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Ein paar Tage später, an einem Dienstag, zog es mich wieder hin. Irgendwie glaubte ich, Eulenbrook müsste sich verändert haben, aber alles war wie immer: die Freitreppe aus Stein mit den beiden Säulen, die das dreieckige Vordach trugen, umgeben von Brombeersträuchern; die leeren Fensterhöhlen, das Rotkehlchen, das in einer Mauernische nistete, und das Wasserbecken zwischen Heckenrosen, Brennnesselfeldern und Farnkrautwedeln.

Ein Entenpärchen hatte den alten Teich entdeckt und sich in den Frieden des verwunschenen Gartens zurückgezogen. Ja, alles wirkte verwunschen wie das Dornröschenschloss im Märchen, so als wären Haus und Garten in hundertjährigen Schlaf versunken.

Rosenranken verhakten sich in meinem T-Shirt, und eine riesige Libelle düste mit zornigem Rascheln über mich hinweg, als ich mir meinen Weg durch das Gestrüpp bahnte. Die Brombeerzweige schlangen sich wie Fallstricke um meine Füße, Frösche quakten im Verborgenen. Irgendwo in den knorrigen Obstbäumen, die von Efeu und Geißblatt überwuchert waren, sangen Drosseln. Es roch nach fauligem Wasser und dem Vanillearoma des Geißblatts.

Eulenbrook war unverändert. Das Haus strömte noch immer seinen eigenen, unverwechselbaren Geruch aus. »Gruftig«, hatte Ronja ihn genannt. Es war, als hätte es einen kalten, modrigen Atem. Überhaupt hatte Ronja immer behauptet, es wäre lebendig, weil der Geist der früheren Bewohner noch in den Mauern sei.

Unter dem schwarzgrünen Nadeldach einer Eibe verborgen, stand der Gnom aus Sandstein auf einem Podest, das fratzenhafte Gesicht mit grauen Flechten überzogen, eine steinerne Mütze auf dem Kopf. Wie immer grinste er mich mit seinem verzerrten Lächeln an, doch etwas war anders als sonst: Der Zwerg trug ein Halstuch aus einem rot-weiß gestreiften Band unter dem Kinn verknotet.

Ich blieb stehen und starrte ihn an, als wäre er plötzlich zum Leben erwacht. Mein Herz klopfte wild. Jäh beschlich mich das Gefühl, dass sich jemand im Dickicht versteckt hatte und mich beobachtete, jemand, der den Atem anhielt und auf der Lauer lag wie eine Katze, die heimlich einem Vogel nachstellt.

Schon wollte ich losrennen, zurück zum Durchschlupf in der Mauer und hinaus auf die Straße. In diesem Augenblick hörte ich ein Geräusch.

Es war das Brummen eines Motors. Ein Wagen fuhr aufs Haus zu. Unwillkürlich duckte ich mich, obwohl das Gebüsch so dicht und hoch war, dass mich von der Auffahrt her keiner sehen konnte.

Die Reifen rollten fast lautlos über den Weg, der mit einer dicken Schicht von verrottetem Laub bedeckt war. Ab und zu knackte ein Zweig, und Blätter rauschten, wenn sie das Wagendach streiften. Der Motor schnurrte sacht. Es musste ein großer Wagen sein.

Angespannt lauschte ich. Sie hielten vor dem Haus. Dann hörte ich Wagentüren klappen und einen Moment später gedämpfte Stimmen.

Jetzt war mir klar, dass es stimmte. Ein endgültiges Gefühl sagte es mir. Eulenbrook gehörte nicht länger Ronja und mir, es gehörte Fremden, die sich hier breitmachen und alles zerstören würden.

So wie sie dem Gnom ein Halstuch umgebunden hatten, würden sie den Teich wahrscheinlich bald in einen Swimmingpool verwandeln, aus dem Haus eine protzige Villa machen und die alten Bäume umsägen lassen. Das Stallgebäude würde zu einer Garage umgebaut werden und das Gittertor schwarzgolden gestrichen, abgeschlossen und mit einem Schild versehen, auf dem »Privat! Betreten verboten!« stand.

Die Stimmen verstummten. Vermutlich waren die neuen Besitzer von Eulenbrook ins Haus gegangen. Ein günstiger Moment für mich, ungesehen zu verschwinden. Doch ich tat das Gegenteil: Verstohlen wie ein Dieb arbeitete ich mich zwischen den Sträuchern zum Haus vor, wobei ich mir Arme und Beine zerkratzte, mich an Brennnesseln brannte und mit meinen langen Haaren in allerlei dornigem Gestrüpp hängen blieb.

Der Wagen, der vor der Freitreppe stand, war zwar groß, aber kein Luxusschlitten. Er musste schon ziemlich alt sein, hatte einen verbeulten Kotflügel und Roststellen an den Türen. Das beruhigte mich irgendwie, obwohl ich keine Ahnung hatte, wieso.

