Читать книгу Der Bergpfarrer Extra 3 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 3

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»Da kommt ja unsere neue Praktikantin«, freute sich Irma Reisinger, die Herrin über die Küche im Hotel ›Zum Löwen‹. »Das ist aber ein fesches Madel.«

Sie und ihr Gatte Sepp standen am Fenster in der Küche des Hotels und beobachteten die zweiundzwanzigjährige Celine Fiedler, wie sie aus ihrem Kombi stieg und aus dem Kofferraum eine prallgefüllte Reisetasche hob.

»Sakra, Sakra«, murmelte Sepp beeindruckt, »die ist in der Tat ausgesprochen hübsch.« Für diese Schwärmerei erntete von seiner Gattin einen schrägen und zugleich strafenden Blick. »Die wird den Burschen hier im Ort ganz schön den Kopf verdrehen.« Er grinste schelmisch. »Das könnt’ sogar den Bierumsatz steigern.«

»Komm’, gehen wir hinaus und begrüßen wir das Madel«, sagte Irma, drehte sich um und ging zur Tür.

Sepp folgte ihr. Auf dem Korridor kam ihnen Susanne, ihre älteste Tochter, entgegen.

»Die Neue ist da«, sagte Irma. »Kannst gleich mit hinausgehen und sie begrüßen.«

Da betrat Celine auch schon das Hotel. »Hallo«, grüßte sie. »Mein Name ist Celine Fiedler und ich will hier eine Praktikumsstelle antreten. Sind Sie die Familie Reisinger?«

»Drei Fünftel der Familie«, erwiderte Sepp. »Meine beiden anderen Töchter sind irgendwo im Haus unterwegs. Aber die wirst du auch noch kennenlernen. Also, ich bin der Sepp.« Er wies mit einer knappen Handbewegung auf seine Gattin. »Das ist die Irma, meine Frau. Da du hauptsächlich in der Küche eingesetzt wirst, Madel, wirst du zu neunzig Prozent mit ihr zu tun haben. Und das ist Susanne, unsere älteste Tochter. Sie macht während der Saison die Rezeption und den Schreibkram.«

Irma trat vor und reichte Celine die Hand. »Grüaß di, Celine. Wir haben alles vorbereitet. Du kannst nachher gleich dein Zimmer beziehen und dich ein bissel frisch machen. Hinterher werd’ ich dir das Haus zeigen. Im Moment ist ja fast nix los. Du hast also viel Zeit, dich einzugewöhnen. Wenn ab Mai dann die Gäste kommen, wird sich das ändern. Dann geht’s an manchen Tagen hoch her!«

»Ich freu’ mich schon auf die Arbeit hier«, erklärte Celine. »Ihr Hotel hat einen erstklassigen Ruf, Ihre Küche ist weit über die Grenzen des Wachnertals hinaus bekannt. Ich denk’, ich werd’ bei Ihnen alles lernen, was ich brauch’, um bald das Restaurant von meinen Eltern übernehmen zu können.«

»Vorweg möcht’ ich gleich mal eines klarstellen, Madel«, versetzte Irma. »Wir sagen hier net Sie zueinander. Das ist ein Familienbetrieb, und es geht familiär bei uns zu. Also ich bin die Irma, das ist der Sepp und das ist die Susi. Ich hoff’, du bist damit einverstanden.«

»Natürlich. Vielen Dank. Das ist mir auch viel lieber, als das unpersönliche Sie.« Der Anflug eines Lächelns huschte über Celines gleichmäßige Züge, sie wandte sich Susi zu, hielt ihr die Hand hin und sagte: »Servus, Susi. Wir beide werden zwar net allzu viel miteinander zu tun kriegen, wenn ich in der Küche arbeit’ und du mehr administrativ tätig bist, dennoch kann ich mir vorstellen, dass wir recht gut harmonieren.«

Tatsächlich war Celine die älteste Haustochter ausgesprochen sympathisch. Das galt natürlich auch für Irma und Sepp, altersmäßig aber fühlte sie sich mehr zu Susi hingezogen. Umgekehrt war es genauso. Sowohl das Hotelierehepaar als auch ihre Tochter hatten Celine auf Anhieb in ihr Herz geschlossen.

»Das denk’ ich doch«, lächelte Susi. »Du wirst auch mit der Mama und dem Papa kein Problem haben, ebenso wenig mit der Heidi und der Gitti.«

Auf der Treppe waren Schritte zu hören und Susi drehte sich halb herum. »Da ist ja die Gitti schon«, sagte sie.

Celine schaute ebenfalls zur Treppe und sah die jüngste der Haustöchter nach unten eilen. Lächelnd kam Gitti heran und streckte Celine die Hand hin. »Grüaß di, Celine, willkommen im Hotel ›Zum Löwen‹.«

Celine schüttelte ihre Hand. »Danke. Ihr seid alle so nett.«

»Du wirst in St. Johann nur nette Leut’ treffen«, erwiderte Gitti. »Allerdings gilt auch bei uns: Wie man in den Wald hineinruft, so schallt es heraus. Du weißt sicher, was ich mein’. Aber ich denk’, deswegen brachen wir uns keine Gedanken machen. Du schaust recht umgänglich aus, und wir sind auch ziemlich unkompliziert.«

»Den Eindruck hab’ ich schon im ersten Moment gewonnen«, antwortete Celine. Sie fühlte sich tatsächlich von der ersten Sekunde an wohl und gut aufgehoben hier.

»Zeigst du der Celine das Zimmer, Susi?«, fragte Irma.

