Читать книгу Eine Ehestandstragödie - Уилки Коллинз, Elizabeth Cleghorn - Страница 1

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Es hatte Montag, Dienstag, Mittwoch, Donnerstag geregnet Am Freitag Morgen brach ein matter Sonnenschein durchs Gewölk, aber schon gegen 9 Uhr bezog sich der Himmel wieder und eine halbe Stunde später strömte der Regen mit derselben einförmigen Beharrlichkeit hernieder, wie die Tage vorher.

Ich war in Verzweiflung!

Das Schicksal hatte mich seit acht Tagen in das kleine englische Seebad verschlagen und ich hatte noch nichts von dem Orte und der ihn umgebenden Scenerie gesehen – nichts als den grauen Himmel, ein Stück nassen gelben Sand, das ich vom Fenster meines Gasthauses überblicken konnte, und die schwer nieder rauschenden Tropfen. – Heute beschloß ich, dem Wetter zum Trotz dennoch eine Promenade zu machen. Ich nahm meinen Regenmantel um, setzte eine Glanztuchmütze auf und begab mich hinunter zum Wirth meines Hotels.

»Ich habe jetzt vier Tage auf das Wetter gewartet,« sagte ich, »jetzt will ich nicht länger Geduld haben. Verschaffen Sie mir ein Reitpferd oder einen Wagen und so sagen Sie mir, nach welcher Richtung ich reiten oder fahren muß, um einmal etwas Anderes zu erblicken, als jenes langweilige Stück Düne und den noch langweiligeren Streifen grauen Wassers dahinter, der hier zu Lande See bedeutet.«

Der Wirth, ein freundlicher, behäbiger Mann, lachte, aber er versprach mir, sein eigenes Pferd und seinen Wagen in einigen Minuten zur Disposition zu stellen, wenn ich bei diesem Wetter durchaus hinaus müßte.

»Wohin kann ich aber fahren?« fragte ich. »Giebt es nicht einen oder den andern sehenswerthen Punkt in der Nähe?«

»Nein, Herr« lautete die trostlose Antwort; »dergleichen giebt es hierum nicht.« »Nun so giebt es doch vielleicht irgend ein, altes Haus, eine Kirche, ein Schloß, einen Park oder etwas Aehnliches in der Nachbarschaft, was sich besehen läßt?« fragte ich mit der Hartnäckigkeit der Verzweiflung.

Das Gesicht des Wirthes wurde nachdenklich.

»Der einzige größere Familiensitz in der Nähe ist Darrock-Hall,« sagte er, nachdem er eine Weile mit den Fransen der Fenstergardine gespielt hatte, »und dieser ist längst nicht mehr bewohnt.«

»Also vielleicht eine interessante Ruine, oder ein sonst merkwürdiges altes Schloß!« rief ich erfreut. »Ich interessiere mich für dergleichen. Bestellen Sie den Wagen und geben Sie mir Jemand mit, der den Weg kennt.«

»Sie würden sich in Ihren Erwartungen getäuscht sehen,« entgegnete der Wirth, indem er ernst, beinahe finster den Kopf schüttelte. »Darrock-Hall ist weder ein schönes, noch alterthümliches Gebäude. Sie würden nichts finden, als ein uninteressantes, viereckiges steinernes Haus, das kaum hundert Jahre alt sein mag. Außerdem ist die Besitzung, wie ich hörte, neuerlich von einem Londoner Industriellen angekauft und zu einer Fabrik eingerichtet werden.«

»Nun, wenn sonst nichts dort zu sehen ist, so kann ich wenigstens die neuen Fabrikanlagen besichtigen,« erwiderte ich entschlossen. »Es ist ja auch bei diesem Wetter ganz gleichgültig, wohin ich gehe – aber hinaus in die Luft muß ich. Wie weit ist Darrock-Hall von hier?«

»Etwa elf Meilen; aber der Weg ist schwer zu finden,« sagte der Wirth.

»Haben Sie Niemand, der mir als Führer dienen könnte ?« fragte ich.

»Von meinen Leuten weiß Niemand den Weg« entgegnete er. »Ich müßte selbst mitfahren – aber…

»Aber Sie wollen sich nicht der Gefahr aussetzen, tüchtig naß zu werden,« fiel ich ihm ins Wort, als er sichtlich verlegen schwieg.

»Nein,« entgegnete er, »das ist’s nicht. Ich fürchte mich eben nicht vor ein wenig Regenwasser und bin bereit, mit Ihnen zu fahren, wenn Sie es wünschen, aber – aufrichtig gestanden – ich wüßte nicht, wohin ich weniger gern ginge, als gerade nach Darrock-Hall.«

»Warum das?« fragte ich neugierig.

