Читать книгу Der Bergpfarrer Extra 10 – Heimatroman - Toni Waidacher - Страница 3

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Franziska Veit war glücklich. Es war ein herrlicher Tag Anfang Mai, die Sonne schien, der Himmel war ungetrübt blau, und sie stieg an der Hand ihres Liebsten den Berg hinauf in Richtung Kandereralm.

Seit zwei Stunden waren sie unterwegs. Längst hatten sie ihre Westen ausgezogen, zusammengerollt und auf dem Rucksack festgeschnallt, denn der Weg war steil und sie waren ins Schwitzen gekommen. Sie hatten den Bergwald hinter sich gelassen und um sie herum erstreckten sich jetzt blühende Wiesen. Weiter oben verschwand der Weg zwischen Felsen.

»Langsam krieg’ ich Hunger«, sagte Jannik Rehfeldt. »Und trinken sollten wir auch mal. Dort oben, im Schatten der Felsen, könnten wir eine Rast machen. Was meinst du?«

»Einverstanden«, antwortete Franziska, dankbar, für den Vorschlag, denn auch ihr knurrte schon der Magen und sie war ziemlich erschöpft.

Dort, im willkommenen Schatten, nahmen sie ihre Rucksäcke ab, ließen sich auf kniehohe Felsbrocken nieder und packten ihre Brotzeiten sowie die Thermosflaschen mit den erfrischenden Getränken aus.

»Macht’s noch Spaß?«, fragte Jannik.

Es war seine Idee gewesen, an diesem Samstag zur Kandereralm zu wandern. Obwohl Franziska in St. Johann geboren und aufgewachsen war, hatte sie sich noch nie dazu aufraffen können, zu der Alm aufzusteigen. Nun hatte sie sich von Jannik überreden lassen.

»Ich hab’ kein Problem«, antwortete sie lächelnd. »Dass ich in der Vergangenheit kaum in den Bergen herumgestiegen bin, bedeutet net, dass ich unsportlich wär’ und keine Kondition hätt’. Außerdem macht mir alles großen Spaß, was wir zusammen unternehmen. Das müsstest du eigentlich längst wissen.«

Während sie gesprochen hatte, hatte sie ihn mit ihren blauen Augen regelrecht angestrahlt. Seit fast einem Jahr waren sie und Jannik nun ein Paar. Sie liebte ihn und war sich seiner Liebe sicher. Sogar vom Heiraten hatte er schon gesprochen, konkret jedoch hatte er sich noch nicht geäußert.

Jannik lachte. »Ich weiß, ich weiß. Du fährst hin und wieder mit dem Fahrrad zur Arbeit oder zum Einkaufen. Und jetzt im Frühjahr hast du wieder viel im Garten gewerkelt …« Er schaute skeptisch drein. »Ich kann mir allerdings net vorstellen, dass das eine sportliche Herausforderung sein soll.«

Franziska schluckte einen Bissen von ihrem Brot und erwiderte: »Na ja, in bissel warm ist mir schon geworden, und die Füß’ sind auch schon ganz schön schwer. Aber ich werd’ durchhalten.«

»Ich freu’ mich schon auf den Thurecker-Franz«, sagte er. »Denn kenn ich schon, seit ich ein kleiner Bub gewesen bin. Mit meinen Eltern war ich öfter mal auf der Alm. Den Winter über, wenn er im Tal ist, sieht man ihn ja kaum. Es ist, als würd’ er sich in seinem kleinen Häusl in den Winterschlaf zurückgezogen haben. Droben, auf der Alm, wo er seinen Bergkäs’ herstellt, da ist er in seinem Element.«

»Du brauchst mir nix erzählen, Schatz«, lachte Franziska. »Ich kenn’ den Franz auch schon, seit ich denken kann.«

»Auf der Alm hast du ihn aber noch net erlebt. Dort oben ist er ein völlig anderer, als unten im Ort. Du wirst es sehen.«

»Wie lang’ werden wir denn noch gehen müssen?«

»Jetzt haben wir ungefähr die halbe Streck’, Schatzerl. Und es wird net einfacher.«

»Ich schaff’ das!«, versicherte sie im Brustton der Überzeugung.

Nachdem sie Hunger und Durst gestillt hatten, packten sie alles wieder zusammen, schwangen sich die Rucksäcke auf den Rücken und setzten ihren Weg fort. Manchmal stieg das Gelände dermaßen steil an, dass Jannik seiner Liebsten helfen musste, das schwierige Stück zu überwinden.

Die Sonne wanderte höher und höher, der Weg wurde immer steiler, und ihnen perlte der Schweiß über das Gesicht.

Manchmal hielten sie kurz an, um zu verschnaufen. »Soll ich dir den Rucksack abnehmen?«, fragte Jannik, als sie wieder angehalten hatten und er bemerkte, dass Franziska heftig atmete.

»Nein, aber dennoch vielen Dank.« In der Tat war sie ziemlich außer Atem und das Herz hämmerte in ihrer Brust. Der Schweiß brannte in ihren Augen und die Füße waren schwer wie Blei. Aber der Ehrgeiz hatte sie gepackt. Die Blöße, schlapp zu machen und aufzugeben, wollte sie sich nicht geben.

»Weit ist’s nimmer, Schatzerl«, tröstete er und musterte sie dabei besorgt. »Die Tour ist dir doch ein bissel zu viel, gell?«

»Mir sagt es, dass ich, ab sofort, mehr für meine Fitness tun muss«, keuchte sie. »Aber allzu weit kann’s jetzt ja nimmer sein. Tu’ mir mal den Gefallen und hol’ meine Flasche aus dem Rucksack. Ich bin am Vertrocknen.«

Nachdem sie getrunken und noch etwas verschnauft hatten, verstaute Jannik die Flasche wieder in ihrem Rucksack, dann marschierten sie weiter.

