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Zielstrebig ging Belu nach Verlassen des Schulhauses auf einen BMW zu, der auf dem Lehrerparkplatz abgestellt war. Bewundernd blieb sie stehen. »Geile Karre!« Sie drückte auf ihren Schlüssel und die ersten Takte der Titelmelodie von Agatha-Christie-Filmen ertönte. Man hörte die Filmmusik, in der die Romanfigur Miss Marple ermittelte.

Zufrieden summte Belu mit. Dann drehte sie sich um.

»Schwing dich rein, Kollege, falte dich zusammen.«

Freudig öffnete sie die Türe ihres knallroten Smarts, der neben dem BMW geparkt war, und setzte sich hinters Steuer. Klaus wurde in den Sitz gepresst, als seine Chefin aufs Gas drückte und mit Quietschen auf die Hauptstraße einbog.

»Ich habe keine Lebensversicherung«, schrie Klaus, »bitte fahr sachter.«

»Du weißt doch, wie ich Auto fahre, du Schattenparker«, konterte Belu, »vor allen Dingen, wenn ich mit meinem Privat-Pkw unterwegs bin.«

»Du weißt, dass das nicht …«

»Papperlapapp. Möchtest du mit der gesamten Polizeimontur eine Todesnachricht überbringen? Du bist doch ein Kerl. Seit wann haben Männer Angst beim Autofahren?«

»Wenn jemand so einen Bleifuß hat wie du, werte Chefin, dann bekommt selbst der hartgesottenste Rennfahrer ein flaues Gefühl in der Magengegend. Wo fährst du denn jetzt wieder hin? Links, liiiiinks geht’s nach Ziegelstein, also wirklich: Als der liebe Gott den Orientierungssinn vergab, hast du dich verlaufen.«

Belu schnaubte, bremste scharf, zog das Lenkrad des Smarts nach links. Ein Hupkonzert war die Folge.

»Augen auf im Straßenverkehr«, brüllte Belu. Klaus setzte sich auf seine Hände, um nur ja nicht in Versuchung zu geraten, in das Lenkrad zu greifen. Es ging eine ganze Weile nur geradeaus. Nach etwa zehn Minuten Fahrt schrie Belu so laut, dass Klaus zusammenzuckte: »Ha! Da ist es. Numero 17.«

Frech stellte sie sich mit ihrem roten Smart mitten in eine Einfahrt.

»Auf geht’s, Herr Kollege, setz dein Ich-muss-Ihnen-eine-schlechte-Nachricht-überbringen-Gesicht auf.

»Immer ich«, maulte Klaus.

»Damit du es lernst. Komm, dann haben wir es hinter uns.«

»Sagtest du schon!«

»Dass du aber auch immer das letzte Wort haben musst, Kollege Klausi.«

Ein Brummen war die Antwort.

Sie würde sich wohl nie daran gewöhnen, unangenehme Botschaften zu überbringen. Belu setzte eine ernste Miene auf, während sie die Türglocke betätigte. Lange Zeit tat sich nichts, alles blieb ruhig.

»Die schläft bestimmt noch«, rief eine Stimme vom Nachbargrundstück. »Vor zehn, besser noch vor elf Uhr steht die doch nicht auf.«

Belu ging interessiert ein paar Schritte Richtung Nachbarzaun.

»Darf ich fragen, wer Sie sind?«

»Wenn Sie mir sagen, wer Sie sind«, konterte die weibliche Stimme.

»Kriminalpolizei.«

»Ach so, hätte ja sein können, dass Sie von den Joshuas sind oder einer anderen Sekte. Es ist was passiert, gell? Haben sich die zwei jetzt endlich die Köpfe eingeschlagen?«, fragte die Nachbarin neugierig.

»Wie kommen Sie darauf?« Belu sah die Frau über den Rand ihrer Lesebrille an.

»Wenn die Meiers aneinandergeraten, ist das schöner als der spannendste Krimi. Das ist so laut, das hört man die ganze Straße entlang. Und am nächsten Tag läuft sie mit einer Brille rum. Ich sag’s Ihnen, da geht die Post ab. Erst gestern wieder haben sie sich gestritten. Und dann lassen sie auch noch das Fenster offen, so dass jeder, ob er will oder nicht, mithört. Es hat sogar mal kräftig gescheppert. Geradeso, als wenn was zu Bruch gegangen ist. Hilfe will Frau Meier übrigens nicht, ich habe es ihr schon oft genug angeboten.«

»Wir kommen nachher auf Sie zurück, Frau …?«

»Keeser, Maria Keeser, ich wohne gleich nebenan. Bin sozusagen mitten im Geschehen. Aber sagen Sie, ist etwas passiert?«

Belu nickte. Im selben Moment öffnete sich die Tür und eine Frau mit zerzaustem Haarschopf, gekleidet in einen angegrauten Frotteebademantel, streckte den Kopf heraus. Der Pony hing ihr ungepflegt in die Augen.

