Читать книгу Reiterhof Dreililien 3 - Der Frühling des Lebens - Ursula Isbel - Страница 5

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Isabell — die schöne, eigenwillige Stute mit dem isabellfarbenen Fell, und ihr Hengstfohlen Odin, das erst zu Beginn dieses Sommers zur Welt gekommen war! Sie waren verkauft und wurden vielleicht gerade jetzt über die holprige Straße abtransportiert.

Stumm starrte ich Matty an. Er wandte den Blick von mir ab. Ich dachte, wieviel schlimmer es doch für ihn sein mußte als für mich, denn er war ja mit den Pferden von Dreililien aufgewachsen und liebte jedes einzelne.

Isabell und Odin ‒ ich würde sie nie Wiedersehen.

Ich schluckte, um den Kloß in meiner Kehle loszuwerden. Meine Augen brannten.

„Aber Odin“, sagte ich. Meine Stimme zitterte. „Er ist doch noch so jung!“

„Horkheimer hat die beiden im Auftrag eines westfälischen Züchters gekauft. Sie sind von besonders guter Rasse. Odins Vater ist ein erfolgreiches Rennpferd, ein Araber.“

Einen Augenblick lang wünschte ich, Isabell und Odin wären nur ganz gewöhnliche, stinknormale Pferde gewesen, die niemanden interessierten. Aber das war natürlich

Unsinn. Ein Gestüt wie Dreililien lebte davon, edle Pferde mit möglichst großem Gewinn zu verkaufen; und dieses Geschäft ging schlecht genug. Trotzdem wünschte ich, daß sich der Pferdeverkauf wenigstens etwas menschlicher abgespielt hätte, daß nette, tierliebende Privatleute gekommen wären, um sich ein Reitpferd bei uns auszusuchen ‒ Leute, denen man ansah, daß die Pferde es gut bei ihnen haben Würden. So aber nahm Horkheimer sie mit, und wir wußten nicht einmal, wie ihre neuen Besitzer sie behandeln würden.

Ich merkte, daß Matty mit den Tränen kämpfte, und legte den Arm um seine Schulter. Das war der einzige Trost, den ich ihm im Augenblick geben konnte.

Einige Zeit saßen wir so beisammen und sagten gar nichts, weil es nichts zu sagen gab. Erst nach einer Weile fragte ich: „Und Jörn? Was sagt Jörn dazu?“

„Gar nichts. Du kennst ihn ja. Wenn ihm etwas zu schaffen macht, zieht er sich in sein Schneckenhaus zurück. Er hat sein Laßt-mich-doch-alle-in-Ruhe-Gesicht aufgesetzt und ist in sein Zimmer verschwunden. Jetzt hört er Musik.“

Ich nickte. Ja, das war typisch Jörn. Er hatte mir einmal erklärt, daß er gelernt hätte, Probleme mit sich selbst abzumachen. Deshalb fiel es ihm jetzt schwer, damit zu anderen zu gehen, selbst wenn er das wollte.

„Und Mikesch?“ fragte ich.

„Der ist vor einer Stunde nach Frasdorf gefahren, um Futter zu holen.“

Matty fuhr sich mit dem Pulloverärmel über die Nase. Dann stand er auf. „Ich muß jetzt wieder hinüber“, sagte er. „Der Hufschmied kommt, und ich hab versprochen, ihm zu helfen. Joschi und Vroni machen beim Beschlagen immer Schwierigkeiten.“

Ich sah zu ihm auf und dachte plötzlich, wie hart er doch mit sich selbst war ‒ vielleicht konnte man es auch tapfer nennen. Er war fünfzehn, ein halbes Jahr jünger als ich; und doch kam er mir manchmal sehr erwachsen vor ‒ erwachsener sogar als Jörn mit seihen fast achtzehn Jahren.

Ich wußte sehr genau, daß Matty jetzt alles andere lieber getan hätte, als in den Stall von Dreililien zurückzugehen, daß auch er sich am liebsten irgendwo verkrochen hätte, nur um Isabells leere Box nicht sehen zu müssen. Doch wenn Matty etwas versprochen hatte, hielt er es, auch, wenn es ihm noch so schwerfiel. Das war eine Eigenschaft, die ich an ihm bewunderte.

