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I. Einleitung

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Das Heilige Römische Reich sei ein Land, in dem es fast unzählbar viele Städte gebe, schrieb der Theologe und Humanist Johannes Cochlaeus (1479 – 1552) in seiner 1512 veröffentlichten „Brevis Germanie descriptio“, und brachte damit seine Bewunderung für die reiche und vielgestaltige Städtelandschaft Deutschlands um 1500 zum Ausdruck. Lobende und bewundernde Äußerungen über die Gestalt der deutschen Städte finden sich auch in vielen Reiseberichten des 16. Jahrhunderts. Der Italiener Antonio de Beatis, der als Sekretär und Begleiter eines Kardinals in den Jahren 1517 und 1518 Oberitalien, Südwestdeutschland, die Niederlande und Nordfrankreich bereiste, fand Augsburg „groß“ und „reich an schönen Plätzen, Straßen und Häusern“, in Nürnberg faszinierten ihn die dort gehandelte Waren sowie die zahlreichen in- und ausländischen Kaufleute, in der „volkreichen Stadt“ Straßburg bewunderte er das Münster und die vielen wasserführenden Gräben und Kanäle, die ihn an Venedig erinnerten, und von Köln war er begeistert, weil es an Größe, Einwohnerzahl und architektonischer Beschaffenheit der Häuser alle anderen Städte übertraf, die er in Deutschland gesehen hatte. Charakteristisch am Bericht de Beatis‘ ist die Hervorhebung der großen süd- und (süd-)westdeutschen Reichsstädte, die für ihn wie für viele andere Zeitgenossen des 16. Jahrhunderts die Spitze der deutschen Städtehierarchie in jener Zeit darstellten.

Im 18. Jahrhundert hatte sich diese Einschätzung geradezu in ihr Gegenteil verkehrt. Namentlich in den Reiseberichten der Aufklärung kamen die ehemals gerühmten Reichsstädte des deutschen Südens und Westens meist nur noch schlecht weg. Dies galt um so mehr, wenn sie wie Köln als Hort eines intoleranten Katholizismus galten oder wie Augsburg in einem starr geregelten und peinlich zu beachtenden System konfessioneller Parität lebten, das in den Augen eines aufgeklärt denkenden Menschen der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts kaum anders denn als seltsam und antiquiert erscheinen mochte. Ansonsten fiel den politisch interessierten Zeitgenossen am Ende der Frühen Neuzeit zum Stichwort Reichsstadt noch das Wort Schulden ein, denn die Mehrzahl dieser Kommunen schleppte eine mehr oder minder respektable Last noch zu tilgender Kredite mit sich herum. Der Jurist und Verfassungsrechtler Johann Jacob Moser (1701 – 1785) hielt dazu spöttisch fest, dass die Verschuldung vermutlich das einzige Merkmal sei, dass die ansonsten so heterogene Gruppe der Reichsstädte gemeinsam habe.

Stark in den Vordergrund gerückt waren stattdessen die Haupt- und Residenzstädte der großen deutschen Territorien, allen voran Wien und Berlin, aber auch Dresden, München, Hannover oder Stuttgart, sowie die Hafen- und Handelsstadt Hamburg. In dieser Verschiebung der urbanen Entwicklungsdynamik spiegelten sich exemplarisch zwei für die Frühe Neuzeit charakteristische Prozesse wider. Zum einen manifestierte sich im Aufstieg der politischen Kapitalen der Erfolg des frühmodernen Staates, dem es durch den Ausbau der Bürokratie und des Rechtssystems, dem Aufbau eines stehenden Heeres und der Konzentration eines Großteils staatlicher Macht in der Hand des Fürsten immer besser gelungen war, die Ansprüche konkurrierender Institutionen – zu denen im politischen System des Alten Reichs eben auch die Reichsstädte gehörten – abzuwehren und stattdessen die eigenen Interessen durchzusetzen. Durch die Verdichtung der Staatlichkeit gewannen die Haupt- und Residenzstädte eine soziale, ökonomische und kulturelle Attraktivität, die in zunehmendem Maße Menschen anzog: Es kamen Beamte, Offiziere, Künstler, Handwerker, Gelehrte und nicht zuletzt zahlreiche Angehörige dienender Berufe, um am Hof oder in dessen Umfeld ihr Glück zu suchen. Zum anderen war die positive Entwicklung Hamburgs – in geringerem Maßstab galt dies auch für Bremen – das Ergebnis jener langfristigen Umorientierung der Weltwirtschaft nach der Entdeckung Amerikas und dem europäischen Ausgreifen in den asiatisch-pazifischen Raum. Die von Süden nach Norden verlaufende alte Hauptachse des europäischen Handels, die den Mittelmeerraum mit Mittel- und Nordeuropa verband, verlor allmählich an Bedeutung. Stattdessen etablierte sich zunehmend eine neue, auf den Atlantik und die ökonomischen Möglichkeiten in Übersee hin orientierte Hauptachse. Einem ähnlichen relativen Bedeutungsverlust wie das Mittelmeer unterlag mit der Ostsee auch das andere europäische, Binnenmeer‘, das noch im Spätmittelalter das ökonomische Gravitationszentrum Nordeuropas gebildet hatte. Die Stagnation und der allmähliche relative Abstieg Lübecks, das um 1500 noch zu den vier größten Städten im Reich gehört hatte, war das Sinnbild dieses Prozesses auf der stadtgeschichtlichen Ebene.

