aber eben in Gestalt eines Hamsters.
Es patschte laut durch die Geisterbahn, als Tom sich mit der flachen Hand mitten ins Gesicht schlug und diese dann ganz langsam herunterzog. Er hatte sich diese Geste vor ein paar Wochen angewöhnt und seitdem mehr als genug Gelegenheiten gehabt, sie einzusetzen. Denn irgendwas war ja immer. Und mit einer Geisterbahn voll mit echten Untoten war nicht nur immer was, sondern eben auch immer was ganz Besonderes. Das heutige Besondere saß vor ihnen und blinzelte aus unschuldigen Knopfaugen in die Runde.
»Vlarad hat also zu viel Hamsterblut genossen, wenn ich das richtig deute?«, seufzte Tom, und alle außer Wombie nickten. Natürlich wussten sie alle, dass es für Vlarad nicht so einfach war, immer genug unterschiedliches Blut zur Verfügung zu haben, um nicht zu dem jeweiligen Spendertier zu mutieren. Andererseits klappte es meistens auch ganz gut. Vlarad hatte im Lauf der Jahre ein stattliches Register von Zoohandlungen und Tierparks angelegt, wo er sich mit ausreichend Nahrung versorgen konnte, ohne eines der Tiere zu gefährden. Solange der Vampir sich nur ein paar Milliliter Blut abzapfte, blieb bei den Tieren nichts zurück als die verschwommene Erinnerung an eine hypnotisch-beruhigende Stimme und einen kleinen Piks.
Außerdem forschte der Vampir seit Jahrzehnten an einer veganen Alternative zu Tierblut, aber leider hatte er damit bislang noch keinen wirklichen Durchbruch erzielt – eher im Gegenteil: Nach einer dieser veganen Testphasen überwältigte ihn oft ein kaum zu bremsender Blutdurst. Und wenn sich der sonst so auf Benimm und Anstand versessene Graf nicht mehr im Griff hatte, konnte es gelegentlich passieren, dass er zu viel von einer Tierart erwischte. Und heute war wohl gelegentlich, denn der Hamster vor ihnen war der lebendige Beweis.
»Was machen wir denn jetzt?«, stöhnte Tom.
»Wir könnten ihm ein kleines Cape nähen«, ließ sich Welf vernehmen, und Mimi kicherte. »Au ja, und einen süßen kleinen Gehrock und eine Weste und …«
Tom hob die Hand. »Ich habe – natürlich – nicht gemeint, was wir mit dem Hamster alles Lustiges machen können, sondern wie wir den Vampir zurückbekommen, den wir spätestens dann brauchen, wenn heute Nachmittag viele Leute mit der Geisterbahn fahren und sich kaum vor einem Hamster gruseln werden!«
»Jetzt reg dich doch nicht so auf, Tom. Du hast doch vorhin gesehen, dass wir zur Not auch ohne Vampir ziemlich wirkungsvoll sind, oder?«, antwortete ihm das Geistermädchen und grinste frech.
»Oh ja, das hab ich gesehen, und darüber müssen wir auch noch reden«, gab Tom aufgebracht zurück. »Ihr habt den Typen so erschreckt, dass ich dachte, er sackt zusammen und fließt als Götterspeise aus der Gondel! Der war total weggetreten und hatte sogar vergessen, wie man blinzelt!«
Mimi schob beleidigt die Unterlippe vor. »Du hast gesagt …«
»Mooooment«, rief Tom, »ich hab nicht gesagt: Macht den Heini zu Bibber-Bampf! Ich wollte nur, dass er sich genug gruselt für zwei fuffzich!«
»Was soll’s«, ging Welf unwirsch dazwischen, »hat er sich eben für ein paar Euro mehr gegruselt. Du wolltest ihm die Fahrt ja sogar schenken.«
»Was hätt ich denn bitte auch anderes machen sollen?«, entgegnete Tom. »Guten Tag, Sie hatten gerade Schiss für hundert Euro, also geben Sie mir wenigstens ’nen Zwanni, oder was?«
»Zum Beispiel«, grummelte Welf. »Davon könnten wir die Lieferung mit den neuen Glühlampen bezahlen, die morgen Vormittag hier ankommen sollen.«
Tom stand einen Moment lang der Mund offen, und er wartete, bis seine Kiefer wieder dazu taugten, Laute zu formen.
»Das darf doch jetzt echt nicht wahr sein«, stieß er dann zwischen zusammengebissenen Zähnen hervor. »Der Herr Graf hamstert sich einen, während ihr jemanden fürs Leben traumatisiert, und jetzt bin ich derjenige, der Mist gebaut hat!?«
Das hat niemand von uns so ausgedrückt, junger Freund, vernahm Tom plötzlich direkt in seinem Kopf. Es war Hop-Tep, der gerade telepathisch zu ihm gesprochen hatte, obwohl er direkt vor ihm stand. Und das war auch gut so, denn durch die Bandagen war von der Mumie meistens nur ein undeutliches Genuschel zu verstehen.
