Читать книгу Der Bergpfarrer Extra 4 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 3
ОглавлениеEs wurde schon düster, als Julian Drexler und Luisa Malbeck von ihrer Ski-Tour in die Pension ›Edelweiß‹ zurückkehrten.
Marion Trenker, die die beiden hatte kommen sehen, erwartete sie im Flur vor der Rezeption. Sie konnte nicht mehr allzu viel Sympathie für Julian aufbringen, nachdem dieser aus Missgunst und Neid versucht hatte, zwischen Dominik und Celine einen Keil zu treiben. Julian hatte zwar, als ihn Dominik zur Rede stellte, bestritten, Luisa aufgehetzt zu haben. Doch das nahm ihm niemand ab.
Dominik hatte es auf den einzig richtigen Nenner gebracht: Julian hatte Luisa, die von dem Gedanken besessen war, Dominik zu lieben und ihn für sich gewinnen zu müssen, soweit gebracht, dass sie nach St. Johann gekommen war und für handfesten Wirbel gesorgt hatte.
»Guten Abend«, begrüßte Marion ihre Gäste ziemlich unterkühlt. Nachdem sie den Gruß erwidert hatten, wandte sich Marion an Luisa und sagte: »Unser Pfarrer war heut’ Nachmittag hier. Er wollte mit Ihnen sprechen, Frau Malbeck.«
Luisa und Julian wechselten einen schnellen, ahnungsvollen Blick, dann fragte Luisa: »Was will der Pfarrer von mir? Ich hab’ mit der Kirche nichts am Hut.« Plötzlich schien sie sich zu erinnern, dass sie den Pfarrer schon einmal gesehen hatte. »Kann es sein, dass er gestern Abend im Hotel anwesend war, als ich Dominik zur Rede stellen wollte?«
»Ja, das dürfte er gewesen sein. Sein Name ist ebenfalls Trenker. Mein Mann und er sind Cousins.«
»Wahrscheinlich haben ihn Dominik und Celine gemeinsam mit der Hoteliergattin auf dich angesetzt«, knurrte Julian. »In diesem Kuhdorf stecken sie doch alle unter einer Decke.« Er warf Marion einen bösen Blick zu. »Es sähe Dominik ähnlich.«
Marion fühlte sich herausgefordert. »Sie haben scheinbar einen völlig falschen Eindruck von diesem ... Kuhdorf ... gewonnen, Herr Drexler. Die Leut’ hier sind geradlinig und ehrlich und sprechen aus, was sie denken. Hier versucht jedenfalls keiner, einem anderen Schaden zuzufügen.«
Julian begriff die Anspielung und verzog geringschätzig den Mund. »Ich bin jedenfalls froh, wenn ich diesem Nest wieder den Rücken kehren kann«, stieß er hervor.
›Nur zu! Niemand hält dich auf‹, fuhr es Marion durch den Kopf. Sie sprach es aber nicht aus, sondern wandte sich erneut an Luisa. »Der Pfarrer hat mich gebeten, ihn zu informieren, wenn Sie zurück sind.«
»Sie können ihn von mir aus anrufen«, versetzte Luisa und fügte schnippisch hinzu: »Sagen Sie ihm aber gleich, dass ich für ihn nicht zu sprechen bin. Ich brauche keinen Anstandswauwau.«
Marion war ziemlich betroffen. »Als Anstandswauwau aufzutreten hat unser Pfarrer sicherlich net im Sinn, Frau Malbeck«, entrang es sich ihr. »Er …«
Luisa winkte ungeduldig ab. »Geschenkt, Frau Trenker. Ich will nicht mit ihm sprechen, und das können Sie ihm bestellen. Wie kommt er überhaupt dazu, sich in meine Privatsphäre einmischen zu wollen? Wo käme ich denn hin, wenn jeder zu meinen Angelegenheiten seinen Senf dazugeben dürfte?«
Marion war angesichts des Tonfalls, den Luisa am Leibe hatte, ziemlich irritiert. Ihr entging auch nicht das trotzige, geradezu herausfordernde Funkeln in deren Augen, und sie beschloss, nichts mehr zu sagen. Ihr Gesicht verschloss sich und sie wandte sich ab.
Julian und Luisa stiegen die Treppe empor und begaben sich auf ihre Zimmer.
Marion ging in den Aufenthaltsraum, drückte die Tür hinter sich zu und holte ihr Smartphone heraus. Fünf Sekunden später hatte sie den Bergpfarrer an der Strippe. »Hallo, Sebastian. Der Julian und die Luisa sind soeben ins Hotel zurückgekommen. Ich hab’ ihr gesagt, dass du sie sprechen möchtest.«
»Bestell’ ihr bitte von mir, dass ich in einer Stunde …«
»Die Mühe kannst du dir sparen«, warf Marion ein. »Sie ist für dich net zu sprechen, hat sie erklärt, nachdem der Julian die Meinung vertreten hat, dass der Dominik dich geschickt hätte. Sie hat es kategorisch abgelehnt, mit dir zu reden.«
»Schade«, murmelte Sebastian etwas betroffen. »Aber zwingen kann ich sie net. Nun ja, da kann man nix machen.«
»Ich denk’«, sagte Marion, »dass die Angelegenheit für Dominik und Celine noch net ausgestanden ist. Die Luisa schien mir recht auf Krawall gebürstet zu sein, und Julian scheint das Feuer der Eifersucht in ihr kräftig anzuheizen.«
»Die junge Frau ist meiner Meinung nach krank«, murmelte Sebastian. »Und was den Julian angeht …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß net, was ich von dem halten soll. Es kann doch net sein, dass bei dem alles aus dem Ruder läuft, nur weil eine von ihm begehrte Frau einem anderen Mann den Vorzug vor ihm gegeben hat. Da stimmt doch auch irgendetwas net.«
»Den Verdacht hab’ ich auch«, pflichtete Marion ihm bei. Ihre Stimme hob sich ein wenig. »Okay, nun weißt du Bescheid. Die Dame will net mit dir reden. Mal sehen, was sie noch in petto hat. Dass die das Feld einfach so kampflos räumt, glaub’ ich net. Die ist unberechenbar und mit Vorsicht zu genießen.«
»Warten wir ab, wie’s weitergeht. Dominik und Celine schweben jedenfalls im siebten Himmel. Und dieses Glück kann ihnen keiner nehmen.«
»Hoffen wir’s ... «, murmelte Marion, dann wünschte sie Sebastian eine gute Nacht und verabschiedete sich.