Und als die Sonne hoch im Zenit stand und sie eine letzte Anhöhe überquert hatten, konnten sie die Kandereralm sehen. Am Hang darüber weiteten Kühe und Ziegen, bewacht von zwei Hütehunden.

Die Hütte war alt. Das Holz der Wände und die Schindeln auf dem Dach waren silbrig verwittert, aber frischeres Holz zeigte an, dass sie immer sorgsam repariert worden war.

Die bunten Sonnenschirme auf der Terrasse waren vielfältige Farbtupfer, die das Grau in Grau des Gebäudes auf freundliche und einladende Art auflockerten. Die Hütte schien sich an einen gewaltigen Felsen anzulehnen, der die Senke nach einer Seite begrenzte. Aus einer Rohrleitung plätscherte Wasser in einen hölzernen Trog.

»Wunderschön«, staunte Franziska. »Idyllischer geht’s ja fast nimmer.«

»Das ist wahr«, stimmte Jannik zu. »Hier oben ist die Welt noch in Ordnung.« Er kniff die Augen etwas zusammen. »Sieht aus, als wären wir im Moment die einzigen Gäste.« Er legte den Arm um Franzis Schultern und drückte sie an sich. »Aber das macht gar nix. Wir zwei brauchen niemand. Im Gegenteil! Andere Leut’ würden nur stören.« Er gab ihr einen schnellen Kuss, dann marschierten sie weiter.

Bei der Hütte angelangt, stiegen sie zur Sonnenterrasse empor. Als sie oben waren, kam der alte Senn aus der Hütte.

»Ja, was für eine Überraschung«, rief er. »Ich hab’ schon befürchtet, dass heut’ kein Mensch den Weg zu mir herauf findet. Grüaß euch. Hockt euch nur her. Ihr schaut ja ganz erhitzt aus. Darf ich euch ein Glaserl kühle Kuhmilch bringen? Die tut euch sicherlich gut, nach dem beschwerlichen Aufstieg.«

»Dazu sagen wir net Nein«, erklärte Jannik lächelnd. Er und Franziska nahmen die Rucksäcke ab und setzten sich. »Und gegen eine anständige Brotzeit wär’ auch nix einzuwenden. Nachdem du erst ein paar Tag’ heroben bist, wirst du noch keinen Käs’ fertig haben?«

»Ich hab’ ein paar Laiberln von meinem Käs’ mit heraufgebracht«, erklärte der Thurecker-Franz. »Außerdem hätt’ ich Kaminwurz und Geräuchertes zu bieten. Ich werd’ schon eine Brotzeit zusammenstellen, die euch munden wird.«

»Dessen bin ich mir sicher«, rief Jannik lachend. »Deine Brotzeiten waren für mich schon als Kind ein Grund, den weiten und beschwerlichen Weg zu dir herauf unter die Füß’ zu nehmen.«

Der alte Senn verschwand lachend in der Hütte.

»Hier heroben fühlt man sich dem Himmel ganz nah«, murmelte Franziska nach einem erneuten Blick in die Runde. »Man kommt sich ganz klein vor.«

»Ja, es ist schon eine wunderbare Welt hier oben, Schatzerl. Man kann’s verstehen, dass sich der Franz an keinem anderen Ort auf der Welt wohler fühlt, als in der schönen Bergwelt.«

»Das tät’ mir auch gefallen, immer hier zu sein.«

»Jetzt enttäuscht du mich aber«, knurrte er mit gespieltem Ernst.

Franziska lachte ihn an. »Natürlich nur, wenn du dabei wärst. Stell’ dir vor, du und ich, monatelang ganz allein auf einer einsamen Alm. Wir wären die glücklichsten Menschen auf der Welt.«

»Dazu muss man geboren sein, Schatzerl«, murmelte Jannik. »Eine gewisse Zeit mag’s ja recht schön sein. Aber auf die Dauer …« Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß net.«

Der Franz kam mit einem Tablett, auf dem eine Kanne mit Milch und zwei Gläser standen. »Lasst euch die Milch schmecken«, sagte er. »Ich richt’ jetzt die Brotzeiten für euch. Wollt ihr was anderes dazu trinken? Ein Radler vielleicht? Das macht net so müd’ wie Bier.«

»Im Moment sind wir mit der Milch voll und ganz zufrieden, Franz«, erwiderte Jannik und Franziska nickte. »Vielen Dank.«

*

Während Franz in die Hütte zurückkehrte, schenkte Jannik die Gläser mit Milch voll, dann tranken sie. Sie kam direkt aus der Kühlung und war sehr erfrischend.

Franziska schwärmte: »Köstlich. So was Gutes hab’ ich schon lang nimmer getrunken.«

»Hast du schon mal den Käse vom Franz probiert?«, fragte Jannik. »Der ist ein Gedicht, sag’ ich dir. Der Franz beliefert damit die Pensionen und Hotels im Wachnertal. Jeder ist begeistert. Normalerweise führt er seinen Gästen vor, wie er den Käs’ herstellt, aber da er erst ein paar Tag’ heroben ist, wird er mit der Produktion noch gar net begonnen haben.«

»Ich bin heut’ zwar das erste Mal auf der Kandereralm«, erklärte Franziska, »aber ganz sicher net das letzte Mal! Hier oben ist es wunderschön, man fühlt sich unbeschwert und frei. Wie ich den Franz um dieses Leben beneid’.«

»Du hörst dich an, wie jemand, der recht glücklich zu sein scheint«, bemerkte Jannik lächelnd. »Liegt das nur daran, dass es dir hier so gut gefällt, oder trägt meine Anwesenheit auch ein bissel dazu bei?«

»In deiner Gegenwart bin ich immer glücklich, Schatz, und das muss ich dir net immer wieder sagen.«

»Ich kann’s aber gar net oft genug hören.«

»Ich liebe dich, du machst mich glücklich. Zufrieden?«

Beide lachten. Jetzt brachte Franz die beiden Bretteln mit den Brotzeiten; Bergkäse, Geräuchertes und Kaminwurz. Daneben stellte er einen Korb mit Brot. »Das hab’ ich heut’ Früh selber gebacken«, sagte der Senn. »Ich hoff’, es schmeckt euch.«

»Wie geht’s denn allweil, Franz?«, fragte Jannik.

