Читать книгу Salzburger Emigranten kommen 1732 in die Reichsstadt Giengen - Ulrich Stark - Страница 4
ОглавлениеIm Frühjahr 1732 fertigte der Giengener Schreiner Hans Georg Faber zwei Kirchenbänke für „die Salzburger“ an. Die benötigten Holzbretter erhielt er von der Kirchenpflege, die ihm als Arbeitslohn 24 Kreuzer bezahlte.
Wieso war diese Arbeit notwendig geworden? Jeder Bürger besaß damals einen namentlich gekennzeichneten Sitzplatz in der Kirche. Die Aufstellung der beiden Bänke konnte also nur durch zusätzliche Kirchgänger verursacht worden sein. Und tatsächlich kamen am 12. Februar 1732 zehn junge Salzburger aus Ulm nach Giengen. Die Ratsherren hatten beschlossen einige dieser armen und umb das Evangelii willen vertriebenen Leute aufzunehmen. Man bot ihnen hier in Giengen Arbeit an.
1 Vorgeschichte
Diese Salzburger (in Giengen „Emigranten“, meist jedoch „Exulanten“ genannt) waren protestantische Glaubensflüchtlinge aus dem Erzstift Salzburg, einem unabhängigen katholischen Kirchenstaat, der erst mit dem Wiener Kongress 1816 ein Teil Österreichs wurde. Das Leben der Protestanten gestaltete sich unter den verschiedenen Fürsterzbischöfen recht unterschiedlich.
Ab 1525 hatten Luthers Thesen auch im Salzburger Land für Aufregung unter den Gläubigen und der kirchlichen Obrigkeit gesorgt. Auf Anweisung von Erzbischof Lang wurden 1528 etliche evangelische Prediger eingesperrt oder des Landes verwiesen. Die nachfolgenden Erzbischöfe schlugen dagegen den Weg der Versöhnung ein und schwächten die weitere Verfolgung der Protestanten ab. Erst Ende 1668 wurde durch Erzbischof Max Gandolf von Kuenburg die Gegenreformation wieder konsequent gefördert. Als es in Dürrnberg und im Defereggental zur Verhöhnung katholischer Priester und zum Boykott des Kirchenbesuchs kam, reagierte die Obrigkeit hart. Bisher waren die Arbeiter im Salzbergbau eher rücksichtsvoll behandelt worden, denn die Erträge ihrer Arbeit waren für die Staatsfinanzen unverzichtbar. Die Anführer des protestantischen Aufruhrs wurden verhaftet und 1686 des Landes verwiesen. 1727 folgte auf den eher großzügigen Erzbischof Franz Anton von Harrach der zu hartem Durchgreifen entschlossene Leopold Anton von Firmian. Er versuchte die Protestanten 1729 durch jesuitische Missionare zu bekehren. Als sie sich weigerten schritt er zu Gewaltmaßregeln und rief 6.000 österreichische Soldaten ins Land. Eine Abordnung evangelischer Salzburger wurde Mitte 1731 auf ihrem Weg zum Kaiser nach Wien gefasst und verhaftet. Daraufhin kam es am 5. August 1731 zum Treueschwur der Evangelischen.
Erzbischof Firmians Vorgehen führte zur Solidarisierung der Protestanten im Reich und zu deren Vorsprechen beim Corpus Evangelicorum in Regensburg, das alle lutherischen und reformierten Reichsstände umfasste. Seit dessen Gründung im Jahr 1653 wurden Beschlüsse in Religionsfragen nur in Übereinstimmung mit dem Corpus Catholicorum gefasst. Deren Gründung und Hineinwachsen in das Verfassungsgefüge des Reiches war eine der wesentlichen Errungenschaften des Westfälischen Friedens. In den letzten Jahrzehnten des 16. sowie zu Beginn des 17. Jahrhunderts war es nicht mehr gelungen, die wesentlichen theologischen Streitfragen innerhalb der Verfassungsrahmens des Reiches zu lösen. Die Folge war die Lähmung der verschiedenen Reichsorgane und schließlich die Bildung einerseits der Protestantischen Union im Jahre 1608 und andererseits der Katholischen Liga 1609 mit dem Ziel, den Religionsfrieden gegen Übergriffe der jeweils anderen Seite zu schützen. Corpus Evangelicorum und Corpus Catholicorum können letztlich als ideelle Nachfolger dieser Verteidigungsbündnisse betrachtet werden. Indem die Stände beider Konfessionen mittelbar in das Verfassungsgefüge integriert wurden, gelang es eine, zumindest in konfessioneller Hinsicht, dauerhaft tragfähige Friedensordnung zu etablieren. Da das Kaisertum selbst immer katholisch war, war das Corpus Evangelicorum als Bewahrer protestantischer Interessen im Reich von großer Bedeutung.
Ohne jede weitere Absprach erließ jedoch der Salzburger Erzbischof Firmian am 31. Oktober 1731 ein Patent, das alle Protestanten zur Auswanderung aus dem Erzstift zwang. Als das Corpus Evangelicorum nun für die Protestanten eintrat und verlangte, dass ihnen, dem Westfälischen Frieden gemäß, die Auswanderung gestattet werde, wies sie der Erzbischof Mitte November 1731 aus und gewährte ihnen nur drei Monate Frist. Wer keinen Haus- und Grundbesitz hatte (die „Unangesessenen“), musste das Land allerdings sofort, also mitten im Winter, verlassen. Zunächst wollte der bayerische Kurfürst Karl I. Albrecht die Grenzen sperren lassen, ließ die Vertriebenen aber schließlich doch ins Land, da deren Hoffnungslosigkeit in der aufkommenden Winterkälte offensichtlich war. Ab Mai 1732 mussten dann auch die restlichen Protestanten (die „Angesessenen“) emigrieren. Diese wussten jedoch immerhin, dass sie in Ostpreußen eine neue Heimat finden würden, denn der preußische König Friedrich Wilhelm I. hatte am 2. Februar 1732 ein entsprechendes Ansiedlungspatent erlassen. Dieser Landstrich war kurz zuvor durch die Pest fast vollständig entvölkert worden.
