Читать книгу An die kurze Leine gelegt - Tomàs de Torres - Страница 9

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Angela erwachte vom Geräusch einer zuschlagenden Autotür. Sie fuhr auf.

Gedämpftes, durch den Vorhang rot gefärbtes Licht drang in das Schlafzimmer. Francis lag neben ihr auf dem Bett, nackt wie sie selbst, seine rechte Hand ruhte auf ihrem Oberschenkel. Decke hatten sie keine benutzt, es war auch so warm genug.

Angela ergriff seine Hand und schob sie von ihrem Körper. „Es kommt jemand!“ Im Geist sah sie eine Frau wie eine Furie in den Raum stürmen – seine Frau, obwohl er keinen Ring trug.

Francis wälzte sich auf den Rücken und blinzelte. „Ist nur der Bäcker.“

„Was denn, der Bäcker kommt ins Haus? So weit außerhalb einer Ortschaft?“

„Alles nur eine Frage des Preises.“

Das Auto fuhr ab. Francis breitete die Arme aus, doch Angela drückte ihm lediglich einen Kuss auf den Mund, tauchte unter seinem Griff hindurch und setzte sich auf die Bettkante.

In der Nacht hatte sie nicht viel von dem Schlafzimmer gesehen. Jetzt stellte sie fest, dass es, von den Vorhängen abgesehen, ganz in Weiß gehalten war. Ein niedriges Doppelbett, ein Nachttisch, ein bequem aussehender Sessel mit Armlehnen, die gemaserte Front eines Schranks und ein spärlich bevölkertes Bücherregal.

Ohne von Francis daran gehindert zu werden, erhob sie sich. Schlaf- und Badezimmer bildeten eine Einheit; der breite Durchgang konnte durch einen in einer Deckenschiene laufenden Paravent verschlossen werden.

Angela hastete ins Bad und setzte sich auf die Toilette. „Dreh dich bitte um“, sagte sie, als sie bemerkte, dass sein Blick ihr gefolgt war.

Francis lächelte sie an.

„Bitte!“

„Öffne deine Schenkel.“

„Was?“

„Nun komm schon, gestern abend hattest du keine Bedenken, die Beine breitzumachen. Also?“

„Das war ganz was anderes …“

Aber sie gehorchte, und während sie dies tat, fühlte sie die Lust zurückkehren. Ihre Brustwarzen richteten sich kribbelnd auf. Francis musste es sogar aus der Entfernung von vier oder fünf Metern bemerkt haben, denn sein Lächeln wurde noch breiter.

Angela senkte den Blick.

Als sie fertig war, lief sie zu der Duschkabine. „Hast du keine Badewanne?“, fragte sie. Seit einer Woche vermisste sie ein Vollbad, denn ihr Appartement verfügte ebenfalls nur über eine Dusche.

Francis setzte sich auf. „Natürlich. Im großen Badezimmer.“

Angelas Blick maß den mindestens 15 Quadratmeter messenden Raum. Neben der Toilette und der gläsernen Dusche gab es zwei in eine Konsole integrierte Waschbecken vor einem überbreiten Spiegel, ferner einen Schrank und sogar zwei Plüschhocker. Alles war in Weiß und einer Art Beige mit orangenfarbenem Einschlag gehalten.

„Ach, das hier ist das kleine Badezimmer?“

Nicht nur das Bad war großzügig proportioniert. Angela schätzte das Wohnzimmer mit angeschlossener Küche, das sich zur Terrasse öffnete, auf mindestens 15 Meter Länge. Es war spärlich, aber geschmackvoll möbliert, mit einigen Bücherregalen im Hintergrund, einer bequemen Sitzecke mit Fernseher sowie, etwas abseits, einem Glastisch mit einem Laptop, dessen Bildschirm hochgeklappt war. Und selbstverständlich ließ die Küche keinerlei Wünsche offen. Francis wollte das Frühstück herrichten, doch Angela ließ es sich nicht nehmen, ihn zu bedienen.