»Natürlich.« Susi holte einen Schlüssel aus der Rezeption. »Soll ich dir mit der Tasche helfen?«

»Nein, danke. Es geht schon.« Celine hob die Reisetasche auf, die sie abgestellt hatte, und folgte Susi zur Treppe.

»Vielleicht kannst in einer halben Stund’ etwa runterkommen, Celine«, rief Irma hinterher. »Dann zeig’ ich dir alles.«

»Das werd’ ich sicher schaffen. Ich war ja nur etwas über eine Stunde von Innsbruck herauf unterwegs. Da muss ich mich net groß frisch machen. Ich räum’ meine Tasche aus, und dann komm’ ich runter. Eine Frage hab’ ich noch. Ich hab’ meine Langlaufski mitgebracht. Sie liegen draußen im Auto. Kann ich sie hier im Haus irgendwo abstellen? Im Keller vielleicht.«

»Natürlich«, sagte Sepp. »Die Ski holen wir nachher herein. Jetzt geh’ erst mal auf dein Zimmer und pack’ deine Sachen aus.«

»Okay. Bis dann!« Celine folgte Susi die Treppe zum Obergeschoss empor.

Gitti verschwand in der Gaststube, Irma kehrte in die Küche zurück. Es war kurz vor elf Uhr und einige Mittagessengäste hatten sich angesagt. Der Hotelbetrieb lief auf Sparflamme, denn es war März, und im Winter bot das Wachnertal den Touristen so gut wie nichts. Es gab keine Pisten und Lifte. Dass das Wachnertal in eine Wintersporthochburg verwandelt wurde, hatte vor langer Zeit schon Pfarrer Trenker verhindert. Weitere Versuche, es dennoch dem Wintersport zu erschließen, waren erst gar nicht mehr unternommen worden. Ab und zu kamen vereinzelte Skitourengeher oder Skilangläufer in eine der drei Gemeinden, aber die taten der Natur nicht weh und waren willkommen.

Sepp kam ebenfalls in die Küche. »Was sagst zu dem Madel?«, fragte er. »Ich glaub’, es war kein Fehler, ihr die Praktikantenstelle zu geben. Die Celine scheint mir ein offenes, ehrliches Wesen zu besitzen.«

»Ja, man muss sie mögen«, erwiderte Irma. »Irgendwie aber hab’ ich mich des Eindrucks net erwehren können, dass das Madel ein bissel traurig ist.«

»Meinst du? Mir ist nix aufgefallen.«

»Du bist ja auch bei Weitem net so einfühlsam wie ich. Empathie nennt man das, Sepp. Hast du das Wort schon einmal gehört? Ein empathischer Mensch kann sich in einen anderen einfühlen. Ich bin ein solcher Mensch. Drum ist mir aufgefallen, dass das Madel irgendwas bedrückt.«

Sepp zuckte mit den Achseln. »Mag schon sein. Jeder von uns hat irgendein Packerl mit sich herumzuschleppen. Warum net auch das Madel. Aber nachdem du so einfühlsam bist, wirst du sicher auch sehr bald wissen, was der Celine zu schaffen macht. Und dann kannst du ja versuchen, ihr Mut zu machen und ihr zu helfen, die Schwermut abzuschütteln.«

»Spott’ du nur, Sepp. Empathie ist eine Gabe, über die net jeder verfügt. Das kann man auch net lernen. Man hat’s, oder man hat’s net. Ich …«, Irma legte die Hand an ihr Herz, »… hab’s. Du …«, jetzt stach ihr Zeigefinger auf Sepp zu, »… hast es net. Drum ist dir auch net aufgefallen, dass das Madel ein bissel traurig schaut.«

»Ja, ja, ist schon gut, Irma. Du hast halt ein großes Herz, Irma. Da kann ich net mithalten.«

»Aber geh’, Sepp, jetzt spiel’ doch net den Beleidigten. Das war doch net ernst gemeint. Ich weiß doch, dass du der gutmütigste und großherzigste Mensch aller Zeiten bist. Und das bissel Einfühlungsvermögen, das dir fehlt, machst du doch damit wett.«

»Jetzt nimmst mich auf den Arm, gell?«

»Das würd’ mir net im Traum einfallen«, lächelte Irma spitzbübisch und hauchte ihm einen schnellen Kuss auf die Wange. »Jetzt muss ich aber zusehen, dass ich alles vorbereit’. In einer halben Stund’ kommen der Birkmüller-Karl und seine Familie zum Essen. Der Karl feiert seinen fünfzigsten Geburtstag.«

»Dann wird er endlich so alt, wie er ausschaut«, brummte Sepp.

»Sehr einfühlsam«, lächelte Irma und schüttelte gleichzeitig den Kopf.

*

Zwei Tage waren vergangen. Irma und Celine werkelten in der Küche des Hotels. Jetzt, am frühen Nachmittag, war die Küche wieder blitzblank und Irma sagte: »So, Madel, jetzt haben wir uns ein Tasserl Kaffee verdient. Sei so gut, und deck’ für uns im Aufenthaltsraum den Tisch. Ich brüh’ derweil den Kaffee auf.«

»Ja, ein Tasserl Kaffee wär’ jetzt gut«, bemerkte Celine. »Wir können ihn aber auch aus dem Automaten …«

»Wir trinken einen anständig gefilterten Kaffee, Madel. Der Kaffee aus dem Automaten ist zwar auch net schlecht, aber wenn ich die Zeit hab’, dann brüh’ ich den Kaffee selber auf. Gegen den selbst gebrühten kommt der Automatenkaffee net an.«

»Das stimmt. Ich hab’ nur gedacht, dass du dir die Arbeit sparen könntest.«

»Das ist doch keine Arbeit, Madel.«

Celine lächelte. »Dann deck’ ich mal.« Sie sagte es und verließ die Küche. Gleich darauf konnte Irma das Klappern von Porzellan vernehmen.

