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Die vergessenen Helden von Tschernobyl

Udo Fehring

Für meine geliebte Heidi


Impressum

Texte: © Copyright by Udo Fehring

Umschlag: © Copyright by Udo Fehring

Kontakt zum Autor: udo.fehring@web.de

Druck: epubli, ein Service der

neopubli GmbH, Berlin

Printed in Germany

Vorwort

Tschernobyl – dieses Wort steht für den ersten atomaren Super-GAU in der Welt.

Es folgte irgendwann Fukushima, aber Tschernobyl ist ein Synonym dafür, dass Atomkraft nicht mehr per se sicher ist und nie eine Gefahr von ihr ausgehen kann.

Wann immer von Tschernobyl die Rede ist, ist die Rede von einer Katastrophe, wohl auch zu Recht.

Die Ukraine und die Welt wurden durch Tschernobyl mit etwas konfrontiert, was sie bisher nicht kannte, freie Radioaktivität in sehr hoher Konzentration.

Das spiegelte sich auch in der Art und Weise der ergriffenen Aktionen, u.a. um den Brand zu löschen oder z.B. die Radioaktivität einzudämmen, die vom Katastrophenort ausging.

Menschen arbeiteten teilweise ungeschützt, ausgesetzt den um tausendfach erhöhten Strahlenwerten. Sie wurden so zum „Kanonenfutter“ für die Rettung der Menschen in den umliegenden Gegenden wie auch im größeren Umkreis.

Diese Menschen, auch Liquidatoren genannt (Anm. des Autors: Liquidatoren waren Leute, die die „ionisierende Strahlung“ eindämmen („liquidieren“) bzw. das umliegende Gebiet dekontaminieren sollten), gaben ihr Leben, um andere zu schützen oder um weitere, noch viel größere Katastrophen zu verhindern.

Und genau diesen Menschen widmet sich das vorliegende Buch.

Es waren wirkliche Helden, die in verschiedenen Aktionen am Unglücksreaktor die entstandene Katastrophe eingedämmt hatten.

Und diese Helden darf man nie mehr vergessen.

Ja, sie bekamen Auszeichnungen wie Urkunden oder Orden, aber das sind nur materielle Anzeichen.

Es ist wichtig, dass man Ihnen weiter gedenkt, ob sie gestorben sind oder weiter leben.

Ihre Taten sollten auf jeden Fall weiterleben in den Erinnerungen der Ukrainer, Weißrussen und Russen.

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Die vorliegende Geschichte handelt von fiktiven Personen, aber die Eckpunkte der Geschichte entsprechen der Realität, wie sie sich seinerzeit in und um Tschernobyl abgespielt haben.

Samstag, 26. April 1986

Kiew, Ukraine, Sowjetunion

Es war ein wunderschöner Frühlingstag in Kiew, in der Ukraine, welche seinerzeit noch zur Sowjetunion gehörte. Die Sonne schien vom Himmel herab und man ahnte, dass der Sommer nicht mehr fern war.

Wadim und Oleg wohnten mit ihren Familien in einem Wohnblock am Rande der Stadt mit schönen Grünanlagen hinter dem Haus.

Beide waren glücklich verheiratet: Wadim mit Anna. Sie hatten eine vierjährige Tochter namens Marusha. Oleg war mit Darja verheiratet. Sie hatten zwei Söhne: Alexander war drei Jahre und Michail fünf.

Beide Familien unternahmen viel miteinander. An diesem Samstag waren die Familien zu einem Kindergartenfest ihrer Kinder. Die Frauen verkauften leckere, selbst zubereitete Speisen: Zu Mittag gab es Borschtsch, den, wenn es um Wadim’s Meinung ging, keiner so gut kochen konnte wie seine Frau Anna. Darja half Anna beim Verkauf, denn es hatte sich herumgesprochen, wie gut Anna’s Borschtsch war und dementsprechnd groß war der Andrang.

Die Männer hatten „Außendienst“: Wadim hatte „Dienst“ am Grill und verkaufte leckere Würstchen und Fleischspieße und Oleg hatte einen kleinen Parcours für Bobbycars aufgebaut, wo die Kinder ihre Geschicklichkeit zeigen mussten.