Die geschilderten Beispiele illustrieren zum einen, dass es bei der Betrachtung der deutschen Städte in der Frühen Neuzeit nicht nur um Stadtgeschichte im engeren Sinne geht, sondern dass sich in der Geschichte der Kommunen in den rund drei Jahrhunderten zwischen 1500 und 1800 immer auch allgemeine und über den städtischen Rahmen hinaus weisende Prozesse spiegeln und niederschlagen. Zum anderen verweisen sie darauf, dass die Frühe Neuzeit für die Städte im deutschsprachigen Raum eine Epoche war, die teilweise grundlegende Veränderungen mit sich brachte. Diese betrafen die politischen Funktionen der Kommunen im entstehenden frühmodernen Staat ebenso wie die Formen und kulturellen Praktiken der Lebensführung in den Städten, um nur zwei Beispiele zu nennen. Allerdings vollzogen sich diese qualitativen Veränderungen über längere Zeiträume und vor dem Hintergrund einer sich im Hinblick auf ihre quantitativen Dimensionen und ihre sozioökonomischen Strukturen im Großen und Ganzen nicht wesentlich verändernden Städtelandschaft. Weil die deutschsprachige stadthistorische Forschung ihren zeitlichen und inhaltlichen Schwerpunkt jedoch traditionell im Mittelalter hatte und ihre Methodik und ihre auf rechts-, wirtschafts- und sozialhistorische Themen konzentrierten Forschungsstrategien anhand der Verhältnisse in dieser Epoche entwickelte, hat sie sich auch in der Frühen Neuzeit lange Zeit vornehmlich an diesem Themenkanon orientiert. Erforscht wurden daher bevorzugt quantifizierbare Aspekte der Städtelandschaft wie beispielsweise die städtischen Wirtschafts- und Sozialstrukturen, die Einwohnerzahlen und ähnliches mehr. Auf diese Weise gerieten zum einen die Kräfte der Beharrung sehr viel deutlicher in den Blick als die Wandlungsprozesse, durch die sich die frühneuzeitliche Stadtgeschichte mindestens ebenso auszeichnete, und zum anderen wurde der Wandel – sofern er wie im Fall der veränderten politischen Rolle der Kommunen dennoch behandelt wurde – als Niedergangsphänomen interpretiert.

Tatsächlich jedoch gilt es, das nicht selten unvermittelte Nebeneinander und die Gleichzeitigkeit von Veränderung und Konstanz als schlechthin charakteristisch für die Geschichte der deutschen Städte in der Frühen Neuzeit anzusehen. Die rund drei Jahrhunderte zwischen 1500 und 1800 lassen sich aus stadtgeschichtlicher Perspektive nur dann als eine einheitliche Epoche fassen, wenn man sie als eine Zeit der Transition zwischen dem Mittelalter und der Moderne begreift. Vieles von dem, was für die Städte in der Frühen Neuzeit typisch war, hatte mittelalterliche Wurzeln. Dies galt beispielsweise für die kommunalen Verfassungen oder die Organisationsformen des städtischen Handwerks. Solchen und anderen Elementen der Konstanz standen jedoch vielfältige und tiefgreifende Veränderungsprozesse in politischer, vor allem aber kulturell-lebensweltlicher Hinsicht gegenüber. Ein ökonomisch leidlich gut gestellter Stadtbewohner des ausgehenden 18. Jahrhunderts kleidete sich anders, aß anders und verhielt sich im Ganzen anders, als es sein Pendant etwa 300 Jahre zuvor getan hatte. Das Ausmaß der Veränderungen, welche die Städte im Laufe der Frühen Neuzeit erlebten, macht es daher unmöglich, die Bezeichnung frühneuzeitliche Stadt in dem Sinne zu verwenden, wie dies mit dem Begriff der mittelalterlichen Stadt geschieht. Während jener auf ein bestimmtes idealtypisches Ensemble von politischen, städtebaulichen und sozioökonomischen Phänomenen bezogen werden kann, die cum grano salis als charakteristisch für die Kommunen des Mittelalters gelten können, läuft angesichts des aus stadtgeschichtlicher Sicht transitorischen Charakters der Frühen Neuzeit jeder Versuch, den Terminus frühneuzeitliche Stadt vergleichbar jenem der mittelalterlichen Stadt mit Inhalt zu füllen, ins Leere. Spezifisch für die Städte in der gesamten Frühen Neuzeit ist – jenseits aller beharrenden Kräfte und Strukturen – allein der allmähliche Übergang vom Mittelalter zur Moderne. Die mittelalterlichen Elemente in den Kommunen verloren bis in die Zeit um 1800 mehr und mehr an Bedeutung und gleichzeitig etablierten sich neue Lebensformen und sozioökonomische Strukturen. Der damit einhergehende Wandel verlief jedoch mit einer Geschwindigkeit, die den aus heutiger Sicht langsamen Rhythmen der Vormoderne angemessen war, und unterschied sich insofern von den rasanten Veränderungsprozessen modernen Zuschnitts, die nicht nur, aber insbesondere die Städtelandschaft in Deutschland seit dem frühen 19. Jahrhundert radikal umformten.