Als sie wenig später mit der Kanne voll Kaffee in den Aufenthaltsraum kam, stand Celine am Fenster und schaute gedankenverloren hinaus in den leeren Biergarten, in dem während der Saison unter den alten Kastanienbäumen Tische und Stühle für Touristen und einheimische Gäste standen.

Irma stellte die Kanne auf den Tisch. Celine hatte sich zu ihr herumgedreht. Sie schien gedanklich aus weiter Ferne zurückzukehren. Langsam kam sie zum Tisch.

Irma schenkte schon die Tassen voll. »Setz dich, Madel. Jetzt machen wir es uns bequem.« Als sie saßen, forschte sie eine ganze Weile in Celines hübschem Gesicht. »Was ist denn los mit dir, Celine?«, fragte sie dann.

»Ich weiß net, was du meinst«, versetzte Celine, ohne Irma anzusehen.

»Erzähl’ mir nix«, sagte die erfahrene Frau. »Dich bedrückt was. Du bist manchmal mit deinen Gedanken ganz woanders.«

Celine ließ den Kopf hängen. Eine Weile schien sie sich nicht entschließen zu können, Irma zu erzählen, was ihr auf der Seele lag. Schließlich aber seufzte sie und murmelte: »Ich bin so gut wie verlobt. Er heißt Florian Weißgerber und ist siebenundzwanzig Jahr’ alt.«

»Das belastet dich?«, fragte Irma ziemlich ratlos.

»Ja. Wir sind seit zwei Jahren zusammen. Aber im Lauf der Zeit hab’ ich feststellen müssen, dass ich den Flori zwar sehr gern mag und er mir ausgesprochen sympathisch ist, dass ich ihn aber net so lieb hab’, wie’s notwendig wär, um mit ihm auf Dauer glücklich zu werden.«

»Puh«, machte Irma, »das ist natürlich ein Problem. Auf der einen Seite, Madel. Auf der anderen ist’s aber auch keins. Schenk’ dem Burschen einfach reinen Wein ein, trenn’ dich von ihm und such dir den Richtigen.«

»Das ist net so einfach«, seufzte Celine. »Der Flori ist gelernter Restaurantfachmann und meinen Eltern gerade recht gekommen. Er ist gewissermaßen ihr Wunschkandidat als Schwiegersohn. Wenn ich denen sag’, dass ich mich vom Flori trenn’, fallen die aus allen Wolken.«

»Aber es geht doch um dein Glück, Madel, und net um das, was deine Eltern wollen.«

»Ich weiß, und ich denk’ mir, notgedrungen würden sie’s auch respektieren. Dennoch wären s’ sicherlich enttäuscht, und darum sträubt sich alles in mir, ihnen die Wahrheit zu gestehen.«

»Du musst in Herzensangelegenheiten in erster Linie auf dich selber schauen, Madel«, erklärte Irma. »Denn es ist dein Leben! Deine Eltern wollen doch gewiss net, dass du unglücklich wirst, oder dass deine Ehe früher oder später in die Brüche geht. Du musst Nägel mit Köpfen machen. Und wenn du irgendwann in nächster Zeit an einem deiner freien Tage heimfährst, dann musst du mit ihnen und auch mit dem Flori Tacheles reden.«

»Mir tut der Flori ja auch leid«, sagte Celine mit dünner Stimme. »Er liebt mich wirklich und würd’ mir glatt die Sterne vom Himmel holen. Leider ist dieser Funke auf mich net übergesprungen.«

»Liebe kann man net erzwingen«, philosophierte Irma. »Mach’ dich frei, Madel, dann kannst du der Zukunft ohne Scheu entgegensehen. Irgendwann kommt der Richtige, und wenn deine Eltern merken, dass du mit ihm glücklich bist, wird er ihnen auch willkommen sein.«

»Ich werd’ wohl irgendwann reinen Tisch machen müssen«, murmelte Celine. »Alles andere wär’ net fair.«

»Das seh’ ich auch so«, pflichtete Irma bei.

Sie tranken ihren Kaffee und sprachen über Belangloses.

Spät am Abend, als Irma und Sepp wieder in ihrer Wohnung waren, erzählte Irma ihm von Celines Problemen. »Ich hab’ der Celine geraten, die Beziehung mit dem Florian Weißgerber zu beenden. So etwas kann man ja im Guten erledigen. Ihre Eltern werden schließlich auch einsehen, dass sie an der Seite eine Mannes, den sie net liebt, auf die Dauer zugrunde gehen würd’.«

»Tja«, machte Sepp, »das mit der Liebe ist halt so eine Sach’. Da kann man nix übers Knie brechen. Du hast dem Madel gut geraten, Irma. Im Übrigen aber ist’s net unsere Angelegenheit, und drum ist’s besser, wenn wir uns raushalten. Wir haben uns net ins Privatleben unserer Angestellten einzumischen.«

»Du hast ja recht, Sepp. Aber ich mag das Madel, und in einem Rat seh’ ich keine Einmischung in ihr Privatleben.«

»Du weißt schon, wie ich’s gemeint hab’«, erwiderte Sepp. »Gegen einen Ratschlag ist sicher nix einzuwenden.«

*

Endlich fand Sebastian die Zeit, mit dem Bundscherer-Xaver zu reden. Max hatte ihm berichtet, dass der Xaver ziemlich wütend auf ihn wäre, weil er gegen den Bau einer Biogasanlage plädiert und sogar Bürgermeister Bruckner auf seine Seite gezogen hatte. Nun drohte die Biogas-Firma, das Vorhaben aufzugeben. Damit wäre der Verkauf des Bundschererhofs an die Gesellschaft gescheitert und Xavers Pläne, sich und seine Frau Maria ins Betreute Wohnen einzukaufen, auch.

