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Drittes Capitel.
Rendezvous im Mondschein

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Ich möchte mit Ihnen sprechen, – begann Naomi. »Denken Sie nicht schlimm von mir, weil ich Ihnen hierher gefolgt bin. Wir halten nicht viel auf Zeremoniell in Amerika.«

»Da haben Sie ganz Recht in Amerika..Wollen Sie sich nicht setzen?« Sie nahm an meiner Seite Platz, indem sie mir frei und unbefangen beim Lichte des Mondes ins Gesicht sah.

»Sie sind mit der Familie verwandt, fuhr sie fort, »und ich auch, und daher meine ich zu Ihnen sagen zu können, was ich einem Fremden nicht sagen dürfte. Ich bin recht froh, daß Sie gekommen sind, Mr. Lefrank, und aus einem Grunde, den Sie schwerlich vermuten.«

»Haben Sie Dank für das Kompliment, welches Sie mir machen, Miß Colebrook, welches auch der erwähnte Grund sein möge.«

Sie nahm keine Notiz von meiner Antwort, sondern verfolgte ihren Gedankengang

»Ich glaube nämlich, Sir, Sie könnten in diesem beklagenswerten Hause Gutes wirken,« sagte sie, indem sie mich noch immer mit ernsten Augen anschaute. »Es herrscht in Morwick Farm weder Liebe, noch Vertrauen, noch Frieden. Sie brauchen hier Jemand – Ambrosius ausgenommen; denken Sie nicht schlecht von ihm, er ist nur gedankenlos – aber die Andern brauchen Jemand, der ihnen mal so recht ins Gewissen redet, damit sie sich ihrer Verstocktheit und ihres hässlichen, herzlosen und neidischen Wesens schämen. Sie sind ein Gentleman Sie sind ihnen an Bildung überlegen und ob sie wollen oder nicht, sie müssen zu Ihnen hinauf sehen. Wenn Sie daher Gelegenheit haben, Mr. Lefrank, bitte, versuchen Sie, Frieden unter ihnen zu stiften. Sie haben gehört und gesehen, wie es bei Tische herging, und waren degoutirt davon. O ja, leugnen Sie nicht, Sie waren es. Ich habe wohl gesehen, wie Sie die Stirn runzelten, und ich weiß, was dies bei Euch Engländern zu bedeuten hat.«

Es blieb mir nichts übrig, als mich offen gegen Naomi auszusprechen Ich sagte ihr ganz unumwunden, welchen Eindruck die Vorgänge während des Abendessens auf mich gemacht hätten, und das Mädchen nickte mir wiederholt ihren Beifall über meine Aufrichtigkeit zu.

»So, das ist recht, das ist offen gesprochen, « sagte sie. »Aber Sie drücken es viel zu gelinde aus, wenn Sie sagen, die Männer scheinen nicht auf freundschaftlichem Fuße zu stehen.Sie hassen einander. Das ist das richtige Wort, Mr. Lefrank. Es ist Haß – tödlicher Haß.« Und dabei ballte sie ihre Hände und schüttelte die kleinen Fäuste heftig, um ihren letzten Worten mehr Nachdruck zu geben. Dann fiel ihr aber plötzlich Ambrosius ein und sie, öffnete ihre Hände wieder und setzte hinzu, indem sie eine derselben ernst auf meinen Arm legte: »Ambrosius ausgenommen, Sir. Beurteilen Sie Ambrosius nicht falsch. Er ist die Harmlosigkeit selbst.«

Des Mädchens unbefangene Offenheit war wirklich unwiderstehlich.

»Sollte ich wohl ganz und gar im Irrtum sein,« fragte ich, »wenn ich Sie für etwas zu parteiisch zu Gunsten dieses Ambrosius halte?«

Eine Engländerin würde bei meiner Frage ein wenig verlegen geworden sein, oder sich wenigstens so gestellt haben. Naomi aber zögerte keinen Augenblick mit der Antwort.

»Sie haben ganz Recht, Sir,« sagte sie voll.kommen ruhig. »Wenn alles gut geht, so gedenke ich mich mit Ambrosius zu verheiraten.«

»Wenn alles gut geht?« wiederholte ich.

»Was meinen Sie damit? In pekuniärer Hinsicht?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Ich meine, wenn die Dinge hier zwischen den Männern, den schlechten, gefühllosen, selbstsüchtigen Männern, keinen schlimmen Ausgang nehmen, was ich beständig fürchte. Ich meine nicht Ambrosius, Sir, sondern seinen Bruder Silas und John Jago. Haben Sie Silas’ Hand bemerkt? Das hat John Jago getan mit einem Messer.«

»Zufällig?« fragte ich.

