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I.Einleitung

1.Zum Neuansatz der Schriftprophetie im Jesajabuch

Die letzten Jahrzehnte der alttestamentlichen Prophetenforschung im Allgemeinen und des Jesajabuches im Besonderen1 zeichnen sich durch eine grundlegende Neuorientierung aus. Galt zuvor die ganze Aufmerksamkeit möglichen Entwicklungsstufen mit ihren unterschiedlichen Redaktionen, Erweiterungen und Glossierungen (diachrone Analyse), so rückte die Frage nach Aufbau und Struktur der prophetischen Bücher immer mehr in den Mittelpunkt (synchrone Analyse). Richtete sich früher das Hauptinteresse auf die vermeintlich ältesten prophetischen Worte (Einzellogien), die wie Schätze aus dem Geröll der sie überlagernden Schichten herausgelöst werden mussten, um so die Stimme der inspirierten Gottesmänner vernehmen zu können, hat sich das Bild gänzlich gewandelt. Die Erkenntnis brach sich Bahn, dass das prophetische Gotteswort nur innerhalb der prophetischen Schriften zu hören ist – und nicht losgelöst oder unabhängig von diesen. Als Leitspruch gilt nun: Wer die Propheten hören will, kommt an den prophetischen Büchern nicht vorbei! In ihnen ist das Gotteswort für die jeweilige Zeit verfasst, überliefert, ergänzt und immer wieder aktualisiert worden. So sind die jüngeren und jüngsten Worte der Prophetie nicht das Ergebnis theologisch unbedeutender Epigonen, sondern die Frucht einer jahrhundertelangen Traditionspflege mit intensiver Durchdringung des Gotteswillens für Israel und die Völker. Die einstige Vorstellung, Schriftprophetie basiere ausschließlich oder zu großen Teilen auf charismatischen Einzelgestalten, die das an sie ergangene Gotteswort nach der Verkündigung für die Nachwelt aufzeichneten oder durch Schülerkreise aufschreiben ließen, ist nicht mehr haltbar. Insgesamt kann die literarische Entwicklung, die zu den großen Prophetenschriften führte, mit dem jahrhundertelangen Prozess verglichen werden, in dem die großen mittelalterlichen Kathedralen entstanden. An ihrer komplexen Struktur haben unzählige Baumeister mitgearbeitet, jeder auf seine Art und Weise. Sie dienten der gemeinsamen Sache, ohne dass von Anfang an ein allumfassender Masterplan vorgelegen hätte. Wie jeder Stein seine eigene Geschichte hat, aber nur im Ganzen des Bauwerkes seine eigentliche Funktion erfüllt, so auch jeder Spruch im Gesamtkunstwerk der prophetischen Schrift.2

Die Frage nach der Endkomposition des Jesajabuches kam mit Ausnahme der wichtigen Kommentierung durch James Muilenburg und einer Studie von Joachim Becker3 erst ab den 80er-Jahren des letzten Jahrhunderts auf.4 Dabei war die englischsprachige5 Exegese dieser neuen Fragestellung gegenüber aufgeschlossener als die deutschsprachige, die überwiegend diachron ausgerichtet blieb. So musste Rolf Rendtorff noch im Jahre 1984 mit Bedauern feststellen: »Die Frage nach der Komposition des Jesajabuches in seiner jetzt vorliegenden Form gehört nicht zu den allgemein anerkannten Themen der alttestamentlichen Wissenschaft«.6 Eine solche negative Einschätzung ist heute nicht mehr zu hören. Nun heißt es: »Wer zum Propheten will, ist zuerst an das Buch gewiesen. Gegenüber der lange alles dominierenden Rückfrage nach den prophetischen Personen ist deshalb die klärende Nachfrage nach den prophetischen Büchern jetzt die vordringliche Aufgabe«.7 Die einst so hitzig geführte Debatte um die Vorherrschaft synchroner oder diachroner Methoden ist der Einsicht gewichen, dass beide Ansätze ihre Berechtigung in den biblischen Büchern selbst haben. Deren Endgestalt ist das Resultat eines oft jahrhundertelangen Entstehungsprozesses, der nur noch in den großen Linien nachgezeichnet werden kann.

Zudem sieht man jetzt die Grenzen beider Ansätze klarer als zuvor: Einerseits kann keine der synchronen Endtextlesungen alle Einzelaspekte auf ein Schema reduzieren, andererseits kann keines der diachronen Modelle alle Entwicklungsstufen des Buches einholen! Wenn beide Zugangsweisen legitim sind, sollten auch beide zur Anwendung kommen. Genau dafür steht die »diachron reflektierte Synchronie«. Sie setzt beim Endtext ein, lässt aber die Rückfrage nach den geschichtlichen Entstehungsprozessen nicht außer Acht.8 Beide Aspekte sind in der Auslegung gleichermaßen zu berücksichtigen. So kann die Leserschaft einen Eindruck davon gewinnen, wie die Endgestalt des Textes immer auch das Resultat seiner Geschichte ist. Als Vergleich mag hilfreich sein, dass wir unsere Mitmenschen in ihrem jeweiligen Sosein auch besser verstehen, wenn wir ihre Lebensgeschichte kennen!

2.Zentrale Eckpunkte der Forschungsgeschichte

Die Forschungsgeschichte des Jesajabuches kann unter dem Motto zusammengefasst werden: Vom Propheten über drei Bücher zum einen Buch. In der vormodernen Zeit galt Jesaja ben Amoz als Autor der gesamten Schrift, die seinen Namenträgt. Gleiches ist auch heute noch in konservativen Kreisen der Fall.9 Die Ansicht stützt sich besonders auf die Überschrift in 1,1, wonach der Prophet den Inhalt der Schriftrolle in den Tagen der Könige Usija, Jotam, Ahas und Hiskija schaute, die alle Nachfolger auf dem Thron Davids in Jerusalem in der zweiten Hälfte des 8. Jh. waren. Dass Jesaja zwischen 734 und 701 während der neuassyrischen Expansionsbewegungen von Tiglatpileser III., Salmanassar V., Sargon II. und Sanherib aufgetreten ist, kann als gesichert gelten. Er erlebte den Untergang des Nordreiches im Jahr 722 und auch den Feldzug Sanheribs in den Jahren 703–701, der Juda völlig desolat zurückließ. Dabei hatte sich die Hauptstadt Jerusalem nur mit knapper Not dem Untergang entziehen können. Von daher ist es kein Zufall, dass Jesaja als einziger der Schriftpropheten auch im deuteronomistischen Geschichtswerk (Jos–2 Kön) genannt ist, und zwar in der Erzählung über die Belagerung Jerusalems durch die Assyrer (2 Kön 18–20; Jes 36–39). Dieser Prophet war mit dem Schicksal Jerusalems und des Zion zutiefst verbunden. Der Legende nach, wie sie im »Martyrium Jesaiae« aus dem letzten Drittel des 1. Jh. n.Chr. wiedergegeben ist, hat er unter dem judäischen König Manasse (697–642) das Martyrium erlitten, indem er zersägt worden sein soll (vgl. Hebr 11,37).

Dass das Jesajabuch seit frühester Zeit als eine einheitliche Schrift rezipiert und überliefert wurde (LXX; Qumran; NT; Patristik), kann nicht verwundern. Schon der Sirazide preist Jesaja im Lob der Väter als großen und zuverlässigen Seher (Sir 48,22–25), der dem todkranken König Hiskija das Leben verlängerte (Jes 39) und die Trauernden Zions tröstete (Jes 40): »Für fernste Zeit verkündete er das Kommende und das Verborgene, bevor es geschah« (Sir 48,25). Dass Jesaja in Jes 1,1 als derjenige vorgestellt wird, der die »Schauung schaut«, ist ein wichtiges Indiz für die Rezeption dieses Propheten in der Schriftrolle selbst. Dabei zielt die Überschrift nicht auf die Verfasserschaft Jesajas im eigentlichen Sinne ab, sondern auf seine Autorität, die dieser Schrift zugrunde liegt. Interessanterweise hält der babylonische Talmud Jesaja gar nicht für den Verfasser der Rolle, sondern Hiskija und sein Kollegium, die zudem das Buch der Sprüche, das Hohelied und Kohelet verfasst haben sollen (Baba bathra 14b–15a). Damit scheint bereits eine editorische Tätigkeit durch, für die keine Einzelperson, sondern ein Kollektiv verantwortlich zeichnet. Einer der Faktoren für die Annahme einer kollektiven Verfasserschaft lag sicherlich in der Zeitspanne, die sich von der assyrischen bis in die Zeit der Perser erstreckte. Wahrscheinlich war schon der frühjüdischen Tradition aufgegangen, dass der historische Jesaja den Perserkönig Kyrus kaum namentlich angekündigt haben konnte (Jes 44,28; 45,1). Darauf deutet auch der rabbinische Homilien-Midrasch Pesiqta de Rav Kahana 16,10 aus dem 5. Jh. n.Chr. hin, wo die Frage gestellt wird, warum es in Jes 40,1 nicht wie sonst Gott »hat gesagt« (), sondern Gott »sagt« () heiße. Damit wird betont, dass Gott weiter redet, obschon der Prophet von der Bühne abgetreten ist. Noch expliziter geht der jüdische Gelehrte Abraham Ibn Ezra auf dieses besondere Phänomen des Jesajabuches ein, das darin besteht, dass der Prophet ab der Mitte (ab 39) gar nicht mehr vorkommt und auch gar nicht mehr auftreten kann. Denn er hätte ja über 200 Jahre alt werden müssen, um die Zeit der Befreiung aus Babel durch die Perser mitzuerleben! In seinem 1145 im italienischen Lucca verfassten Jesaja-Kommentar meint Ibn Ezra, man solle sich in dieser Frage am Buch Samuel orientieren, denn auch dieser habe sein Buch nur bis 1 Sam 25,1 geschrieben, wo von seinem Tod berichtet wird. Wohl aus Rücksicht auf die jüdische Orthodoxie hatte der mittelalterliche Exeget nicht noch deutlicher gesagt, dass Jesaja nicht der Verfasser der ganzen Schrift gewesen sein könne.

Der geschichtliche Graben, der zwischen dem historischen Jesaja und der in Jes 40ff. vorausgesetzten Zeit des Exils und des Nachexils liegt, ließ sich mit dem Aufkommen der historisch-kritischen Bibelauslegung nicht mehr mit dem Hinweis auf die Überschrift »Vision Jesajas« überbrücken. Hätte Jesaja ben Amoz nur mit vagen Andeutungen auf die Zukunft verwiesen, wäre das vielleicht noch zu tolerieren gewesen, aber mit »Kyrus« (559–530) war der Begründer des persischen Großreiches namentlich genannt worden. Zum Vergleich: was sollten heutige Adressaten mit der Information anfangen, im Jahre 2150 werde eine wichtige Persönlichkeit die Weltgeschichte beeinflussen? Dass der historische Jesaja die assyrische Bedrohung mit Scharfblick wahrgenommen hat und theologisch interpretierte, bedarf keiner Begründung. Dass er darüber hinaus das Ende des babylonischen Exils durch die Perser ankündigte, ist historisch unhaltbar. Der garstige Graben der Geschichte lässt sich auch nicht mit dem Verweis auf die besondere Qualität der Schrift überspringen, wie dies mancherorts noch versucht wird: »Isaiah of Jerusalem did indeed predict the Babylonian exile, and in so doing showed how the towering theology that he applied to events in his own lifetime would become even more towering in relation to those new situations that he could see in outline, but not in detail«.10 Der geschichtliche Graben zwischen dem Propheten vom Ende des achten Jahrhunderts und der exilisch-nachexilischen Zeit lässt sich auch nicht durch die Vorstellung einer Verbalinspiration zuschütten, nach dem Motto: wenn Gott durch seine Propheten Vorhersagen machen will, kann ihm das keiner verbieten!

So ist es nicht verwunderlich, dass die historische Bibelkritik gerade bei dieser Problematik ansetzte.11 Hier trafen traditionelle Schriftauslegung und historischkritische Rückfrage ganz unversöhnlich aufeinander. So schreibt Johann Christoph Döderlein (1746–1792), Professor an der fränkischen Universität zu Altdorf: »Die Dogmatik der Christen kann nicht die Dogmatik der Zeitgenossen des Esaias seyn, und wo Cyrus beschrieben ist, da denke ich nicht an den Meßias.«12 Danach stellt er die entscheidende Frage, »ob es nicht glaublich sey, daß dieser ganze Abschnitt erst während des Babylonischen Exils sey niedergeschrieben worden«. Erst in der dritten Auflage seines Jesaja-Kommentars formuliert Döderlein explizit die These, dass die Buchrede (»oratio«) ab Kap. 40 nicht von Jesaja stamme, sondern am Ende des Exils von einem anonymen bzw. homonymen, also gleichnamigen Propheten geschrieben worden sei. Auch betont er, dass die Namenlosigkeit des Verfassers dem Ansehen von Jes 40–66 keinen Abbruch tue, denn die Autorität hänge ja nicht vom Verfasser ab, sondern vom Inhalt der Schrift und ihrem Nutzen für das Gottesvolk in einer konkreten geschichtlichen Situation. Dies ist in Exegese, Theologie und Kirche allzu oft überhört worden, denn nicht die Boten stehen im Zentrum der alttestamentlichen Schriften, sondern die Botschaft selbst ist entscheidend.

Zu wirklicher Popularität gelangte die These von Döderlein erst durch den großen Jesaja-Kommentar von Bernhard Duhm aus dem Jahre 1892. Darin spricht dieser zum einen die vier Gottesknechtslieder und die Götzenpolemiken dem exilischen Anonymus ab und weist zum anderen die Kapitel 56–66 einem dritten, noch späteren Propheten zu, den er der Einfachheit halber »Tritojesaja« nennt. Damit hat sich Duhm nicht nur als Erfinder von »Tritojesaja« in der Forschungsgeschichte verewigt, sondern auch als der Exeget, der dem Anonymus von Döderlein einen Namen gab, nämlich »Deuterojesaja«. Die alternative Ansicht, Jes 40–66 stelle eine Anthologie vieler anonym gebliebener Autoren dar, war damit auf lange Zeit marginalisiert.13 Vor dem Hintergrund einer romantischen Idee des wahren Propheten entwirft Duhm ein lebendiges Bild von »Deuterojesaja«, den er aber wegen der Vorliebe für Baumsorten und Küstenstreifen weder in Babylonien noch in Juda, sondern im Libanon lokalisiert.

Die alttestamentliche Wissenschaft der letzten 100 Jahre ist von der Hypothese eines anonymen Propheten »Deuterojesaja« zutiefst geprägt worden. Aus dem exegetischen Kunstnamen wurde der Eigenname eines Verfassers, der die Summe der Prophetie und den Höhepunkt des AT verkörpern sollte.14 Es war aber gerade die Anonymität, an der die Kritik ansetzte. Mit beißender Ironie hält z.B. Wilhelm Caspari den Duhmschen Deuterojesaja für »eine Zimmerpflanze auf dem Gelehrten-Schreibtische.«15 Zur Diskussion stand und steht nicht die Besonderheit der Kapitel 40ff., sondern ihre vermeintliche biographische Verankerung. Hinter »Deuterojesaja« eine historische Prophetengestalt zu vermuten, ist in der Exegese immer noch sehr verbreitet16, doch nehmen die Stimmen zu, die für eine alternative Sichtweise plädieren.17 Dass die Lieder vom Gottesknecht dieses biographische Vakuum nicht füllen können, wird ebenfalls immer deutlicher wahrgenommen.18 Auch weisen redaktionskritische Studien einer möglichen deuterojesajanischen Grundschicht immer weniger Texte zu.19

Gegenüber der breiten Akzeptanz des Duhmschen »Deuterojesaja« hat sich dessen Ansicht über »Tritojesaja« nie flächendeckend durchsetzen können. Hier dachte man schon sehr früh an Kreise von Schriftgelehrten. Doch im Sog der alles beherrschenden Deuterojesaja-Hypothese wurden diese als Schüler des exilischen Anonymus missverstanden.20 Dass »Deuterojesaja« in Theologie und Kirchen so populär werden konnte, hing nicht zuletzt vom christlich geprägten Prophetenbild ab. Man wollte so wichtige Texte nicht einfach namenlosen Schreibergruppen zuweisen. Von daher ist die vorsichtige Anfrage von Diethelm Michel zum Rätsel Deuterojesajas in der Theologischen Realenzyklopädie aus dem Jahre 1981 mit einem klaren Ja zu beantworten: »Es ist also zu fragen, ob bei der Postulierung eines Propheten Deuterojesaja nicht die Ansicht Pate gestanden hat, eine so überzeugende theologische Leistung könne nur von einem großen Individuum stammen.«21 Zu den kritischen, viele Jahrzehnte überhörten Stimmen von Caspari, Vincent und dem frühen Michel mit seiner Antrittsrede von 196722 gehört auch die kleine Monographie von Joachim Becker »Isaias – der Prophet und sein Buch« aus dem Jahre 1968. Seine damalige Einschätzung hat nichts an Wert eingebüßt: »Die verbreitete Vorstellung von einer kurz vor 539 wirkenden – aus Verlegenheit ›Deuteroisaias‹ genannten – Prophetengestalt entspringt unbewußt dem Bestreben, einen angesehenen und bedeutsamen Text wie Is 40–55 vor dem Schicksal der redaktionellen Anonymität, die ihn exegetisch zur Bedeutungslosigkeit verurteilt hätte, zu bewahren. Oder umgekehrt: Man kann den Text nicht als redaktionell gelten lassen, weil er bedeutend ist, und schafft daher künstlich die Prophetengestalt des ›Deuteroisaias‹.«23 Dieses Festhalten an der individuellen Gestalt des Propheten wurde sicherlich auch durch den Druck der kirchlichen Dogmatik befördert, die für ihre Inspirationslehre biographisch fassbare Personen als erforderlich erachtete.24