Sebastian verabschiedete sich von seiner Haushälterin: »Ich hab’ mir den Nachmittag freigehalten, um mit dem Bundscherer-Xaver zu reden. Sollt’ jemand anrufen, bitten S’ ihn, es noch einmal später zu versuchen. Sollt’s was Wichtiges sein, geben S’ dem Anrufer meine Handynummer.«

Sophie versprach es und wünschte dem Pfarrer eine glückliche Hand im Umgang mit dem verbitterten Xaver.

Sebastian zog sich warm an und nahm die Handschuhe, dann verließ er das Haus. Er hatte sich entschlossen, den Weg zum Bundschererhof zu Fuß zurückzulegen. Er, der passionierte Wanderer und Bergsteiger, nahm jede Gelegenheit wahr, das Auto in der Garage stehen zu lassen.

Um zum Bundschererhof zu gelangen, musste er den Ort durchqueren. Auf den Gehsteigen waren fast keine Menschen zu sehen. Er staunte nicht schlecht, als ihm zwei unbekannte Männer entgegenkamen, die Ski mit sich trugen. Mit dem zweiten Blick stellte der Bergpfarrer fest, dass es sich um Langlaufski handelte. »Grüß Gott«, grüßte Sebastian, als er näher kam. »Skifahrer sehen wir kaum bei uns in St. Johann«, fügte er hinzu. »Darum überrascht es mich, heut’ gleich zweien zu begegnen.«

Es waren junge Männer, etwa Mitte zwanzig. Sie hatten angehalten und erwiderten Sebastians Gruß. »Wir sind heute Vormittag angekommen«, sagte einer der beiden, unter dessen Strickmütze blonde Haare hervorlugten. »Eben weil das Wachnertal kein Wintersportgebiet ist, haben wir es ausgewählt.«

Sebastian reichte ihm die Hand. »Pfarrer Trenker«, stellte er sich vor.

»Trenker«, murmelte der Blonde. »Wir wohnen in der Pension ›Edelweiß‹. Der Inhaber heißt auch Trenker.«

»Das ist mein Cousin Andreas«, erklärte Sebastian und gab auch dem anderen Burschen die Hand.

Der sagte: »Mein Name ist Julian Drexler. Das ist Dominik Schrödl. Wir kommen aus Heilbronn. Es ist so, wie es der Dominik eben schon gesagt hat, Herr Pfarrer. Wir wollen auf den Skiern frei die Gegend erkunden und net kilometerweit eine vorgegebene Loipe befahren. Außerdem mögen wir den Trubel nicht, der in den Skigebieten gang und gäbe ist.«

»Wie gefällt es Ihnen denn bei uns?«, fragte Sebastian lächelnd. Die beiden Burschen waren ihm sympathisch. »Und wie lang’ wollen S’ denn bleiben?«

»Wir haben zwei Wochen gebucht«, antwortete Dominik Schrödl, der Bursche mit den blonden Haaren. »Wie schon gesagt«, fügte er hinzu, »sind wir erst kurz hier. Der erste Augenschein verspricht jedoch eine wunderbare Landschaft. Ich kann mir vorstellen, dass es hier im Sommer ganz besonders schön ist.«

»Das kann ich nur bestätigen«, nickte Sebastian. »Wenn S’ mal keine Lust zum Langlaufen haben, dann schauen S’ sich unsere Kirche an. Sie ist auf jeden Fall sehenswert. Vielleicht will’s der Zufall, dass wir uns noch einmal treffen. Würd’ mich freuen. Jetzt muss ich aber weiter. Ich wünsch’ Ihnen einen schönen Aufenthalt in St. Johann und einen guten Schnee zum Langlaufen. Geben S’ nur acht auf den Steilhängen. Da können S’ leicht eine Lawine auslösen und mit in die Tiefe gerissen werden.«

»Darauf hat uns auch Ihr Cousin hingewiesen«, erwiderte Dominik. »Wir passen schon auf.«

»Na denn«, sagte Sebastian schmunzelnd, »dann bleibt es mir nur, Ihnen Hals- und Beinbruch zu wünschen.«

»Auf Wiedersehen«, kam es wie aus einem Mund von den beiden, dann setzten sie ihren Weg fort.

Sebastian musste fast drei Kilometer marschieren, dann erreichte er den Bundschererhof. Die Haustür war verschlossen und so klingelte er. Gleich darauf hörte er, wie sich der Schlüssel im Schloss drehte, die Tür wurde aufgezogen und vor ihm stand der alte, hagere Xaver.

