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Othello

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Wie? Wann? und Wo? Die Götter bleiben stumm!

Du halte dich ans Weil, und frage nicht Warum?


Goethe

1

Das Theater war gedrängt voll; ein neuangeworbener Sänger gab den Don Juan. Das Parterre wogte, von oben gesehen, wie die unruhige See, und die Federn und Schleier der Damen tauchten wie schimmernde Fische aus den dunkeln Massen. Die Ranglogen waren reicher als je, denn mit dem Anfang der Wintersaison war eine kleine Trauer eingefallen, und heute zum erstenmal drangen wieder die schimmernden Farben der reichen Turbans, der wehenden Büsche, der bunten Schals an das Licht hervor. Wie glänzend sich aber auch der reiche Kranz von Damen um das Amphitheater zog, das Diadem dieses Kreises schien ein herrliches, liebliches Bild zu sein, das aus der fürstlichen Loge freundlich und hold die Welt um und unter sich überschaute. Man war versucht zu wünschen, dieses schöne Kind möchte nicht so hoch geboren sein, denn diese frische Farbe, diese heitere Stirne, diese kindlich reinen, milden Augen, dieser holde Mund war zur Liebe – nicht zur Verehrung aus der Ferne geschaffen. Und wunderbar, wie wenn Prinzessin Sophie diesen frevelhaften Gedanken geahnet hätte – auch ihr Anzug entsprach diesem Bilde einfacher, natürlicher Schönheit; sie schien jeden Schmuck, den die Kunst verleiht, dem stolzen Damenkreis überlassen zu haben.

"Sehen Sie, wie lebendig, wie heiter sie ist", sprach in einer der ersten Ranglogen ein fremder Herr zu dem russischen Gesandten, der neben ihm stand, und beschaute die Prinzessin durch das Opernglas; "wenn sie lächelt, wenn sie das sprechende Auge ein klein wenig zudrückt und dann mit unbeschreiblichem Reiz wieder aufschlägt, wenn sie mit der kleinen niedlichen Hand dazu agiert – man sollte glauben, aus so weiter Ferne ihre witzigen Reden, ihre naiven Fragen vernehmen zu können."

"Es ist erstaunlich!" entgegnete der Gesandte.

"Und dennoch sollte dieser Himmel von Freudigkeit nur Maske sein? Sie sollte fühlen, schmerzlich fühlen, sie sollte unglücklich lieben und doch so blühend, so heiter sein? Gnädige Frau!" wandte sich der Fremde zu der Gemahlin des Gesandten, "gestehen Sie, Sie wollen mich mystifizieren, weil ich einiges Interesse an diesem Götterkinde genommen habe."

"Mon dieu! Baron", sagte diese mit dem Kopfe wackelnd, "Sie glauben noch immer nicht? Auf Ehre, es ist wahr, wie ich Ihnen sagte; sie liebt, sie liebt unter ihrem Stande, ich weiß es von einer Dame, der nichts dergleichen entgeht. Und wie? meinen Sie, eine Prinzeß, die von Jugend auf zur Repräsentation erzogen ist, werde nicht Tournüre genug haben, um ein so unschickliches Verhältnis den Augen der Welt zu verbergen?"

"Ich kann es nicht begreifen", flüsterte der Fremde, indem er wieder sinnend nach ihr hinsah; "ich kann es nicht fassen; diese Heiterkeit, dieser beinahe mutwillige Scherz – und stille, unglückliche Liebe? Gnädige Frau, ich kann es nicht begreifen!"

"Ja, warum soll sie denn nicht munter sein, Baron? Sie ahnet wohl nicht, daß jemand etwas von ihrer meschanten Aufführung weiß; der Amoroso ist in der Nähe – "

"Ist in der Nähe? o bitte, Madame! zeigen sie mir den Glücklichen, wer ist er?"

"Was verlangen Sie! Das wäre ja gegen alle Diskretion, die ich der Oberhofmarschallin schuldig bin; mein Freund, daraus wird nichts. Sie können zwar in Warschau wieder erzählen, was Sie hier gesehen und gehört haben, aber Namen? Nein, Namen zu nennen in solchen Affären, ist sehr unschicklich; mein Mann kann dergleichen nicht leiden."