Insgesamt verließen etwa 20.000 glaubensstarke Protestanten in 15 großen Gruppen ihre Heimat. Man versuchte diese Emigrantenzüge auf verschiedene Routen zu führen, damit nicht immer die gleichen Gegenden die Last der Beherbergung tragen mussten. Es wurde jedoch darauf geachtet vor allem durch Gebiete evangelischer Reichsstände zu kommen. Deshalb wurden nicht immer die kürzesten Wege eingeschlagen. Eine Route ging von Schongau her über Augsburg Richtung Nürnberg. Eine andere führte über Kaufbeuren, Kempten und Memmingen nach Ulm. Von dort führte ein Weg durch Giengen ebenfalls weiter Richtung Nürnberg.
1 Die ersten zehn Salzburger in Giengen
Am 5. Februar 1732 erhielt Giengen eine erste Nachricht über die Salzburger Emigranten. Ulm fragte an wie viele starke und zum arbeiten taugliche Persohnen sie hiehero schicken sollen. Nach erfolgter Abstimmung beschlossen die Ratsherren, aus christl. Liebe gleichwohlen 10 dieser neüen Glaubensgenoßen über sich zu nehmen, der Stadt Ulm aber zu erkennen zu geben, daß selbige solche Leüte herunter schicken möchten, die auch was zu arbeiten begehrten.1
Dem Rat der Reichsstadt Giengen gehörten damals an:
- Amtsbürgermeister Martin Mayer, Kürschner
- Bürgermeister Johannes Keckh, Kaufmann
- Bürgermeister Johann Martin Schnapper, Ganswirt
- Johannes Rau, Metzger
- Johannes Nüsseler, Weißgerber
- Daniel Remshardt, Rotgerber
- Peter Albrecht Rieger, Lammwirt
- Johann Jacob Teller, Kreuzwirt
- Johann Jacob Öxlin, Syndikus
- Jacob Honold, Weber
- Jacob Leeble, Zinngießer
- Johann Georg Honold, Weber
- Simon Miller, Zuckerbäcker
Am 12. Februar 1732 kamen zehn junge, ledige Männer in Begleitung eines Kanzleiboten nach Giengen:
1 Jacob Niedermoser (45 J.)
2 Urban Harbrücker (37 J.)
3 Johann Kalcher (32 J.)
4 Jacob Brandstätter (30 J.)
5 Ruprecht Schlamminger (30 J.)
6 Matthäus Herbrücker (25 J.)
7 Martin Gerspacher (24 J.)
8 Andreas Grün (24 J.)
9 Augustin Ebner (22 J.)
10 Jacob Reutter (22 J.)
Sie stammten alle aus dem Tal St. Johann und wurden im Wirtshaus „zur goldenen Sonne“ in der mittleren Marktstraße2 einquartiert. Dort erhielten sie die nöthige Speiß und Tranck. Sie brachten von Ulmer Geistlichen zwei Briefe an den hiesigen Pfarrer Johannes Schnapper mit, worin ihnen ein gutes Zeugnis ausgestellt wurde, verbunden mit der Bitte Ihnen weiteren Unterricht in der evangelischen Religion angedeihen zu lassen.
Bereits in der nächsten Ratssitzung am 15. Februar wurde beschlossen, jedem täglich 6 Kreuzer aus der Stadtkasse zu geben, obwohl man festgestellt hatte, dass sie auch von der Bürgerschaft schon ziemlich Gutthaten genoßen haben. Weiterhin sollten sie sich morgens eine Stunde lang von den beiden Geistlichen3 und abends von den beiden Schullehrern unterrichten lassen. Außerdem wurde beschlossen, dass die eingangs erwähnten Kirchenbänke angefertigt und bei der großen Kirchenthür aufgestellt werden. Um die ganze Bürgerschaft zu einer desto größeren Gutherzigkeit gegen diese arme Glaubensgenoßen zu bewegen, soll eine entsprechende Bekanntmachung von der Kanzel verlesen und später ein Becken für die Kollekte aufgestellt werden.4
1 Böse Worte
Dass die Ankunft der Salzburger nicht nur Wohlwollen auslöste, verdeutlicht ein Vorfall der sich Anfang März im Gasthaus „zum Greifen“ abspielte. Dort hatte Hans Österlen, der Schmied aus dem benachbarten Hürben, ärgerliche und ganz ohnverantwortliche Reden wider die Salzburgischen Emigranten ausgestoßen und darüber grausam geflucht. Man hätte bereits dem ersten von selbigen eine Kugel vor den Kopf schießen sollen, denn sie brächten zu viele Menschen (Leuthe wie die Ochsen), und nichts als Theuerung ins Land.
Er wurde deshalb aufs Rathaus zitiert, wo er sich auch zu allen Anschuldigungen bekannte, allerdings mit dem Hinweis, er habe auf solche Arth, von einem anderen, auf dem Weg von Langenau her, erzählen hören. Die Ratsherren hielten diese Entschuldigung jedoch für fadenscheinig und beschlossen, er wäre 8 Tage in das Blumenhäußlen zu legen, und mit Waßer und Brod zu speisen. Das „Blumenhäuslein“ war eine Arrestzelle im Hundsturm, der ganz oben im Norden der Tanzlaube stand.5
1 Eine Liebesgeschichte
Jacob Reutter, mit 22 Jahren einer der jüngsten der zehn ledigen Salzburger, hatte sich bereits im Salzburger Land mit der zwanzigjährigen Elisabeth Neudecker verlobt. Unglücklicherweise wurden die beiden jedoch während des ersten Marsches getrennt. Elisabeth und ihren Eltern mussten Ende November 1731 ihre Heimat verlassen. An der Grenze zu Bayern mussten die etwa 1000 Menschen dieses ersten Emigrantenzugs, frierend und von mangelnder Verpflegung erschöpft, drei Wochen lang warten, da der bayerische Kurfürst zunächst die Durchreise verweigert hatte. Am 19. Dezember ging der Marsch endlich weiter nach Kaufbeuren. Dort konnten sie zum ersten Mal in ihrem Leben in einer evangelischen Kirche an einem eigens für sie gehaltenen Gottesdienst teilnehmen, denn zuhause hatten sie keine Möglichkeit zu einem Kirchgang gehabt. Der weitere Weg führte über Memmingen nach Ulm.