Die Annahme kollektiver Verfasserschaften ist nur auf den ersten Blick ungewöhnlich, und zwar dann, wenn es prophetische Texte betrifft. Bei der Erforschung des Pentateuchs sind die priesterlichen, nicht-priesterlichen und deuteronomischen Traditionen nie als das Ergebnis individueller Autoren verstanden worden. Hinter den Deuteronomisten und den Verfassern des Chronistischen Geschichtswerkes stehen gleichermaßen theologische Gruppen und keine Einzelpersonen. Bei den Psalmen werden die Sängergilden, die für einzelne Lieder und Liedsammlungen verantwortlich waren, zum Teil namentlich genannt (Korachiter: Ps 42–49; 84–85; Asafiten: Ps 50; 73–83; vgl. Jeduthun: Ps 39; 62; 77; Heman: Ps 88; 1 Chr 16,41–42; 25,1–6). Das Wissen um kollektive Verfasserschaften hat sich in der jüdischen Tradition erstaunlicherweise erhalten, wie der babylonische Talmudtraktat Baba bathra 14b–15a deutlich zeigt. Dort heißt es unter anderem, Hiskija und sein Kollegium hätten Jesaja, Sprüche, das Hohelied und Kohelet geschrieben.25

Die Ansicht, hinter den Autoren des Jesajabuches stünden Kollektive, hatte sich zunächst an der Vorstellung einer Jesaja-Schule26 festgemacht, sowie an der einer Deuterojesaja-Schule.27 Für erstere ist es durchaus plausibel und für die Überlieferungsbildung wohl unerlässlich, von einer Tradentengruppe am Ende des 7. Jh. auszugehen, die besonders für eine erste Abfassung der sogenannten Immanuelschrift in Jes 6–8 verantwortlich zeichnete. In Bezug auf Kap. 40–66 hätten die Schüler des großen exilischen Anonymus seine Worte bewahrt, fortgeschrieben und in die jetzige Endfassung gebracht. Demnach wäre Deuterojesaja nicht die Einzelfigur im Sinne von Duhm gewesen, sondern als »chef du groupe« aufgetreten28, dessen Botschaft nach seinem Tod von seinen Schülern gesammelt und herausgegeben worden sei.29 Diese Hypothese hat aber mit der Rückfrage zu kämpfen, warum dessen Name so konsequent verschwiegen worden wäre. Zudem lässt sich in 40ff. keine Auftrittsszene eines Propheten entdecken, ganz im Gegensatz zum ebenfalls exilischen Ezechiel (vgl. Ez 1,1; 24,1; 26,1; 29,1). Konträr zum Ezechielbuch, wo viele Texteinheiten mit »das Wort JHWHs erging an mich« (u.a. 6,1; 7,1; 12,1.8) eingeleitet werden, fehlt dies in 40ff. völlig (zu 40,6; 48,16, siehe die Auslegung). Die 1. Person Singular im zweiten und dritten Gottesknechtslied (49,1ff.; 50,4ff.) kann diese Lücke nicht füllen, denn hier dominiert eine formgebundene Sprache, die keine Rückschlüsse auf eine historische Einzelperson zulässt.30 Dass das Leiden des Knechts im vierten Gottesknechtslied (52,13ff.) nicht auf das Martyrium eines anonymen Propheten auszulegen ist31, hatte bereits Julius Wellhausen unterstrichen: »Die Annahme ist abenteuerlich, daß im Exil ein unvergleichlicher Prophet, womöglich von seinen eigenen Landsleuten, zum Märtyrer gemacht, dann aber verschollen wäre. Die Aussagen passen auch nicht auf einen wirklichen Propheten. Der hat nicht die Aufgabe und noch weniger den Erfolg, alle Heiden zu bekehren.«32

So gewinnt in den letzten Jahren die Ansicht immer mehr an Boden, dass sich aus Jes 40–66 keine prophetischen Einzelgestalten ableiten lassen.33 Im Mittelpunkt steht der Text selbst, der dadurch gekennzeichnet ist, dass er mehr als andere prophetische Schriften eine dramatisch fortschreitende Entwicklung aufweist. Vom Anfang bis zum Ende geht es um Jerusalem und Zion als Zentrum und Ziel der Gottesherrschaft über Israel und die Völker. Dieses Drama der Reinigung und Bedrohung, der Gerichtsansagen und Heilsankündigungen kreist in immer neuen Anläufen um die Zukunft der Gottesstadt, dem Ziel der Geschichte JHWHs mit seinem Volk und den Völkern.

Wie immer man die Gesamtanlage des Jesajabuches bewertet und welche Entwicklungsstufen auch vorgeschlagen werden, auf die Annahme professioneller Schriftgelehrter kann heutzutage kein Erklärungsversuch mehr verzichten. Odil Hannes Steck, der sich wie kaum ein anderer um das Phänomen der schriftgelehrten Prophetie verdient gemacht hat, charakterisiert diese Literaten folgendermaßen: »Fachleute, geschulte und sich schulende Insider, die ihre Schriften im Dienste fließender Relecture aufs genaueste in Abfolge und Aussage kennen – professioneller Autoren- und Leserkreis in einem. Erst nach der Kanonisierung, als der Fluß produktiver Relecture zum Stehen gekommen war, wird dies anders und kann exegetisch vereinzelndem Gebrauch bis hin zu atomistischer Auslegung weichen. Zuvor jedoch sind es Fachleute, die ganze Bücher und Bücherfolgen betreuen.«34 Sie waren keine Autoren im modernen Sinne, sondern Begründer theologischer Diskurse und Diskursgemeinschaften, die miteinander in Kontakt und mitunter auch in Konkurrenz zueinander treten konnten: »Nebeneinander, aber nicht unabhängig voneinander existierten schulmäßig funktionierende Diskurse der Fortschreibung als Auslegung autoritativer Worte, die dem jeweiligen Diskursgründer zugeschrieben wurden. Während für die priesterliche Schriftgelehrsamkeit Mose als Diskursgründer galt, dem auch die nachexilischen fortschreibenden Auslegungen seiner Worte aus vorexilischer und exilischer Zeit in Deuteronomium und Priesterschrift in den Mund gelegt und damit autorisiert wurden, wurden in Kreisen der Tradentenprophetie Worte der prophetischen Diskursgründer eines Jesaja, Jeremia oder Ezechiel fortschreibend ausgelegt und diesen Diskursgründern in den Mund gelegt und erhielten so ihre Legitimation durch die prophetische Autorität in Konkurrenz zu Mose Funktion, Offenbarungsmittler göttlicher Worte zu sein.«35

Für Kap. 40–66 bietet sich das Paradigma schriftgelehrter Prophetie auch deshalb so sehr an, weil gerade diese Kapitel eine Vielzahl von alttestamentlichen Überlieferungen und Motiven aufnehmen und aktualisieren. Dazu gehören die Väter- und Exodustradition, die prophetische Gerichtsverkündigung, jesajanische Ausdrücke wie der »Heilige Israels«, Anleihen aus Jeremia und Ezechiel sowie die deuteronomische Worttheologie. Dazu kommen noch Jerusalemer Topoi wie Zion und David, sowie die priesterschriftliche Verknüpfung von Schöpfung und Geschichte und die Tradition der Psalmen mit ihrer starken Fokussierung auf den Gottesberg und die Gottesstadt.36 Die Vernetzung und kreative Ausgestaltung all dieser Traditionen kann nicht das Werk einer einzelnen prophetischen Person sein, sondern ist das Ergebnis intensiver Traditionspflege durch literarisch geschulte Kreise, die auf babylonischem Boden beginnend im Aufkommen der persischen Weltmacht das Heilszeichen JHWHs für einen Neubeginn und die Rückkehr zum Zion erblickten.

3.Die Kernphasen der Verschriftung des Jesajabuches

Für die ca. 400 Jahre andauernde Entstehungsgeschichte des Jesajabuches (700–300) lassen sich mit aller gebotenen Vorsicht einige Kernphasen der Verschriftung bestimmen. Das Fundament legten Jesaja ben Amoz und sein Schülerkreis, den dieser während der syrisch-efraimitischen Krise (734–732) um sich sammelte. Die jüdische Tradition hält seinen Vater »Amoz« (nicht zu verwechseln mit »Amos«) für einen Bruder des Königs Amazja (796–781), dem Vater Usijas, so dass Jesaja ein Neffe des judäischen Königs gewesen wäre, in dessen Todesjahr er seine Sendung zum Propheten empfangen hätte (bMegilla 10b). Wenn diese Tradition auch nicht zu beweisen ist, so spricht sie doch für eine große Nähe Jesajas zum Königshaus und zur Sphäre der Innen- und Außenpolitik.

Nach Jes 6,1 fällt die Vision der Herrlichkeit JHWHs im Jerusalemer Heiligtum, die Reinigung und Sendung des Propheten in das Todesjahr Usijas, so dass damit – bei aller Unsicherheit der unterschiedlichen Chronologien – ungefähr das Jahr 734 erreicht ist. Für die Auslegung der ersten Kapitel ist dies nicht nur ein geschichtliches Datum, sondern auch ein strukturell wichtiges Element, denn die Sendung des Propheten findet – anders als z.B. bei Jeremia und Ezechiel – nicht bereits zu Beginn des Buches, sondern erst nach dem Vorspann der Kapitel 1–5 statt. Somit folgt der Verstockungsauftrag (6,9ff.) in der Textchronologie den ersten Kapiteln nach, in denen der Prophet seinen Zuhörern die Alternative »Gericht oder Heil« in aller Deutlichkeit vor Augen geführt hat. Der Auftrag an den Gottesmann, das Herz des Volkes zu verhärten, trifft die Adressaten weder unschuldig noch unvorbereitet!

In den Anfangsjahren der Verkündigung hat sich Jesaja vor allem innenpolitisch geäußert. Dabei stellt er durchaus eine heilvolle Zukunft in Aussicht, aber nur unter der Bedingung einer wirklichen Verhaltensänderung (vgl. 1,19f.). Die Konditionierung der Heilsbotschaft bedeutet kein diplomatisches »sowohl als auch«, sondern das Ernstnehmen der individuellen und gesellschaftlichen Verantwortung, die sich aus dem personalen Verhältnis JHWHs zu seinem Volk ergibt. Dem Propheten, der selbst aus der Oberschicht stammt, ist jegliche Arroganz zutiefst zuwider: »Ja, ein Tag für JHWH Zebaot kommt über alles Stolze und Hohe, über alles Erhobene – es wird erniedrigt!« (2,12). Diese Thematik durchzieht die Kap. 1–39 und gehört zu den Grundpfeilern seiner Verkündigung und ihrer Fortschreibung (vgl. 2,12–17; 3,16–24; 5,15; 9,8; 10,12.33; 13,11.19; 14,11.13; 16,6; 23,9; 25,11; 28,1.3; 37,23).

Zumindest die Selbstberichte in der sogenannten Immanuelschrift (6,1–8,18) werden von der Mehrzahl der Ausleger dem Propheten belassen. Dass der Text nach der Überschrift (1,1) mit 6,1 zum ersten Mal eine weitere chronologische Notiz bietet, markiert eine deutliche Zäsur. Die Geschichtlichkeit des sogenannten syrisch-efraimitischen Krieges (734–732) wird in der jüngeren Forschung immer mehr bezweifelt. Dies tut aber der Tatsache keinen Abbruch, dass die Überlieferung dem Propheten Jesaja für die Zeit der zunehmenden Bedrohung durch das assyrische Reich eine besondere Rolle zuweist. Nicht um Geschichte geht es den Verfassern der Immanuelschrift, sondern um die theologische Aussage, dass wahre Sicherheit nicht auf politischen Bündnissen, sondern auf dem Vertrauen auf JHWH gründet. Genau diese Weisung (»Tora«) versiegelt der Prophet in seinen Schülern (8,16), zu denen auch die aufmerksamen Leserinnen und Leser des Jesajabuches gehören!

Wie politisch engagiert Jesaja seine prophetische Sendung verstanden hat, lässt sich gut an der Zeichenhandlung ablesen, die er während der Aufstände der philistäischen Städte unter Leitung Aschdods in den Jahren 713–711 ausführte (Jes 20,1–6). Erneut versuchten die Nachbarn, den kleinen judäischen Staat mit der Hauptstadt Jerusalem in einen Aufstand gegen Assur zu verwickeln. Dagegen protestierte der allseits bekannte Jesaja in höchst provokanter Weise: Drei Jahre lang lief er »nackt« und »barfuß«, d.h. wie ein Kriegsgefangener in Jerusalem als »Zeichen und Mahnmal« umher. Seine Botschaft war klar: Wer sich auf einen anti-assyrischen Aufstand einlässt und dabei auf militärische Unterstützung durch Ägypten hofft, wird als Kriegsgefangener enden! Diese werden in altorientalischen Reliefs – falls es sich um männliche Gefangene handelt – meist nackt dargestellt.

Ein weiteres biographisierendes Textelement stellt Jes 22 dar, wo Jesaja den völlig deplatzierten Jubel der Jerusalemer Bevölkerung scharf verurteilt. Die Szene lässt sich am besten auf das Ende der Aufstandsbewegungen im Jahre 711 beziehen. Der judäische König Hiskija, der sich noch rechtzeitig von der Rebellion seiner Nachbarn distanziert hatte, rettete sich und Jerusalem in allerletzter Minute.

Im Hintergrund der Kapitel 28–39 steht die politische Lage der Jahre 705–701, in denen Juda erneut versucht war, seine Loyalitätspflicht gegenüber Assur durch eine Allianz mit Ägypten aufzukündigen (vgl. 31,1ff.). Die Notizen über die öffentliche Tätigkeit Jesajas kulminieren in den Berichten über sein Auftreten während der Belagerung Jerusalems durch die Truppen Sanheribs im Jahre 701. Die biblische Überlieferung spricht davon, dass der Äthiopier Tirhaka in Richtung Jerusalem gezogen, woraufhin Sanherib zeitweilig von Jerusalem abgerückt sei (37,9; 2 Kön 19,9). Damit liegt jedoch eine Mischung von geschichtlichem Faktum, Halbwahrheit und Unwahrheit vor: Wahr ist, dass es zu einer Schlacht zwischen assyrischen Kräften und dem Hilfskontingent aus Ägypten bei Elteke gekommen ist. Unwahr ist, dass Tirhaka damals bereits den Königstitel trug, denn im Jahre 701 war noch sein Bruder Schebitku (Schabataka) an der Macht. Doch könnte Tirhaka als Zwanzigjähriger am Kampf mit den Assyrern teilgenommen haben. Nach der Schlacht von Elteke schlug Sanherib sein Hauptlager in Lachisch auf und belagerte damit die wichtigste Stadt auf dem Weg nach Jerusalem. Die Situation von Jerusalem und ihrem König Hiskija war daraufhin hoffnungslos. Die assyrischen Annalen sprechen davon, dass 46 Städte in Juda erobert und 205.105 Gefangene weggeführt worden seien37, während Hiskija wie ein Vogel im Käfig eingeschlossen sei. Hiskija blieb nichts anderes übrig, als sich dem Großkönig Sanherib zu beugen und die exorbitante Tributlast von 810 kg Gold und 8.100 kg Silber auf sich zu nehmen. Sowohl die assyrischen Annalen als auch die biblischen Texte stimmen darin überein, dass es in Jerusalem, im Gegensatz zu Lachisch, nicht zu einer regulären Belagerung, sondern nur zu einer Blockade der Stadt gekommen war. Dass Sanherib weder einen Pfeil in die Stadt schoss, noch einen Wall gegen sie aufschüttete, machen die biblischen Verfasser in 2 Kön 19,32; par. Jes 37,33 post factum zum Beweis für den göttlichen Schutz in allergrößter Not. Obwohl es in den assyrischen Quellen heißt, Hiskija habe den Tribut Sanherib nach Ninive hinterhergeschickt, hat das nicht etwa mit einem überstürzten Abzug des Assyrers aus Juda zu tun, sondern damit, dass er Wichtigeres zu tun hatte, als darauf zu warten, bis Hiskija die ihm auferlegte Menge an Gold und Silber unter größten Mühen zusammengebracht hatte. Nach 2 Kön 18,16 musste Hiskija die Türen des Tempels und die mit Gold und Silber überzogenen Pfosten zerschlagen lassen, um die Edelmetalle nach Assur abliefern zu können. Von dieser Tributzahlung will die Jesaja-Überlieferung nichts wissen und lässt die Notiz von 2 Kön 18,14–16 einfach aus. Im Jesajabuch rettet Hiskija sich und Jerusalem nicht durch eine Tributzahlung, sondern durch die Fürsprache des Propheten und das Gebet des frommen Königs!

Die Tatsache, dass Sanherib auch nach 701 sehr aktiv blieb und keineswegs an militärischer Kraft eingebüßt hatte, verweist den Tod von 185.000 Assyrern vor den Toren Jerusalems durch JHWHs Boten ins Reich der Legenden (2 Kön 19,35–37; Jes 37,36–38; 2 Chr 32,21–22).38 Dass noch Flavius Josephus ein Gebiet im Nordwesten Jerusalems als »Heerlager der Assyrer« bezeichnet, in dem dann auch Titus im Jahre 70 n.Chr. sein Lager aufgeschlagen habe, spricht für die Langlebigkeit der biblischen Fiktion bezüglich der Niederlage Assurs vor den Toren der Gottesstadt (vgl. 1 Makk 7,41; 2 Makk 8,19; 15,22; Sir 48,21).

