Читать книгу Frauen sind die besseren Männer - U. S. Levin - Страница 7
Aufklärung tut dringend not
ОглавлениеIch möchte versuchen, den knochenharten Job eines verheirateten Buchautors am Beispiel eines einzigen Arbeitstages zu schildern. Nehmen wir an, es ist ein Donnerstag. Drei Tage aufreibender Schreib- und Schwerstarbeit sind bewältigt – vier weitere gilt es erhobenen Hauptes zu bestehen. Schriftsteller haben noch immer die Siebentagewoche.
7.32 Uhr! – Gnadenlos rasselt der Wecker. Eine merkwürdige Zeit! Aber auf 7:30 Uhr bekomme ich den altersschwachen Wecker einfach nicht gestellt. Ich quäle mich aus dem Bett und verschwinde im Bad, dabei versuche ich, die beiden verlorenen Minuten wieder hereinzuholen.
7.58 Uhr! – Frisch gestylt, rasiert und besprayt verlasse ich die häusliche Frischeoase und schlüpfe in ein bequemes T-Shirt und in eine ausgebeulte Jogginghose.
8.01 Uhr! – Ich gehe zum Briefkasten und hole die Zeitung. Den Leitartikel lese ich bereits im Aufzug. Die knappen, aber treffenden Formulierungen versetzen mich in Schreiblaune.
8.06 Uhr! – Ich setze die Kaffeemaschine in Gang und schiebe zwei Scheiben Weißbrot in den Toaster. Die Zeit dehnt sich zur Ewigkeit. Ehe ich bemerke, dass sich der Zeitschalter auf acht Minuten verstellt hat, erfüllt beißender Brandgeruch die Küche. Ich will das Fenster aufreißen. Welches Fenster? Unsere Küche hat kein Fenster, nur eine Durchreiche zur Wohnstube.
8.13 Uhr! – Endlich! Ich sitze am Frühstückstisch, trinke den ersten Schluck Kaffee, beiße eine kleine Ecke vom Brot ab und überfliege die Schlagzeilen. Plötzlich klingelt es. Felix Stürzler, mein Nachbar, steht vor der Tür.
„Mein Fernseher ist kaputt“, stöhnt er.
„Was kann ich denn dafür?“
„Ich wollte mir nur euer Gerät borgen. Du guckst doch ohnehin kaum fern.“
„Aber … wie stellst du dir das vor?“
„Ist doch nur für ein paar Tage“, beschwichtigt mich Felix und schleppt bereits unseren Fernseher aus der Wohnung.
8.47 Uhr! – Ich widme mich wieder der Zeitung und bin jetzt im Sportteil angelangt. Die fette Schlagzeile Kaiser Franz mit Millionen-Werbevertrag hebt sich von der belanglosen Berichterstattung ab. Was hat dieser Mann, was ich nicht habe? „Geld ist für mich nur bedrucktes Papier“, hat er mal in einem Fernsehinterview gesagt. Ich möchte gern Franz Beckenbauer sein, dann hätte ich nicht meine Probleme, sondern seine!
„ Hallo, Uwe, ich glaube, mit deinem Auto stimmt was nicht!“
8.50 Uhr! – Es klingelt. Felix Stürzler steht schon wieder vor unserer Wohnungstür.
„Ich brauche deine Hilfe!“
„Aber du hast doch schon unseren Fernseher.“
„Ja, aber meinen muss ich zur Reparatur bringen.“
„Soll ich dir tragen helfen?“, frage ich vorsichtig.
„Denkst du etwa, ich kann das schwere Ding allein schleppen?“
„Nein, natürlich nicht“, entschuldige ich mich und ziehe meine Jacke über.
„Vergiss deinen Autoschlüssel nicht!“, sagt er mit einem kategorischen Imperativ. Wie selbstverständlich nehme ich meinen Autoschlüssel vom Schlüsselbrett. Im Aufzug, wir haben das Gerät abgesetzt, frage ich ihn: „Wozu brauchen wir meinen Autoschlüssel?“
„Irgendwie muss ich doch meinen Fernseher in die Werkstatt bekommen!“
„Heißt das … willst du etwa damit sagen, dass …“
„Nun gib schon den Schlüssel her!“ Er reißt ihn mir aus der Hand. „Mein Wagen ist in Reparatur!“
9.14 Uhr! – Ich sitze mit genau vierzehn Minuten Verspätung am Schreibtisch und beginne die beiden Satiren, die ich letzte Woche verfasst habe, zu überarbeiten. Nach dem ersten Absatz meldet sich das Telefon. Meine Frau ist dran.