Um ihren geliebten Jacob abzuwarten trennte sich Elisabeth dort von ihren Eltern, die nach Preußen weiterzogen. Sie selbst verdingte sich während dessen als Magd bei Kaufmann Kramer. Tatsächlich kam Jacob mit einem späteren Zug nach Ulm. Sie verfehlten sich dort jedoch. Jacob zog dann weiter nach Giengen, um als Garnsiederknecht zu arbeiten, gab jedoch die Suche nach seiner Verlobten nicht auf, bis er endlich sie zu Ulm ausgekundschaftet und erfraget hatte. Er holte sie nach Giengen, wo die beiden sich am 25. März 1732 im Pfarrhaus (privatim) trauen ließen. Ihre Trauzeugen waren der Einhorn- und der Sonnenwirt.6
Die Hochzeitsfeier wurde in der Gastwirtschaft „zur Sonne“, dem Quartier der Salzburger, abgehalten. Für die von Metzger Rau und Krämer Röckh gelieferten 10 Pfund Fleisch und 2 Pfund Schmalz kam die Stadtkasse ebenso auf, wie für den vom Sonnenwirt Mackh7 geforderten Gulden.8
Eine zweite Hochzeit unter Salzburger Emigranten fand am 3. Juni 1732 statt. Der über Augsburg nach Giengen gekommen Maurer Johannes Reutter wird im Pfarrhaus mit Katharina Rücksberger eingesegnet, deren Eltern im Giengener Spital Aufnahme gefunden hatten. Es dauerte jedoch nicht lange und das junge Ehepaar verabschiedete sich von seinen Gönnern in Giengen und machte sich auf die Wegreyse nacher Preußen.
1 Der erste Emigrantenzug
Am 4. April kam von Ulm das Gerücht, dass von den dort angekommen Salzburger Emigranten 2-300 über Giengen marschieren wollten. Deshalb wurde gleich vorsorglich veranlasst etliche Malter Dinkel und Roggen mahlen zu lassen und alles vorzubereiten, um, so gut als es möglich, ihnen für 1 oder 2 Tag allhier Quartier zu geben.9
Am folgenden Tag, einem Samstag, erhielt Giengen durch einen Boten ein offizielles Schreiben der Reichsstadt Ulm, das dort die Ankunft von etwa 800 Salzburgern erwartet werde. Sie würden dort sonntags Rasttag halten, des folgenden Tags aber, in circa 250 ihre Route über Giengen fortsetzen, auch daß solchen erbarmungswürdigen Glaubensgenoßen weiters fortgeholfen werden möchte.
Weil in diesem Schreiben nichts über die weitere Route der Salzburger mitgeteilt wurde, sandte man noch selbigen Abend einen Express-Reiter nach Ulm. Nach dessen Rückkehr wurden unverzüglich Schritte unternommen, um den Empfang in Giengen sowie den Weitermarsch nach Nördlingen zu organisieren.
Man beschloss, die am Montag ankommenden Salzburger den Dienstag über hier zu behalten, und ihnen zum Abmarsch am Mittwoch 20 Kreuzer pro Person, egal ob groß oder klein, mitzugeben und ihnen mit Fuhrwerken bis Nördlingen auszuhelfen. Jeder Ratsherr und auch jeder Bürger sollte einen Salzburger in sein Haus aufnehmen und verpflegen. Im Hospital wollte man 20 Salzburger einquartieren.
Am 7. April gingen Schultheiß Hans Martin Streng10 und ein Reiter den ankommenden Emigranten entgegen, um sie in die Stadt hereinzubegleiten. Dass der Empfang mehr als herzlich war, ersieht man daraus, dass die Bürgerschaft aus aigener Bewegnus und mitleydigem Gemüthe diese arme Leüthe, sobald sie in die Stadt herein gekommen, theils unterwegs, theils aber auf dem Marckt vor dem Rathaus hinweg, und zu sich genohmen, auch liebreich verpflegt hat.
Am folgenden Dienstag wurde in der Stadtkirche ein Gottesdienst für die Gäste abgehalten. Stadtpfarrer Schnapper hielt dabei speziell eine auf ihren Zustand gerichtete Predigt.
Alle 274 Emigranten erhielten am Mittwoch, dem Tag ihres Abmarschs, zu den 20 Kreuzern pro Kopf noch insgesamt 55 Laib Brot mit auf den Weg. Ratsherr Jacob Teller11 führte den Zug, unter Zuhilfenahme von zwölf Giengener Fuhrwerken für das ganze Gepäck, bis nach Nördlingen.
