Читать книгу Reiterhof Dreililien 6 - Eine Welt für sich - Ursula Isbel - Страница 5
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ОглавлениеDer erste Ferientag begann wie im Bilderbuch – mit milchig blauem Himmel, malerischem Sonnenaufgang hinter den Tannenwipfeln, Vogelgesang vor meinem Fenster und mit Kater Carlo, der sich voller Behagen auf meiner Bettdecke räkelte.
Ich sagte: „Stell dir vor, heute fangen die Sommerferien an! Aber so was versteht einer wie du natürlich nicht, für den das ganze Leben fast nur aus Ferien besteht.“
Er gähnte und sah mich an mit Augen, die so grün waren, daß jede Filmschauspielerin ihn darum beneidet hätte. Aus dem jämmerlichen Winzling, den ich zu Weihnachten von meiner Freundin Carmen bekommen hatte, war nun ein großer schwarzer Kater geworden mit dicken Pfoten und dem Kopf einer ägyptischen Göttin; ein Kater, der in jeder Lebenslage genau wußte, was er wollte, und der augenblicklich Kirstys beliebtestes Modell für ihre Tonplastiken war.
Ich sah auf die Uhr und stellte fest, daß ich verschlafen hatte. Eigentlich hätte ich schon seit einer halben Stunde im Stall sein müssen, um bei der Morgenfütterung zu helfen; doch am ersten Ferientag konnte man wohl mal eine Ausnahme machen und ausschlafen. Außerdem hatten wir schon seit einer Woche ein Dutzend Reitschüler aus anderen Bundesländern, in denen die Ferien bereits begonnen hatten; und einige von ihnen waren so pferdenärrisch, daß sie sogar freiwillig bei der Stallarbeit halfen.
Der Frühstückstisch war schon im Garten unter der Eiche gedeckt, als ich mit Kater Carlo im Schlepptau aus dem Haus kam. Mein Vater war längst zur Arbeit gefahren, und Kathrinchen, meine kleine Stiefschwester, wackelte auf ihren komischen krummen Beinchen zielstrebig durchs Gras und brachte mir einen verschrumpelten grünen Apfel.
„Affel!“ verkündete sie stolz.
„Vielen Dank“, sagte ich. „Den esse ich zum Frühstück. Er sieht köstlich aus.“
Sie lachte erfreut und wandelte wieder davon, wohl, um weiter nach Fallobst zu suchen. Offenbar hatte ich genauso reagiert, wie sie es sich erhofft hatte. Jetzt konnte es passieren, daß sie unermüdlich alle grünen Äpfel anschleppte, die sie fand, einen nach dem anderen, und mir jeden mit der gleichen feierlichen Geste überreichte, um sich dann wie ein Schneekönig zu freuen, wenn ich mich immer wieder dafür bedankte.
Kirsty tauchte aus ihrer Töpferwerkstatt auf, die Hände und Arme voller Ton. Ihre Augenbrauen und Wimpern waren ganz hell von der Sonne. „Kaffee ist in der Thermoskanne“, sagte sie. „Ich hab schon mit deinem Vater gefrühstückt. Hast du’s sehr eilig, oder könntest du nachher noch die Malven aufbinden, ehe du gehst?“
„Kann ich, klar“, erwiderte ich großzügig. „Heute ist der erste Ferientag, den gehe ich gemütlich an.“
Kirsty seufzte. „Dann laß dich bloß von Kathrinchen nicht in Streß bringen. Die hat heute ihren Jäger- und Sammlertag. Vorher hat sie einen Wurm gefunden und mir aufs Butterbrot gelegt. Dann war sie mordsmäßig enttäuscht, weil ich nicht in Jubelgeschrei ausgebrochen bin und mich geweigert habe, ihn zu essen.“
Ich mußte lachen. „Deshalb hat sie sich jetzt aufs Vegetarische verlegt!“
Kathrinchen erschien wieder mit einem Apfel. Diesmal war er total wurmstichig, so klein und grün er auch noch war, was bei unserem Obst nicht selten vorkam, weil wir prinzipiell keine Spritzmittel verwendeten.
„Affel!“ sagte sie erwartungsvoll.
