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Mein Job

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Sie sehen also, ich verdiene meinen Lebensunterhalt, indem ich das Leben anderer beende. Bin ich deswegen ein schlechter Mensch?

Hier eine kleine Denkaufgabe: Wir wissen nicht, wann wir sterben werden. Statistisch steigt mit jedem Tag die Wahrscheinlichkeit, dass wir morgen sterben. Das ist schon ätzend, aber man kann den Tod halt auch mathematisch betrachten: Zu dieser, sagen wir mal Grundwahrscheinlichkeit des Sterbens, kommen verschiedene Faktoren hinzu, die den Tod mehr oder weniger wahrscheinlich machen. Den Burger, den ich gerade bestellt habe, würde ich als Beschleuniger sehen. Er trieft vor Fett und ist so mit Soße vollgeschmiert... Das muss meine Arterien verdrecken. Auf der anderen Seite trinke ich aber jeden Tag mindestens einen Liter grünen Tee, was meine Todes-Wahrscheinlichkeit wieder etwas absenkt.

Zu diesen latenten Faktoren kommen unbekannte Variablen dazu, wie zum Beispiel Autounfälle. Oder dass dir einer ins Gesicht schießt, wenn du gerade deinen Laden zumachst. Wenn man es also so sieht, bin ich nur eine von vielen Variablen, die dazu führen, dass die Lebenszeit sich verkürzt und die Wahrscheinlichkeit des Sterbens ansteigt. Wobei ich schon zugebe, dass ich eine sehr mächtige Variable bin. Meine Erfolgsquote liegt bei 100%. Einmal hat es nicht beim ersten Versuch geklappt, da musste ich später im Krankenhaus ein paar Reparaturarbeiten vornehmen, aber unterm Strich blieb meine Quote perfekt.

Ich komme mit meinem Job gut klar: Manche Leute sterben durch einen Herzinfarkt, manche durch einen Unfall, manche durch ein Verbrechen. Und ein paar davon verdienen es nicht besser. Wobei ich das so nicht sagen kann, denn ich kenne die meisten meiner Kunden nicht.

Wenn ich einen Job erledige, läuft das meistens nach dem gleichen Prinzip ab: Ricardo kontaktiert mich und wir treffen uns. Er teilt mir mit, wen ich erledigen soll und was ich dafür bekomme. Ich gehe dann in die Planungsphase. Sie haben ja schon gemerkt, dass ich es mit der Mathematik habe. Meiner Meinung nach besteht ein guter Mord aus einer Rechnung mit verschiedenen Variablen: Mordwaffe, Opfer, Ort, Zeit und dann noch die große Unbekannte X: Das können zufällige Besuche durch Freunde, Nachbarn, ein neues Haustier (am besten ein Hund) oder sonst was sein. Ich versuche mir innerhalb von drei Tagen möglichst viele Informationen zu verschaffen. Warum drei Tage? Nach drei Tagen beginnt man, die Zielperson unter menschlichen Gesichtspunkten zu betrachten. Man hat ihn in familiären Situationen erlebt, weiß, dass er vielleicht ein total anständiger Typ ist, mit dem man vielleicht sogar befreundet wäre. Das ist hinderlich. Deswegen drei Tage.

Nachdem ich den jeweiligen Typen erledigt habe, treffe ich mich mit Ricardo und übergebe ihm den Tatwagen. Er schafft ihn weg und beseitigt ihn. Ricardo gehört im kriminellen Milieu zu dem, was man in der normalen Welt „mittleres Management“ bezeichnet. Er steht höher als der Fußsoldat, muss sich aber trotzdem noch selbst die Hände schmutzig machen. Er arbeitet für den Boss der Stadt: Gian Mateo. Der lenkt alle Geschäfte, die hier laufen. Er ist wie ein Krebsgeschwür, das die gesamte Stadt durchsetzt hat - und keiner tut was dagegen. Politiker, Richter, Bullen! Alle stehen auf seiner Weihnachtsliste und bekommen ein hübsches Geschenk.

Da ich meine Aufträge ausschließlich von Ricardo bekomme und der nur für Mateo arbeitet, bin ich quasi dessen outgesourcter Exklusiv-Killer. Moderne Zeiten!

Naja, so sieht auf jeden Fall das Standart-Programm aus. Alles sehr entspannt. Routine, aber diesmal von der guten Sorte. Bis mein Handy klingelte.

Diner-Treffen

„Abend“, sagte Ricardo und platzierte seinen massigen Körper Ian gegenüber.

Ricardo war nicht fett oder dick, er war einfach nur... groß.

„Hi“, brummte Ian. Er mochte Ricardo, aber das musste der nicht wissen.

„Schon bestellt?“

Ian nickte.

„Hätte mich ja auch gewundert.“

Wie aufs Stichwort kam Sally und stellte einen riesigen Fast-Food-Teller vor Ian ab: „Bitte“, sagte sie lächelnd.

„Ich hätte gerne dasselbe“, sagte Ricardo und zeigte mit dem ausgestreckten Finger auf Ians Essen. Sally nickte: „Kommt sofort.“

Ian nahm sich Besteck und begann, sein Abendessen zu vernichten. Ricardo beobachtete ihn dabei: „Hat alles geklappt?“

Ian nickte.

„Sehr gut.“ Ricardo lehnte sich zurück. „Hat dich irgendjemand gesehen?“

Ian schluckte einen Bissen Fleisch runter: „Nein. Und selbst wenn: Das ist so eine Drecksgegend, da kümmert sich jeder nur um sich selbst.“

„Stimmt.“

„Früher wäre das nicht so einfach gegangen.“

„Wie meinst du das? Mit den scheiß Bullen und Kameras ist alles viel schwerer geworden!“

Ian schüttelte den Kopf: „Nein, das meine ich nicht. Früher haben die Leute mehr nacheinander geschaut. Weißt du, wie dein Nachbar heißt?“

Ricardo strahlte: „Ich glaube Richardson oder so. Ne fette Schwuchtel, die dauernd Stress mit ihren Stechern hat.“

Ian verdrehte die Augen: Er konnte Ricardo gut leiden, aber er hasste seinen permanenten Rassismus, Sexismus und was man sonst noch so an gehirntechnischen Armutszeugnissen haben konnte.

„Wo steht der Wagen?“ Ricardo wusste, dass Ian solche Sprüche nicht leiden konnte und er versuchte sie sich in dessen Gegenwart zu verkneifen, aber es klappte halt nicht immer.

„Auf dem Mond.“

„Hä?“

„Wo wohl? Auf dem scheiß Parkplatz, Mann.“

Ian wuselte mit der rechten Hand in der Hosentasche herum und schob Ricardo den Schlüssel rüber. Der griff ihn sich schnell und steckte ihn ein.

„Gut.“

Sally kam und stellte das Essen vor Ricardo ab.

Ricardo nahm den Burger in die Hand: „Was machst du heute Abend?“

Ian zuckte mit den Schultern: „Keine Ahnung. Vielleicht gehe ich ins Kino und schau mir einen Film an.“

Ricardo schüttelte resigniert den Kopf: „Filme... Ich verstehe nicht, was du daran so geil findest. Das ist nur was für Idioten. Du musst schon voll geistig behindert sein, um dir dauernd sowas reinzuziehen.“

Ian warf ihm einen bösen Blick zu.

„Na gut“, verbesserte sich Ricardo. „Ich meine, du musst voll dumm sein, total dämlich.“

Die beiden Männer schwiegen, während sie ihr Essen in sich hineinschlangen.

Dann verließen sie den Diner und trennten sich voneinander.

Die Todesformel des Ian Degry

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