Überrascht sah er Sebastian an. »Sie, Herr Pfarrer? Was führt Sie denn zu uns?«

»Ich will mit dir reden, Xaver. Mir ist nämlich zu Ohren gekommen, dass du auf mich zornig bist, weil ich gegen den Bau der Biogasanlage bin.«

»Na ja, irgendwie schon, Herr Pfarrer«, erwiderte Xaver leicht überrumpelt. »Sie wissen ja, warum ich den Hof verkaufen möcht’. Wenn’s nix draus wird, können die Maria und ich net ins Senioren-Domizil. Ich hab’ doch nur den einen Interessenten. Und wenn Sie mir den vergraulen …« Der alte Landwirt brach ab.

»Wir sollten darüber net zwischen Tür und Angel reden, Xaver«, sagte er sanft. »Gehen wir hinein. Ich will dir erklären, warum ich die Biogasanlage hier im Wachnertal verhindern möcht’. Und vielleicht finden wir ja eine Alternative für dich.«

»Na ja, treten S’ näher, Herr Pfarrer.« Xaver ließ Sebastian an sich vorbei. »Geradeaus«, dirigierte er, »die letzte Tür links.«

Sebastian machte sich auf den Weg. Ob es ihm möglich war, den Xaver zu besänftigen, und auch bei seinem Problem zu helfen, stand momentan noch in den Sternen. Er hatte sich aber vorgenommen, nichts unversucht zu lassen.

*

Sebastian ging voraus, Xaver Bundscherer folgte ihm mit schlurfenden Schritten. Nach kurzem Klopfen trat er in das Wohnzimmer.

Auf der Couch saß Maria Bundscherer, und schaute ihn erstaunt an, der Fernseher lief.

»Habe die Ehre, Maria«, grüßte Sebastian, trat vor die Bäuerin hin und reichte ihr die Hand. »Wie geht’s denn allweil so?«

Maria ergriff die dargebotene Hand und erwiderte: »Net so gut, Hochwürden. Das Kreuz, die Hüften … Schauen S’ sich nur um. Alles verkommt, weil ich nimmer kann. Um mich fortzubewegen brauch’ ich einen Stecken oder das Gehwagerl.«

»Setzen S’ sich doch, Herr Pfarrer«, sagte Xaver. Und als sich Sebastian in einen der alten Sessel gesetzt hatte, fügte er hinzu: »Mir geht’s net viel besser. In der Früh’ komm’ ich kaum aus dem Bett raus, weil mich alles schmerzt. Ich brauch’ zwar keinen Rollator, aber schwere Arbeiten kann ich auch kaum noch verrichten.«

»Hast du schon mal dran gedacht, eine Haushaltshilfe zu beschäftigen?«, fragte Sebastian.

Xaver zuckte die Achseln. »Was nützt’s uns, wenn der Haushalt gerichtet wird? Im Stall stehen vierzig Kühe, die müssen versorgt werden. Wer bestellt meine Felder und Äcker, wer geht in den Wald, und wer mäht die Wiesen? Wenn wir den Hof net bewirtschaften haben wir kein Einkommen, außer der kleinen Rente. Und die ist zu wenig zum Leben und zu viel zum Sterben. Wenn der Pöllinger abspringt, werden die Maria und ich hier draußen vor die Hunde gehen.«

»Und daran gibst du mir die Schuld, Xaver, gell?«

Der Bauer knetete seine verarbeiteten Hände, suchte nach Worten und antwortete schließlich: »Na ja, Herr Pfarrer, Sie sind doch wegen der Biogasanlage auf die Barrikaden gegangen und haben auch den Gemeinderat auf ihre Seite gezogen. Und jetzt hat der Pöllinger gedroht, dass er die Finger von dem Geschäft lassen will. Für die Maria und mich wär’ das eine Katastrophe. Wie ich schon gesagt hab’ …«

»Verkauf’ deinen Hof dem Gregg Powell und verpacht’ dein Land an die Bauern hier«, sagte Sebastian. »Mit dem Geld, das dir der Powell zahlt, kannst du dich ins Senioren-Heim einkaufen.«

Xaver schüttelte eigensinnig den Kopf. »Ich will alles los sein, Herr Pfarrer. Es gibt keine Erben. Wenn wir alles verkaufen, können wir uns mit dem Geld noch ein paar schöne Jahre machen. Die Maria könnt’ in eine Klinik gehen und ihre Hüften richten lassen …«

»Ist sie denn net versichert?«, fragte Sebastian entsetzt.

»Nein. Ich hätt’ die Maria damals privat versichern müssen. So viel Geld haben wir net gehabt.«

»Da hast du am falschen Fleck gespart, Xaver«, sagte der Pfarrer. »Aber das kannst du net mir anlasten. Deine Landwirtschaft hat doch genug abgeworfen, um die Maria freiwillig zu versichern.«

»Ich weiß, ich kenn’ mein Versäumnis. Das wär’ ja alles kein Problem, wenn mir die Biogasgesellschaft den Hof abkaufen würd’. Die Maria und ich hätten bis an unser Lebensende ausgesorgt. Sie, Herr Pfarrer, machen mir das kaputt. Und darum bin ich schon ein bissel sauer auf Sie.«

»Das ist aber net fair, Xaver. Net nur mir gegenüber ist’s unfair, sondern auch den Menschen gegenüber, die hier leben. Ich werd’ dir sagen, warum ich gegen diese Biogasanlage bin. Man würd’ für den Betrieb der Anlage im Wachnertal halt nimmer so viel Getreide und Gemüse anbauen, sondern fast nur noch Mais …«

»Und was wär so schlimm daran?«, unterbrach Xaver.