»Es ist eine alte Geschichte, Herr,« erwiderte der Mann finster. »Als ich jung war, habe ich in Darrock-Hall in Dienst gestanden und es kamen damals Dinge vor, an die man sich ungern erinnern licht. Es war eine häßliche Sache und ich war mit hinein verwickelt.«

Diese Worte erregten meine Neugier und eben war ich im Begriff, weiter zu fragen, als der Wirth, der wohl auf meinem Gesicht das Interesse wahrgenommen hatte, das seine Andeutungen wach riefen, von selbst fortfuhr:

»Sie dürfen nicht glauben, daß es Dinge sind, deren ich mich zu schämen habe,« sagte er. »Im Gegentheil, die Sache schlug zu meinem Vortheil aus, ja wäre sie nicht passirt, ich hätte wohl kaum die Mittel gehabt, das Gasthaus zu kaufen, als dessen Besitzer Sie mich jetzt sehen.«

»Handelt es sich um ein Geheimniß ?« fragte ich, »und darf ich ohne eine Indiscretion zu begehen, um die Mittheilung der Geschichte bitten?«

»Ein Geheimniß ist’s nicht,« entgegnete der Wirth. »Die Sache kam damals schon in die Oeffentlichkeit und ist jetzt gar kein Grund mehr, sie zu verheimlichen, denn von allen Menschen, die damit zu thun hatten, leben nur noch zwei, ich und eine andere Person, die sich jetzt in London aufhält. Aber es ist eine lange Geschichte, Herr!.«

»Desto besser,« entgegnete ich. »Wenn Sie mir dieselbe erzählen, so gebe ich meine Fahrt nach Darrock-Hall auf und bleibe hier !«

»Der Wirth fühlte sich von dieser letzten Versicherung augenscheinlich erleichtert. Er setzte für mich und sich selbst bequeme Stuhle zurecht und nach den üblichen Eingangsphrasen begann er seine Erzählung, die ich so viel als möglich mit seinen eigenen Worten wiedergebe. . . . .

Ich war noch ein sehr junger Mensch, als ich meine erste Stelle als Diener in einem herrschaftlichen Hause einnahm, aber ich hatte mit diesem ersten Platze kein Glück. Der Herr des Hauses machte Bankrott, die Dienerschaft verlor, wie alle anderen Gläubiger, einen Theil ihrer Forderungen, und als ich das Haus verließ, trug ich eigentlich keinen andern Gewinn davon, als den, alle Obliegenheiten meines Berufs aus dem Fundament kennen gelernt zu haben.

Desto angenehmer und einträglicher war mein zweiter Platz. Ich hatte das Glück, in den Dienst von Herr und Frau Norcross zu treten, in dem ich auch bis zu dem Zeitpunkte blieb, wo ich dies Hotel kaufte und mein eigener Herr wurde.

Herr Norcross war ein reicher Mann. Außer Darrockhouse und den Ländereien, die es umgeben, besaß er auch eine umfängliche Besitzung in Yorkshire und bedeutende Ländereien in Jamaica, die damals ein ungeheures Einkommen abwarfen. In Westindien hatte Herr Norcross auch seine Frau kennen lernen, die dort bei einer englischen Familie als Gouvernante lebte. Sie war sehr schön, er hatte eine heftige Leidenschaft für sie gefaßt und sie geheirathet, obwohl sie sie fünfundzwanzig Jahre jünger war, als er. Bald nach der Vermählung kehrte das Ehepaar nach England zurück und ich hatte, wie schon gesagt, das Glück, als Diener in dem Hause einzutreten.

Nach drei Jahren starb Herr Norcross, ohne Kinder zu hinterlassen. Er hatte seine Frau sehr geliebt und wünschte ihr auch nach seinem Tode eine möglichst unabhängige Stellung zu sichern, deshalb hatte er letztwillige Verfügungen getroffen, nach welchen der jungen Wittwe sein ganzes Vermögen zufiel. Für den Fall, daß sie sich wieder verheirathete, sollten ihre Kinder die Erben sein; verheirathete sie sich nicht, oder blieb ihre spätere Ehe kinderlos, so fiel das Vermögen nach ihrem Tode an die Verwandten des Erblassers zurück.

Meine Stellung wurde durch den Tod meines Herrn nicht verändert. Frau Norcross behielt mich im Dienst, denn ich hatte ihren verstorbenen Gemahl in der letzten Krankheit verpflegt und dadurch einen Anspruch auf ihre Gunst erworben. Außer mir behielt sie von der frühen Dienerschaft nur ihre Kammerfrau, eine Französin, Namens Josephine. Offen gestanden, begriff ich die Vorliebe nicht, die meine Herrin für diese Person hatte, deren unstäte, stechende Augen mir von vornherein ein Mißtrauen einflößten, das sich späterhin nur als zu gerechtfertigt erweisen sollte. Indessen will ich meiner Geschichte nicht vorgreifen, sondern die Dinge in der Ordnung zu erzählen versuchen, wie sie passirt sind.

