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Safran

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Ein ruhiger Nachmittag im Sommer. Die Kinder spielen im Sand. Corinna, das Nachbarstöchterchen, gesellt sich zu uns, spielt beim Kuchenbacken mit. Die mit Wasser geformten Sandkuchen trocknen schnell. Es ist heiß.

In meiner Hand liegt Corinnas halb feuchter und schon wieder – an der Oberfläche – halb zerfallener Sandkuchen. Ich werde gleich so tun, als äße ich ihn, und dann sagen, daß er wirklich gut geraten ist.

Meine kleine Tochter will heute ihr Brüderchen in die Geheimnisse des Sandkuchenbackens einweihen. Wir haben ihm und uns gerade noch einmal die Siebensachen aufgezählt und vorgesungen, die man zum Backen eines guten Kuchens haben muß, und sind beim "Safran" angelangt, der „den Kuchen gehl“ macht.

Wieder einmal erlebe ich die Begeisterung, die ich vor über zwei Jahrzehnten zum ersten Mal empfunden hatte – als kleine Sandkuchenbäckerin bei dieser Safran-Stelle im „Backe-backe-Kuchen-Lied“. Der „Safran“ hatte sich so faszinierend fremdartig angehört – und daß er den Kuchen „gehl“ macht -was bedeutete eigentlich „gehl“? Sicher etwas ganz besonders Interessantes!

Auch als ich schon groß genug war, um meiner Mutter beim Kuchenbacken zu helfen, und wußte, daß 'gehl' schlicht und einfach 'gelb' bedeutet, behielt der Safran für mich dieses Aufregend-Exotische, als käme er von weither, aus einer anderen Welt.

Als ich dann für meine eigene Familie Kuchen aus Zucker und Salz gebacken hab, mit Eiern, Schmalz, Milch und Mehl, ist mir wieder der Safran im Kopf herumgegangen, und manchmal hielt ich beim Einkaufen so ganz nebenbei Ausschau nach einem Päckchen oder Glas mit diesem faszinierenden Namen darauf – bis ich neulich im Supermarkt auf einem Regal ganz oben tatsächlich eine kleine runde Dose (aus Papier oder aus Blech?) mit der Aufschrift „Safran“ entdeckte.

Ich war begeistert, diesen sagenhaften Safran vor mir zu sehen, und wollte schon danach greifen, doch gleich kamen mir Bedenken: ob die kleine Dose mit dem Safran in die Hand zu nehmen nicht verkehrt sein könnte – als ob ich mir nicht aneignen dürfte, was meine kindliche Bewunderung als Fernes, fast Unbegreifliches hervorgerufen hatte – ob mit dem Griff danach nicht sein Zauber vorbei wäre? Zögernd hab ich dann doch die kleine Dose auf das Förderband an der Kasse gelegt. Daheim nahm ich vorsichtig den Deckel ab.

Ein Pulver, fast wie Staub, rötlich-bräunlich, war darin, mild und undeutlich-fremd roch es, wie eine eigenwillige Blume, und auch wieder zurückhaltend-schwach – wer weiß, wie viele Jahre diese kleine Safrandose schon auf dem Regal gelegen war?

Da – ein Teil des Pulvers flog heraus – ich hatte in meiner Aufregung zu fest geschnauft beim Riechen! Wie leicht hätte alles weg sein können – es war ja bloß ein Gramm darin!

Mit angehaltenem Atem hab ich vorsichtig die kleine Dose wieder zugemacht und ganz oben aufs Küchenregal zu den Sachen getan, die man bloß alle heiligen Zeiten braucht.

Da liegt nun 'mein Safran' so gut wie versteckt, unbehelligt vom täglichen Küchengeschehen.

Eines Tages werde ich seine phantastische Wirkung ausprobieren!

Ich bin mir sicher, daß er für mich nie seinen Zauber verlieren wird, auch wenn der durch ihn verwandelte Kuchen ein bißchen sonderbar schmecken und nicht so gelb wie versprochen ausschauen sollte.

Es gibt gar nicht so viele Dinge, die ihren Zauber nie verlieren können. Eins davon ist der Safran, das steht für mich fest.

Was hab ich da eben gehört? Das ist doch die Stimme von der Corinna. Das Nachbarstöchterchen!

Was hat sie gesagt? Und zu wem? Zu mir?

Ihre helle Stimme hat mich mitten aus meinen Safran-Reminiszenzen herausgerissen – ich schaffe es tatsächlich, kann mir den Satz aus meinem Gedächtnis hervorholen, spiele ihn mir vor:

„Der Specht ist lieb, der frißt Borkenkäfer.“

Der Specht! Kennt die Corinna einen Specht? Und wieso soll der lieb sein: „der frißt Borkenkäfer.“ Was versteht das kleine Mädchen von Borkenkäfern? Hat sie schon einmal welche gesehen? In unserem S-Bahn-Dorf gibt es Geschäfte, Restaurants, Kinderspielplätze, jedoch wenig Bäume, und schon gar keine alten – wo sollen da Borkenkäfer sein? und Spechte?

Und wieso nennt sie den Specht „lieb“, wenn er Borkenkäfer frißt? Lieb sind für kleine Kinder ihre Schmusetiere, weich und schutzbedürftig wie sie selbst, bös die Tiere, vor denen sie Angst haben oder glauben, Angst haben zu müssen, und wenn es Holzkrokodile wären. Machen Borkenkäfer kleinen Kindern Angst?

Irritiert schaue ich in die Richtung, aus der dieser Satz gekommen war. Da blicken mich fest, stolz und ziemlich überheblich Corinnas Augen an. Sie ist sich der Wirkung ihrer Worte sichtlich bewußt – ich hab wohl recht dumm und verständnislos ausgesehen in den langen Sekunden, die ich gebraucht habe, um ihren Satz, in dem Borkenkäfer gefressen und Spechte dafür gelobt werden, zu verstehen, an diesem Sommernachmittag mit seinen bunten Farben und hellen Kinderstimmen, dem Geruch von Sonne, Wasser, Sand und – nicht zu vergessen! – Safran, der für mich immer den Glanz des Fremdartigen und Geheimnisvollen behalten wird.

Wieviel ist da durch einen einzigen verblüffenden Satz festgehalten worden, unauslöschlich fixiert, dem Vergessen entrissen. Natürlich wüßte ich noch ungefähr, wie es damals war, das Leben mit den Kindern, als sie noch klein waren, die Intensität, mit der die Jahreszeiten miterlebt werden können, die große weite Welt, die man wiederentdecken kann mit kleinen Kindern. Aber diese Sommernachmittags-Erinnerung mit ihren Rückblenden und allen Gerüchen, Farben und Geräuschen, und mit der – von einer Station zur anderen weitergereichten – immer gleichen Begeisterung, diese Erinnerung ist mitsamt und gerade mit Hilfe meiner Irritation über den Satz vom „lieben Specht“ festgehalten, für lange Zeit, vielleicht mein Leben lang.

Im Keller ist es dunkel

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