Die Ouvertüre war ihrem Ende nahe, die Töne brausten stärker aus dem Orchester herauf, die Blicke der Zuschauer waren fest auf den Vorhang gerichtet, um den neuen Don Juan bald zu sehen; doch der Fremde in der Loge der russischen Gesandtschaft hatte kein Ohr für Mozarts Töne, kein Auge für das Stück; er sah nur das liebliche, herrliche Kind, das ihm um so interessanter war, als diese schönen Augen, diese süßen, freundlichen Lippen heimliche Liebe kennen sollten. Ihre Umgebungen, einige ältere und jüngere Damen, hatten zu sprechen aufgehört; sie lauschten auf die Musik; Sophiens Augen glitten durch das gefüllte Haus, sie schienen etwas zu vermissen, zu suchen. "Ob sie wohl nach dem Geliebten ihre Blicke aussendet?" dachte der Fremde; "ob sie die Reihen mustert, ihn zu sehen, ihn mit einem verstohlenen Lächeln, mit einem leisen Beugen des Hauptes, mit einem jener tausend Zeichen zu begrüßen, welche stille Liebe erfindet, womit sie ihre Lieblinge beglückt, bezaubert?" Eine schnelle, leichte Röte flog jetzt über Sophiens Züge, sie rückte den Stuhl mehr seitwärts, sie sah einigemal nach der Türe ihrer Loge; die Türe ging auf, ein großer, schöner junger Mann trat ein und näherte sich einer der älteren Damen; es war die Herzogin F., die Mutter der Prinzessin. Sophie spielte gleichgültig mit der Brille, die sie in der Hand hielt; aber der Fremde war Kenner genug, um in ihrem Auge zu lesen, daß dieser und kein anderer der Glückliche sei.

Noch konnte er sein Gesicht nicht sehen; aber die Gestalt, die Bewegungen des jungen Mannes hatten etwas Bekanntes für ihn; die Fürstin zog ihre Tochter ins Gespräch, sie blickte freundlich auf, sie schien etwas Pikantes erwidert zu haben, denn die Mutter lächelte, der junge Mann wandte sich um, und – "mein Gott! Graf Zronievsky!" rief der Fremde so laut, so ängstlich, daß der Gesandte an seiner Seite heftig erschrak und seine Gemahlin den Gast krampfhaft an der Hand faßte und neben sich auf den Stuhl niederriß.

"Um Himmels willen, was machen Sie für Skandal", rief die erzürnte Dame; "die Leute schauen rechts und links nach uns her; wer wird denn so mörderisch schreien? Es ist nur gut, daß sie da unten gerade ebenso mörderisch gegeigt und trompetet haben, sonst hätte jedermann Ihren Zronievsky hören müssen. Was wollen Sie nur von dem Grafen? Sie wissen ja doch, daß wir vermeiden, ihn zu kennen!"

"Kein Wort weiß ich", erwiderte der Fremde; "wie kann ich auch wissen, wen Sie kennen und wen nicht, da ich erst seit drei Stunden hier bin. Warum vermeiden Sie es, ihn zu sehen?"

"Nun, seine Verhältnisse zu unserer Regierung können Ihnen nicht unbekannt sein", sprach der Gesandte; "er ist verwiesen, und es ist mir höchst fatal, daß er gerade hier und immer nur hier sein will. Er hat sich unverschämterweise bei Hofe präsentieren lassen, und so sehe ich ihn auf jedem Schritt und Tritt, und doch wollen es die Verhältnisse, daß ich ihn ignoriere. Überdies macht mir der fatale Mensch sonst noch genug zu schaffen; man will höheren Orts wissen, wovon er lebe und so glänzend lebe, da doch seine Güter konfisziert sind; und ich weiß es nicht herauszubringen. Sie kennen ihn, Baron?"

Der Fremde hatte diese Reden nur halb gehört; er sah unverwandt nach der fürstlichen Loge; er sah, wie Zronievsky mit der Fürstin und den andern Damen sprach, wie nur sein feuriges Auge hin und wieder nach Sophien hinglitt, wie sie begierig diesen Strahl auffing und zurückgab. Der Vorhang flog auf, der Graf trat zurück und verschwand aus der Loge; Leporello hub sein Klagen an.

"Sie kennen ihn, Baron?" flüsterte der Gesandte; "wissen Sie mir Näheres über seine Verhältnisse – "

"Ich habe mit ihm unter den polnischen Lanciers gedient."

"Ist wahr; er hat in der französischen Armee gedient; sahen Sie sich oft? kennen Sie seine Ressourcen?"

"Ich habe ihn nur gesehen", warf der Fremde leicht hin, "wenn es der Dienst mit sich brachte; ich weiß nichts von ihm, als daß er ein braver Soldat und ein sehr unterrichteter Offizier ist."