Sebastian war ein wenig ratlos. Und so entschloss er sich, noch einmal mit Dominik zu reden. Das wollte er aber nicht telefonisch erledigen, sondern persönlich. Also verließ er sein Büro, ging in die Küche, wo Sophie Tappert hantierte, und sagte: »Ich geh’ noch einmal rüber zum Hotel und unterhalt’ mich mit dem Dominik.«
»Hatten S’ net vor, mit dieser Luisa ein ernstes Gespräch zu führen, Hochwürden?«, fragte Sophie Tappert.
»Sie hat mir durch die Marion bestellen lassen, dass sie keinen Wert drauf legt, mit mir zu sprechen.«
»Diese Dame gibt sich ja recht hochnäsig«, erregte sich Sophie. »Dabei müsst s’ eigentlich recht kleinlaut sein, nachdem s’ der Lüge überführt worden ist.«
»Nun ja, zwingen kann ich die Frau net, sich mit mir an einen Tisch zu setzen. Es ist ihre Entscheidung, und ich respektiere sie.«
»Mich ärgert ein solches Verhalten, Hochwürden.«
»Net ärgern, Frau Tappert, nur wundern«, versetzte der Bergpfarrer grinsend, dann ging er zur Garderobe, zog seine warmen Sachen an und verließ gleich darauf das Pfarrhaus.
*
Dominik saß im Gastzimmer des Hotels. Vor ihm stand ein Glas Mineralwasser. Er starrte versonnen auf die Tischplatte und schien mit seinen Gedanken weit, weit weg zu sein. Erst, als ihn der Bergpfarrer ansprach, erwachte er aus seiner Versunkenheit und murmelte: »Sie sind es, Herr Pfarrer. Guten Abend. Bitte, setzen Sie sich.«
»Sie waren mit Ihren Gedanken weit fort, Dominik, net wahr?«, fragte der Pfarrer, schob sich einen Stuhl zurecht und ließ sich nieder.
»Ich hab’ über alles nachgedacht«, antwortete Dominik. »Die ganze Geschichte hat meiner Meinung nach einen Haufen Scherben hinterlassen.«
»Ich denk’, zwischen Ihnen und Celine ist alles geklärt. Gestern Abend haben S’ beide noch recht zuversichtlich in die Zukunft geblickt.«
Heidi Reisinger kam zum Tisch. »Möchten S’ was trinken, Hochwürden?«
»Bring mir bitte ein kleines Wasser, Heidi«, antwortete der Pfarrer.
»Das ist richtig, Herr Pfarrer«, erklärte Dominik, als sich Heidi wieder abwandte und zur Theke ging. »Das war es auch nicht, was mich nachdenklich gemacht hat. Ja, zwischen Celine und mir ist alles wieder gut. Wir lieben uns und bleiben zusammen. Ein Wermutstropfen trübt das Ganze allerdings noch. Celine muss dringend die Sache mit dem Florian beenden. Das kann noch einmal unerfreulich werden.«
»Aber es muss sein«, erklärte Sebastian mit Nachdruck.
»Die Celine telefoniert fast jeden Tag mit ihm oder ihren Eltern. Sie hat dem Florian schon angedeutet, dass sie was mit besprechen muss. Sicherlich ahnt er schon, dass Celine die Sache beenden will. Auch ihren Eltern gegenüber hat sie entsprechende Andeutungen gemacht. Ihre Mutter hat sie gebeten, sich deutlicher auszudrücken, aber Celine hat sie auf ihren nächsten Besuch in Innsbruck vertröstet. Sie will das von Angesicht zu Angesicht klären.«
»Wenn zwischen Ihnen und dem Madel Einigkeit besteht, was war dann der Anlass für Ihre Besorgtheit?«, wollte Sebastian wissen. Irgendetwas, das spürte er ganz deutlich, belastete Dominik noch. Doch dann stieg in ihm eine Vermutung hoch. »Es ist, weil sich Ihr Freund net als der erwiesen hat, für den Sie ihn immer gehalten haben. Stimmt’s?«
Heidi brachte ein Glas voll Mineralwasser.