Der Übergangscharakter, den die Frühe Neuzeit für die Städte im deutschen Sprachraum besaß, spiegelt sich auch in der Antwort auf die Frage, was denn in diesem Zeitraum überhaupt als Stadt anzusehen ist. Zwar bietet die rechtliche Stadtdefinition, wonach eine Ansiedlung dann als Stadt gilt, wenn sie das Stadtrecht besaß, eine Grundlage, die bis zum Ausklang der Epoche tragfähig bleibt. Analog zu den Verhältnissen im Mittelalter war der Terminus Stadt auch in der Frühen Neuzeit in erster Linie ein rechtlicher Begriff und hing nicht etwa von der Größe eines Ortes ab. Gleichzeitig lässt sich jedoch beobachten, dass parallel zum Bedeutungsverlust der Autonomierechte der Städte im Laufe der Frühen Neuzeit auch die Kraft der allein juristischen Stadtdefinition nachlässt, während hingegen die Urbanität als Lebensform eine allmählich zunehmende definitorische Qualität erlangte. Städtisch zu sein, war demnach in wachsendem Maße davon bestimmt, einen spezifischen Lebensstil zu pflegen, der in dieser Form nur im Rahmen urbaner Verhältnisse möglich war. Hierzu zählten beispielsweise der Umgang mit der Zeit, der sich in den frühneuzeitlichen Kommunen von den Praktiken im ländlichen Raum deutlich unterschied, oder die Ernährungs- und Konsumgewohnheiten der städtischen Bevölkerung. In diesem Buch werden daher auch diese kulturell-lebensweltlichen Aspekte des Städtischen in der Frühen Neuzeit thematisiert.

Untersuchungsgebiet

Wenn in den bisherigen Ausführungen wahlweise von deutschen Städten, Städten in Deutschland oder auch Städten im deutschsprachigen Raum die Rede war, dann signalisiert bereits die Vielfalt der Begriffe, dass der zu beschreibende Sachverhalt nicht ganz unkompliziert sein kann. Tatsächlich lässt sich die räumliche Ausdehnung des Untersuchungsgebiets nur unvollkommen anhand der politischen Grenzen in der Frühen Neuzeit beschreiben. Die Gestalt des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation war um 1500 eine andere als 1648 oder 1803, auch umfasste es – zumindest de jure – lange Zeit Gebiete wie beispielsweise die Niederlande oder die Franche-Comté, die man nicht ernsthaft als deutsch bezeichnen kann. Auch wenn eine Kommune wie Besançon in der Wormser Reichsmatrikel von 1521 sogar als Reichsstadt aufgeführt wurde, wird sie in der vorliegenden Abhandlung daher ebenso wenig behandelt wie die Städte in den Niederlanden oder der Schweiz.

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Wormser Reichsmatrikel

1521 auf dem Reichstag in Worms beschlossenes Verzeichnis, in dem der von jedem Reichsstand zu erbringende finanzielle Beitrag für die Aufstellung des Reichsheeres aufgelistet war. Diese Aufstellung der Steuer- und Heereskontingente blieb bis zum Ende des Alten Reiches in Gebrauch und avancierte zusätzlich zu einem wichtigen Instrument, um über die – nicht selten umstrittene – Frage der Reichsunmittelbarkeit eines Territoriums zu entscheiden.

Gleichsam spiegelbildlich zu diesen Abgrenzungsproblemen nach Westen und Süden stellen sich nach Osten hin Schwierigkeiten, Städte wie Elbing, Danzig oder Königsberg einzuschließen, die in der Frühen Neuzeit sicherlich unter dem Begriff deutsche Städte subsumiert werden können, ohne jedoch jemals Teil des Alten Reiches gewesen zu sein. Ähnliches gilt, wenngleich unter umgekehrten Vorzeichen, für solche Kommunen, die wie Straßburg und die kleineren elsässischen Reichsstädte im Laufe des Untersuchungszeitraums aus dem Reichsverband ausschieden. Die pragmatische Lösung für die geschilderten Probleme besteht in einem Untersuchungsgebiet, dass im Kern den deutschsprachigen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches in den Grenzen von 1648 entspricht, das heißt ohne die spanischen und die Vereinigten Niederlande, die Herzogtümer Bar und Lothringen, die Franche-Comté und die Schweiz, zu dem aber die Kommunen im Elsaß – zumindest bis zu ihrem Ausscheiden aus dem Reich – ebenso gerechnet werden wie die außerhalb des Reiches gelegenen deutschsprachigen Städte im Ostseeraum einschließlich jener im Herzogtum Preußen.

Städte in der Frühen Neuzeit

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