»Sind Sie schon wieder am Klatschen, Frau Keeser? Kehren Sie doch Ihren eigenen Dreck weg.«

»Also hören Sie, Sie …«, rief Frau Keeser entrüstet.

»Sie sind Frau Eva Meier?«

Als diese nickte, stellten sich Belu und Hofmockel vor. Beide Kommissare zückten ihre Dienstausweise. Gehen wir doch lieber rein?« Sie ließ den Satz wie eine Frage klingen.

»Wenn es sein muss, dann kommen Sie halt rein. Ich bin noch nicht zum Aufräumen gekommen, habe mich heute Morgen nicht wohl gefühlt, deshalb bin ich liegen geblieben.«

Eva Meier ging vor ins Wohnzimmer. »Nehmen Sie Platz.« Schnell nahm sie einige Bierflaschen und eine halb leere Kognakflasche vom Tisch, trug sie in die angrenzende Küche. Sie kam mit einer kleinen Schaufel und einem Besen wieder. Eilig kehrte sie Scherben weg.

»Die Flasche ist mir runtergefallen«, murmelte sie. Der Rest ihrer Worte ging in Geflüster unter. Geschäftig eilte sie eine Weile zwischen Küche und Wohnzimmer hin und her. Belu und Klaus verfolgten stumm das Geschehen.

Es sah nicht besonders sauber in dem Raum aus. Ein übervoller Aschenbecher stand auf dem Tisch, auf dem man klebrige Ränder erkennen konnte. Brösel lagen auf dem Teppich. In einer Ecke hingen Spinnweben. Auch die Vorhänge hätten dringend einer Wäsche bedurft. Am Fensterbrett standen zwei Blumentöpfe. Das Grünzeug sah schlapp aus. Es juckte Belu in den Fingern, die Pflanzen zu gießen. Eine Vielzahl von Büchern und Zeitschriften lagen verstreut auf den Anrichten, auf der Fensterbank und am Boden.

»Unseretwegen müssen Sie jetzt nicht aufräumen. Bitte setzen Sie sich doch, Frau Meier.« Belu wartete ab, bis die Frau Platz nahm, und zwar auf der Kante ihres Stuhls. Es wirkte, als wäre sie auf dem Sprung. Sie tastete nach der Zigarettenschachtel.

»Wir müssen Ihnen leider mitteilen, dass Ihr Mann heute Morgen erschlagen in der Turnhalle aufgefunden worden ist.«

Klaus drückte ihr sehr professionell sein Beileid aus.

Eva Meier hielt mitten in ihrer Bewegung inne.

»Diese kleinen Monster.« Sie presste die Lippen aufeinander. Dann nahm sie eine Zigarette aus der Schachtel und fischte ein Feuerzeug aus der Bademanteltasche. Sie inhalierte tief.

Belus feiner Nase war es nicht entgangen, dass Eva Meier nach Alkohol roch. Entweder war es noch Restalkohol, oder sie hatte sich bereits zum Frühstück ein Gläschen genehmigt.

Eva hielt den Morgenmantel am Hals zusammen. Fahrig strich sie sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

»Das war sicher einer seiner Schüler. Martin hat sich immer darüber beklagt, wie faul sie sind, wie frech und wie sehr das Niveau gesunken ist. Vielleicht hat sich einer für eine schlechte Note gerächt? Neulich hat er sogar ein Klappmesser eingezogen.«

»Wissen Sie, wem er das abgenommen hat?«, unterbrach Klaus.

»Woher soll ich das wissen?« Es klang aggressiv. »Mein Mann sagte keinen Namen. Ich kenne seine Schüler sowieso nicht. Richtig aufgegangen ist er nur in seinem Matheleistungskurs. Mathe«, sie schüttelte sich angewidert, »er konnte das gesamte Abendprogramm über die Mathematik bestreiten.«

Klaus zückte sein Notizbuch. »Hat sich Ihr Mann in letzter Zeit speziell über einen Schüler beklagt?«

»Nö, eher so im Allgemeinen. Wollen Sie was trinken?«

Beide Kommissare schüttelten den Kopf. Belu beobachtete Eva Meier genau.

»Ich brauch jetzt was.« Hastig machte sie drei lange Züge aus der Zigarette, sah sich suchend um. Da der Aschenbecher voll war, drückte sie den Glimmstängel auf einem Teller aus. Eine angelaufene Scheibe Salami und ein verwelktes Gürkchen lagen dort. Stillleben mit Zigarette fuhr es Belu durch den Kopf. Wie ekelig!