Wieder zurück in Giengen, berichtete Ratsherr Teller erregt über einige unschöne Vorkommnisse während des Weitermarschs, wie nämlich diese armen Leute unterwegs keinen Tropfen Bier bekamen, auch selbige weiterhin zu Klein-Örlingen12 ein Lied, welches sie anfangen wollen, nicht singen laßen.13
1 Aufnahme Bedürftiger
Von besonderer Bedeutung für Giengen war jedoch die Entscheidung der Ratsherren von denen gar alten und elenden, auch kranken Leuten, etliche aus Barmherzigkeit hier zu behalten.14 Sie alle sind namentlich bekannt:
1 Ruprecht Rücksberger (90 J.) und
2 Marie Rücksberger (65 J.), dessen Ehefrau, aus Wagrain
3 Ruprecht Durchholzer (80 J.) und
4 Margaretha Durchholzer (70 J.), dessen Ehefrau, aus Wagrain
5 Sybilla Durchholzer (19 J.), und
6 Barbara Durchholzer, beides Töchter von 3 und 4
7 Matthias Knabel (72 J.)
8 Magdalena Knabel (65 J.), dessen Ehefrau, aus Abtenau
9 Hans Schmidt (67 J.) aus Tragmann
10 Christina Zitterauer (64 J.) aus Großarl
11 Maria Winkler (65 J.) aus Goldegg
12 Barbara Creuzberger (64 J.) aus Obersteiermark
Zunächst wurden alle auf Kosten der Stadtkasse in der Herberg zum Weißen Löwen verpflegt, bis im Hospital die ihnen gewidmeten Stuben, und was weiters ohnumgänglich nöthig, bäldigst zustand kommen und mithin die Besorgung geschehen war.
Schreiner Hans Georg Erhardt15 erhielt für seine Arbeit in dem neuen Bau vier Gulden, David Enßlin16 für fünf Fenster insgesamt sechs Gulden.
Alle oben genannten, gar alte und zum arbeiten untaugliche Personen, wurden in das Hospital aufgenommen, und allda mit der Notdurft verpflegt. Die Kosten hierfür übernahm die Hospitalpflege.
Eine namentlich nicht genannte Familie, mit schwangerem Weib und zwei Kindern, wurde im Reiterhaus einlogiert.17
Am 24. Mai kamen zwei kleine Gruppen mit zusammen 29 Personen von Ulm und Geislingen auf ihrer Reyße nach Preußen durch Giengen.
Die 12 Kreuzer, die jeder verehrt bekam, entsprachen etwa dem Tagesverdienst eines einfachen Taglöhners. Auch sie wurden mit Vorspann und Fuhrleuten, unter Führung von Glaser Christoph Murmann, nach Nördlingen geführt.
1 Der zweite Emigrantenzug
Von ersten Gerüchten über einen weiteren großen Durchzug hörten die Giengener Ratsherren Anfang Juni.
Da die vermutete Zahl von circa 1500 Personen aber allhie aufzunehmen, und mit Roß und Wagen ihnen weiters fort[zu]helfen, die Unmöglichkeit fürwalten will, schrieben sie deshalb nach Ulm.18
Zunächst kamen jedoch am 12. und am 29. Juni nur neun Emigranten durch Giengen, denen wiederum die üblichen 12 Kreuzer mit auf den Weg gegeben wurden.
Am 17. Juli kamen dann von diesem erwarteten großen Zug tatsächlich nur 298 Emigranten die Ulmer Straße ins Tal herunter. Bis zum Ziegelstadel gingen ihnen die Geistlichen mit der Schuljugend und den Ratsherren entgegen und begrüßten sie. Gemeinsam wurde dann beim Hereinzug ein geistlich Lied gesungen und mit Glockenläuten zum anschließenden Gottesdienst gerufen.
1 Zwischenfall am Stadttor
Bei den verstärkten Wachen an den Stadttoren kam es bei diesem Einzug zu einem Zwischenfall, der vom Spitaltorwart Andreas Meyer angezeigt wurde. Der auf der Wache stationierte katholische Musketier Kleibert hatte sich, als die beiden Geistlichen den Salzburgern entgegen gingen, frevelhaft vernehmen lassen: „Jetzt werde der Teuffel und sein ganzer Anhang herein kommen!“ Kleibers Führer Mysko hatte ihn daraufhin beiseite genommen und ihm etwas zugeflüstert. Auch die anderen Wächter konnten dies bezeugen. Beim Verhör vor den Ratsherren haben jedoch beide alles abgestritten. Erst nach der Konfrontation mit den Zeugen hat letztlich Kleibert seine Worte zugegeben und umb eine gnädige Strafe gebeten, und anbey gemeldt, daß wo ers geredt, es nicht recht, und ihm leyd seye. Er wurde fristlos aus seinem Dienst als Soldat der Stadt Giengen entlassen, und zwar ohne ein schriftliches Zeugnis. Seine Bitte weiterhin mit seiner Frau in Giengen wohnen zu dürfen, wurde ihm zunächst abgeschlagen.19 Im September setzten sich jedoch einige Bürger erfolgreich für sein Bleiben ein, indem sie unter anderem darauf hinwiesen, dass er sich zur evangelischen Religion bekehren wolle.20
Doch zurück zu dem Salzburger Emigrantenzug, der diesmal vor allem aus ehemaligen Bauern und Handwerkern bestand, die im Salzburger Land eigenen Haus- und Grundbesitz gehabt hatten. Auch diese sind in Giengen 2 Tag lang von der Bürgerschaft gratis verpflegt worden. Das beim Abmarsch am 19. Juli ausbezahlte Kopfgeld von je 12 Kreuzer, belief sich auf 60 Gulden. Das Futter für die von ihnen mitgeführten 21 Pferde sowie für die von Giengen gestellten 54 Vorspannpferde bis Nördlingen, wurden aus der Stadtkasse bezahlt und machte 20 Gulden aus. Hinzu kamen noch Kosten für Boten und Begleitungen, die mit 35 Gulden zu Buche schlugen. Diesen zweiten Zug haben Adjunkt Honold21 und Ratsherr Teller auf seinem Weitermarsch begleitet.