„Mmm, vielen Dank, köstlicher Apfel!“ versicherte ich und tat so, als würde ich davon abbeißen. „Mampf, mampf!“
Meine kleine Schwester beobachtete mich begeistert. Ihre dünnen Haare, von denen man nicht wußte, ob sie blond oder dunkel werden oder über Nacht plötzlich ganz ausfallen würden, kringelten sich über den Ohren. Ihr Mund war schmutzverschmiert wie immer, was ihr in unserer Familie den Namen „Katharina Erdschwein“ eingetragen hatte.
Ich trank meinen Kaffee, aß ein Honigbrot, zwei Marmeladenbrote und ein Erdnußbutterbrot, während Kater Carlo seine Milch zierlich aus einer Schüssel leckte, und fand, daß man das Leben so lassen konnte, wie es an diesem Sommermorgen war – mit dem Duft der Rosen, die sich an der Südseite unseres Hauses emporrankten, dem Zwitschern der Schwalben, dem Gesumm der Bienen und Hummeln in den Kleeblüten und dem würzigen Stallgeruch, den der Wind von Dreililien zu uns herübertrug. Kirsty sang in ihrer Werkstatt, und Kathrinchen erschien mit dem vierten Apfel und hielt ihn Kater Carlo unter die Nase, der verächtlich nieste und ihr den Rücken zuwandte.
Als ich eine Stunde später nach Dreililien kam, war dort schon die Vormittagsreitstunde in vollem Gang. Ich blieb nur kurz am Gatter der Schwammerlwiese stehen, um Hazel zu holen. Helge, der seit dem vergangenen Sommer als Pferdepfleger ausgebildet wurde, wendete auf der Hangwiese das Heu, und Matty stand im Schatten unter einer Baumgruppe und longierte eines der Jungpferde.
Hazel war am Bachufer und trank in langen Zügen, den braunen Kopf elegant gesenkt. Das Wasser tropfte ihr von Nüstern und Lippen. Sie war jetzt fast zwölf Jahre alt, ein schönes, kräftig gebautes Tier mit glänzendem Deckhaar. Ich liebte sie wegen ihres sanften, geduldigen Wesens, dem bedingungslosen Vertrauen, das sie mir entgegenbrachte. Daß sie wegen ihrer Hufrehe kein vollwertiges Reitpferd mehr war, sondern nur ganz vorsichtig geritten werden konnte und einen Spezialhufbeschlag brauchte, störte mich nicht. Nur diesem Umstand hatte ich es ja zu verdanken, daß Herr Moberg mir Hazel für ein Spottgeld überlassen hatte, daß sie nun mein Pferd war, das nicht beim Reitschulbetrieb eingesetzt oder verkauft werden konnte. Ich selbst konnte zwar reiten, aber nur „für den Hausgebrauch“, wie Jörn immer sagte. Schon beim harmlosesten Dressurwettbewerb wäre ich bestimmt mit Pauken und Trompeten durchgefallen, doch das war mir nicht weiter wichtig, denn ich hatte in dieser Richtung keinerlei Ehrgeiz. Mir reichte es, daß ich in unserem Tal ausreiten konnte, notfalls auch ohne Sattel – und dazu gehörte nicht viel, denn meine gutmütige Hazel war zuverlässiger und fügsamer als jedes andere Pferd, das ich kannte.
Ich wartete, bis sie ihren Durst gestillt hatte. Dann rief ich nach ihr. Sie spitzte die Ohren, hob den Kopf und kam den Trampelpfad zwischen Gatter und Pferdetränke herauf, den Schweif unternehmungslustig von sich gestreckt.
Ich begrüßte sie ausgiebig, gab ihr eine Banane und sagte: „Haben sie dir heute früh ordentlich zu fressen gegeben? Ich hab verschlafen, weißt du. Aber jetzt nehme ich mir endlich mal wieder Zeit, dich gründlich zu waschen. Das wird dir guttun bei der Hitze.“
Ich öffnete das Gattertor, und sie folgte mir den Pfad hinauf zum Gutshof, wo es am rückwärtigen Stalltor einen großen Steintrog gab, in den Tag und Nacht aus einer Waldquelle ein dünnes Rinnsal sauberes, klares Wasser floß. Dieses Wasser, das im Sommer durch die Sonne gewärmt wurde und deshalb nicht so kalt war wie Leitungswasser, das auch kein Chlor enthielt, benutzten wir, um die Pferde zu waschen.
