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Kapitel 5: Seltsarrm

Und er wollte sonst nichts?«, fragte der Vampir, und Tom schüttelte den Kopf. »Nein, er wollte nur wieder mal, dass ich ihm die Geisterbahn überschreibe.«

Vlarad legte die Zeigerfinger seiner gefalteten Hände vor den Mund und begann, im Zirkuswagen auf und ab zu laufen. Hop-Tep lehnte an der Küchenzeile, und Wombie stand im Eck neben der kleinen Couch. Im Arm hielt er den frisch gewaschenen Odor. Der Lavendelgeruch war so intensiv, dass Tom die Augen tränten, wenn er sich näher als zwei Meter heranwagte.

Der Vampir kratzte sich am Kinn. »Das ist allerdings hochgradig seltsam, in der Tat … Gut, dass du uns gerufen hast.«

»Wieso ist das jetzt so besonders?«, schaltete sich da Mimi ein, und ihr Tonfall klang immer noch motzig.

Diese Frage ist, mit Verlaub, nicht ganz korrekt gestellt, meldete sich da die Mumie. Sie müsste wohl eher lauten: Was ist nun besonders?

Vlarad reckte den Zeigefinger so ruckartig in die Luft, als wolle er ein Luftloch ins Dach schmettern. »Sehr richtig, alter Junge! So ist es. Dass Zoracz die Schreckensfahrt unter seine Kontrolle bringen will, ist in der Tat nichts Außergewöhnliches. Aber dass er nach so vielen Anläufen, Tricks und Attacken nun einfach mit Stift und Zettel vor der Türe steht, ist erstaunlich.«

Er drehte sich zu Tom herum und musterte ihn. »Ich möchte wetten, irgendetwas an ihm war anders als sonst, nicht wahr?«

Tom nickte. »Ja, und wie. Dass er ab und zu vergisst, sein R zu rollen, kennen wir ja schon. Aber stellt euch vor, er hat beim Weggehen sein Cape nicht aufgebauscht!«

»Was?«, entfuhr es Vlarad, und auch die Mumie wirkte überrascht. Sogar Mimi kam jetzt etwas näher geflattert, hielt aber nach wie vor Abstand zu Tom und würdigte ihn keines Blickes. Der versuchte, das zu ignorieren und bei der Sache zu bleiben. »Und als Zoracz weggegangen ist, da … na ja, da ist er einfach weggegangen. Nicht so storchenartig übertrieben wie sonst, sondern einfach ganz normal.«

»Ich glaube nicht, dass ich unseren Erzfeind jemals dabei beobachten konnte, wie er normal läuft. Das ist allerdings mehr als ungewöhnlich …«, murmelte Vlarad. Dann wandte er sich an Mimi: »Verehrtes Fräulein, ich muss dich um etwas bitten.«

Mimi zog nur die Augenbrauen hoch, sagte aber nichts. Entweder Vlarad bekam nichts davon mit, dass das Geistermädchen schlecht drauf war, oder er ignorierte es.

»Bitte fliege hinüber zu Zoracz und sieh dich heimlich ein wenig bei ihm um.«

»Okay«, antwortete Mimi kurz angebunden und schwebte direkt durch die Wand davon. Kaum war sie verschwunden, drehte sich der Vampir zu Tom herum: »Was in dreizehn Teufels Namen hast du angestellt?«

»Ich!?«, platzte es sofort aus Tom heraus. »Ich hab überhaupt nix angestellt! Mimi war die, die nix gemacht hat, so sieht es aus, nämlich! Ähm …«

Vlarad und die Mumie sahen Tom fragend an, und fast schien es so, als würden auch Wombie und Odor verwundert zu ihm herüberschauen.

Der Vampir hob beide Hände. »Also du hast nichts angestellt und Mimi hat nichts gemacht. Wenn keiner von euch irgendetwas getan hat, wo genau liegt dann das Problem, wenn ich fragen darf?«

Tom fasste sich mit Daumen und Zeigefinger an die Nasenwurzel und kniff die Augen zu. »Nein, das … So hab ich das nicht … Moment mal …«

Er setzte sich an den Küchentisch und atmete dann einmal so kräftig aus, als wolle er die Kerzen einer Geburtstagstorte auspusten. Tom ordnete kurz seine Gedanken und machte dann einen neuen Anlauf.

»Also, Vlarad … Ich war sauer, als ich erfahren habe, dass du Mimi schon vor so langer Zeit diese Übungen gegeben hast, sie aber seitdem nix damit gemacht hat.«

Vlarad sagte nichts, also sprach Tom weiter.