Eva öffnete den Schrank, in dem sich eine gut sortierte Bar befand. Sie schenkte sich eine weiße Flüssigkeit ein und trank in großen Schlucken. Dabei fiel der Bademantelärmel nach hinten und entblößte Schrammen und blaue Flecken. Es war nur ein Sekundenbruchteil. Eva Meier zog den Ärmel sofort wieder über die Hände. Schenkte sich das Glas erneut zwei Fingerbreit voll.

»Haben Sie jemanden, der sich jetzt um Sie kümmert, der bei Ihnen ist?«

»Ja, ja, keine Sorge, ich komme schon klar.«

»Wir hätten noch einige Fragen an Sie. Dürfen wir Sie bitten, auf’s Präsidium zu kommen? Wenn es Ihnen besser geht«, fügte Belu noch an.

Eva Meier nickte. Dann lachte sie hysterisch auf.

»Erschlagen?«, fragte sie. »Martin hatte heute laut Stundenplan Sport in der ersten Stunde.« Sie lachte unkontrolliert und griff erneut zur Flasche in der Bar. Überlegte es sich aber anders und stellte sowohl Glas als auch Flasche zurück. Sie strauchelte, hielt sich an der geöffneten Schranktür fest.

»Geht es Ihnen gut? Können wir helfen?« Belu eilte auf die Frau zu. Instinktiv ergriff sie deren Arm. Dabei öffnete sich der Morgenmantel, den Eva bisher zugehalten hatte. Hals und Brust waren mit blauen Flecken übersät.

»Lassen Sie mich. Mir geht’s gut.«

Sie streifte Belus Hand von ihrem Arm. »Ich komme morgen früh in Ihr Büro. Lassen Sie mich jetzt alleine, bitte.«

»Selbstverständlich, Frau Meier. Wir würden nur gerne noch einen Blick in das Arbeitszimmer Ihres Mannes werfen.«

»Oben.« Eva Meier deutete mit dem Zeigefinger zur Treppe. »Zweite Türe links.« Sie ließ sich auf das Sofa plumpsen und schloss die Augen.

Belu bedeutete Klaus, mit nach oben zu kommen. Das Arbeitszimmer war, im Gegensatz zum Wohnzimmer, sauber und aufgeräumt. An den Wänden hingen Klassenfotos, die mit Stecknadeln an die Raufasertapete gepinnt waren. Ein überdimensionaler Schreibtisch stand unter dem Fenster, nahm fast den ganzen Raum ein.

»Schau dir mal diesen Chefsessel an. Der ist saubequem.«

Klaus lümmelte sich in das Sitzmöbel und wippte vor und zurück.

»Und ergonomisch ist er auch noch«, sagte er, erhob sich, schob ihn beiseite.

»So einen Stuhl, der sich dem Körper anpasst, könnten wir in unserem Büro auch gebrauchen. Ich werde so einen für uns beide beantragen. Du klagst doch auch immer wieder mal über Rückenschmerzen. Die würden wir sicher in den Griff bekommen«, schmunzelte Belu.

»Ich will lieber einen Ball«, maulte Klaus. Er bückte sich und hob einen Papierschnipsel auf.

»Nix da, dann rollst du den ganzen Tag im Zimmer umher und hopst darauf herum.«

»Es würde meinem Rücken guttun.«

Sie grinsten sich an.

»Was hast du da für einen Schnipsel?«

Belu sah ihrem Kollegen über die Schulter. Dann trat sie an das Bücherregal heran und überschlug kurz, wie viele Bücher wohl hier stehen mochten.

»Eine Nummer«, antwortete Klaus. »Ein Teil einer Telefonnummer vielleicht. Hier ist er abgerissen, siehst du?«

»Tüte ihn ein! Möglicherweise ist der andere Teil im Papierkorb.«

Klaus hob den Korb und tat so, als wollte er ihn sich auf den Kopf setzen. »Leer«, sagte er.

Belu verdrehte die Augen. »Kindskopf!« Mit Blick auf die Bücherregale äußerte sie: »Ein belesener Mann.«

»Als Lehrer musste er das sein«, konterte Klaus.

»Mathebücher, auch jede Menge religiöse Schriften. Schau mal: Religiöses Leben von Anfang an. Und hier: Religiöse Orte, eine Weltreise. Gott in deinem Alltag; ich bin platt. Mathematik und Religion. Den Schülern nach zu urteilen, war er doch recht aufbrausend und autoritär. Passen da religiöse Bücher zu seinem Charakter?« Ein Buch nach dem anderen zog die Kommissarin heraus.