Unwillkürlich sagte ich: „Ich komme mit dir, Matty.“

„Das ist lieb von dir“, erwiderte er dankbar. „Vielleicht könntest du Mikesch später beim Abladen helfen. Wer weiß, wann Jörn wieder auftaucht. Wir können Mikesch ja nicht alle Arbeit allein machen lassen.“

„Er schuftet sowieso für drei“, stimmte ich zu, während wir aus dem Garten gingen. „Für die Arbeit, die er leistet, müßte er eigentlich ein Ministergehalt kriegen.“

„Und dabei können wir ihm nur einen Hungerlohn zahlen“, sagte Matty. „Aber du, ich glaube, das macht ihm nichts aus. Erst kürzlich hat er zu mir gesagt, daß er viel lieber eine Arbeit tut, die ihm Spaß macht und wenig Geld einbringt als eine, die ihm nicht gefällt, aber gut bezahlt ist. Außerdem ist’s ihm wichtig, daß er auf dem Land leben kann.“

„Und daß er mit Pferden zu tun hat“, fügte ich hinzu. „Schließlich ist er auf einem Gestüt aufgewachsen.“

Matty nickte, aber ich merkte an seinem Gesichtsausdruck, daß er mit den Gedanken nicht bei der Sache war. Genau wie ich dachte er wohl an Isabell und Odin. Um uns beide abzulenken, sagte ich: „Was meinst du, warum er nicht zu Hause geblieben ist?“

„Wer?“ fragte Matty.

„Mikesch natürlich. Ich meine, sein Vater ist ein bekannter Rennstallbesitzer. Da wär’s doch für Mikesch das Naheliegendste gewesen, zu Hause zu bleiben, mit seinem Vater zusammenzuarbeiten und später mal den Rennstall zu übernehmen, oder?“

„Du hast doch gehört, was Mikesch gesagt hat“, erwiderte Matty leicht ungeduldig. „Die beiden haben sich nicht verstanden.“

„Aber ist das ein Grund, gleich den ganzen Kontakt mit zu Hause abzubrechen? Da muß schon etwas Einschneidendes vorgefallen sein. Ich glaube eigentlich nicht, daß Mikesch so ein unversöhnlicher Typ ist.“

Matty runzelte die Stirn. „Nein, das glaube ich auch nicht. Jedenfalls hat er sich bisher über die Sache ausgeschwiegen, und dafür wird er seine Gründe haben. Er will offenbar nicht darüber reden. Das müssen wir akzeptieren, Nell.“

Ich sagte angriffslustig: „Wenn du denkst, daß ich neugierig bin, hast du dich getäuscht. Es ist nur so, daß ich Mikesch mag, und deshalb ist’s mir auch nicht gleichgültig, wie es ihm geht. Ich glaube, er ist manchmal verdammt einsam, und die Geschichte mit seinem Vater macht ihm bestimmt zu schaffen, auch wenn er nicht darüber redet oder – gerade, weil er es nicht tut.“

Wir starrten uns an. Es hätte nicht viel gefehlt, und wir hätten Streit bekommen, Matty und ich ‒ zum erstenmal, seit wir uns kannten. Doch da hatten wir den Hofplatz von Dreililien erreicht. Und als wir sahen, daß Horkheimers Mercedes mitsamt dem Anhänger verschwunden war, vergaßen wir unsere Meinungsverschiedenheit.

„Sie sind weg“, murmelte ich. „Vielleicht sind sie schon auf der Autobahn.“

„Wenigstens sind sie zusammen, Isabell und Odin.“

Der Hufschmied kam in seinem klapprigen Ford angefahren und ging mit Matty in den Stall. Ich mochte nicht mitkommen. Im Augenblick hätte ich am liebsten alles vergessen, was mit Pferden zusammenhing.

Ich sah zu dem alten Torbogen mit der zerbrochenen Kutscherlampe und dem steinernen Wappen auf, das drei Lilien zeigte. Der Torbogen verband Wohnhaus, Stallgebäude, Remise, Geräteschuppen und das ehemalige Gesindehaus zu einem Viereck, schirmte den Hof gleichsam gegen die Außenwelt ab. Hinter dem Rundbogen sah man den Innenhof mit den alten Gebäuden, die Hauswände mit den Baikonen, den stuckverzierten Fenstern und dem bröckelnden Verputz, und in der Mitte des Hofes den Ziehbrunnen unter der Linde, die ihre gelben Blätter auf die abgetretenen Pflastersteine streute.

