Читать книгу Sand in den Wasseruhren - Torsten Kelsch - Страница 4

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Ein Körnchen Wahrheit macht noch keinen Sandkuchen

Wunderheiler

Zeit heilt alle Wunden,

aber nur die runden.

Eckige sind schlimmer,

Zeit heilt diese nimmer.

Schätze

Manche verwahren

Juwelen und Gold

hinter Schlössern und Riegeln.

Ich aber muss die

Momente und Tage

im Kopf nicht versiegeln.

Richtig und falsch

War es richtig

oder falsch?

Ich passe.

War es böse

oder gut?

Null Ahnung.

War’s daneben

oder nett?

Sag du’s mir.

Gibt es richtig

oder falsch?

Ich weiß nicht.

Sinn

Der eine Mensch ist

Egoist,

ein anderer ein

Altruist,

ein dritter gibt sich

Gott ganz hin.

Wofür man leben

kann und soll,

darüber stehn die

Bücher voll.

Wir suchen alle

nach dem Sinn.

Denkmal

Denkmal ragt in den Himmel

und sagt

STARBEN DEN TOD FÜRS VATERLAND

und

DEN HELDEN ZUM EWIGEN GEDÄCHTNIS

Spiegel

Ich bin allein im Raum.

Ich schaue in den Spiegel

und sehe mir ins Gesicht,

und ich weiß nicht:

bin ich allein im Raum?

Verlust des Glücks

Zu Zeiten, als wir noch Kinder waren,

da hat das Glück uns oftmals gefunden,

beim Spiel mit Klötzen, vielleicht mit Hunden.

Wir spürten Glück in Füßen und Haaren.

Doch als Erwachsene, stumpf und rüde,

will selbst im Fall von riesigen Dingen

Zufriedenheit uns nur schwer gelingen.

So ist das Glück geflohen, sehr müde.

Wir wollen wieder zu Kindern schrumpfen,

uns an den kleinen Dingen erfreuen.

Dann wird das Glück sich nicht länger scheuen,

zurück zu sein, bevor wir versumpfen.

Spinne

Ich habe Angst vor der Spinne,

die Spinne hat Angst vor mir.

Zwar weiß ich, dass ich gewinne

im Kampf mit dem Mini-Tier;

ich hab noch nicht mal gewisse

Bedenken, sie könnt’ was tun;

auch wenn sie mutig mich bisse:

gefährlicher wär’ ein Huhn;

die Spinne kann mir nicht schaden,

doch schreie ich wie am Spieß.

Sie hängt ganz harmlos am Faden.

Arachnophobie ist mies!

Noah

Ich ziehe die Klospülung

und mache die Hose zu.

Aber da wird das Rauschen lauter,

da wird die Spülung zum Wasserfall.

Das Wasser läuft über den Toilettenrand,

überschwemmt mein ganzes Bad.

Es ist entsetzlich laut,

die Wassermassen donnern und tosen.

Ich flüchte aus der Wohnung.

Auf der Straße stehend beobachte ich,

wie das Wasser die Fensterscheiben zerdrückt

und nach draußen sprudelt.

Ich werde aus der Stadt fliehen.

Bis das Wasser das ganze Land überschwemmt,

wird noch etwas Zeit vergehen.

Ich werde ein Schiff gebaut haben.

Fluss

Ich kann mich an den Fluss

des Lebens nicht gewöhnen,

er strömt in vage Fernen.

Ich kann ihn nicht zum Stillstand bringen,

ich kann ihn nicht zur Pause zwingen,

auch wenn ich seinen Lauf nicht liebe.

Ach, wenn er doch mal stehen bliebe

an ganz besonders schönen Stellen,

erst recht vor schlimmen Wasserfällen.

Doch immer will er weiterfließen,

spült alles Gold fort, das ich siebe,

das kann mich oftmals sehr verdrießen.