»Danke, Heidi.«
In einem Anflug von Verbitterung presste Dominik die Lippen zusammen, sodass sie nur noch eine dünne, blutleere Linie in seinem Gesicht bildeten. Schließlich nickte er. »Die Sache mit dem Dominik ist das eine, Herr Pfarrer«, gab er zu. »Wir waren seit vielen Jahren die besten Freunde und sind zusammen durch dick und dünn gegangen. Mir ist es unbegreiflich, dass sich der Julian von einer Stunde auf die andere so zu seinem Nachteil verändert haben soll.«
»Es gibt Charakterzüge, die jahrelang in einem Menschen schlummern. Ein nichtiger, kaum nennenswerter Anlass genügt, um sie in den Vordergrund zu spülen. Und dann zeigt dieser Mensch sein wahres Gesicht. Es ist schwer zu verstehen, aber die Fakten lügen net. Drum muss man sich damit abfinden. Was ist das andere, das Ihnen zu schaffen macht?«
»Die Luisa. Ich hab’ sie immer gemocht. Wie schon gesagt: Wir waren eine Clique. Insgesamt zwölf Leute, Männer und Frauen. Über das regelmäßige Treffen am Stammtisch hinaus haben einige von uns immer irgendetwas unternommen. Wir waren im Schwarzwald zum Wandern, wir waren in den Dolomiten und sind Ski gefahren, wir haben Radtouren unternommen, und, und, und … Das alles ist auf freundschaftlicher Ebene geschehen. Natürlich hab’ ich es bemerkt, dass mich die Luisa mit anderen Augen betrachtet hat, als die anderen Burschen in der Gruppe. Ich hab’ mir gesagt, dass sie das Interesse verlieren wird, wenn sie merkt, dass ich nicht darauf reagiere. Ich hab’ doch nicht damit gerechnet, dass sie derart ausrastet.«
»Haben Sie schon mit ihr gesprochen? Nachdem sie weinend aus dem Hotel geflüchtet ist, wär’s vielleicht im Laufe des heutigen Tages möglich gewesen, mit ihr in aller Ruhe zu reden.«
»Ich hab’s versucht, Herr Pfarrer. Heute in aller Frühe hab’ ich sie angerufen. Sie hat gar nicht abgenommen. Am späteren Vormittag hab’ ich es noch einmal versucht. Vergeblich. Nachmittags hab’ ich ein weiteres Mal angerufen. Sie hat ins Telefon gebrüllt, dass ich sie in Ruhe lassen soll.« Dominik zuckte mit den Schultern, er seufzte und endete: »Mir macht die Luisa direkt Angst, Herr Pfarrer. Denn ich frag’ mich, ob sie noch richtig tickt da oben.« Er tippte sich mit den Fingerkuppen gegen die Stirn. »Wenn nicht, weiß man denn, was so ein krankes Hirn ausheckt?«
»Sie hat es auch abgelehnt, mit mir zu sprechen«, sagte Sebastian. »Ich hab’ mich mit einem Arzt, mit dem ich gut bekannt bin, über die Luisa unterhalten und hab’ ihm ihre Auffälligkeiten geschildert. Sein Name ist Keller – Doktor Adrian Keller. Er hat auf einem Bauernhof hier in St. Johann eine Traumaklinik ins Leben gerufen. Doktor Keller denkt, dass die Luisa an einem akuten Realitätsverlust leidet. Sie unterscheidet nicht mehr zwischen Traum und Wirklichkeit.«
»Ist das heilbar?«
»Ja. Aber dazu müsst’ sich die Luisa in ärztliche Behandlung begeben.«
Dominik entfuhr ein bitteres Lachen. »Luisa? Niemals!«
»Was meinen Sie? Tut es Ihrem Freund leid, dass er die Freundschaft mit Ihnen wegen seines verletzten Egos aufs Spiel gesetzt hat?«
»Ich weiß es nicht, glaub’ es aber net. Ich bin vielmehr davon überzeugt, dass er und Luisa noch ein paar weitere Gemeinheiten aushecken, um einen Keil zwischen mich und Celine zu treiben.«
»Fürchten Sie sich davor?«
»Ich wäre nicht erfreut, wenn es so sein sollte«, bekannte Dominik. »Aber Celine und ich sind gewarnt. Wir werden allen Intrigen, die möglicherweise auf uns zukommen, gemeinsam die Stirn bieten.«
Sebastian nippte an seinem Wasser. »Das freut mich«, sagte er dann. »Dennoch bleibt – wie Sie’s schon richtig formuliert haben -, ein Haufen Scherben übrig. Das ist traurig. Sehen S’ denn keine Chance mehr, dass Sie und der Julian sich wieder miteinander vertragen?«
»Könnte ich ihm je wieder vertrauen?«, kam die Gegenfrage Dominiks.