Geduldig blieb Hazel stehen, während ich in die Sattelkammer ging und in meiner Kiste nach den Schwämmen suchte. Für Huf- und Mähnenhaar benutzte ich eine alkalifreie Feinseife, die ich eigens im Reformhaus kaufte und die ein schweinemäßiges Geld kostete, wie Matty meinte. Natürlich war die Seife zuunterst in einer Ecke. Als ich sie hervorkramte, entdeckte ich, daß Motten in Hazels Winterdecke gekommen waren und sich da von dem schönen kirschroten Filz die Bäuche vollschlugen.
Ich fluchte laut und ausgiebig, zog die Decke hervor und beschloß, sie im Bach einzuweichen und die Mottenbrut zu ersäufen. Anschließend blieb mir wohl nichts anderes übrig, als den Filz in mühseliger Kleinarbeit zu flicken, denn für eine neue Decke hatte ich kein Geld.
Da Hazel es liebte, wenn man an ihr herumpusselte, ließ sie die Wäsche mit Hingabe über sich ergehen. Für Augen und Nüstern benutzte ich den kleineren der beiden Schwämme, den ich mit einem roten Wollfaden markiert hatte. Mit dem zweiten wusch ich ihr, ebenfalls mit klarem Wasser, After und Geschlechtsteile. Ein und denselben Schwamm für vorn und hinten herzunehmen, wäre äußerst leichtsinnig gewesen, wie Mikesch mir beigebracht hatte, da man auf diese Weise die Wurmeier vom After direkt in die Nüstern reiben kann, wenn man Pech hat.
Zum Abschluß spülte ich Hazel noch die Fesseln mit kaltem Wasser, und als ihre Hufe trocken waren, rieb ich sie ordentlich mit Huffett ein. Während ich mich bückte, zupfte sie an meinen Haaren, die ich zur Arbeit immer im Nacken zu einem Zopf geflochten trug. Das war einer ihrer bevorzugten Zärtlichkeitsbeweise – sie stülpte dabei ihre Lippen vor und zog mich ganz vorsichtig und liebevoll am Haar, und ich bildete mir dann immer ein, daß das hieß: Ich hab dich lieb und weiß, daß du’s gut mit mir meinst – oder etwas Ähnliches.
Später ritten wir ganz gemütlich einen schattigen Waldpfad entlang, auf dem ich sicher sein konnte, daß uns keiner der Ferienreiter begegnete. Diana war uns nachgeschlichen, obwohl sie wußte, daß sie zur Zeit nicht mit in den Wald durfte, da es zu viele Jungtiere gab. So hatte ich noch einmal umkehren und sie ins Haus bringen müssen, und es war mir schwergefallen, unter ihrem sehnsüchtigen Blick hart zu bleiben.
Alles war sehr schön und friedlich, bis ich zur Holzbrücke kam, die über den Mühlbach führte. Wir ritten am Dickicht vorbei, das das Bachufer begrenzte. Zuerst merkte ich nur, daß Hazel unruhig wurde und die Ohren spitzte. Dann hörte auch ich einen Laut. Es war halb Knurren, halb Jaulen – ein Geräusch, das ich nie zuvor gehört hatte und das ich doch sofort als Schmerzenslaut erkannte.
Ich zügelte Hazel und schaute mich um. Nichts war zu sehen. Die Geräusche schienen aus dem Dickicht zu kommen. Auf meinen Armen bildete sich Gänsehaut, und plötzlich wurde mir deutlich bewußt, daß ich mitten im Wald allein war.
Am liebsten wäre ich mit Hazel umgekehrt und davongeritten, so schnell es ging, zurück nach Dreililien. Und doch sagte mir eine innere Stimme, ein Wissen, das jenseits meiner Erfahrung lag, daß diese Geräusche von einem Tier in Not stammten, und daß ich mich nicht einfach feige aus dem Staub machen durfte.
Ich stieg ab und band Hazel am Brückenpfeiler fest. Sie sah mich an und schnaubte leise, und ich streichelte ihren Hals und sagte mit nicht ganz fester Stimme: „Ich hab auch Angst, Hazel. Trotzdem muß ich nachsehen, was es ist.“
Als ich zum Waldsaum kam, verstummte das Geräusch. Der Bach murmelte und gluckste. Irgendwo flatterte ein Vogel auf. Ich blieb stehen und lauschte. Zwischen den Bäumen fiel ein Streifen Sonnenlicht über Wurzeln und bemooste Steine. Eine Ameisenstraße führte durch die Tannennadeln. Farnkraut wehte im Sommerwind.