Man merkte, daß der Gutshof einst bessere Zeiten gesehen hatte. Ursprünglich war Dreililien ein Rittergut gewesen, das ein Vorfahr der Mobergs als Lohn für treue Kriegsdienste vom Kaiser zum Geschenk bekommen hatte. Heute war der einstige Glanz verblaßt. An allen Ecken und Enden wären Reparaturen nötig gewesen, für die das Geld fehlte. Und doch lag ein besonderer Zauber über dem großen Hof, ein Zauber, dem der beginnende Verfall nichts anhaben konnte. Immer, wenn ich hierherkam, spürte ich aufs neue diesen Zauber, und wie so oft dachte ich auch heute: Dreililien ‒ das ist eine Welt für sich.

Aus dem Stall erklang Joschis Gewieher. Sie hatte eine ganz besondere, unverkennbare Art zu wiehern, wenn ihr etwas nicht paßte; und diesmal brauchte ich nicht lange zu raten, was es war. Joschi hatte eine alte Abneigung gegen den Hufschmied. Er mußte ihr einmal unabsichtlich beim Beschlagen weh getan haben, und das würde sie ihm wohl nie vergessen, so lange sie lebte.

Von der Wegkreuzung her hörte ich das vertraute Knattern des Lieferwagens. Ich hob den Kopf und sah mich um. Da kam Mikesch; seine schwarzen Locken glänzten hinter der Windschutzscheibe.

Auch er mußte mich bemerkt haben, denn er hupte, steuerte den Wagen mit einer quietschenden Rechtskurve auf den Hofplatz und rief aus dem Fenster: „He, Nell, war Horkheimer hier?“

„Ja“, sagte ich und ging zu ihm, während er anhielt und aus dem Führerhaus sprang. „Hast du ihn unterwegs gesehen?“

„Ich bin ihm kurz vor der Zufahrt zur Autobahn begegnet.“ Er sah mich forschend an. „Hat er Pferde gekauft?“

Ich nickte. „Isabell und Odin.“

Mikeschs blaue Augen verrieten nicht, was er über den Verkauf dachte. „Ich wußte gar nicht, daß Herr Moberg die beiden weggeben wollte“, war alles, was er sagte. Dann aber legte er die Arme um meine Schultern, genau wie ich es vorher bei Matty gemacht hatte. „Das sind eben die Schattenseiten, Nell.“

Ich sah zu ihm auf. „Aber Mikesch, warum muß immer alles Schattenseiten haben? Kann’s denn auf der Welt gar nichts geben, was einfach mal schön und problemlos ist?“

„Ach, Nell“, erwiderte er, „ich fühle mich wie ein Urgroßvater bei dem, was ich dir jetzt sage ‒ aber je älter ich werde, um so mehr begreife ich, daß jedes Ding seine zwei Seiten hat. Das ist wohl so eine Art Naturgesetz. Alles hat seine Licht- und Schattenseite; eines scheint ohne das andere nicht möglich zu sein. Es gibt nichts, was nur gut oder nur schlecht ist.“ Er lächelte. „Aber da stehen wir herum und philosophieren, während wir eigentlich die Säcke abladen sollten. Du hilfst mir doch, oder?“

„Klar. Ich bin ja deswegen gekommen. Matty ist im Stall. Der Hufschmied ist da, und du weißt, daß Joschi und Vroni ihn nicht leiden können.“

Mikesch fragte nicht, wo Jörn wäre. Er wußte, was es für uns alle bedeutete, wenn Pferde verkauft wurden, und daß jeder von uns anders darauf reagierte. Gerade für Jörn hatte er eine Menge Verständnis. Es war noch nicht lange her, daß er zu mir gesagt hatte, Jörn sei eben schwierig wie alle besonders empfindsamen Menschen. Mikesch verstand und akzeptierte vieles bei anderen, auch wenn er keine großen Reden schwang und nicht mit einem Heilsarmee-Gesicht herumlief.

Wir öffneten die Ladeklappe und legten Bretter an den Lieferwagen. Dann begannen wir auszuladen. Ich half Mikesch, so gut ich konnte, obwohl die Säcke zu schwer waren, als daß ich sie auch nur ein Stück hätte anheben können. Ich mußte mich damit begnügen, sie herumzuzerren und zu schieben und mit anzupacken, wenn Mikesch sie über die Bretter rollte und auf die Schubkarre lud.