Der Gesandte schwieg; sei es, daß er diesen Worten glaubte, sei es, daß er zu vorsichtig war, seinem Gast durch weitere Fragen Mißtrauen zu zeigen. Auch der Fremde bezeugte keine Lust, das Gespräch weiter fortzusetzen; die Oper schien ihn ganz in Anspruch zu nehmen; und dennoch war es ein ganz anderer Gegenstand, der seine Seele unablässig beschäftigte. "Also hieher hat dich dein unglückliches Geschick endlich getrieben?" sagte er zu sich, "armer Zronievsky! Als Knabe wolltest du dem Kosciusko helfen und dein Vaterland befreien; Freiheit und Kosciusko sind verklungen und verschwunden. Als Jüngling warst du für den Ruhm der Waffen, für die Ehre der Adler, denen du folgtest, begeistert, man hat sie zerschlagen; du hattest dein Herz so lange vor Liebe bewahrt, sie findet dich endlich als Mann, und siehe – die Geliebte steht so furchtbar hoch, daß du vergessen oder untergehen mußt!"

Das Geschick seines Freundes, denn das war ihm Graf Zronievsky gewesen, stimmte den Fremden ernst und trübe, er versank in jenes Hinbrüten, das die Welt und alle ihre Verhältnisse vergißt, und der Gesandte mußte ihn, als der erste Akt der Oper zu Ende war, durch mehrere Fragen aus seinem Sinnen aufwecken, das nicht einmal durch das Klatschen und Bravorufen des Parterres unterbrochen worden war.

"Die Herzogin hat nach Ihnen gefragt", sagte der Gesandte, – "sie behauptet, Ihre Familie zu kennen; kommen Sie, wischen Sie diesen Ernst, diese Melancholie von Ihrer Stirne; ich will Sie in die Loge führen und präsentieren."

Der Fremde errötete; sein Herz pochte, er wußte selbst nicht warum; erst als er den Korridor mit dem Gesandten hinging, als er sich der fürstlichen Loge näherte, fühlte er, daß es die Freude sei, was sein Blut in Bewegung brachte, die Freude, jenem lieblichen Wesen nahe zu sein, dessen stille Liebe ihn so sehr anzog.

2

Die Herzogin empfing den Fremden mit ausgezeichneter Güte. Sie selbst präsentierte ihn der Prinzessin Sophie, und der Name Larun schien in den Ohren des schönen Kindes bekannt zu klingen; sie errötete flüchtig und sagte, sie glaube gehört zu haben, daß er früher in der französischen Armee diente. Es war dem Baron nur zu gewiß, daß ihr niemand anders als Zronievsky dies gesagt haben konnte; es war ihm um so gewisser, als ihr Auge mit einer gewissen Teilnahme auf ihm, wie auf einem Bekannten, ruhte, als sie gerne die Rede an ihn zu richten schien.

"Sie sind fremd hier", sagte die Herzogin, "Sie sind keinen Tag in diesen Mauern, Sie können also noch von niemand bestochen sein; ich fordere Sie auf, seien Sie Schiedsrichter; kann es nicht in der Natur geheimnisvolle Kräfte geben, die – die, wie soll ich mich nur ausdrücken, die, wenn wir sie frevelhaft hervorrufen, uns Unheil bringen können?"

"Sie sind nicht unparteiisch, Mutter", rief die Prinzessin lebhaft. "Sie haben schon durch Ihre Frage, wie Sie sie stellten, die Sinne des Barons gefangen genommen. Sagen Sie einmal, wenn zufällig im Zwischenraum von vielen Jahren von einem Hause nach und nach sechs Dachziegel gefallen wären und einige Leute getötet hätten, würden Sie nicht mehr an diesem Hause vorübergehen?"

"Warum nicht? es müßten nur in diesen Ziegeln geheimnisvolle Kräfte liegen, welche – "

"Wie mutwillig!" unterbrach ihn die Herzogin, "Sie wollen mich mit meinen geheimnisvollen Kräften nach Hause schicken; aber nur Geduld; das Gleichnis, das Sophie vorbrachte, paßt doch nicht ganz – "

"Nun, wir wollen gleich sehen, wem der Baron recht gibt", rief jene; "die Sache ist so: wir haben hier eine sehr hübsche Oper, man gibt alles Mögliche, Altes und Neues durcheinander, nur eines nicht, die schönste, herrlichste Oper, die ich kenne; auf fremdem Boden mußte ich sie zum erstenmal hören; das erste, was ich tat, als ich hieher kam, war, daß ich bat, man möchte sie hier geben, und nie wird mir mein Wunsch erfüllt! Und nicht etwa, weil sie zu schwer ist, sie geben schwerere Stücke, nein, der Grund ist eigentlich lächerlich."

