Читать книгу Das dumme Schülerlein - Ulrike Sennhenn - Страница 4
Aus dem Schulalltag: Grundschule
ОглавлениеDer erste Schultag nahte. Endlich ein Schulkind sein! Endlich richtig rechnen und schreiben und lesen lernen! Endlich die Welt erobern können … wie aufregend!
Und dann war es endlich soweit. Die große Schultüte versüßte den Start, der neue Tornister mit Dinosauriern, Fußbällen, Prinzessinnen oder Pferden wurde mit Heften, einer Federmappe und den ersten Schulbüchern gefüllt, und auf ging es in das große Abenteuer LERNEN!
Erwartungsvolle Gesichter – erste Enttäuschungen. Nein, man durfte nicht aufstehen und im Klassenzimmer umhergehen, wenn einem danach war – jeder musste an seinem Platz sitzen bleiben, bis die Schulstunde um war. Mit dem Nachbarn reden? Verboten. Mathe üben, weil man das grad so spannend fand? Nur wenn die Mathestunde dran war! Schonmal das Schreiben von B und C üben, wenn man A beherrschte? Nein, das kommt erst übermorgen dran!
„DS [Spitzname von „dummes Schülerlein“] muss lernen, sich an die Regeln zu halten. Er muss lernen, sich im Unterricht zu konzentrieren. Anweisungen der Lehrer folgt er oft nur widerwillig.“
Die ersten Hausaufgaben. „Bitte achten Sie darauf, dass die Kinder maximal eine halbe Stunde lang an den Hausaufgaben sitzen. Wenn sie dann nicht fertig geworden sind, schreiben sie mir dies bitte als Bemerkung unter die unfertigen Hausaufgaben, damit ich entsprechend reagieren kann.“
DS brauchte anfangs 35 Minuten. Na ja, die 5 Minuten „mehr“, die waren jetzt zu vernachlässigen. DS brauchte nach ein paar Wochen schon 45 Minuten. Da muss ich als Mutter wohl was mithelfen. Nach 3 Monaten saßen DS und seine Mutter jeden Nachmittag 2 Stunden an den Hausaufgaben. Er war immer schwerer zu motivieren, mit seinen Gedanken schweifte er oft ab, immer öfter verweigerte er sich und saß trotzig mit verschränkten Armen am Schreibtisch.
„Einladung zum Elterngespräch! Aufgrund des negativen Sozialverhaltens ihres Sohnes DS möchten wir Sie zu einem Gespräch in die Schule bitten.“
Eine schwierige Familiensituation! Das war also der Grund für die zunehmenden Verhaltensauffälligkeiten. DS hatte vor einem Jahr ein Geschwisterchen bekommen, die Mutter hatte nun nicht mehr ausschließlich Zeit für ihn, er war nicht mehr der Mittelpunkt und … das ist natürlich ganz, ganz schwer zu verkraften.