Viele Eltern hatten draußen ihre Picknicktücher ausgebreitet und teilten dort Ihre leckeren Mitbringsel: Salate, Brote und Kuchen. Die Kinder tollten in den Außenanlagen herum: Schaukeln und Klettergerüste, die die Väter eine Woche zuvor auf „Vordermann“ gebracht hatten.

Es war einfach herrlich!

Am Abend fielen alle ziemlich geschafft in ihre Betten, die viele frische Luft und der anstrengende Tag forderten ihren Tribut.

Am Sonntag gingen beide Familien wie gewohnt zum Gottesdienst in der nahegelegenen orthodoxen Gemeinde, zumal es dort auch jeden Sonntag einen Kindergottesdienst gab, auf den sich die Kinder immer riesig freuten.

Danach beschlossen die Familien ob der vielen Reste, die sie vom Vortag vom Kindergarten mit nach Hause genommen hatten, abermals ein Picknick in den Grünauen des Flusses Dnjepr zu machen.

Dort konnten die Kinder ungestört rumtollen und die Erwachsenen konnten entspannt ein Schwätzchen halten.

Das Wochenende war dann, wie meist immer, viel zu schnell zu Ende und es stand wieder eine Arbeitswoche vor der Tür.

Wadim arbeitete als Feuerwehrmann in einer Wache im nördlichen Kiew. Die Arbeit machte ihm viel Spaß: Es bereitete ihm Freude, Menschen mit seiner Arbeit zu helfen. Aber es gab auch immer wieder schwere Momente in seinem Arbeitsleben, wenn Menschen z.B. nicht mehr aus Häusern gerettet werden konnten. Und er war sich dann auch nicht zu schade, schon mal psychologische Hilfe für eine kurze Zeit in Anspruch zu nehmen, um gewisse Ereignisse aufzuarbeiten. Denn er wusste, dass dies ebenso wichtig war, um Erlebnisse zu verarbeiten und nicht ewig mit sich „herumzuschleppen“.

Oleg arbeitete als Ingenieur in einer Maschinenfabrik, in einem Gewerbegebiet am Rande von Kiew. Er hatte Maschinenbau studiert. Seine Firma stellte Maschinen für die Forstwirtschaft her, welche in der Ukraine eine wichtige Einnahmequelle war.

Auch ihre Frauen, Anna und Darja, gingen halbtags arbeiten, denn die Kindergärten waren gut organisiert und nahmen die Kinder schon mit zwei Jahren auf.

Anna arbeitete in einer Bäckerei in der Nachbarschaft als Verkäuferin und hatte ebenfalls viel Freude an ihrer Arbeit, insbesondere am Umgang mit Menschen, die ihre Freundlichkeit ebenfalls zu schätzen wussten.

Darja arbeitete im Personalbüro der Stadt Kiew und teilte sich eine Stelle mit einer anderen Halbtagskraft.

Am Abend versammelten sich die Familien jeweils zum gemeinsamen Abendessen. Jeder erzählte von seinen Erlebnissen des Tages. Daneben lief auch immer das Radio, eigentlich eher um beschwingte Musik zu hören als Nachrichten oder Informationen zu erhalten.

Doch diesmal gab es beunruhigende Nachrichten: Ausländische Medien meldeten nämlich, dass u.a. in Schweden stark erhöhte radioaktive Strahlung gemessen wurde. Leider wusste noch niemand, was der Auslöser für den Anstieg dieser Werte war. Die ukrainischen Familien in Kiew wussten, dass ganz in ihrer Nähe das Kernkraftwerk Tschernobyl mit seinen vier Blöcken stand. Eigentlich hörten sie sonst aber nicht viel von Tschernobyl, was die Sicherheit des Reaktors anbelangte. Und niemand wusste, ob dies ein gutes oder schlechtes Zeichen war. Alle waren sich darüber bewusst, dass Nachrichten, insbesondere, solche, die die Ukraine oder die Sowjetunion in schlechtem Licht dastehen ließen, des Öfteren zensiert wurden. Und so war es manchmal objektiver, wenn man auch mal ausländische Sender empfing.

Wadim und Anna drückten gegenseitig ihre Betroffenheit aus und hatten Mitleid mit der schwedischen Bevölkerung. Sie waren sich sicher, dass die dort erhöhten Werte auch von einem Atomunfall in Schweden ausgelöst worden waren.