»Schau mal, Belu. Hier sind zwei Regalwände nur mit Mathebüchern. Das war seine Leidenschaft. Und in diesem Regal stehen lauter Bücher über Sport. Leistungssport trainieren, Yoga und autogenes Training, Sport in der Lebensmitte, der effiziente Sportunterricht.« Klaus stellte die Bildbände zurück, nickte anerkennend. »Ein wirklich sachkundiger und gebildeter Mensch.«

»Mag sein. Vielseitig interessiert würde ich sagen.«

Belu öffnete den Laptop, der auf dem Schreibtisch stand, und drückte auf den Einschaltknopf. Eine kurze Melodie erklang. Der Benutzer wurde aufgefordert, sich mit einem Passwort einzuloggen.

»Ob uns der Rechner wohl noch mehr Charaktereigenschaften seines Besitzers offenbart?«, meinte Belu.

»Ich glaube eher, er hat seine Schulaufgaben, samt Löser, abgespeichert. Wir können ihn ja mal mitnehmen.«

Belu nickte, stöpselte das Gerät ab und klemmte sich den Laptop unter den Arm. Ein letzter Blick durch das Zimmer.

Als sie ins Wohnzimmer zurückkamen, lag Eva Meier auf dem Sofa. Sie war eingeschlafen. Ein Bein war angewinkelt, das andere hing über den Rand der Couch. Sie röchelte leise. Der Morgenmantel war nach oben gerutscht und entblößte die mit blauen Flecken übersäten Oberschenkel.

Beide Kommissare sahen sich entsetzt an.

»Frau Meier, bitte wachen Sie auf!« Belu berührte sie leicht an der Schulter. Erschreckt fuhr Eva Meier hoch. Sie leckte sich mit der Zunge über die trockenen Lippen, streckte die Hand aus. Klaus eilte in die Küche, füllte ein Glas mit Wasser und reichte es Eva. Gierig trank sie.

»Und?«, sagte Eva schlaftrunken. Sie sprach den Satz nicht weiter.

»Wir nehmen den Laptop Ihres Mannes mit.« Belu zog einen Quittungsblock aus der Tasche, bescheinigte darauf die Mitnahme des Rechners. Den Durchschlag legte sie auf den Tisch.

»Auf Wiedersehen, Frau Meier. Sollen wir …?« Belu sprach nicht weiter, als sie die abwehrende Haltung Evas wahrnahm. Sie blickte besorgt auf die Frau nieder, die krampfhaft versuchte, den Morgenmantel zusammenzuhalten.

»Nein!«, klang es heftig. »Ich komme zurecht. Gehen Sie jetzt!«

An der Haustür hing ein Stundenplan. »Dienstag, zweite Stunde Sport«, las Belu. Sie fuhr mit dem Zeigefinger die Spalte entlang. »Die zweite Stunde fängt doch dann erst um halb neun Uhr an. Warum war er schon um sieben Uhr in der Schule?«

»Wahrscheinlich musste er noch kopieren oder den Turnsaal herrichten oder er musste noch was vorbereiten, oder, oder«, hielt Klaus dagegen. Nachdenklich zog er die Eingangstür zu. Beide Kommissare wirkten geistesabwesend, als sie zum Smart gingen. Von der Nachbarin war nichts mehr zu sehen. Nur ein Vorhang wackelte verdächtig.

»Du bist so schweigsam, Chefin. Soll ich die Nachbarin jetzt befragen oder später? Die hat bestimmt einiges beobachtet und viel mitbekommen.«

»Später«, kam die knappe Antwort von Belu. »Hast du gesehen, wie viele blaue Flecken Eva Meier an Brust, Hals und Oberschenkel hat? Und die Kratzer an der Hand? Es sieht so aus, als wenn sie geschlagen wurde. Kein Wunder, dass die schon morgens einen Drink braucht, sonst übersteht sie den Tag nicht.«

»Chefin! Martin Meier ist das Mordopfer – wir ermitteln seinen Mörder!« Klaus zog das Wort seinen in die Länge. Belu betätigte die Fernbedienung und Miss Marple öffnete die Türen des Smarts. Klaus bekreuzigte sich und ließ sich in den Sitz hineinplumpsen.

»Und, legen wir wieder einen Kavalierstart hin, liebste Chefin?«

Belu antwortete nicht. Sie fuhr langsam los und ordnete sich diszipliniert in den laufenden Verkehr ein. Klaus wusste, dass dies ein untrügliches Zeichen dafür war, dass Belus Gehirnwindungen auf Hochtouren arbeiteten. Er verkniff sich einen weiteren Kommentar und schwieg lieber. Wenn Belu ihren heißgeliebten Smart mehr trug als fuhr, dann war was im Busch. Aber vorerst wollte Belu ihre Gedanken wohl für sich behalten.

Geständnis mit Folgen

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