"Und wie heißt die Oper?" fragte der Fremde. "Es ist Othello!"

"Othello? Gewiß, ein herrliches Kunstwerk; auch mich spricht selten eine Musik so an wie diese, und ich fühle mich auf lange Tage feierlich, ich möchte sagen heilig bewegt, wenn ich Desdemonas Schwanengesang zur Harfe singen gehört habe."

"Hören Sie es? Er kommt von Petersburg, von Warschau, von Berlin, Gott weiß woher – ich habe ihn nie gesehen, und dennoch schätzt er 'Othello' so hoch. Wir müssen ihn einmal wieder sehen. Und warum soll er nicht wieder gegeben werden? Wegen eines Märchens, das heutzutage niemand mehr glaubt."

"Freveln Sie nicht", rief die Fürstin, "es sind mir Tatsachen bekannt, die mich schaudern machen, wenn ich nur daran denke; doch wir sprechen unserem Schiedsrichter in Rätseln; stellen Sie sich einmal vor, ob es nicht schrecklich wäre, wenn es jedesmal, so oft 'Othello' gegeben würde, brennte."

"Auch wieder ein Gleichnis", fiel Sophie ein, "doch es ist noch viel toller, das Märchen selbst!"

"Nein, es soll einmal brennen", fuhr die Mutter fort. "'Othello' wurde zuerst als Drama nach Shakespeare gegeben, schon vor fünfzig Jahren; die Sage ging, man weiß nicht, woher und warum, daß, so oft 'Othello' gegeben wurde, ein gewisses Evenement erfolgte; nun also unser Brennen; es brannte jedesmal nach 'Othello'. Man machte den Versuch, man gab lange Zeit 'Othello' nicht; es kam eine neue geistreiche Übersetzung auf, er wird gegeben – jener unglücklichste Fall ereignete sich wieder. Ich weiß noch wie heute, als 'Othello', zur Oper verwandelt, zum erstenmal gegeben wurde; wir lachten lange vorher, daß wir den unglücklichen Mohren um sein Opfer gebracht haben, indem er jetzt musikalisch geworden – Desdemona war gefallen, wenige Tage nachher hatte der Schwarze auch sein zweites Opfer. Der Fall trat nachher noch einmal ein, und darum hat man 'Othello' nie wieder gegeben; es ist töricht, aber wahr. Was sagen Sie dazu, Baron? aber aufrichtig, was halten Sie von unserem Streit?"

"Durchlaucht haben vollkommen recht", antwortete Larun in einem Ton, der zwischen Ernst und Ironie die Mitte hielt; "wenn Sie erlauben, werde ich durch ein Beispiel aus meinem eigenen Leben Ihre Behauptung bestätigen. Ich hatte eine unverheiratete Tante, eine unangenehme, mystische Person; wir Kinder hießen sie nur die Federntante, weil sie große, schwarze Federn auf dem Hut zu tragen pflegte. Wie bei Ihrem 'Othello', so ging auch in unserer Familie eine Sage, so oft die Federntante kam, mußte nachher eines oder das andere krank werden. Es wurde darüber gescherzt und gelacht, aber die Krankheit stellte sich immer ein, und wir waren den Spuk schon so gewöhnt, daß, so oft die Federntante zu Besuch in den Hof fuhr, alle Zurüstungen für die kommende Krankheit gemacht und selbst der Doktor geholt wurde."

"Eine köstliche Figur, Ihre Federntante", rief die Prinzessin lachend; "ich kann mir sie denken, wie sie den Kopf mit dem Federnhut aus dem Wagen streckte, wie die Kinder laufen, als käme die Pest, weil keines krank werden will, und wie ein Reitknecht zur Stadt sprengen muß, um den Doktor zu holen, weil die Federntante erschienen sei. Da hatten Sie ja wahrhaftig eine lebendige weiße Frau in Ihrer Familie!"

"Still von diesen Dingen", unterbrach sie die Fürstin ernst, beinahe unmutig; "man sollte nicht von Dingen so leichthin reden, die man nicht leugnen kann und deren Natur dennoch nie erklärt wird. So ist nun einmal auch mein 'Othello'", setzte sie freundlicher hinzu. "Und Sie werden ihn nicht zu sehen bekommen, Baron, und müssen ihr Lieblingsstück schon wo anders aufsuchen."