»Wenn er ehrlich bereut – ja.«
»Ich glaube nicht daran. Der Julian kann nicht verlieren. Während der Jahre unserer Freundschaft hab’ ich nie den Ehrgeiz gehabt, mich in irgendeiner Weise über ihn zu stellen. Er hat immer den großen Macher gespielt und ich hab’ ihn gewähren lassen. Als er gemerkt hat, dass er Celine mit seiner aufgesetzt weltmännischen Art nicht beeindrucken kann, hat das sein gesamtes Weltbild durcheinandergeworfen und er ist durchgedreht.« Dominik schien sich seine nächsten Worte genau zu überlegen. »Selbst wenn wir wieder zu einem freundschaftlichen Verhältnis zusammenfinden würden«, sagte er dann, »es wäre nicht mehr so, wie es war. Der bittere Beigeschmack würde bleiben. Ich wäre auch nicht mehr bereit, nach Julians Pfeife zu tanzen. An dem Tag, an dem mir Celine begegnet ist und ich gemerkt hab’, dass Julian nicht ausschließlich derjenige ist, der die ungeteilte Aufmerksamkeit und das komplette Interesse aller Frauen genießt, ist mir klar geworden, dass ich mich gegen ihn auf die Hinterfüße stellen muss. Von dem Moment an, in dem er nicht mehr der Anführer war, hat er hingeworfen und begonnen, verrückt zu spielen. Ich glaube nicht, dass man unter diesen Voraussetzungen noch von Freundschaft reden könnte.«
»Vielleicht ist es so«, sagte Sebastian, doch überzeugt war er nicht. »Ich denk’, dass man sich auch unter geänderten Voraussetzungen wieder zusammenraufen kann. Wollen Sie’s net wenigstens versuchen? Julian hat einen Fehler begangen, das lässt sich net bestreiten. Aber meinen S’ net, dass er eine zweite Chance verdient hat?«
Verunsichert sah Dominik den Bergpfarrer an. »Wenn ich ehrlich bin«, sagte er, »dann wäre es mir auch lieber, der Julian und ich würden uns wieder vertragen können. Es wird sicherlich nicht mehr die Freundschaft sein, die sie einmal war. Aber es wäre wünschenswert, dass Friede zwischen uns herrscht und wir unbefangen miteinander umgehen können.«
»Was halten S’ davon, wenn wir zu dritt eine Skitour machen, Dominik?«, fragte der Pfarrer.
Dominik war überrascht. »Sie, der Julian und ich …?«
Sebastian nickte. »Ein guter Freund von mir würd’ sicher auch gern mitfahren. Er ist Arzt im Ruhestand. Sein Name ist Kaltenecker – Severin Kaltenecker. Ich bin davon überzeugt, dass sich der Friede zwischen Ihnen und Julian wieder herstellen lässt.«
»Die Frage ist, ob der Julian mitmacht«, murmelte Dominik und eine unüberhörbare Skepsis lag im Tonfall seiner Stimme.
»Ich werd’ ihn fragen«, sagte der Bergpfarrer entschlossen.
*
Luisa und Julian saßen im Aufenthaltsraum der Pension ›Edelweiß‹. Sie hatten sich im Supermarkt eine Flasche Wein und Mineralwasser besorgt, und nun saßen sie beisammen, unterhielten sich und versuchten sich an einem Würfelspiel, das sie dort vorgefunden hatten.
»Der Kerl hat ganz schön geschluckt, als ich ihm eröffnet hab’, dass seine Braut mit dem Dominik herumschmust«, sagte Julian mit einem triumphierenden Grinsen. »Wetten, dass er spätestens morgen Mittag in St. Johann aufkreuzt, um nach dem Rechten zu sehen?«
Luisa schüttelte den Würfelbecher und knallte ihn auf die Unterlage. Sie hatte zweimal die Fünf, die Eins, die Drei und die Sechs. »Die Fünfer brauche ich noch, nicht wahr?«, fragte sie.
Julian, der als ›Schriftführer‹ fungierte, warf einen Blick auf den Block mit den Eintragungen und nickte. »Ja.«
»Gut, dann gehe ich auf die Fünf.« Luisa nahm die Würfel, ließ sie in den Becher fallen, schüttelte ihn und stülpte ihn erneut auf die Würfelunterlage. »Hoffentlich haut der Weißgerber anständig mit der Faust auf den Tisch«, hoffte sie. »Er soll für richtigen Wirbel sorgen! Ich würde es Dominik, diesem Schuft gönnen. Ich möchte ihn am Boden sehen.«
»Ich denke, du liebst ihn«, sagte Julian und ein etwas anzügliches Grinsen spielte um seinen Mund.
»Seit gestern hasse ich ihn«, stieß Luisa schrill hervor. »Er hat mich gedemütigt, meinen Stolz verletzt, mich in meiner Ehre gekränkt. Das verzeihe ich ihm nie.«
»Ist das dein Ernst?«
»Natürlich ist das mein Ernst!«, keifte Luisa und würfelte. Als sie den Becher anhob, lagen eine weitere Fünf auf dem Tisch, eine Eins und eine Vier. »Er soll kein Glück mehr haben im Leben. So darf man mit mir nicht umgehen.«
Julian musterte sie prüfend und nachdenklich. Was hinter seiner Stirn vorging, verriet er jedoch nicht. Kamen ihm plötzlich Zweifel? Etwas an Luisa stieß ihn plötzlich ab. Sie war ihm nicht mehr geheuer.
Draußen im Flur waren Stimmen zu hören. Gleich darauf ging die Tür auf und Pfarrer Trenker betrat den Raum. »Guten Abend. Ich hoff’, ich stör’ net.«
»Ich habe doch deutlich zum Ausdruck gebracht, dass ich kein Gespräch mit Ihnen wünsche«, fauchte Luisa, die ihn sofort an seinem Priesterkragen identifizierte. Ihre Augen flackerten wütend.
»Mit Ihnen will ich auch gar net sprechen, Frau Malbeck«, entgegnete Sebastian ruhig, geradezu gelassen, und richtete den Blick auf Julian. »Sie sind es, mit dem ich mich ein bissel unterhalten möcht, Herr Drexler. Würden S’ sich ein paar Minuten Zeit für mich nehmen?«
Julian fuhr sich mit der Zungenspitze über die Lippen; Zeichen einer jähen Unruhe. Das Auftauchen Pfarrer Trenkers verursachte ihm Unbehagen. Er war unschlüssig. Doch dann nickte er. »Meinetwegen.«
Luisa erhob sich. »Ich bin auf meinem Zimmer«, stieß sie hervor und schaute den Pfarrer trotzig an. »Du kannst mir ja Bescheid sagen, Julian, wenn du wieder alleine bist.« Mit stolz erhobenem Kopf ging sie an Sebastian vorbei zur Tür und verließ die Gaststube.