Ich glaube fast, ich muss –

und mag ich dabei stöhnen –

das Treibenlassen lernen.

Sandstrand

Ich sehe Sand in meinen Träumen,

weißen, sauberen Sand.

Ich möchte an den Strand – mit dir, jetzt.

Ich will mich wälzen im Sand,

auf diesen Millionen winzigen, harten

Steinchen, die zusammen doch so weich sind.

Hinwerfen will ich mich auf den Sand,

mich eingraben, darin herumwühlen, die Körnchen

über meinen Kopf und Körper rieseln lassen;

Gräben buddeln im Sand, Löcher, Höhlen;

Burgen bauen, Kunstwerke errichten,

wenn auch schnell vergängliche.

Ich liebe den Sand, der so beständig ist

und so veränderlich; die Dünen, die Strände,

die Sandbänke, den Boden des Meeres.

Der Sand dringt in mein Leben ein:

ich schüttele ihn abends aus den Schuhen,

reibe ihn mir morgens aus den Augen.

Er rieselt sogar

in meine Träume

nachts.

Griff nach Glück

Ich begreife nicht die Behauptung,

das Glück sei greifbar nah: Vergebens

öffne und schließe ich die Hände.

Ich schwinge meine Arme,

fuchtele wild herum,

aber das Glück kriege ich nie zu fassen.

Das bringt mich schließlich aus der Fassung.

Ich drehe mich um meine eigene Achse

und reiße die Augen weit auf …

Mag sein, dass das Glück greifbar ist,

aber es ist auf jeden Fall unsichtbar.

Es ist einfach nicht zu fassen.

Feinde

Die Hunde beißen nicht mehr,

die Raben sind fortgeflogen,

der Sand lässt sich zu Kunstwerken verarbeiten:

Ich habe mich ausgesöhnt mit allem,

was mir als Feind erschien.

Ich habe mich ausgesöhnt mit der Welt.

Ich will die Welt nicht mehr verändern,

wodurch jedoch ich mich verändere

und dadurch die Welt und die wieder mich.

Das Orakel vom Delphin

»Wasser lassen unter Wasser unterlassen!«

Hochwasser

Als das Hochwasser kam,

verstand ich nicht,

warum ich nie einen

Damm gebaut hatte.

Mag sein, der Damm

hätte dem Wasser

nicht standgehalten.

Vermutlich aber doch.

Die Wahrscheinlichkeit,

alles zu verlieren,

wäre wesentlich

geringer gewesen.

Wandel

Wandel der Zeiten

Wandel der Gezeiten

Wandel der Geschlechter

Wandel der Schlächter

Wandel der Opfer

Wann denn

Wann denn,

wann wandelt sich etwas,

und was wandelt sich,

und woran ist der Wandel erkennbar,

und wo liegen die Ursachen des Wandels?

Der Wandel erscheint ganz schön verworren,

das macht uns verwirrt.

Und ist er überhaupt Entwicklung

oder Rückentwicklung?

Ist der Wandel ein Rückschritt?

Ein Rückschritt zur

Windel ist der Wandel,

Wandel zur Windel,

bildlich gesprochen,

also beschissen.

Ratte

Ich

als Ratte

bewundere die Menschen.

Sie sind so klug

und so schöpferisch.

Zum Beispiel erschaffen sie

große musikalische Werke.

Gerade läuft mein Lieblingsstück im Radio.

Sie spielen Musik

in der Tierversuchsanstalt.

Wir Klugen

Zu glauben, man sei klug

als so ein Menschenwesen:

ist das nicht Selbstbetrug,

und sei man auch belesen?

Zu glauben, ich sei schlau,

das will ich gar nicht wagen,

da wird mir ziemlich flau,

ganz schwummerig im Magen.

Zu glauben, man sei toll,

der Schöpfung Sahnehaube,

das ist nicht würdevoll.

Ein arroganter Glaube!

Sand in den Wasseruhren

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