"Und Sie sollen ihn dennoch sehen", flüsterte Sophie zu ihm hin, "ich muß mein Desdemonalied noch einmal hören, so recht sehen und hören auf der Bühne, und sollte ich selbst darüber zum Opfer werden!"

"Sie selbst?" fragte der Fremde betroffen; "ich höre ja, der gespenstische Mohr soll nur brennen, nicht töten?"

"Ach, das war ja nur das Gleichnis der Mutter!" flüsterte sie noch viel leiser, "die Sage ist noch, viel schauriger, noch viel gefährlicher."

Der Kapellmeister pochte, die Introduktion des zweiten Akts begann, und der Fremde stand auf, die fürstliche Loge zu verlassen. Die Herzogin hatte ihn gütig entlassen, aber vergebens sah er sich nach dem Gesandten um, er war wohl längst in seine Loge zurückgekehrt. Unschlüssig, ob er rechts oder links gehen müsse, stand er im Korridor, als eine warme Hand sich in die seinige legte; er blickte auf, es war der Graf Zronievsky.

3

"So habe ich doch recht gesehen?" rief der Graf, "mein Major, mein tapferer Major! Wie lebt alles wieder in mir auf! Ich werfe diese unglücklichen dreizehn Jahre von mir; ich bin der frohe Lancier wie sonst! Vive Poniatowsky, vive l'emp-"

"Um Gottes willen, Graf!" fiel ihm der Fremde in das Wort; "bedenken Sie, wo Sie sind. Und warum diese Schatten heraufbeschwören? Sie sind hinab mit ihrer Zeit, lasset die Toten ruhen."

"Ruhen?" entgegnete jener; "das ist ja gerade, was ich nicht kann; o, daß ich unter jenen Toten wäre, wie sanft, wie geduldig wollte ich ruhen. Sie schlafen, meine tapfern Polen, und keine Stimme, wie mächtig sie auch rufe, schreckt sie auf. Warum darf ich allein nicht rasten?"

Ein düsteres, unstetes Feuer brannte in den Augen des schönen Mannes; seine Lippen schlossen sich schmerzlich; sein Freund betrachtete ihn mit besorgter Teilnahme, er sah hier nicht mehr den fröhlichen, heldenmütigen Jüngling, wie er ihn an der Spitze des Regimentes in den Tagen des Glückes gesehen; das zutrauliche, gewinnende Lächeln, das ihn sonst so angezogen, war einem grämlichen, bittern Zuge gewichen, das Auge, das sonst voll stolzer Zuversicht, voll freudigen Mutes, frei und offen um sich blickte schien mißtrauisch jeden Gegenstand zu prüfen, durchbohren zu wollen, das matte Rot, das seine Wangen bedeckte, war nur der Abglanz jener Jugendblüte, die ihm in den Salons von Paris den Namen des schönen Polen erworben hatte, und dennoch, auch nach dieser großen Veränderung, welche Zeit und Unglück hervorgebracht hatten, mußte man gestehen, daß Prinzessin Sophie sehr zu entschuldigen sei.

"Sie sehen mich an, Major?" sagte jener nach einigem Stillschweigen, "Sie betrachten mich, als wollten Sie die alten Zeiten aus meinen Zügen herausfinden? Geben Sie sich nicht vergebliche Mühe, es ist so manches anders geworden, sollte nicht der Mensch mit dem Geschick sich ändern?"

"Ich finde Sie nicht sehr verändert", erwiderte der Fremde, "ich erkannte Sie bei dem ersten Anblick wieder. Aber eines finde ich nicht mehr wie früher, aus diesen Augen ist ein gewisses Zutrauen verschwunden, das mich sonst so oft beglückte. Alexander Zronievsky scheint mir nicht mehr zu trauen. Und doch", setzte er lächelnd hinzu, "und dennoch war mein Geist immer bei ihm, ich weiß sogar die tiefsten Gedanken seines Herzens."

"Meines armen Herzens!" entgegnete der Graf wehmütig; "ich wüßte kaum, ob ich noch ein Herz habe, wenn es nicht manchmal vor Unmut pochtet. Welche Gedanken wollen Sie aufgespart haben, als die unwandelbare Freundschaft für Sie, Major? Schelten Sie nicht mein Auge, weil es nicht mehr fröhlich ist; ich habe mich in mich selbst zurückgezogen, ich habe mein Vertrauen in meine Rechte gelegt, ihr Druck wird Ihnen sagen, daß ich noch immer der Alte bin."

