Читать книгу Sklavenhölle - Tomàs de Torres - Страница 13
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ERSCHÖPFT UND ABERMALS UM EINE HOFFNUNG ÄRMER, lehnte Charlie sich an den bröckelnden Putz der Hauswand, während die Schritte des Fremden verklangen. Ihre Knie zitterten und drohten unter ihr nachzugeben. Nach der Woche in der Kerkerzelle, den täglichen »Shows« und nun dieser Enttäuschung war ein weiches Bett, in dem sie ihre Glieder ausstrecken konnte, alles, wonach sie sich sehnte.
Ich werde einmal komplett um die Uhr schlafen!, versprach sie sich.
Mit Beinen, die aus Gummi zu bestehen schienen, machte sie sich auf den Rückweg zu ihrem Apartment.
Als sich die Aufzugtüren in der 14. Etage öffneten, hörte sie vom Ende des Flurs das Schrillen eines Telefons.
Ist das bei mir?
Mit einem Satz verließ sie die Kabine und rannte zur Tür ihres Apartments. Das Telefon läutete abermals.
Tatsächlich!
Sie riss die Handtasche auf und kramte nach dem Schlüssel. Die Sozialversicherungskarte geriet ihr zwischen die Finger und fiel zu Boden, dann der Führerschein. Eine angebrochene Packung Papiertaschentücher.
Verdammt, wo ist der Schlüssel?
Ein weiteres Läuten.
Panisch durchsuchte sie die Tasche.
Ist er herausgefallen, als der Fremde … in der Gasse?
Die DVD, die sie unsinnigerweise in die Tasche zurückgesteckt hatte, die Vertragskopie, und dahinter endlich etwas metallisch Hartes.
Das Klingeln drang ihr durch Mark und Bein.
»Komme ja schon! Gleich …«
Sie zerrte den Schlüssel heraus und stieß damit gegen den Türgriff. Er entglitt ihren schweißnassen Fingern. Mit einem Fluch hob sie ihn auf und steckte ihn ins Schloss. Die Tür flog auf. Charlie fiel beinahe ins Apartment. Sie riss den Hörer von der Gabel.
»Hallo?«
Die Leitung war tot.
Sie lauschte sekundenlang, dann warf sie mit einem Aufschrei namenloser Enttäuschung den Hörer zurück in seine Aufhängung. Sie stolperte rückwärts gegen die geschlossene Badezimmertür und rutschte daran hinab, bis ihr blanker Po auf dem rauen Teppich saß. Schluchzend zog sie die Beine an und legte die Arme darum, wie in der Zelle. Tränen benetzten ihre nackten Knie.
»Nur um eine oder zwei Sekunden … Das ist nicht fair!«
Ihr Kopf ruckte hoch.
Vielleicht ruft er gleich wieder an?
Charlies Blick fixierte das Telefon, als ob sie es hypnotisieren wollte.
Bitte …!
Stille.
Ruf noch mal an, verdammt! Ich muss wissen, wer du bist – wer ich bin! Ruf noch mal an! Bitte …!
Doch das Telefon blieb stumm. Wieder war eine Hoffnung zerstoben.
Schließlich kroch sie durch die offene Tür nach draußen und sammelte die aus der Tasche gefallenen Gegenstände ein. Zurück im Apartment ließ sie sich so, wie sie war, auf das Bett fallen, mit den Füßen am Kopfende. Sie hatte nicht einmal das Licht eingeschaltet, das Telefon bildete einen amorphen Schatten an der im Streulicht des nächtlichen Manhattan dunkelgrau erscheinenden Wand.
»Komm schon …!«
Doch wer immer es gewesen war, der mit ihr hatte sprechen wollen – er machte keinen zweiten Versuch.
Charlie vergrub das Gesicht ins Laken und tränkte die so lange vermisste weiche Matratze mit ihren Tränen.
Mindestens die vorangegangenen sieben Nächte hatte Charlie allein verbracht. Sie hatte jedenfalls geglaubt, allein zu sein, nicht gewahr der Tausenden von Augen, die sie zu jeder Zeit beobachteten. Vielleicht war dadurch ein verloren geglaubter Instinkt erwacht, der ihr irgendwann in dieser Nacht mitteilte, dass sie nicht mehr allein war, aber vielleicht war es auch nur ein Geräusch, das sie weckte.
Sie holte tief Luft und zwinkerte die Schlieren aus den Augen. Im ersten Moment wusste sie nicht, wo sie war, glaubte, das Stroh unter sich und die Ketten an den Handgelenken zu spüren. Dann glitten ihre Hände über das Laken, und sie erinnerte sich an das Apartment.
Sie wandte den Kopf zu dem breiten Fenster, durch das Myriaden winziger Lichter zu sehen waren, hier und da zu rechteckigen Gruppen geordnet, meist jedoch chaotisch verteilt. Gegen diesen glitzernden Hintergrund zeichnete sich eine schwarze Silhouette ab, in deren Mitte ein roter Punkt glomm. Dann glitt dieser Punkt nach oben und flammte auf. Rauch drang Charlie in die Nase.
Sie fuhr auf. Im ersten Moment glaubte sie, der Fremde, der sie in jener Gasse genommen hatte, sei in das Apartment eingedrungen, und sie wusste nicht, wie sie sich verhalten sollte.
Dann sprach die Silhouette.
»Warum hast du dich nicht gemeldet?«
Mit einem Mal wirkte alles zusammen: die tiefe, volltönende Stimme und der charakteristische Geruch der europäischen Zigarettenmarke – Gauloises nannte man sie wohl …
Etwas wie ein Blitz durchfuhr Charlies Gehirn, schmerzhaft hell, und ließ den Damm des Vergessens bersten. Eine Sintflut von Eindrücken, Bildern und Emotionen schoss an die Oberfläche ihres Bewusstseins, mit solcher Gewalt und Intensität, dass ihr Geist darunter zusammenzubrechen drohte. Doch irgendwie gelang es ihr, den Fokus auf einen einzigen Gedanken zu richten – einen Namen:
»Barker!«
Alles lag in diesem einen Wort: Ergebenheit, Dankbarkeit, Glück und vor allem Erlösung. Sie sprang aus dem Bett und ging vor Barker in die Knie, wie sie es ungezählte Male zuvor getan hatte. Dann bückte sie sich, stützte sich mit den Händen auf den Boden und presste ihre Lippen auf den vom Straßenstaub überzogenen Stiefel ihres Herrn und Meisters.