Wir schufteten so, daß ich kaum noch Zeit hatte, an Isabell und Odin zu denken. Nach einer halben Stunde hatten wir erst die Hälfte der Säcke ausgeladen. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, daß ich es nicht besonders fair von Jörn fand, uns hier allein arbeiten zu lassen. Da kam Diana, die gefleckte Jagdhündin, durch den Torbogen gelaufen.

Wo Diana war, konnte Jörn nicht weit sein. Wirklich tauchte er gleich darauf unter der Kutscherlampe auf, die Hände in den Hosentaschen und jenen verschlossenen Ausdruck auf dem Gesicht, den ich nur zu gut an ihm kannte.

Er kam und sagte: „Laß das, Nell, das ist zu schwer für dich. Ich helfe Mikesch schon.“

Die Behauptung, daß etwas zu schwer für mich sei, hat bei mir immer die Wirkung, daß ich sofort das Gegenteil beweisen will. Ich funkelte ihn böse an, preßte die Lippen zusammen und zerrte weiter an einem der Säcke herum.

Eine Weile arbeiteten wir schweigend. Mehrmals sah ich Jörn verstohlen von der Seite an, musterte sein schmales Gesicht mit den blonden Locken über dem Stirnband. Jörn war keineswegs schön, vor allem nicht, wenn man ihn mit Mikesch verglich. Doch da war etwas an ihm, das ihn ungemein anziehend für mich machte. Ich kann nicht sagen, ob es die lässige Anmut seiner Bewegungen war, sein Blick oder die Art, wie er die Augen verengte, wenn er lächelte. Vielleicht war es alles zusammen ‒ und noch vieles mehr.

Mein Ärger verflog. Jörn hatte mir einmal erklärt, daß er von klein auf gelernt hätte, Probleme mit sich selbst abzumachen, weil er damit nicht zu seinen Eltern gehen konnte. Auch heute hatte er sich wieder in sein Schneckenhaus zurückgezogen, doch diesmal war ich entschlossen, ihn herauszuholen, sobald sich eine Gelegenheit dazu ergab.

Mikesch sagte: „Horkheimer hat Isabell und Odin also gekauft. Weißt du, für wen?“

„Für einen Züchter in Westfalen“, erwidete Jörn in einem Ton, der deutlich sagte: Laß mich bloß in Ruhe!

Mikesch schien das jedoch nicht weiter zu stören. „Westfalen?“ wiederholte er. „An Julius Stende vielleicht?“

Jörn sah überrascht auf. „Ja, so heißt der Züchter. Kennst du ihn?“

„Mein Vater hatte öfter geschäftlich mit ihm zu tun“, erwiderte Mikesch. „Stende ist in Ordnung. Die Pferde sind gut bei ihm aufgehoben.“

Mir wurde bedeutend leichter ums Herz. Wenn Mikesch das sagte, stimmte es. Isabell und Odin kamen also in gute Hände!

Ich hob den Kopf und begegnete über die Schubkarre hinweg Jörns Blick. Unsere Finger berührten sich, als wir gleichzeitig nach dem Griff faßten.

Unwillkürlich mußte ich lächeln. Der gefrorene Ausdruck auf Jörns Gesicht verschwand. Seine Augen verengten sich; er lächelte zurück.

Ich sagte: „Die Schubkarre ist nicht zu schwer für mich, Jörn. Aber wenn du mit anpackst, geht’s natürlich leichter.“

Sein Lächeln wurde breiter. „Sieh mal an! Vorher dachte ich schon, du würdest mich beißen, als ich sagte, daß die Arbeit zu schwer für dich ist. Rothaarige Leute sind eben reizbar, das weiß man ja inzwischen.“ Er zwinkerte mir zu. „Oder ist heute die Emanze bei dir durchgekommen?“

„Vielleicht“, sagte ich würdevoll. „So wie bei dir der einsame Steppenwolf.“

Mikesch lachte. „Gib’s ihm nur, Nell. Was habt ihr übrigens gegen Emanzen und einsame Steppenwölfe? Alles, was sie lernen müssen, ist, daß es gemeinsam besser geht.“

Reiterhof Dreililien 3 - Der Frühling des Lebens

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