Sie aßen auf der Terrasse. Francis hatte am Vorabend nicht übertrieben, als er einen großartigen Ausblick versprach. Eingerahmt von wenig bewaldeten Höhenrücken glitzerte in der Ferne, weit unter ihnen, die sich bis an den Horizont ausdehnende Fläche des Meeres; und die Städte Roses und Empuriabrava wurden durch einen nahen Felsvorsprung verborgen.

„Ich habe heute noch ein paar Dinge zu erledigen“, sagte Francis. „Ich fahre dich ins Hotel, und du packst deine Sachen zusammen. Ich hole dich gegen drei ab.“

Erst nachdem Angela strahlend genickt hatte, fiel ihr auf, dass es keine Frage gewesen war, die Francis gestellt hatte – er hatte es einfach so bestimmt. Aber da war er bereits auf dem Weg zurück ins Haus.

Mehr belustigt als erbost räumte Angela den Tisch ab. Es war, als ob Francis ihren unausgesprochenen Wunsch erkannt und entsprechend gehandelt hätte.

Wahrscheinlich haben meine Augen ein bisschen zu sehr geleuchtet. Und überrascht erkannte sie: Ich bin ja wirklich glücklich! Zum ersten Mal seit langer Zeit!

Sie vermied es, daran zu denken, dass sie in sechs Tagen zurückfliegen musste.

Angela dachte, Sonja würde sich Sorgen machen, da sie ja die ganze Nacht ausgeblieben war, doch tatsächlich schien ihre Freundin das als völlig normal zu empfinden.

„Wie war es?“, war das Erste, was sie wissen wollte, und Angela war klar, dass sie damit nicht die Fahrt in dem Audi TT meinte.

„Himmlisch! Ich ziehe heute noch bei ihm ein.“ Angela holte ihren Koffer aus dem Schrank und legte ihn aufs Bett.

„Wow! Ich habe ja gestern abend nur einen kurzen Blick erhascht, aber er sieht wirklich umwerfend aus. Wie heißt er denn?“

„Francis.“

„Und weiter?“

Angela hielt mitten in der Bewegung inne.

Sonja lachte ungläubig. „Soll das heißen, du weißt nicht mal seinen Nachnamen?“

„Tja, ich …“ Angela schüttelte den Kopf und lachte. „Kannst du so was glauben? Ist mir noch nie passiert!“

„Aber du hast dir wenigstens seine Autonummer gemerkt?“

Angela schrumpfte in sich zusammen. „Eine spanische Nummer. Aber er ist ein guter Bekannter des Hotelmanagers und hat eine Riesenvilla in den Bergen.“ Sie nahm ein Kleid vom Bügel. „Er ist kein … kein Bandit, falls du das meinst.“

„Natürlich nicht. Und er hat dich auch nicht vergewaltigt.“

Angela dachte an den Pool und kicherte. „Nein, das kann man wirklich nicht behaupten. Ganz im Gegenteil.“

„Und was macht er? Wovon lebt er?“

Siedend heiß fiel Angela ein, dass sie so gut wie nichts über Francis wusste, denn beim Abendessen war sie es gewesen, die fast die ganze Zeit geredet hatte.

„Er, äh … er berät den Hotelmanager …“

„Na, es scheint dich ja schwer erwischt zu haben.“ Sonja legte den Kopf schien und sah sie mit halb ernster und halb scherzhafter Miene an. „Aber du fliegst mit zurück nach Düsseldorf?“

Angela lachte wie über einen guten Witz. „Was denkst du wohl?“

„Aber du solltest mindestens …“

Der Türsummer unterbrach Sonja. Angela öffnete, dankbar für die Ablenkung. Ein junger Mann mit dunklem Teint und einer breiten Nase starrte zunächst sie an, dann an ihr vorbei.

„Ah, Kalil!“ Sonja winkte ihm zu, und seine Miene erhellte sich. „Bin schon fertig.“

Sie zog das Kabel des Ladegeräts aus ihrem Handy, schob dieses in die Handtasche und wandte sich an Angela.