»Und jetzt ist Mimi wiederum sauer auf mich, weil … weil … Also, ich weiß gar nicht genau, warum eigentlich. Schließlich bin ich ja der, der sauer sein muss, oder nicht?«

Der Vampir sah Tom seltsam an. »Ist das eine ernst gemeinte Frage?«

»Ja klar!«, antwortete Tom und runzelte die Stirn. »Wieso?«

»Nun ja, man könnte das auch andersherum sehen, mein Junge«, sprach der Vampir und sah hinüber zu Hop-Tep. Der nickte.

Tom schaute von einem zum anderen. »Wie … aber … sie hat doch …«

»Hat sie eben nicht, Tom«, unterbrach ihn Vlarad. »Sie hat mit dem Training damals nicht begonnen, weil sie nichts in ihrem untoten Leben vermisst hat. Doch nun lernte sie dich kennen und es gab plötzlich etwas, was sie nach so langer Zeit dazu animierte, doch daran zu arbeiten, feststofflicher zu werden …«

Der Vampir machte eine Pause, als wolle er Tom Zeit dazu lassen, dass die Erkenntnis von den Ohren ins Hirn sickerte. Das war allerdings schnell geschehen – Tom schlug beide Hände vors Gesicht und beließ sie dort, während er ganz leise sprach: »Oh Mann … so hab ich das gar nicht … ich hab …«

»Ja, du hast nur an dich gedacht und dass du nicht Händchen halten kannst, oder was auch immer du im Schilde führst«, sprach der Vampir und verzog dabei keine Miene. »Dass Mimi nach so langer Zeit als glückliche Geisterscheinung nur wegen dir einen Grund sah, überhaupt mit den Übungen zu beginnen, muss dir da wohl entgangen sein.«

Tom klappte die Hände zur Seite wie zwei Fensterläden und gestattete damit seiner Stirn, geräuschvoll auf dem Küchentisch aufzuschlagen. Er war nun weder sauer noch beleidigt oder sonst wie von Mimi genervt, dafür umso mehr von sich selbst.

»Ich hab mich aufgeführt wie dem Depp sein Wurstbrot …«, stöhnte er zwischen Zähnen und Tischplatte hervor. »Das tut mir so leid! Mannomann, tut mir das leid, boah…« Tom hob seinen Kopf und blickte Vlarad entschlossen an. »Ich muss Mimi das unbedingt erklären! Aber wie?«

»Ich finde, das mit dem Depp seinem Wurstbrot war schon mal ein guter Anfang«, erklang da die glockenhelle Stimme des Geistermädchens direkt neben ihm, und Tom schreckte hoch.

»D… du bist …«, stammelte er, und Mimi grinste.

»Schon wieder da, ja. Aber wenn du noch ein bisschen weiter erklären möchtest, warum du dich doof verhalten hast und wie doof eigentlich genau, dann mach ruhig weiter. Ich warte gern mit meinem Bericht und hör dir noch gernerer zu.«

»Gernerer ist kein existierendes Wort«, tadelte Vlarad, aber ihm war anzusehen, dass er es nicht sonderlich ernst meinte. »Wie dem auch sei, ich würde anregen wollen, etwaige interne Zwistigkeiten auf einen späteren Zeitpunkt zu verlegen. Wäre das für alle Beteiligten in Ordnung?«

»Aye, Sir, Vampir, Sir«, lachte Mimi und salutierte so zackig, dass ihr durchsichtiger Handrücken ein Stück weit in ihrer Stirn verschwand. Tom nickte dafür so stark, dass er die rote Stelle an der Stirn fast mit einer weiteren am Kinn ergänzt hätte. »Unbedingt! Sehr gern. Ahem … ja.«

Er setzte sich aufrecht hin und verschränkte die Arme. Dann stellte er fest, dass das irgendwie unsympathisch wirkte. Er öffnete die Arme wieder, legte einen auf den Tisch, dann den anderen und zog dann beide wieder herunter. Schließlich stand er etwas zu ruckartig auf und setzte sich halb auf die Tischplatte, um wenigstens ein bisschen cooler zu wirken als während der letzten zehn Minuten. Leider kippelte der kleine Tisch unter ihm dabei recht unangenehm. Tom musste laufend das Gleichgewicht korrigieren, und das wirkte nun noch weniger souverän, als wenn er einfach sitzen geblieben wäre.

Da hob die Mumie die Hand. Ich sage das mit allem gebotenen Respekt, junger Freund, du erreichst gerade das Gegenteil dessen, was du mutmaßlich zu erzielen trachtest.

Tom verstand, was die Mumie meinte, obwohl sie es so verschwurbelt ausdrückte. Mit seiner kleinen Clownseinlage hatte er nicht gerade dazu beigetragen, souveräner zu wirken – ganz im Gegenteil.