Nach ihrer Ankunft in Nördlingen kam von dort der Vorschlag, man könnte bezüglich der bisher aufgewendeten Kosten für die Salzburger Emigranten beim Corpus Evangelicorum in Regensburg um Erstattung anfragen. Daraufhin richtete der Giengener Magistrat ein entsprechendes Schreiben an den zuständigen chursächsischen Gesandten Baron von Schönberg.22
1 Der dritte Emigrantenzug
Noch während der Ratssitzung, in der über dieses Schreiben beraten wurde, erschien ein reitender Bote aus Langenau und übergab ein Schreiben der Stadt Ulm, in dem berichtet wurde, dass sie Nachricht aus Memmingen erhalten hätten, es seien wieder 7-800 Salzburger nach Preußen unterwegs. Ihre geplante Route führe über Ulm und weiter über Heidenheim und Giengen. Sie würden wieder berichten, sobald sie von ihrem eigenen Boten aus Memmingen neue Nachrichten hätten. Daraufhin wurde jedoch Adjunkt Honold beauftragt sich in Ulm selbst über die anmarschierenden Salzburger zu informieren.23
Von diesem, aus insgesamt 895 Personen bestehenden, dritten Emigrantenzug kamen am Samstag, den 2. August 1732, 368 nach Giengen. Hier wurde ihnen nicht nur allein, gleich denen vorherigen, einen Rasttag zu halten gestattet, sondern auch jeglichen wiederum, klein und groß, 12 Kreuzer an Gelt mit auf den Weg, welchen sie montags darauf, nacher Preüßen, über Nördlingen genommen, gereichet. Ausführlichere Nachrichten über den Aufenthalt dieses dritten Emigrantenzuges fehlen leider, da in Giengen während der zweiwöchigen Erntezeit keine Ratssitzungen abgehalten wurden.
Da ihr Ziel ja Preußen war, hat Amtsbürgermeister Martin Mayer24 den Salzburgern sicherlich erzählt, was er selbst dort erlebt hatte. Er war nach seinen Lehrzeit neun Jahre lang auf Wanderschaft gewesen und hatte sich dabei auch in Preußen und Pommern aufgehalten, um dort als Geselle zu arbeiten.
Am Montag, dem 4. August, verabschiedete er mittags die Salzburger aus der Reichsstadt Giengen und geleitete sie vom Marktplatz zum Oberen Tor hinaus. Von dort ging deren Marsch an St. Peter vorbei, zwischen Rechberg und Läutenberg hindurch weiter über das Lange Gewand Richtung Oggenhausen. Begleitet wurden sie von Adjunkt Honold und einem Reiter, unterstützt durch 36 Vorspannpferde und neun Wagen.
Nach der Verabschiedung der Salzburger inspizierte Bürgermeister Mayer seinen Stadel, wobei er von der Leiter fiel und an der Folgen des Sturzes verstarb, einen Tag vor seinem 86. Geburtstag.
1 Weitere Salzburger in Giengen
Vereinzelte kleine Emigrantengruppen, insgesamt 18 Personen, zogen am 27. Juli sowie am 9., 27. und 28. August durch Giengen. Auch sie erhielten jeweils den üblichen Geldbetrag mit auf den Weg.
Am 30. September kam eine etwas größere Gruppe von 19 Emigranten von Ulm über Langenau anhero, denen jedem auf den Weg 10 Kreuzer verehrt worden. Sie erhielten Vorspann bis nach Nördlingen.
Selbst im Winter kamen noch zwei Schwestern nach Giengen. Sie waren mit Pässen versehen und wurden am 4. Dezember bei Ochsenwirt Johannes Schnapper untergebracht, weilen sie, wegen großer Kälte und Schnee nicht weiter fortkommen können. Nachdeme aber die eine an dem Fieber laboriert, konnten sie erst am 9. Dezember Gelegenheit finden, um nach Nördlingen zu fahren. Die beiden erhielten das doppelte Reisegeld. Außerdem wurden die Auslagen des Ochsenwirts für Speiß und Tranck, auch Schlafgelt bezahlt.
Am 9. Februar 1733 erhielten noch zwey von Obermemmingen anhero gekommenen Salzburgische Emigranten jeweils 12 Kreuzer verehrt.
1 Erstattung der Aufwendungen
Zwischenzeitlich wurden beim höchst preislichen Corpus Evangelicorum in Regensburg weitere Anfragen nach Ersatz der bisher aufgewandten Kosten aus der dort eingerichteten Emigranten-Cassa gestellt. Die kursächsischen und hochfürstlich württembergischen Gesandten in Regensburg, Baron von Schönberg und Herr von Schütz, wurden um Unterstützung des Vorhabens gebeten. Zur Übermittlung der Schreiben nahm man die Dienste Ulmer Ratskonsulenten Häckhel25 in Anspruch.
Dieser erhielt im November 1732 Antwort des Regensburger Stadtkämmerers Harrer auf die gnädige Aufnahme der Giengener Anfrage. Er regte an man solle dem Corpus Evangelicorum nochmals eindrücklich klarmachen, dass die diß Jahr anhero gekommene Emigranten jederzeit biß nach Nördlingen gebracht, und mit Vorspann versehen worden seien. Denn die Nördlinger hatten diese Kosten teilweise in ihre Rechnungen eingestellt, mit der Behauptung, daß man dergleichen Emigranten ein gut theil Wegs von dannen entgegen geschickt, und sie übernommen habe.
Um Klarheit zu schaffen wurde von Nördlingen ein schriftliche Attestation auszubitten beschloßen. Diese Bestätigung erhielt Giengen dann am 5. Dezember.
Tatsächlich hatte die Giengener Anfrage im Januar 1733 vollständigen Erfolg. Aus Dankbarkeit für seine Bemühungen wurde beschlossen dem Regensburger Kämmerer Harrer 30 Gulden zu verehren. Auch über die viele Extra-Mühe und hohe Protection des chursächsischen Gesandten Baron von Schönberg und anderer fürstlichen Herren Ministres bedankt sich der Giengener Magistrat ausdrücklich und verehrt 22 Gulden zu einer Ergötzlichkeit und Douceur.