„Na, du bist ja über 18 und wirst schon wissen, was du tust. Ich bin den ganzen Tag weg, Ausflug das Meer entlang, nach Sant … Sant …“

„Sant Feliu de Guixols“, half Kalil mit einem freundlichen Nicken aus.

„Wer kann sich denn so was merken?“ Sonja nahm ihre Handtasche und einen Sonnenhut, den sie am ersten Tag in Empuriabrava gekauft hatte, und ging zur Tür. Kalil legte seinen Arm um ihre Taille und drückte sie an sich, ohne dabei Angela aus den Augen zu lassen.

„Also dann, viel Spaß! Wir sehen uns am Flughafen.“

Kopfschüttelnd sah Angela ihrer Freundin hinterher, dann fuhr sie fort, den Koffer zu packen. Als sie damit fertig war, sah sie auf die Uhr.

Mist, erst halb zehn! Was mache ich bis drei?

Sie musste nicht lange überlegen. Sie kramte in den überfüllten Schubladen von Sonjas Nachttisch, bis sie deren Epilator fand, dann setzte sie sich mit gespreizten Beinen auf die Toilette und rasierte sich sorgfältig. Erst als sie beim Darüberstreichen mit den Fingern keinerlei Stoppeln mehr spürte, war sie zufrieden.

Sie zog ihren gelben Bikini an und ging an den Hotelstrand, der um diese Zeit nur spärlich besucht war. Sie hatte sich bereits eingecremt und auf einem abseits stehenden Liegestuhl ausgestreckt, als sie sich abrupt wieder aufsetzte, nach einem kurzen Rundblick den Verschluss ihres Oberteils öffnete und dieses abnahm. Acht Tage am Strand waren nicht spurlos an ihrem Körper vorübergegangen, wenn ihre Bräune sich auch nicht mit der von Sonja vergleichen ließ. Doch Angela trug nun deutliche Bikinistreifen, und sie hatte Angst, dass Francis diese missfallen würden.

Allerdings brachte sie nicht den Mut auf, auch den Slip auszuziehen und ihren frisch rasierten Unterleib den Blicken eventueller Spaziergänger preiszugeben. Sie schob ihn lediglich zwei Zentimeter nach unten.

Um Viertel vor drei stand Angela mit dem gepackten Koffer und der Strandtasche an der Rezeption und gab ihre Schlüsselkarte zurück. Sie befürchtete eine langwierige Diskussion: „Ist das Zimmer nicht in Ordnung? Sind Sie mit dem Service nicht zufrieden?“ Doch offensichtlich kam es öfter vor, dass Pauschalgäste eher abreisten. Wahrscheinlich war es den Angestellten auch egal. Wichtig war nur, dass das Zimmer für die gebuchte Dauer bezahlt wurde.

Auf dem Parkplatz hielt sie nach dem silbernen Cabrio Ausschau, doch der Wagen war nicht da. Also rollte sie den Koffer bis zur Straße und wartete. Ein letztes Mal fragte sie sich: Will ich das wirklich? Die Antwort war die gleiche wie zuvor: Ich bin hier, um einen unvergesslichen Urlaub zu verbringen, nicht wahr? Nicht um zwei öde Wochen lang allein am Hotelstrand zu liegen.

Aber je mehr sie darüber nachdachte, desto sicherer wurde sie, dass das nicht der einzige Grund war.

Liebe ich Francis?

Bevor sie die selbstgestellte Frage beantworten konnte, hielt der Roadster vor ihr. Francis’ Lächeln beseitigte alle Zweifel. Er stieg aus, verstaute Koffer und Tasche auf dem Rücksitz und hielt Angela die Tür auf.

„Wohin?“, fragte er.

Angela ließ sich in den Beifahrersitz fallen, lachte und warf die Arme hoch.

„Zum Mond!“

An die kurze Leine gelegt

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