»Ich fühl’ mich wieder pudelwohl, seit hier heroben bin«, antwortete das alte Original, das vom Aussehen her voll dem Klischee eines wettergegerbten Naturburschen entsprach. Er trug eine abgewetzte Lederhose und ein kariertes Hemd, auf seinem eisgrauen Haar saß ein zerknautschter Tirolerhut. Sein von tiefen Furchen zerklüftete Gesicht mit den wasserhellen Augen und der großen Nase wies eine gesunde Farbe auf. »Als ich heraufgekommen bin«, fuhr er fort, »hab’ ich net schlecht gestaunt, als ich einen jungen Burschen schlafend auf meinem Bett vorgefunden hab’. Ich hab’ erst an einen Einbrecher gedacht und war bereit, dem Kerl mit meinem Spazierstock die Leviten zu lesen. Schließlich aber hat sich alles aufgeklärt. Es war ein Verwandter von unserem Pfarrer, den unschuldigerweis’ die Polizei gesucht hat.«

»Die Geschichte ist wie ein Lauffeuer durch den Ort gegangen«, sagte Jannik. »Deine Großnichte, die Kerscher-Luisa, hat den Burschen hier oben versteckt. Na ja, es hat sich ja herausgestellt, dass er unschuldig ist. Sowohl er als auch seine Mutter sollen in St. Johann ihr Glück gefunden haben.«

Der Franz hob die Hände, ließ sie wieder sinken und erwiderte: »Ja mei, wo die Liebe hinfällt. Oft hilft die Vorsehung ein bissel nach. Eigentlich wollt’ ich der Luisa ja gehörig den Kopf waschen, weil s’ mir die Schlüssel für die Schranke und die Almhütte geklaut hat. Als ich allerdings gesehen hab’, wie glücklich das Madel ist, hab’ ich’s sein lassen. Sie hat’s ja aus Liebe getan. So, ihr zwei, jetzt lasst’s euch schmecken. Wenn ihr was braucht – ein Ruf genügt.«

»Danke, Franz«, sagte Jannik und machte sich über die Brotzeit her.

»Ja, vielen Dank«, sagte auch Franziska, und der Senn ging in die Hütte.

Franziska und Jannik saßen im Schatten unter einem der Sonnenschirme und ließen es sich schmecken. Von der anderen Seite der Senke näherte sich eine kleine Wandergruppe. Drei Männer, drei Frauen und zwei Kinder. Sie kamen auf die Terrasse, grüßten freundlich und setzten sich an einen der langen Tische.

Sofort kam der Thurecker-Franz heraus, begrüßte die Gruppe und nahm die Bestellung auf.

»Vorzüglich«, lobte Franziska die Brotzeit. »Der Käs’ ist wirklich einzigartig gut. Du lieber Gott, ich bin in St. Johann aufgewachsen und hab’ fünfundzwanzig Jahr’ alt werden müssen, um die Kandereralm kennenzulernen. Das ist ja fast eine Schande. Ich glaub’, ich hab’ in meinen Leben so manches versäumt.«

»Macht nix, das können wir alles nachholen«, versetzte Jannik schmunzelnd. »Es gibt viele Hütten in den Bergen rund ums Wachnertal. Wir können zum Beispiel mal zur Streusachhütte aufsteigen. Da müssen wir an der Kachlachklamm vorbei. Ein tolles Naturschauspiel! Wenn du auf der Brücke über der Klamm stehst, glaubst du, dass jeden Moment die Welt untergeht, so einen Lärm verursacht der Wasserfall.«

»Ja, ich glaub’, dafür könnt’ ich mich begeistern«, rief Franziska mit leuchtenden Augen. »Ich möcht’ das alles sehen, Schatz, und du wirst es mir zeigen, gell?«

»Wenn du das willst, gern’. Die Berg’ sind mein Leben. Und wenn du jetzt endlich auch auf den Geschmack kommst … Nichts würd’ mich mehr freuen.«

Sie wurden fast gleichzeitig mit ihrer Brotzeit fertig und tranken den letzten Schluck Milch.

Jannik lehnte sich auf der Bank zurück.

»Reden wir net vom Bergwandern, Spatzl«, sagte er und schaute sie verliebt an. Ihr Blick versank in seinem. »Reden wir von uns. Noch ein paar Tage, dann ist’s ein Jahr, dass wir zusammen sind.«

»Richtig.«

»Ich hab’s noch keine Sekunde bereut, Schatzerl.«

Franziska lächelte glücklich.

»Denkst du etwa – ich?«

»Und weil das so ist, und weil ich davon überzeugt bin, dass wir zwei zusammengehören …« Jetzt erhob er sich, holte aus der Tasche seiner Lederhose ein kleines Schächtelchen und öffnete es. In einem kleinen schwarzen Kissen aus Samt steckte ein goldener Ring mit einem kleinen, wasserklaren Edelstein. Er ging vor Franziska auf das linke Knie nieder, hielt ihr den Ring hin und vollendete seinen Satz: »… möcht’ ich dich bitten, meine Frau zu werden.« Treuherzig schaute er sie an.