Die in der eingesandten Kostenaufstellung aufsummierten 597 Gulden und 12 Kreuzer wurden, unter Abzug der 30 Gulden für Kämmerer Harrer, mittelst Adresse an H. Consulent Haeckel in Ulm unter dem 17. Januar 1733 übermachet.26
Aus Dankbarkeit erhielt auch der Ulmer Ratskonsulent Haeckel sowie der Giengener Syndikus Honold27 und der Adjunkt Honold (Vater und Sohn) eine Verehrung von jeweils 10 bzw. 5 Gulden.
1 Familie Reutter
Was war mit den in Giengen verbliebenen Salzburgern? Von den Verlobten, die sich wiederfanden und in Giengen verheirateten, weiß man, dass sie selbst für ihren Lebensunterhalt sorgten, denn sie tauchen in keiner städtischen Rechnung mehr auf. Jakob Reutter diente als Bauernknecht, Holzhauer und Taglöhner. In den folgenden Jahren gebar seine Frau Elisabeth drei Töchter: Regina (*1734), Maria Barbara (*1737) und Magdalena (*1741). Nach ihrer letzten Geburt fing sie an zu kränkeln. Zuletzt litt sie unter Verstopfung, offenbahrte aber solches nicht, auß Schamhaftigkeit, wodurch sich dieses Übel groß vermehrte. Es verursachte Geschwulst, Schmerzen und Engbrüstigkeit. Man suchte wohl Arzney, aber zu spath. Sie starb drei Wochen später, im Alter von nur 30 Jahren.28
Um die kleinen Kinder versorgt zu wissen, verheiratete sich Jacob Anfang November 1741 mit Elisabeth Schlecht aus dem benachbarten Oggenhausen. Mitte Dezember starben Jakobs älteste und jüngste Tochter an zwei aufeinanderfolgenden Tagen an den Blattern29. Sie sind beede in einen Sarckh gelegt und begraben worden.30 Die 1744 geborene Tochter Magdalena aus zweiter Ehe starb mit zwei Monaten, der 1745 geborene Sohn Johannes wurde dagegen 21 Jahre alt.
Nach dem Tod seiner zweiter Frau ging Jacob 1752 noch eine dritte Ehe ein, mit Agatha Thumm aus dem nahen Nattheim. Vier Jahre später starb Jakob Reutter.31
1 Familie Brandner
Mit dem zweiten Emigrantenzug kam der 54-jährige Blasius Brandner mit seiner schwangeren Frau Katharina und den drei Kindern Anna (*1725), Johannes (*1727) und Ruprecht (*1730) nach Giengen. Sie stammten aus dem Pfleggericht Wagrain. Blasius hatte dort aus erster Ehe fünf Kinder, die alle theils herauß, theils noch in Salzburg waren.
Zunächst wurden sie bei dem Reiter Mannes, der in einem städtischen Haus wohnte, einquartiert. Das Zusammenleben war sicherlich nicht einfach. Besonders nicht, nachdem Ende September der jüngste Sohn Michael geboren wurde. Die ständigen Sticheleien in der engen Wohnung drehten sich auch um Religionsfragen. Ende November 1732 riss dann der Geduldsfaden und Blasius Brandner beschwerte sich beim Magistrat über des Reuter Mannes und seines Weibs gegen ihn und die Seinige ausübende Feindseligkeiten. Er könne den Hader auch nicht dadurch besänftigen, dass er zum Abendmahl gehe. Auch wollten sie ihn bey dem kalten Wetter nicht in der Stuben leiden, ohngeachtet er gleichwohlen auch sein Brennholz darzu hergebe. Seine Bitte um obrigkeitliche Hilfe hatte Erfolg. Den Eheleuten Mannes wurde die Wohnung aufgekündigt, mit dem Nachsatz, man möge sich um eine andere umsehen.32
Wie die Familie Reutter, wurden auch die Brandners in Giengen als Beisitzer aufgenommen. Blasius nährte sich sauer und hart, doch ehrlich mit Holzhauen und Taglöhnern.
Im April 1733 erkrankte die achtjährige Tochter Anna, wohl durch den anstrengenden Marsch geschwächt, an der Schwind- und Dörrsucht (Tuberkulose), an der sie letztlich verstarb.33
Zwei Jahre später erkrankte der Familienvater Blasius an der hitzigen Krankheit (Typhus). Nach zehntägigem Bettlager starb er und wurde auf dem bürgerlichen Kirchhof begraben. Die Beerdigungskosten wurden von der Stadtkasse beglichen.34
Die Witwe Katharina und ihre drei Söhne bekamen von nun an städtische Unterstützung und erhielten einen Platz im städtischen Siechenhaus St. Leonhard35 vor den Toren der Stadt. Fünf Jahren später wurden sie im Spital aufgenommen und dort zwei Jahre lang, biß an ihr Ende, samt den Kindern, nothdürftig verpfleget. Katharina starb mit 48 Jahren. Sie wurde im Oktober 1742 auf dem bürgerlichen Kirchhof, mit Gesang und Klang, und einer Leichenpredigt begraben. Die Kosten betrugen knapp 6 Gulden und wurden diesmal vom Spital bezahlt.36
Die überlebenden Söhne Hans (+1783), Ruprecht (+1785) und Michael (+1744) blieben zunächst im Spital. Sie starben alle ledigen Standes und hinterließen keine Nachkommen.
1 Die Salzburger im Giengener Spital
Was wissen wir heute noch über die im Spital aufgenommenen Salzburger? Viele stammten aus der Gegend um St. Johann im Pongau, so auch die beiden ältesten Ehepaare.