Andererseits waren sie aber erleichtert, dass dieses

Atomunglück nicht in ihrer Umgebung passiert war. Und so kam ihre Unterhaltung schnell wieder zum Tagesgeschehen zurück.

Am kommenden Tag in der Frühe saßen beide Familien jeweils gemeinsam beim Frühstück. Neugierigerweise stellte Wadim wieder einen westlichen Sender im Radio ein, denn er wollte wissen, wie sich die Nachrichtenlage bzgl. des Atomunfalls entwickelte.

Und tatsächlich gab es Neuigkeiten diesbezüglich: Nämlich, dass die schwedischen Behörden mittlerweile ausschlossen, dass es in Schweden zu einem Atomunfalls gekommen war. Das Unglück musste sich also anderswo zugetragen haben und nur die radioaktive Wolke hatte sich in Richtung Schweden fortbewegt. Es wurden nun auch Wetterexperten hinzugezogen, die die Luftströmungen in den vergangenen Tagen analysieren sollten und somit zur Quelle des Unglücks vordringen sollten.

Als Anna am Mittag nach Hause kam, stellte sie sofort wieder das Radio an. Der englische Sender berichtete nun fast durchgehend von dem Atomunglück. Die Hinweise deuteten wohl darauf hin, dass es wohl wirklich im AKW Tschernobyl zu einem Unglück gekommen war. Die Auswertungen der ersten Satellitenaufnahmen zeigten, dass in der Nacht zu Samstag es wohl eine größere Explosion in Block 4 des AKWs gegeben hatte.

Anna rannte sofort zu Darja, die ebenfalls schon Bescheid wusste. Die Ratschläge von Experten zu Radioaktivität gingen dahin, dass sich die betroffene Bevölkerung mit Jobtabletten eindecken sollte. Diese Jodtabletten hatten die Wirkung, dass die Schilddrüse, die Jod benötigte, mit diesem natürlichen Jod in den Tabletten gesättigt wurde und so das radioaktive Jod, welches bei einem Reaktorunfall freigesetzt wurde, nicht mehr aufnahm.

Vor der Apotheke hatte sich schon eine lange Schlange gebildet und alle in der Schlange hatten nur ein Anliegen: nämlich Jodtabletten zu kaufen.

Es dauerte eine halbe Stunde, bis Anna und Darja am Verkaufsschalter waren. Und tatsächlich bekamen sie eine der letzten Packungen der Jodtabletten. Der Apotheker versicherte, er hätte schon weitere Jodtabletten nachgeordert, aber da diese derzeit auch in anderen Landesteilen nahezu gehortet wurden, konnte er noch nicht sagen, ob und wenn ja, wann er Nachschub bekommen sollte.

Aber fürs erste sollten diese Packungen für zwei Wochen für beide Familien reichen.

Anna hatte gehört, dass es bei den Jobtabletten darauf ankam, diese sehr früh zu nehmen, wenn noch keine Sättigung der Schilddrüse mit dem radioaktivem Job stattgefunden hat. Deshalb gab sie Marusha die empfohlene Tagesdosis noch im Kindergarten, als sie sie dort abholte. Selbiges tat auch Darja mit ihren Kindern.

Als die Männer nach Hause kamen, gab es nur noch ein Thema: Was war in Tschernobyl passiert? Die amtlichen sowjetischen Medien hatten sich bislang noch gar nicht geäußert.

Wadim beschloss, Freunde in Prybjat, der an das AKW angrenzenden Stadt anzurufen. Einiger dieser Freunde arbeiteten sogar im Kraftwerk. Die sollten doch Bescheid wissen, so war Wadims Gedanke. Aber keiner dieser Freunde ging ans Telefon. Eigentlich hätten doch zumindest die Ehefrauen oder Kinder zu Hause sein sollen. Aber absolute Fehlanzeige. Wadim wurde skeptisch und seine Beunruhigung nahm extrem zu.

Das einzige, was ihm für die Lage seiner Familie Hoffnung machte, war: Wenn die radioaktive Wolke vom AKW Tschernobyl, welches 50 km nördlich von Kiew lag, nach Schweden gezogen war, so hieß das, dass sie aller Voraussicht nach nicht an Kiew vorbeigezogen war.

Das war aber ein schwacher Trost, denn niemand kannte sich wirklich mit Atomunglücken aus, noch weniger, wie Strahlung freigesetzt wurde und sich diese ausbreitete.