»Darf ich mich zu Ihnen setzen?«, fragte Sebastian unbeeindruckt.
Julian vollführte eine einladende Handbewegung. »Bitte.« Unruhig rutschte er auf seinem Stuhl herum und vermied es, Sebastian anzuschauen. Ahnte er, weshalb der Pfarrer mit ihm sprechen wollte? Er fühlte sich alles andere als wohl in seiner Haut. Um seine Nervosität zu überspielen nahm er sein Weinglas und nippte daran.
Sebastian setzte sich ihm gegenüber an den Tisch und schaute ihn offen an. »Finden Sie das in Ordnung, Herr Drexler?«
»Ich weiß nicht, was …«
Sebastian schnitt ihm mit einer unduldsamen Handbewegung das Wort ab. »Sie wissen genau, was ich mein’. Sie und Dominik waren jahrlang die besten Freunde. Sie aber haben aus verletzter Eitelkeit diese Freundschaft aufs Spiel gesetzt …« Sebastian verbesserte sich. »Sie haben ihr sogar den Todesstoß versetzt.«
Schuldbewusst senkte Julian den Blick. »Ich hab’ doch auch nicht ahnen können, dass die Luisa hier so einen Wirbel inszeniert. Es stimmt, ich war sauer, weil mich die Celine ignoriert hat. Ich hab’ sie dem Dominik nicht gegönnt. Darum hab’ ich Luisa angerufen. Sie war wie verrückt nach Dominik, und ich hab’ mir gedacht, wenn sie herkommt und um ihn herumscharwenzelt, zieht sich Celine zurück und lässt die Finger von ihm.«
»Es ist Ihnen also nur darum gegangen, Dominik und Celine auseinanderzubringen?«, vergewisserte sich Sebastian.
Es fiel Julian offensichtlich schwer, es zuzugeben. Er kämpfte sekundenlang mit sich und nickte schließlich. »Ja. Inzwischen komme ich allerdings mehr und mehr zu der Einsicht, dass es falsch gewesen ist. Dass sich die Luisa als Dominiks Verlobte ausgegeben hat, hab’ ich noch akzeptieren können. Dass sie ihm ins Hotel gefolgt ist und ihm dort eine Szene gemacht hat, auch noch. Jetzt aber hab’ ich erkennen müssen, dass bei ihr nur noch Hass im Spiel ist. Dass das alles dermaßen eskaliert, habe ich nicht gewollt.«
Sebastian überraschte es, dass Julian so offen mit ihm sprach. »Und jetzt können Sie den Geist, den Sie gerufen haben, nicht mehr bannen, wie?«, fragte er.
»Es ist mir erst heute Abend so richtig bewusst geworden. Luisas Liebe zu Dominik ist in Hass umgeschlagen. Es reicht ihr nicht mehr, einen Keil zwischen Dominik und Celine zu treiben. Sie will den beiden schaden, sie will Dominik am Boden sehen. Das hat sie vorhin wortwörtlich gesagt.«
»Und das gibt Ihnen zu denken«, konstatierte Sebastian.
»Die Sache gleitet mir aus den Händen«, murmelte Julian. »Zunächst war ich es, der die Luisa vor seinen Karren gespannt hat. Mir ist es aber nur darum gegangen, Dominik bei Celine in ein schlechtes Licht zu rücken, ihn als Lügner hinzustellen und ihm so eine Lektion zu erteilen. Nun führt Luisa die Regie. Sie hat mich sogar so weit gebracht, dass ich …« Julian brach ab, atmete tief durch und strich sich mit Daumen und Zeigefinger fahrig über den Mund.
Sebastian schwante Schlimmes. »Bitte, sprechen Sie weiter«, forderte er.
»Nachdem Dominik und ich der Celine zufällig beim Langlaufen begegnet sind, und sie sich uns angeschlossen hat, sind wir ins Gespräch gekommen, und sie hat uns auch von einem Florian Weißgerber erzählt, mit dem sie seit längerer Zeit zusammen ist, von dem sie sich aber trennen will. Sie hat uns ihr Herz ausgeschüttet und gesagt, dass sie diesen Vorsatz schon eine ganze Weile vor sich herschiebt, was ihr ziemlich zusetzt. Der Weißgerber wäre ihren Eltern als Schwiegersohn ausgesprochen genehm, und ihre Eltern würden sehr enttäuscht sein, wenn sie einen Schlussstrich zieht.«
Sebastian ging ein Licht auf. »Sie haben Luisa davon erzählt, und die hat Sie dazu gebracht, den Weißgerber anzurufen.«
Julian nickte.
Sebastian war fassungslos und ihm fehlten regelrecht die Worte.