Kurze Zeit nach dem Tode meines Herrn machte Frau Norcross eine Reise nach dem Continent, bei welcher Josephine und ich sie begleiteten. Wir besuchten unter andern Paris, Genua, Florenz, Rom und Neapel. In einigen dieser Städte blieben wir mehrere Monate und es fehlte meiner Lady nirgends an Gesellschaft. Die Kunde ihres Reichthums begleitete sie und so konnte es nicht fehlen, daß man sich beeiferte, ihr von allen Seiten entgegen zu kommen, daß namentlich die junge Männerwelt sie umschwärmte und sich bei ihr einzuschmeicheln suchte. Indessen schien keiner der Bewerber einen Eindruck auf ihr Herz zu machen, und als wir nach einer Abwesenheit von zwei Jahren nach England zurückkehrten, war Madame noch immer Wittwe und schien auch nicht die mindeste Lust zu haben, ihren Stand zu verändern.

Zuerst gingen wir nun nach der Besitzung in Yorkshire, wo sich meine Herrin indessen wenig zu gefallen schien. Wir kehrten deshalb nach Darrock-Hall zurück und knüpften hier mit der Nachbarschaft einen sehr lebhaften, geselligen Verkehr an, den Frau Norcross, so lange sie an ihren kränklichen Mann gefesselt war, entbehrt hatte.

Bei ihrem Besuche in einer befreundeten Familie war es nun, wo sie damals einen jungen Mann kennen lernte, welcher den sehr wenig interessanten Namen James Smith trug. Er war sein großer, schöner, junger Mensch mit langem, glänzend schwarzem Haar und dem dunkelsten, dichtesten Backenbart, den ich je gesehen habe. Dazu hatte er einen kühnen, beinahe herausfordernden Blick, und dies und seine vorlaute, kecke Art zu sprechen, machten ihn zu einer ziemlich auffallenden Persönlichkeit. Herr Smith war, wie ich von seinem Diener hörte, ohne Vermögen, aber er gehörte einer bekannten, guten Familie an und war Gentleman sowohl durch Geburt, wie durch Erziehung. – Was meine Herrin an diesem Manne besonders gefiel, weiß ich nicht zu sagen, aber als sie beim Abschiede ihre Freunde einlud, sie zu besuchen, war Herr Smith bei dieser Einladung mit inbegriffen.

Wir hatten damals eine lustige, heitere Zeit in Darrock-Hall und namentlich schien der fremde junge Mann sich bei uns sehr zu gefallen und sich ganz wie daheim zu fühlen. Ich war erstaunt über den vertraulichen Ton, in. welchem Frau Norcross mit ihm verkehrte und machte in der Stille meine Bemerkungen darüber – dennoch traf es mich unerwartet und wie, ein Donnerschlag, als ich nach einigen Monaten hörte, daß sie sich Herrn Smith verlobt habe und sich demnächst mit ihm verheirathen würde. Ich konnte mir anfänglich gar nicht denken, daß sie zu diesem unbesonnenem, nicht selten brutalen Manne, der keinen Pfennig besaß, heruntersteigen sollte.

Dennoch wurde die Heirath kurze Zeit darauf geschlossen und nachdem die Neuvermählten mehrere Wochen aus einer Hochzeitsreise zugebracht hatten, nahmen sie ihren bleibenden Aufenthalt in Darrock-Hall.

Ich wunderte mich darüber im Anfange, denn Darrock-Hall war ein einsamer, beinahe düsterer Ort, der zu Herrn Smiths heiteren, geselligen Gewohnheiten und zu seiner Ruhelosigkeit sehr wenig paßte, aber ich kam bald dahinter, daß es die Lage der Besitzung, d. h. die Nähe eines Seehafens war, die ihn zu dieser Wahl bestimmt hatte. Er kannte fast nur eine Leidenschaft und das war die, in einer Yacht auf dem Meere zu segeln. Alle anderen Amüsements, wie z. B. Musik, Lectüre u. s. w. waren ihm dagegen völlig gleichgültig. Auf dem Wasser zu fahren, schien ihm ein so über Alles gehendes Vergnügen, daß ich fast auf die Vermuthung gerieth, er habe meine Herrin nur geheirathet, um das zum Ankauf eines eigenen Fahrzeuges nöthige Geld in die Hände zu bekommen.