„Du, es wird heute etwas später. Geh bitte einkaufen! Wir brauchen Brot, Butter, Milch, Ketchup, eine Gurke, ein paar Tomaten, aber keine holländischen, Kaffee, Filtertüten, ein Stück Seife, die Fernsehzeitschrift für nächste …“
„Die brauchen wir nicht mehr.“
„Wieso?“
„Ich habe Felix unseren Apparat geliehen, seiner ist …“
„Du hast was!?“ – Ich lege schnell auf, schnappe den Einkaufskorb und sprinte zur Tür. Wieder klingelt das Telefon.
„Warum hast du aufgelegt?“
„Aber Schatz, ich habe nicht aufgelegt, wir müssen unterbrochen worden sein.“
„Du gehst jetzt sofort in die Kaufhalle und holst all das, was ich dir aufgetragen habe! Und wenn ich nach Hause komme, steht unser Fernseher wieder da, wo er immer steht! Verstanden?“
10.08 Uhr! – Ich setze die schweren Einkaufstaschen in der Küche ab und verstaue alles im Kühlschrank, zerstreut wie ich bin, auch die Seife. Plötzlich klingelt das Telefon. Diesmal ist es mein Verleger Dr. Wilfried Hunger.
„Wie weit sind Sie mit den noch ausstehenden Texten?“, fragt er ungeduldig.
„Nun ja, um ganz ehrlich zu sein …“, antworte ich ausweichend.
„Nun hören Sie mir mal gut zu! Sie denken wohl, Sie sind der einzige begabte Autor. Bis nächste Woche liegen die Geschichten auf meinem Tisch oder Sie können Ihr nächstes Buch in den Wind schreiben!“
„Sie können auf mich zählen. Ich werde mich sofort an die Arbeit machen.“
Ich setze mich an meinen Schreibtisch und lasse die neuen Satiren vorerst ruhen. Als ich die erste Textdatei laden will, klingelt erneut das Telefon.
„Hast du den Fernseher geholt?“ Früher klang die Stimme meiner Frau reizend, jetzt nur noch gereizt.
„Schatz, ich bin gerade vom Einkauf zurück. Aber ich gehe sofort zu Felix runter und hole ihn.“
„Das will ich dir auch geraten haben! Sonst gnade dir Gott!“
10.39 Uhr! – Ich klingle verzweifelt bei Stürzlers. Niemand macht auf oder will aufmachen. Ich muss es später noch einmal versuchen.
10.44 Uhr! – Zurück am Schreibtisch. Ich hoffe, endlich die nötige Ruhe zu finden, um an meinen Geschichten weiterarbeiten zu können. Das Telefon meldet sich.
„Ich bin’s, Richard!“, dröhnt die tiefe Stimme meines Freundes und Kunstmalers Richard Querstrich durch die Leitung.
„Du, im Moment hab ich alle Hände voll zu tun!“, versuche ich ihn abzuwimmeln.
„Schön für dich. Ich liebe auch diese kreativen Phasen. Aber was ich sagen wollte, ich habe ein neues Bild gemalt.“
„Schön, Richard, bei Gelegenheit sehe ich’s mir an.“
„In Ordnung, die Gelegenheit hast du jetzt. Du brauchst nur mal schnell an deine Wohnungstür zu kommen!“
Verdutzt lege ich auf. Tatsächlich, Richard Querstrich steht vor unserer Tür, ein Handy am Ohr und lächelt mich spitzbübisch an.
„Da staunst du, was? Genial. Diese Dinger sind einfach genial.“
„Ich hab nicht viel Zeit.“
„Nur fünf Minuten für einen guten Freund“, bettelt er, steht bereits im Korridor und wickelt sein Bild aus.
„Aber wirklich nur fünf Minuten“, werde ich weich.
Aus den fünf Minuten wird eine geschlagene Stunde mit zwei Flaschen Bier und drei Gläschen Kognak. Ich lobe das Bild in der Hoffnung, ihn auf diese Weise loszuwerden. Leider erwächst mir daraus eine Kaufverpflichtung.
„Ich mache dir einen Sonderpreis!“, lockt Richard geschäftstüchtig. „Dreihundert Euro. Komm, das ist halb geschenkt!“
„Ich möchte es nicht einmal ganz geschenkt!“, wehre ich ab.
„Dir gefällt es also gar nicht, du Heuchler“, wirft er mir beleidigt an den Kopf.
„Nein, Richard, nur im Moment habe ich andere Sorgen, als dir ein Bild abzukaufen.“
„Na schön, du elender Feilscher, ich komme dir entgegen. Einhundert Euro. Mein letztes Angebot.“
Ich gebe Richard den Hunderter und freue mich über die teuer erkaufte Ruhe.
12.10 Uhr! – Mein Magen fordert ungeduldig sein Recht auf Nahrung ein. Bevor ich weiterarbeiten kann, muss ich ihn erst mal zufriedenstellen. Ich hole mir ein halbes Grillhähnchen und würge das trockene Fleisch hinunter.