Tom seufzte. »Das weiß ich doch.« Er setzte sich neben den Hamster auf den Sarg. Der ägyptische Prinz sprach selten, aber wenn er etwas sagte, dann hatte er erschreckend oft recht. So auch diesmal.
Tom sah das Nagetier nachdenklich an. Das schaute hamsterig zurück. Dann gab er sich einen Ruck, blickte auf und rang sich ein halbes Lächeln ab. »Also gut, was tun wir?«
»Das ist einfach«, antwortete Welf. »Wir warten, bis die Wirkung nachlässt.«
»Und wie lange dauert das?«
»Kommt drauf an, wie viel Hamsterblut Vlarad erwischt hat. Wenn es sozusagen ein kompletter Hamster war, dann verwandelt er sich wohl erst übermorgen Nacht zurück.«
Tom schluckte. »Was meinst du mit ›ein kompletter Hamster‹? Du meinst, das Spendertierchen ist … es ist …«
»Untot«, unterbrach ihn Mimi. »Irgendwo in der Stadt gibt es jetzt vermutlich einen etwas bleichen Hamster mit sehr spitzen Eckzähnen, der demnächst herausfinden wird, dass er das Tageslicht meiden sollte.«
»Oh nein, der Arme!«, rief Tom. »Können wir da gar nix machen?«
Die Erfahrung hat gezeigt, dass das gar nicht nötig ist, meldete sich da wieder die Mumie zu Wort. Bedenke, junger Freund, dass der kleine Hamster nun ewig leben wird, zudem die Kräfte eines kleinen Bären hat, und bald wird er auch herausfinden, dass er sich des Nachts in Gestalt einer Fledermaus in die Lüfte erheben kann. Bislang waren alle Tiere, denen dieses Schicksal widerfuhr, hocherfreut.
»Okay, so gesehen«, murmelte Tom. Er selbst hatte ja auch schon öfter darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, wenigstens eine dieser Superkräfte zu besitzen, über die seine untoten Freunde im Überfluss verfügten. Doch auf der anderen Seite merkte Tom täglich, dass er als normaler Mensch auch Vorteile hatte. Er konnte unbehelligt vom Sonnenlicht am Tag herumspazieren, verwandelte sich bei Vollmond nicht in eine reißende Bestie, und, im Gegensatz zu Mimi, konnte er Dinge anfassen und festhalten, ohne einfach hindurchzugleiten.
»Ihr meint also, dem Hamster, den Vlarad gebissen hat, geht’s gut?«, fragte Tom verwundert in die Runde.
»Schau uns an«, lächelte Mimi, »sehen wir unglücklich aus?«
Tom lächelte zurück. »Nein. Wirklich nicht.«
»Siehst du. Und dem Vampirhamster wird’s auch gutgehen. Der wird sogar richtig Spaß haben, glaub mir.«
»Na gut«, sagte Tom, »so weit der Vampirhamster, bleibt nur noch unser Hamstervampir.«
Er sprang vom Sarg und rubbelte die Hände aneinander. »Dann machen wir es so. Mimi, du übernimmst bitte zusätzlich Vlarads Position. Wenn eine Gondel hier an der Kerker-Deko vorbeifährt, gleitest du durch den Sargdeckel und schwebst links die Gleise entlang und um die Ecke. Wenn die Gondel dann an deiner eigentlichen Position vorbeikommt, lässt du sie durch dich hindurchfahren und gleitest dann durch den Boden ungesehen zurück zu Vlarads Sarg. Das sollte in wenigen Sekunden machbar sein, sodass du bereit bist, wenn die nächste Gondel kommt, oder?«
»Yes, Sir«, antwortete das Geistermädchen breit grinsend und deutete ein Salutieren an.
»Danke dir.« Tom wandte sich an die Mumie. »Hop-Tep, du bist doch so irre begabt mit Nadel, Faden und Make-up. Könntest du dem Hamster-Vlarad vielleicht ein Ratten-Cosplay basteln? Ich finde, so eine dicke Ratte würde sich in der Deko super machen.« Er blickte zu dem Hamster. »Also, wenn es für dich okay ist, Vlarad, dass du als Ratte arbeitest, bis du wieder zurückverwandelt bist?«
Der Hamster nickte sehr unhamsterartig, und Tom musste grinsen. »Supi, danke dir. Wenn wir den Magnetverschluss aus dem Sarg ausbauen, könnte unsere Riesenratte vielleicht sogar selbst den Deckel anheben und rauskrabbeln. Ginge das, Hop-Tep?«
Das sind zwei sehr hübsche Ideen, junger Freund, und ich werde mich umgehend daranmachen, antwortete die Mumie.
Tom schnaufte erleichtert durch und schaute zu den anderen. »Also, war’s das, oder haben wir sonst noch irgendwelche Probleme?« Natürlich erwartete er nun nichts anderes als ein vielstimmiges »Nein, alles okay, Tom«.
Stattdessen antwortete Mimi mit einem verdrucksten »Na ja …«, und Tom sah sie groß an.