Der Abzug Sanheribs wurde von den Tradenten des Jesajabuches zum historischen Beweis für den unverbrüchlichen Schutz JHWHs für Zion und Jerusalem stilisiert. Dazu passte natürlich keine Tributzahlung des frommen Königs! Allzu gern hätten die biblischen Autoren wohl auch Sanherib unter die toten Assyrer gerechnet, der es gewagt hatte, Jerusalem und JHWHs Tempel, den irdischen Wohnort des himmlischen Weltenkönigs anzugreifen. So stark ließ sich die Weltgeschichte dann aber doch nicht umschreiben! Zumindest reichte es, ihn im eigenen Tempel von seinen Söhnen ermorden zu lassen (Jes 37,38; par. 2 Kön 19,37). Dass Sanherib durch die Hand seiner Söhne getötet wurde, ist zwar historisch korrekt. Dies geschah jedoch nicht schon kurz nach 701, sondern erst im Jahre 681.

Die Jerusalemer Jesaja-Tradition muss in der langen Regierungszeit Manasses (697–642) bewahrt und gepflegt worden sein. Die Legende vom Martyrium des Propheten unter diesem König gibt davon zumindest ein indirektes Zeugnis ab. Jesajas Mahnung, Juda solle sich anti-assyrischer Koalitionen enthalten, fiel bei Manasse sicherlich auf fruchtbaren Boden, nicht aber sein ebenso grundsätzlicher Appell, sich allein auf JHWH zu verlassen. Hiskijas Sohn steuerte einen realpolitischen Kurs und unterwarf sich voll und ganz der assyrischen Großmacht. Zum Zeichen seiner Vasallentreue ließ er in beiden Tempelvorhöfen »Altäre für das ganze Heer des Himmels« bauen (2 Kön 21,5).

Nach dem Tod Assurbanipals (669–627) ging das assyrische Großreich nicht zuletzt wegen des Erstarkens der Meder (Kyaxares, 625–585) und der Neubabylonier (Nabopolassar, 626–605) sehr schnell dem Ende entgegen. Im Jahre 614 fällt die Stadt Assur und 612 die assyrische Hauptstadt Ninive durch eine Koalition der beiden aufstrebenden Mächte. In dieser Endphase des assyrischen Reiches gelang es dem judäischen König Joschija (639–609), die staatliche und kultische Unabhängigkeit Judas und Jerusalems wiederherzustellen. Er machte die Assimilationspolitik seines Großvaters Manasse rückgängig, führte eine tief greifende Kultreform durch und entfernte alle Symbole assyrischer Gottheiten aus dem Jerusalemer Tempel (2 Kön 22–23). In der modernen Forschung gehen viele Ausleger davon aus, dass in den Jahrzehnten unter Joschija die Jerusalemer Jesaja-Tradition, die unter Manasse nur unterschwellig tätig sein konnte, einen großen Wachstumsschub erhielt, und zwar unter dem Eindruck der sich erfüllenden Gerichtsansage gegen das assyrische Weltreich. In seiner einflussreichen Monographie »Die Jesaja-Worte in der Josiazeit« spricht Hermann Barth von einer »Assur-Redaktion«, die u.a. 8,23b–9,6; 10,16–19; 14,20b–27; 17,12–14; 28,23–29; 30,27–33; 31,5.8b–9; 32,1–5.15–20 umfasst. Auch Jacques Vermeylen nimmt eine redaktionelle Überarbeitung in der Zeit des Joschija an (u.a. 2,2–4; 7,15; 8,23b–9,6a; 11,1–5; 22,19–23). In der englischsprachigen Exegese wurde dieser Ansatz besonders von Martin Sweeney aufgenommen39 und auf weitere Texte ausgedehnt (Jes 7; 11; 27; 32; 36–39), so auch auf die Heimkehrtexte in 11,11–16; 19,18–25; 27,6–13. Letztere hätten dazu gedient, eine Repatriierung von Exilierten des Nordreiches zu propagieren, die 722 von Assur deportiert worden waren.

Die dramatischste Zeit begann mit dem plötzlichen Tod Joschijas im Jahre 609, der sich dem ägyptischen Pharao Necho II. (609–594) bei Megiddo entgegengestellt hatte. Möglicherweise war Joschija durch hochfliegende davidische Restaurationsvorstellungen dazu verleitet worden, die direkte Auseinandersetzung mit dem Ägypter zu suchen, um so die erst kürzlich gewonnene Unabhängigkeit von Assur zu verteidigen. Gegen das übermächtige ägyptische Heer hatte Joschija in der Ebene von Megiddo keine Chance. Doch die ägyptische Präsenz sollte nur von kurzer Dauer sein, denn die Truppenkontingente des Pharao konnten sich zwar bis zur Schlacht bei Karkemisch im Jahre 605 im Norden halten, wurden dann aber vom neubabylonischen Kronprinzen Nebukadnezzar am Nordlauf des Euphrat vernichtend geschlagen. So gerieten das Haus David, Jerusalem und Juda in den Strudel der Ereignisse, die im Jahre 597 zur ersten Deportation der Königsfamilie und zehn Jahre später zur Zerstörung des Tempels, der judäischen Hauptstadt und zur Exilierung der gesamten Oberschicht führen sollten. Möglicherweise sind die Hiskija-Jesaja-Erzählungen, wie sie in 2 Kön 18–20; par. Jes 36–39 vorliegen, zu dem Zweck überarbeitet worden, die Widerstandskraft des Königshauses und der Jerusalemer Bevölkerung während der Jahre zwischen der ersten Wegführung (597) und der zweiten Deportation (586) zu festigen.40

Insgesamt ist für die Kapitel 1–39 mit jesajanischen Grundbeständen zu rechnen, auch wenn diese nicht mehr versgenau zu rekonstruieren sind. Ein kritisches Minimum ist geradezu gefordert, denn jede Tradition braucht einen Kern, den sie weiterentwickelt. Dass Jesaja einen Schülerkreis um sich sammelte, der nach dessen Tod seine Predigt in schriftlicher Form weiterführte, sollte also nicht in Abrede gestellt werden. Daraus ergibt sich aber nicht ipso facto eine Jesaja-Schule, die für Kap. 40–66 verantwortlich gewesen wäre.41

Dass der historische Jesaja ursprünglich nur ein Unheilsprophet gegen die Fremdvölker und damit ein reiner Heilsprophet für das eigene Volk gewesen sei42, ist sehr unwahrscheinlich. Dieser Theorie folgend wären alle Unheilsorakel exilisch-nachexilischen Ursprungs, weil man post eventum den großen Propheten zum Warner vor der Katastrophe habe machen wollen. Hätte der historische Jesaja aber nie vor dem Ungehorsam gewarnt, wäre er doch vielmehr der Falschprophetie überführt worden! Auf den ersten Blick scheint die Dissertation von Matthijs de Jong »Isaiah among the Ancient Near Eastern Prophets« denen Recht zu geben, die den historischen Jesaja nur als Heilspropheten sehen wollen. Demnach sei der Grundbestand in Jes 6–9; 10–11; 28–32 »basically pro-state« ausgerichtet.43 Eine solche Staatsräson sei auch das Merkmal der neuassyrischen Prophetie des siebten Jahrhunderts unter Asarhaddon (681–669) und Assurbanipal (669–627) gewesen. Doch verschweigt de Jong auch nicht die Differenzen zur Prophetie Mesopotamiens: Zum einen sind dort z.B. Wehesprüche unbekannt, zum andern scheint auch Jesaja eine sehr viel größere öffentliche Rolle gespielt zu haben, als das bei den neuassyrischen Propheten der Fall war. Zudem ist die jesajanische Verkündigung, die durch das Gericht hindurch zur Heilsansage kommt, ebenfalls auf die Erhaltung des Staates ausgerichtet. Wenn Jesaja vor politischen Allianzen mit Ägypten gegen Assur warnt, dann tut er das aus tiefster Sorge um Juda und Jerusalem!

Eine weitere Kernphase der Buchentstehung liegt in exilischer Zeit, die textweltlich mit dem Trostaufruf in 40,1ff. beginnt. Schon häufig ist gesehen worden, dass Kap. 40–48 und Kap. 49–54 zwei zu unterscheidende Entitäten sind. Erstere handelt vom Geschick Israels in Babel, letztere stellt Jerusalem und Zion in den Mittelpunkt. Mit Jes 48 kommen wichtige Themen an ihr Ende, so »Babel und Kyrus« (41,1–5.25; 43,14; 44,24–45,7; 45,13; 46,11; 48,12–16a), die »früheren und späteren/neuen Dinge« (41,21–29; 42,6–9; 43,8–13; 44,6–8; 45,21; 46,8–11; 48,3–8.14–16), die »Fremdgötterpolemik« (40,19–20; 41,6–7; 42,17; 44,9–20; 45,20; 46,1–7; 47,9b–15) und die Aussagen über die »Unvergleichbarkeit JHWHs« (40,12–18.21–31; 41,21–28; 42,14–17; 45,9–13; 46,3–5; 48,1–11). Nach Jes 48 ist von all dem nichts mehr zu hören, was deutlich dafür spricht, dass sich der geschichtliche Kontext vom babylonischen Exil zum nachexilischen Jerusalem verschoben hat. Dafür spricht auch der Befehl in 48,20ff., aus Babel und Chaldäa auszuziehen und sich auf den Weg in die Heimat zu machen. Ein Spezifikum der Kapitel 49–54 (nicht 55 einschließend) betrifft den regelmäßigen Wechsel von Passagen über den Knecht (49,1–13; 50,4–11; 52,13–53,12) und Zion/Jerusalem (49,14–50,3; 51,1–52,12; 54,1–17a). Einen wichtigen Einschnitt markiert 54,17b, wo erstmalig nicht vom Knecht, sondern von den Knechten die Rede ist, was von da an bis zum Ende des Buches durchgehalten wird (56,6; 63,17; 65,8.9.13.14.15; 66,14). Diese Knechte sind die Nachkommen des Knechts (53,10) und zugleich die kostbaren Kinder Zions (54,13).

Die opinio communis, zumindest ein Teil der Kap. 40ff. seien im babylonischen Exil verfasst worden, wurde besonders von Hans Barstad und seiner Schülerin Lena-Sophia Tiemeyer in Frage gestellt.44 Beide votieren für eine Gesamtabfassung im nachexilischen Jerusalem. Aus den akkadischen Lehnworten (u.a. in 40,20; 41,25) könnten keine Schlüsse für eine Verschriftung in Babylon gezogen werden, denn wir Heutigen besäßen mit dem AT nur einen sehr kleinen Teil der einst lebendigen Sprache. Zudem beinhalte das Biblische Hebräisch insgesamt sehr viele Hapaxlegomena. Darüber hinaus seien die meisten, wenn nicht gar alle Texte in 40ff., die von einem Weg durch die Wüste sprechen, metaphorisch zu verstehen. Diese meinten also gar keinen Zug durch die terra intermedia zwischen Babel und Jerusalem.45 Mit Recht betonen beide, dass von einer totalen Verwüstung Judas keine Rede sein könne. So habe es u.a. in Mizpa, Gibea, Bethel und Gibeon Enklaven gegeben, die eine literarische Tätigkeit in Juda durchaus zugelassen hätten. Trotz dieser wichtigen Hinweise ist doch sehr auffällig, dass zentrale Themen wie Babel, Kyrus oder die Fremdgötterpolemik auf Kap. 40–48 beschränkt bleiben und die Perspektive nach 49 eindeutig zu Zion/Jerusalem wechselt. Dass ein Kern von Kap. 40–48 im babylonischen Exil entstanden ist, von exilierten Schreibern (Leviten?) in die Heimat mitgebracht und in Jerusalem fortgeschrieben wurde, bleibt die wahrscheinlichste Annahme, die auch in diesem Lehrbuch vertreten wird.

Die letzte Kernphase liegt in der Zeit der nachexilischen Restauration in der zweiten Hälfte des 5. Jh., in die der Wiederaufbau und die Wiedereinweihung des Tempels (520–515) sowie die national-religiösen Bemühungen unter Esra und Nehemia fallen. Hierzu passt die redaktionsgeschichtliche Mehrheitsmeinung, dass Jes 60–62 den ältesten Kern des letzten Großteils des Jesajabuches bilden. Die Schlagworte »Opfer« (60,7), »Mauern und Tore« (60,10f.18; 62,6), »mein heiliger Ort« ([=Tempel] 60,13; 62,9), »Priester« (61,6) weisen auf eine Zeit hin, in der der Jerusalemer Opferkult wieder in Gang gekommen ist und man erwartet, dass sich die Völkerwelt am Aufbauprojekt mit reichen Gaben beteiligen werde. Zugleich ist die Zukunftsvision des göttlichen Lichts über Zion/Jerusalem eng verbunden mit der Hoffnung auf eine gerechte Ordnung (60,17b.21; 61,1–3.8.10f.; 62,1f.). Um dieses Zentrum legen sich drei sukzessiv entstandene Rahmen, die mit der Ausweitung der Tempel-Bürgergemeinde auf Fremde und Völker (56,1–8; 66,18–24), mit der Trennung zwischen Gerechten und Frevlern (56,9–58,14; 65,1–66,17) und kollektiven Klagen über das bisherige Ausbleiben des göttlichen Heils (59; 63,1–64,11) zu tun haben. Die Inklusion von Gerechten aus den Völkern und die Exklusion von Frevlern aus dem eigenen Volk sind zwei Seiten einer Medaille! Nach Paul Hanson geht diese Spaltung im nachexilischen Israel zwischen Frommen und Frevlern auf prophetisch-eschatologische Gruppen zurück, die einen erbitterten Kampf gegen die priesterliche Tempelaristokratie führten und im Zuge dessen immer stärker an den Rand gedrängt wurden.46 Diese radikale Kontrastierung ist zu schematisch, denn die Trägerkreise im Jesajabuch lehnen Tempel, Opfer und Priesterschaft keineswegs grundsätzlich ab. So stellt Bruce Schramm die entscheidende Frage, wie denn eine tritojesajanische Redaktion so erfolgreich am Gesamtbuch Jesaja mitgearbeitet haben könne, wenn es sich dabei nur um eine marginalisierte Gruppe gehandelt hätte!47

Mit dem Ende der persischen Periode wird auch das Jesajabuch in seinen tragenden Teilkompositionen zum Abschluss gekommen sein, denn vom Aufkommen Alexanders des Großen sind keine eindeutigen Spuren zu entdecken.48 Diese Schlussphase der Genese des Jesajabuches liegt bereits nahe am Ende des Traditionsprozesses der Prophetenbücher überhaupt.49 Da im Lob der Väter (Sir 48f.) neben Jesaja (48,23–25), Jeremia (49,7) und Ezechiel (49,8) auch das Dodekapropheton (49,1050) genannt wird, muss der Kanon der Schriftpropheten um die Mitte bzw. am Ende des 3. Jh. festgestanden haben.

4.Die Texttraditionen des Jesajabuches 51

Der massoretische Text, auf den sich die Kommentierung in diesem Lehrbuch bezieht, stützt sich auf den Codex Leningradensis aus dem Jahre 1008/1009 n.Chr.52 Zudem liegt mit dem Aleppo-Codex aus dem Jahre 895 n.Chr. ein ebenfalls äußerst wichtiger hebräischer Textzeuge vor.53 Beide Texte stammen aus dem Hause des Gelehrtengeschlechts Ben Ascher aus Tiberias am See von Genezareth und unterscheiden sich vor allem in Bezug auf die Vokalisierung.

Demgegenüber bieten die beiden Jesajarollen aus Qumran natürlich noch den unvokalisierten Text. Die erste Rolle (1QJesa) aus der Mitte des 2. Jh. v.Chr. hat den gesamten Jesajatext in ausgesprochen hoher Qualität bewahrt. Die zweite Rolle (1QJesb) vom Anfang des 1. Jh. v.Chr. ist dagegen fragmentarischer erhalten geblieben: Sie beginnt mit Jes 7,22, es fehlen aber u.a. Jes 9 und 11 und erst für die zweite Hälfte des Jesajabuches ist sie vollständiger. Obschon sie jünger ist als die erste Rolle, bietet sie einen archaisierenden hebräischen Text, hat schwierige Lesarten bewahrt und steht insgesamt dem massoretischen Text näher.54 Neben diesen beiden Jesajarollen aus der ersten Höhle sind besonders in der vierten (4Q) eine große Anzahl von Jesajafragmenten gefunden worden, die etwa von 100 v.Chr. bis 50 n.Chr. datieren.55 Sie bestätigen das Bild einer reichen Überlieferung, die am Beginn der Zeitenwende noch keinen einheitlichen hebräischen Text des Jesajabuches kannte. Der Konsonantenbestand des späteren mittelalterlichen massoretischen Textes ist in der Gruppe der proto-massoretischen Qumrantexte am stärksten vertreten (so auch 1QJesb). Eine viel kleinere Gruppe bietet eine zum Teil abweichende Orthographie und Morphologie, die anscheinend im Schreibermilieu von Qumran gepflegt wurden (dazu gehört 1 QJesa). Die Jesajafragmente aus 4Q nehmen hier eine Zwischenstellung ein. Es handelt sich aber bei keinem dieser Textzeugen um eine separate, eigenständige Rezension, denn dazu ist der überlieferte Textbestand – trotz aller Differenzen – viel zu einheitlich.