Sei dem indessen, wie ihm wolle; Thatsache ist, daß er bald nach seiner Verheirathung seine Frau aufforderte, ihm eine hübsche Yacht zu kaufen, die gerade damals im Hafen lag. Frau Norcross, oder wie sie jetzt hieß, Frau Smith, zeigte anfänglich wenig Lust, auf seinen Wunsch einzugehen. Sie selbst fand wenig oder gar kein Vergnügen an dieser Art von Sport, denn sie litt sehr von der Seekrankheit, und da sie ihren Mann liebte, so konnte es ihr nicht gleichgültig sein, wenn er sich einem Amüsement hingab, an dem sie nicht theilnehmen konnte, das ihn also fern von ihr hielt. Dennoch setzte ihr Gatte seinen Wunsch durch. Er versprach, niemals ohne ihre Einwilligung zu reisen und niemals länger als acht oder zehn Tage auszubleiben, und schließlich ließ sich meine Herrin, die das gütigste, uneigennützigste Wesen von der Welt war, überreden, ihm das Fahrzeug zu kaufen.


Während nun Herr Smith seinem Vergnügen nachging, verlebte seine Frau sehr stille Tage in Darrock-Hall. Die Nachbarn, mit denen sie in geselligem Verkehr stand, wohnten größtentheils so entfernt, daß sie dieselben nur sah, wenn sie von ihnen auf mehrere Tage eingeladen wurde, oder sie zu sich einlud, und in dem nahe gelegenen Dorfe gab es nur einen einzigen Menschen, den Frau Smith in ihrem Hause sehen konnte, nämlich den Geistlichen.

Herr Meeke, so nannte sich der Prediger, war ein sehr eigenthümlicher Mensch. Er war noch sehr jung, fühlte sich sehr einsam in seiner Stellung hatte ein sanftes, melancholisches Gesicht und war schüchtern, wie ein Mädchen. Im Ganzen war er ein armer, schwächlicher Mensch und der schlechteste Redner, den ich je gehört habe. Das einzige, wozu er Geschick zeigte, war die Musik. Er spielte sehr gut Violine und dies Talent war es namentlich, was ihn meiner Herrin werth machte. Sie spielte selbst ausgezeichnet Pianoforte und war hoch erfreut, in Herrn Meeke Jemand gefunden zu haben, der sie accompagnirte und neue Compositionen mit ihr übte. In ihrer Einsamkeit war er allerdings ein Schatz für sie und der junge Geistliche fühlte sich, nachdem er seine anfängliche Schüchternheit überwunden hatte, in dem schönen Musiksalon von Darrock-Hall und in Gesellschaft einer so liebenswürdigen und zugleich gütigen Dame nur zu glücklich.

So kam es, daß meine Herrin und Herr Meeke während der Abwesenheit Herrn Smiths sehr viel zusammen waren und mit einander musicirten. Es war das harmloseste, unschuldigste Verhältniß unter der Sonne , aber trotz seiner Harmlosigkeit sollte es die Veranlassung zu all dem Unheil geben, das späterhin hereinbrach.

Herr Smith hatte den armen kleinen Prediger von vornherein ganz anders behandelt, als seine Frau. Der unruhige, heftige, laute Mann fand den stillen , schwachen, weibischen Geistlichen sehr wenig nach seinem Geschmack und gab sich keine Mühe, dies zu verbergen. Herr Meeke hingegen fürchtete sich offenbar vor der heftigen Sprache und den rauhen Manieren des Schloßherrn und so war es kein Wunder, daß er vorzog zukommen, wenn er die Gewißheit hatte, Frau Smith allein zu treffen. Meine Herrin dachte dabei nichts Böses, sonst würde sie wohl Sorge getragen haben, daß ihr Gemahl, wenn er entweder von einem längeren Spazierritt oder einer mehrtägigen Wasserparthie nach Hause zurückkehrte, nicht so oft den jungen Geistlichen bei ihr angetroffen hätte, wie es in der That geschah.

Herr Smith schien die Sache anfänglich spaßhaft zu finden und begnügte sich mit einigen nicht eben zarten Witzen über den unzertrennlichen Gesellschafter seiner Frau, bald aber nahm seine Stimmung eine andere Färbung an. Er zeigte sich finster und ärgerlich, wenn er Herrn Meeke in Darrock-Hall antraf und machte schließlich kein Geheimniß daraus, daß er eifersüchtig war. Er sagte das allerdings nicht mit klaren Worten, aber er zeigte den Zustand seines Innern so deutlich, daß seine Gattin sich nicht darüber täuschen konnte.

Frau Smith gehörte indessen zu jenen Frauen, die sich von denen, die sie lieben und achten, sehr leicht leiten und, lenken lassen, die sich aber gegen jede Ungerechtigkeit, gegen Druck und Tyrannei mit großer Festigkeit auflehnen und vertheidigen, Die bloße Vermuthung, daß ihr Mann einen entehrenden Verdacht hegen könnte, brachte sie in Feuer und Flamme, und sie wählte das für eine Frau natürlichste, aber in diesem Falle verderblichste Mittel, um einen solchen Verdacht zurück zu weisen. Je rauher sich ihr Gemahl Herrn Meeke gegenüber zeigte, desto gütiger begegnete sie ihm. Dies führte natürlich zu ernsten Auseinandersetzungen und schließlich zu einem heftigen Zank, dessen unfreiwilliger Zeuge ich war, denn er fand im Garten, dicht vor den Fenstern des Speisesaales statt, wo ich eben beschäftigt war, den Frühstückstisch zu decken.