»Jannik, ich …« Der Heiratsantrag machte sie fassungslos und glücklich zugleich. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Mir – mir fehlen die Worte …« Sie lachte und weinte vor Glück.

»Nur zwei Buchstaben, Spatzl. Die wirst du doch wohl noch herauskriegen.«

»Ja, ja, ja«, schluchzte sie und nahm den Ring.

»Na also.« Grinsend erhob sich Jannik, nahm sie in die Arme und küsste sie. Sie erwiderte den Kuss, und an dem Tisch, an dem die Wanderergruppe saß, brach stürmischer Applaus los.

Sie lösten sich voneinander, wandten sich den Leuten zu, und sahen, dass auch der Thurecker-Franz unter der Tür stand und breit lachte. Die Zähne blitzten regelrecht in dem wettergegerbten Gesicht.

»So ist’s richtig!«, rief der alte Senn. »Darauf geb’ ich eine Runde aus. Das muss gefeiert werden!«

Jannik und Franziska lachten.

»Sie hat Ja gesagt, Franz!«, rief Jannik. »Ich könnt’ die ganze Welt umarmen.«

»Das sieht man dir an, Bursch’!«, antwortete der Senn. »Aber die Franzi schaut mindestens ebenso glücklich aus, wie du. Meinen herzlichen Glückwunsch, ihr beiden. Und alles Gute für eure Zukunft.«

»Ja, herzlichen Glückwunsch!«, kam es mehrstimmig von dem anderen Tisch.

»Danke, vielen Dank«, riefen Jannik und Franziska, dann setzten sie sich wieder, und Franziska hielt Jannik die linke Hand hin, an der jetzt der Verlobungsring funkelte. »Der passt wie angegossen«, freute sie sich.

»Zwischen uns passt’s, der Ring passt, das Wetter passt – alles passt«, stieß Jannik lachend hervor. »Was wollen wir noch mehr, Spatzl?«

»Ich bin so glücklich«, flüsterte Franziska verträumt. »Ich liebe dich.«

*

Am Sonntag besuchten Jannik und Franziska die Messe. Nachdem Pfarrer Trenker den Segen ausgesprochen hatte und der Schlusschoral erklungen war, strömten die Gläubigen aus dem Gotteshaus. Auf dem großen Platz vor der Kirche, im Schatten der alten Kastanien- und Lindenbäume, fanden sich kleine Gruppen zusammen, die plaudernd beisammen standen.

Es war wieder ein herrlicher Tag und das ganze Wachnertal lag unter einem flirrenden Hitzeschleier. Überall blühte und grünte es, das wunderbare Wetter hob die Stimmung der Menschen und man konnte nicht nur ihre Stimmen vernehmen, sondern sehr oft auch Lachen und freundliche Zurufe.

Jannik und Franziska hatten sich keiner der Gruppen hinzugesellt, sondern auf dem Friedhof das Grab von Janniks Großeltern besucht. Als sie nun den Friedhof verließen, kam ihnen über den Pfarrplatz Pfarrer Trenker entgegen. Er hatte sein Messgewand abgelegt und trug den schwarzen Anzug mit dem weißen Priesterkragen und dem kleinen, goldenen Kreuz am Revers.

Sein Ziel war das Pfarrhaus. Er erwiderte nach allen Seiten die freundlichen Grüße, wechselte im Vorübergehen das eine oder andere Wort, und steuerte schließlich auf Jannik und Franziska zu. »Grüaß euch«, sagte er lächelnd, als er vor ihnen anhielt. »Wie geht’s euch? Ihr seht so glücklich aus.« Da Franziska ihren linken Arm in Janniks rechten eingehakt hatte, entging dem Pfarrer der Ring nicht, der an ihrem Finger funkelte und blitzte.

Jannik nickte: »Wir sind glücklich, Herr Pfarrer! Nun sind die Franzi und ich fast ein Jahr zusammen. Gestern haben wir eine Wanderung zur Kandereralm unternommen, und droben hab’ ich sie gefragt, ob s’ mich heiraten will.«

»Und du hast Ja gesagt, Franziska, gell?«, konstatierte Sebastian. »Ich seh’ den Ring an deiner linken Hand, und das Strahlen in deinen Augen.«

Franziska nickte. »Es war ein wunderbarer Tag, Hochwürden. Dass mir der Jannik den Ring an den Finger gesteckt hat, war die Krönung. Glücklicher als ich kann ein Mensch gar net sein. Wir sollen Sie vom Thurecker-Franz grüßen. Er lässt Ihnen bestellen, dass er sich schon auf Ihren nächsten Besuch freut.«

»Hoffentlich ist der Franz noch ein paar Jahre so gut drauf, wie wir ihn gestern erlebt haben«, sagte Jannik. »Wenn er mal nimmer waltet und schaltet da droben, dann verliert die Kandereralm für so manchen sicherlich ihren Reiz. Meiner Meinung nach wär’ sie nix ohne den Franz.«

»Da sind wir einer Meinung«, pflichtete Sebastian bei. »Wenn ihr euch verlobt habt, dann habt ihr sicher irgendwann auch die Hochzeit geplant. Wann habt ihr denn vor, in den Hafen der Ehe zu schippern?«

»Wir haben davon gesprochen«, erklärte Jannik, »ein genaues Datum wissen wir aber noch net. Wahrscheinlich heiraten wir im Herbst, vielleicht auch erst im Frühling. Sicher ist jedenfalls, dass wir heiraten.«

»Ich freu’ mich mit euch«, versicherte Sebastian.