Von den alten Versionen des Jesajabuches ist die der Septuaginta (LXX)56, der griechischen Übersetzung, von besonderer Bedeutung, nicht zuletzt wegen ihrer Rezeption im Neuen Testament. Die hebräische Vorlage der JesLXX wird nicht wesentlich anders gelautet haben als jene des JesMT. Doch die griechische Übersetzung hatte nicht nur das Ziel, gutes Koine-Griechisch zu schreiben und unklare Passagen zu verdeutlichen (was nicht immer gelang, denn manchmal verschlimmbesserte sie den Text), sondern verfolgte auch ein aktualisierendes Interesse, was geschichtliche Umstände, Rechtsbräuche und theologische Ansichten angeht.57 Diese Freiheit der Übersetzung kann Worte, Satzteile und auch ganze Sätze betreffen, was bei manchen Passagen auf ein ganz neues Textverständnis hinausläuft, wie es danach in den Targumim der Fall sein wird. Anders als im hebräischen Text, wo dem Gottesknecht ein Grab bei den frevlerischen Reichen zugeteilt wird, verspricht JHWH in der LXX-Version, die Bösen anstelle des Gerechten dem Tod preiszugeben: »Und ich werde die Bösen anstelle seines Grabes und die Reichen anstelle seines Todes geben« (53,9aLXX). Der griechische Übersetzer präsentiert Gott nicht als gewalttätig gegenüber seinem Knecht, wie dies im hebräischen Text der Fall ist: »JHWH aber hatte es gefallen, ihn zu zermalmen, ließ erkranken« (53,10aMT). Die LXX stellt ihn vielmehr in positivem Licht dar: »Aber der Herr will ihn reinigen von dem Unglücksschlag« (53,10aLXX). In textkritischer Hinsicht kommt JesLXX besonders dann ein großes Gewicht zu, wenn die griechische Lesart mit Bezeugungen aus Qumran gegen JesMT übereinstimmt.58

Der Targum Jonathan stellt die aramäische Wiedergabe der Prophetenbücher dar (gegenüber Targum Onkelos für den Pentateuch). Targumim wurden im Synagogengottesdienst gebraucht, um den vorgetragenen hebräischen Bibeltext dem gewöhnlichen Volk verständlich zu machen. Der Targum Jonathan ist in Palästina entstanden, wurde aber während des vierten oder fünften Jahrhunderts n.Chr. in Babylon einer stark vereinheitlichenden Redaktion unterzogen. Die Datierung des Targums bleibt sehr schwierig. Man kann das Material zwar bis zu einem gewissen Grad der tannaitischen oder amoräischen Periode (vor bzw. nach dem Abschluss der Mischna ca. 200 n.Chr.) zurechnen – was die erste Periode betrifft, sogar einer Zeit vor oder nach dem Bar Kochba Aufstand (135 n.Chr.) – doch lassen sich keine literarhistorischen Schichten abheben. Der Targum stellt eher ein jahrhundertelang gepflegtes jüdisches Ethos dar, als dass es das Schriftprodukt einer historischen Epoche wäre.59 Er vergegenwärtigt die Wirkungsgeschichte Jesajas im frührabbinischen Judentum nach der Verwüstung Jerusalems im Jahre 70 n.Chr. Jesajanische Themen wie Gericht und Heil, Tempelkult und der Gesalbte werden auf ganz eigene Weise interpretiert, um die erlebte und erlittene Geschichte im Lichte des weiterhin gültigen Gotteswortes zu deuten. So stellt z.B. Jes 53Tg eine explizite Identifikation des Knechts mit dem »Messias« her, dem fast alle Leidensaspekte fehlen, auf dem dafür aber die Hoffnung ruht, er werde Israel aus der Unterdrückung der Völker erretten und für die Wiedererrichtung des zerstörten Heiligtums sorgen.

Die syrische Übersetzung, die Peschitta, stammt aus der frühchristlichen syrischen Kirche und wird um rund 300 n.Chr. datiert. Ihre Bedeutung liegt in der Tatsache, dass sie auf einer proto-massoretischen Textform basiert, allerlei Beziehungen zum Targum aufweist und zum Teil rabbinische Erklärungen verarbeitet. Besonders dort, wo sie zusammen mit einer oder mehreren der alten Übersetzungen vom MT abweicht, ist sie textkritisch beachtenswert.

In der lateinischen Übersetzung, der Vulgata (zwischen 391 und 405 in Bethlehem verfasst), folgt Hieronymus grundsätzlich dem MT gegen LXX, weicht aber auch in vielen Fällen davon ab. Das hat mehrere Gründe: die teilweise größere Deutlichkeit der LXX, rabbinische Erklärungen, christliche Interpretationen und alte Handschriften, zu denen er Zugang hatte. Man konsultiert diese Übersetzung des Buches Jesaja (392–393) am besten zusammen mit dem Jesaja-Kommentar des Hieronymus, den er im Jahre 410 vollendete.60

Schlussendlich hat Origenes in seiner Hexapla (ca. 245 n.Chr.) Fragmente aus drei griechischen Übersetzungen aus dem dritten Jahrhundert n.Chr. bewahrt, die für die Textanalyse des Jesajabuches von Bedeutung sind.61 Sie stammen von Theodotion (ca. 100 n.Chr. aus der Schule Hillels), Aquila (ca. 125 n.Chr. aus der Schule Aqibas) und Symmachus (ca. 200 n.Chr. aus der Schule von Jehuda ha-Nasi). Alle drei Übersetzer gehörten also dem Milieu jüdischer Gelehrter an, wobei bei Symmachus auch ein jüdisch-christlicher Einfluss (Ebioniten) spürbar ist. Sie stellten sich auf unterschiedliche Weise die Aufgabe, JesLXX besser an JesMT anzupassen. So versucht Theodotion, der hebräischen Wortfolge möglichst nahe zu kommen, Aquila arbeitet stark ideolektisch (konkordanter Wortschatz), während Symmachus darauf aus ist, die Treue gegenüber dem MT mit gutem Koine-Griechisch zu kombinieren.

5.Aktuelle entstehungsgeschichtliche Modelle

Die Hypothesen, welche die Entstehung des Gesamtbuches zu fassen suchen, lassen sich in zwei Gruppen einteilen. Die erste Gruppe vertritt ein Kontinuitätsmodell: Demzufolge habe Deuterojesaja bewusst auf Protojesaja aufgebaut, den ersten Teil redigiert und als Einleitung seinen eigenen Kapiteln vorangestellt. Dies könne man u.a. daran erkennen, wie stark Jes 6 auf 40,1–8 eingewirkt habe. Aus den engen Querbezügen müsse man folgern, dass Deuterojesaja sein eigenes Werk als kongeniale Fortsetzung der jesajanischen Verkündigung angesehen habe bzw. dass er dessen Jerusalemer Worttradition seiner eigenen Predigt vom Ende des babylonischen Exils als Prolegomenon voranstellte.62 Diesen Ansatz von Hugh Williamson führt sein Schüler Jacob Stromberg noch einen Schritt weiter: Tritojesaja habe diese Art der Rezeption und Redaktion von Deuterojesaja fortgesetzt und könne somit als Leser und Redaktor des ganzen Jesajabuches gelten.63 Dies sucht er an Passagen wie 1,27–31; 6,13; 4,2–6; 11,10; 36–39; 48,22; 54,17b nachzuweisen. Da ergänzende Fortschreibungen in der Antike nicht in eine bestehende Schriftrolle eingetragen wurden, habe Tritojesaja seine eigenen Kapitel zusammen mit den Überarbeitungen von Kap. 1–55 bei einer notwendig gewordenen Neuanfertigung der Jesajarolle angefügt.64

Die zweite Gruppe von Forschern favorisiert ein Kombinationsmodell: Danach wäre das Buch durch die redaktionelle Zusammenfügung ehemals relativ unabhängiger Großteile entstanden. Zu den Hauptvertretern dieser Richtung gehören Odil Hannes Steck und Jacques Vermeylen. Letzterer geht von einer protojesajanischen Sammlung aus, die um das Jahr 480 eine vergleichbare Struktur aufwies wie das Ezechiel- und das Jeremiabuch (in der LXX-Fassung): Prophetische Orakel gegen Juda und Jerusalem (Kap. 1–12), Gerichtsworte gegen die Völker (Kap. 13–27) und Verheißungen für das Gottesvolk (Kap. 28–35). Die Kapitel 36–39 seien ein historisches Supplement (vgl. 2 Kön 18–20), das die Sammlung beschlossen habe.65 Für Jes 40–55 geht Vermeylen von einer relativen Geschlossenheit dieser exilisch-nachexilischen Komposition aus, die nach 480 mit der protojesajanischen Sammlung verbunden worden sei. Für den letzten Teil des Jesajabuches verzichtet er auf das Postulat eines Einzelpropheten »Tritojesaja«, sondern geht für diese Kapitel gänzlich von schriftgelehrter Prophetie aus. Der Kern der Aussage von Kap. 60–62 beziehe sich nicht auf den Tempelwiederaufbau, sondern auf die Errichtung der Jerusalemer Stadtmauern (60,10; 62,6), was gut in die Zeit Nehemias passe. Die Bezüge zielten nicht nur auf 40ff. ab, sondern beträfen schon die vorderen Kapitel. So wäre 56,9–62,12 Schritt für Schritt mit Blick auf 1,2–2,5 verfasst worden. Eine großjesajanische Redaktion sei nach der Zeit Nehemias für die jetzt vorliegende Endgestalt des gesamten Buches verantwortlich. In vielzähligen Detailstudien kommt Steck zu analogen Ergebnissen. Auch er hält die tritojesajanischen Kapitel für reine Fortschreibungsprophetie, was bei Kap. 60–62 mit den Rückverweisen auf Jes 40ff. besonders deutlich zu Tage trete. Den Zusammenschluss mit der protojesajanischen Sammlung setzt Steck aber deutlich später als Vermeylen an. Dieser sei erst im Zuge einer sogenannten »Heimkehr-Redaktion« erfolgt (vgl. 11,11–16; 27,[12].13; 62,10–12), in einer frühen Phase der Diadochenkämpfe nach dem Tod Alexanders des Großen (323). Als Brückentext zwischen den beiden Großteilen sei Jes 35 eigens für die Gesamtrolle verfasst worden.66 In der Zeit der Konsolidierung unter den Ptolemäern (ca. 270) seien noch kleinere Ergänzungen eingefügt worden, die jedoch nicht mehr strukturbildend gewirkt hätten (vgl. 19,18–25; 25,6–8).

Die diachrone Gesamthypothese von Ulrich Berges67 zielt in die gleiche Richtung, doch versteht er bereits Jes 33 als ersten Brückentext. Dabei kann er auf die Untersuchung von Willem Beuken zurückgreifen, der dieses Kapitel als »Spiegeltext« bezeichnet, in dem sich das ganze Buch wie in einem Prisma spiegelt. Einschränkend ist zu sagen, dass die Verweise zu den nachfolgenden Kapiteln deutlich geringer ausfallen als die zu den vorangegangenen.68 Für Steck ist Jes 35 der Text schlechthin, der die Brücke zwischen den beiden Großteilen des Buches schlägt.69 Das Kapitel erfülle zweierlei Aufgaben: Zum einen stelle es mit der hellen Zukunft für Zion ein Gegenbild zur dunklen Vernichtungsszene gegen Edom in Jes 34 dar, zum anderen verweise es deutlich auf die Heilsverkündigung ab Jes 40ff.

Die Brückentexte in Jes 33 und 35 sind kompositionstechnisch aber nur dann sinnvoll, wenn die Hiskija-Sanherib-Erzählungen in Jes 36–39 – wie auch immer ihr Verhältnis zu 2 Kön 18–20 zu bestimmen ist – noch nicht in die Mitte der Jesajarolle eingestellt worden waren. Wäre es anders gewesen, hätte man die Brückentexte doch eher hinter Jes 36–39 platziert!

Das Interesse an Jes 36–39 für die Gesamtanlage des Jesajabuches geht besonders auf Peter Ackroyd zurück. Demnach weist die Erzählung der babylonischen Delegation am Ende der Berichte über Krankheit und Heilung von König Hiskija auf die Exilsgeschehnisse voraus, die den Hintergrund von 40ff. bilden.70 Die Auslassung der Notiz über die Tributzahlung, durch die der König sich, seine Familie und ganz Jerusalem vor den Truppen Sanheribs rettete (2 Kön 18,14–16), und die Einfügung des Hiskija-Psalms (Jes 38,9–20) werden auf das Konto derer gehen, die diese Kapitel in die Mitte der Jesajarolle einstellten. Offenbar wollte man alle Traditionen, die Jesaja betrafen, in einer Rolle zusammenfassen. Dies war der letzte Schritt, durch den Jesaja zum Mahner, Heiler und Visionär wurde, dem nichts mehr am Herzen lag als das Heil und die Rettung der Frommen auf dem Zion.

6.Aktuelle Modelle der Endtextlesung

Die ersten Versuche einer Gesamtbetrachtung kamen aus der englischsprachigen Exegese. So setzte William Brownlee in Weiterführung der Arbeit von Leon Liebreich bei der Beobachtung an, dass es in der großen Jesajarolle von Qumran (1QJesa) eine deutliche Zäsur zwischen Jes 33 und 34 gibt. Die Plene-Schreibung nimmt ab Kapitel 34 zu, wobei der Schreiber identisch geblieben ist, was sich aus dem homogen bleibenden Schriftbild ergibt.71 Daraus zieht Brownlee die Schlussfolgerung einer zweiteiligen Komposition der Kapitel 1–33 und 34–66, die aus jeweils sieben Sektionen bestehe. Das Generalthema sei die Dialektik zwischen »ruin and future blessedness«72, die schon im Kontrast von 1,24–25 und 1,26–27 präfiguriert sei. Dagegen bleibt kritisch anzumerken, dass wichtige Themen des Buches hier noch nicht angesprochen sind, wie z.B. die Fremdgötterpolemik der Kapitel 40–48. Auch sieht Brownlee selbst, dass der »Knecht« in der zweiten Hälfte kein Pendant in der ersten habe.73 Eine zweiteilige Gesamtstruktur nimmt auch Marvin Sweeney in seinem Kommentar zu Jes 1–39 an. Danach kündige die erste Hälfte das Gericht und die nachfolgende Restauration an, während die zweite betone, das Gericht sei beendet und der Wiederaufbau könne beginnen.74

Trotz aller Divergenzen in Bezug auf die entstehungsgeschichtlichen Stufen besteht Einigkeit darüber, dass das Großjesajabuch nicht einfach die Summe disparater Einzelteile ist, sondern eine dynamische Komposition darstellt. Dabei ist mit Jes 39 ein deutlicher Einschnitt gegeben, denn danach tritt der Prophet als Akteur nicht mehr in Erscheinung. Doch greift ein einfaches Blocksystem in der Form von Kap. 1–39//40–66 (oder alternativ Kap. 1–33//34–66) zu kurz. Beide Hälften umfassen allzu unterschiedliches Material, als dass sie jeweils als eine Auslegungseinheit gelten könnten. Beide Hälften bestehen aus Teilkompositionen, die zusammengenommen ein literarisches Drama bilden.75 Dieses lässt sich in Akte und Szenen einteilen, was keinem modernen Rezeptionsempfinden geschuldet ist, sondern durch Textsignale gestützt wird. So fällt etwa die Abschlussfunktion von Jes 12 für die ersten zwölf Kapitel ins Auge.76 Dieser hymnische Text beschließt die erste Teilkomposition, in der viele zentrale Themen des Jesajabuches bereits anklingen. Die Verfasser des vorliegenden Studienbuches vertreten die Ansicht, dass die unterschiedlichen Teilkompositionen einerseits aufeinander aufbauen, andererseits aber eigene Entwicklungen durchlaufen haben. Für großflächige endredaktionelle Bearbeitungen, die den gesamten Textbestand vereinheitlicht hätten, gibt es keine Anzeichen, wohl aber für punktuelle Verknüpfungen über die Grenzen der einzelnen Teilkompositionen hinweg (so u.a. 1,31 und 66,24). Für die nachfolgende Auslegung bedeutet dies, dass die jeweiligen Akte zuerst für sich als selbstständige Einheiten analysiert werden. Darüber hinaus werden die intratextuellen Verbindungen ins Jesajabuch und die intertextuellen Bezüge zu anderen alttestamentlichen Schriften mitbedacht. Eine Aufarbeitung und Gewichtung aller schriftgelehrten Bezüge des Jesajabuches steht noch aus und könnte nur durch mehrere Monographien geleistet werden. Das Problem besteht nicht etwa in einer zu geringen Zahl an Querverbindungen, sondern an ihrer unübersichtlichen Fülle. Dies bringt Gerald T. Sheppard so auf den Punkt: »Our problem is no longer that there are so few obvious connections between parts of the book, but there are so many and they seem so independent and disparately related«.77

Insofern im Folgenden von »Akten« und »Szenen« die Rede ist, will diese Begrifflichkeit das voranschreitende Geschehen andeuten, das dem Jesajabuch zu eigen ist. Es geht also nicht um ein Theaterdrama, das in Jerusalem im fünften oder vierten Jahrhundert zur Aufführung gekommen wäre.78 Für eine solche Praxis fehlt im Antiken Israel jeder Beleg. Es geht im Jesajabuch um ein literarisches Drama. Wer die Schrift zur Gänze liest bzw. hört, der wird Zeuge eines dramatischen Geschehens, in welchem Zion/Jerusalem vom Ort des Gerichts zum Ort des Heils für alle Gerechten in Israel und aus den Völkern wird. Dies ist die »story«, der »plot«, den der Handlungsablauf in Szene setzt und der sich nicht auf einer Bühne, sondern in der Vorstellung, der Imagination der Leser und Hörer ereignet. Was Helmut Utzschneider für das Michabuch aufgezeigt hat, gilt auch für das Jesajabuch: »In Anlehnung an die Theatersprache bezeichnen wir solche durch einen Plot bedingte Großeinheiten als Akte, wenn und insofern sie erkennbar Teile eines noch größeren Ganzen, eben des dramatischen Textes eines bestimmten Prophetenbuches oder eines Teiles desselben sind«.79 Für das Jesajabuch gehen die Verfasser dieses Lehrbuches von sieben Teilen, d.h. Teilkompositionen aus, die sich ihrerseits in »Akte« und »Szenen« einteilen lassen.80 Dem Ansatz einer »diachron reflektierten Synchronie« folgend und gemäß den obigen Ausführungen zu einigen Modellen der Entstehungsgeschichte ist es selbstredend, dass die Einteilung in Akte und Szenen keine einheitliche Genese unterstellt. Die Einschätzung von Helmut Utzschneider trifft erneut auch für das Jesajabuch zu: »Wir wollen durch unsere am Endtext orientierte Auslegung auch nicht unterstellen, dass das Michabuch keine literarische Vorgeschichte gehabt hat […] Gewiss hat es – wie in allen anderen prophetischen Büchern des AT – auch hier Fortschreibungen und Redaktionen gegeben. Wir aber sind der Meinung, dass sich die Autoren und Redaktoren, die mutmaßlich zu verschiedenen Zeiten zur Entstehung des vorliegenden Michabuches beigetragen haben, des dramatischen Charakters und Stils ihrer jeweiligen Textvorlage (also der literarischen Vorstufen des Michabuches) stets bewusst waren und diese unter der gleichen Stilvorgabe fortgeschrieben haben.«81

Für das Jesajabuch wird nun die folgende Einteilung vorgeschlagen. Die Einzelauslegungen werden sich an diesem Aufbau orientieren und ihn weiter erläutern.