12.43 Uhr! – Ich lese die erste Geschichte und weiß plötzlich, wo ihre Schwächen liegen. Mitten in meine Suche nach passenden Formulierungen schrillt die Klingel. Felix steht vor unserer Wohnungstür, Hose und Jacke zerrissen und mit Brandflecken, die noch etwas qualmen.
„Was ist denn mit dir passiert?“, frage ich über diesen seltenen Anblick belustigt.
„Frage lieber, was mit deinem Wagen passiert ist!“
Der Schock sitzt. Ich ahne Schlimmes.
„Du hattest einen Unfall!“, stelle ich dann doch erstaunlich nüchtern fest, obwohl die drei Kognaks noch immer ihre Wirkung zeigen.
„Mit Fahrerflucht! – Hier ist dein Schlüssel!“
„Du bist getürmt?“, frage ich entsetzt.
„Ich hab die Nerven verloren“, winselt Felix, macht auf den Absätzen kehrt und verschanzt sich hinter seiner Wohnungstür.
Mir dreht sich plötzlich alles im Kopf. Es ist völlig unmöglich, in diesem Zustand geistiger Umnachtung noch eine einzige Zeile zu schreiben. Ich gehe ins Wohnzimmer, versinke in einem der weichen Sessel und warte. Warte worauf? Dass es vielleicht wieder klingelt?
13.21 Uhr! – Es klingelt wieder. Zwei uniformierte Beamte sehen mich vorwurfsvoll an.
„Sind Sie der Halter des Wagens L-BU 1810?“
„Ja, das bin ich …“
„Oh“, stöhnt der zweite, „der ist ja voll wie ein Schichtbus.“
„Herr Wachtmeister, ich kann alles erklären.“
„Wir sind gespannt.“
„Ich bin seit mindestens drei Tagen nicht gefahren, weder mit meinem, noch mit einem anderen Auto“, versuche ich den misstrauischen Grünlingen begreiflich zu machen.
„Dann erklären Sie uns doch bitte mal“, fordert der zweite Polizist, „warum die Motorhaube Ihres Wagens noch warm ist!“
„Die Reste der Motorhaube“, verbessert ihn der erste.
„Ich hatte mein Auto verborgt.“
„Das ist kein sehr origineller Witz!“, funkelt mich der zweite böse an.
„Wir müssen Sie auffordern mitzukommen!“
„Wohin?“
„Ins Krankenhaus zur Blutprobe.“
„Ich kann trinken, wann ich will und wie viel ich will“, protestiere ich energisch. „Ich kenne meine Rechte.“
„Aber nicht, wenn Sie in trunkenem Zustand Auto fahren!“
„Ich bin nicht Auto gefahren, schon seit drei Tagen nicht.“
„Wer dann?“
„Ich.“ Die beiden Polizisten drehen sich verwundert um. Felix Stürzler steht hinter ihnen, den Kopf schuldbeladen gesenkt. Die beiden Polizisten entschuldigen sich und nehmen Felix Stürzler in ihre Mitte.
13.46 Uhr! – Ich bin endlich allein. Vor Felix habe ich vorerst Ruhe. Ich überlege einen Moment, ob ich noch einmal den Computer anmachen soll, entschließe mich aber, den heutigen Arbeitstag zu beenden.
13.49 Uhr! – Das Telefon klingelt. „Hast du endlich unseren Fernseher geholt?“ – Der Fernseher, schreie ich innerlich auf. „Tut mir leid, es ist etwas dazwischengekommen.“
„Dazwischengekommen!?“, brüllt meine Frau. „Was machst du eigentlich den ganzen Tag?“
„Das frage ich mich mittlerweile auch.“
„Auf der Stelle holst du unseren Fernseher!“
„Das ist im Moment nicht möglich.“
„Was soll das heißen, nicht möglich?“
„Felix ist nicht zu Hause. Vor einer halben Stunde wurde er verhaftet.“
„Verhaftet? Weshalb?“, flötet meine Frau schadenfroh durchs Telefon.
„Er hat einen schweren Unfall verursacht und ist danach abgehauen.“
„Ich hab’s immer gewusst, eines Tages geht es diesem Verkehrsrowdy an den Kragen“, weiß meine Frau und sagt mit tiefster Verachtung: „Das sieht diesem Feigling ähnlich, Fahrerflucht!“
„Und das auch noch mit unserem Auto“, ergänze ich der Vollständigkeit halber.
„Sag das noch mal!“, schreit meine Frau hysterisch.
Schweren Herzens erfülle ich ihr diesen Wunsch.
„Das ist ja interessant, das ist ja hochinteressant“, sprüht sie ihren Zynismus durch die Leitung. „Erst gibst du diesem Choleriker unseren Fernseher und dann auch noch das Auto. Ich möchte wetten, du hast heute noch keinen müden Euro verdient.“
„Aber hundert Euro ausgegeben, für ein mittelmäßiges Bild von Richard Querstrich.“