»Guten Morgen, Sebastian«, erklang es.

Er drehte den Kopf und sah Jürgen Deininger und Katrin Moser näherkommen. »Guten Morgen«, erwiderte er den Gruß. »Ich hab’ euch nimmer gesehen nach der Mess’ und war der Meinung, ihr seid schon auf dem Heimweg.«

»Auf den machen wir uns jetzt«, warf Jannik ein. »Die Mama hat uns zum Mittagessen eingeladen. Auf Wiedersehen, Herr Pfarrer. Sollt’ unsere Heirat irgendwann spruchreif werden, lassen wir Sie’s wissen.«

»Pfüat euch«, verabschiedete Sebastian das Pärchen. »Ich wünsch euch alles Gute, vor allem dass ihr weiterhin miteinander so glücklich wie im Moment seid.«

»Danke«, sagten Jannik und Franziska wie aus einem Mund, dann gingen sie weiter.

Sebastian aber wandte sich Jürgen und Katrin zu. »Die beiden haben sich gestern verlobt. Jetzt schweben sie wie auf Wolken. Ich freu’ mich jedes Mal, wenn ich erleben darf, dass die Liebe zwei Menschen glücklich macht.«

»Eine sehr schöne Predigt haben Sie wieder gehalten, Sebastian«, lobte Jürgen. »Die Geschichte vom verlorenen Sohn hat mich nachdenklich werden lassen. Denn auch ich bin ein verlorener Sohn. Im Gleichnis ist der Vater allerdings glücklich, als der Sohn wieder nach Hause zurückkehrt, und er veranstaltet ihm zu Ehren sogar ein Fest. Bei mir und meinem Vater würde es anders ausgehen …«

»Haben S’ noch einmal versucht, mit ihm ein vernünftiges Gespräch zu führen?«, erkundigte sich Sebastian.

»Nein. Er war mir gegenüber absolut unversöhnlich und abweisend. Aber das wissen Sie ja.« Ein düsterer Schatten huschte über sein Gesicht. »Am Freitag wollen wir die Brauerei festlich einweihen. Gestern haben meine beiden Brüder ihr Kommen abgesagt.«

Sebastian zeigte sich betroffen. »Ich denk’, mit den beiden sind Sie ausgesöhnt«, stieß er hervor.

»Schon«, erwiderte Jürgen. »Aber sie befürchten, dass es mein Vater in den falschen Hals kriegen könnte, wenn sie der Einladung folgen und zur Einweihung meiner Brauerei nach St. Johann kommen. Sie wollen den Streit in der Familie nicht noch vertiefen. Vater könnte denken, dass sie sich mit mir gegen ihn verschworen haben.«

»Das ist doch Blödsinn!«, rief Sebastians spontan. »Sind denn Ihre Brüder net imstand, auf Ihren Vater einzuwirken? Der letzte Stand der Dinge war, dass man ihn bewegen wollte, endlich das Szepter aus der Hand zu geben und die jüngere Generation ranzulassen. Das hat er zwar abgelehnt, aber Ihre Brüder wollten doch am Ball bleiben.«

»Wahrscheinlich haben die beiden in der Zwischenzeit resigniert. Unser Vater ist gegen jede Neuerung und Modernisierung und lebt nach dem Motto: Es ist hundert Jahre und mehr gut gegangen, weshalb sollte es die kommenden hundert Jahre nicht auch gut gehen?«

»Wenn sich nix ändert«, mischte sich Katrin Moser ein, »dann dürft’ die Deininger-Brauerei in Landshut wohl bald der Vergangenheit angehören. Philipp hat die Zeichen der Zeit zu deuten gewusst, er fängt übernächste Woche, wenn die ›Deininger Bräu‹ hier in St. Johann die Produktion aufnimmt, als Braumeister an. Er möcht’ gar nimmer zurück nach Landshut. Nachdem sich sein Opa so stur und uneinsichtig zeigt, ist Philipp fest davon überzeugt, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis die Brauerei in Landshut zusperren muss, weil 's runtergewirtschaftet ist.«

»Und dann?«, fragte Sebastian.

Jürgen übernahm es, zu antworten: »Mein Vater dürfte vorgesorgt haben, er ist ja fast achtzig. Bei meinen Brüdern schaut es anders aus. Sie sind beide erst um die fünfzig. Beruflich irgendwo unterzukommen, wird in diesem Alter nimmer so einfach sein. Sie können allenfalls versuchen, was Neues auf die Beine zu stellen. Das Problem dürfte sein, dass ihre Geschäftseinlagen futsch sein werden, sollte die Landshuter Brauerei GmbH den Bach hinuntergehen.«

»Die beiden sind zu schwach, um ihre Interessen gegen den absolut autoritären Michael P. Deininger durchzusetzen«, ergriff nun wieder Katrin Moser das Wort. »Aber wem net zu raten ist, dem ist auch net zu helfen. Jürgen hat sich rechtzeitig abgenabelt von dem alten Despoten, und ich denk’, er ist damit gut gefahren. Leid kann einem nur Philipps Mutter tun. Der Philipp telefoniert fast täglich mit ihr. Helga will, dass sich ihr Mann und sein Bruder, der Vinzenz, endlich gegen ihren Vater auf die Hinterfüß’ stellen. Aber wie’s scheint, kämpft sie gegen Windmühlenflügel. Sie steht leider auf verlorenem Posten.«

»Es ist tragisch«, fügte Jürgen hinzu, »aber wohl net zu ändern.«

»Vielleicht sollten S’ doch noch einmal versuchen, mit Ihrem Vater zu reden, Jürgen«, murmelte Sebastian. »Schicken S’ Ihre Brüder vor, lassen S’ die beiden den Weg für Sie ebnen. Sie und Ihren Vater haben doch rein geschäftliche Differenzen entzweit. Ich würd’ ja alles verstehen, wenn der Streit persönlicher Natur gewesen wär’. Aber so …«

»Mein Vater trennt Privat- und Geschäftsleben nicht«, entgegnete Jürgen. »Er nimmt auch das Geschäftliche absolut persönlich. Wenn es einem Menschen gelingt, mit dem Kopf Wände einzurennen, dann ist das mein alter Herr, mit seinem Sturschädel.«

»Es muss doch einen Weg geben …«, murmelte Sebastian nachdenklich.