»Absichtlich,« entgegnete sie, »es war die Antwort auf einen Schlag.«

Diese nackte Enthüllung der Zustände auf Morwick Farm machte mich doch ein wenig stutzig. Schläge und Messer unter dem reichen, respektablen Dach des alten Mr. Meadowcroft! Schläge und blanke Klingen, nicht unter den Arbeitern, nein unter der Herrschaft! Ich konnte es im ersten Augenblicke kaum glauben, wie es manchem meiner Leser ebenso gehen wird.

»Sind Sie dessen ganz gewiss?« fragte ich.

»Ich habe es von Ambrosius; Ambrosius würde mir nichts Unwahres sagen; er kennt die Geschichte ganz genau.«

Meine Neugierde war mächtig erregt. Nach welcher Art von Haushalt hatte ich mich voreilig über den Ozean begeben, um Stille und Ruhe zu suchen?

»Dürfte ich die Geschichte auch erfahren?« fragte ich.

»Ja, ich will Ihnen so gut ich kann wieder.erzählen, was Ambrosius mir erzählt hat. Aber Sie müssen mir erst eins versprechen, Sir, nämlich, daß Sie nicht auf und davongehen, sobald Sie die ganze Wahrheit erfahren haben. Geben Sie mir die Hand darauf, Mr. Lefrank. So, geben Sie mir die Hand.«

Vor ihrer unbefangenen Offenheit war an kein Ausweichen zu denken. Ich gab ihr die Hand darauf, und sobald sie dieses Unterpfand erhalten, begann sie, ohne sich mit einem Wort der Vorrede aufzuhalten, ihre Erzählung.

»Wenn man Sie auf der Farm herumführen wird,« hub sie an, »so werden Sie bemerken, daß sie eigentlich aus zwei verschiedenen Teilen besteht. Auf dieser Seite, die hier vor uns liegt, wird Ackerwirtschaft getrieben; auf der andern und zwar der größeren Hälfte des Landes, Viehzucht. Als Mr. Meadowcroft zu alt und hinfällig wurde, um selbst seine Farm zu bewirtschaften, teilten die Jungen – ich meine Ambrosius und Silas – die Arbeit zwischen sich. Ambrosius übernahm die Felder und Silas das Vieh. Es ging aber unter ihrem Regiment nicht alles, wie es sollte; woran es lag, weiß ich nicht. Ich bin aber überzeugt, daß es nicht Ambrosius Schuld war. Der alte Mann wurde je länger je unzufriedener, besonders mit seinem Viehstand, worin er seinen Stolz setzt. Ohne ein Wort seinen Söhnen zu sagen – und das war meiner Ansicht nach sehr unrecht von ihm, nicht wahr? – sah er sich unter der Hand nach einem Oberaufseher um, und traf in einer bösen Stunde auf John Jago. Mögen Sie John Jago leiden, Mr. Lefrank?«

»Bis jetzt kann ich nicht sagen, daß er mir gefiele.«

»Gerade so geht es mir. Aber ich weiß nicht, es ist möglich, daß wir ihm Unrecht tun. Man kann eigentlich nichts gegen John Jago einwenden, als daß er ein absonderlicher Mensch ist. Man sagt, er trüge den großen hässlichen Bart, und für mich ist ein Bart etwas Schreckliches, weil er beim Tode einer Frau ein Gelübde getan hätte. Aber glauben Sie nicht, Mr. Lefrank, daß der Mann – etwas verrückt sein muß, der seinem Kummer über den Tod seiner Frau dadurch Ausdruck gibt, daß er gelobt, sich nie wieder zu rasieren? Nun, und dies Gelübde soll John Jago getan haben. Es mag nicht wahr sein. Die Leute lügen hier fürchterlich. Wie dem auch sei, eines bezeugen selbst die jungen Leute, nämlich, daß John Jago, als er auf die Farm kam, die besten Empfehlungen besaß. Es ist schwer, dem alten Vater zu gefallen und es ihm recht zumachen, und beides gelang John Jago. Mr. Meadowcroft mag meine Landsleute im Allgemeinen nicht. Er ist wie seine Söhne Engländer bis in das innerste Mark hinein, aber trotzdem gewann John Jago sehr bald seine Gunst – vielleicht weil dieser sein Geschäft gründlich versteht. Denn das ist der Fall. Seit er die Oberaussicht führt, gedeihen Felder und Vieh ganz anders, als zur Zeit der jungen Leute. Ambrosius hat mir das selbst zugegeben. Aber dennoch ist es hart, eines Fremden wegen bei Seite gesetzt zu werden, nicht wahr, Sir? John befiehlt jetzt und die Beiden müssen gehorchen und haben keine Stimmen, wenn John und der Alte die Köpfe über die Angelegenheiten der Farm zusammen stecken. Ich habe Ihnen dies ein wenig ausführlich erzählt; aber nun wissen Sie auch, wie der Neid und der Haß vor meiner Zeit hier unter den Männern entstanden ist. Seit ich hier bin, scheint es immer schlimmer zu werden. Es vergeht kaum ein Tag, an dem es nicht harte Worte setzt zwischen den Söhnen und John, oder zwischen dem Vater und den Söhnen. Der alte Mann hat eine aufreizende Art, – eine abscheuliche Art, wie wir es nennen – John Jagos Partei zu nehmen. Sprechen Sie mit ihm darüber, wenn Sie Gelegenheit dazu finden, denn ich glaube er trägt die Hauptschuld bei den neuerlichen Händeln zwischen Silas und John. Ich will Silas keineswegs freisprechen von Schuld, obgleich er Ambrosius Bruder ist. Es war brutal von ihm, nach John zu schlagen, der der Kleinere und Schwächere von Beiden ist. Aber es war noch schlimmer als brutal von John, das Messer zu ziehen und nach Silas zu stechen. Ja, das tat er! Wenn Silas das Messer nicht gepackt hätte – und er schnitt sich die Hand dabei furchtbar, kann ich Ihnen sagen, ich habe sie selbst verbunden – so hätte die Sache leicht mit einem Morde enden können.«

