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Prolog

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Homer, Odyssee (XVII, 483-87) übersetzt von Christoph Martin

„Denn in jedem Fremden kann sich ein Gott verbergen, heißt es.

Unberechenbar nehmen die Unsterblichen mal diese, mal jene Gestalt an,

suchen die Menschen auf und prüfen, ob sie Recht und Sitten

respektieren oder aber Unrecht tun.“

Konrad lag auf dem Fußboden, während sie, bewaffnet mit einer Axt, über ihm stand und kraftvoll auf ihn einhieb. Zuerst trennte sie seine Arme ab, was nicht einfach war, denn die Knochen waren hart. Ein splitterndes Geräusch ließ Irene für einen Moment innehalten. Fontänengleich spritzte das Blut aus seinem Körper, kurz wandte sie sich ab. Doch sie durfte nicht aufhören, mußte weitermachen und holte tief Luft, um erneut auszuholen. Obwohl sich alles in ihr dagegen sträubte, hackte sie nun auf seine Beine ein. Die Oberschenkelknochen waren weitaus robuster als die der Arme, es knackte markerschütternd und brauchte einige Hiebe, um die Beine vom Körper zu trennen. Schweißüberströmt und wie von Sinnen hob sie aufs Neue die Axt und ließ sie auf seinen Torso niedersausen. Mit weit aufgerissen Augen starrte Konrad sie an, aus seinem Mund gurgelte dunkelrotes Blut, doch er bedeutete ihr, nicht aufzuhören. Es war ein fürchterliches Blutbad, und sie tat, wie Konrad ihr befohlen hatte, weil sie ein braves Mädchen war. Erst als sie den Kopf vom Rumpf getrennt hatte, ließ Irene die Axt, entsetzt von ihrem Tun, fallen und kniete sich neben den zerstückelten, erstaunlicherweise noch immer lebenden Konrad. Verzweifelt versuchte sie seine Glieder wieder zusammenzufügen, was ihr freilich nicht gelang. Irene erwachte von ihrem eigenen Schrei und bedeckte mit beiden Händen ihr Gesicht. Nicht schon wieder, flehte sie. Wann würde sie endlich diese Bilder loswerden? Schwerfällig wickelte sie sich aus der blauen Decke, in die die Gestalt eines Delphins eingewebt war, stand auf und ging zum Fenster. Erleichtert sah sie draußen das Meer wogen, das Schiff schwankte leicht, es war bereits Land zu sehen. In zwei Stunden, sie sah auf die Uhr, sollte die Fähre anlegen, und sie war froh, sich weit entfernt von Daheim zu befinden. Fluchtartig und ohne jemandem Bescheid zu sagen, war sie abgereist, um das Geschehene und Konrad hinter sich lassen. Auf eine seltsam perverse Art hatte diese Bluttat durchaus auch etwas Befriedigendes, fand sie und war über diesen Gedanken und sich selbst verblüfft. Er hatte es verdient.

Reste von Schnee

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