Dann endlich, am Dienstagabend, meldeten die russischen Behörden, dass es im AKW Tschernobyl zu einem Störfall, wie sie es nannten, gekommen war.

In der Nacht zu Samstag sollte das neue Notfallsystem der Turbogeneratoren von Block 4 des Reaktors getestet werden. Für den Test musste die Leistung heruntergefahren werden. Dabei fiel der Reaktor in einen Leistungsbereich, in dem er instabil wurde. Zu diesem Zeitpunkt hätte der Reaktor aus Sicherheitsgründen abgeschaltet werden müssen. Da dies nicht geschah, kam es im Zuge dieser Aktion zu unvor-hergesehenen Ereignissen, die schlussendlich zu einer Explosion in Reaktor 4 führten. (1)

Die Behörden versicherten allerdings, dass die Situation im Kraftwerk völlig unter Kontrolle sei. Nur, um die nahegelegene Bevölkerung für den unwahrscheinlichen Fall, wie der Radiosprecher betonte, einer bedrohlichen Strahlenbelastung in der Umgebung des Kraftwerks, zu schützen, wurde die Bevölkerung vorsichtshalber evakuiert.

Wie sich später herausstellen sollte, wurde die Evakuierung unter absolutem Zeitdruck durchgeführt. Jede Familie hatte nur zwei Stunden, um alle wichtigen Sachen zu packen, bis dann die Busse sie abholten. Und, was zu diesem Zeitpunkt ebenfalls noch keiner wusste: Sie würden Ihre Wohnungen und Prybjat niemals wiedersehen.

Aber nun war es raus: Es war etwas passiert. Wadim wusste allerdings auch sehr genau, was er von Formulierungen wie „völlig unter Kontrolle“ zu halten hatte. Diese Formulierungen dienten einzig und allein zur Beruhigung der Bevölkerung und nicht wie gewünscht zu deren Aufklärung.

Wadim wandte sich zu Anna und fragte sie: „Glaubst Du denen?“.

Anna antworte, wie es Wadim erwartet hatte: „Kein Wort! Komm, stell nochmal den englischen Sender ein, vielleicht wissen die mittlerweile mehr.“

Wadim drehte am Senderknopf, bis die gewohnte englische Stimme erklang.

Wadim und Anna hatten beide Englisch in der Schule gelernt und in diesem Moment zahlte sich das nun aus.

Leider wussten die Briten und die westlichen Behörden zu dem Zeitpunkt auch nicht mehr um die Gründe und Auswirkungen des Atomunfalls. Sie erfuhren nur, dass dieser Unfall mittlerweile als Super-GAU eingestuft wurde, also als Größter Anzunehmender Unfall.

Wadim ließ sich die Nachricht von der Evakuierung Prybjats nochmal durch den Kopf gehen und schüttelte auf einmal unvermittelt den Kopf.

„Was ist los?“, fragte Anna.

„Ich habe mir gerade nochmal vorgestellt, was es heißt, eine Stadt wie Prybjat zu evakuieren. Dort wohnen knapp 50.000 Menschen. Wenn die alle auf einmal evakuiert werden, benötigt man 1.000 Busse. Das ist Wahnsinn!“

Anna begriff nun auch, dass die Lage dort wohl mehr als ernst war. Und Prybjat war nur etwa 50 km entfernt.

Wadim und Anna waren auch gespannt, wie die russischen Behörden mit den bevorstehenden Feierlichkeiten zum 1. Mai umgehen würden, welcher in sozialistischen Ländern ein hoher Feiertag war mit öffentlichen Paraden, an denen auch fröhliche Kindergruppen teilnahmen. Würden sie den Mut haben und alle Paraden im betroffenen Gebiet absagen? Oder würden sie, was Wadim und Anna für wahrscheinlicher hielten, alle schlimmen Nachrichten um Tschernobyl bis dahin unterdrücken und so tun, als wäre nichts passiert.

Wadim und Anna hatten gehofft, dass mit der unter Präsident Gorbatschow gepriesenen Formel von „Glasnost“, was für Offenheit stand, sich auch etwas ändern würde hinsichtlich negativer Meldungen wie in diesem Falle. Aber offensichtlich war dies wohl nur ein Lippenbekenntnis. Wadim wusste, dass die Menschen unter einem anderen Präsidenten dennoch die gleichen waren und sich ihr Denken wohl so schnell auch nicht ändern würde. Insbesondere Schuldeingeständnisse waren im Sozialismus nach wie vor ein sogenanntes „No-Go“. Es war deshalb auch zu bezweifeln, dass bei Gorbatschow die ganze Wahrheit über den AKW-Unfall angekommen war.