Aber da sprach Julian auch schon weiter: »Als ich vorhin gemerkt hab’, dass Luisa nur noch vom Hass gelenkt wird, ist mir klar geworden, dass es falsch war und ich mich von ihr freimachen muss. Ich wollte doch weder den Dominik, noch die Celine, noch sonst jemand ins Unglück stürzen. Doch jetzt droht das alles eine Entwicklung zu nehmen, die mir über den Kopf wächst. Ich hab’ meinen besten Freund verraten, Herr Pfarrer. Das wird mir immer mehr bewusst. Und das aus einem lächerlichen Anlass heraus. Eigentlich wollte ich nur als lachender Dritter danebenstehen, wenn sich der Dominik abmüht, sich die Luisa vom Leib zu halten. Und Celine wollte ich dann trösten ... .«
»Sie haben einen Stein geworfen und einen Steinschlag ausgelöst, Julian. Ich darf doch Julian zu Ihnen sagen?«
»Natürlich. Es war dumm, ja sogar unverantwortlich von mir. Aber ich kann es nicht mehr ändern. Der Schaden lässt sich nicht mal mehr begrenzen, denn der Weißgerber wird hier aufkreuzen. Und er wird es nicht so einfach schlucken, dass seine Freundin mit dem Dominik herumturtelt.«
»Es ist mehr als nur herumturteln«, murmelte Sebastian. »Die beiden lieben sich von ganzem Herzen. Auch Dominik tut es leid um Ihre Freundschaft. Er ist zwar davon überzeugt, dass es nie wieder so werden wird, wie es einmal war, aber er wär’ schon daran interessiert, mit Ihnen wieder normal reden zu können.«
»Tatsächlich? Nach allem, was ich ihm angetan hab’ und was durch meine Schuld wahrscheinlich noch auf ihn zukommen wird?«
»Gehen S’ zu ihm und reden S’ mit ihm. Sagen S’ ihm, wie leid Ihnen alles tut und bitten S’ ihn um Verzeihung. Ich hab’ ihm vorgeschlagen, dass wir gemeinsam eine Skitour unternehmen. Das wär’ doch eine gute Gelegenheit für Sie beide, sich gegenseitig wieder anzunähern.«
»Wie steht der Dominik dazu?«, fragte Julian.
»Er ist noch skeptisch. Aber ich bin davon überzeugt, dass er net Nein sagt.«
Julian schaute auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Es ist net zu spät. Ich gehe zu ihm ins Hotel und bitte ihn um ein Gespräch. Das bin ich ihm schuldig.«
»Und noch etwas, Julian«, sagte der Pfarrer. »Machen S’ sich frei von Luisas Einfluss. Auf zwei Hochzeiten können S’ net tanzen. Sie müssen wissen, was Ihnen wichtiger ist.«
»Diese Entscheidung habe ich bereits getroffen, Herr Pfarrer. Bitte, entschuldigen Sie mich jetzt. Ich hab’ im Hotel etwas zu erledigen.« Plötzlich stutzte er. »Würden Sie mitkommen, wenn ich Sie bitte, mich zu begleiten? Ihre Anwesenheit würd’ es mir und wahrscheinlich auch dem Dominik leichter machen, wieder aufeinander zuzugehen.«
»Gerne«, antwortete Sebastian und stemmte sich entschlossen am Tisch in die Höhe.
*
Celine und Dominik spazierten händchenhaltend durch die Dunkelheit. Eine Viertelstunde, nachdem Pfarrer Trenker den Burschen verlassen hatte, war Celine in der Gaststube erschienen und hatte erklärt, dass sie Feierabend habe.
Sie hatten sich entschieden, einen Spaziergang zu machen. Während sie durch den Ort schlenderten, erzählte Dominik Celine von seinem Gespräch mit dem Pfarrer.
»Er will also, dass ihr – der Julian und du - euch wieder versöhnt«, murmelte Celine.
»Der Pfarrer meint, es wäre schade um die gute Freundschaft, die uns viele Jahre lang miteinander verbunden hat.«
»Ich hab’ mir deswegen auch schon Gedanken gemacht«, murmelte Celine. »Und ich denk’ auch, es wär’ wirklich schade drum. Der Julian hat Fehler begangen. Aber wenn er es bereut und aufhört, uns mit Boshaftigkeiten zu attackieren, könnt’ ich mir schon vorstellen, dass ihr wieder einen gemeinsamen Nenner findet.«
Die Unterhaltung schlief ein. Jeder hing seinen Gedanken nach. Heute war der Himmel Wolken verhangen. Laut Wetterbericht sollte es Schneefall geben. Der Mond war nur als verschwommener gelber Fleck hinter der Wolkendecke auszumachen. Es war aber auch wärmer geworden und deshalb sehr diesig. Das Sichtfeld reichte nicht weiter als hundert Meter. Dort, wo es endete, begann dichte, mit dem Blick nicht zu durchdringende Finsternis. Sie schien die Berge rings um das Wachnertal geschluckt zu haben.
Nachdem sie eine Weile gegangen waren, sagte Celine: »Wenn dein Urlaub nächste Woche zu Ende geht und du abgereist bist, werd’ ich am Wochenende meine Eltern in Innsbruck besuchen. Bei dieser Gelegenheit werd’ ich mit Ihnen reden, und dann will ich Florian reinen Wein einschenken. Ich hoff’, er reagiert vernünftig.«
»Was ist er denn für ein Mensch?«, fragte Dominik. »Ist er etwa aufbrausend oder jähzornig? Trägt er sein Herz auf der Zunge oder ist er eher zurückhaltend?«
»Schlecht zu sagen. Bis jetzt hab’ ich ihn noch net zornig erlebt. Er ist eher gutmütig und verträglich. Wie er jedoch reagiert, wenn ich ihm sage, dass ich ihn net liebe und daher unser Verhältnis beende, kann ich net abschätzen.«
»Na ja, Schatz, wie auch immer. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende.« Dominik blieb stehen, zog Celine an sich heran und gab ihr einen Kuss. »In dieser Angelegenheit werde ich dir auch nicht beistehen können. Und in der möglichen Auseinandersetzung mit deinen Eltern auch nicht.«
»Ich weiß, da muss ich alleine durch. Ich würd’ aber gar net wollen, dass du dich einmischt. Hätt’ ich dich nämlich net kennengelernt, müsst ich auch ohne deine Hilfe mein Problem bewältigen. Ich werd’ das schon meistern. Und dann gibt’s nix mehr, was auch nur den Ansatz eines Schattens auf unsere Beziehung werfen könnt’.«
»Sobald ich nach Innsbruck umziehe, werde ich dich bitten, mich zu heiraten«, sagte Dominik.