Tom seufzte einen klassischen Tom-Seufzer und ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Aber ein kaum sichtbares Lächeln umspielte seine Lippen, als er sagte: »Also gut, dann bin ich jetzt eben ausnahmsweise mal uncool.«

»Wir werden versuchen, über deine mangelhafte Coolness hinwegzusehen – auch wenn es uns natürlich schwerfallen wird«, gab der Vampir zurück, und auch er wirkte dabei kaum bierernst.

»Danke, das ist sehr freundlich«, antwortete Tom. »Also, zurück zum Thema. Mimi, erzähl doch bitte, was du rausgefunden hast.«

Das Geistermädchen flatterte heran und deutete aus dem verhangenen Fenster in Richtung von Zoracz’ Spiegelkabinett. »Ich hab Zoracz in seinem Campingmobil belauscht, und ihr werdet es nicht glauben, aber dem geht’s wohl echt schlecht.«

»Wie meinst du das?«, fragte Tom. »Als er hier war, hat er vielleicht ein bisschen erschöpft gewirkt, aber sonst …«

Mimi winkte ab. »Keine Ahnung, wie er das gemacht hat. Ich kann dir auf jeden Fall sagen, dass der Zoracz da drüben in dem Campingmobil nur ein Schatten seiner selbst ist. Der ist vollkommen fix und fertig, schwitzt und kann kaum ’nen Arm heben. Und nicht nur er ist am Ende, sondern auch seine Ledertrine. Und wie!«

»Was? Dada geht’s schlecht?«, fragte Tom und biss sich sofort auf die Zunge. Er wusste doch eigentlich, dass Mimi auf die bloße Erwähnung von Zoracz’ Assistentin empfindlich reagierte.

Aber zu seinem Erstaunen blieb Mimi diesmal ganz ruhig und nickte: »Ja, auch wenn sie mich sonst ab und zu mal nervt, hab ich mich echt richtig erschrocken. Erst hab ich nur gesehen, dass sie auf ihrem Bett liegt, und gehört, dass sie ganz flach atmet. Aber dann bin ich näher rangeschwebt, und fast hätt’ ich vor Schreck gequietscht! Leute, Dada sieht aus wie … wie …«

»… eine alte Dame?«, unterbrach sie da der Vampir, und Mimi schaute ihn verwundert an.

»Ja, genau! Woher weißt du das? Ganz alt ist sie geworden und schwach. Als Zoracz ihr ein Glas Wasser gegeben hat, konnte sie es nur mit zwei Händen festhalten, dabei hat sie voll gezittert und die Hälfte verschüttet.«

»Das klingt ja echt furchtbar …«, murmelte Tom. »Können wir ihr denn irgendwie helfen, Vlarad?«

»Wir wissen noch nicht genug über ihren Zustand, mein Junge«, antwortete der Vampir. »Und im Moment weiß ich gar nicht, was mich mehr erstaunt: dass Dada nun in diesem Zustand ist oder dass Zoracz irgendwem freiwillig ein Glas Wasser bringt.«

»Du hast recht, Vlarad«, antwortete Mimi. »Ich hab so was Ähnliches gedacht. Es war irgendwie … voll abgefahren, dass der blöde Zoracz plötzlich so nett war.«

»Nun, ich wage zu bezweifeln, dass unser Erzfeind nun plötzlich zum Streiter des Lichts wird, nur weil er seiner Assistentin ein Glas Wasser reicht«, sprach der Vampir und begann nun wieder, im Wagen hin und her zu schreiten. »Ihr fragt euch vielleicht, warum ich ahnte, dass Dada nun wirkt wie eine alte Dame …«

»… und da sagst du es uns auch schon!«, riefen Tom und Mimi wie aus einem Mund, sahen sich an und mussten grinsen. Vlarad überging diesen Einwurf, als hätte er niemals stattgefunden. »Wie wir seit unserem letzten Abenteuer wissen, ist Dada ein Katzenwesen ähnlicher Art wie unser Welf ein Wolfswesen ist. Einer der Unterschiede ist, dass sie nicht nur eins, sondern ganze neun untote Leben zur Verfügung hat. Darum gilt diese Spezies auch als besonders risikofreudig.«

»Das hab ich schon bemerkt …«, antwortete Tom. »Aber warum liegt sie jetzt als alte Dame da drüben in dem Camper?«

»Der Verlust eines untoten Lebens ist eine anstrengende Sache, und das merkt man ihr zur Stunde noch deutlich an«, entgegnete der Vampir. »Ich gehe davon aus, dass Dada zum Morgengrauen wieder ganz genauso aussieht wie zuvor.«

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