»Ich seh’ keinen«, erklärte Jürgen und zuckte mit den Achseln. »Ich selbst bin es auch ziemlich leid, zu versuchen, mit meinem Vater Frieden zu schließen.« Er seufzte ergeben. »Sollten wir uns vorher nicht mehr treffen, Sebastian, dann sehen wir uns spätestens am Freitag, um zehn Uhr, bei der Brauerei. Ich hab’ sämtliche Hoteliers der Umgebung eingeladen, außerdem die Pensions-, Gaststätten- und Restaurantbesitzer aus dem ganzen Wachnertal sowie die Bürgermeister und Gemeinderäte von St. Johann, Engelsbach und Waldeck, und, und, und …«

»Dann wird’s sicher sehr eng im Brauhaus«, meinte Sebastian lächelnd.

»Iwo, ich hab’ groß genug gebaut«, versetzte Jürgen und erwiderte das Lächeln des Pfarrers.

*

Als Sebastian das Pfarrhaus betrat, empfing ihn der Duft von gebratenem Fleisch. »Das riecht ja verheißungsvoll«, sagte er zu Sophie Tappert, die den Kopf zur Küchentür herausstreckte.

»Schweinsbraten, Hochwürden, mit Knödeln und gemischtem Salat.«

»Hervorragend«, lobte der Pfarrer. »Ich geh’ noch eine halbe Stund’ in mein Büro. Sagen S’ mir halt Bescheid, wann S’ das Essen auftragen möchten, Frau Tappert.«

»Haben S’ denn mit niemand gesprochen, Hochwürden? Gibt’s nix Neues?«

»Die Veit-Franzi und der Rehfeldt-Jannik haben sich gestern auf der Kandereralm verlobt, und Jürgen Deiningers Brüder haben ihr Erscheinen zur Einweihungsfeier der Brauerei am kommenden Freitag abgesagt.«

»Was? Ich denk’, die drei Brüder vertragen sich wieder.«

»Die beiden befürchten, dass sie ihren Vater verärgern könnten«, sagte Sebastian.

»Seien S’ mir net bös’, Hochwürden, wenn ich’s sag’: Viel Rückgrat haben die beiden net. Gerade von Philipps Vater hätt’ ich mehr Cou­rage erwartet.«

»Warum sollt’ ich Ihnen bös’ sein, Frau Tappert? Wo S’ recht haben, da haben S’ recht. Ich bin auch enttäuscht von Philipps Vater. Andererseits kann ich ihn aber auch verstehen. Er muss mit seinem Vater zurechtkommen. Der Jürgen und der Philipp haben in Landshut alles hingeschmissen und sich auf eigene Füß’ gestellt. Dem Gerhard und dem Vinzenz ist es allerdings noch net gelungen, sich aus dem Schatten ihres Vaters zu lösen. Und das ist das Problem.«

»Ich seh’s schon kommen, Hochwürden«, sagte Sophie, »da müssen Sie eingreifen. Und wie ich Sie kenn’, haben S’ daran selber schon gedacht. Oder net?«

»Sie kennen mich gut, Frau Tappert«, schmunzelte Sebastian. Dann nickte er und fügte hinzu: »Aber Sie haben recht. Ich hab’ in der Tat schon drüber nachgedacht, wie man den Jürgen und seinen Vater an einen Tisch bringen und zu einem vernünftigen Gespräch bewegen könnt’. Allerdings ist der alte Deininger stur wie ein Maultier, und wirkt auch recht arrogant.«

»Sturheit und Arroganz«, murmelte Sophie. »Eine gefährliche Mischung. Mit Leuten, die diese Charakterzüge in sich vereinbaren, sachlich zu reden, ist fast net möglich. Sie lassen meist keine andere Meinung gelten.«

»Das ist das Problem«, sagte der Bergpfarrer. »Aber vielleicht find’ ich noch einen Weg …« Mit dem letzten Wort setzte sich er in Bewegung, um in sein Büro zu gehen.

*

An diesem Sonntagnachmittag fuhr ein sportlicher Kleinwagen mit Regensburger Kennzeichen bei der ›Pension Edelweiß‹ vor. Eine dunkelhaarige, schlanke Frau stieg aus. Sie trug eine grüne Jeans sowie ein weißes T-Shirt. Ihre Füße steckten in weißen Sneakers. Die langen Haare hatte sie zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden.

Sie war sehr hübsch, wirkte trotz ihrer saloppen Kleidung elegant und ausgesprochen attraktiv. Nachdem sie alles prüfend gemustert hatte, nickte sie zufrieden. Ihr schien zu gefallen, was sie sah. Zu beiden Seiten der Hauptstraße, die den Ort gewissermaßen teilte, waren die Wohn- und Geschäftshäuser im alpenländischen Stil errichtet. Manche wiesen kunstvolle Lüftlmalereien auf.