I. Teil 1–12Zion zwischen Anspruch und Wirklichkeit
Überschrift 1,1Vision und Königszeit
I. Akt 1–4Zweifache Ouvertüre: Aussicht auf Zions Verwandlung
I. Szene 1,2–2,5Vom Gericht über Israels Bluttaten zu JHWHS Tora für die Völker
II. Szene 2,6–4,6Vom Gericht gegen jeden Hochmut zu JHWHS Schutz auf Zion
II. Akt 5,1–10,4Die Immanuelschrift in einem mehrfachen Rahmen
Prolog mit Anh. 5Der Weinberg des Freundes / Wehe und Zorn gegen die Gottlosen
I. Szene 6Jesaja berufen von JHWH als König und Israels Verstockung
II. Szene 7Das nicht erbetene Zeichen: »Gott mit uns«
III. Szene 8,1–18Die Weisung versiegelt unter Jesajas Jüngern
Epilog mit Anh. 8,19–10,4Geburt des gerechten Davidssohnes / Zorn gegen Efraim und Wehe den Frevlern
III. Akt 10,5–11,16Doppelbild konträrer Herrscherprofile
I. Szene 10,5–34Wehe dem Hochmut Assurs
II. Szene 11,1–16JHWHS Geist für das Reis Isais
Loblied 12Loblied der in Hoffnung Erlösten
II. Teil 13–27Untergang aller Tyranneien gegenüber JHWH, dem König auf Zion
I. Akt 13–23Zehn Völkersprüche: das Gericht über irdische Mächte
I. Szene 13–19Erste Reihe Völkersprüche
II. Szene 20,1–6Prophetische Zeichenhandlung
III. Szene 21–23Zweite Reihe Völkersprüche
II. Akt 24–27JHWHS Gerechtigkeit schafft Ordnung im Chaos der Völker
I. Szene 24–25Weltgericht und JHWHS Königsherrschaft auf Zion
II. Szene 26Das Lied vom Vertrauen der gerechten Nation in JHWHS Stadt
III. Szene 27Die Sammlung der Vertriebenen zur Anbetung JHWHS auf dem heiligen Berg
III. Teil 28–35Die Durchsetzung der Königsherrschaft Jhwhs auf Zion
I. Akt 28–33Sechs Weherufe gegen die Übeltäter in Zion
I. Szene 28Wehe den Betrunkenen Efraims und den Herrschern Jerusalems
II. Szene 29,1–14Wehe Ariel, Ortschaft, wo David lagerte
III. Szene 29,15–24Wehe denen, die einen Plan vor JHWH verbergen
IV. Szene 30Wehe den widerspenstigen Kindern
V. Szene 31Wehe denen, die Hilfe suchend nach Ägypten ziehen
VI. Szene 32Zwei Anhänge: Verheißung von gerechten Verwaltern und Aufruf zur Trauer
VII. Szene 33Wehe den Gottlosen / JHWH schafft Gerechtigkeit in Zion
II. Akt 34–35Diptychon: Gericht über Edom und Heil für die Heimkehrenden
I. Szene 34Die Verödung Edoms als Anfang des Gerichts über die Völker
II. Szene 35Die blühende Wüste und der Weg zurück zum Zion
IV. Teil 36–39Drei Erzählungen von der Errettung der Gottesstadt und des Davidssohnes
I. Szene 36–37Wem gebührt die Herrschaft über Zion?
II. Szene 38Hiskijas Krankheit und Genesung
III. Szene 39Hiskijas Vertrauen erprobt
V. Teil 40–48Aus Babel zurück in die Heimat
I. Akt 40Zion-Jakob-Ouvertüre
I. Szene 40,1–11Zion/Jerusalem-Ouvertüre
II. Szene 40,12–31Jakob/Israel-Ouvertüre
II. Akt 41,1–42,12Ohnmacht der Götter und Jhwhs Zusage für Jakob/Israel
I. Szene 41,1–20Rechtsstreit um die Geschichtsmächtigkeit
II. Szene 41,21–42,12Gerichtsrede und Präsentation des Knechts
III. Akt 42,13–44,23JHWH und sein blinder und tauber Knecht
I. Szene 42,13–43,13JHWHS Überzeugungsarbeit am Knecht
II. Szene 43,14–44,8Tilgung von Schuld und Verheißung von Segen
III. Szene 44,9–23Kultbildpolemik
IV. Akt 44,24–48,22JHWHS Sieg durch Kyrus und der Fall Babels und der Götter
I. Szene 44,24–45,25JHWH, Kyrus und die Perser
II. Szene 46Niederlage der Götter Babels
III. Szene 47Das Ende Babels und ihrer Beschwörungen
IV. Szene 48Rückblick auf das Exil und Aufruf zum Auszug
VI. Teil 49–54Der Knecht und Mutter Zion
I. Akt 49,1–26Selbstvorstellung des Knechts und Zions Zweifel
I. Szene 49,1–13Präsentation des Knechts
II. Szene 49,14–26Argumentation gegen Zions Zweifel
II. Akt 50,1–51,8Überzeugungsarbeit an Zions Kindern
I. Szene 50,1–11Der Knecht und die JHWH Fürchtenden
II. Szene 51,1–8Aufruf an die JHWH Suchenden
III. Akt 51,9–52,12JHWHS Rückkehr zu Zion und die Heimkehr der Zerstreuten
I. Szene 51,9–16Gebetsruf an JHWH und seine Antwort
II. Szene 51,17–23Die Heilswende bricht an
III. Szene 52,1–12Vorbereitungen und Rückkehr Jhwhs
IV. Akt 52,13–54,17Leiden und Erhöhung von Knecht und Zion
I. Szene 52,13–53,12Leiden und Erhöhung des Knechts
II. Szene 54,1–17Leiden und Erhöhung Zions
VII. Teil 55–66Die Knechte JHWHS und ihre Gegner auf dem Zion
I. Akt 55,1–56,8Umfang der Gemeinde und Zulassung
I. Szene 55,1–13Weltweite Einladung
II. Szene 56,1–8Zulassungsbedingungen
II. Akt 56,9–57,21Prophetische Anklagen und Heilsworte
I. Szene 56,9–57,13Prophetische Anklage
II. Szene 57,14–21Prophetisches Heilswort
III. Akt 58–59Gründe der Heilsverzögerung
I. Szene 58Klärungen der Sabbat- und Fastenfrage
II. Szene 59Abweisung der Klage, JHWH könne nicht retten
IV. Akt 60–62Jerusalems und Zions zukünftige Herrlichkeit
I. Szene 60Lichtvision über Zion
II. Szene 61Die Geistsalbung der Zionsgemeinde
III. Szene 62Die Wächter und Erinnerer Jhwhs
V. Akt 63,1–64,11Rückblick auf die Geschichte und Bittgebet
I. Szene 63,1–14JHWHS geschichtliche Rettung in der Zeit des Mose
II. Szene 63,15–64,11Bittgebet der Knechte
VI. Akt 65–66JHWHS Antwort und Spaltung der Gemeinde
I. Szene 65Heil den Knechten und Untergang den Gegnern
II. Szene 66Das neue Jerusalem – Zion als Mutter der Knechte

7.Theologie im Buch Jesaja

Der Begriff »Theologie«, wie wir ihn im Folgenden verstehen, umfasst sowohl das Sprechen über Gott als auch das Sprechen Gottes. In Bezug auf Ersteres hat das Buch Jesaja vielfältigen Anteil daran, wie das Biblische Israel im Laufe der Jahrhunderte seine Art der Rede über Gott entwickelt hat. Dabei waren das Gottesvolk in den unterschiedlichen Geschichtsetappen und seine Sprachbilder von JHWH stets in Bewegung. Auch der historische Jesaja, seine Schüler- und Tradentenkreise sowie die Endredaktoren des Gesamtbuches haben ihre oft kritische Haltung gegenüber der Art und Weise, wie Israel sein Gottesverhältnis lebt, immer wieder zum Ausdruck gebracht. Das Jesajabuch legt von dieser intensiven Auseinandersetzung ein beredtes Zeugnis ab.

Der Prophet übermittelt auch Gottesrede. Er spricht über Gott und Volk, über Gegenwart und Zukunft, wobei seine Aussagen ihre Geltungen nicht aufgrund gesellschaftlich akzeptierter Normen beanspruchen, sondern ob der Tatsache, dass Gott ihn mit einer speziellen Botschaft zu Israel sandte (Jes 6; vgl. 40,1–11; 49,1–6; 61). Die Botenformel »so spricht JHWH« legitimiert diesen besonderen Anspruch des prophetischen Wortes. Aber gerade weil Gott und Prophet eine große Nähe bezüglich der Wortverkündigung aufweisen, ist die Grenze zwischen mitgeteiltem Gotteswort und auslegendem Prophetenwort oftmals so fließend. Übrigens wird in der späteren Auffassung des Kanons das corpus propheticum, ja die ganze Schrift als Wort Gottes angesehen. Von daher eignet sich die Unterscheidung zwischen Gottes- und Prophetenwort nicht als Kriterium einer Theologie des Jesajabuches. Im Gegenteil, die theologische Reflexion hat diese Spannung anzuerkennen und auszuhalten. Das Wort Gottes ist eben keine bloße Idee, sondern ein Geschehen von weltweiter Tragweite, wie es 1,2a prägnant zum Ausdruck bringt: »Hört, ihr Himmel! Horch auf, Erde! Denn JHWH spricht«.

7.1Die buchübergreifenden Gottesnamen

Die lange Entstehungsgeschichte dieses prophetischen Buches bringt es mit sich, dass sich die theologischen Kernelemente über die einzelnen Teilbereiche hin erstrecken, aber in jeweils unterschiedlichen Konstellationen. Das ist auch nicht verwunderlich, denn die Hauptaktanten im literarischen Drama (JHWH, der Prophet, sein Wort, Israel, Zion und die Völker) bleiben trotz ihres wechselnden Auftretens – Resultat der unterschiedlichen entstehungsgeschichtlichen Kontexte – identisch. Im Verlauf dieser großen prophetischen Schrift gewinnt sowohl das Sprechen über Gott als auch das Sprechen Gottes an Farbe und Kontur.

Bevor der Eigenname JHWH untersucht wird, ist zunächst der Gebrauch des Appellativums »Gott« im Jesajabuch zu klären. Der Begriff »Gott« dient dem Bekenntnis zu JHWH. In Jes 1–39 ist er durchgehend als Attribut eingesetzt, um Gottes Besonderheit (5,16: »heilig«; 7,14; 8,10: »mit uns Gott«; 9,5; 10,21: »Held«; 12,2; 43,11: »Rettung/Retter«) oder Einzigkeit (14,13; 31,3) auszudrücken. In Kap. 40–54 unterstreicht die monotheistische Auffassung über JHWH als göttlichen Schöpfer (40,18; 42,5; 43,10–12; 44,6–8.15–17; 45,14f.20–22; 46,9). In Kap. 55–66 besitzt der Begriff keine besondere Pragmatik mehr (mögliche Ausnahme 64,3). Der Intensitätsplural mit der Singularkonstruktion desselben Wortes, , entwickelt sich in der Verbindung »der Gott Israels« vom Appellativum (37,16; vgl. 13,19; 58,2) zum Attribut des Eigennamens »JHWH« (37,16; vgl. 17,6; 21,10.17; 24,15; 29,23; 37,21; 41,17; 45,3; 48,1.2; 52,12). Im sogenannten tritojesajanischen Textbestand kommt die Bezeichnung »Gott Israels« gar nicht mehr vor.

Der Gebrauch des Tetragramms »JHWH« und anderer Gottesbezeichnungen ist über das gesamte Jesajabuch nicht gleichbleibend. Dieses Phänomen ist aber noch nicht wirklich erfasst und monographisch aufgearbeitet worden.82 Dass diese Epitheta eine programmatische Funktion besitzen können, ist aus 1,24 ersichtlich: »Spruch des Herrn, JHWH Zebaot, des Starken Israels«. Die Kombination von »der Herr« und »JHWH Zebaot«/»JHWH der Heerscharen« begegnet nur in Kap. 1–39, und immer in Gerichtsankündigungen über Juda und Jerusalem (1,24; 3,1; 10,16.33; 19,4). Dagegen wird der Gottestitel »der Starke« Israels bzw. Jakobs in Heilsankündigungen oder Danksagungen gebraucht (49,26; 60,16; Gen 49,24; Ps 132,2.5; Sir 51,12). So passt dieser Vers bestens zur Einleitung des Buches Jesaja, und zwar in eine Gottesrede, welche die Restauration Zions mit dem Gericht über die Stadt verbindet (Jes 1,24–26).

Der Eigenname Gottes »JHWH« kommt im gesamten Buch Jesaja ca. 450mal vor. Eine Aufarbeitung der Verwendung des Eigennamens kann in dieser Einleitung nicht geboten werden. Die Erweiterung des Namens »JHWH« zum Epitheton »JHWH Zebaot« ist in den Buchteilen unterschiedlich stark vertreten (in Protojesaja 57 von 241 Mal; in Deuterojesaja 6 von 126 Mal; Tritojesaja 0 von 83 Mal). Diese Daten und andere Faktoren lassen vermuten, dass der Titel »JHWH Zebaot« aus dem Jerusalemer Kult stammt (6,3.5; 8,13.18) und bereits vom Propheten Jesaja in seiner Verkündigung (2,12; 3,1; 5,7.9.16.24; vgl. 22,5.12.14), sowie von der ersten Redaktion seiner Orakel gebraucht wurde (21 Mal in Kap. 1–12). Der Titel bringt zum Ausdruck, dass JHWH die Geschichte Jerusalems und Judas in aller Machtfülle leitet. In den Völkersprüchen (Kap. 13–23) und der sogenannten Apokalypse (Kap. 24–27) steht er für die göttliche Befehlsgewalt über die ganze Erde (27 Belege in 13,4 bis 24,23 sowie 25,6). In den explizit monotheistischen Aussagen der Kap. 40–54 verbindet dieses Epitheton JHWHs Autorität über die Geschichte Israels mit seiner Herrschaft über den ganzen Kosmos (44,6; 45,12–13; 47,4; 48,2; 51,15; 54,5). In Kap. 55–66 fehlt der Titel völlig. Möglicherweise hat dies damit zu tun, dass »JHWH Zebaot« die beiden Traditionslinien der Zions- und der Königsideologie voraussetzt. Gerade letztere ist aber in der nachexilischen Prophetie deutlich schwächer ausgeprägt.83 In der LXX bezeichnen die griechischen Übersetzungen von als παντοκράτωρ oder κύριος τῶν δυνάμεων JHWHs unbegrenzte und unangreifbare Macht über den Kosmos. Der Bericht über Jesajas Vision und Sendung bietet neben dem Titel »JHWH Zebaot« (6,3.5) auch den Begriff »Herr«, und zwar fast als Eigennamen (6,1.8.11). Im ersten Buchteil steht »Herr« überwiegend allein, ohne das Tetragramm (vgl. 3,17.18; 4,4; 7,14.20; 8,7; 9,7.16; 10,12; 11,11; 21,6.8.16; 28,2; 29,13; 30,20; 37,24; 38,14), danach meist zusammen mit diesem (vgl. 40,10; 48,16; 49,22; 50,4.5.7.9; 51,22; 52,4).84

Im Visions- und Sendungsbericht stehen die Bezeichnungen »JHWH Zebaot« und »Herr« mit dem Titel »König« (6,5) zusammen, im Kontext seines himmlisch-herrschaftlichen Thronens (V. 1–7). Der Titel und die Wurzel »herrschen/König sein« werden in Jes 1–39 eher sparsam verwendet, obschon der universale Charakter der göttlichen Majestät über Himmel und Erde – gegründet und gefestigt auf dem Berg Zion – ab Jes 6 die Basis für die eschatologische Perspektive dieses Buchteils bildet (24,23; 33,22). Man vermutet, dass Jesaja das Paradigma der weltweiten Königsherrschaft JHWHs auf Grundlage der konkreten politischen Erfahrungen mit der neuassyrischen Reichsideologie entwickelt hat.85 Dafür spricht, dass Jesajas Verkündigung in die Zeit der unaufhaltsamen Ausbreitung Assurs bis hin zum Status eines Weltreiches fiel (von Tiglatpileser III. [745–727] bis Sanherib [705–681]). Dabei stellen aus Perspektive des Gottesvolkes das Ende des Nordreiches Israel (722) und der verheerende Feldzug gegen Juda und Jerusalem (701) die zentralen Ereignisse dar.