Ich will, was ich hörte, nicht Wort für Wort wiederholen. Um die Heftigkeit der Scene und die beiderseitige Erbitterung. zu schildern, wird es genügen, wenn ich sage, daß Frau Smith ihrem Manne vorwarf, er habe sie nur Geldes wegen geheirathet und halte sich nun so viel als möglich fern von ihr, während er sie zugleich mit einem Verdacht verfolge, der zu nichtswürdig sei, als daß eine ehrenhafte Frau ihn je vergessen und vergeben könne. Er antwortete mit gleicher Heftigkeit und verbot ihr in der entschiedensten Weise, jemals Herrn Meeke wieder zu empfangen.

Frau Smith dagegen erklärte, daß sie sich der tyrannischen Laune eines Mannes niemals fügen werde, namentlich dann nicht, wenn er ihr befehle, einen achtungswerthen Geistlichen zu insultiren, indem sie ihm ihr Haus verschließe.

Herr Smith antwortete darauf mit einem entsetzlichen Fluche, befahl, sogleich sein Pferd zu satteln und sagte, daß er nicht eine Minute länger mit ihr unter demselben Dache bleiben wolle, daß er aber sie und alle ihre Schritte sorgfältig bewachen lassen werde und daß er, wenn Herr Meeke die Schwelle des Hauses noch ein Mal überschreite, zurückkommen und ihn mit der Hundepeitsche hinaus peitschen wolle, trotz seines schwarzen Stockes. Mt diesen Worten ging er, schwang sich auf sein Pferd und ritt davon, um sich auf seine Yacht zu begeben. Frau Smith behielt ihre Fassung, bis er ihr aus dem Gesicht entschwunden war, dann brach sie in krampfhaftes Weinen aus und einige Stunden später lag sie im heftigsten Fieber zu Bett.

An demselben Abende brachte ein Bote das Pferd des Herrn nach Darrock-Hall zurück und übergab mir einen an mich adressirten Zettel von seiner Hand. Derselbe enthielt nur die Worte: »Packen Sie meine Kleider und übergeben Sie dieselben dem Ueberbringer. Frau Smith mögen Sie sagen, daß ich heute Nacht um 11 Uhr absegele, um eine Reise nach Schweden anzutreten. Meine Briefe sind mir poste restante Stockholm nachzusenden.«

Ich erfüllte diese Befehle, soweit ich konnte, d. h. bis auf denjenigen Theil, welcher sich auf meine Herrin bezog. Man hatte nämlich für sie nach dem Arzte geschickt und dieser befand sich im Hause, als der Zettel ankam. Ich fragte ihn, ob ich Frau Smith die erhaltene Nachricht mittheilen solle, aber er verbot mir streng, ihr etwas davon zu sagen und nahm mir schließlich das Papier ab, um seine Patientin am andern Morgen selbst von der Sache zu unterrichten.

Herrn Smiths Bote hatte kaum seit einer Stunde das Haus verlassen, als die Haushälterin des Predigers ankam, um eine Rolle Noten zu bringen. Ich erzählte der Frau von meines Herrn Abreise und dem Erkranken der Lady, und kaum hatte Herr Meeke diese Nachricht empfangen, als er in großer Eile und Bestürzung in das Schloß kam, um sich zu erkundigen, was vorgefallen sei.

Da er allein die obwohl unschuldige Ursache "der unglücklichen Scene war, die am Vormittag stattgefunden hatte, so konnte ich ein ärgerliches Gefühl gegen ihn nicht unterdrücken, und dies veranlaßte mich, die Grenzen meiner Pflicht zu überschreiten und ihm die ganze Wahrheit mitzutheilen. Der arme, schwache, junge Mann wurde anfänglich dunkelroth im Gesicht, dann grau wie Asche und endlich fiel er hilflos wie ein Kind in einen Stuhl, rang die weißen, zitternden Hände und rief im trostlosesten Tone: »O William sagen Sie mir, was ich in dieser unglücklichen Sache thun kann.«