»Das wär’ eine Form von Artenrückgang. Dadurch, dass es auf Maisfeldern kaum oder keine Kleinlebewesen und kleinere Pflanzen gibt, verschwinden die letzten Tiere und sogar die Vögel bleiben aus, weil sie zu wenig Nahrung finden. Maisfelder sind ökologische Ödnis, Brachland. Und wenn die Bauern durch die Anlage gute Verdienstmöglichkeiten wittern, werden sie bald nur noch Mais anbauen. Die Natur nähm’ großen Schaden, Xaver. Von anderen Risiken ganz zu schweigen.«

»Aber ich muss doch an mich und die Maria denken, Herr Pfarrer.«

»Durch den Maisanbau steigen die Nitratwerte im Grundwasser. Und sollt es zu einem Unfall kommen, was ja net der erste wär’, würden die Giftstoffe unsere Bäche und damit auch den Achsteinsee verseuchen. Dann wär’ auch unsere Trinkwasserversorgung nimmer gesichert.«

Jetzt war Xaver nachdenklich geworden.

»Es gäb’ noch einiges mehr, was gegen die Biogasanlage spricht, Xaver. Aber jetzt kannst du sehen, welche Konsequenzen es für das Wachnertal hätt’, wenn auf deinem Land eine Biogasanlage entsteht. Du hast dein Leben lang deine Nachbarn und all die anderen Leut’, mit denen du gut bekannt warst und die hier noch viele Jahre leben müssen, geachtet und respektiert. Plötzlich würdest du sie Gefahren aussetzen, die in ihrer Tragweite gar net abschätzbar sind. Das Wachnertal – du hast es dein Leben lang geliebt -, würd’ net mehr so sein, wie’s mal war.«

Lange Zeit schwiegen sowohl Xaver als auch Maria.

Plötzlich aber sagte sie: »Wenn ich das alles hör’, Xaver, dann mein’ ich, dass wir sehr egoistisch gedacht haben. Ich glaub’, dass wir das, was die Anlage dem Tal brächt’, tatsächlich net verantworten könnten.«

»Aber es geht doch auch um uns«, stieß Xaver mit weinerlicher Stimme hervor. »Wir schaffen die harte Arbeit net mehr. Und es gibt nur den einen Interessenten. Die sind sogar bereit, den von mir geforderten Preis zu zahlen.« Er griff sich an die Stirn. »Es ist zum Verzweifeln. Ich will doch net schuld sein, wenn das Tal Schaden nimmt. Aber ich kann doch auch net in Kauf nehmen, dass wir beide, du und ich, Maria, hier draußen bis an unser Ende dahinsiechen.«

»Ich versteh’ dich sehr gut, Xaver«, gab Sebastian zu. »Und ich versprech’ dir, dass ich nach einer Lösung such’. Ich will nur net, dass du auf mich wütend bist, weil du meinst, ich mach’ die Biogasanlage aus Spaß an der Freud’ madig. Es gibt schwerwiegende Gründe für mein Veto. Und das wirst du ja wohl net abstreiten.«

»So weit hab’ ich nie gedacht«, gestand Xaver. »Ich hab’ immer geglaubt, eine Biogasanlage wär’ was Gutes. Bio ist doch immer gut, heißt es doch immer. Aber ich weiß jetzt, worum’s Ihnen geht.«

»Ich weiß net, wie’s weitergeht«, gab Sebastian zu verstehen. »Ich vermut’ aber, dass die Biogasgesellschaft abspringt. Wir werden eine Lösung für dein Problem finden, Xaver. Das versprech’ ich dir. Und wenn ihr ins Altersheim oder ins Betreute Wohnen geht, dann will ich, dass du deinen Frieden mit mir wieder gefunden hast.« Sebastian erhob sich.

»Es wär’ ungerecht, dem Herrn Pfarrer die Schuld an unserer Lage zu geben«, sagte Maria. »Und ich denk’ auch, dass sich für uns was anderes ergibt, wenn der Pöllinger uns absagt.«

»Tapfere Worte, Maria«, lobte Sebastian. »Steck ihn ruhig an, mit deiner positiven Einstellung.«

Jetzt stemmte sich auch Xaver ächzend aus seinem Sessel hoch und hielt ihm die Hand hin. »Ich hab’ halt nach einem Sündenbock gesucht, Herr Pfarrer, und hab’ Sie ausgewählt. Das tut mir leid, jetzt, wo S’ mir erklärt haben, was Ihnen wichtig ist.«

»Dann hab’ ich erreicht, was ich erreichen wollt’, als ich mich auf den Weg zu euch gemacht hab’. Ihr werdet eure alten Tage net hier draußen verbringen müssen, Xaver. Das versichere ich dir. Wir finden eine Lösung.«

»Ihr Wort in Gottes Ohr, Herr Pfarrer.«

Sebastian verabschiedete sich und trat den Heimweg an.

*

Celine war seit vier Tagen in St. Johann. Sie hatte sich gut eingewöhnt, die Arbeit machte ihr Spaß, und die Menschen waren ausgesprochen angenehm und freundlich. Sie fand praktisch keine Zeit lange über ihre Probleme zu grübeln.