Ich versuchte mir einzureden, daß ich mich getäuscht hatte, doch ich wußte, so war es nicht. Ich hatte die Klagelaute gehört und Hazel ebenfalls.
Als ich den Kopf nach links wandte, sah ich etwas in der Sonne aufblitzen. Es waren die Augen eines Tieres. Ich hielt den Atem an: Da kauerte ein Tier mit rotem Fell zwischen den Wurzeln – ein Fuchs.
Jörn und Matty hatten mich mehrmals davor gewarnt, Füchsen zu nahe zu kommen. „Wenn du einem Fuchs begegnest, und er läuft nicht vor dir weg, sieh zu, daß du verschwindest. Er könnte Tollwut haben“, hatten sie gesagt. Auch dieser Fuchs lief nicht vor mir weg. Er rührte sich nicht von der Stelle und sah mit Augen zu mir auf, die vor Angst und Schmerz fast wahnsinnig wirkten.
Er lief nicht weg, weil er nicht weglaufen konnte; das begriff ich rasch. Sekundenlang starrten wir uns an, regungslos, und ich werde seine Augen nie vergessen. Dann bemerkte ich, daß er mit der Hinterpfote in eine Falle geraten war. Es mußte ein Tellereisen oder ein ähnliches Folterinstrument sein. Die Pfote war nur noch ein blutverkrusteter Klumpen, der Waldboden war schwarz von geronnenem Blut. Auch das Maul des Fuchses blutete. Wahrscheinlich hatte er in seiner Verzweiflung versucht, das Eisen aufzubeißen, das ihn peinigte.
Ich begann schrecklich zu zittern. Eine Welle von Hilflosigkeit, Zorn und Mitleid stieg in mir auf. Ich hätte am liebsten losgeheult. Als ich einen Schritt auf den Fuchs zutrat, fletschte er die Zähne, und seine Augen funkelten so drohend, daß ich mich nicht weiterwagte.
Ich wollte ihn befreien und wußte doch, daß ich es nicht konnte, daß er es nicht zugelassen hätte. Ich durfte nicht in seine Nähe kommen, konnte ihm nicht klarmachen, daß ich es gut mit ihm meinte. Und selbst wenn ich ihn befreit hätte – mit dieser verstümmelten Pfote hätte er innerhalb weniger Tage jämmerlich verenden müssen.
Jetzt begann ich wirklich zu weinen. Ich konnte den Fuchs nicht länger ansehen, die Qual in seinen Augen nicht mehr ertragen. Rasch drehte ich mich um und lief stolpernd zur Brücke zurück, wo Hazel auf mich wartete.
Sie wieherte unterdrückt und drängte ihre warme Nase an mein Gesicht. Schluchzend sagte ich: „Wir müssen Hilfe holen, Hazel – wir können ihn nicht in der Falle umkommen lassen. Warum sind die Menschen nur manchmal so gemein, so verdammt gemein . . .“
Der Heimweg kam mir sehr lang vor. Mir war so elend, als hätte ich etwas Verdorbenes gegessen. Ich dachte an all die geschundenen Tiere, wehrlos wie dieser Fuchs menschlicher Grausamkeit ausgeliefert. Ich dachte an das, was Gesine uns aus ihrer Tierschutzarbeit erzählt hatte – von Leuten, die nachts in Laboratorien eingedrungen waren, um Versuchstiere zu befreien, und dabei gebissen worden waren, weil diese Tiere jedes Vertrauen zu den Menschen verloren hatten, weil der Mensch für sie zum Inbegriff des Bösen geworden war.
Fallen waren verboten, das wußte ich. Und doch wurden sie in unseren Wäldern noch immer aufgestellt, nicht nur von Bauern, manchmal sogar von Sonntagsjägern, die Jagdgründe gepachtet hatten. Was waren das für Menschen, die so etwas taten? Ich konnte es einfach nicht begreifen, hatte es nie begreifen können – und doch wurden Tiere täglich zu Tausenden gequält und umgebracht.
Als ich Dreililien erreichte, war mein Gesicht so verheult, daß ich kaum noch aus den Augen sah. Der erste, dem ich begegnete, war Mikesch, und ich erzählte ihm alles – schluchzend und in unzusammenhängenden Worten.