»Da Sie mich fragen, Herr,« entgegnete ich, »so werden Sie es nicht übel nehmen, wenn ich Ihnen meine offene Meinung sage. Ich kenne meine Stelle gut genug, um zu wissen, daß ich ein Unrecht begangen habe, indem ich Sie von den heutigen Vorfällen und vom Stande der Dinge hier im Hause unterrichtete. Ich habe gethan, was nicht meines Amtes ist, aber glauben Sie mir, Herr, ich würde für meine Herrin durch Feuer und Wasser gehen. Unglücklicher Weise hat sie weder Freunde noch Verwandte hier, die mit Ihnen sprechen könnten, und so muß ich es thun, auf die Gefahr hin, für einen Unverschämten gehalten zu werden. Was ich an Ihrer Stelle thun würde, Herr, ist leicht gesagt,« fuhr ich fort. »Statt zu jammern, würde ich nach Hause gehen und sogleich an Herrn James Smith schreiben, daß ich als Christ und Geistlicher nicht Böses mit Bösem vergelten, sondern ihm beweisen wolle, wie unwürdig und ungerecht sein Verdacht gewesen, indem ich lieber aufhören würde, sein Haus zu besuchen, als daß ich Veranlassung eines Zwistes zwischen Mann und Frau gäbe. Wenn Sie das in Ihre Sprache übersetzen und in einer halben Stunde den Brief fertig haben wollen,« fügte ich hinzu, »so werde ich das schnellste Pferd gesattelt halten, und mache mich verbindlich, meinem Herrn den Brief noch vor seiner Abreise zu übergeben. Das ist Alles, was ich in der Sache rathen möchte. Außerdem habe ich nur um Entschuldigung zu bitten, daß ich einen Augenblick aus meiner Stellung als Diener des Hauses heraustrat und zu Ihnen sprach, wie ein Mann zum andern.«

Ich muß zu Herrn Meekes Lobe gestehen, daß er ein Herz hatte, obgleich es kein großes gewesen sein mag. Er schüttelte mir die Hand und sagte, daß er mir für mein offenes Wort dankbar wäre und daß er meinen Rath wie den eines Freundes befolgen werde. Damit ging er nach dem Pfarrhause, um den Brief zu schreiben.

Eine halbe Stunde später hielt ich zu Pferde vor seiner Thür, um den Brief abzuholen, aber er war nicht fertig. Herr Meeke war eben so unschlüssig und ängstlich, wenn er eine Zeile schreiben sollte, wie er sich im persönlichen Verkehr zeigte. Ich fand ihn inmitten einer Menge halb beschriebener und wieder bei Seite gelegter Blätter in Verzweiflung. Es wollte ihm keine Phrase zart und delicat genug erscheinen – aber die Zeit drängte und ich bat ihn, sich zu beeilen, bis endlich nach Verlauf einer andern halben Stunde ein passender Brief zu Stande kam. Ich schwang mich sogleich damit auf’s Pferd und jagte mit verhängtem Zügel davon.

Trotz meiner Eile schlug es indessen ein Viertel auf Zwölf, als ich den Hafen erreichte, und keine Yacht war mehr zu sehen. Sie hatte, wie ich auf mein Befragen erfuhr, zehn Minuten vor Elf die Anker gelichtet und mit dem Glockenschlage den Hafen verlassen Ich wollte dem Fahrzeuge sogleich mit einem Boote folgen und versuchen, es einzuholen, aber es wehte eine frische Brise durch die sternhelle Nacht, und die Schiffer lachten mich aus, als ich davon sprach, eine schnell segelnde Yacht, die mit Wind und Flut steuerte und eine Viertelstunde Vorsprung hatte, mit einem Ruderboote einzuholen.

Mit schwerem Herzen kehrte ich um, und Alles, was mir zu thun übrig blieb, war, den Brief nach Stockholm zu senden.

Am nächsten Morgen zeigte der Arzt meiner Herrin den Streifen Papier, welcher die Nachricht von Herrn Smiths Abreise enthielt, und eine Stunde später kam ein Brief von Herrn Meeke, worin dieser ihr mittheilte, daß er von Allem unterrichtet sei, und deshalb auf die Ehre verzichten müsse, Darrock-Hall zu besuchen. Mich erwähnte er, wie ich späterhin aus der Lady eigenem Munde erfuhr, mit großem Lobe, als eines treuen, rechtschaffenen Mannes, der ein gutes Wort zur rechten Zeit gesprochen habe.

Die Nachricht von der Abreise ihres Mannes brachte auf Frau Smith übrigens nicht die Wirkung hervor, die der Arzt gefürchtet hatte. Anstatt Kummer und Sorge zeigte sie nur Zorn und Aerger. Wenn ich sie recht beurtheile, so war ihr Stolz tief verletzt durch die Art und Weise, in welcher ihr Gatte die Botschaft von einer beabsichtigten Reise ihr zugehen ließ, und in dieser Stimmung mußte der Brief Herrn Meekes sie nur noch mehr irritiren. Sie bestand darauf, aufzustehen, und kaum war sie angezogen und aus ihrem Zimmer heruntergekommen, als sie mich rufen ließ, um ihren ganzen Zorn über mich, auszuschütten. Sie nannte mich einen Unverschämtem der sich unberufener Weise in die Verhältnisse seiner Herrschaft gemischt habe und kündigte mir an, daß sie mich deshalb aus ihrem Dienste entlassen werde.