Ein Flügel der Eingangstür unter den Säulen stand einen Spalt offen. Sie hatten also den Schlüssel. So lange ich denken konnte, war die große Tür versperrt gewesen. Wir waren immer durch eines der Fenster im Erdgeschoss eingestiegen, hinein in die Küche, in der es noch einen altmodischen Herd mit einem langen Ofenrohr und einen Boden aus gemusterten, schief getretenen Kacheln gab.

Ich hasste sie dafür, dass sie den Schlüssel besaßen. Die früheren Besitzer von Eulenbrook waren tot, und ich hatte geglaubt, er wäre längst verloren gegangen, doch jemand musste ihn aufbewahrt haben, jemand, den wir nicht kannten und der nur darauf gewartet hatte, das alles hier zu Geld zu machen.

Durch die zerbrochenen Scheiben klang Hundegebell. Ich hörte eine Stimme etwas rufen. Jemand lachte. Dann schob sich eine semmelblonde Nase durch den Türspalt. Ein Kopf mit Schlappohren folgte.

Rasch duckte ich mich tiefer hinter die Buchsbäume, die nach Katzenpisse rochen. Wieder rief die helle Stimme einen Namen, es klang wie »Connie« oder »Bonnie«. Der Hund, ein Labrador-Mischling, wedelte mit dem Schwanz und sprang mit ein paar Sätzen die Treppe hinunter, verschwand zwischen den Büschen und stand dann plötzlich neben mir.

Wie dem bösen Wolf im Märchen hing ihm die Zunge aus dem Maul, aber seine Augen waren freundlich, und sein Schwanz wedelte, was ich als Friedenszeichen verstand.

»Psst!«, zischte ich ihm zu. »Bitte sei still! Verrat mich bloß nicht, hast du kapiert?«

Er antwortete mit einem noch heftigeren Wedeln und einem kurzen, auffordernden Bellen. Es klang wie: He, was machst du da? Komm raus und spiel mit mir …

»Hau ab!«, flüsterte ich. »Ich kann dich jetzt nicht brauchen. Mach die Flatter!«

Wieder bellte er. Beschwörend legte ich den Zeigefinger an die Lippen. Vom Vorplatz des Hauses her rief eine Stimme: »Was ist los, Bonnie? Ich glaube, er hat einen Igel aufgestöbert! – Komm sofort zurück, verstanden?«

Bonnie spitzte die Ohren, rührte sich aber nicht von der Stelle. Ich drehte mich wieder um und spähte zwischen den Buchsbäumen durch. Unter dem Vordach stand ein junger Typ mit kurz geschnittenen blonden Haaren. Er hielt eine Hand schützend über die Augen und spähte in den Garten. Dann kam er die Treppe herunter.

Jetzt war es höchste Zeit für mich zu verschwinden. Ich versuchte, mich geduckt davonzuschleichen, doch der Hund, der Bonnie hieß, schien das als Aufforderung zum Spiel zu betrachten. Er sprang bellend um mich herum, wobei er seine Vorderpfoten tapsig durch die Luft schleuderte. Hinter mir raschelte es verdächtig im Gebüsch.

»Verdammt!«, sagte die Stimme. »Da wachsen Brennnesseln … Bonnie, zum Teufel, was machst du? Hast du einen Igel gefunden? Lass den armen Kerl bloß in Ruhe!«

Ich zwängte mich an dem Labrador vorbei, um mich im hohlen Stamm der Weide zu verstecken, da, wo Ronja und ich als Kinder so gern gespielt hatten. Gerade noch rechtzeitig, ehe der blonde Typ aus den Schilfgräsern auftauchte, flüchtete ich mich in den hohlen Baum, duckte mich, drückte das Gesicht an die Innenseite des Stammes und hoffte, dass er mich nicht sehen würde.

Wenn Bonnie nicht gewesen wäre, hätte er mich wohl auch nicht entdeckt. Ich hörte den Hund leise knurren, hörte, wie der Junge mit ihm redete und wie Zweige unter seinen Füßen knackten.

Der Schreck fuhr mir richtig in die Glieder, als plötzlich eine Stimme ganz in meiner Nähe sagte: »Hallo, was machst du denn hier?«

Sekundenlang stellte ich mich tot wie ein bedrohter Käfer. »Hallo!«, sagte die Stimme wieder. »Bist du in Ordnung?«

Ich wandte den Kopf und hätte mich am liebsten in Luft aufgelöst. Was musste dieser Junge von mir denken, dass ich mich vor ihm in einen Baum verkroch wie ein lichtscheuer Zwerg?

Er stand vor mir, hatte seinen Hund am Halsband gefasst und musterte mich mit einem verwunderten Ausdruck in den braunen Augen. Seine Stirn war gerunzelt. Er hatte einen Sonnenbrand auf dem Nasenrücken.

Das alles sah ich innerhalb von Sekundenbruchteilen. Dann sagte ich etwas, was ich gleich darauf bereute, weil es total kindisch war und nicht zu einer fast erwachsenen Person von sechzehn Jahren passte:

»Hau bloß ab, verschwinde! Ihr gehört nicht hierher!«

Pferdesommer mit Lara

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