„Was sollen wir bloß machen, Mikesch? Befreien kann man den Fuchs nicht, verstehst du – er ist wie wahnsinnig und läßt keinen an sich heran! “
Er hörte schweigend zu. Dann holte er ein Glas Zwetschgenschnaps, zwang mich, es in einem Schluck auszutrinken und sagte: „Daß es überall so verfluchte Idioten geben muß! Der Teufel soll diese Leute holen . . . Natürlich ist es verboten, Fallen aufzustellen. Aber die Strafen für Zuwiderhandlungen sind so gering, daß sich viele nicht um das Verbot kümmern. Unser Tierschutzgesetz ist einfach lächerlich, es bewirkt fast gar nichts. Paß auf, wir rufen jetzt die zuständige Forstverwaltung an. Die werden am besten wissen, was zu tun ist. Ich weiß zwar, wem der Wald am Mühlbach gehört, aber es ist wohl besser, den Bauern vorerst nicht einzuschalten. Vielleicht hat er die Falle sogar selbst aufgestellt.“
Mikesch hatte die richtige Art, mit den Leuten zu reden. Nach knapp zwanzig Minuten erschienen zwei Männer von der Forstverwaltung in einem grünen Auto. Sie hatten ein Gewehr dabei und ließen sich von mir den Weg zur Brücke beschreiben und die Stelle, an der ich den Fuchs entdeckt hatte. Mitkommen wollte ich nicht.
„Was werden Sie mit ihm machen?“ fragte ich.
Einer der beiden erwiderte: „Wir werden ihn wohl erschießen müssen, wenn er so schwer verletzt ist, wie du sagst. Aber wir haben auch ein Betäubungsmittel dabei. Falls die Pfote noch zu retten ist, bringen wir ihn in die Tierklinik.“
„Und was wird aus dem Kerl, der die Falle gestellt hat?“ fragte Mikesch. „Man sollte ihm wirklich die Jagdlizenz entziehen, falls es ein Jäger war.“
„Wir werden schon herausfinden, wer es war“, meinten die beiden. „Natürlich muß Anzeige erstattet werden. Aber vor allem müssen wir erst mal feststellen, ob es nicht vielleicht eine Füchsin ist, die irgendwo in der Nähe der Falle ihren Bau hat. Falls sie Junge hatte, müssen wir uns um sie kümmern, sonst verhungern sie – wenn es nicht schon zu spät ist.“
Ich begann wieder zu weinen, während die Männer zum Waldrand fuhren. Die Vorstellung, daß das verletzte Tier vielleicht wirklich ein Weibchen war, daß zu dem körperlichen Schmerz auch noch die Qual einer Mutter kam, die nicht zu ihren Jungen konnte, machte alles noch schlimmer.
Ein paar von den Ferienreitern kamen und wollten wissen, was passiert war, und ich ging nach Hause, denn ich wollte nicht mehr darüber reden. Ich wollte mich nur noch verkriechen und für eine Weile nichts mehr von dieser Welt hören und sehen, die so grausam sein konnte, in der es Menschen gab, die ihre Mitgeschöpfe so bedenkenlos quälten.
Das Kavaliershäusl wirkte im Licht der Nachmittagssonne sehr friedlich und verträumt mit seinem roten Dach, den grün gestrichenen Fensterrahmen, dem Rosenspalier und dem blühenden Vorgarten. An diesem Nachmittag erschien es mir fast kitschig, so, als würde es mir eine heile Welt vorgaukeln, die es eigentlich nicht gab. Und doch war auch das ein Stück Wirklichkeit, war meine Zuflucht, wenn ich mich vom Leben zu sehr gebeutelt fühlte.
Kirsty war nicht zu Hause. Auf dem Küchentisch lag ein Zettel. „Bin mit Kathrinchen zu Gesine geradelt“, stand da. „Gemüse ist im Kühlschrank. Wärm dir etwas auf, wenn du magst.“
Ich hatte keinen Hunger, aber es tat gut, allein zu sein. Ich ging in mein Zimmer hinauf, mit schleppenden Schritten, als trüge ich eine Last auf meinen Schultern. Durch das geöffnete Fenster kam die warme Sommerluft und der Duft sonnenbeschienener Rosen.
Ich zog meine Schuhe aus und legte mich aufs Bett. Als ich die Augen schloß, sah ich den Fuchs vor mir, seine grausam zerschundene Pfote, seine Augen. Meine Kehle krampfte sich zusammen. Ich stand wieder auf, um das Fenster zu schließen und die Vorhänge vorzuziehen. Als ich die Hand nach dem Fenstergriff ausstreckte, erklang in der Ferne ein Schuß.