Vor den Lokalen standen Tische und Stühle auf den Gehsteigen. Es war erst Anfang Mai und so saßen nicht viele Gästen vor den Lokalen. Während der Hauptsaison würde man hier wohl kaum einen Platz bekommen.

Der Ort wirkte ruhig und idyllisch. Der Glockenturm der Pfarrkirche überragte die Häuser. Das Kupfer, mit dem das Dach verkleidet war, hatte eine grüne Färbung angenommen.

Die junge, hübsche Frau nahm ihre Handtasche und eine Reisetasche vom Rücksitz ihres Autos, warf die Tür zu und begab sich in die Pension. Die Rezeption war verwaist.

Die Frau aus Regensburg stellte die Reisetasche am Boden ab und schlug mit der flachen Hand auf die Klingel, die auf dem Tresen der Rezeption stand und jetzt einen durchdringenden Ton erzeugte.

Gleich darauf zeigte sich eine blonde Frau, Marion Trenker, die zusammen mit ihrem Mann Andreas die Pension betrieb. Sie lächelte freundlich. »Grüß Gott«, sagte sie und begab sich in die Rezeption.

»Grüß Gott«, erwiderte die junge Frau. »Mein Name ist Lena Dorner. Ich hab’ ein Zimmer bei Ihnen gebucht.«

Marion tippte den Namen in den Computer und nickte im nächsten Moment. »Frau Dorner, aus Regensburg. Sie sind bis einschließlich Sonntag bei uns?«

»So ist es.« Lena lächelte, ihre dunklen Augen strahlten. »Ein wunderschöner Ort, in dem Sie leben. Sie können sich glücklich schätzen.«

»Das stimmt. Ich kann net klagen. Sie haben auf jeden Fall eine gute Wahl getroffen, als Sie sich für St. Johann entschieden haben. Ich darf Sie bei uns herzlich willkommen heißen, Frau Dorner.«

»Es ist kein Zufall, dass ich hier meinen Kurzurlaub gebucht hab’«, erklärte Lena Dorner. »Ich kenn’ nämlich jemand sehr gut hier in St. Johann. Wir haben gemeinsam in Regensburg studiert. Sein Name ist Jannik Rehfeldt. Kennen Sie ihn?«

»Natürlich«, antwortete Marion schmunzelnd. »In St. Johann kennt jeder jeden.« Sie lachte. »Im Grunde ist’s ein Dorf. So, so, Sie haben also mit dem Jannik studiert. Er ist Ingenieur für Holztechnik und arbeitet bei einer Firma in Mittenwald, die Holzhäuser entwirft und baut.«

»Wir haben uns nach dem Studium aus den Augen verloren«, gab Lena ein bisschen bedrückt zu verstehen. »Seit über zwei Jahren hab’ ich nix mehr von ihm gehört. Während unserer Studienzeit waren wir allerdings unzertrennlich. Was treibt er denn so, der Jannik, außer dass er arbeitet?«

»So genau weiß ich das auch net«, versetzte Marion. »Ich seh’ ihn ja kaum. Er fährt morgens nach Mittenwald und kommt am Abend wieder heim. Und ich hab’ ja auch meine Arbeit hier in der Pension. Es ist schon Zufall, wenn man sich mal im Supermarkt oder beim Bäcker begegnet.«

»Können S’ mir wenigstens seine Adresse nennen?«, fragte Lena. »Ich würd’ ihn gern überraschen.«

»Er wohnt am Asternweg«, sagte Marion. »Die Hausnummer weiß ich net. Über der Haustür befindet sich eine Nische, in der eine Figur des Heiligen Florian steht. Daran können S’ das Haus erkennen, in dem er wohnt.«

»Danke.«

»Gut, Frau Dorner, dann will ich Ihnen jetzt Ihr Zimmer zeigen. Ihre Reisetasche können S’ bei der Rezeption stehen lassen. Ich sag’ nachher meinem Mann Bescheid, dass er sie auf Ihr Zimmer bringt.«

»Das ist sehr nett, aber ich schaff’ das schon. Ich bin auch im Holzbau tätig und es gewohnt, auch mal zuzupacken.«

Sie lachte. »Mit meiner Reisetasche werd’ ich mir schon keinen Bruch heben.«

»Wie S’ meinen«, sagte Marion, nahm einen Schlüssel aus dem Fach und reichte ihn dem Gast. »Zimmer sechs, erste Etage. Frühstück gibt’s ab sieben. Bis halb zehn Uhr können S’ frühstücken, falls Sie morgens ein bissel länger schlafen möchten. Tja, das ist eigentlich alles, was Sie wissen müssen. Mir bleibt es nur noch, Ihnen einen angenehmen Aufenthalt in St. Johann zu wünschen, Frau Dorner.«

»Ich freu’ mich schon. Eine ganze Woche nur relaxen! Wenn auch das Wetter so bleibt … Vielen Dank für die freundliche Aufnahme. Ich werd’ mich jetzt ein wenig frisch machen, und dann will ich mir gleich den Ort ansehen. Gibt’s hier was Besonderes, das man auf jeden Fall gesehen haben muss?«

»Auf jeden Fall sollten S’ sich unsere Kirche anschauen«, erklärte Marion. »Sie ist absolut sehenswert. Dort werden Sie einige Dinge entdecken, die Sie anderswo net zu sehen bekommen. Unsere berühmte Madonnenskulptur, zum Beispiel, und natürlich die herrlichen Fresken. Das muss man einfach gesehen haben, Frau Dorner.«

»Ich werd’ mir das anschauen«, versprach Lena. »Und dann sag ich Ihnen, ob ich Ihre Begeisterung teilen kann oder net.«