Celine lachte. »Dir pressiert’s aber.«
»Ich will dich besitzen, mit Haut und Haaren«, versetzte Dominik grinsend. »Ich lasse dich nicht mehr aus.«
Sie küssten sich ein weiteres Mal, dann gingen sie weiter. Das Glücksgefühl, das beide verzückte, war grenzenlos und geradezu überwältigend. Genauso, wie sie jetzt - sich an den Händen haltend -, durch den Schnee stapften, wollten sie gemeinsam durchs Leben gehen; in Liebe und Eintracht. Sie malten sich die Zukunft, die vor ihnen lag, in den schönsten Farben aus.
»Wie wirst du dich verhalten, würd’ plötzlich der Julian vor dir stehen und dir versichern, dass er Mist gebaut hat und ihm das alles leid tue?«, fragte Celine.
»Gute Frage«, murmelte Dominik. »Der Pfarrer meint, ich sollte ihm die Hand zur Versöhnung reichen.«
»Und was ist deine Meinung?«, hakte Celine nach.
»Ich weiß es nicht. Was rätst du mir?«
»Vergeben und Vergessen ist die Rache eines braven Mannes«, antwortete Celine.
»Himmel, woher hast du den Spruch?«
»Schiller, der hat schon so machen guten Spruch gebracht.«
»Du teilst also die Meinung des Pfarrers?«
»Ja.«
Es begann zu schneien. Große Flocken schwebten vom Himmel. »Wir sollten umkehren«, schlug Dominik vor.
Celine zog sich die Kapuze über die Haare. »Ja, kehren wir um. Bevor wir zu Schneemännern werden.«
Sie machten kehrt und beschleunigten ihre Schritte. Die schweren Schneeflocken klatschten ihnen ins Gesicht, blieben kleben und schmolzen.
Ein wenig atemlos kamen sie zwanzig Minuten später beim Hotel an. Unter dem Vordach des Eingangs klopften sie sich lachend den Schnee von der Kleidung, dann gingen sie hinein.
Aus einer Tür trat Heidi, lächelte vielsagend und bedeutete den Ankömmlingen, sich in das Nebenzimmer zu begeben.
Ihr Erstaunen war groß, als sie an einem der Tische Pfarrer Trenker und Julian Drexler sitzen sahen.
Julian erhob sich. »Guten Abend«, grüßte er ausgesprochen förmlich. Sein Gesicht blieb dabei ernst, seine Augen waren in fast banger Erwartung auf Dominik gerichtet.
Diesen durchfuhr ein Ruck, er schüttelte seine Überraschung ab und sagte: »Du hast dich also besonnen, Julian.« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Celine wer dermaßen aufgeregt, dass ihr das Herz bis zum Hals hinauf schlug.
»Es war gemein und dumm von mir, Dominik«, erwiderte Julian. »Ich weiß auch nicht, was in mich gefahren ist. Im Nachhinein ist es mir selber schleierhaft, wie ich derart reagieren konnte. Es tut mir leid. Ich bin gekommen, um dich im Namen unserer früheren Freundschaft um Verzeihung zu bitten.« Er hielt Dominik die rechte Hand hin.
Dominik zögerte, ergriff sie schließlich und murmelte: »Setzen wir uns und sprechen wir drüber. Die Sache muss in allen Einzelheiten besprochen und ausdiskutiert werden. Meinst du nicht auch?«
Julian nickte.
*
Julian nahm alle Schuld auf sich. Was Luisas Verhalten anbetraf, gebrauchte er Dominik und Celine gegenüber fast die gleichen Worte, mit denen er es schon dem Pfarrer beschrieben hatte. »Mir ist heut’ Abend erst richtig bewusst geworden, dass Luisa der blanke Hass antreibt«, sagte er. »Ich versichere dir, Dominik, ich wollte niemand, weder dich, noch Celine, ins Unglück stürzen. Jetzt wächst mir die ganze Sache über den Kopf. Eigentlich wollte ich nur als lachender Dritter zusehen, wie du dich abmühst, dir die Luisa vom Leib zu halten, Dominik. Meine Hoffnung war, dass Celine das Ganze zu bunt wird und sie die Konsequenzen zieht.«
»Ich hab’ mir das schon fast so gedacht«, erwiderte Dominik. »Schließlich kenne ich dich seit vielen Jahren. Es war natürlich ein Spiel mit dem Feuer, das du getrieben hast. Wie willst du Luisa klarmachen, dass du sie benutzt hast?«
»Ich werde es ihr einfach gestehen. Wahrscheinlich bin ich dann bei ihr total unten durch, aber die Freundschaft mit ihr ist mir nicht so wichtig wie unsere, Dominik.«
»Ist da net noch etwas, was Sie den beiden beichten müssen, Julian?«, mischte sich der Bergpfarrer ein.