Jesaja, der bekannte und geachtete Prophet, kannte die kulturelle und religiöse Propaganda des neuassyrischen Reiches, die zu dessen Legitimation diente. Noch uns Heutigen ist sie in der Literatur Assurs und den imperialen Palastreliefs aus Ninive zugänglich. Jesaja scheint mit dem Topos der Königsherrschaft Gottes in zweifacher Hinsicht bekannt gewesen zu sein: Nach der alten Tradition der Stämme Israels herrschte JHWH über sein Volk, das er sich erworben hatte (Dtn 33), während er im Kult des Jerusalemer Stadtstaates als residierender König auf dem Berg Zion verehrt wurde (Ps 24). Der Prophet hat JHWHs Königtum im Grunde genommen zum selben weltweiten Umfang ausgebaut, wie es in der assyrischen Reichsideologie für den Hauptgott Assur der Fall war, der über alle Völker seine unbegrenzte Macht ausübte bzw. ausüben ließ. Natürlich stützte sich JHWHs Herrschaft nicht auf militärische Stärke, vielmehr besaß er eine andere, noch größere Waffe: Als Schöpfer von Himmel und Erde (6,1–4) hatte er alleinige Autorität über Schöpfung und Geschichte! Auf diese Weise konnte Jesaja die für unüberwindbar gehaltene Kriegsmacht als dem Schöpfergott JHWH unterworfen darstellen. So ist Assur nicht mehr als ein Werkzeug in Gottes Hand zur Lenkung der Geschicke von Israel, Juda, Jerusalem und den Völkern (10,5–34). Eine ähnliche ideologische Entwicklung zeigt sich beim Thema des Königtums JHWHs in Ps 93–100.

Zudem erklärt dieser Hintergrund auch die auffällige Tatsache, dass der Königstitel für JHWH in der Überlieferung und den redaktionellen Überarbeitungen der jesajanischen Orakel nur selten vorkommt: JHWH und die assyrischen Zwingherren konnten unmöglich unter ein und demselben Titel subsummiert werden. Deshalb weicht der Königstitel der Bezeichnung »Herr«, wie aus Kap. 36–37 deutlich wird. In diesen Kapiteln wird »König« überaus häufig für den assyrischen Herrscher gebraucht, nicht aber für JHWH. Dieser nimmt die höchste und einzigartige Stellung ein: »Du thronst über den Cherubim, du bist es, der da Gott ist, du allein, für alle Königreiche der Erde« (37,16).

Die Eröffnung von Kap. 40ff. nimmt den Topos der Herrschaft JHWHs erneut auf: »Siehe, der Herr JHWH, als Starker kommt er, sein Arm herrscht für ihn […] Wie ein Hirt weidet er seine Herde« (40,10–11; vgl. 37,22–23). Die Wahl des Begriffs »herrschen« anstelle von »König sein« folgt dem Wortgebrauch in Kap. 36–37, wo dieses Wort ebenfalls für den machtversessenen Sanherib reserviert blieb. JHWH aber übertraf ihn und seinen Gott Assur in allen Belangen. Darüber hinaus bekommt das Thema ein neues Element, weil es in 40,9 Zion als Freudenbotin ist, die JHWH als Herrscher ankündigt. Diese Vorstellung prägt die Kap. 40–54, wie besonders an 52,7 ersichtlich ist, wo JHWH siegreich zum Zion kommt. Die Grundlage all dessen besteht darin, dass er »der König Jakobs/Israels« ist (41,21; 43,15; 44,6). Die Kap. 55–66 setzen das Thema der weltweiten Herrschaft JHWHs nur indirekt fort (63,19: »Wir sind wie die geworden, über die du nie geherrscht hast«), betonen aber die Zugangsmöglichkeit zum Berg Zion auch für Menschen aus den Völkern (56,1–8). Dabei wird die Frage, wo Gott zu finden sei, so beantwortet, dass seine Hoheit in keiner Weise seine Präsenz beeinträchtigt (57,14–15: »In der Höhe und als Heiliger wohne ich bei den Zerschlagenen und Erniedrigten«; 59,20: »Der Erlöser wird nach Zion kommen«; 62,11: »Sagt der Tochter Zion: Sieh, dein Heil kommt […] seine Belohnung zieht vor ihm her«; 66,1: »Der Himmel ist mein Thron […] Was für ein Haus wollt ihr mir bauen?«).

Der Titel »der Heilige Israels« umschreibt JHWHs Wesen nicht auf statische Weise in moralischer oder kultischer Hinsicht, sondern als Beziehungsgeschehen mit seinem Volk. Die Beifügung »Israel« zeigt keine Begrenzung an, sondern eine konkrete Verortung. Denn in Israel, in Zion, stellt Gott seine Souveränität vor den Augen der Völker unter Beweis (12,6; 43,3; 45,11; 49,7; 55,5; 60,14). Die Häufigkeit dieses Titels, der über alle Buchteile hinweg vorkommt (in Protojesaja 13 Mal, in Deuterojesaja 10 Mal, in Tritojesaja 3 Mal gegenüber 6 Mal im gesamten übrigen AT)86, zeugt von seiner bleibenden Bedeutung, sowohl vorexilisch als auch während und nach dem Exil. Literaturgeschichtlich betrachtet stammt der Begriff wie schon der Titel »König« aus der Sendungsvision des Propheten, insbesondere aus dem Lobgesang der Seraphen: »Heilig, heilig, heilig ist JHWH Zebaot« (6,3). Wahrscheinlich hat der historische Prophet den Titel aus dem Jerusalemer Kult übernommen und ihn auf JHWHs wunderliches Handeln an Israel angewendet. Die Jesaja-Überlieferung sowohl vor (7. Jh.) als auch nach dem Exil (6. und 5. Jh.) hat diesen Titel zu einer Ikone für JHWHs bleibende Verbundenheit mit seinem Volk gemacht, eine Beziehung, die sich vom Gericht zum Heil entwickelte.

Vor diesem Hintergrund hat der eben zitierte Lobgesang der Seraphen in buchredaktioneller Hinsicht eine Bedeutung bekommen, die den kultischen Kontext der Szene übersteigt. Das dreimal »Heilig« drückt einerseits die höchste Form von Verwirklichung aus, spiegelt andererseits aber auch die Schwierigkeit wider, anzugeben, worin diese Eigenschaft eigentlich besteht. Das wird am beinahe tautologischen Versuch in 5,16 deutlich: »Der heilige Gott erweist sich als heilig durch Gerechtigkeit«. Die Unbegreiflichkeit gehört wesenhaft zur göttlichen Heiligkeit, aber nicht etwa in metaphysischer, sondern in historischer Hinsicht (40,25; 45,11). JHWH, der Gott, der sich Israel auserwählt hat und ihm treu bleibt, obwohl dieses Volk ihn verschmäht (1,4; 5,19.24; 30,11; 31,1), offenbart sein Engagement in Gericht und Heil bzw. besser: in einem Heil, das durch die Schule des Gerichts hindurch gegangen ist (10,20; 41,14; 43,14; 48,17; 54,5; 55,5). Diese notwendige Verbindung heißt »Gerechtigkeit«. Sie betrifft die sozialen Verhältnisse in Israel (29,19), aber auch die Beziehung zu den Völkern (49,7; 60,9.14). Die Verwirklichung dieses Heiles zeichnet JHWH aus und wird letztendlich zu seiner Anerkennung führen (12,6; 29,23; 37,23; 41,16.20).

Das Thema der »Herrlichkeit« () JHWHs ist auf unterschiedlichen Entstehungsstufen des Buches anzusiedeln. Den sowohl synchronen als auch diachronen Ausgangspunkt bildet die Tempelvision des Propheten und darin insbesondere der Ruf der Seraphen: »Heilig, heilig, heilig ist JHWH Zebaot. Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit« (6,3). Die zeitliche Angabe in V. 1 »im Todesjahr des Königs Usija« (vermutlich 734) sollte ernst genommen werden. Jesajas Auftreten beginnt zu der Zeit, als Assur seine Macht über das Nordreich Israel und den Küstenstreifen ausbreitete, was Juda nicht unberührt lassen konnte (vgl. den syrisch-ephraimitischen Krieg, 734–732). »Siehe, der Herr lässt die reißenden Wassermassen des Stroms – den König von Assur und seine ganze Herrlichkeit – emporsteigen […] Er wird sich auf Juda zubewegen […] seine ausgebreiteten Ränder werden die Weite deines Landes füllen, Immanuel« (8,7–8; vgl. 7,16–17). Möglicherweise ist die explizierende Identifizierung »den König von Assur und seine ganze Herrlichkeit« redaktioneller Art. Sicher ist jedoch, dass damit eine Verbindung zur Tempelvision gelegt wird. Der historische Prophet sah die überwältigende Macht des Königs von Assur als von JHWH gewollt und dem Gott, der in Jerusalem thront, untergeordnet an. »Herrlichkeit« meint in beiden Texten Herrschaft, und zwar im Sinne von Macht und Ausstrahlung.

Die Verbindung von »Herrlichkeit« () mit »Erde/Land« () spielt dabei auch eine Rolle (6,3.11–12; 8,8), wobei der zweite Begriff jeweils weiter oder enger gefasst wird: »Die Fülle der ganzen Erde ist seine Herrlichkeit« (6,3) und »seine Ränder werden die Weite deines Landes füllen, Immanuel« (8,8). Der Begriff »Herrlichkeit« meint hier die Autorität und Befehlsgewalt über ein bestimmtes Gebiet. Von daher verweist der Terminus »Erde/Land« im Lobgesang der Seraphen auf JHWHs Machtsphäre, die sich über den Tempel von Jerusalem hinaus auf den ganzen Kosmos erstreckt, ebenso wie sich sein Thron in höchste Höhen erhebt und allein schon der Saum seines Gewandes das Heiligtum erfüllt (6,1–2).87 Demgegenüber wird im Orakel über Assurs Feldzug dessen Eroberung auf »die Weite deines Landes, Immanuel« begrenzt (8,8).

Hinter diesen Texten verbirgt sich die Auseinandersetzung des Propheten mit der Elite und dem Volk in Jerusalem. Die Übermacht von »JHWH Zebaot«, die auch der König von Assur zu spüren bekommt, bedeutet wider Erwarten nicht, dass Juda von Not und Gericht ausgenommen bliebe. Im Gegenteil, »Umkehr« und »Heilung« kann es für diejenigen nicht geben, die für JHWHs Botschaft taub sind. Deshalb wird die Verwüstung des Landes auch vollständig sein (6,10–12; 8,8: »bis zum Hals«). Aber in der Fortsetzung bezeugt Jesaja, dass Assur nicht im eigenen Namen auftritt, sondern nur ein Strafwerkzeug in der Hand JHWHs ist (10,5–15). Assurs »Herrlichkeit« wird im Feuer des »Lichts Israels« und in der Flamme »seines Heiligen« zerstieben (10,16–18). Das Thema der »Herrlichkeit JHWHs« setzt sich auch nach den Kap. 1–12 fort. In dem Maße, wie die Völker, Jakob und die Angesehenen in Jerusalem ihre »Herrlichkeit« im Strafgericht verlieren (14,18; 16,14; 17,4; 21,16; 22,18.24), wird JHWHs Königsherrschaft in »Herrlichkeit« auf dem Berg Zion vor den Ältesten des Gottesvolkes antizipiert (24,23; vgl. Ex 24,9–11).

Damit bekommt das Motiv aus der Predigt des Propheten eine wichtige Rolle in der Endredaktion des Buches, denn es verbindet den zweiten und dritten Großteil: »Die Herrlichkeit JHWHs wird sich offenbaren, und gemeinsam wird alles Fleisch es sehen« (40,5; vgl. 35,2) und »Ich komme, um alle Nationen und Zungen zu versammeln, und sie werden kommen und meine Herrlichkeit sehen« (66,18–19). Die Bucheinleitung hatte diese Klammer bereits durch die Verbindung von Zion mit dem Zeltheiligtum in der Wüste vorbereitet (4,5; vgl. Num 9,15–16). So wurde »JHWHs Herrlichkeit« zu einem übergreifenden Heilsbild in jesajanischer Perspektive. Im zweiten Buchteil betont diese Herrlichkeit JHWHs Vollmacht über sein Volk angesichts seiner unvergleichlichen Überlegenheit über die Götter Babels (Jes 42,5–12, bes. V. 8; 43,1–7, bes. V. 7; 48,11). Im dritten Buchteil wird unterstrichen, dass die notleidende nachexilische Gemeinde nur dann und insofern JHWHs Herrlichkeit erwarten kann, wenn sie den Imperativ des gerechten Handelns in die Tat umsetzt (58,8; 59,19; 60,1–2; 62,2).

7.2Spezifische Gottesnamen und Metaphern für einzelne Teile des Jesajabuches

In den einzelnen Buchteilen finden sich noch weitere Epitheta und Sprachbilder für JHWH, die mit den besonderen historischen und religiösen Situationen der Verfasser zu tun haben. Gottestitel und Metaphern fließen manchmal auch ineinander über. Die Begriffe sind vielzählig und variantenreich. Sie gewähren einen Einblick in die Intensität des prophetischen Nachdenkens über die Beziehung JHWHs zu seinem Volk und beweisen, wie kreativ die Autoren mit solchen Sprachbildern umzugehen wussten. Überblicksartig seien genannt: »Eltern/Vater« (1,2; 30,1.9; 43,6; 45,10; 63,8.16; 64,7), »Richter/Anwalt/Rechtsgegner« (1,18; 2,4; 3,13; 33,22; 34,8; 43–45 passim; 49,25; 50,8; 51,22), »Lehrer« (2,3; 28,26; 30,21), »Winzer« (5,1–7; 27,2–7; 63,3–6), »Bauherr« (5,2; 25,2; 26,1; 28,16–17; 44,26; 54,11–12), »Fels« (8,14; 17,10; 26,4; 30,29; 44,8), »Festung« (17,10; 25,4; 26,1; 27,5), »Arzt« (30,26; 38,16; 57,18–19), »Hirt« (40,1188).

In Kap. 1–39 stößt man vielfach auf die Vorstellung von JHWH als »Kämpfer«, der den Streit mit seinen Feinden innerhalb und außerhalb des Gottesvolkes/Zions angeht. Das Bild findet sich zwar auch in Kap. 40–66 (42,13; 49,25–26; 59,16–19; 63,1–4; 66,15–16)89, aber durch die stärkere Ausrichtung von Jes 1–39 auf das unvermeidliche Strafgericht nimmt das Motiv des kämpfenden JHWH einen prominenteren Platz ein. So ist er in der Einleitung des Buches »der Starke Israels« (), der, um Zion von aller Ungerechtigkeit zu reinigen, gegen seine Feinde, die gottlosen Richter, vorgeht (1,24). Dieser singuläre Name stellt eine bewusste Abänderung des nordisraelitischen Titels »der Starke Jakobs« dar (Gen 49,24; Jes 49,26; 60,16). Programmatische Bedeutung hat des Weiteren die Tatsache, dass der verheißene Sohn aus dem Geschlecht Davids den Titel JHWHs »Gott Held« () als einen seiner Thronnamen zugesprochen bekommt. Diese Bezeichnung vergegenwärtigt den göttlichen Willen, dem eigenen Volk sowohl in der Vergangenheit als auch in der Zeit der assyrischen Bedrohung und Übermacht zur Seite zu stehen (10,21; 42,13: »Kriegsmann«). Dass Israel weder Assur noch Babel militärisch gewachsen war, spricht nicht gegen JHWHs Fürsorge für sein Volk, sondern führt zur überraschenden göttlichen Initiative, die Heere der »Nationen in der Ferne« als Feldherr für seine Ziele einzusetzen und zu befehligen (5,26–30; 7,18–20; 8,7–10; 9,10–11; 10,5–19.24–27). In den Völkerorakeln (Kap. 13–23), besonders im Spruch gegen Babel (Kap. 13), kommt JHWHs militärische Macht exemplarisch zur Geltung. Dies geschieht so, dass er seinen Streit gegen Jerusalem, die Stadt, die ihm untreu wurde, nicht aus den Augen verliert (22,1–14). In der Sammlung von Weherufen mit nachfolgenden Anhängen (Kap. 28–33) verdichtet sich die Vorstellung von JHWH als Kämpfer zu einem Paradox: Gott kämpft sowohl gegen die Stadt und ihre gottlosen Herrscher (28,18–22; 29,1–5; 30,15–17) als auch für ihre Verteidigung und um ihre Inbesitznahme (29,6–8; 30,29–33; 31,4–9; 33). Das Paradigma des göttlichen Kämpfers setzt sich in den folgenden Kapiteln fort. Sein »Schwert über Edom« ist der Anfang des Gerichts über die Völker (Kap. 34) und findet einen ersten Höhepunkt im wundersamen Schutz Jerusalems angesichts der assyrischen Belagerung durch Sanherib (Kap. 36–39). Wer so erfolgreich gegen Assur für seine Stadt eintritt, der kann später auch gegen Babel den Sieger aus dem Osten herbeirufen, d.h. den Perser Kyrus, und ihm die Siege in den Schoß legen (41,2f.; 44,28; 45,1.13; 46,11; 48,14f.).

Auf literarischer Ebene scheint die sogenannte Apokalypse (Kap. 24–27) dieses Paradigma der militärischen Überlegenheit JHWHs über die Weltmächte zu unterbrechen. In Wirklichkeit aber hebt sie es nur auf das allerhöchste Niveau. Denn nun kämpft JHWH gegen die ganze Erde und macht sie zur Einöde, wenn und insofern ihre Bewohner dem Unrecht freien Lauf lassen (Kap. 24). Doch ist nicht die Vernichtung das letzte Ziel, sondern die Aufrichtung der Königsherrschaft JHWHs in Jerusalem, der Stadt, die von der Spelunke der Gottlosen zum Bollwerk der Gerechtigkeit werden soll (Kap. 25–26). Das Bild von JHWHs Kampf gegen die weltweite Ungerechtigkeit überlagert sich hier mit dem von der Bestrafung Ägyptens, dem Zwingherren par excellence (26,20–21; vgl. Ex 12,21–30), und der Unterwerfung aller Chaosmächte (27,1).