Der Taglöhner Ruprecht Rücksberger und seine Ehefrau Maria haben 1698 geheiratet. Der älteste Sohn Peter blieb als Bauernknecht im Salzburgischen zurück, über die Hochzeit von Tochter Katharina und deren Weiterreise nach Preußen wurde bereits berichtet und Tochter Rosina diente in Gussenstadt als Magd bei Pfleger Welchen.
Maria bekam einen großen und schmerzlichen Schaden an der Brust, so auf den Krebs sich angelassen. Sie starb Ende 1735 mit 69 Jahren.
Ruprecht starb ein halbes Jahr später im biblischen Alter von 94 Jahren und ward auf Ohnkosten des Hospithals, mit Gesang und Klang und Predigt auf dem bürgerlichen Kirchhof begraben.
Ruprecht und Margaretha Durchholzer haben bereits 1687 geheiratet. Ihre beiden Töchter Sybilla und Barbara waren mit ihnen aus der Heimat gezogen. Die drei Söhne sind offenbar dort zurück geblieben.
Ruprecht Durchholzer, ein Holzhauer und Taglöhner, erkrankte 1735 an der Engbrüstigkeit (Asthma oder Herzinsuffizienz) und starb schließlich an einem Steckfluss (Bronchitis). Er wurde mit Klang, Gesang, auch einer Leichenpredigt auf dem inneren oder bürgerlichen Kirchhof begraben.
Tochter Sybilla Durchholzer diente als Magd im Spital. Ende 1739 bekam sie eine Geschwulst an ihrer Brust, die wie von der Wasenmeisterin offenbar erfolglos behandelt wurde. 1742 starb sie mit nur 28 Jahren.
Ein halbes Jahr später, im Juli 1743, starb ihre Mutter Margaretha im Alter von 81 Jahren.37 Todesursache war, wie bei ihrem Ehemann, Engbrüstigkeit und Steckfluss.
Matthias und Magdalena Knabel hatten noch vor der Vertreibung im Radstädter Gebiet geheiratet. Matthias war Bauernknecht und Taglöhner. Ihre drei erwachsenen Kinder sind im Salzburgischen zurück geblieben.
Magdalena lebte mit ihrem Mann 46 Jahre in großer Armuth und Dürftigkeit. Ende August 1737 erlitt sie einen Schlaganfall, an dessen Folgen sie noch am gleichen Tag im Alter von 66 Jahren starb.
Matthias lebte noch vier Jahre lang als Witwer im Spital, wurde jedoch immer baufälliger und starb 82-jährig Mitte Juli 1742.
Der Witwer Johannes Schmidt stammte aus der Gegend Saalfelden, wo er als Kleinbauer und Taglöhner, aber auch als Holzhauer und Zimmermann arbeitete. Die Giengener Einwohner hatten ihn als demütig und dankbar beschrieben. Auch dass er fleißig und andächtig den Gottesdienst besuchte, wurde bemerkt. Er erkrankte, wie so manche andere, an Engbrüstigkeit und starb schließlich am Steckfluss.
Christina Zitterauer war eine Taglöhnerstochter aus Rauris. Mit 43 Jahren verheiratete sie sich mit einem Schmelzer bei den Schwefel- und Kupferbergwerken in Großarl. Dort blieb auch ihr Sohn als Köhler zurück, als sie, inzwischen verwitwet, das Land verlassen musste. Sie bekam 1739 das hitzige Fieber und starb schließlich mit 72 Jahren.
Maria Winkler wurde in Goldegg bei St. Veit geboren. In jungen Jahren diente sie an unterschiedlichen Orten bey den Bauren. Sie blieb ledig und starb in Giengen an Altersschwäche im 76. Jahr ihres Alters.
Barbara Kreuzberger kam als Witwe nach Giengen. Ihr Ehemann arbeitete als Bergknappe im Fischbacher Bergwerk zu Wagrain. Offenbar war sie als einzige der Emigranten des Lesens mächtig. In Giengen kannte man sie als frommes christlich geduldiges Weib, friedlich und fleißig in dem Gebett und bey dem öffentlichen Gottesdienst. Sie starb Ende 1745 als letzte der 1732 im Spital aufgenommenen Salzburger.
Alle diese im Spital aufgenommenen alten und kränklichen Salzburger wurden dort bis an ihr Lebensende versorgt und verpflegt. Dies bedeutete, dass nicht nur ihre Zimmer mit Betten ausgestattet, sondern vor allem auch sie selbst mit Kleidung versehen wurden. Sehr wichtig wurde auch die Krankenfürsorge genommen.
In den sieben Jahren, bis Ende 1745 die letzte der im Spital aufgenommenen Salzburger verstorben war, hatte die Hospitalstiftung rund 410 Gulden zu deren Unterstützung aufgebracht. Mehr als ein Drittel davon war für die persönliche Ausstattung (je hälftig für Kleidung und Schuhe), ein knappes weiteres Drittel für die Krankenpflege und ein Fünftel für die anständige Beerdigung der Verstorbenen ausgegeben worden. Nachfolgend werden diese drei Bereiche genauer vorgestellt.
1 Die persönliche Ausstattung
Alle Salzburger wurden entsprechend ihren Bedürfnissen mit Kleidung und Schuhen ausgestattet. Das reichte von Stoff für Halstücher, Hemden, Röcke und Schürzen, über Hauben und Hüte bis hin zu einer Pelzkappe für den im Spital aufgenommenen und alten Emigranten.
An Stoffen wurden insgesamt 133 Ellen Tuch und 8 Ellen Filz beschafft. Dazu kamen, neben vielen Schusterarbeiten, 14 Paar Strümpfe, 9 Paar Schuhe und 1 Paar Handschuhe.
Bei den Ausstattungen die sich namentlich zuordnenden lassen, sind Unterschiede erkennbar. So erhielt die 64-jährige Witwe Christina Zitterauer38 in den sieben Jahren, die sie im Spital lebte, 1 Paar Schuhe und Strümpfe sowie einen alten blauen Schurz.