Julian ließ für einen Moment den Kopf hängen. »Ja«, murmelte er, »da ist noch was.« Es kostete ihn Überwindung, es auszusprechen. Schließlich aber fasste er all seinen Mut zusammen, blickte Celine an und murmelte: »Ich hab’ mit deinem Freund in Innsbruck telefoniert, Celine.«
Celine starrte ihn an, als könnte sie nicht glauben, was er von sich gegeben hatte. Sekundenlang war sie zu keiner Reaktion fähig. »Du hast – Florian …«, stammelte sie schließlich, als sie das Ungeheuerliche verarbeitet hatte. Eine unsichtbare Hand schien ihr die Luft abzuschnüren.
»Ja.« Julian suchte nach Worten, dann sagte er mit belegter Stimme: »Ich weiß, es gibt keine Entschuldigung dafür …«
Celines Lippen bebten, ihre Augen versprühten regelrecht Funken. »Das hättest du net tun dürfen«, fiel sie Julian ins Wort. »Das … Das ist …«
Sie brach ab, als ihr Dominik beruhigend die Hand auf den Unterarm legte und sagte: »Der Florian hätte es früher oder später sowieso erfahren, Schatz.«
»Ja, aber …« Celine war außer sich.
»Der einzige Unterschied ist, dass Florian es nicht aus deinem Mund erfährt, dass es keine gemeinsame Zukunft für euch geben kann. Warum es so ist, wirst du ihm klarmachen müssen.«
»Er hat net das Recht dazu gehabt«, stieß Celine aufgebracht hervor.
»Ich weiß«, sagte Julian zerknirscht. »Es gibt keine Entschuldigung dafür, und ich kann es nicht mehr ungeschehen machen. Ich kann nur noch um Verzeihung bitten, Celine.«
Sekundenlang lastete das Schweigen.
Der Pfarrer brach es, indem er sagte: »Es ist in der Tat nimmer zu ändern, und Sie können jetzt nur versuchen, das Beste daraus zu machen. Es wär’ wünschenswert, dass sie sich wieder versöhnen. Ist Ihnen das net möglich, weil der entstandene Riss zu tief ist, versuchen s’ wenigstens, sich net in Feindschaft zu begegnen. Das müsst’ doch zu machen sein.«
»Gilt das Angebot mit der Skitour noch?«, fragte Dominik an Sebastian gewandt. »Ich muss erst etwas Abstand von allem gewinnen und meinen Kopf freimachen, ehe ich mich entscheide.«
»Natürlich gilt das Angebot noch. Bei einer gemeinsamen Unternehmung können Sie und der Julian testen, ob sie wieder vernünftig miteinander umgehen können, oder ob der Bruck endgültig ist.«
Julian nickte. »Wirst du auch dabei sein, Celine?«
»Nein. Ich denk’, dass morgen Vormittag Florian hier aufkreuzt. Wär’ ich net anwesend, würd’s aussehen, als wollte ich mich vor einer Aussprache drücken. Diesen Eindruck möcht’ ich auf keinen Fall erwecken.«
Julian nickte bedrückt.
»Treffen wir uns morgen Vormittag um neun Uhr beim Pfarrhaus«, sagte Sebastian.
»Ich werde da sein«, versprach Julian, dann verabschiedete er sich und verließ das Hotel.
Sebastian sagte: »Ich bin mir sicher, dass er es ehrlich meint. Es belastet ihn sehr, dass er all diesen Hickhack angezettelt hat. Zuletzt aber hat nicht mehr er das Heft in der Hand gehalten, sondern die Luisa.«
»Ich denke auch, dass sich zwischen dem Julian und mir wieder alles einrenkt«, murmelte Dominik und zuckte mit den Schultern. »Es wird sich herausstellen. Morgen können wir ja versuchen, wieder eine Basis herzustellen. Auch ich bin davon überzeugt, dass er das alles von ganzem Herzen bereut.«
»Da die Bereitschaft, sich wieder zu versöhnen, da ist«, bemerkte Sebastian, »bin ich recht optimistisch.« Auch Sebastian verabschiedete sich und ging nach Hause.
Celine trat vor Dominik hin. »Meinst du, dass ihr wieder Freunde werden könnt?«
»Es wird auch an dir liegen, Schatz. Er hat auch dir übel mitgespielt. Du hast morgen wahrscheinlich einige schwere Stunden vor dir. Zu verdanken hast du das Julian. Wirst du ihm verzeihen, wenn alles vorbei ist?«
»Ich denk’ schon. Wenn er unserem Glück nimmer im Weg steht, warum sollt’ ich dann eurer Freundschaft Steine in den Weg legen?«
»Du bist so großherzig, so verständnisvoll, Schatz. Hab’ ich dir heute schon gesagt, dass ich dich liebe?«
»Schon mindestens fünf Mal. Aber ich kann’s gar net oft genug hören.«
Beide lachten nach diesen Worten.
Celine spürte ganz deutlich, dass Dominik den Streit mit Julian aus der Welt schaffen wollte. Und schon das heutige Gespräch mit ihm schien einiges von dem, was auf seiner Seele gelastet hatte, genommen zu haben.
Als er sie in die Arme nahm und küsste, wusste sie, dass alles gut werden würde. Sie fürchtete sich plötzlich auch nicht mehr vor dem kommenden Tag, an dem sie Florian gegenüber Farbe bekennen musste. Dass er nach St. Johann kommen würde, war für Celine keine Frage.
*
Luisa Malbeck erwartete Julian im Aufenthaltsraum der Pension. »Ich hab’ dich mit dem Pfarrer weggehen sehen«, empfing sie ihn und musterte ihn dabei kühl und verärgert.