Für die Kap. 40–54 ist charakteristisch, dass JHWHs Sorge für Israel wesentlich damit zusammenhängt, dass er auch den Kosmos hervorgebracht hat. Die gewöhnliche Trennung von Schöpfung und Erlösung hilft hier nicht weiter. Das Verb »schöpfen« kennt im AT immer nur JHWH als Subjekt. Zwar umgibt das Motiv »JHWH als Schöpfer« das ganze Buch Jesaja (vgl. 4,5 und 65,17; 66,22), aber es ist in den sogenannten deuterojesajanischen Kapiteln verstärkt belegt, zuvorderst in deren Eröffnungsteil. JHWH hat das Universum geschaffen und dieses für Israel unleugbare Faktum wird gegen die Klage in Stellung gebracht, JHWH habe weder die Macht noch den Willen, sein Volk aus dem babylonischen Exil zu befreien (40,22–28; 41,20). Durch die Berufung des Knechts für Israel und die Völker entbehrt diese Klage aber jeglicher Grundlage. In den Gerichtsreden der Kap. 43–45 wird der Knecht Israel zum Zeugen für JHWHs einzigartige Befehlsgewalt über den Kosmos, die auf seinem schöpferischen, universellen Heilswillen gründet (48,18–22).

Der Terminus »schöpfen« wird regelmäßig ergänzt oder ersetzt durch vier andere Begriffe: »bilden« (), »machen« ( und ) und »[den Himmel] ausbreiten« (). Folgende Verse seien hier besonders genannt: 42,5: »Der den Himmel geschaffen hat und ihn ausbreitet« (vgl. 44,24); 43,7: »alle, die ich zu meiner Ehre geschaffen habe. Ich habe sie gebildet, ja, ich habe sie gemacht«; 45,7: »Der das Licht bildet und die Finsternis schafft, der Heil vollbringt und Unheil schafft, ich JHWH, bin es, der all dies vollbringt«. Diese Schöpfungsverben spielen im zweiten Buchteil eine wichtige Rolle, und zwar mit unterschiedlicher semantischer Aufladung. »Bilden« lässt an die kunstvolle Arbeit des Töpfers denken (: 41,25; 43,1.7.21; 44,2.9–12.21.24; 45,7–11.18; 46,11; 49,5); »machen« zielt stärker auf das Ergebnis des Tuns (: 40,23; 41,4.20; 42,16; 43,7; 44,2.13–17.23–24; 45,7.12.18; 46,4.6.10–11; 48,3.5.11.14; 51,13; 54,5) oder des Arbeitens ab (: 41,4; 43,13; 44,12.15; 45,9–11). »[Den Himmel] ausbreiten« betrifft das von Gott Ausgespannte über der Erde, das zugleich die Schwelle zu der ihm eigenen Domäne markiert (: 40,22; 42,5; 45,12; 51,13; 54,2). Zusammen decken diese Verben das allumfassende Handeln Gottes ab. In diesem Kontext steht JHWHs Führung der Geschicke Israels an oberster Stelle; sie ist aber transparent hin auf seine Macht über den gesamten Kosmos (43,15–17; 44,1–4.21–24; 45,11–13.18). Im letzten Buchteil klingt dieses Thema noch nach (64,7; 65,17), so wie der erste es präludierte (27,11; 37,26). Das Bekenntnis zu »JHWH als Schöpfer« hat seinen Ort in der monotheistischen Gottesvorstellung: Israels Gang durch die Jahrhunderte zeugt von der Geschichtslenkung durch den einen und alleinigen Gott, der den Kosmos in Zeit und Raum zugunsten des Lebens auf der Erde ordnet und erhält. Wahrscheinlich entstand diese Schöpfungstheologie in der Auseinandersetzung mit den Hauptgottheiten Marduk im Kult Babels bzw. Ahuramazda in der persischen Reichsideologie.90 Sie nimmt nicht nur in Deuterojesaja, sondern auch in den Psalmen, der Priesterschrift und in der Weisheit eine zentrale Stellung ein.

Zwei weitere, für Jes 40–54 bedeutsame Epitheta stehen mit dem Titel des »Schöpfers« in enger Verbindung: »Erlöser« (M. Buber: »Auslöser«) und »Retter« (M. Buber: »Befreier«). Die Bezeichnung »Erlöser« stammt aus der Rechtssphäre und setzt eine Verantwortlichkeit aufgrund von Verwandtschaftsbanden innerhalb des Stammes, des Clans oder der Großfamilie voraus.91 In Kap. 40–66 steht der Titel überwiegend in Gottesreden, in denen sich JHWH seines Bandes mit Israel bewusst ist und sich verpflichtet fühlt, seinem Volk beizustehen (41,14; 43,1.14; 44,6.22–24; 47,4; 48,17; 49,7.26; 52,9; 54,5.8; 59,20; 60,16; 63,9.16).

Der Titel »Retter« ist in Deuterojesaja nur selten in profanem Sinn gebraucht, sondern meist in typisch religiösem Sinne eingesetzt. Zudem ist das Wort »Rettung« () Bestandteil des Namens »Jesaja« ( »JHWH ist Rettung«) und zieht sich als roter Faden durch das ganze Buch (12,2–3; 25,9; 26,1.18; 33,2.6; 49,6.8; 51,6.8; 52,7.10; 56,1; 59,11.17; 60,18; 62,1). In Kap. 40–66 ist das Wort immer mit JHWH als Subjekt verbunden (bereits in 25,9; 33,22; 35,4; 37,20.35; 38,20; danach in 43,3.11–12; 45,15.17.21–22; 49,25–26; 59,1; 60,16; 63,1.8–9). Die göttliche Rettung ist übrigens ein fester Bestandteil des prophetischen Diskurses. Von daher ist der Aspekt des zu Hilfe Kommens in der Not ebenso stark wie der des effektiven Errettens aus der Not.92

Des Weiteren zeichnet Jes 40–54 die kraft- und machtvolle Redeweise aus, mit der JHWH sein unvergleichbares Gottsein zum Ausdruck bringt: »ich bin JHWH, der …« ()93 oder »ich bin es …« ()94 mit nominaler oder verbaler Ergänzung. Als Beispiel kann die folgende Passage dienen: »Ich, ich bin JHWH, und keinen Retter gibt es außer mir. Ich war es, der es verkündet hat, und ich habe gerettet, und ich habe es hören lassen, und kein fremder Gott war bei euch. Und ihr seid meine Zeugen, Spruch JHWHs, und ich bin Gott. Auch künftig bin ich es, und keinen gibt es, der aus meiner Hand rettet. Ich mache es, und wer könnte es wenden?« (43,11–13).

Die Fachliteratur spricht in diesem Zusammenhang von einer göttlichen Selbstvorstellungsformel, die Parallelen in vergleichbaren Texten der altorientalischen Literatur besitzt, in denen sich eine Gottheit oder ein durch sie ermächtigter König als unbestrittene Autorität präsentiert.95 Dennoch ist ein wesentlicher Unterschied zu beachten: JHWH stellt sich nicht in erster Linie denen vor, die ihn noch nicht kennen (vgl. Ex 3,13f.), sondern unterstreicht seinen Rettungswillen und seine Rettungsmacht zugunsten Israels in der Notsituation des babylonischen Exils. Damit erhebt er Anspruch auf eine exklusive Stellung als einzige Gottheit, die effektiv retten kann (45,20–25), im ausdrücklichen oder impliziten Kontrast zu den Göttern der Völker, besonders den babylonischen (vgl. 1 Kön 18,39: »JHWH, er ist Gott« [implizit: »und nicht Baal«]).

Die Struktur dieser Sätze, besonders die Position des Prädikats, lässt auf zwei Funktionen schließen: Selbstvorstellung und Ausschließlichkeitsaussage. Den Ausschlag gibt immer der individuelle Redekontext.96 Manchmal gibt Gott seinem Namen eine inhaltliche Füllung, die Israel in seiner Not nicht bestätigen kann oder will (»Ich bin JHWH, ein zuverlässiger und rettender«, d.h. kein ohnmächtiger oder uninteressierter Gott) und/oder er beansprucht diese einzigartige Stellung ausdrücklich für sich allein (»Ich bin JHWH, ein zuverlässiger und rettender Gott«, d.h. kein anderer ist es). Mit anderen Worten, manchmal steht Israel seinem Gott im Disput gegenüber und wird aufgefordert, auf JHWH zu vertrauen und fremde Götter abzuweisen (Selbstvorstellung). Manchmal bilden die Fremdgötter die Gegenpartei im Rechtsstreit JHWHs, dann ist Israel als Zuhörer und Zeuge präsent (Ausschließlichkeitsaussage).

In der oben zitierten Passage (43,11–13) richtet sich JHWH an Israel, in anderen Texten ändert sich die Sprechrichtung von Israel zu den Göttern (41,21–24). Der Kontext, d.h. der Redeverlauf ist in jedem Fall ausschlaggebend. Im Grunde wird Israel immer aufgefordert, JHWHs einzigartigen Heilswillen und seine unvergleichbare Rettungsmacht zu bezeugen. Nur wer sich im babylonischen Exil angesichts der imperialen Götterprozessionen zu JHWH, zu Jerusalem, zum Zion bekennt, ist der wahre Knecht: »Ihr seid meine Zeugen […] und mein Knecht, den ich erwählt habe« (43,10). Wo demgegenüber die Fremdgötter und ihre Anhänger angesprochen sind, soll dies der Ermahnung Israels dienen. Angesichts der Skepsis seines Volkes betont JHWH seinen Anspruch auf alleinige Verehrung. Es soll wissen, dass er den Lauf der Geschichte bis in die Gegenwart hinein bestimmt hat, was der Siegeszug des Kyrus vor den Augen der ganzen Welt unter Beweis stellt. Wie er den Helden aus dem Osten rief (41,2–4), so erwählte er sich auch Israel zu seinem Diener, rettete Jakob, dessen Treulosigkeit er vorhergesagt (43,10–13) und den er von Mutterschoß an bis ins hohe Alter zu tragen versprochen hatte (46,3–5). Mit der gleichen Intensität, mit der JHWH sich als »der Erste und auch der Letzte« um Israels Existenz kümmert, herrscht er auch über Himmel und Erde (48,12–14). Aus diesem Engagement für Israel ergibt sich, dass er allein, JHWH, dieses Volk befreien kann und befreien wird: »nur ich, aber ich gewiss«.97 Er wischt dessen Sünden aus (43,25), tröstet ihn (51,12) und führt ihn zur Erkenntnis seines Namens (52,6). Kurzum, JHWHs einzigartiges Gottsein und seine alles übertreffende Macht manifestieren sich in seinem effektiven Engagement für Israel: Weil er der allein rettende Gott ist, ist er auch der einzige! Der Satz »Ich bin JHWH/Ich bin es« ist also kein Gottestitel, sondern bezeichnet den Einzigkeitsanspruch und die Rettungsabsicht dieses Gottes, zu dessen Bekenntnis Israel vor den Augen der Völker aufgefordert und bestimmt ist. Diese Aussage hat sich zum Schlüsselwort monotheistischer Gottesvorstellung entwickelt, und zwar nicht als ein von außen auferlegtes Theorem, sondern als die erfahrbare und erfahrene Garantie der Errettung eines unterjochten Volkes.

Die Theorien zur Entstehung des dritten Buchteils (Kap. 55–66) fallen recht unterschiedlich aus, doch spricht man ihm im Allgemeinen eine gewisse Eigenheit zu. Das Hauptthema ist Zion, und zwar genauer der Gegensatz zwischen dem schleppenden Wiederaufbau und den hohen Erwartungen, die JHWH für seine Stadt hegt. Da diese Kapitel nach allen Entwicklungshypothesen eng an Jes 1–39 und 40–54 anschließen, ist es nicht verwunderlich, dass die Gottesnamen und Metaphern weiterentwickelt werden, wobei spezielle inhaltliche Akzentuierungen auffallen. Zwei Beispiele sollen zur Illustration dienen:

JHWH steht gegenüber Zion im besonderen Verhältnis eines Ehemannes zu seiner Braut bzw. Frau. Die Personifikation der Stadt hatte schon zuvor Spuren im Buch hinterlassen. So bezeichnet JHWH sie in der Einleitung als Hure, die er zur »Stadt-der-Gerechtigkeit« (1,21–23) umformen will. Der Prophet lädt sie dazu ein, die Großtaten Gottes unter den Völkern zu verkünden (12,6). Als »die Jungfrau, die Tochter Zion« erhebt sie ihre Stimme gegen den König von Assur (37,22–23), als Freudenbotin kündet sie den Städten von Juda die siegreiche Ankunft JHWHs an (40,9).

In ihrer Klage nimmt Zion in den Kap. 49–54 eine neue Gestalt an: »Verlassen hat mich JHWH, der Herr hat mich vergessen« (49,14), worauf Gott sofort antwortet: »Vergisst eine Frau ihren Säugling, dass sie sich nicht erbarmt über den Sohn ihres Leibes? Selbst wenn diese es vergessen würden, werde doch ich dich nicht vergessen« (49,15). JHWH spricht Zion als Mutter der verlorenen und wiedererlangten Kinder an (V. 17–26), wobei sie zugleich Züge einer Braut annimmt: »Wie Schmuck wirst du sie alle [=deine Kinder] anlegen, und wie eine Braut wirst du sie dir umbinden« (V.18). Die nachfolgende Passage geht noch einen Schritt weiter, denn darin ist Mutter Zion nun explizit JHWHs Braut: »Wo ist denn der Scheidebrief eurer Mutter, mit dem ich sie verstoßen hätte?« (50,1; vgl. 51,18: »Keines von all [ihren] Kindern leitet sie«). Die Brautmetapher kommt in Kap. 54 zur vollen Entfaltung, und zwar im Verhältnis JHWHs zu einer namentlich nicht genannten Frau, hinter der sich niemand anders als Zion verbergen kann. Ihre neue Kinderschar wird zahlreich sein (V. 1–3), »denn der dich gemacht hat, ist dein Gemahl, JHWH Zebaot ist sein Name, und dein Erlöser ist der Heilige Israels« (V. 5).

In Kap. 55–66 wird dieses Paradigma fortgesetzt, wobei der Aspekt Zions als Braut JHWHs nicht mehr ganz so eng mit ihrer Mutterschaft verbunden ist. Doch im Bild der Stadtfrau kommt dieses Motiv erneut zum Tragen (60,4.9.14.16; 66,7–11). Eine ähnliche Metaphorik scheint auch in 61,10–11 vorzuliegen. Es ist exegetisch umstritten, wer hier spricht: der gesalbte Herrscher, der Freudenbote der Befreiung und des Trostes für Zion (V.1–9)98 oder diejenigen, zu denen er gesandt ist, d.h. die »Trauernden um Zion« (V. 3), die in Zukunft »Priester JHWHs, Diener unseres Gottes« heißen sollen (V. 6), kurzum Zion selbst.99 Falls man V. 10–11 »als Gotteslob derer verstehen [kann], denen das Ich V. 1–4 eine sozioökonomische Wende im nachexilischen Jerusalem zusagt«100, benutzt diese Gruppe die Metapher des Brautschmucks um ihre engste Verbindung mit JHWH zum Ausdruck zu bringen: »wie der Bräutigam nach Priesterart den Kopfschmuck trägt und wie die Braut sich schmückt mit ihrem Geschmeide« (V. 10).

Dieses Bild findet in 62,4–5 eine breite Ausgestaltung: Die weibliche Figur Zion wird nun als Gemahlin des Königs JHWH vorgestellt: »Du wirst ein königlicher Kopfschmuck in der Hand deines Gottes sein« (V. 3; parallel zum Kopfschmuck des Bräutigams in 61,10). Die früheren Bezeichnungen der Stadt und des Landes »Verlassene/Verwüstete« (vgl. 54,1.6–8) gelten nicht länger und die neuen Namen »mein-Gefallen-an-ihr/in Besitz Genommene«, d.h. »Verheiratete«, stellen die Beziehung von JHWH und Zion als erste, immer gültige Liebe dar (V. 4). Die Bildsprache nimmt danach eine gewagte Wendung, indem ihre Mutterschaft als Ehe mit ihren Kindern ausgeführt wird: »Denn wie ein junger Mann eine Jungfrau in Besitz nimmt, so werden deine Söhne dich in Besitz nehmen, und wie der Bräutigam sich an der Braut freut, so freut sich dein Gott an dir« (V. 5). Diese Umformung der Metapher verfolgt ein bewusstes Ziel: »Die Gestalt Zion in ihrer besonderen Bindung zu ihrem Gott Jhwh wird damit zur Gewährsfrau für das Landeigentum ihrer Kinder, das heißt für die Vorstellung eines (wieder)besiedelten Geländes«.101

In Jes 55–66 besitzen einige Epitheta und Attribute JHWHs aus den vorangegangenen Teilen eigene Funktionen, denen hier in Auswahl nachgegangen werden soll:

Das weite Bedeutungsfeld des Wortes erstreckt sich von den physischen Phänomenen von »Wind, Sturm« über »Hauch, Atem« bis hin zu den anthropologischen Grundbegriffen »Leben, Geist, Gemüt«102. Im Buch Jesaja wird das Wort für Gottes aktives Auftreten nach außen gebraucht (11,15; 30,28; 32,15; 34,16; 40,13; 48,16; 59,19). Damit unterstreicht JHWH seine ganz eigene Kompetenz, die ihn von Menschen unterscheidet (30,1), mit der er aber auch seine Funktionsträger ausstatten kann (42,1; 44,3). Hieraus ergibt sich die Bedeutung von als dynamische göttliche Präsenz in von JHWH erwählten Menschen (11,2; 59,21; 61,1; 63,14), teils verstärkt durch die Eigenschaft »heilig« (64,10.11).