Es war der Abend des vierten Tages, als Irma Reisinger fragte: »Na, Celine, wie fühlst du dich bei uns? Kommst du einigermaßen zurecht?«

»Ich fühl’ mich hervorragend«, antwortete Celine. »Es gibt hier nix, was ich als negativ empfinden würd’. Ihr seid alle so nett, der Ort ist bezaubernd, und die Berge rings um das Tal sind noch so ursprünglich, geradezu unberührt, meint man. Es ist anders, als bei uns in Innsbruck. Dort ist fast jeder Hügel für den Wintersport erschlossen, und die Stadt ist fremdenverkehrsmäßig total überlaufen.«

»Es freut mich, wenn’s dir bei uns gefällt«, sagte Irma lächelnd. »Morgen hast du deinen ersten freien Tag. Fährst du heim?«

»Nein. Ich werd’ auf meinen Skiern ein bissel die Gegend erkunden. Das Skilanglaufen ist meine große Leidenschaft. In der Natur kann ich mich total entspannen. Ich freu’ mich schon drauf.«

»Dir ist aber schon klar, dass es hier keine Loipen gibt, Madel«, sagte Irma. »Im Tiefschnee sich selbst einen Weg bahnen zu müssen, ist ziemlich anstrengend.«

»Ich bleib im Tal«, lachte Celine, »ich will ja Langlaufen und net Skitouren gehen.«

»Dann bin ich schon beruhigt«, erklärte Irma. »In den Bergen rund ums Tal ist’s auch net ungefährlich. Der alte Schnee ist gefroren, und der Neuschnee liegt nur lose drauf. Die Gefahr von Lawinen besteht immer. Aber ich glaub’, ich brauch’ dir darüber nix erzählen, Madel. Du bist ja selber ein Kind der Berge.«

»Das bin ich, mit Herz und Seele, Irma.«

»Na, dann wünsch’ ich dir viel Vergnügen, morgen, beim Langlaufen. Nimm’ dir nur eine Brotzeit und was zu trinken mit, denn der Sport ist anstrengend und du wirst froh sein, wenn du was dabei hast, wenn dein Magen rebelliert.«

»Ich werd’ dran denken«, versprach Celine.

»Wie soll’s jetzt mit deinem Fastverlobten weitergehen?«, fragte Irma. Als sie bemerkte, dass sich Celines Miene überschattete, fügte sie sofort hinzu: »Du musst mir darauf net antworten, Madel, wenn du net drüber reden möchtest. Es war dumm von mir …«

»Mach’ dir keine Gedanken, Irma. Ich hab’ drüber nachgedacht und bin zu dem Schluss gekommen, dass ich ihn net länger hinhalt’. Sobald ich heimkomm’, red’ ich mit ihm und auch mit meinen Eltern. Ich hoff’ nur, dass ich keinen allzu großen Ärger provozier’.«

Irma Reisinger nickte beipflichtend.

An diesem Abend lag Celine lange wach in ihrem Bett. Irmas Frage hatte ihr Innerstes wieder aufgewühlt. Ihre Entscheidung stand fest, doch da waren auch Zweifel. Am Ende ihrer Überlegungen aber stand immer die Erkenntnis, dass sie Florian nicht liebte. Sie könnte ihm eine gute Freundin sein, aber keine Lebensgefährtin. Was sie für ihn empfand, reichte dafür nicht.

Am folgenden Morgen fühlte sie sich unausgeschlafen. Sie duschte ausgiebig, putzte sich die Zähne, zog sich an und richtete ihre Haare. Beim Frühstück ließ sie sich Zeit. Dann kochte sie Tee, den sie in eine Thermoskanne füllte, und richtete sich einige Wurst- und Käsebrote und verstaute alles in ihrem roten Rucksack.

In der Zwischenzeit war es hell geworden. Celine schaute sich auf ihrem Mobiltelefon den Wetterbericht an und nahm zufrieden zur Kenntnis, dass ein sonniger, wenn auch kalter Wintertag zu erwarten war. Sie zog ihre Langlaufmontur an, dann verließ sie ihr Zimmer und stieg die Treppe hinunter.

Im Flur begegnete ihr Gitti. »Ah, guten Morgen, Celine«, grüßte die jüngste der Haustöchter freundlich. »Ausgeschlafen?«

»Nein.«

»Was! Hast etwa net schlafen können?«

»Ich bin immer wieder wach geworden.« Celine lachte leise. »Aber die Kälte draußen wird den letzten Rest von Müdigkeit vertreiben.«

»Gib auf dich acht«, riet Gitti. »Und viel Spaß.«

»Danke.«

Celine holte ihre Ski aus dem Keller, verließ das Hotel, legte sich die ›Bretter‹ auf die Schulter und marschierte zum westlichen Ortsrand, hinter den bewaldeten Hügeln erhoben sich einige Zweitausender weit in den blauen Himmel. Die Kälte prickelte auf der Gesichtshaut der jungen Frau. Aber sie fühlte sich frei wie ein Vogel.

Auch der Ort begeisterte sie. Ihr gefielen die im alpenländischen Stil erbauten Häuser zu beiden Seiten der Straße. Sie betrachtete die riesigen Balkone mit den kunstvoll gearbeiteten Brüstungen, die weit vorspringenden Dächer und die bemalten Fensterläden. Die Fassade des einen oder anderen Gebäudes war mit einer Lüftlmalerei versehen.

Celine stellte sich vor, wie es hier aussah, wenn im Sommer an den Balkonen und auf den Fensterbänken in farbiger Vielfalt Geranien, Petunien und Weihrauch blühten. ›Die leben hier im Paradies‹, dachte sie. ›Net nur die Schönheit des Orts und seiner Umgebung macht das aus, sondern die Ruhe, die über allem liegt. Worte wie Stress und Hektik kennt man hier wahrscheinlich gar net.‹

Sie dachte nicht an zu Hause; weder an ihre Eltern, noch an Florian Weißgerber. Innsbruck war in weite Ferne gerückt.

