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Die Zehn Gebote

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Das ist schon eine praktische Sache. Die Kleine ist ja erst neun und die kann man damit noch unter Druck setzen. Der Junge ist darin Spezialist. Sie will nicht das tun, was er sagt? Werden wir doch mal sehen. Wussten Sie, dass eines der Zehn Gebote sagt „Du sollst Deinen großen Bruder bedienen“? Sehen Sie, auch Sie bedürfen noch der Erziehung. Dass er sich selbst gegen mindestens drei Gebote versündigt hat, zählt nicht. Vater und Mutter ehren, nicht stehlen und nicht lügen; hallo …? Wie 60er Jahre ist das denn? Außerdem sollen die Menschen ja auch nicht das tun, was er tut, sondern das, was er sagt. Und wenn sich die Kleine nicht manipulieren lässt, dann kriegt sie halt eine Ohrfeige. Das Jugendschutzgesetz gilt ja nur für Erwachsene. Und außerdem ist er mit dreizehn ja noch gar nicht strafmündig.

Aber am Allerschlimmsten ist ja, dass sogar die Lehrer ihn nicht respektieren. Die verlangen doch glatt, dass man im Unterricht sitzen bleibt, die Klappe hält, nicht die Mitschüler disst (von engl. disrespect, discriminate oder discredit abgeleitetes Verb; Abkürzung für Diskreditieren oder Diskriminieren), und sein Blätterwerk in Ordnung hält. „Am Ende soll ich wohl auch noch lernen?“ OMG (Geheimsprache für: „Oh My God“) womit haben die mich verdient.

Und so kam es auch, dass ich zur Klassenkonferenz geladen wurde, um mich in Sachen gründliches Versagen in der Erziehung zu rechtfertigen. Natürlich musste es meine Schuld sein, dass der Junge sich schlecht verhielt, und wenn er dann der Klasse verwiesen wurde, noch „blöde Lehrer“ murmelte. Zuerst wies man aber noch darauf hin, dass ich ja eigentlich gar nicht erziehungsberechtigt bin, man aber mal eine Ausnahme mache. Cleverer Schachzug dies vor einem renitenten Schüler zu erwähnen. Danke für die Stärkung meiner Position. Aber man muss es den Lehrern nachsehen, denn sicher haben sie keine Kinder und somit auch keine gründliche Erziehung. Sie glauben sich noch immer als Respektsperson. Die Armen!

Nun, ich parkte also auf dem Schulparkplatz und begab mich zu Fuß zum Haupteingang. Auf den 150 Metern dorthin strömte mir die hoffnungsträchtige Jugend entgegen. All diese Lieben, die einmal Deutschlands Ruf als Land der Dichter und Denker hochhalten werden, und für unsere Rente sorgen. Nachdem ich mich zweimal vor jeweils in Dreiergruppen nebeneinander gehenden Zwölfjährigen mit schwerem Abendmakeup auf die Straße geflüchtet hatte kam in mir aufmüpfiger Trotz auf. Ich würde auf dem Gehsteig bleiben! Die nächste Gruppe rammte mir ihre Designerschultasche gegen die Brust und ging mit einem gänsehaften Gegackere weiter. Nun war mir auch klar, warum diese Designertaschen zweieinhalb Kindergelder kosten. Sie sind extrem gut gearbeitet und nahkampfgeeignet. Die nächste Gruppe sah mich schon von weitem strafend an und rempelte sich dann mit einem „Ey Alder“ an mir vorbei. Die dritte Gruppe bestand aus mindestens Vierzehnjährigen, denn sie sahen aus wie 24, und ich wich einem Bodycheck auf die Straße aus. Ich hatte sowieso schon eine leichte Thoraxprellung. Dort wurde ich fast von einem Schüler auf einem Fahrrad getötet, der mir dann noch ein „Du Opfer“ nachrief.

Nun also saß ich mit meinen 188 cm und 112 Kg Kampfgewicht auf einem Schülerstühlchen, und lauschte dem Vortrag wegen des fehlenden Respekts meines Jungen. Nach der Anhörung wurden wir vor die Tür geschickt, und das Gremium zog sich zur Beratung zurück.

Nach nur einer Viertelstunde wurden die Sanktionen verkündet. Der Junge bekam zwei Tage Ausschluss vom Unterricht. Mein Unterkiefer fiel herab. Zu meiner Zeit brauchte man dafür noch eine Entschuldigung. OMG welch eine Strafe! Dann musste er die Papierkörbe leeren und nach jeder Stunde ein Smiley in das Heft eintragen lassen. Aber das war noch nicht alles. Das Kollegium holte aus zum ultimativen Schlag der immer dann erfolgt, wenn die Pädagogik und die Pädagogen versagen. Die Spannung stieg ins Unerträgliche und die Lehrerin sagte: „Sie sollten mal mit einem Psychotherapeuten sprechen“.

Aber er besserte sich. Es vergingen endlose vier Tage, bis er die Lehrer wieder mit mangelndem Respekt für ihre unverschämten Forderungen bestrafte. Aber er schien auch Großmut gelernt zu haben, denn am Ende der Stunde bot er dem Lehrer die Chance seinen Fehler ohne Gesichtsverlust wieder gut zu machen. Er sagte: „Warum müssen wir denn streiten? Man sieht es Ihnen doch an, dass Sie private Probleme haben und deshalb so sauer sind“. Dass der Lehrer diese Geste als Impertinenz empfand, werde ich nie verstehen. Das war doch ein pädagogisches Meisterstück. Nun ja, als ich dazu Stellung nehmen musste, fragte man mich prompt, ob ich einen Termin mit dem Therapeuten gemacht hatte. Kleinlaut gab ich zu, dass ich mir nicht sicher war, ob ich den Termin für den Lehrer oder für mich hätte machen sollen.

Tu das nie wieder...

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