Ich sagte zu meiner Vertheidigung kein Wort, denn ich wußte, welche Kränkung ihr widerfahren und kannte sie zu gut, um nicht zu wissen, daß sie die harten Worte bereuen und zurück nehmen würde, sobald die erste Aufregung vorüber war. Die Folge zeigte auch, daß ich recht hatte. Sie ließ mich noch an demselben Abend zu sich rufen, bat mich, ihr die heftigen Worte zu vergeben, die sie am Morgen gesprochen, und zeigte sich so gütig und sanft, daß man ihr die schwersten Beleidigungen hätte verzeihen müssen.

Wochen vergingen nach dieser Scene, ohne daß ein Brief von Herrn Smith eingetroffen wäre, und meine Herrin, die sich über dies Verhalten ihres Mannes mehr zu ärgern, als zu grämen schien, reiste endlich nach London, um sich mit Freunden, die ihr nahe standen, zu berathen. Als sie in ihrem Reisewagen durch das Dorf fuhr, hielt sie am Pfarrhause an, stieg aus und ging hinein, um Herrn Meeke Lebewohl zu sagen. Sie hatte seinen ersten Brief beantwortet – er hatte ihr darauf wieder geschrieben und sie ihm ebenfalls. Auch in der Kirche hatte Frau Smith den Prediger jeden Sonntag gesehen und ihn gewöhnlich nach Beendigung des Gottesdienstes gesprochen – einen Besuch in seinem Hause aber machte sie ihm an diesem Tage zum ersten Male. Als der Wagen hielt, stürzte Herr Meeke eilig und in sichtlicher Aufregung herbei, um eigenhändig das Gartenthor zu öffnen.

»Erschrecken Sie nicht, Herr Meeke,« sagte die Lady, als sie ausstieg. »Wenn Sie gelobt haben, nicht mehr nach Darrock-Hall zu kommen, so habe ich mich doch nicht verpflichtet, das Pfarrhaus zu meiden.« Mit diesen Worten trat sie in das Haus.

Die französische Kammerzofe, Josephine, saß mit mir im Dienersitz des Wagens und ich sah, wie ein häßliches Lächeln über ihr Gesicht flog, als die Lady mit dem Prediger über die Schwelle trat – und so fern von aller Schuld ich auch meine Herrin und Herrn Meeke wußte, so beklagte ich doch in diesem Augenblicke, daß sie in der Situation, in der sie sich nun einmal befand, nicht auch den leisesten Schein zu meiden suchte. Sie hatte, wenn es weiter nichts war, doch ihrer Dienerin Veranlassung zu respectwidrigen Gedanken gegeben und wer konnte wissen, wie viel Uebles daraus entstand.

Eine halbe Stunde später befanden wir uns auf dem Wege nach London, wo Frau Smith zwei Monate blieb, ohne daß sie etwas von ihrem Manne hörte. Nach Verlauf dieser Zeit kehrten wir nach Darrock-Hall zurück, aber auch hier hatte Niemand Nachricht von ihm oder seiner Yacht erhalten.


Sechs lange Wochen vergingen nun wieder und aus dieser Zeit erinnere ich mich nur eines Vorfalles, der die Stille und Monotonie unseres einsamen Lebens unterbrach.

Eines Morgens nämlich erschien Josephine, nachdem sie ihre Lady angekleidet, todtenbleich in der Küche. Nur die eine Wange zeigte einen brennend rothen Fleck. Ich fragte, was ihr begegnet wäre.

»Was mir begegnet ist?« entgegnete sie mit schriller Stimme in ihrem gebrochenen Englisch »Was mir begegnet ist? Nun sehen Sie gefälligst meine Wange an, Monsieur William. Sollten Sie so lange in Frau Smiths Dienste gestanden haben und das Zeichen ihrer Hand nicht kennen?«

Ich verstand einen Augenblick nicht, was sie meinte, aber sie hatte es mir bald erklärt. Meine Herrin, die seit dem Zwiste mit ihrem Manne und den Demüthigungen, die er ihr bereitete nicht selten aufgeregt und verstimmt war, hatte diesen Morgen ihrer übeln Laune die Zügel mehr als gewöhnlich schießen lassen. Sie war auf die Frage ihrer Dienerin, wie sie die Nacht zugebracht, in Klagen über ihr elendes Dasein ausgebrochen. Josephine hatte, um ihre Lady zu erheitern, ungeschickter Weise eine leichte scherzhafte Anspielung auf Herrn Meeke gemacht, und darüber war Frau Smith in so heftigen Zorn gerathen, daß sie sich nach ihr umgedreht und ihr eine Ohrfeige gegeben hatte. Josephine gestand, die Lady habe gleich, nachdem dies geschehen, auch eingesehen, daß sie sich eines unpassenden Mittels bedient, um eine ungeschickte Vertraulichkeit zurück zu weisen. Sie hatte ihre Heftigkeit sofort bedauert und der Beleidigten ein halbes Dutzend Battisttücher geschenkt, um sie die Sache vergessen zu machen.