"Ich danke; aber wie, ich sollte mich nicht auf die Gedanken Ihres Herzens verstehen? Sie sagen, es pocht nur vor Unmut; was hat denn ein gewisses Fürstenkind getan, daß Ihr Herz so gar unmutig pocht?"

Der Graf erblaßte; er preßte des Fremden Hand fest in der seinigen: "Um Gottes willen, schweigen Sie; nie mehr eine Silbe über diesen Punkt! Ich weiß, ich verstehe, was Sie meinen, ich will sogar zugeben, daß Sie recht gesehen haben; der Teufel hat Ihre Augen gemacht, Major! Doch warum bitte ich einen Ehrenmann wie Sie, zu schweigen? Es hat noch keiner vom achten Regiment seinen Kameraden verraten."

"Sie haben recht, und kein Wort mehr darüber; doch nur dies eine noch; vom achten verratet keiner den Kameraden, ob aber der gute Kamerad sich selber nicht verrät?"

"Kommen Sie hier auf diese Treppe", flüsterte der Graf, denn es nahten sich mehrere Personen; "Jesus Maria, sollte außer Ihnen jemand etwas ahnen?"

"Wenn Sie Vertrauen um Vertrauen geben werden, wohlan, so will ich beichten."

"O, foltern Sie mich nicht, Major! Ich will nachher sagen, was Sie haben wollen, nur geschwind, ob jemand außer Ihnen – "

Der Major von Larun erzählte, er sei heute in dieser Stadt angekommen, seine Depeschen seien bei dem Gesandten bald in Richtigkeit gewesen, man habe ihn in die Oper mitgenommen, und dort, wie er entzückt die Prinzessin aus der Ferne betrachtet, habe ihm die Gesandtin gesagt, daß Sophie in ein Verhältnis unter ihrem Stande verwickelt sei. "Sie traten ein in die fürstliche Loge, ein Blick überzeugte mich, daß niemand als Sie der Geliebte sein könne."

"Und die Gesandtin?" rief der Graf mit zitternder Stimme.

"Sie hat es bestätigt. Wenn ich nicht irre sprach sie auch von einer Oberhofmarschallin, von welcher sie die Nachricht habe."

Der Graf schwieg, einige Minuten vor sich hinstarrend; er schien mit sich zu ringen, er blickte einige Male den Fremden scheu von der Seite an – "Major!" sprach er endlich mit klangloser, matter Stimme; "können Sie mir hundert Napoleon leihen?"

Der Major war überrascht von dieser Frage; er hatte erwartet, sein Freund werde etwas Weniges über sein Unglück jammern, wie bei dergleichen Szenen gebräuchlich, er konnte sich daher nicht gleich in diese Frage finden und sah den Grafen staunend an.

"Ich bin ein Flüchtling", fuhr dieser fort; "ich glaubte endlich eine stille Stätte gefunden zu haben, wo ich ein klein wenig rasten könnte, da muß ich lieben – muß geliebt werden, Major, wie geliebt werden!" Er hatte Tränen in den Augen, doch er bezwang sich und fuhr mit fester Stimme fort: "Es ist eine sonderbare Bitte, die ich hier nach so langem Wiedersehen an Sie tue, doch ich erröte nicht, zu bitten. Kamerad, gedenken Sie des letzten ruhmvollen Tages im Norden, gedenken Sie des Tages von Mosjaisk?"

"Ich gedenke!" sagte der Fremde, indem sein Auge glänzte und seine Wangen sich höher färbten.

"Und gedenken Sie, wie die russische Batterie an der Redoute auffuhr, wie ihre Kartätschen in unsere Reihen sausten und der Verräter Piolzky zum Rückzug blasen ließ?"

"Ha!" fiel der Fremde mit dröhnender Stimme ein, "und wie Sie ihn herabschossen, Oberst, daß er keine Ader mehr zuckte, wie die Husaren rechts abschwenkten, wie Sie 'vorwärts!' riefen, vorwärts Lanciers vom achten, und die Kanonen in fünf Minuten unser waren!"

"Gedenken Sie?" flüsterte der Graf mit Wehmut; "wohlan! ich kommandiere wieder vor der Front. Es gilt einen Kameraden herauszuhauen, werdet Ihr ihn retten? En avant, Major! vorwärts, tapfrer Lancier! wirst du ihn retten, Kamerad?"

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