Wadims und Annas Entschluss stand jedenfalls fest. Sie würden nicht zur Parade gehen und auch Marusha würde bei der Parade nicht mitmachen. Sie wollten ihre Aktivitäten unter freiem Himmel, sofern das möglich war, in den nächsten Tagen auf ein Minimum beschränken. Zumindest solange, bis es Klarheit gab, dass keine Gefahr für die Kiewer Bevölkerung bestand. Und diese Nachricht musste von ausländischen Behörden bestätigt werden.

Am nächsten Tag bat Anna, als sie ihre Tochter im Kindergarten abgab, um ein kurzes Gespräch mit der Kindergartenleiterin. Denn sie wollte, dass Marusha bis auf weiteres nicht draußen spielen sollte. Die Kindergartenleiterin zeigte Verständnis, denn diesen Wunsch hatten schon mehrere Eltern vor Anna ausgedrückt.

„Sie können beruhigt sein. Wir werden die Kinder nur im Kindergarten betreuen. Uns ist ja selber nicht wohl dabei, an der frischen Luft zu sein, wohlwissend, dass die Strahlenwerte möglicherweise extrem hoch liegen.“

Anna war zumindest in dieser Hinsicht beruhigt.

Neben den kurzen Nachrichten des russischen Nachrichtensenders gab es leider weiterhin keine Nachrichten in anderen Medien. Eine kurze Nachricht von einigen Zeilen über den Atomunfall hatte es in der Prawda, der größten Zeitung der Sowjetunion, gerade mal bis auf die dritte Seite „geschafft“.

Am Abend gab dann der sowjetische Gesundheitsminister eine kurze Weisung an die Bevölkerung um Tschernobyl: Alle sollten Fenster und Türen geschlossen halten, regelmäßig Jodtabletten in der vorgeschriebenen Dosierung zu sich nehmen und beim Betreten der eigenen Wohnung die Schuhe an einer feuchten Matte abtreten.

Wadim und Anna schüttelten ein weiteres Mal ihre Köpfe. Als ob jemand glaubte, dass man der Strahlung und die Auswirkung dieser durch solche lapidaren Maßnahmen unter Kontrolle bringen konnte und vor dem Eindringen in die eigenen vier Wände „aussperren“ konnte.

Die Maifeierlichkeiten in Kiew wurden wie erwartet nicht abgesagt. Um zu demonstrieren, wie harmlos die sowjetischen Behörden die Lage weiterhin einstuften, wurde sogar ein Politbüromitglied mitsamt Familie nach Kiew entsandt. Nach dem Motto: Wenn wir „unsere Leute“ dorthin schicken, wird die Lage schon nicht so schlimm sein.

Im Nachhinein sollte sich die „Nichtabsage“ dieser großen Parade und der weiteren Feierlichkeiten als einer der größten Fehler herausstellen, welchen die Behörden im Zusammenhang mit der Katastrophe gemacht hatten.

Am 2. Mai endlich gab es dann auch Nachrichten im Sowjetischen Fernsehen. Es wurden nun neben der schon evakuierten Stadt Prybjat alle Einwohner in einem Umkreis von 30 km um Tschernobyl evakuiert, was weiteren 130.000 Menschen entsprach.

Was Wadim und Anna aber noch mehr Angst einjagte, war die Feststellung der Wetterexperten, die berichteten, dass sich die Windrichtung von Südost nun auf Nord geändert hatte, was bedeutete, dass auch in Kiew in nächster Zeit mit erhöhten Strahlenwerte durch die radioaktive Wolke zu rechnen sei.

Wadim und Anna überlegten ernsthaft, aus der Stadt zu fliehen. Aber diese Pläne mussten beide leider schnell wieder „begraben“. Sämtliche Zug- und Flugtickets, um aus der Stadt zu kommen, waren für die nächsten Wochen ausgebucht. Und ein Auto besaßen sie leider auch nicht, was hieß, dass sie in Kiew mehr oder weniger „gefangen“ waren.

Die vergessenen Helden von Tschernobyl

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