Ich sprach meine Hoffnung aus, daß Josephine ihrer sonst so gütigen Herrin, der sie seit mehreren Jahren diente, den Vorfall nicht nachtragen würde.

»Ich ihr etwas nachtragen?« rief sie in ihrer harten schnippischen Weise. »Wie sollte ich das, Giebt sie mir mit der einen Hand einen Schlag, so reicht sie mir mit der andern ein halbes Dutzend seine Taschentücher als Schmerzensgeld – die gute, liebe Dame. Wie könnte ich ihr zornig sein!« «Dabei warf sie mir einen Blick zu – es war der boshafteste Blick, den ich je gesehen, brach in ein häßliches Gelächter aus und ging davon.

Sie hat später nicht mehr von dem Vorfalle gesprochen und es schien wirklich, als hätte sie ihn vergessen, aber ich bemerkte doch seit der Zeit eine Veränderung in ihrem Wesen. Sie erfüllte zwar alle ihre Pflichten eben so sorgsam wie früher, that ihre Arbeiten mit derselben Accuratesse, aber sie war stiller als sonst und zog sich mehr vom Verkehr mit der übrigen Dienerschaft zurück. Sie that nichts, was mich berechtigt hätte, ihr zu mißtrauen, oder meine Herrin zu warnen, aber ich wurde das Gefühl nicht los, daß es besser gewesen wäre, Frau Smith hätte Josephinen zu dem halben Dutzend Taschentüchern noch einen Monatslohn gegeben und hätte sie selbigen Abend aus dem Hause geschickt.

Außer diesem kleinen häuslichen Vorfalle, der damals sehr unbedeutend erschien, obgleich er so ernste Folgen haben sollte, passirte in den sechs Wochen nichts Ungewöhnliches – zu Anfang der siebenten wurde endlich die Einförmigkeit unseres Lebens unterbrochen.

Der Postbote brachte einen an meine Herrin adressirten Brief. Ich trug ihn ihr in das Frühstückszimmer und dabei fiel mir das Aeußere desselben auf. Die Adresse war offenbar von ungeübter Hand geschrieben. Das Couvert war schmutzig und mit einer Oblate verklebt. »Ein Bettelbrief,« dachte ich in meinem Gedanken, als ich ihn meiner Lady übergab.

Sie nahm das Schreiben in Empfang und hob die Hand auf zum Zeichen, daß sie mir einen Befehl zu geben habe und ich warten möge, bis sie gelesen. Dann öffnete sie den Brief – aber kaum hatte sie die ersten Zeilen überflogen, als sie sich entfärbte Sie wurde bleich bis an die Lippen und das Papier zitterte in ihrer Hand. Dennoch las sie zu Ende. Plötzlich verwandelte sich aber ihre Blässe in zornige Röthe; sie ballte den Brief in der Hand zusammen, sprang von ihrem Stuhle auf und ging mehrere Male im Zimmer auf und ab, ohne von meiner Anwesenheit Notiz zu nehmen.

»Nichtswürdiger, Nichtswürdiger, Nichtswürdiger!« hörte ich sie zwar flüsternd, aber dennoch in zornigem, heftigem Tone hervorstoßen. Dann blieb sie mitten im Zimmer stehen. »Kann es denn aber wahr sein,« fragte sie noch immer zu sich selbst sprechend, »kann es denn wahr sein?« Plötzlich blickte sie auf, sah mich an der Thür stehen und befahl mir mit halb erstickter Stimme, sie allein zu lassen und in einer halben Stunde wieder nach ihren Befehlen zu fragen.

Ich gehorchte, aber ich hatte bereits genug gesehen, um daraus schließen zu können, daß sie sehr schlimme Nachrichten erhalten haben mußte. Was es sein konnte, davon hatte ich freilich keine Ahnung.

Als ich später ins Zimmer zurückkam, drückte das Gesicht der Lady noch immer eine sehr starke Gemüthsbewegung aus. Ohne ein Wort zu sprechen, händigte sie mir zwei versiegelte Briefe ein. Der eine war an Herrn Meeke adressirt; der andere trug die Bemerkung: »Sogleich zu bestellen.« und die Adresse ihres Anwaltes in London, der, wie ich hinzufügen muß, zugleich ihr Freund und weitläufiger Verwandter war.

Eine Ehestandstragödie

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