Als göttliche Attribute kommen im Jesajabuch auch »Licht« und »Glanz«, teils mit »Feuer« verbunden, vor (im Gerichtskontext in 4,5; 10,16–17; 26,11; 29,6; 31,9; 33,14).103 In Kap. 60 ist diese Motivik besonders präsent und dominiert die ganze literarische Einheit. Den Anstoß dazu legte schon die Ouvertüre des Buches mit dem Aufruf an das Haus Jakob, wie die Völker zum Berg Zion zu gehen und darüber hinaus »im Licht JHWHs« zu wandeln (2,1–5). In 60,1–3 ist dies weiter ausgestaltet, denn Jerusalem selbst wird zur Lichtträgerin ob der vorherigen Ankunft der »Herrlichkeit JHWHs«. Die Völker machen sich dann auf den Weg und bringen der Mutter Zion ihre verstreuten Kinder zurück (V. 4–9). Das Thema erreicht seinen Höhepunkt in der Verheißung, JHWH werde mit all seiner Herrlichkeit das Licht der Sonne und des Mondes ersetzen (60,19–20).

Mit dem Gottestitel »Vater« wird JHWH im Bekenntnis von 63,16; 64,7 direkt angesprochen. So ausdrücklich kommt dies im Jesajabuch nur hier vor, auch wenn die Vorstellung von Gott als Vater dem Buch insgesamt nicht fremd ist: »Kinder habe ich aufgezogen […] sie aber haben mit mir gebrochen« (1,2); »Es ist ein widerspenstiges Volk, verlogene Kinder« (30,9). Trotz allem hält JHWH an seiner elterlichen Fürsorgepflicht und seinem Erziehungsrecht fest: »Bring meine Söhne/meine Töchter zurück […] Ich habe sie zu meiner Ehre geschaffen, gebildet, gemacht« (43,6–7). Das prophetische Wehe von 45,9 weist in dieselbe Richtung: »Wehe dem, der zum Vater sagt: ›Was zeugst du?‹«. Das Bekenntnis zu JHWH als Vater in 63,16; 64,7 bildet auch keine Ausnahme im alttestamentlichen Zeugnis, sondern ist im gesamten AT breit belegt (Ex 4,22–23; Dtn 1,31; 8,5; 32,6.18; Jer 3,4.19; 31,9; Hos 11,1–3; Mal 1,6; Ps 103,13). Die Vorstellung hat Anteil an der allgemeinen altorientalischen Konzeption der Götterwelt. Die Metapher des »[Ur-]Vaters« dient dabei zur Erklärung unterschiedlicher Dimensionen dieser vorgestellten Wirklichkeit: das Beziehungsgefüge innerhalb eines Pantheons, die Entstehung des Kosmos, die Herrschaft des Königs als Platzhalter der Götter, die soziale hierarchische Ordnung und sogar die Möglichkeit einer Existenz nach dem Tod.104 Das Bekenntnis zu JHWH als Vater in 63,16; 64,7 nimmt insofern einen besonderen Platz ein, als es dort in Konkurrenz zum Verhältnis des Gottesvolkes zu seinen Erzvätern steht: »Abraham hat nichts von uns gewusst, und Israel kennt uns nicht« (63,16). Doch bedeutet dies keine Abkehr von den eigenen Traditionen (vgl. 45,10; 51,2; 58,14), denn JHWHs Vaterschaft wird mit zwei weiteren Elementen ausgestaltet: »Du bist unser Erlöser seit uralten Zeiten« (63,16) und »Du bist unser Bildner, wir alle sind das Werk deiner Hände« (64,7; vgl. 45,10). Die Metapher der Vaterschaft betont – besonders aus Sicht der Kinder – den Aspekt der Einzigkeit, denn ein Kind kann nur immer einen leiblichen Vater haben (wie auch nur eine leibliche Mutter). Der Vatertitel fügt genau diesen Aspekt der Einzigkeit den Epitheta wie »Erlöser« und »Bildner« hinzu.

7.3Rückblick und Fazit

Eine beschreibende Inventarisierung der Epitheta und Gottes-Metaphern im Buch Jesaja hat nur dann und insofern ihren Auftrag erfüllt, wenn sie der individuellen Lektüre und dem eigenen Verständnis dieser prophetischen Schrift dient. Das exegetisch-bibeltheologische Wissen um die Tätigkeit von Schülerkreisen, Tradenten und Schreibergilden im Laufe der Jahrhunderte soll die persönliche Wahrnehmung dabei bereichern. Das subjektive Erleben im Lesevorgang stellt keinen Mangel dar, sondern ist die notwendige Voraussetzung für eine persönliche Auseinandersetzung mit der Vision, die das Jesajabuch entfaltet.

Eine Theologie des Buches Jesaja, die den Gottestiteln und göttlichen Attributen nachgeht, kann nicht statisch sein, weil Israel seine Erfahrungen mit JHWH im Laufe der turbulenten Geschichte, die das Buch abbildet, immer wieder neu ausrichtete und anpasste. JHWH ist nicht nur im Buch Jesaja, sondern in der Bibel überhaupt sowohl ein Gott im Wandel als auch ein Gott des Wandels.105 Aus historischer Sicht könnte man sich möglicherweise wünschen, das Jesajabuch böte eine geradlinige Entwicklung seiner Gottesbilder, vom ersten Auftreten des Propheten in assyrischer Zeit bis zu den Problemen der nachexilischen Tempelgemeinde in der persischen Periode. Das ist aber nicht der Fall. Der Prophet spricht von zwei Brennpunkten aus: Das Heute ist für ihn die Frucht der Vergangenheit und zugleich die Saat für die Zukunft. Weil dem so ist, präsentiert das Buch Jesaja JHWH trotz aller geschichtlichen Umbrüche als mit sich selbst eins bleibend. So ist es auch möglich, dass die Gotteserfahrung aus einer Periode (assyrisch, babylonisch, persisch) auch für die anderen Zeiten gilt. Mit anderen Worten: einige Namen und Epitheta JHWHs überspannen das ganze Buch, teils mit Bedeutungsverschiebungen, andere Begriffe bleiben auf einige Buchteile beschränkt. Insgesamt ergeben sie ein dynamisches Gottesbild desjenigen, der von sich sagt: »Ich, JHWH, bin der Erste, und noch bei den Letzten bin ich derselbe« (41,4b).

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1Einen guten Überblick bietet HöFFKEN 2004.

2BERGES 2006, S. 190.

3MUILENBURG 1956, S. 381–773; J. BECKER 1968; MELUGIN 1976; 1997 und 2008.

4RENDTORFF 1984; WATTS 1985; 1987.

5BRUEGGEMANN 1998a; 1998b; CHILDS 2001; BLENKINSOPP 2000; 2002 und 2003.

6RENDTORFF 1984, S. 295.

7STECK 1996, S. 7.

8BERGES 1998, S. 535ff.

9So OSWALT 1998, S. 25; vgl. auch MOTYER 1993; sowie ALLIS 1950; YOUNG 1954; LESSING 2011. Diese Kommentare bieten trotz der Einheitsthese durchaus wichtige Detailbeobachtungen zur Sprache, Motivik und Theologie des Jesajabuches.

10OSWALT 1998, S. 6.

11Dazu sehr informativ MOSER 2012.

12DöDERLEIN 1781, S. 832; zitiert nach VINCENT 1977, S. 17.

13MOSER 2012, S. 89–96.

14Siehe DUHM 1916, S. 291f.

15CASPARI 1934, S. 244.

16HERMISSON 2003 und die weiteren bisher erschienen Faszikel.

17Vgl. ALBERTZ 2001, S. 283–286; DIETRICH u.a. (Hg.) 2014, S. 305f.319f.

18KRATZ 2003, S. 98; LEVIN 2003, S. 85; GERSTENBERGER 2005, S. 248.

19Vgl. KRATZ 1991; VAN OORSCHOT 1993; WERLITZ 1999.

20ELLIGER 1933. Derzeit geht man bei »Tritojesaja« fast einstimmig von schriftgelehrter Prophetie aus; vgl. LAU 1994; GäRTNER 2006.

21MICHEL 1981, S. 250; siehe DERS. 1977; neu abgedruckt in DERS. 1997; auch COGGINS 1998, S. 91.

22Aus Sorge vor Missverständnissen veröffentlichte D. Michel seine Gedanken erst Jahre später: »Ich habe weitere zehn Jahre mit der Veröffentlichung gewartet, weil mir aus zahlreichen Gesprächen deutlich geworden war, wie leicht meine Argumente unter der vorherrschenden Annahme einer prophetischen Persönlichkeit ›Deuterojesaja‹ missverstanden werden können.« (MICHEL 1997, S. 199, Anm. 1).

23J. BECKER 1968, S. 38.

24So verurteilte die Päpstliche Bibelkommission im Jahre 1908 die Ansicht, das Buch Jesaja sei wegen des exilischen Ursprungs der Kapitel 40–66 nicht gänzlich auf den Propheten zurückzuführen (ASS 41 [1908], S. 613).

25GOLDSCHMIDT 1996, S. 56. Die Schreibweise einiger biblischer Eigennamen wird hier vereinfacht wiedergegeben.

26EATON 1982.

27SCHMITT 1979 und 2005, S. 322.

28ALBERTZ 2001.

29Vgl. SCHMID 2006, S. 328, der hinter den kleinen Einheiten in Jes 40–55 ursprünglich mündliche Verkündigung vermutet: »Man darf deshalb nach wie vor mit einem Propheten ›Deuterojesaja‹ hinter Kap. 40ff. rechnen, auch wenn wir seinen Namen nicht kennen.«

30Vgl. HERMISSON 1999, Sp. 684–685, der jedoch dezidiert für »Deuterojesaja« als historische Figur eintritt.

31Erneut BLENKINSOPP 2002, S. 356: »the Servant is none other than the author of the core of these chapters, the so-called Deutero-Isaiah«.

32WELLHAUSEN 1958, S. 152, Anm. 1.

33LEVIN 2003, S. 85: »Doch ist die Frage nach der Person des Propheten bei diesem Buch noch weniger angemessen als sonst. Die eigene Prägung, die Deuterojesaja besitzt, beruht vor allem auf den verwendeten Gattungen. Sie ist keine individuelle Signatur.«

34STECK 1996, S. 168; vgl. KRATZ 2007, der die anti-institutionelle Richtung der biblischen Prophetie unterstreicht (KRATZ 2007, S. 145: »marginalisierte Eliten«).

35OTTO 2007, S. 161.

36Siehe die Aufzählung bei HERMISSON 1999, Sp. 687; WEBER 2009, S. 317, Anm. 298f.

37Zur hohen Zahl siehe MAYER 1995, S. 41–43; GONÇALVES 1986, S. 115: »peut-être l’ensemble de la population des territoires judéens conquis«.

38Nach Herodot (Hdt. 2, 141) wird Sanherib in seinem Heerlager gegen Ägypten, das er in Pelusium aufschlug, des Nachts von einer Mäuseschar überrascht, die die Waffen seiner Soldaten kampfuntauglich nagen.

39U.a. SWEENEY 1996, S. 57–59.

40Vgl. HARDMEIER 1990.

41ALBERTZ 1990.

42U. BECKER 1997, S. 59.

43DE JONG 2007, S. 83.

44U.a. BARSTAD 1989; TIEMEYER 2011.

45Hierzu auch LUND 2007.

46HANSON 1975, mit starker Beeinflussung durch PLÖGER 1959.

47SCHRAMM 1995, S. 81–111.

48Anders STECK 1985, S. 69–71, der schon eine ptolemäische Beeinflussung annimmt.

49STECK 1991, S. 119.

50»Ferner die Zwölf Propheten: Ihre Gebeine mögen von ihrer Stätte emporsprossen. Sie brachten Heilung für Jakobs Volk und halfen ihm durch zuverlässige Hoffnung«.

51Dazu immer noch sehr wertvoll VAN DER KOOIJ 1981.

52Die Bezeichnung »Leningradkodex« hat sich eingebürgert, obschon die Stadt wieder St. Petersburg heißt. Von diesem Kodex ist eine neue wissenschaftliche Ausgabe in Arbeit (Biblia Hebraica Quinta). Der Jesaja-Text wird von A. van der Kooij bearbeitet und herausgegeben.

53Vgl. die Ausgabe von GOSHEN-GOTTSTEIN (Hg.) 1976 im Rahmen der Hebrew University Bible. Sie bietet einen besseren wissenschaftlichen Apparat als die Biblia Hebraica Stuttgartensia.

54Siehe PARRY / QIMRON (Hg.) 1999; ULRICH / FLINT (Hg.) 2010.

55ULRICH (Hg.) 2013; siehe METZENTHIN 2010.

56ZIEGLER (Hg.) 1983; KRAUS / KARRER (Hg.) 2009 und die beiden Ergänzungsbände von 2011; SEELIGMANN 2004.

57Siehe u.a. TROXEL 2008; VAN DER KOOIJ / VAN DER MEER (Hg.) 2010.

58Unverzichtbar ist in diesen Fragen BARTHÉLEMY 1986.

59CHILTON (Hg.) 1987; den aramäischen Text und eine englische Übersetzung bietet auch STENNING (Hg.) 1949.

60GRYSON u.a. (Hg.) 1993; 1994; 1996; 1998; 1999.

61Siehe auch FüRST / HENGSTERMANN 2009.

62WILLIAMSON 1994, S. 113.

63STROMBERG 2011.

64STROMBERG 2011, S. 144.

65VERMEYLEN 1989, S. 28–34.

66Siehe die Zusammenfassung bei STECK 1985, S. 80.

67BERGES 1998, S. 247 und das Schaubild S. 551.

68BEUKEN 1991, S. 28.

69STECK 1985, S. 39–41.

70ACKROYD 1987, S. 338.

71BROWNLEE 1952; 1964, S. 247.

72BROWNLEE 1964, S. 255.

73BROWNLEE 1964, S. 249.

74SWEENEY 1996, S. 41.

75MATHEUS 1990.

76Dazu auch VAN WIERINGEN 1998.

77SHEPPARD 1992, S. 575.

78Anders BALTZER 1999.

79UTZSCHNEIDER 2005, S. 13.

80UTZSCHNEIDER 2005, S. 13. Die Szenen lassen sich wiederum in Auftritte ordnen, »die Redesituationen, die im Text durch jeweils bestimmte dramatis personae als Sprecher bzw. Angesprochene gebildet werden« (UTZSCHNEIDER 2005, S. 12).

81UTZSCHNEIDER 2005, S. 15f.

82RöSEL 2000.

83BERGES / SPANS 2012, S. 181.

84Protojesaja kennt aber auch die Verbindungen (1,24; 3,1; 10,16.33; 19,4) und (3,15; 10,23–24; 22,5.12.14–15; 28,22).

85ABERNETHY (Hg.) 2013.

86Jes 1,4; 5,19.24; 10,20; 12,6; 17,7; 29,19.(23); 30,11.12.15; 31,1; 37,23; 41,14.16.20; 43,3.14; 45,11; 47,4; 48,17; 49,7; 54,5; 55,5; 60,9.14. Das Attribut »heilig« für JHWH kommt auch ohne die explizite Nennung »Israels« vor, ist aber immer von dieser Beziehung geprägt: Jes 5,16; 6,3; 10,17; 40,25; 43,15; 57,15. Der Titel findet sich zudem in 2 Kön 19,22; par. Jes 37,23; Jer 50,29; 51,5; Ps 71,22; 78,41; 89,19.

87Th. WAGNER 2012, S. 134–144, hat diesen Konnex zwar gesehen, doch verkennt seine kohärente Übersetzung »Fülle des Landes« (6,3) die besondere Tragweite dieses Begriffs im Gesamt der Tempelvision.

88Singulär für Gott im Jesajabuch, siehe BERGES 2008, S. 113f.

89Implizit wird JHWH als Feldherr in 40,26; 45,2; 49,2; 51,9 dargestellt.

90HARTENSTEIN 2013.

91RINGGREN 1973.

92FABRY 1982, Sp. 1040f.

93Jes 41,4.10.13.17; 42,6.8; 43.3.10–11.15; 44,6.24; 45,3.5–8.18–19.21; 46,9; 48,17; 49,23.26; 51,15.

94Jes 41,4; 43,10.13.25; 46,4; 48,12; 52,6 (vgl. Dtn 32,39; Ps 102,28).

95Bereits ZIMMERLI 1963; ALBANI 2003.

96Vgl. WILLIAMS 2000, S. 15–41; DIESEL 2006, S. 281–342.

97HERMISSON 2003, S. 114.

98Die Kernfrage lautet, ob diese Figur buchextern (als König oder Hohepriester) oder buchintern (als Prophet Jesaja oder der Knecht) modelliert ist. Zu den unterschiedlichen Möglichkeiten siehe die Übersicht bei ACHENBACH 2007, S. 199–212.

99Einige Ausleger nehmen an, dass der Sprecher in Jes 61 eine zusammengesetzte Identität besitzt. So soll in V. 10–11 der (prophetische) Sprecher von V. 1–3 proleptisch im Namen Zions auf das Orakel von V. 1–9 reagieren (KOOLE 2001, S. 292; OSWALT 1998, S. 574; BLENKINSOPP 2003, S. 231; SPANS 2015, S. 40–50; LABOUVIE 2013, S. 180–183).

100SPANS 2015, S. 41.

101SPANS 2015, S. 299.

102Gesenius18, S. 1225-1227.

103Andere Texte, in denen »Licht« bzw. »Feuer« als Instrument oder Produkt JHWHs begegnen, bleiben hier außen vor (vgl. 30,30; 45,7; 51,4; 58,8.10; 59,9; 62,1).

104RINGGREN 1973, Sp. 1–7; VANONI 1995, S. 32–38.

105HARTENSTEIN 2012.

Das Buch Jesaja

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