»Natürlich sind die Geschmäcker verschieden«, erwiderte Marion lächelnd. »Aber ich hab’ noch nie jemand erlebt, den unsere Kirch’ und unsere Madonna net fasziniert hätten.«

Lena hob ihre Reisetasche auf. »Dann such’ ich jetzt mal mein Zimmer auf. Kann man sich bei Ihnen abends irgendwo hinsetzen und was trinken?«

»Ja, im Aufenthaltsraum. Das steht auch der Fernseher, außerdem können S’ sich am Kaffeeautomaten bedienen. Sie finden dort auch Mineralwasser und andere gekühlte Getränke.«

»Gut zu wissen. Danke. Wenn S’ mir vielleicht noch erklären können, wie ich gehen muss, damit ich den Asternweg find’.«

Marion beschrieb ihr den Weg, dann stieg Lena die Treppe empor und betrat gleich darauf das Zimmer. Es war geräumig und sehr sauber.

Sie stellte die Reisetasche auf den kleinen Tisch in der Ecke, an dem zwei kleine Sessel standen, schaute in den Schrank und ins Badezimmer und war zufrieden.

Sie begann die Reisetasche auszuräumen, verstaute ihre Kleidung und die Unterwäsche im Schrank und trug die Toilettenartikel ins Badezimmer. Schließlich zog sie sich aus und stellte sich unter die Dusche. Das warme Wasser war wohltuend, und nachdem sie geduscht und sich abgetrocknet hatte, fühlte sie sich wie neu geboren.

Lena zog sich frische Sachen an, kämmte sich die Haare durch und band sie wieder zu einem Pferdeschwanz zusammen. Sie warf einen Blick in den großen Spiegel, an der der Badezimmertür gegenüber liegenden Wand, – und war zufrieden. Das mit Blumen bedruckte, knöchellange Sommerkleid, das sie sich angezogen hatte, verschaffte sowohl ihrer schlanken Taille als auch ihren weiblichen Proportionen vorteilhaft Geltung.

Ein Blick auf die Uhr sagte ihr, dass es auf sechzehn Uhr zuging. Sie trat ans Fenster heran und schaute hinunter. Auf der Straße waren nur wenige Menschen. Lena wandte sich ab und verließ das Zimmer.

*

Sie nahm den Weg, den ihr Marion Trenker beschrieben hatte, und fand den Asternweg sowie das Haus mit dem Heiligen Florian in der Nische über der Haustür. Es war ein großes Haus mit einem umlaufenden Balkon, an dem auch schon die Blumenkästen bepflanzt waren. Allerdings zeigten sich erst wenige Blüten.

Lena wurde klar, warum Jannik während ihrer Studienzeit immer so sehr vom Wachnertal und von St. Johann geschwärmt hatte. Dieser Flecken Erde konnte für einen Menschen, der mit sich selbst im Reinen war, das Paradies auf Erden darstellen.

Sie fragte sich, ob er wohl zu Hause war und wie sehr er überrascht sein würde, wenn sie plötzlich vor seiner Haustür stand. Sie gab sich einen Ruck, entschlossen öffnete sie die Hoftür, ging über einen mit Betonplatten ausgelegten Weg, der beim Haus endete, und las die Namen auf den beiden Klingelschildern.

Zweimal stand da J. Rehfeldt. Etwas unschlüssig verharrte sie.

Da erklang eine Stimme: »Wen suchen S’ denn, junge Frau?«

Lena drehte den Kopf und sah rechterhand bei der Hausecke eine Frau stehen, die eine blaue Wickelschürze trug und ungefähr Mitte fünfzig sein mochte. Die dunklen Haare hatte sie am Hinterkopf zusammengesteckt.

»Grüß Gott«, rief Lena, die ahnte, dass sie Janniks Mutter vor sich hatte. »Mein Name ist Lena Dorner. Ich wollt’ zum Jannik. Wir haben zusammen studiert, und er hat mir damals von seiner Heimat derart vorgeschwärmt, dass ich mich endlich entschlossen hab’, ein paar Tage Urlaub in St. Johann zu machen.«

Kerstin Rehfeldt kam langsam näher. »Lena Dorner …« sinnierte sie halblaut. »Ich glaub’, ich kann mich erinnern, dass der Jannik diesen Namen einige Male erwähnt hat.« Sie war heran und reichte Lena die Hand. »Ich bin seine Mutter. Mein Name ist Kerstin. Grüß Gott. Wo kommen S’ denn her?«

»Ich leb’ in Regensburg.« Sie wies auf die Klingel. »Ich hab’ net gewusst, wo ich läuten soll. Zweimal steht da J. Rehfeldt.«

Kerstin lachte. »Das J. auf dem unteren Schild steht für Josef. Das ist mein Mann. Der Bub bewohnt die Wohnung in der ersten Etage. Leider ist er net daheim. Er ist mit seiner Verlobten, der Franzi, irgendwo in den Bergen unterwegs.«

Lenas Blick flackerte. »Der Jannik ist verlobt?«

»Ja, seit gestern«, antwortete Kerstin Rehfeldt lachend. »Am Besten, Frau Dorner, Sie rufen den Jannik heut’ Abend an. Da ist er auf jeden Fall daheim.«

»Ich hab’ seine Telefonnummer net«, gab Lena zu verstehen. »Ist ja auch egal. Ich bin ja bis zum nächsten Sonntag hier. Es ist für mich kein Problem, abends mal vorbeizuschauen.«

»Ich kann Ihnen seine Handynummer geben«, sagte Janniks Mutter. »Oder noch besser, geben S’ mir Ihre. Dann kann der Jannik mit Ihnen Kontakt aufnehmen.«

Der Bergpfarrer Extra 10 – Heimatroman

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