Dagegen wurde die 18-jährige Sybilla Durchholzerin vergleichsweise üppig ausgestattet. Sie erhielt einen schwarzen Rock, ein Brüstlein aus zwei Ellen schwarzem Tuch und ein Paar Schuhe. Diese bessere Behandlung hing wahrscheinlich mit ihrer Arbeit im Spital zusammen. 1735 ging sie zwar als Dienstmagd nach Augsburg, kam jedoch Ende 1738 wieder nach Giengen zurück. Sie diente wieder im Spital und erhielt bald einen sauberen schwarzen Rock, im Winter arbeitete der Kürschner an ihrem Pelz und außerdem bekam sie vier Ellen schafbraunes Flanell sowie ein Paar Strümpfe. Im übernächsten Frühjahr erhielt sie dann braunes halbwollenes Zeug für einen Rock und im folgenden Winter erneut ein Paar Strümpfe.
1 Die Krankenpflege
Die Sorge um die Gesundheit der Spitalbewohner wurde sehr ernst genommen. Dies zeigt sich an dem relativ großen Ausgabenanteil für Arzt- und Baderkosten sowie für die verordneten Medikamente. Letztere machten 12 Prozent der Kosten aus, fast der ganze Rest wurde für die Arbeit der Chirurgen39 ausgegeben.
Zu deren Aufgaben gehörte auch das Haare schneiden und Rasieren sowie das Aderlassen und Baden. Ihre Spezialität war jedoch das Behandeln und Kurieren von Krankheiten. Sie waren regelmäßig im Hospital und verarzteten auch etliche Salzburger, so z.B. einen bösen Fuß, eine böse Brust, so auf den Krebs sich angelassen, oder einen Wirbel.
Der aufwendigste ärztliche Eingriff war sicherlich die Bruchoperation bei dem zwölfjährigen Ruprecht Brandner am 20. November 1742.
Hierbei wurden weder Kosten noch Mühen gescheut. Der Giengener Chirurg Enßlin forderte deshalb den Laichinger Schnitt- und Wundarzt Narcissus Keller an, der offenbar ein Spezialist war. Dieser war bereits am Vortag in Begleitung seines Sohnes nach Giengen geritten, wo die beiden in der Herberge „zum Greifen“ übernachteten. Am nächsten Vormittag machte er sich mit Enßlin auf ins Hospital. Während der ohne Betäubung durchgeführten Operation wurde der Knabe von Enßlin und Kellers Sohn festgehalten. Nach dem erfolgreichen Ausgang nahmen alle ein Mittagessen bei der Greifenwirtin ein, zu dem auch die Geschworenen des Baderhandwerks eingeladen waren.
Die nächsten drei Wochen blieb der junge Keller in Giengen. Er kümmerte sich um den Patienten, versorgte und pflegte ihn, wobei er immer wieder selbstgemachte Heilverbände anbrachte. Danach überließ er den Patienten dem Giengener Chirurgen Enßlin, der ihn bis Januar 1743 weiterbehandelte. Die Gesamtkosten betrugen knapp 33 Gulden, was dem Verdienst eines Gesellen von vier Monaten entsprach.
Anzumerken bleibt noch, dass der junge Ruprecht nicht an den Folgen der Operation starb, sondern erst 42 Jahre später an Auszehrung.
1 Die Beerdigungen
Auf eine würdige Beerdigung wurde von Seiten des Spitals großer Wert gelegt. Die verstorbenen Salzburger wurden auf dem inneren bürgerlichen Kirchhof begraben. Im Gegensatz dazu begrub man fremde, kranke Personen meist bei St. Peter.
Die Beerdigung der verstorbenen Salzburger Emigranten wurde üblicherweise von Stadtpfarrer Schnapper durchgeführt, der auch eine Leichenpredigt hielt. Sechs Träger trugen den Sarg, begleitet von den beiden Schullehrern sangen zehn bis zwölf Schüler beim Leichenzug und am Grab. Dort sprach dann noch der Seelentröster oder Zusprecher. Bezahlt wurden außer dem Sarg noch Mesner, Toteneinnäher und Totengräber. Insgesamt kam meist eine Summe von etwa 6 Gulden zusammen.
Auch darin wurde die Wertschätzung der Glaubensflüchtlinge sichtbar, denn bei einfacheren Beerdigungen, z.B. eines Leprosen bei St. Peter, wurde außer einem sehr schlichten Sarg nur noch der Zusprecher und der Totengräber bezahlt, was zusammen knapp 1½ Gulden ausmachte.
Vergleich von Beerdigungskosten:
Sybilla Durchholzer | Leproser bei St. Peter | |
fl. xr. | fl. xr. | |
Pfarrer | 1 00 | |
Präzeptor | 0 20 | |
Provisor | 0 15 | |
Mesner | 0 15 | |
10 Schulknaben | 0 20 | |
6 Träger | 1 00 | |
Schreiner | 1 20 | 0 20 |
Totengräber | 0 40 | 0 20 |
Toteneinnäher | 0 30 | |
Hebamme | 0 20 | |
Zusprecher | 0 30 | 0 20 |
Summe | 6 10 | 1 20 |
Barbara Creuzberger, geb. Schattauer starb im Dezember 1745 im Alter von 78 Jahren. Pfarrer Schnapper schrieb ins Totenregister: „Diese Schattauerin ist die letzte gewesen von denen Salzb[urgischen] Emigranten, die Ao. 1732 zu uns anhero kommen, und vom Magistratu nostro in hiesigen Spital aufgenommen und versorget worden. Waren zwölff Personen: Gott erweke sie einst alle mit Freuden.“
Noch bis 1785 lebten die Kinder der beiden Familien Reutter und Brandner in Giengen. Sie hinterließen jedoch keine weiteren Nachkommen.