Am Ortsrand schnallte sie sich die Ski an die Füße, dann fuhr sie los. So weit das Auge reichte, lagen Äcker, Felder und Wiesen unter einer unberührten, weißen Schneedecke. Nachdem vor kurzer Zeit einige Tage Tauwetter eingesetzt hatte und dann die Temperaturen wieder unter den Gefrierpunkt gesunken waren, war die untere Schneedecke gefroren. Auf dem Harsch, der verhinderte, dass Celine mit den Skiern einsank, lag nun eine zehn Zentimeter hohe Schicht Neuschnee.

So fand Celine fand die allerbesten Voraussetzungen für ihren Sport vor. Sie kam schnell vorwärts. Die Berge im Westen rückten näher. Celine stutzte, als sie vor sich im Schnee etwas ausmachte, das wie eine Spur aussah, die ein anderer Langläufer gezogen hatte. Sie verlief quer zu der Richtung, in die sie sich bewegte.

Tatsächlich war es eine Spur, die von Skiern stammte. Zu beiden Seiten waren die Abdrücke von Skistöcken im Schnee zu erkennen. Sie verrieten Celine, dass hier zwei Langläufer hintereinander gefahren waren, der hintere also in der Spur des vorderen.

Celine bog ab und folgte der Spur. Sie wusste selbst nicht zu sagen, warum sie das machte. Vielleicht war es die Neugier, zu erfahren, wer außer ihr noch hier draußen unterwegs war. Vielleicht suchte sie, ohne von einem bewussten Willen geleitet zu werden, Gesellschaft bei ihrem Sport.

Der Gelände stieg leicht an, es kostete Celine aber keine Mühe, ihren Vorgängern in der Spur nachzufolgen. Nun erreichte sie den Kamm des Hügels und blieb stehen. Vor ihren Skispitzen fiel das Gelände ab; im Gegensatz zu dem leichten Anstieg, den Celine hinter sich hatte, sogar ziemlich steil. Der Hang lief in einer weitläufigen Ebene aus, die bis zu den Bergen reichte. Mitten auf dieser Fläche bewegten sich die beiden Skifahrer, deren Spur Celine gefolgt war.

Sie waren zu weit entfernt, als dass Celine Einzelheiten erkennen hätte können. Sie konnte nicht einmal feststellen, ob es Männer oder Frauen waren. Sollte sie ihnen folgen? Ja oder nein. Sie entschied sich für ja und fegte in Schussfahrt den Abhang hinunter. In der Ebene angekommen begann sie zu spurten.

*

Es handelte sich um Julian Drexler und Dominik Schrödl, die Celine von der Kuppe des Hügels aus gesehen hatte. Sie liefen auf ihren Skiern durch den frischen Schnee auf einen Waldrand zu. Das Duo war seit dem Morgen unterwegs und hatte eine Reihe von Kilometern hinter sich gebracht. Obwohl es kalt war schwitzten die Burschen in den gefütterten Anzügen.

Jetzt ging es auf Mittag zu und sie beschlossen, am Waldrand eine Pause einzulegen. Sie hatten Hunger und waren durstig, außerdem wollten sie eine halbe Stunde ausruhen. Obwohl sie ziemlich sportlich waren, hatte ihnen der Vormittag auf den Skiern einiges abverlangt.

Beim Waldrand angelangt schnallten sie die Skier ab, rammten die Stöcke in den Schnee, schwangen die Rücksäcke vom Rücken und gingen damit zu einem Felsen, der kniehoch aus dem Schnee ragte und beiden Platz zum Sitzen bot. Zunächst einmal mussten sie ihn jedoch vom Schnee befreien.

Julian und Dominik hatten sich ihrer Handschuhe entledigt und öffneten nun ihre Rücksäcke, nahmen jeweils einen Packen Brote sowie die Thermoskanne mit Tee heraus und machten sich daran, die Brote auszupacken. Plötzlich stieß Julian hervor: »Träume ich, oder kommt da tatsächlich ein Skifahrer auf unserer Spur?«

Dominik schaute in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und sah ebenfalls den Langläufer, der auf seinen Skiern elegant über die Ebene heran glitt. »Sieht aus, als wär’s ein Kind, vielleicht ein Halbwüchsiger«, murmelte er.

Schließlich kam der Langläufer näher. »Das ist eine junge Frau«, stieß er hervor.

»In der Tat«, bestätigte Julian die Beobachtung seines Freundes. »Und eine hübsche noch dazu.«

Als Celine heran war, standen die beiden Burschen auf und gingen ein paar Schritte auf sie zu. Jeder hielt einen dampfenden Becher mit Tee in der einen Hand, ein belegtes Brot in der anderen.

»Grüaß Euch!«, grüßte Celine und öffnete die Bindungen der Skier.

»Grüß Gott«, antworteten Julian und Dominik. Und Julian fügte hinzu: »Wer hätte das gedacht …«

Celine hatte sich der Skier und Stöcke entledigt, kam auf sie zu und nahm dabei ihren Rucksack ab. »Was? Dass noch ein Dritter in diesem Gebiet auf Skiern unterwegs ist?«

»Genau das hab’ ich gemeint«, grinste Julian, während Dominik die junge Frau schweigend musterte. »Ist das nicht leichtsinnig, solche Touren alleine zu machen? Wo kommen Sie denn her?«

Der Bergpfarrer Extra 3 – Heimatroman

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