„Wir empfehlen, dass er das erste Schuljahr wiederholt!“
Statt einer Wiederholung wählten seine Eltern eine andere Schule, dort ging DS nun in die 2. Klasse. Der Wechsel schien ihm schwer zu fallen, morgens ging er nicht mehr so fröhlich zur Schule. Seine Noten waren hingegen gut, allerdings:
Arbeitsverhalten: unbefriedigend
Sozialverhalten: unbefriedigend
Und in den Aussagen zum Arbeits- und Sozialverhalten mussten seine Eltern dann dies lesen:
„DS fällt es oft sehr schwer, mit seinen MitschülerInnen angemessen umzugehen und besonnen zu reagieren. Er hat noch nicht begriffen, dass das Einhalten bestimmter Regeln erforderlich ist, um erfolgreich miteinander umzugehen und arbeiten zu können. Er hat häufig Schwierigkeiten, sich bei Gemeinschaftsaufgaben mit seinen MitschülerInnen zu verständigen, ohne dass es zu Konflikten führt. Bei Gesprächen kann er sich oft nicht zurückhalten, bis er an der Reihe ist. Vereinbarte Gesprächsregeln kann er selten einhalten. Er nimmt gerne Kontakt zu seinen Lehrerinnen auf, vergisst aber häufiger angemessene Umgangsformen. Er hat große Schwierigkeiten, sich in die Klassengemeinschaft einzufügen und vereinbarte Regeln einzuhalten. Leider sind seine schriftlichen Arbeiten sehr häufig außerordentlich unordentlich und kaum lesbar. Seine Wochenplanarbeiten und Portfolios sind fast regelmäßig unvollständig oder auch gar nicht erledigt. Seine Sprechweise ist noch immer stark auffällig. Seine Schrift ist leider kaum lesbar. Leider führt er seine Projekt- und Werkstattarbeiten oft nur sehr unordentlich und oberflächlich aus. Im Sportunterricht zeigt er einen sehr großen Einsatz, kann sich allerdings an keine Regeln halten. Im Musik- und Kunstunterricht beteiligt er sich nur sehr selten und führt seine Arbeiten selten zu Ende. DS arbeitet meist aktiv im Religionsunterricht mit und kann ihn mit seinen Beiträgen bereichern.“
Wir machen einen Zeitsprung – ein Jahr später, das nächste Zeugnis, die nächsten „Aussagen zum Arbeits- und Sozialverhalten“:
„DS ist in der Regel ohne Anstöße lernwillig und trägt eifrig zum Unterrichtsgeschehen bei. Er hat jetzt gelernt, auch über einen längeren Zeitraum gleichmäßig an einer Aufgabe zu bleiben, und er lässt sich dabei nicht mehr so oft ablenken. Ein Wechsel der Aufgabenstellung bereitet ihm keine Schwierigkeiten, und es gelingt ihm, den Unterrichtsstoff in neue Zusammenhänge zu übertragen. Seine Wochenpläne führt er zuverlässig und mit Bedacht aus. Er sorgt dafür, dass seine Arbeitsmaterialien vollzählig und in Ordnung sind.
DS kommt mit seinen MitschülerInnen gut zurecht, findet jedoch nur zu wenigen Mitschülern engeren Kontakt. Seinen MitschülerInnen gegenüber ist er meistens freundlich und hilfsbereit, und er kann auch mit anderen kooperieren. Er verhält sich den Lehrerinnen gegenüber ungezwungen und vertrauensvoll. Die aufgestellten Regeln akzeptiert er und hält sie meistens ein. In Konfliktsituationen kann er sich meistens beherrschen, und es gelingt ihm in der Regel, angemessen zu reagieren und Streitigkeiten zu vermeiden.
DS ist der Sprache Englisch gegenüber aufgeschlossen und neugierig. An den Aktivitäten im Englischunterricht beteiligt er sich regelmäßig. Er arbeitet meist aktiv im Religionsunterricht mit und bringt zuverlässig eigene Beiträge ein. Am Musikunterricht zeigt er Interesse und Freude, und es fällt ihm leicht, Melodien zu erfassen und sie sich sicher einzuprägen. Im Kunstunterricht lässt er Ideen und gestalterische Fähigkeiten erkennen, und er geht gerne mit textilem Material um. Er arbeitet mit viel Freude und Einsatz bei allen Themen im Sportunterricht mit und zeigt erfreuliche Leistungen. Er beweist Kraft und Ausdauer.“
Bitte vergleichen Sie nochmals mit der Bewertung des 3. Schuljahrs – ja, es ist der gleiche Schüler!!! WAS ist in diesem einen Jahr passiert, dass die Bewertung … so sehr anders ist? Ich gebe einen Tipp: es war „der Zaubertrank“! ?
Ich berichte Ihnen jetzt von dem, was für Sie bisher unsichtbar geblieben ist. Und dann schauen Sie sich bitte mit dem Hintergrundwissen NOCHMALS die Bewertungen (eingerückt, fett und in blau gedruckt! ;-) ) an … dann werden Sie sehen, dass der Zaubertrank schon gewirkt hat ?