Als das Wort über ihre Lippen war, hielt sie inne, sah über ihre Schulter und fuhr erschreckt zurück.

Ich blickte nach derselben Richtung wie meine Gefährtin und sah die dunkle Gestalt eines Mannes im Schatten des Eibenbaumes stehen, und uns beobachten. Ich erhob mich sofort, um ihm entgegen zu treten, aber Naomi, die ihre Kaltblütigkeit bereits wiedergewonnen hatte, hielt mich zurück.

»Wer sind Sie?« fragte sie, indem sie sich scharf nach dem Unbekannten umdrehte. »Was suchen Sie hier?«

Der Mann trat aus dem Schatten des Baumes in das volle Mondlicht, und wir sahen John Jago vor uns stehen.

»Ich hoffe, daß ich nicht störe,« sagte er, indem er mich scharf anblickte.

»Was wollen Sie?« fragte Naomi abermals.

»Ich will Sie nicht stören, noch diesen Herrn,« erwiderte er. »Wenn Sie ganz frei sind, Miß Naomi, würden Sie mir eine Gunst erweisen, wenn Sie mir gestatteten, mit Ihnen einige Worte allein zu sprechen?«

Er sprach mit der ausgesuchtesten Höflichkeit, während er sich zugleich vergeblich bemühte, die heftige Aufregung, in der er sich befand, zu bemeistern. Seine wilden braunen Augen, die im Mondschein noch unheimlicher aussahen, hingen flehend und mit einem seltsamen Aus.druck von Verzweiflung an Naomis Antlitz. Seine Hände, die er leicht gefaltet herunterfallen ließ, zitterten beständig. So wenig Sympathie mir der Mann einflößte, so erschien er mir doch in dem Augenblick beklagenswert

»Sie meinen doch nicht, daß es noch heute Abend sein müßte?« fragte Naomi mit unverhohlener Überraschung.

»Ja, Miß, wenn Sie so gütig sein wollen – sobald es Ihnen und Mr. Lefrank passen wird.«

Naomi zögerte.

»Kann es nicht bis morgen bleiben.?« fragte sie.

»Ich bin morgen den ganzen Tag von der Farm abwesend. Bitte, haben Sie die Güte, mir heute Abend einige Augenblicke zu schenken.« Er trat einen Schritt näher auf sie zu, seine Stimme bebte, und schüchtern und leiser fuhr.er fort: »Ich habe Ihnen wirklich etwas zusagen, Miß Naomi. Es wäre von Ihnen eine Güte – eine sehr, sehr große Güte – wenn Sie es mir zu sagen erlaubten, bevor ich mich heute zur Ruhe begebe.«

Ich stand abermals auf um ihm meinen Platz zu räumen; aber Naomi hielt mich wieder zurück.

»Nein, bleiben Sie,« sagte sie und fuhr dann gegen John gewendet mit innerem Widerstreben fort: »Wenn Sie so großes Gewicht darauf legen, Mr. Jago, so wird es wohl sein müssen. Ich begreife freilich nicht, was Sie mir zu sagen haben können, was nicht vor einem Dritten gesagt werden kann; aber es «wäre vielleicht nicht höflich von mir, wenn ich es Ihnen abschlüge. Sie wissen, daß ich jeden Abend um Zehn die große Uhr in der Halle aufziehe. Wenn es Ihnen passt, mir dabei zu helfen, so werden wir wahrscheinlich allein.in der Halle sein. Sind Sie damit zufrieden?«

John Jagos Geist

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